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Adalbert Stifter

(1805 – 1868)

 

An der oberen Moldau breitet sich auf einer mäßig ansteigenden Anhöhe der idyllisch schön gelegenen Marktflecken Oberplan aus.

Hier finden wir, an Feld und Wiese angelehnt, inmitten anderer Baulichkeiten das Haus Nr. 21, dessen Hauptseite eine eingemauerte Gedenktafel trägt, während vor demselben, unmittelbar neben der Eingangstür, »ein großer achteckiger Stein von der Gestalt eines sehr in die Länge gezogenen Würfels« liegt, wie ihn der Dichter selbst in »Granit« angeführt.

Hier wurde den bürgerlichen Eheleuten Johann und Magdalena Stifter am 23. Oktober 1805 ein Söhnlein geboren, das sie Adalbert nannten. Vielfach wird auch das Jahr 1806 als Geburtsjahr angenommen, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass A. Stifter selbst dieses in einem Schreiben an M. Tenger, datiert von 26./5. 1860, als das seiner Geburt irrig angeführt, während er auch in anderen Briefen mehrfach nicht zutreffende Angaben über sein Alter macht.

Zwölfjährig verlor Stifter schon den Vater, welchen er selbst als einen »edlen, nur zu großmütigen« und »außergewöhnlichen« Mann bezeichnet. (Briefe vom 21./4. 1855 und 2./2. 1857) Als Webermeister betrieb derselbe auch einen Flachshandel, wobei er auf einer Fahrt nach Oberösterreich, zwischen Wels und Lambach, bei dem Umsturze eines mit Flachs schwer beladenen Wagens verunglückte und plötzlich starb.

Eigentümlicher Weise haben Großeltern auf die geistige Entwicklung Adalberts mehr einen unmittelbar anregenden und nachhaltigen Einfluss ausgeübt, als die Eltern selbst. Der Vater war freilich durch seinen Handel vielfach auf Reisen abwesend vom Hause, während die Mutter wieder mit den Sorgen des Haushaltes und einer kleinen Wirtschaft vollauf in Anspruch genommen war, da noch außer der Großmutter Ursula und dem Großvater Augustinus väterlicherseits, zur Familie eine Schwester und 3 Brüder unseres Dichters zählten, wozu sich später durch die erneute Verehelichung seiner Mutter ein Stiefbruder gesellte. Wenn Stifter nun in »Das Heidedorf« (Studien 1. Bd.) von der Mutter des Heideknaben sagt: »Aus ihrem Herzen, dem er so oft und gerne lauschte, sog er jene Weichheit und Phantasiefülle, die sie hatte, aber zu nichts verwenden konnte, als zu lauter Liebe für ihren Sohn«, charakterisiert er gewiss Mutter Magdalenas Gemütsbeschaffenheit, von der er in einem Briefe vom 21./4. 1855 noch schreibt: »Meine herrliche Mutter, ein unergründlicher See von Liebe, hat den Sonnenschein ihres Herzens über manchen Teil meiner Schriften geworfen.«

Ebenda bezeichnet er die Großmutter Ursula aber als »eine lebendige Chronik und Dichtung« und sagt über deren wohltätige Einwirkung auf ihn im »Heidedorf«: »Er liebte sie zwar nicht so wie die Mutter, sondern ehrte und scheute sie vielmehr; aber sie war es auch gewesen, aus der er die Anfänge jener Fäden zog, aus welchen er vorerst seine Heidefreuden webte, dann sein Herz und sein ganzes zukünftiges Schicksal. – Ja, der Menschenkenner, wenn hier je einer hergekommen wäre, würde aus den wenigen Blitzen, die noch gelegentlich auffuhren, leicht erkannt haben, dass hier eine Dichtungsfülle ganz ungewöhnlicher Art vorübergelebt worden war, ungekannt von der Umgebung, ungekannt von der Besitzerin, vorübergelebt in dem schlechten Gefäße eines Heidebauernweibes.« Und weiter erfahren wir, wie diese Großmutter, die in ihrem Leben voll harter Arbeit ein einziges Buch nur gelesen hatte, die Bibel, in diesem Buch der Bücher auch durch 70 Jahre hindurch dichtete, dem Hirtenknaben aber daraus die heiligen Geschichten erzählte. Und »er schloss alle Tore seiner Seele weit auf, und ließ den phantastischen Zug eingehen und nahm des andern Tages das ganze Getümmel mit auf die Heide, wo er alles wieder nachspielte.« Manche Züge wieder, mit denen Stifter in »Die Mappe meines Urgroßvaters« den Dr. Augustinus zeichnet, waren gewiss ebenso seinem Großvater Augustinus eigen.

Dem Großvater Franz Friepeß mütterlicherseits verdankte er es jedoch zumeist, dass er trotz der misslichen Familienverhältnisse und der gegenteiligen Ansicht des Ortskaplanes, der den Knaben als »gänzlich talentlos« bezeichnete, mit dem vollendeten 13. Lebensjahre auf die Lateinschule der Benediktiner zu Kremsmünster kam.

Wie der Knabe jedoch die Zeit bis zu diesem wichtigen Wendepunkte für sein weiteres Gedeihen und seine Zukunft im Elternhause zugebracht hatte, darüber finden wir im 1. Teile von »Das Heidedorf« eine wunderbar anheimelnde, den Tatsachen entsprechende Darstellung. Ostwärts des Marktes Oberplan liegt die sanft gewölbte »Stifterhöhe«. Dieser jetzt bewaldete Hügel ist der früher auch wirklich so genannte »Roßberg« des Hirtenknaben, auf dem er »sein Reich gründete«. Auf diesen Heidefleck trieb der schwarzäugige Bube seine Ziegen und Schafe, hier »fing er an, Bekanntschaft mit den allerlei Wesen zu machen, welche Heide hegte und schloss mit ihnen Bündnis und Freundschaft.«

Hier sammelte er seine »unzähligen Heideschätze«, wie er denn überhaupt von einem ungewöhnlichen, ja oft wunderlichen Sammeleifer beseelt war, der später selbst den reifen Mann nicht ganz verlassen hatte. Im Übermaße von lebloser wie lebendiger Gesellschaft fühlte er sich als Herrscher über die Heide. Während in ihm, durch die Heideeinsamkeit begünstigt, »eine dunkle glutensprühende Phantasie zu sprossen begann«, lebte er hier »so manchen Tag und manches Jahr, bis der reife Geist nach seinem Brote schmachtete, dem Wissen«. Dieses sollte ihm die oben erwähnte Lateinschule im geregelten Maße geben, nachdem er zu Hause in der Landschule und durch eifriges, oft verbotenes Bücherlesen bescheidene Anfangsgründe in sich aufgenommen hatte. Nach Kremsmünster, wo er zu Allerheiligen des Jahres 1818 eintraf, brachte der frische und gesunde Geist des heranreifenden Jünglinges aber noch andere, natürliche Nahrung aus seiner Heimat mit. Hier hatte der Hirtenknabe dem »Herzschlage des Waldes gelauscht«, hier sich von einer Naturliebe bezaubern lassen, die ihn zum begeisterten Naturfreunde machte, so dass sein Gemütsleben förmlich im Naturleben aufging. Hier aber entsprang dem wahren, gottbegnadeten Dichter Stifter auch der unerschöpfliche Quell von Poesie, von hier aus erneuerte und ergänzte er ihn immer wieder bei jedem späteren Aufenthalte in den heimatlichen Gefilden, um mit der Fülle desselben die Geheimnisse der Natur- und Seelenwelt so meisterhaft zu malen.

Auf der Lateinschule brachte es der Strebsame schon im ersten Jahre zum »prämierten Schüler«. Im zweiten Schuljahre aber vermochte Stifter bereits durch wiederholenden Unterricht mit schwächeren Mitschülern sich selbst zu erhalten, was die mütterlichen Sorgen sehr erleichterte.

Denn nach dem plötzlichen Ableben seines Vaters löste sich das bisher halbwegs einträglich betriebene Handelsgeschäft unter ungünstigen Verhältnissen auf, und die verwaiste Familie blieb nur auf die geringen Erträgnisse der kleinen Feldwirtschaft angewiesen.

Von 1818 bis 1826 oblag Stifter somit an der Benediktiner-Abtei eifrig und mit weiteren besten Erfolgen dem Studium der 6 Gymnasial- und 2 Philosophie-Jahrgänge, versäumte jedoch dabei nicht, sich ebenfalls in der Musik und im Malzeichnen auszubilden, in welch letzterem er es ja als Landschaftsmaler zu einer gewissen Kunstfertigkeit brachte. Selbst an dichterischen Versuchen fehlte es schon hier nicht; doch ist, abgesehen von einem Teile der Dichtung »Das Heidedorf«, deren Entstehung auf die Schulbank zu Kremsmünster zurückzuführen ist, nichts aus dieser Zeit geblieben und veröffentlicht worden.

In der Absicht, sich als Beamter einst dem Staatsdienste zu widmen, ging er sodann an die Universität zu Wien und begann die Rechte zu studieren. Da er aber davon nicht ganz befriedigt war, vernachlässigte er die Jurisprudenz bald und wandte sich mehr der Philosophie, sowie mathematisch-naturwissenschaftlichen Studien zu, denn hier fühlte er sich in seinem eigentlichen Elemente.

Doch auch das Studium der schönen Literatur ließ er sich auf der Hochschule recht angelegen sein und betätigte sich dichterisch schaffend auf diesem Gebiete.

Bei alledem musste er selbst für seinen Lebensunterhalt als Hauslehrer sorgen, so beim Grafen Colloredo und auch mehrere Jahre hindurch beim Fürsten Richard Metternich, dem ältesten Sohne des bekannten österreichischen Haus-, Hof- und Staatskanzlers.

Dass er aber während dieser nicht immer rosigen Studienjahre, trotz mancher misslichen Lagen, glücklichen Frohsinn und Gemütsheiterkeit sich zu erhalten wusste, davon sprechen uns mancherlei Stellen aus seinen Dichtungen, wie nicht minder sonstige humorvolle eigene Schilderungen aus dieser Zeit (Leben und Haushalt dreier Wiener Studenten) und andere seiner Studienfreunde. Daneben war es ihm wohl gegönnt, seine Kunstansichten durch unmittelbare Anschauung an den in der Kaiserstadt vereinigten Kunstschätzen zu läutern und zu verfeinern, während ihm mannigfache Anregungen für seine künstlerische Tätigkeit als Dichter und Maler zweifellos auch aus den vornehmen Gesellschaften, in denen er häufig verkehren durfte, zuflossen.

Die Ferialzeiten verbrachte Stifter nach Tunlichkeit zumeist im Elternhause und während derselben spann ein Verhältnis zwischen ihm und der Bürgerstochter Fanni Greipl aus Friedberg bei Oberplan zarte Fäden, die schließlich in der ehelichen Verbindung der beiden Liebesleute ihren Abschluss finden sollten. Doch dazu bedurfte es einer gesicherten Lebensstellung Stifters, weshalb er sich auch zu Ende des Jahres 1832 um eine zu Prag erledigte Lehrkanzel der Physik und bei Beginne des darauffolgenden Jahres um ein, an der philosophischen Fakultät des k.k. Lyzeums in Linz freistehendes Lehramt bewarb. Daraufhin erzielte er zwar bei einer schriftlichen Prüfung für die Lehrstelle in Prag ein besonders günstiges Ergebnis, erschien aber weiter zur mündlichen Prüfung nicht.

Damit verscherzte sich Stifter ein eheliches Glück einer ihm liebevoll ergebenen Jugendfreundin, deren Vater nun darauf drang, dass sie den Briefwechsel mit dem Dichter abbreche. Drei Jahre darauf heiratete Fanni einen Kammeral-Sekretär in Wels und wieder 3 Jahre nachher starb sie, innig betrauert von Stifter, der sie wohl entbehren lernen musste, doch nie vergessen konnte. Sein aufrichtig gefühltes, fest in der Dichterseele nistendes Weh kommt vielseitig sowohl in Briefen als auch in einzelnen seiner Werke schwermütig zum Ausdrucke, in denen er das schmerzliche Andenken an die verlorene, unvergessliche Jugendgeliebte verewigt.

So schreibt er diesbezüglich z.B. im Eingange der Erzählung »Der Waldgänger«: »Es sind jetzt viele, viele Jahre her, dass der Verfasser dieser Zeilen, der jetzt ein Mann ist, auf einem jener Scheidepunkte stand, wo das Auge beide Teile, die heiteren, herrlichen Gebirgslandschaften (Böhmerwald) und jene einfacheren, unbedeutenderen Gegenden unseres Vaterlandes (das nördliche Oberösterreich) mit einem Male überschauen kann. Er war damals ein Jüngling mit stürmendem Herzen und voll fliegenden Hoffnungen. – Er hatte sein Herz an ein Mädchen geheftet, das nichts besaß, als nur ihre schönen Augen, die an das Fabelhafte reichende Güte und das ahnungslose, vertrauende Herz. Er wollte sie an sich heben, an das Herz drücken, und auf dem Arm durch alle gefahrvolle Welt der Zukunft tragen.« Und daran anknüpfend, setzt er einige Seiten weiter in derselben Erzählung wehmütig fort: »Wie war seit jenen Jahren alles anders geworden! – An jenem Morgen, wo er mit einem Händedruck und dem frohen Versprechen des baldmöglichsten Wiederkommens geschieden war, und wo er dann von der Scheidelinie in das Land zurück schaute, in dem seine Liebe wohnte, hatte er sie zum letzten Male gesehen – kühle Erde deckte schon seit langem ihr gutes Herz.«

Dieser andauernde Schmerz um die Verlorene war umso aufrichtiger und schwerer empfunden, als Stifter in jenem Weibe, dem er am 15./11. 1837, in Anhoffnung einer Professur an der Forstlehranstalt zu Mariabrunn, durch des Priesters Hand in Wien angetraut ward, nicht jene ideale Frauenseele vorfand, nicht jenes große Herz, wie der Dichter es erträumte und sich wünschte.

Kurz nachdem er die Beziehungen zu Fanni aufgeben musste, hatte er sich in Wien der Tochter eines pensionierten Leutnants, Amalia Mohaupt, genähert. Während der Vater in keineswegs guten Verhältnissen zu Miskolcz lebte, musste diese, ohne Vermögen nach dem Tode der Mutter bei einer Verwandten in Wien wohnend, gemeinsam mit einer Schwester durch weibliche Handarbeiten ihr Fortkommen finden.

Dieses Soldatenkind, das keine besondere Schulbildung genossen hatte, das sich als des Dichters und Künstlers Gattin in einem aus dem Jahre 1841 stammenden, herzlich schlecht und fehlerhaft geschriebenen Briefe nur freut, wenn ihr Mann mit seinen Leistungen »gute Geschäfte macht«, musste jahrelang weit hinter dessen Idealen von einer Lebensgefährtin zurückbleiben.

Mit der Zeit wurde freilich auch vieles anders und besser. Stifter selbst äußert sich in einem von Kirchschlag am 15./11. 1865 an seine Gemahlin gerichteten Schreiben: »Du sagst immer, Du könntest nicht schreiben, und schreibst mir einen Brief, den der erste Dichter unseres Volkes nicht schöner zu schreiben imstande wäre. Gezierter und geschraubter könnte er schreiben, wahrer und heiliger nicht. Du kennst überhaupt Deinen Wert nicht, wie ich Dir oft sagte; ich aber kenne ihn und ehre ihn.« Vordem schreibt er noch im gleichen Briefe: »Du sprichst die Hoffnung aus, dass auch ich jetzt noch so denke, wie an jenem Tage (Vermählungstage). Wohl denke ich noch so, alles ist auch mir noch klar und deutlich, wie es gewesen ist; aber mein Gefühl hat sich sehr geändert, es ist um vieles wärmer, anhänglicher und unauslöschlicher geworden, mit jedem Tage, seitdem wir verbunden sind, ist meine Liebe zu Dir gewachsen und ich empfinde es, sie wird bis zu meinem Tode wachsen.«

In seinem Edelsinne und seiner Hochherzigkeit lässt Stifter die anfängliche Enttäuschung seiner Gattin nie fühlen, trotzdem er auch in den ersten Ehejahren von Nahrungs- und Erhaltungssorgen mehrfach hart gedrückt wird, diese aber durch anstrengende Tätigkeit bannen muss, was ihm nicht immer leicht ist; denn neben seinem künstlerischen Schaffen erteilt er auch jetzt notgedrungen Privatunterricht.

Wenn er auch gewisse Stellen in seinen Briefen aus dieser Zeit oder aus einzelnen seiner Dichtungen, wo er seiner Gattin und des häuslichen Glückes gedenkt, nicht allzu begeistert geschrieben hatte, so spricht doch wieder ein Glückwunschschreiben des Dichters an seine Gemahlin vom 10./7. 1847, also nach fast zehnjähriger Ehe, von inniger Liebe und Wärme zu derselben, die er darin seine »größte Freude und sein größtes Glück« nennt. Von Linz aus, wo er den Sommer 1847 über weilte, hatte er seiner in Wien verbliebenen Amalia zum Geburtsfeste silberne Löffelchen übersandt. In dem Briefe dazu schreibt er aber noch weiter: »Bewahre mir Deine Liebe und Dein gutes Herz, dann ist die Erde für uns ein Wohnort, in welchem es kein Unglück gibt. Wenn der Tod mich früher von Dir ruft, so denke, wenn Du eines der Löffelchen gebrauchst, an mich, der Dein unveränderlichster und vom Grunde aus treuester Freund auf dieser Welt war.

Sei heute fröhlich und heiter, dann ist es auch der, der Dich mehr liebt als jedes Ding dieser Erde.«

Und nicht mindere Herzlichkeit, wie reine Gefühle des Gatten drückt ein Brief Stifters vom 16./11. 1847 an seinen Verleger Gustav Heckenast in Pest aus: »Der größte Wunsch, die innigste Bitte an Gott ist nur die Gesundheit meiner Frau. Sie wissen es noch nicht, wie es ist, wenn man 10 Jahre mit einem Menschen gelebt hat, der zuletzt doch der einzigste und unverfälschteste Freund ist, der es vom Urgrunde des Herzens gut meint.«

Dass sich die Gatten gegenseitig aber in vorgeschrittener Zeit so recht erst verstehen lernten, und bei alle Beweisen bisheriger Ergebenheit den Wert, die volle Innigkeit ihrer Zuneigung späterhin ganz zu schätzen wussten, besagt uns folgende Stelle in einem Briefe Stifters an seine Gattin, geschrieben während seines Aufenthaltes im Badeorte Kirchschlag am16./1. 1866: »Das hat die jetzige Trennung doch Gutes gebracht, dass wir erst dadurch recht wissen, wie sehr wir uns lieben. Und diese Liebe wollen wir in alle Ewigkeit bewahren.«

Mit mehr Sicherheit erweist dasselbe ein weiterer Brief Stifters an Heckenast, datiert vom 22./1. 1866. Hier teilt Stifter, ebenfalls von Kirchschlag aus, über die Trennung von seiner Gemahlin folgendes mit: »Wir schreiben uns sehr fleißig. Die Trennung hat ein Herrliches gebracht. Nach der stillen und schweigsamen Art meiner Gattin wusste ich nie, wie sehr sie mich liebe. Jetzt brach die ganze Gewalt der Liebe hervor und sie erfuhr es selber erst. Bei mir war es auch so. Wir hängen mit einer Innigkeit aneinander, die nie, seit wir uns kennen, so groß war. Achtundzwanzig Jahre mussten vergehen, bis wir dies erfuhren. Teurer Freund! Mein häusliches Glück ist das größte Gut für mich auf Erden.« Für diese nun allerdings hoch erfreulichen Umstände sehen wir aber noch manche Bestätigung in »Aus dem bayrischen Walde«, gleich wie diese aus demselben Jahre stammende Erzählung Stifters auch den Beweis von dem »glücklichen Zusammenleben« der Ehegatten in den letzten Lebensjahren des Dichters erbringt.

Den »Gipfel« dieses Glückes, wie ihn Stifter nach einem Stammbuchgedichte (1863), welches für die ihm sehr befreundete Familie Kaindl in Linz bestimmt war, in dem »holden Kinderangesichte« sieht, sollten sie jedoch nicht schauen, denn ihre Ehe blieb kinderlos.

Wie eine auf Gottergebenheit aufgebaute Selbstberuhigung darüber klingt uns aber der Beschluss der Erzählung »Der Waldgänger«: »Die zwei Menschen, die sich einmal geirrt hatten, hätten, die Kinderfreude opfernd, sich an der Wärme ihrer Herzen haltend, Glück geben und Glück nehmen sollen bis an das Grab, und wenn sie zu Gott gekommen wären, hätten sie sagen sollen: Wir können keine Kinder als Opfer mitbringen, aber Herzen, die du uns gegeben, die sich nicht zu trennen vermochten, und die ihr Weniges, was ihnen geblieben, mit hierher bringen: ihre Liebe und Treue bis zu dem Tode.«

In ähnlichem Sinne äußert sich der Dichter seiner Gattin gegenüber (Brief vom 15./11. 1865) folgend: »Wenn Du Gott anrufst, dass er uns noch eine Zeit vereint mit einander leben lassen möchte, so ist das auch mein Anliegen an den allmächtigen Herrn des Himmels. Das Herz der teuren Gattin, das Herz des Gatten ganz sein nennen zu können, in einem Herzen sich einzig und ohne Ende geliebt zu wissen, ist doch das süßeste Glück dieser Erde, und alles, was man an Taten und Gesinnungen sich unterfängt, ist doch zuletzt eitel Stückwerk und Flickwerk, sowie es zuletzt doch auch nur ein Stückwerk und Flickwerk sein wird, was ich in diesem Leben hervorzubringen gestrebt habe. Dass ich doch so viel Wert gehabt habe, dass Dein Herz mich so liebt, wird dereinst mein größter Schmuck vor dem Herrn sein.«

Bis zu den Wirren des Jahres 1848 verweilte Stifter sozusagen ständig in Wien, dichtend und malend.

Die Wirren selbst gingen jedoch auch an ihm nicht ohne manche trübe Enttäuschung, ohne Druck auf sein Gemüt vorüber. Dies kennzeichnet er deutlich in einem Briefe von Linz aus, den er am 21./11. 1848, somit schon nach seiner gänzlichen Übersiedlung nach der Hauptstadt Oberösterreichs, an Heckenast gerichtet hatte. Hier sagt er: »Wie schrecklich mich die Wiener Ereignisse angriffen, können sie sich gar nicht vorstellen, besonders da hieher immer die verworrensten und entstelltesten Nachrichten kamen. Ich war im Oktober ganz gebrochen. Möge Vernunft und Menschlichkeit siegen – zwei Dinge, die jetzt fast aus der Welt geflohen zu sein scheinen.«

Und in einem anderen Briefe an Heckenast vom 6./3. 1849 heißt es: »Ich habe diesen Sommer durch so vieles Schlechte, Freche, Unmenschliche und Dumme, das sich dreist machte und für höchstes ausgab, unsäglich gelitten. Was in mir groß, gut, schön und vernünftig war, empört sich, selbst Tod ist süßer, als solch ein Leben, wo Sitte, Heiligkeit, Kunst, Göttliches nichts mehr ist, und jeder Schlamm und jede Tierheit, weil jetzt Freiheit ist, ein Recht zu haben wähnt, hervorzubrechen; ja, nicht bloß hervorzubrechen, sondern zu terrorisieren.«

Neben der Dichtkunst und Malerei betrieb Stifter in diesen Jahren in Wien noch hauptsächlich geschichtliche und staatswissenschaftliche Studien, sowie Studien auf dem Gebiete des Schönen und der Künste und unterrichtete, wie bereits gesagt, in einer oder der anderen hochgestellten Familie. In der Landschaftsmalerei gelang es ihm sogar, ähnlich wie in seinen Dichtungen, bei ganz eigenartiger Anordnung stimmungsvolle Naturbilder empfindungsreich wiederzugeben, die in Kunstkreisen geschätzt und gekauft wurden. Auf Grund dessen strebte der »Landschaftsmaler« im Jahre 1844 es an, in den Verein des Witwen- und Waisen-Pensionsfonds bildender Künstler in Wien aufgenommen zu werden.

Auch als Schriftsteller hatte er, abgesehen von einzelnen Beiträgen für die »Wiener Zeitschrift«, für »Iris« und »Novellen-Almanach«, in dieser Zeit schon begeisterte Erfolge mit der Novellensammlung »Studien erzielt, und seinen nachmaligen Dichterruhm begründet.

Dass sein Name insbesondere in Wien einen guten Klang bereits führte, davon spricht uns sein Freund Dr. F. J. Proschko. Als Stifter nämlich im Jahre 1848 eines Tages über den Graben ging, wo einer der damaligen »Freiheitsschwärmer« im Kreise mehrerer Gesinnungsgenossen stand, rief dieser dem wohlbekannten Dichter zu: »Dieser muss Unterrichtsminister werden!« Sonst aber stand Stifter bei seiner streng rechtlichen Untertanentreue, als »Mann des Maßes und der Freiheit« (Brief an Heckenast vom 25./5. 1848) revolutionären Umtrieben in Wien nicht nahe. Natürlich fehlte es ihm aber nicht an feindlichen Angriffen gegen seine Haltung. Darüber drückt er sich in einem Oktober-Briefe des Jahres 1849 an Heckenast so aus: »Was Privatanfeindungen betrifft, so ist wohl in dieser Zeit nur der völlig Unbedeutende davon frei. Sie werden sich legen, wie die aufgeregten Affekte wieder in ein Bett zurückkehren, und die Menschen wieder vermögen, gerecht zu sein, stand ich doch selber auf einer Proskriptionsliste des Blattes »Konstitution«, freilich in sehr guter Gesellschaft: Grillparzer, Rizy, Türk etc. und andererseits hielten mich die, welche kaiserlicher sind, als der Kaiser, für zu liberal. Ich machte mir den Grundsatz, mich zu beherrschen und gerecht und rechtschaffen zu sein, nebstbei nie in etwas einzugreifen, von dem mir mein Gewissen sagte, dass ich es nicht verstehe, und ließ dann die Welt urteilen, wie sie wollte.« So übersiedelte er denn noch im Frühjahre 1848 von Wien nach Linz, sich hier der Schriftstellerei, Malerei und anderen seiner Lieblingsbeschäftigungen hingebend. Zu diesen gehörte auch die Ausbesserung und Wiederauffrischung altmodischer Einrichtung für den eigenen Gebrauch, die dann als herrliche Wohnungszierde galt und bewundert wurde. Darunter besaß Stifter zwei kunstvoll gearbeitete Stücke; einen Kleiderschrank mit prachtvoller Holzeinlegearbeit und einen Schreibkasten von hohem Werte. Ersteren verkaufte die Witwe Stifters um 400 fl. der Fürstin Eleonore Schwarzenberg, letzteren aber um 900 fl. Seine Beschreibung findet sich im »Nachsommer« vor.

In Linz hatte Stifter so manche ihm ergebene Freunde und hier verblieb er bis zu seinem Tode. Das »teuere Oberösterreich« war ihm eigentlich zur zweiten Heimat geworden und verschiedene Stellen aus seinen Briefen drücken die Sehnsucht nach jenem deutlich aus, wie folgende aus dem Schreiben an seinen Bruder Anton vom 22./9. 1844: »Es geht mir im ganzen sehr gut, aber Wien habe ich satt und alle meine Wünsche stehen in mein geliebtes Oberösterreich.« An dieses band ihn denn seit dem Jahre 1850 auch sein Beruf als Schulmann dauernd. Nachdem ihm von dem damaligen Unterrichtsministerium unter der Leitung des alles Gute und Edle fördernden Grafen Leo Thun die Schulrats- und Inspektorstelle der Gymnasien in Wien und Niederösterreich angetragen wurde, äußerte Stifter, dieses Anerbieten ablehnend, den Wunsch, als Inspektor der Volksschulen in Oberösterreich wirken zu dürfen.

Am 3. Juni 1850 wurde er nun als solcher bei der neu aufgestellten Landesschulbehörde für Oberösterreich in den Staatsdienst aufgenommen, worauf er im März des Jahres 1855 definitiv und zum wirklichen Schulrate in diesem Kronlande ernannt ward. Dadurch besserten sich einerseits bei geregeltem Einkommen seine materiellen Verhältnisse, obwohl andererseits unter den Pflichten der amtlichen Stellung seine Gesundheit im Laufe der Jahre nicht wenig beeinträchtigt werden sollte.

An und für sich war Stifters körperliche Konstitution schädlichen Einflüssen gegenüber nicht besonders widerstandsfähig; ja, er zog sich sehr leicht Erkältungen zu, die ihn öfters schon während des Wiener Aufenthaltes geraume Zeiten an das Bett fesselten und allen Arbeiten entzogen, worüber er häufig in seinen Briefen klagt.

Durch fleißige, anziehende Wanderungen in Oberösterreich und hauptsächlich im Gebiete der österreichischen Voralpen, sammelte sein frischer Natursinn neue mannigfaltige Eindrücke aus dem wunderreichen Gewebe des Natur- und Menschenlebens für seine vollendeten Schilderungen.

Im Vereine mit edlen, kunstliebenden Freunden erwarb sich sodann Stifter bedeutende Verdienste nicht nur um die Hebung der Volksbildung im Lande ob der Enns, sondern auch durch unmittelbare, vielseitig anregende Einflussnahme auf kunstsinnige Bestrebungen. In beiderlei Richtung zeugen vor allem davon viele Aufsätze Stifters, die in der »Linzer Zeitung« ihre günstige Wirkung nicht verfehlten. Es sind diesbezüglich neben Erörterungen über die Schule und die Schulbildung erhalten und wären zu erwähnen: Abhandlungen über die Kunst im allgemeinen, über dramatische Dichtung und Aufführungen derselben in Linz, dann Vorführungen kirchlicher Bau- und Kunstwerke Oberösterreichs, die in manchen schönen Denkmälern erhalten geblieben sind, wozu auch Stifter als staatlich bestellter Konservator nicht wenig beitrug. Ferner gehören hieher Besprechungen von Gemälden, die bei zeitweilegen Ausstellungen des Linzer Kunstvereines aus der Feder Stifters hervorgingen.

Allerhöchste Anerkennungen blieben für seine Bemühungen nicht aus. Schon gelegentlich huldvollster Entgegennahme der »Studien« hatte Seine Majestät der Kaiser dem Dichter im Jahre 1850 die »goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft« verliehen, ferner ihn 1854 mit dem Ritterkreuze des kaiserl. österr. Franz Josef-Ordens allergnädigst ausgezeichnet und ihm später noch im Jahre 1867 die Annahme des großherzoglich Sachsen-Weimar'schen Hausordens vom weißen Falken gestattet, der Stifter von dem warmen Verehrer seiner Poesie, Großherzog Karl Alexander von Sachsen-Weimar, zuteil geworden war.

Im Juni des Jahres 1854 unternahm der Dichter, von seiner Gattin begleitet, eine größere Reise zu Wagen über Graz nach Klagenfurt und von da nach Triest, wo er das Meer sah, welches er, nebst der prächtigen Schilderung für Heckenast (Brief vom 20./6. 1857), »nach dem Sternenhimmel als das Größte und Schönste, was Gott erschaffen hat«, bezeichnet. (Brief an Louise von Eichendorf 17./7. 1858)

Von Triest ging die Rückreise dann durch einen Teil Venetiens, wodurch er zum ersten Male auch nach Italien gekommen war. Diese Reise war von besonders erheiternder Wirkung auf seine Gemüt; war er doch für einige Wochen wenigstens »dem aussaugenden Geflechte seines widerwärtigen Amtes« entronnen und durch das Meer und »durch die Eindrücke eines fremden Volkes noch einmal so reich geworden, als er es bisher war.«

Die darauf folgenden zwei Jahre 1858 und 1859 brachten Stifter jedoch vielen Schmerz. Im Feber 1858 war seine Mutter gestorben, ohne dass er sie zum Grabe geleiten konnte, denn die Nachricht von ihrem Hinscheiden erhielt er erst nach ihrer Bestattung. Schwer traf ihn dieser Verlust, doch trug er ihn in seinem tiefen, religiösen Gefühle mit Ergebenheit in das »Gesetz des allweisen Gottes«. Kaum hatte er aber sein Gemüt dabei gesammelt, da griff neues Unglück in der Familie mit rauer Hand in seine Seelenruhe. Ende Februar 1859 erlag die Nichte seiner Frau Josefa Mohaupt in Wien dem Typhus und am 5./3. in Klagenfurt eine unserm Dichter sehr lieb gewordene Muhme, Josefine Stifter, der Tuberkulose. Schließlich suchte und fand die 18-jährige Schwester der ersteren, Juliana, welche 12 Jahre hindurch im Hause Stifter als Pflegetochter gelebt hatte, am 21./3. in den Wellen der Donau den Tod. Das traurige Schicksal dieses Mädchens erschütterte Stifter neuerdings heftig und nur langsam kehrte Trost in seinem Herzen ein.

Vom Jahre 1863 an machte sich bei ihm ein Leberleiden hartnäckig fühlbar, das frühzeitig auch als Leber-Schwindsucht seinen Tod herbeiführte. Während dieser Krankheit suchte er mehrmals, doch ohne dauernden Erfolg, Linderung und Heilung in Karlsbad, dann in dem von Linz beiläufig 3 Stunden entfernten, reizend gelegenen Gebirgsbadeorte Kirchschlag, sowie in der Waldeinsamkeit am großartigen Dreisesselberge, wo er in früheren Jahren schon öfters zur Sommerszeit verweilt hatte.

In seinen Briefen aus den letzteren Jahren finden sich häufig herbe Auslassungen über den Druck der Amtslasten, und die Sehnsucht nach Befreiung von demselben spricht laut und offen in dem Briefe an Heckenast vom 24./8. 1859, wo es heißt: »Freiheit von amtlicher Zwangsarbeit wäre mir das ersehnteste Labsal; Zwangsarbeit und zwar höchst peinigende Zwangsarbeit aber nenne ich die, wenn ich klar Wahres verleugnen, dem Gegenteil mich schweigend fügen und es fördern muss. Es mag sein, dass im Staatswesen, solange es menschliche Einrichtung ist, dies nie vermieden werden kann; aber aufreibend bleibt es immer, und wird es für warme und wohlwollende Gemüter mehr als für andere.«

Ersehnte Erleichterung brachte ihm denn die im Jahre 1865 erfolgte Pensionierung mit vollem Ruhegehalte. Bei dieser Gelegenheit ließ die außerordentliche Gnade seiner Majestät dem Dichter auch den Hofratstitel zukommen. Im Innersten erfreut darüber, rief da der Beglückte aus: »Nun ist Ruhe in meinem Herzen, und die Gesundheit ist die sichere Folge!«

Doch auch diese Ruhe konnte er nicht mehr lange und ganz genießen, da die entflohene Gesundheit nicht voll wiederkehren wollte. Zwar fühlte sich Stifter den Sommer 1867 über recht wohl und seine Körperkräfte nahmen wieder sichtlich zu. Im Oktober dieses Jahres war er zum letzen Male in Oberplan, am Grabe seiner Mutter. Nicht lange danach zog er sich eine Erkältung zu, worauf sein tückisches Leiden immer gieriger an seinen Lebenskräften zehrte, bis diese am 28. Jänner 1868 vollends versiegten. An diesem Tage um 8 Uhr früh, war der Sänger des »Hochwald«, unser bester Böhmerwalddichter im 63. Lebensjahre verschieden, hatte einer der edelsten Menschen seine goldreine Seele ausgehaucht.

Die engere und weitere Heimat wusste das Andenken an den Dichter und Menschen hochzuhalten. So wurde die Grabstätte am Friedhofe zu Linz mit einem Pyramiden-Denkmal geschmückt, wo auch die im Jahre 1883 verstorbene Gattin beigesetzt ist. Seit dem Jahre 1877 gibt auf der höchsten Stelle der Seewand über dem Blöckenstein-See, jener durch Naturreize und Stifters Dichtkunst geweihten Örtlichkeit, wo auch seine Novelle »Der Hochwald«, teilweise sich abwickelt, eine weithin sichtbare, granitene Denksäule von der dankbaren Gesinnung der Heimatgenossen erhebendes Zeugnis. Auch Oberplan ehrt durch die schon erwähnte Weihtafel am Geburtshause des Dichters und manche andere schöne Erinnerung seinen berühmtesten Sohn, während in der Hauptstadt Oberösterreichs noch Freunde der Stifter'schen Muse ihrer Huldigung durch Errichtung eines würdigen Denkmales auf der »Promenade« leuchtenden Ausdruck verliehen, das, ein Werk des Wiener Bildhauers Rathausky, am 24. Mai 1902 feierlich enthüllt ward.

Die natürlichste und erhabenste Ehrung soll ihm aber in den Herzen aller Böhmerwäldler selbst dadurch erstehen und gewahrt bleiben, dass sie seine unvergänglichen Werke kennen, lieben und schätzen lernen, worin doch die Herrlichkeiten unserer geliebten Waldheimat, gleich wie in einem Evangelium geoffenbart werden.

Bevor ich nun zur Vorführung dieser hehren Geisteserzeugnisse übergehe, will ich hier nur noch zur merkenswerten persönlichen Charakteristik Stifters die Emilie Freifrau von Binzer, geb. von Gerschau, sprechen lassen, welche unserm Dichter in Freundschaft nahe stand und auch selbst unter dem Pseudonym Ernst Ritter schriftstellerisch, insbesondere dramatisch tätig war. Sie schreibt unter anderem: »Er war ein guter Mensch. Kein scharfes Urteil über den einzelnen ging über seine Lippen, viel weniger ein ungerechtes. Die Lüge mit ihrer ganzen Verwandtschaft war ihm verhasst, sogar die kleinen Gesellschaftslügen, die wir für harmlos halten. Obwohl er kein Mann war, von dem man große Anstrengungen fordern musste, zu denen er meist nur die besten Vorsätze hatte, so entfaltete er doch in seinem Amte als Schulrat große Tätigkeit. – Er liebte den Kaiser und sein Haus mit einer uneigennützigen rein menschlichen Liebe; Frohes und Herbes das dem Herrscherhause widerfuhr, wurde von ihm mitgefühlt, als geschehe es seinen nächsten Angehörigen. Die beiden verstorbenen österreichischen Dichter, die eine innige Freundschaft verband – Stifter und Zedlitz – vereinten sich in diesem heißen Vaterlandsgefühl, sie verjüngten sich, wenn Österreichs Stern glänzte, und ergrauten, wenn er sich verdunkelte.

Stifter überschätzte sich nicht. Seine Sachen wurden gesucht und für Deutschland glänzend bezahlt, welches sie höher geschätzt hat als er selbst. – Sein Wesen war weder vornehm noch gemein; zum ersten fehlte ihm der hergebrachte Weltton, den er wahrscheinlich nie erstrebt hat, am zweiten hinderte ihn die Feinheit seiner Seele. Er war taktvoll, wie alle wahrhaft guten Menschen es immer sind, denen ein feines Gefühl sagt, was verletzen kann. Ein Gefühl edler Schicklichkeit verließ ihn nie; er achtete auch eine höhere weltliche Stellung und erwies ihr die herkömmliche Ehre, doch stand ihm geistige und moralische Bedeutsamkeit weit darüber.« –

 

»Es lag eigentlich nie in meiner Absicht, als Schriftsteller aufzutreten«, schreibt Stifter in der Vorrede zur ersten Auflage seiner »Studien«, »sondern wie die meisten Menschen eine Lieblingsspielerei haben, der sie sich zur Erheiterung hingeben, so liebte ich es, an gegönnten Stunden mich in Bildern und Vorstellungen zu ergehen, wie sie eben der Gemütslage zusagten, und solche Dinge dann zu Papier zu bringen: allein wie es mit jeder Liebhaberei geht, dass man sie nämlich immer weiter treibt, so ging es auch hier. Die Zeit am Schreibtische war endlich die liebste und gewünschteste, und wie jede heimliche Liebe zuletzt eine offene wird, wird es auch die Schriftstellerei.«

Und in einem Briefe an G. F. Richter vom 21./6. 1866 sagt er: »Als Dichter kann ich mich nicht hochachten, wie weit stehe ich hinter den Männern des Altertums und der neueren Zeit zurück, die uns so erhabene Gestaltungen gegeben haben; aber das Hohe der Menschheit, das Edle und, sagen wir es, das Göttliche suchte sich aus mir zu den Menschen hinauszulösen. Und ob dies in einigem Maße gelungen ist, das ist mir nicht gleichgültig, ja es ist mir Lebenserfüllung.«

So ward unser Landsmann mit dem großen Menschenherzen, das für alles Wahre, Gute und Schöne schlug, ein Dichter von Gottes Gnaden, indem er eine Fülle von Gemüt, von leidenschaftslosen, kindlich reinen Empfindungen aus den Geheimnissen des Natur- und Menschenlebens, überschattet von einem poesiereichen Glanze und Schimmer, ausstrahlte, »im Kleinsten die Größe der Allmacht« zeigend.

Und das ist es ja gerade, was uns in seinen idyllischen Naturbildern, voll ruhigster Stimmungen, die darin einzig in ihrer Art sind, Sinn und Seele einnimmt, dass er mit unscheinbarsten Mitteln auf uns einzuwirken versteht, in scheinbar uns gleichgültigsten Gegenständen der Natur Kleinode hervorzaubert.

Dass er weiter, fern von den Ausbrüchen und Verirrungen wilder Leidenschaften, tobender Stürme im menschlichen Leben, dieses rein poetisch auffassend, selbst in den geheimsten Falten der menschlichen Seele, in den stillsten Tiefen des Menschenherzens mit verständnisvollem Blicke zarteste Umschau hält, dabei Charaktere von wunderbarer Feinheit und Wahrheit bildet, stets der Natur und Wirklichkeit getreu bleibende.

Die enge Verknüpfung des äußeren Naturlebens und unserer inneren Gemütswelt ist jedoch gewiss wenigen Dichtern so voller Liebreiz, so entzückend schön gelungen wie Stifter in vielen seiner lieblichsten geistigen Kunstwerke. Man hat seinen Werken zwar den Vorwurf nicht erspart, dass sie in den großen Zeitfragen, womit sich insbesondere das sogenannte »Junge Deutschland« beschäftigte, nicht nur nicht befassen, ja solchen absichtlich wohl aus dem Wege gehen, daher aber auch an Handlungen arm sind und sein mussten.

Doch schreibt er selbst unter dem 9./1. 1845 an Heckenast: »Ich bin mit einer Schattierung des »Jungen Deutschland«, die Tagesfragen und Tagesempfindungen in die schöne Literatur zu mischen, ganz und gar nicht einverstanden, sondern meine im Gegenteile, dass das Schöne gar keinen andern Zweck habe, als schön zu sein, und dass man Politik nicht in Versen und Deklamationen macht, sondern durch wissenschaftliche Staatsbildung, die man sich vorher aneignet, und durch zeitbewusste Taten, die man nachher setzt, seien sie in Schrift, Wort und Werk.«

Sein Abstand von dem stürmischen Treiben einer gewaltig durchtobten Zeit lässt sich natürlich nicht verneinen, umso weniger als ja der Grund hiefür hauptsächlich in dem schichten Wesen unseres Dichters selbst zu suchen ist, der, wie manch anderer bedeutungsvolle Mann seiner Zeit, in den Strudel politischer, religiöser und sozialer Wirren einfach nicht hineingezogen sein wollte. Wer könnte aber bei ihrer Bescheidenheit einer derartigen Weltanschauung ihre Daseinsberechtigung gänzlich versagen?!

Dabei mag es wohl nicht ausgeschlossen sein, dass Stifter zu diesem Rückzuge vor den hochgehenden Zeitwogen, erst nach eigenen inneren Kämpfen sich gedrängt fühlte, wenn dieselben auch nicht in den Schöpfungen seines Dichtergeistes sichtbar klaren Ausdruck fanden. Weit fehl wird man nun aber sicherlich nicht gehen, wenn man annimmt, dass in dem Manne Stifter die unverlöschlichen Natureindrucke unserer Waldheimat, die er in der Jugend schon mit ihrem mächtigen Zauber auf sich einwirken ließ, seine stets lebendigen, feinsten Naturbeobachtungen ihn einer Welt voll Leidenschaften entrückten, um den Dichter und Maler in einer anderen voller Ruhe und Erhabenheit, im genussreichen Schaffen reizende Ebenbilder hervorbringen zu lassen.

Dem wohltuenden Einflusse dieser können wir uns aber ebenso wenig entziehen und dürfen ihn nicht leugnen, wie wir nach längerer Wanderung auf staubiger Landstraße des erquickenden Waldes nicht entbehren wollen. Und fliehen wir selbst nicht auch gerne aus dem Kampfe des Lebens, aus dem Wirrsale der strittigen, uns näher oder ferner stehenden Tagesfragen, weitab von den breitgetretenen Wegen heutiger Wanderbewegungen dorthin, wo uns tägliche Aufregungen nicht folgen, wo wir die Welt in ihrer ursprünglichen Schönheit, in ihrem trostreichen Frieden in duftigen poetischen Naturbildern schauen und neu belebt bewundern!

Ähnlicher Gefühle können wir uns eben nicht erwehren, wenn wir uns in die vollendete, feinfühlige Naturmalerei Stifters versenken, wenn wir sie nachempfinden; leichten Herzens entschuldigen wir dann dort, wo dies erforderlich ist, selbst das mindere Maß an tieferen Ideen und Handlungen, an charakteristischer Darstellung der Außenwelt in Menschen, die sich von hefigen Leidenschaften leiten lassen, und in daraus entstehenden Kämpfen. Fühlen wir uns doch reichlich dafür entschädigt an dem sittlichen Werte dieser Poesie, die wir ohne Zaudern als »Natur« selbst erkennen, an der behaglichen Freude über das Schöne und Hohe, das wir darin finden und als reinen Naturgenuss in uns aufnehmen.

Bei alledem muss noch hervorgehoben werden, dass Stifter keineswegs höheren psychologischen Fragen ganz und gar aus dem Wege geht, denn manche treffende Erörterung bringt auch bei ihm erwünschte Beiträge zur Seelenkunde, über das Werden, Dasein, Verderben und Sterben menschlicher Leidenschaften.

Ich erwähne dafür nur die chronikartige Novelle: »Die Mappe meines Urgroßvaters«, die tragische tief durchdachte »Abdias« und die künstlerisch vollendete »Brigitta«.

Überall begegnen wir schließlich, das dürfte von niemandem leicht angezweifelt werden, bei Stifter einer gewählten, edel klingenden Sprache, die von einem wohltuenden Glanze übergossen, sanft sich Eingang verschafft in unserem Innern und hier milde wärmt, so dass der Dichter als ein erklärter Meister deutscher Prosa hochgeschätzt werden muss.

In gebundener Rede sind von Stifter nur einige Gelegenheitsgedichte veröffentlicht worden, darunter wohl das trefflichste »Zum 70. Geburtstag« betitelt, welches er seinem Freunde, dem Dichter Josef Christian Freiherrn von Zedlitz, im Jahre 1860 zueignete. Darin hat Stifter sinnreich und lieblich das unvergängliche Wirken und Walten des begnadeten Sängers und Dichters, wie er es selbst auch echt und rein betätigte, gekennzeichnet.

Mit welchem Ernste, mit welch einer strengen Sorgfalt Stifter nun seine Dichtungen wiederholt durcharbeitete, bevor sie aus seiner Hand dem Drucke übergeben wurden, vermögen wir nebst anderem aus einem Schreiben vom 18./10. 1846 an Heckenast, der, wie bereits erwähnt, zu Pest seine Werke verlegte, zu entnehmen, worin Stifter schreibt: »Ein Schelm war ich deshalb doch, als Sie in Linz waren. Ich sagte Ihnen nämlich nicht, dass das Manuskript, um welches es sich hier handelt, damals nur einige Häuser weit von Ihrem Gasthause lag, nämlich bei Kaindl, (eine Linzer Familie, in der Stifter, bevor er seinen ständigen Aufenthalt hier nahm, schon besonders gerne und oft verkehrt hatte) weil Sie es mir sonst weggenommen hätten, und ich noch immer ein unheimliches Gefühl in mir trug, es dürfte nicht alles drinnen recht sein, weshalb ich die Lesung wieder vornahm, und ich danke Gott dafür.« Es handelte sich hier um den 4. Band der »Studien«, der im Jahre 1847 erschien. Von diesen wurden überhaupt in der Zeit von 1844 bis 1850 sechs Bände bei Heckenast in Pest herausgegeben und sie waren es, welche als Erstlinge der Stifter'schen Muse bedeutendes, rein dichterisches Talent offenbarten, ihm den Ruhm und die Bewunderung einen wahrhaften Dichters in der Heimat und Fremde begründeten.

Der Weg zur Herausgabe derselben wurde ihm durch die damals bedeutenden und viel gelesene »Wiener Zeitschrift« geebnet. Über die erste Drucklegung einer herrlichen Erzählung daraus, »Der Condor«, wird folgendes erzählt: Stifter hatte Gelegenheit, in Wien auch in dem Hause der schöngeistigen Freifrau von Mink zu verkehren. Einst kam er im Frühjahr 1840 dorthin und hatte die Handschrift von »Der Condor« in einer Rocktasche stecken. Die Tochter der genannten Baronin, Ida, sah diese, nahm sie an sich und las darin. Mit dem Ausrufe: »Mama, der Stifter ist ein heimlicher Dichter, hier fliegt ein Mädchen in die Luft!« gab sie dann das Manuskript der Mutter. Diese trug nun Sorge, dass es in der angeführten Zeitschrift Aufnahme fand, wo neben anderen z.B. noch »Die Mappe des Urgroßvaters« im Jahrgange 1841 und 1842 zuerst erschien, bevor eine wesentliche Umarbeitung davon in die »Studien« eingereiht wurde.

Als eine »Sammlung loser Blätter, die sich zu verschiedenen Zeiten von meinem Schreibtischen verloren hatten«, bezeichnet Stifter die 13 novellenartigen Erzählungen der »Studien«. Aber Kunstblätter waren und sind sie, aus dem reichhaltigen Rätselbuche der Natur mit voller Feinheit der Empfindung, höchster sittlicher Reinheit, in edler, warmer Sprache beschrieben. Auch heute noch geradezu einzig dastehend in ihrer Zartheit und lebensvollen Naturschilderung, hatten sie Stifter als einen Meister der Landschafts- und Seelenmalerei gezeigt, ihm im Sturme unzählige Herzen seiner Zeit erobert.

Über diesen Erfolg äußert er sich selbst in einem Briefe an Heckenast aus der Erscheinungszeit der »Studien« unter dem 9./1. 1845. Er schreibt: »Auf die entgegengesetzten Parteien machen sie (»die Studien«) denselben Eindruck; ich kann es mir nur dadurch erklären, dass die tiefe, sittlich schöne Absicht der Bücher auf die widrige, unmoralische Richtung der Tagesliteratur hinauf die so erfreuliche Wirkung tut; denn in künstlerischer Hinsicht kenne ich selber die Fehler sehr gut, an denen die Arbeit leidet, und hoffe, dass es mir mit energischem Streben gelingen wird, sie in Zukunft zu vermeiden.«

Vielfach finden wir in ihnen Anklänge an Stifters eigenen Werdegang, so in der, diesen Blütenreigen üppiger dichterischer Gebilde einleitenden Erzählung »Der Condor«, »Feldblumen«, »Das Heidedorf«, »Die Mappe meines Urgroßvaters«, worauf auch bezüglich der letzteren weiter oben schon hingewiesen wurde.

Die dieser zugrunde liegende Idee wollte Stifter in seinen letzten Lebensjahren, ähnlich wie im »Nachsommer«, durch eine neue Bearbeitung noch ausführlicher entwickeln und vervollständigen. Doch hinderte ihn der vorzeitige Tod an dem Abschlusse des Vorhabens, das nur bis zum Beginne eines zweiten Bandes gediehen war, der zugleich das Ende enthalten sollte. Die Idee der Anlage charakterisiert Prof. Joh. Aprent bei der Herausgabe der nachgelassenen Schriften Stifters so: »Der Dichter wollte ein allmählich zu innerer Klarheit und Festigkeit, und zu schöner friedlicher Übereinstimmung mit der Außenwelt gelangendes Menschenleben zu Anschauung bringen. Das Werk steht also seiner Intention nach dem »Nachsommer« ziemlich nahe. Während aber im »Nachsommer« die Menschen im Genusse alles dessen, was im Laufe der Zeiten als edelste Frucht menschlicher Kultur zur Reife gekommen, völlig unbeengt, in schöner, würdiger Freiheit sich bewegen, sollten in der »Mappe« die einfachsten und ursprünglichsten Verhältnisse: der dämmernde Wald, die armen Bewohner desselben, das stille Vaterhaus, und vor allem die ernste Erfüllung eines ernsten Berufes, ihre menschenbildende Kraft bewähren.«

Als glänzende Perle schimmert, insbesondere uns Böhmerwäldlern, aus den »Studien« eine der wohl meist gelesenen Dichtungen Stifters in ihrer anschaulichen Klarheit entgegen: »Der Hochwald«. Aufgebaut auf heimischer, geschichtlicher Grundlage zur Zeit des 30-jährigen Krieges, birgt diese Meisternovelle die ganze farbenreiche Pracht unserer Waldheimat mit einer Lebendigkeit in sich, die ergreifend wirkt.

Namentlich hervorgehoben zu werden verdienen noch das liebliche Idyll »Die Narrenburg«, die von heißblütiger Leidenschaft durchwehte Erzählung »Brigitta« und die an stimmungsvollen Schilderungen reichen »Der Hagestolz«, »Der Waldsteig«, »Der beschriebene Tännling«, die alle jederzeit einer warmen Wirkung nicht entbehren werden. – Im Jahre 1853 erschienen zwei weitere Bände geistig hervorragender Erzeugnisse unseres nun berühmten Landsmannes: »Bunte Steine«.

Wie es ganz natürlich der Fall sein muss, dass bei der kritischen Beleuchtung eines der Öffentlichkeit übergebenen Geisteswerkes neben den Lichtseiten der Begeisterung und Schwärmerei mancher Schatten sich einstellt, so fand auch das Auge strenger Kunstrichter bei Stifters »Studien« lichtumgrenzte dunkle Stellen, die nun als solche bloß gelegt wurden. Bekannt ist das harte Hohn-Epigramm des sonst mit anderen zeitgenössischen Bestrebungen ebenso wenig übereinstimmenden Friedrich Hebbel gegen die »Studien«:

»Wisst ihr, warum euch die Käfer, die Butterblumen so glücken?
Weil ihr die Menschen nicht kennt, weil ihr die Sterne nicht seht.«

Wider derartig bekrittelnde Angriffe schrieb Stifter in der Vorrede zu »Bunte Steine«: »Es ist einmal gegen mich bemerkt worden, dass ich nur das Kleine bilde und dass meine Menschen stets gewöhnliche Menschen seien. Wenn das wahr ist, bin ich heute in der Lage, den Lesern ein noch Kleineres und Unbedeutenderes anzubieten, nämlich allerlei Spielereien für junge Herzen.« Und weiter entwickelt er eine Betrachtung über ›Großes und Kleines‹ in der äußeren Natur und in der inneren des Menschen, die in dem seltsam klingenden, dem Anscheine nach sich widersprechenden Grundsatz gipfelt: »Kleines ist mir groß, Großes ist mir klein.« Von diesem ausgehend, bietet er in »Bunte Steine« scheinbar noch unansehnlichere Erzählungen, zum Teile aus dem Kinderleben, deren jede die Benennung eines Steines an der Stirne trägt, in denen »nicht einmal Tugend und Sitte gepredigt werden, und die nur durch das wirken sollen, was sie sind.« Bild für Bild gibt er daher aus der Natur, aus Feld und Wald unserer heimatlichen Fluren und teilweise aus der Alpenwelt, so wie sie ihm erscheinen; selbst das Bescheidenste und Gewöhnlichste wird hier in dem innigsten Vertrautsein damit naturgetreu und mit weichen Gefühlen nachgestaltet, auf das genaueste oft in Einzelheiten ausgeführt. Dazwischen und darüber flutet jedoch ein echt poetischer Schimmer, der diese ›Feldsteine‹ mit einem strahlenden Glast überzieht, dass sie als eitel Edelsteine glitzern. Und als solche wirken denn einzelne von ihnen auf unser Gemüt entzückend, vermögen sie unsere Seele tief zu bewegen. Ein ›Diamant‹ darunter ist aber die rührende Kindergeschichte »Bergkristall«; da blinkt es und sprüht es bei aller Schlichtheit dieser Christabendmär voll lauterer Poesie. –

Umfangreicher in der Anlage, doch auch tiefer in seinen Ideen als die bisher besprochenen Werke Stifters, ist der dreibändige Roman »Nachsommer«, erschienen im Jahre 1857.

Mehrfach findet man dieser Dichtung, mit den Anforderungen eines modernen Kunstromanes gemessen, den Anspruch auf die Bezeichnung ›Roman‹ entzogen und will in ihr nur eine einfache, an episch breiten Beschreibungen reiche, einer lebendigen Darstellung von bedeutungsvollen Menschenschicksalen jedoch ganz entbehrende Erzählung sehen, der es demgemäß auch an entsprechender Handlung fehle. Der Form nach, die beim Romane ein einheitliches Ganzes von in einander greifenden Begebenheiten bedingt, lassen sich hier Gebrechen wohl nicht in Abrede stellen, da der oft wirklich dünne Faden der Handlung, mit geistreichen Auseinandersetzungen auf verschiedenen Gebieten der Naturwissenschaften und schönen Künste oder des praktischen Lebens umsponnen, noch unmerklicher wird. Dies beeinträchtigt natürlich eine kräftige Zeichnung der Charaktere, die ja die Träger der Handlung sein sollen, anstatt sich in solch breite, vielseitige, dabei allerdings immer mit voller Regsamkeit und reicher Erkenntniskraft geführte Erwägungen zu ergehen.

Letztere kommen zwar wieder dem sittlich hohen Inhalte zugute und helfen die gediegene Idee hervortreten zu lassen, welche der Dichter selbst einmal (Brief an Heckenast vom 11./2. 1858) derartig ausdrückt: »Ich habe eine große einfache sittliche Kraft der elenden Verkommenheit gegenüberstellen wollen.« Und die reine Idee ist es, welche uns beim Lesen dieses der Form wegen keineswegs minderwertigen »Romanes« vollauf einnimmt, befriedigt, ja geistig hebt, wozu noch das zaubermächtige Naturleben sich gesellt, das hier so wie in aller Poesie Stifters anmutig und wirkungsreich wiedergegeben ist.

Denn, wie Stifter selbst in dem angeführten Briefe weiter schreibt, »mit Goethe'scher Liebe zur Kunst ist es (mein Werk: Nachsommer) geschrieben, mit inniger Hingebung an stille reine Schönheit ist es empfangen und gedacht worden.« Dabei schließt das ganze Werk noch vielfache Beziehungen auf das Innen- und Außenleben des Dichters in sich.

Vortrefflicher als »Nachsommer« in der klaren Form, in der nutzbaren Unterbringung umfassender Studien aus der Geschichte Böhmens und für den Böhmerwald noch mehr durch die landschaftliche Grundlage ist das letzte große Werk Stifters, das er einige Monate vor seinem Tode erst vollendet hatte, der dreibändige kulturgeschichtliche Roman »Witiko«, herausgegeben in den Jahren von 1865-67. Zum ersten Male stieg der Gedanke an die Bearbeitung dieses Stoffes in ihm auf, als er im Jahre 1845 gemeinsam mit seiner Gattin die Heimat besuchte, so überall Erinnerungen an die Rosenberge ihm entgegentraten. Den Grundriss desselben entwickelt Stifter in einem Briefe an Heckenast vom 21./6. 1855 folgend: »Witiko ist der erste Rosenberg, der Erbauer vom Witikohaus im Böhmerwalde (Wittinghausen), welches das Schloss der beiden Schwestern im Hochwalde ist. Die Einwanderung des Jünglings Witiko aus Passau (er war ein Mann des Bischofs von Passau und wurde an den Herzog von Böhmen geliehen), sein Wandern durch den Böhmerwald, seine dortigen Schicksale, besonders auf dem Punkte, wo er dann Witikohaus baute, sein Emporkommen, sein Zusammenhang mit den drei Rosen, dem Zeichen der Witiker (Rosenberger), der Ursprung des Namens Witiko-Au (Wittingau, Stadt in Böhmen) und die Anbahnung des späteren Glanzes der mächtigsten Dynastien, die Böhmen je gehabt, gleichsam der Könige Südböhmens, ist Gegenstand des Buches.« Über des Dichters Auffassung in der Ausführung desselben gibt uns nebst anderen Briefstellen folgende Aufschluss: »Es erscheint mir im historischen Romane die Geschichte die Hauptsache und die einzelnen Menschen die Nebensache, sie werden von dem großen Strome getragen, und helfen den Strom bilden.« (Brief an Heckenast vom 8./6. 1861)

Ein großartiges Kulturgemälde aus längst vergangener, kraftvoller Zeit bietet somit darin der emsige Forscher, der geniale Dichter, ähnlich wie im »Hochwald« auf dem Boden unserer engeren Heimat; wir sehen hier ein farbensattes Bild aus dem 12. Jahrhunderte in historischer Treue erstehen. Im Vordergrunde desselben zeigt sich uns ein Ideal von einem Jünglinge, einem Manne, Witiko geheißen, der als Ahnherr des später überaus mächtig und einflussreich gewordenen Geschlechtes der Rosenberge erscheint; an seinem Geschicke wird die Handlung zwar fortgesponnen, doch muss er dennoch nur dem Namen nach als die Hauptperson aufgefasst werden, weil andere Gestalten neben ihm sogar hervorragender gezeichnet sind. Dadurch schon, sowie durch ein an die eigentliche Handlung angereihtes mannigfaches, formenreiches Zeitleben gewinnt das Gemälde an Glanz, Frische und Lebhaftigkeit. In hellem Scheine der Anschaulichkeit prangt da z.B. die Schilderung des böhmischen Reichstages im dritten Bande.

Freilich macht sich auch andererseits das Stifter so ureigene beschreibende Element hie und da in zu ausgedehnter Breite geltend. Wir erfreuen uns aber daran ebenfalls nicht wenig, denn vielfach strahlen daraus doch innige, begeisterte Gefühle für die Heimat hervor, so dass, eines zum anderen genommen, der Inbegriff des Eindruckes, den diese Dichtung als Hochgesang von unbeugsamer Treue und heißer Heimatliebe in uns zurücklässt, ein seltsam erhabener, mächtiger ist.

In diesem aber regt sich so ganz Puls- und Herzschlag, wenn wir »am obersten Rande eines breiten Waldbandes« bei St. Thoma die trauernden Trümmer der Ruine Wittinghausen schauen, der Stätte, wo in jenen fernen Zeiten an der Seite des so viel geliebten Weibes der edle Witiko »hauste«. Auf den Roman »Witiko« sollten noch zwei andere folgen: Peter Wok und Zawesch. –

Die Ordnung und Herausgabe von Stifters literarischem Nachlasse hatte Johann Aprent, Professor an der Ober-Realschule zu Linz besorgt, der mit Stifter selbst im engen persönlichen Verkehre stand.

So erschienen denn noch nachträglich bei Heckenast im Jahre 1869 zwei Bände »Erzählungen«, drei Bände Briefe und im Jahre 1870 zwei Bände »Vermischte Schriften«.

In den »Erzählungen« befindet sich noch manche willkommene Gabe »aus Stifters früherer Zeit, wo das noch aufstrebende Leben auf die Dinge glühende Farben und spielende Lichter legte, anderes aus den späteren Jahren, wo der gereifte Mann die Welt in der auch ihr eigenen Würde und Schönheit zu fassen suchte. Aber was in dieser Hinsicht weit auseinanderliegt, verbindet doch wieder der unwandelbare Grundton seines Wesens: Ruhige Klarheit und Sitte und die über jede Zeile schwebende Ahnung eines Dauernden und Unendlichen«. (Aus Aprents Vorrede zu den »Erzählungen«) In den zwei Bänden »Vermischte Schriften« treten uns vor allem Bruchstücke aus dem, wie schon früher gesagt, nicht abgeschlossenen Lieblingsprodukte seiner Muse »Die Mappe meines Urgroßvaters« entgegen. Dann aber sind es Aufsätze verschiedenen Inhalts über Kunst im Allgemeinen, kirchliche Kunstwerke in Oberösterreich im Besonderen, über dramatische Dichtung und Darstellung, sowie kritische Beurteilungen von Gemälden, die unser Interesse erwecken. Mehr aber will ich hinweisen auf einen Beitrag zur Behandlung der Poesie in Schulen »Die Poesie und ihre Wirkungen«, worin der Verfasser zur Schlussfolgerung kommt, dass die Kunst eines der größten menschlichen Dinge ist, und weiter, dass es »die Pflicht aller Menschen und Zeiten ist, die Kunst zu hegen und zu steigern und wie der Staat eine menschliche Anstalt zu menschlichen Zwecken ist, so hat er auf die Kunst auch das höchste und größte Augenmerk zu richten.«

In einer weiteren hier aufgenommenen Auseinandersetzung aus dem Jahre 1849 »Die Schule und die Schulbildung« kommt Stifter in der menschlichen Erziehung oder, wie er sie hier nennt, »Menschwerdung der Menschen«, nach Zergliederung verschiedener Schulgattungen zu der Behauptung, dass es kein anderes Übel als Verstandslosigkeit und Schlechtigkeit gibt. Durch die Ausbildung der Vernunft und des freien Willens allein kann somit der Mensch nur zu seinem Heile gelangen, denn in diesen beiden liegt seine volle Kraft und Größe.

Nebst anderen, kleineren Aufsätzen verschiedenen Inhaltes finde sich auch einige Schilderungen aus dem »alten Wien« in den »Vermischten Schriften« vor, darunter wieder die humorvolle aus Stifters Studienzeit: »Leben und Haushalt dreier Wiener Studenten«. Hervorgehoben sollen schließlich mit Recht auch die gemütreichen Briefe Stifters werden.

Eine besondere Grundbedeutung derselben liegt darin, dass sie ganz Stifters Person vertreten, sein ganzes Wesen in sich schließen. Durch sie gerade gewinnen wir einen erfrischenden Einblick in sein »einfältiges, metallstarkes, goldenes Männerherz«. Außerdem finden wir in ihnen aber vielseitige Erläuterungen für seine dichterischen Arbeiten und wertvolle Winke für die Beurteilung derselben. Dies gilt zumeist wieder von dem größeren brieflichen Verkehre mit seinem Verleger G. Heckenast, aus dem auch echte Herzensfreundschaft, gerade Offenheit mit innigem Vertrauen gepaart, ihr reines Licht erstrahlen lassen. Unter den vielen Briefen Stifters, die dieses selten schöne Verhältnis zwischen ihm und seinem Verleger beleuchten, möchte ich nur einen und zwar vom 18./8. 1865 besonders erwähnen, wo Stifter unter anderem auch schreibt: »Ich liebte Dich immer wie einen Bruder, und habe nie aufgehört, Dich zu lieben, selbst da Zweifel über Deine Gegenliebe kamen.« –

Das Vorhergesagte will und kann natürlich nicht den Anspruch erheben, ein vollkommen klares und erschöpfendes Bild von des Dichters Leben und Wirken zu bieten.

Ein solches können wir annähernd eher in uns dadurch aufnehmen, dass wir selbst in seine geistigen Erzeugnisse uns vertiefen, die er »nicht mit dem Verstande, sondern mit dem Herzen geschrieben hat.« (Brief an Louise Baronesse von Eichendorf vom 24./9. 1852)

Je mehr wir dies tun, je eingehender wir uns in die unmittelbare Echtheit und Feinheit seiner Naturschilderungen, in die verständnisvolle Auffassung und meisterhafte Wiedergabe menschlichen Seelenlebens versenken, desto sicherer kommen wir zur Erkenntnis, wie Stifter den Dichterberuf aufgefasst hat. Dabei werden und müssen wir ihn dann, wenn er auch selbst bei seiner bekannten Bescheidenheit die eigenen Schriften nicht für Dichtungen halten wollte, (Vorrede zu »Bunte Steine«) als einen wirklichen und würdigen »Hohenpriester der Menschheit«, als wahrhaftigen Dichter verehren, in diesem aber zugleich auch den edlen, sittlich hohen Menschen achten, dessen strenge Moralität in seinen unsterblichen Werken sich wiederspiegelt. Ähnlich urteilt er ja selbst in einem Schreiben an seinen Freund, Hofjuwelier Josef Türk, vom 22./2. 1850 über die dauernde Güte seiner geistigen Werke, indem er schreibt: »Meine Bücher sind nicht Dichtungen allein (als solche mögen sie von sehr vorübergehendem Werte sein), sondern als sittliche Offenbarungen, als mit strengem Ernste bewahrte menschliche Würde haben sie einen Wert, der bei unserer elenden frivolen Literatur länger bleiben wird, als der poetische.« Und in einem anderen Briefe an Heckenast schreibt Stifter am 21./6. 1855: »Ich glaube nicht unbescheiden zu sein, wenn ich sage, dass meine Bücher keinen Zeitwert haben und der Mode unterliegen, sondern dass sie dauern werden, weil sie nicht auf Befriedigung flüchtiger Begierde oder der bloßen Neugierde ausgehen, sondern auf Erfüllung eines schönen Gemütes.«


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