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Den letzten Hang des Canigou stieg ich hinunter und wiewohl die Sonne schon untergegangen war, unterschied ich in der Ebene doch die Häuser der kleinen Stadt Ille, auf die ich zuwanderte.
»Sonder Zweifel wißt Ihr,« sagte ich zu dem Katalonier, der mir seit dem Vorabend als Führer diente, »wo Herr von Peyrehorade wohnt?«
»Ob ich's weiß!« rief er, »sein Haus kenn' ich wie meins; und wenn's nicht so dunkel wär', würd' ich's Euch zeigen; es ist das schönste in Ille. Ja, der hat Geld, der Herr von Peyrehorade; und seinen Sohn verheiratet er mit einer, die noch viel reicher ist.«
»Und die Heirat findet bald statt?« fragte ich ihn.
»Bald! Vielleicht sind die Hochzeitsgeiger schon bestellt. Heute Abend, morgen, übermorgen, was weiß ich? In Pygarrig findet sie statt; denn Fräulein von Pygarrig heiratet der Herr Sohn. Da wird's sein werden, ja!«
Von meinem Freunde M. von P.... war ich an Herrn von Peyrehorade empfohlen worden. Das ist, hat er mir gesagt, ein sehr unterrichteter Altertumsforscher von beispielloser Gefälligkeit. Freude würde es ihm machen, mir alle Ruinen zehn Meilen in der Runde zu zeigen. So rechnete ich denn auf ihn für den Besuch der Umgebung von Ille, die ich reich an römischen und mittelalterlichen Kunstdenkmälern wußte. Die Heirat, von der man mir jetzt zum erstenmal erzählte, würde alle meine Pläne über den Haufen werfen.
Ein Störenfried werd' ich sein, sagte ich mir. Doch wurde ich erwartet, und da ich von M. von P.... angemeldet worden war, mußte ich wohl oder übel vorsprechen.
»Wetten wir, mein Herr,« sagte mein Führer, als wir bereits in der Ebene waren, »wetten wir eine Zigarre, daß ich errate, was Ihr bei Herrn von Peyrehorade wollt?«
»Das wird nicht schwer zu erraten sein,« antwortete ich, ihm eine Zigarre gebend. »Wenn man sechs Meilen im Canigou hinter sich hat, ist's Abendessen zu dieser Stunde die Hauptsache.«
»Ja, aber morgen? ... Nun, ich würde wetten, Ihr kommt nach Ille, um das Götzenbild zu sehen? Hab's erraten, als ich Euch die Serraboner Heiligen abmalen sah.«
»Götzenbild! Was für'n Götzenbild?« Das Wort hatte meine Neugierde erregt.
»Was, hat man Euch in Perpignan nicht erzählt, daß Herr von Peyrehorade ein Götzenbild in der Erde gefunden hat?«
»Eine irdene Figur wollt Ihr sagen, eine Tonstatue?«
»Nein. Wohl aber aus Kupfer; tüchtig Zweisousstücke könnte man draus machen. Sie wiegt ebensoviel wie eine Kirchenglocke. Und tief aus der Erde unter einem Ölbaume haben wir sie hervorgeholt.«
»Ihr seid also beim Finden dabei gewesen?«
»Ja, Herr. Vor etwa vierzehn Tagen hatte Herr von Peyrehorade uns, Johann Coll und mir gesagt, wir sollten einen alten Ölbaum ausroden, der im letzten Jahr erfroren ist, denn, Ihr wißt ja, der Winter ist sehr hart gewesen. Und wie wir so draufloswerken, haut Johann Coll, der sich tüchtig ins Zeug legte, mit der Hacke los, und ich höre ein »Bimm«, wie wenn er auf eine Glocke geschlagen hätte. Was ist das, frage ich? Wir hacken und hacken immer weiter, und da erscheint eine schwarze Hand, wie eine Totenhand, die aus der Erde hervorkommt. Mich packt Angst. Ich laufe zum Herrn und sage zu ihm: – Tote, Herr, sind unter dem Ölbaume! Den Pfarrer muß man rufen. – Was für Tote? sagt er. Er kommt, und nicht sobald hat er die Hand gesehen, als er ruft: ›Eine Antike! Eine Antike!‹ Glauben sollte man, er hätte einen Schatz gefunden. Und schon ist er mit der Hacke, mit den Händen dabei und schafft fast ebensoviel wie wir beide.«
»Und was fandet Ihr schließlich?«
»Ein großes, mehr als halbnacktes Weib, mit Respekt zu sagen, Herr; ganz aus Kupfer, und Herr von Peyrehorade hat uns gesagt, es wäre ein Götzenbild aus der Heidenzeit... aus Karls des Großen Zeiten, was...«
»Weiß schon, was es ist... Irgend eine bronzene heilige Jungfrau aus einem zerstörten Kloster.«
»Eine heilige Jungfrau! Ach jawohl... Wenn's eine heilige Jungfrau wäre, die würd' ich schon erkannt haben. Ein Götzenbild ist's, sage ich Euch, man sieht's ihm gut an. Mit seinen großen weißen Augen hat's uns angestarrt ... als ob es einem die Augen auskratzen wollte. Wenn man's ansieht, jawohl, dann schlägt man die Augen nieder!«
»Weiße Augen? sicherlich sind sie in die Bronze eingefügt. 's wird vielleicht irgend eine römische Statue sein!«
»Römisch, das ist's. Herr von Peyrehorade hat gesagt, es wäre eine Römerin. Ach, ich merke wohl, Ihr seid so gelehrt wie er.«
»Ist sie ganz, gut erhalten?«
»Oh, Herr, der fehlt nichts. Sie ist noch schöner und besser ausgeführt als die Louis Philippbüste, die gemalte, im Rathaus. Das Gesicht des Götzenbildes gefällt mir aber trotz alledem nicht. Sie sieht so böse aus ... und ist es auch.«
»Böse! Was hat sie Euch denn Böses getan?«
»Mir grad 'nicht; doch hört nur zu. Mit Feuer hatten wir uns dran gemacht, sie aufzurichten, und Herr von Peyrehorade zog auch am Stricke mit, obwohl er nicht mehr Kraft als ein Hühnchen hat, der gute Mann. Mit großer Mühe stellten wir sie auf. Um sie zu stützen, raffte ich einen Ziegel auf, als sie, pardautz, wie eine unförmige Masse hintenüberfällt. Ich sage: Aufgepaßt da hinten! Doch nicht schnell genug, denn Johann Coll hat keine Zeit gehabt, sein Bein fortzuziehen ...«
»Und ist er verletzt worden?«
»Wie ein Rebenpfahl ist sein armes Bein zerbrochen worden. Eiweh! Als ich das gesehn hab', da bin ich aber wild geworden. Mit der Hacke wollt' ich das Götzenbild zusammenschlagen, Herr von Peyrehorade aber hat mich zurückgehalten. Geld hat er Johann Coll gegeben, der seit vierzehn Tagen, wo ihm das passiert ist, noch immer im Bette liegt, und der Arzt meint, er wird auf diesem Beine nimmer wieder wie auf dem andern gehen können. Ein Jammer ist das, denn er war unser bester Läufer und nach dem jungen Herrn der geschickteste Ballspieler. Herr Alfons von Peyrehorade war auch traurig darüber, denn mit Coll hat er stets zusammen gespielt. Das war fein anzusehn, wenn sie sich die Bälle zurückschickten. Paff, paff, nie berührten sie den Boden!«
Unter solchem Geplauder waren wir in Ille angelangt und bald stand ich Herrn von Peyrehorade gegenüber. Er war ein kleiner, noch rüstiger und munterer Mann, gepudert, mit roter Nase, jovialer und spaßhafter Miene. Noch ehe er M. von P...s Brief aufgemacht, hatte er mich auch schon vor einen gutbestellten Tisch gesetzt, und mich seiner Frau und seinem Sohn als einen berühmten Archäologen vorgestellt, der den Roussillon der Vergessenheit entreißen sollte, in welcher ihn der Gelehrten Gleichgültigkeit verharren ließe.
Während ich mit tüchtigem Hunger aß, denn nichts fördert ihn mehr als die frische Bergluft, betrachtete ich meine Gastgeber. Von Herrn von Peyrehorade hab' ich bereits gesprochen, hinzufügen muß ich noch, daß er die Lebhaftigkeit in Person war. Er sprach, aß, sprang auf, lief in seine Bibliothek, schleppte mir Bücher herbei, zeigte mir Stiche, goß mir zu trinken ein und war nie zwei Minuten in Ruhe. Seine, wie die meisten Katalonierinnen, wenn sie die Vierzig hinter sich haben, etwas reichlich dicke Frau, schien mir als echte Provinzlerin nur mit ihren Haushaltssorgen beschäftigt. Obwohl das Abendbrot für sechs Leute wenigstens würde gereicht haben, lief sie in die Küche, ließ Tauben schlachten, Hirsebrei rösten, und machte ich weiß nicht wieviel Töpfe Eingemachtes auf. Im Nu brach der Tisch fast unter der Last der Schüsseln und Flaschen, und ganz gewiß wär' ich an Verdauungsbeschwerden gestorben, wenn ich alles mir Angebotene auch nur gekostet hätte. Bei jedem Gerichte jedoch, das ich vorbeigehen ließ, gab's neue Entschuldigungen. Ich würde mich in Ille nicht wohl fühlen, fürchte man. In der Provinz habe man so wenig Auswahl, und die Pariser seien so verwöhnt!
Bei diesem fortwährenden Gehen und Kommen seiner Eltern saß Herr Alfons von Peyrehorade steif wie ein Ölgötze da. Er war ein hochgewachsener, siebenundzwanzigjähriger junger Mann, hatte ein schönes und regelmäßiges Gesicht, das aber jedes Ausdrucks entbehrte. Seine Figur und seine athletischen Körperformen rechtfertigten durchaus den Ruf eines unermüdlichen Ballspielers, dessen er sich in der Gegend erfreute. Elegant war er an diesem Abend angezogen, genau nach dem Stiche des letzten Modejournals. In seinen Kleidern schien er sich aber unbehaglich zu fühlen. Stocksteif saß er in seinem Samtkragen da und drehte sich nur mit Mühe um. Seine plumpen, sonnengebräunten Hände, seine kurzen Nägel stachen sonderbar von seinem Anzug ab, denn Arbeiterfäuste sahen aus den Stutzerärmeln hervor. Obwohl er mich in meiner Eigenschaft als Pariser neugierig von Kopf bis zu den Füßen betrachtete, richtete er dennoch den ganzen Abend über nur ein einzigesmal das Wort an mich, um mich zu fragen, wo ich meine Uhrkette gekauft hätte.
»Ach, mein lieber Gast,« sagte Herr von Peyrehorade, als das Essen sich seinem Ende näherte, »Sie sind bei mir, Sie gehören mir. Nicht eher laß ich locker, als bis Sie alles in unsern Bergen Sehenswerte besichtigt haben. Sie müssen unser Roussillon kennenlernen und ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen. Sie ahnen ja nicht, was wir Ihnen alles zu zeigen haben. Phönizische, keltische, römische, arabische, byzantinische Bauwerke, alles sollen Sie von A bis Z sehen. Überall werd' ich Sie hinführen und nicht einen Ziegelstein will ich Ihnen erlassen.«
Ein Hustenanfall zwang ihn innezuhalten. Den benutzte ich, um ihm zu sagen, ich würde untröstlich sein, wenn ich ihn bei einem, für seine Familie so bedeutungsvollen Ereignisse stören würde. Wenn er mir seine ausgezeichneten Ratschläge über die von mir zu machenden Ausflüge erteilen möchte, würde ich, ohne daß er sich der Mühe des Begleitens unterzöge ...
»Ach, Sie wollen von der Heirat des Jungen da reden,« unterbrach er mich, »Kleinigkeit. Das machen wir übermorgen ab. Sie feiern mit uns im Familienkreise, denn die Zukünftige ist in Trauer einer Tante wegen, die sie beerbt.
Kein Fest daher, kein Ball... 's ist schade. Sie hätten unsere Katalonierinnen tanzen sehn sollen... Sie sind hübsch, und vielleicht hätten Sie Lust gekriegt, meinem Alfons nachzuahmen. Eine Hochzeit, heißt es, zieht andre nach sich... Samstag sind die jungen Leute verheiratet, dann bin ich frei und wir machen uns auf die Beine. Verzeihen Sie, wenn ich Sie mit einer Provinzhochzeit langweile. Für einen mit Festen verwöhnten Pariser ... Und eine Hochzeit ohne Ball noch dazu. Immerhin sollen Sie eine Braut sehen ... eine Braut ... na, Sie werden mir dann ja Ihre Meinung sagen ... Doch Sie sind ein ernster Mann und sehen sich Frauensleute wohl nicht weiter an. Ich hab' Ihnen was Besseres als das zu zeigen. Ich will Sie was sehen lassen ... Für morgen heb' ich Ihnen eine ganz gehörige Überraschung auf.«
»Mein Gott,« sagte ich zu ihm, »schwer ist's einen Schatz im Hause zu haben, ohne daß die Öffentlichkeit etwas davon weiß. Ich glaube, die Überraschung, die Sie für mich vorhaben, zu erraten. Wenn es sich aber um Ihre Statue handelt, so ist die mir von meinem Führer gelieferte Beschreibung ganz darnach angetan, meine Neugierde zu reizen und mich auf die Bewunderung vorzubereiten.«
»Ach, man hat Ihnen von dem Götzenbilde erzählt, wie sie hier meine Venus Tur... doch ich will Ihnen nichts verraten. Morgen, am hellen Tage, sollen Sie sehen und mir sagen, ob ich sie mit Recht für ein Meisterwerk halte. Potzblitz, gelegener konnten Sie nicht kommen! Da gibt's Inschriften, die ich armer Nichtswisser mir auf meine Weise erkläre ... ein gelehrter Pariser aber ... Sie werden sich vielleicht lustig machen über meine Auslegung ... denn ich hab' eine Denkschrift verfertigt ... ich, der ich mit Ihnen hier rede ... ein alter Provinzsammler hab' da eine Laufbahn betreten ... Will viel drucken lassen ... Wenn Sie in Ihrer Güte es lesen und mich verbessern wollten, dürft' ich hoffen ... Zum Beispiel bin ich sehr neugierig, wie Sie folgende Sockelinschrift: Calve übertragen werden.
Doch will ich Sie noch nichts fragen. Morgen, morgen! Nicht ein Wort über die Venus heute.«
»Recht hast du, Peyrehorade,« sagte seine Frau, »dein Götzenbild in Ruhe zu lassen. Du mußt doch sehen, daß du den Herrn am Essen hinderst. Geh, der Herr hat in Paris viel schönere als deine Statue gesehen. In den Tuilerien gibt es ihrer zu Dutzenden, auch bronzene.«
»Wahrlich, das ist die Einfalt, heilige Provinzeinfalt!« unterbrach Herr von Peyrehorade. »Eine wunderbare Antike mit Coustous plattem Figurenzeug zu vergleichen.
Unehrerbietig redet von den Göttern
Mein Weib, des Hauses treue Schaffnerin.
Wissen Sie, daß ich auf meiner Frau Wunsch die Statue einschmelzen lassen sollte, um eine Glocke für unsere Kirche daraus zu machen? Sie wäre dann die Taufpatin gewesen. Ein Meisterwerk Myrons, mein Herr.«
»Meisterwerk hin, Meisterwerk her; ein schönes Meisterwerk hat sie verrichtet: Einem Menschen das Bein zerbrochen.«
»Siehst du, Frau,« sagte Herr von Peyrehorade entschlossenen Tones und ihr sein rechtes Bein im schinierten Seidenstrumpf hinstreckend, »wenn meine Venus mir das Bein da zerbrochen haben würde, mir tät's nicht leid.«
»Lieber Gott, Peyrehorade, wie kannst du so was sagen. Glücklicherweise geht's dem Manne besser ... Und doch kann ich's noch nicht über mich bringen, die Statue, die soviel Unheil angerichtet hat, anzusehn. Armer Johann Coll!«
»Von Venus verwundet, mein Herr,« sagte Herr von Peyrehorade mit derbem Lachen, »von Venus verwundet, und der Schelm beklagt sich.
Veneris nec præmia noris.
Wen hat Venus nicht verwundet?«
Herr Alfons, der Französisch besser verstand als Lateinisch, kniff verständnisinnig das Auge zusammen und blickte mich an, wie wenn er sagen wollte: Na, Pariser, verstehst du das?
Das Abendessen war zu Ende. Seit einer Stunde aß ich nicht mehr, war müde und konnte ein wiederholtes Gähnen, das mich ankam, nicht unterdrücken. Frau von Peyrehorade merkte es zuerst und warf ein, daß es Schlafenszeit wäre. Wieder begannen neue Entschuldigungen über das schlechte Lager, das meiner harre. Wie in Paris würde ich's nicht haben. In der Provinz sei man so übel dran, den Roussillonesen gegenüber müsse ich nachsichtig sein. Was halfen mir alle Beteuerungen, daß mir nach einer Bergwanderung ein Strohbund eine köstliche Lagerstätte sein würde. Immer bat man mich armen Landleuten zu verzeihen, wenn sie mich nicht nach ihrem Wunsche versorgten. Endlich ging ich in Herrn von Peyrehorades Begleitung in das mir bestimmte Zimmer hinauf. Die Treppe, deren oberste Stufen aus Holz bestanden, mündete mitten auf einen Flur, an welchem mehrere Zimmer lagen.
»Rechts,« sagte mein Gastfreund, »das Gemach Hab' ich der zukünftigen Frau Alfons' zugedacht.
Ihr Zimmer liegt am entgegengesetzte» Korridorende. Sie verstehen wohl,« fügte er mit einer Miene hinzu, die schlau aussehen sollte, »Sie verstehn wohl, Jungverheiratete muß man absondern. Sie sind am einen Hausende, die am andern.«
Wir traten in ein guteingerichtetes Zimmer, wo der erste Gegenstand, auf den mein Blick fiel, ein sieben Fuß langes und sechs Fuß breites Bett war. So hoch war's, daß man einen Schemel nötig hatte, um sich hineinzuschwingen. Nachdem mein Wirt mir noch die Klingel gezeigt und sich selber überzeugt hatte, daß die Zuckerdose gefüllt, die Kölnischwasserfläschchen ordnungsgemäß auf dem Ankleidetische standen, nachdem er mich wiederholt gefragt hatte, ob mir auch nichts abgehe, wünschte er mir gute Nacht und ließ mich allein.
Die Fenster waren geschlossen.
Ehe ich mich auszog, öffnete ich eins, um die nach einem langen Abendessen doppelt köstliche frische Nachtluft einzuatmen.
Gegenüber war der Canigou; wohl zu jeder Zelt ist er herrlich anzuschauen, schien mir an diesem Abend aber, überstrahlt wie er war, von einem leuchtenden Monde, das schönste Gebirge der Welt zu sein. Einige Minuten betrachtete ich seine wunderbaren Umrisse und wollte das Fenster zumachen, als ich, die Augen senkend, einige vierzig Schritte vom Hause die Statue auf einem Piedestal erblickte. In den Winkel einer lebenden Hecke war sie gestellt worden, die einen kleinen Garten von einem weiten, völlig planem Geviert trennte, das, wie ich später erfuhr, der städtische Ballspielplatz war. Das Herrn von Peyrehorade gehörende Terrain war auf seines Sohnes eifriges Betreiben hin der Gemeinde von ihm abgetreten worden.
Von meiner Entfernung aus konnte ich die Haltung der Statue schwer unterscheiden, nur ihre Höhe, die mir etwa sechs Fuß zu sein schien, konnte ich schätzen. In diesem Augenblicke kamen ziemlich nahe bei der Hecke zwei Burschen aus der Stadt über den Spielplatz und pfiffen das hübsche roussillonesische Lied: »Ihr steilen Berge.« Blieben stehen, um die Statue anzuschauen; einer sprach sie sogar mit lauter Stimme an. Er redete katalonisch; doch war ich schon lange genug im Roussillon, um den Sinn seiner Worte zu verstehen.
»Da bist du ja, Spitzbübin! (Der katalonische Ausdruck war kräftiger.) Da bist du ja!« sagte er. »Du also hast Johann Coll das Bein zerbrochen. Wenn du mir gehörtest, würd' ich dir den Hals brechen!«
»Bah, womit?« sagte der andre. »Aus Kupfer ist sie und so hart, daß Stephan seine Feile dran zerbrochen hat, als er sie zu ritzen versuchte, 's ist Kupfer aus der Heidenzeit, härter als, ich weiß nicht was.«
»Wenn ich mein Stemmeisen da hätte (er schien Schlosserlehrling zu sein), würd' ich ihre großen weißen Augen bald rausspringen lassen. Wie Mandeln sollten sie aus der Schale krachen. Für mindestens hundert Sous Silber ist das ja.« Und sie entfernten sich einige Schritte.
»Ich muß dem Götzenbilde gute Nacht sagen,« rief plötzlich, stehen bleibend, der größere der beiden Lehrlinge.
Er bückte sich und nahm wahrscheinlich einen Stein auf. Ich sah ihn den Arm ausstrecken, etwas werfen und sofort hallte ein tönender Klang auf der Bronze wieder. Im nämlichen Augenblicke fuhr der Lehrling mit der Hand an den Kopf und stieß einen Schmerzensschrei aus.
»Sie hat mich widergeworfen!« schrie er.
Und Hals über Kopf kniffen meine beiden Schelme aus. Augenscheinlich war der Stein vom Metall zurückgeprallt und hatte den Schlingel für die Beleidigung bestraft, die er der Göttin angetan. Herzlich lachend machte ich das Fenster zu.
»Wieder ein von Venus bestrafter Vandale. Möchte doch allen Zerstörern unserer alten Denkmäler der Schädel eingeschlagen werden!« Mit solchem frommen Wunsche schlief ich ein.
Heller Tag war's, als ich aufwachte. Vor meinem Bette standen auf der einen Seite Herr von Peyrehorade im Schlafrock, auf der andern ein von seiner Frau geschickter Diener mit einer Tasse Schokolade in der Hand.
»He auf, Pariser! Da seh mir einer unsere Faulpelze aus der Hauptstadt!« sagte mein Wirt, während ich mich hastig ankleidete. »Acht Uhr ist's und noch in den Federn! Ich bin schon seit sechs auf. Dreimal bin ich schon raufgekommen; hab' mich Ihrer Tür auf Zehenspitzen genähert: nichts, kein Lebenszeichen! Zu langes Schlafen in Ihrem Alter wird nicht gut tun. Und meine Venus haben Sie noch nicht gesehn! Schnell, schnell, trinken Sie die Tasse Barcelonaer Schokolade hier ... Leibhaftige Schmuggelware ... Schokolade, wie man sie in Paris nicht kriegt. Sammeln Sie Kräfte, denn wenn Sie vor meiner Venus stehn, wird man Sie nicht davon wegbringen können.«
In fünf Minuten war ich fertig, das heißt, halb rasiert, unordentlich zugeknöpft und von der Schokolade, die ich kochend hinunter geschüttet hatte, verbrannt. Ich stieg in den Garten hinab und stand vor einer wunderbaren Statue. Ja, das war eine Venus, und zwar von erstaunlicher Schönheit. Ihr Oberkörper war nackt, wie die Alten die hohen Gottheiten darzustellen pflegen. Die rechte bis zur Brusthöhe erhobene Hand war mit der Fläche nach innen gekehrt, Daumen und beide ersten Finger ausgestreckt, während die beiden andern leicht gekrümmt waren. Die andre der Hüfte genäherte Hand hielt die faltige Gewandung, welche den untern Körperteil bedeckte. Die Haltung der Statue erinnerte an die des Morraspielers, den man, warum weiß ich nicht, unter dem Namen Germanicus kennt. Vielleicht hatte man die Göttin beim Morraspiel darstellen wollen. Wie dem auch sei, unmöglich konnte man etwas Vollkommeneres als diesen Venusleib sehen; nichts Lieblicheres, Wohllüstigeres gab's als ihre Formen, nichts Reizenderes und Edleres als ihre Gewandung. Auf eine Arbeit der Verfallzeit hatte ich mich gefaßt gemacht und sah ein Meisterwerk aus der besten Periode der Bildhauerkunst. Was mich besonders entzückte, war die vollendete Formenwahrheit; man hätte glauben mögen, sie seien nach der Natur abgegossen worden, wenn die Natur solch vollkommene Modelle hervorbrächte.
Das über der Stirn in die Höhe gestrichene Haar schien ehemals vergoldet gewesen zu sein. Der wie bei fast allen griechischen Statuen kleine Kopf war leicht nach vorn geneigt. Des Gesichts seltsamen Ausdruck werd' ich nie mit Worten wiedergeben können; ihr Typus näherte sich keiner der mir geläufigen antiken Statuen. Es war nicht die ruhige und strenge Schönheit der griechischen Werke, denen die Bildhauer systematisch eine majestätische Unbeweglichkeit verleihen. Hier bemerkte ich voller Überraschung des Künstlers auffällige Absicht, Bosheit bis zur Tücke wiederzugeben. Alle Züge waren leicht verzerrt: die Augen etwas schräg gestellt, die Mundwinkel hochgezogen, die Nüstern unmerklich gebläht. Verachtung, Spott, Grausamkeit standen auf diesem dennoch unerhört schönen Antlitze zu lesen. Wahrlich, je länger man diese wunderbare Statue anschaute, ein um so peinlicheres Gefühl empfand man, daß eine so wundersame Schönheit sich mit vollkommener Fühllosigkeit paaren konnte.
»Wenn das Modell je gelebt hat,« sagte ich zu Herrn von Peyrehorade, »aber ich glaube nicht, daß der Himmel jemals ein solches Weib hervorgebracht hat, wie bedauere ich dann ihre Liebhaber. Ihr hat's Freude machen müssen sie vor Verzweiflung sterben zu lassen. Ihr Ausdruck hat etwas so Wildes und doch hab' ich nimmer etwas so Schönes gesehen.«
»Es ist Venus, die an ihrer Beute hängt!« rief Herr von Peyrehorade hoch befriedigt über meine Begeisterung.
Dieser Ausdruck teuflischen Hohnes wurde vielleicht durch den Gegensatz zwischen ihren mit Silber ausgelegten und stark glänzenden Augen und der schwärzlichgrünen Patina, mit welcher die Zeit die ganze Statue überzogen hatte, noch gesteigert. Die glänzenden Augen riefen eine gewisse Illusion hervor, die an die Wirklichkeit, das Leben gemahnte. Ich erinnerte mich der Aussage meines Führers, daß sie die sie Betrachtenden zwinge, die Augen niederzuschlagen. Beinahe traf das zu, und ich konnte mich einer Regung des Zornes gegen mich selber nicht erwehren, als ich mich vor diesem Bronzegesicht etwas bedrückt fühlte.
»Nun, wo Sie vollauf im einzelnen bewundert haben, mein lieber Kollege in Altertümelei,« sagte mein Wirt, »wollen wir, wenn's beliebt, eine kleine wissenschaftliche Besprechung eröffnen. Was sagen Sie zu der Inschrift da, die Sie noch nicht bemerkt haben?«
Er zeigte mir den Sockel der Statue und ich las folgende Worte:
Cave amentem.
» Quid dicis, doctissime?« fragte er mich, sich die Hände reibend. »Wollen sehen, ob wir über den Sinn dieses cave amantem einer Meinung sein werden.«
»Aber das ist doppelsinnig,« sagte ich. »Man kann übersetzen: Hüte dich vor dem, der dich liebt, mißtraue den Liebhaber». Ich weiß aber nicht, ob cave amantem in dem Sinne klassisches Latein sein würde. Wenn ich den teuflischen Ausdruck der Dame sehe, möcht' ich lieber glauben, der Künstler hätte den Betrachter vor dieser schrecklichen Schönen warnen wollen. Drum würd' ich übersetzen: Nimm dich in acht, wenn sie dich liebt.«
»Hm,« sagte Herr von Peprehorade, »jedes ist eine zulässige Deutung; doch nehmen Sie's mir nicht übel, wenn ich der ersten Übersetzung, die ich noch deutlicher machen will, den Vorzug gebe. Sie kennen den Liebhaber der Venus?«
»Sie hat ihrer mehrere gehabt.«
»Ja, der erste war Vulkan. Hat man nicht sagen wollen: Trotz all deiner Schönheit, deiner verachtungsvollen Miene, wirst du einen Schmied, ein häßliches Humpelbein, als Liebsten haben? Eine weise Lehre für gefallsüchtige Weiber, mein Herr.«
Ich konnte mich eines Lächelns nicht erwehren, so sehr schien mir die Erklärung an den Haaren herbeigezogen.
»Eine gräßliche Sprache ist das Latein mit seiner Knappheit,« warf ich ein, da ich's vermeiden wollte meinem Altertümler förmlich zu widersprechen. Ich tat einige Schritte zurück, um die Statue besser betrachten zu können.
»Einen Augenblick, Kollege,« sagte Herr von Peyrehorade, mich am Arme festhaltend, »Sie haben nicht alles gesehn. Es gibt noch eine andre Inschrift. Steigen Sie auf den Sockel und sehen Sie am rechten Arme nach.« Also redend, half er mir hinauf.
Ohne viel Umstände klammerte ich mich um den Hals der Venus, mit der ich vertraut zu werden begann. Einen Augenblick sogar sah ich sie aus nächster Nähe an und fand sie da noch boshafter und noch schöner. Dann sah ich auch, daß sie auf dem Arm einige Zeichen, wie mir schien, in antiker Kursivschrift, eingegraben trug. Nur mit Hilfe der Brille buchstabierte ich das folgende, und während ich es aussprach, wiederholte Herr von Peyrehorabe jedes Wort, mit Hand und Mund seine Zustimmung gebend. Ich las also:
Veneri turbul...
Eutiches Myro
Imperio fecit.
Nach dem Worte turbul der ersten Zeile schienen mir einige Buchstaben ausgelöscht; turbul aber war vollkommen leserlich.
»Was soll das heißen? ...« fragte mich voller Arglist strahlend und lächelnd mein Wirt, denn er dachte wohl, ich würde mit diesem turbul nicht so leicht fertig werden.
»Nur ein Wort kann ich mir noch nicht erklären,« sagte ich zu ihm; »alles andre ist leicht. Eutyches Myron hat Venus diese Gabe auf ihr Geheiß hin geweiht.«
»Sehr schön. Was aber fangen Sie mit dem turbul an? Was heißt turbul?«
»Turbul macht mir Kopfschmerzen. Vergebens suche ich einen bekannten Beinamen der Venus, der mich auf die Sprünge bringen könnte. Nun, was würden Sie zu turbulenta sagen? Venus, die verwirrt, erregt ... Sie werden daraus ersehen, daß ich mich immer mit ihrem boshaften Gesichtsausdrucke beschäftige.« »Turbulenta ist kein allzu übler Beiname für Venus,« fügte ich bescheiden hinzu, denn mit meiner Auslegung war ich selber nicht sehr zufrieden.
»Venus, die Ungestüme, Venus, die Lärmende. Ach, sie glauben etwa, meine Venus ist eine Schenkenvenus? Keineswegs, mein Herr; sie ist eine Venus von seinem Anstand. Aber ich will Ihnen dies turbul erklären. Nur müssen Sie mir versprechen, meine Entdeckung nicht vor der Drucklegung meiner Abhandlung weiter zu geben. Auf diesen Fund, wissen Sie, bin ich nämlich stolz ... Ihr müßt uns arme Provinzteufel doch manchmal ein paar Ähren stoppeln lassen, Ihr Pariser gelehrten Herren seid ja so reich!«
Von der Höhe des Piedestals herab, wo ich immer noch aufgepflanzt stand, versprach ich ihn, hoch und heilig, nie würd' ich so abscheulich sein und ihm seine Entdeckung stehlen.
»Turbul ..., mein Herr,« sagte er nähertretend und in seiner Angst, ein andrer als ich könnte ihn hören, die Stimme senkend, »lesen Sie turbulnerae.«
»Ich verstehe nicht mehr.«
»Hören Sie gut zu. Eine Meile von hier, am Fuße des Gebirges, gibt's ein Dorf namens Boulternère. Das ist eine sprachliche Entartung des lateinischen Wortes Turbulnera. Nichts ist häufiger als solche Silbenumstellungen. Boulternère, mein Herr, ist eine Römerstadt gewesen. Das hab' ich mir stets gedacht, nie aber hab' ich's beweisen können. Da ist der Beweis. Diese Venus war die Ortsgöttin der Stadt Boulternère; und das Wort Voulternère, dessen antiken Ursprung ich eben nachgewiesen habe, beweist etwas noch viel Merkwürdigeres, daß Boulternère nämlich, ehe es eine Römerstadt war, eine Phönikerstadt gewesen ist.«
Einen Moment hielt er inne, um zu Atem zu kommen und sich an meiner Überraschung zu weiden. Es gelang mir, eine unbändige Lachlust zu unterdrücken. »Tatsächlich,« fuhr er fort, »ist turbulnera reines Phönikisch. Tur, Tour ausgesprochen ... Tour und Sour ist das nämliche Wort, nicht wahr? Sour ist der phönikische Name von Tyrus; an den Sinn davon brauch' ich Sie nicht erst zu erinnern. Bul ist Baal; Bâl, Bel, Bul sind kleine Unterschiede in der Aussprache. Was Nera betrifft, das macht mir ein bißchen Mühe. Da ich kein passendes phönikisches Wort finden kann, bin ich zu glauben versucht, daß es von dem griechischen keros – feucht, sumpfig herrührt. Es würde also ein aus zwei Sprachen zusammengesetztes Wort sein. Um keros zu rechtfertigen, brauchte ich Ihnen nur in Boulternère zu zeigen, wie die Gebirgsgewässer dort stinkige Sümpfe bilden. Anderseits könnte die Endung nera erst sehr viel später hinzugefügt worden sein zu Ehren der Nera Pivesuvia, der Gattin des Tetricus, die der Stadt Turbul mancherlei Wohltaten könnte erwiesen haben. Doch auf Grund der Sümpfe ziehe ich die Ableitung von keros vor.«
Mit befriedigter Miene nahm er eine Prise Tabak.
»Doch lassen wir die Phönikier und kommen wir zu der Inschrift zurück. Ich übersetze also: Der Venus von Boulternère weiht Myron auf ihr Geheiß diese Statue, sein Werk.«
Ich hütete mich wohlweislich, seine Ableitung zu kritisieren, wollte aber meinerseits eine Scharfsinnsprobe ablegen und sagte zu ihm: »Halt, mein Herr. Myron hat etwas geweiht, aber ich sehe durchaus nicht ein, daß es diese Statue sein muß.«
»Wie!« rief er, »war Myron nicht ein berühmter griechischer Bildhauer? Die Begabung wird sich in seiner Familie vererbt, einer seiner Nachfahren diese Statue hergestellt haben. Das ist doch klipp und klar.«
»Doch«, warf ich ein, »seh' ich auf dem Arm ein kleines Loch. Das hat meines Erachtens dazu gedient, einen Gegenstand zu befestigen, ein Armband etwa, das dieser Myron der Venus als Sühneopfer dargebracht hat. Myron war ein unglücklich Liebender. Venus war gegen ihn aufgebracht: er besänftigte sie durch das Opfer eines goldenen Armbands. Erinnern Sie sich, daß fecit häufig für consecravit gebraucht wird. Das sind synonyme Ausdrücke. Mehr als ein Beispiel würd' ich Ihnen zeigen können, wenn ich den Grüter, oder besser den Orelli zur Hand hätte. Natürlicherweise sieht ein Liebender Venus im Traum, er bildet sich ein, er solle ihrem Befehle gemäß ihrem Bildwerk ein goldenes Armband spenden. Myron weihte ihr ein Armband ... Später werden die Barbaren oder besser irgend ein tempelschänderischer Dieb ...«
»Ach, daran merkt man gut, daß Sie Romane schreiben,« rief mein Wirt, mir die Hand zum Hinuntersteigen reichend. »Nein, mein Herr, es ist ein Werk aus Myrons Schule. Sehen Sie nur die Arbeit an und Sie werden mir Recht geben!«
Da ich's mir zum Gesetz gemacht habe, starrköpfige Altertumssammler nicht bis aufs Blut zu reizen, senkte ich mit überzeugter Miene den Kopf und sagte: »es ist ein wunderbares Werk.«
»Ach, mein Gott,« rief Herr von Peyrehorade, »wieder ein Vandalenstreich. Man hat meine Statue mit einem Steine geworfen.« Etwas oberhalb des Busens seiner Venus hatte er ein weißes Mal bemerkt. Eine ähnliche Spur erblickte ich an den Fingern der rechten Hand, die, wie ich nun vermutete, von dem Stein in der Wurfrichtung gestreift worden waren; auch konnte beim Treffen ein Stück davon abgesprungen und gegen die Hand geprallt sein. Ich erzählte meinem Wirte die Beleidigung, deren Zeuge ich gewesen war, und die sofort erfolgte Bestrafung. Herzlich lachte er darüber und den Lehrling mit Diomedes vergleichend wünschte er ihm gleich dem griechischen Helden den Anblick aller seiner in weiße Vögel verwandelten Gefährten.
Die Frühstücksglocke unterbrach unsere klassische Unterhaltung und wie am Vorabend ward ich genötigt für viere zu essen. Dann kamen Herrn von Peyrehorades Pächter, und während er ihnen Gehör schenkte, ließ sein Sohn mich eine für seine Braut gekaufte Kutsche sehen, die ich selbstverständlich bewunderte. Dann ging ich mit ihm in den Stall, wo er mich eine halbe Stunde festhielt, um seine Pferde zu rühmen, mir ihren Stammbaum herzusagen und mir zu erzählen, welche Preise sie bei den Bezirksrennen gewonnen hätten. Endlich fiel es ihm ein mir von seiner Zukünftigen zu erzählen, worauf ihn eine graue Stute brachte, die er für sie bestimmte.
»Heut' sollen wir sie sehen,« sagte er. »Ich weiß nicht, ob Sie sie hübsch finden werden. Ihr in Paris seid so schwer zufrieden zu stellen, hier aber und in Perpignan findet sie jedermann reizend. Das Gute ist, sie ist sehr reich. Ihre Prader Tante hat ihr ihr Vermögen hinterlassen. Oh, ich werd' sehr glücklich sein!« Sehr empört war ich über einen jungen Mann, auf welchen seiner Braut Mitgift mehr Eindruck machte als ihre schönen Augen.
»Sie kennen sich in Geschmeiden aus,« fuhr Herr Alfons fort; »wie finden Sie das hier? Den Ring will ich ihr morgen schenken.«
Und also redend, zog er vom obersten Gliede seines kleinen Fingers einen mit Diamanten besetzten schweren Ring, der aus zwei verschlungenen Händen gebildet wurde, eine Anspielung, die mir überaus poetisch vorkam. Die Arbeit war alt, man hatte den Ring aber, wie mir schien, umgeändert, um die Diamanten einzusetzen. Drinnen stand in gotischen Lettern zu lesen: Semper ab ti, das heißt: immer mit dir.
»Es ist ein hübscher Ring,« sagte ich, »die eingesetzten Diamanten aber nehmen ihm seinen Charakter in etwas.«
»Oh, er ist viel schöner so,« antwortete er lächelnd. »Für zwölfhundert Franken Diamanten stecken drin. Meine Mutter hat ihn mir geschenkt. Ein Familienring, sehr alt ... aus der Ritterzeit. Meine Großmutter hat ihn getragen, die erhielt ihn von ihrer. Gott weiß, wann das Ding gefertigt worden ist.«
»In Paris ist's üblich,« sagte ich, »nur einen ganz schlichten Ring zu schenken, der gewöhnlich aus zwei verschiedenen Metallen, wie etwa Gold und Platin, hergestellt wird. Der andre Ring, den Sie da am Finger tragen, würde sich sehr gut eignen. Der mit seinen Diamanten und hervortretenden Händen ist so dick, daß man keinen Handschuh wird drüberziehn können.« »Oh, Frau Alfons mag das einrichten, wie sie will. Ihn zu besitzen, wird sie, glaub' ich, immer sehr zufrieden sein. Zwölfhundert Franken am Finger zu tragen ist angenehm. Den kleinen Ring da«, fuhr er mit selbstgefälliger Miene den einfachen Reif an seiner Hand betrachtend fort, »hat mir an einem Fastnachtstage eine Frau in Paris geschenkt. Ach, wie ich mich aufgeführt habe, als ich in Paris war, vor zwei Jahren! Dort kann man sich amüsieren! ...« Und er seufzte bedauernd.
An diesem Tage sollten wir bei den Eltern der Zukünftigen in Pygarrig zu Abend speisen. In der Kutsche fuhren wir nach dem etwa zwei und eine halbe Meile von Ille entfernten Schloß. Ich wurde vorgestellt und wie ein Hausfreund aufgenommen. Weder von dem Diner noch von der nachfolgenden Unterhaltung, an der ich mich wenig beteiligte, will ich erzählen. Der neben seiner Braut sitzende Herr Alfons flüsterte dieser alle Viertelstunden etwas ins Ohr. Sie hob kaum die Augen auf; und jedesmal, wenn ihr Bräutigam mit ihr sprach, errötete sie sittsam, antwortete ihm aber, ohne verlegen zu werden.
Fräulein von Pygarrig war achtzehn Jahre alt; ihre biegsame, zarte Figur bildete einen Gegensatz zu den knochigen Gliedmaßen ihres derben Bräutigams. Nicht nur schön war sie, sondern auch verführerisch. Ich bewunderte die vollkommene Natürlichkeit all ihrer Antworten. Ihre gütige Miene, der ein leichter Schimmer von Bosheit nicht ganz fehlte, erinnerte mich wider meinen Willen an meines Gastgebers Venus. Bei diesem im stillen angestellten Vergleiche fragte ich mich, ob das Überragende an Schönheit, das man der Statue zusprechen mußte, nicht zum großen Teil von ihrem raubtierhaften Ausdruck herrühre; denn die selbst bei bösen Leidenschaften sich äußernde Energie ruft stets in uns Erstaunen und eine gewisse unwillkürliche Bewunderung hervor.
»Wie schade,« sagte ich mir beim Verlassen von Pygarrig, »daß ein so liebenswürdiges Wesen reich ist und um ihrer Mitgift willen von einem ihrer unwürdigen Manne begehrt wird.«
Als wir nach Ille zurückkehrten und ich nicht recht wußte, was ich zu Frau von Peyrehorade sagen sollte, an die ich schicklicherweise auch einmal das Wort richten zu müssen glaubte, rief ich aus:
»Sie im Roussillon sind rechte Freigeister! Wie, gnädige Frau, an einem Freitage veranstalten Sie eine Hochzeit? In Paris sind wir abergläubischer, kein Mensch würde an dem Tage dort zu heiraten wagen.«
»Mein Gott, sagen Sie mir das nicht,« antwortete sie, »wenn's nur von mir abgehangen hätte, war' sicherlich ein anderer Tag genommen worden. Peyrehorade hat's aber gewollt und ihm mußte man nachgeben. Dennoch macht's mir Sorgen. Wenn ein Unglück geschähe? Es muß doch wohl einen Grund haben, warum hat denn alle Welt Angst vorm Freitage?«
»Freitag!« rief ihr Gatte, »es ist der Venus Tag; ein guter Hochzeitstag. Sie sehn, mein lieber Kollege, ich denke nur an meine Venus. Auf Ehre, ihretwegen hab' ich den Freitag gewählt. Morgen vor der Trauung wollen wir ihr, wenn Sie Lust haben, ein kleines Opfer darbringen; wir werden ihr zwei Ringeltauben opfern, und wenn ich Weihrauch aufzutreiben wüßte ...«
»Pfui, Peyrehorade,« unterbrach ihn aufs äußerste entrüstet seine Frau; »einem Götzenbilde Weihrauch! Eine Schandtat wäre das. Was sollte man von uns im Lande denken?«
»Wenigstens«, sagte Herr von Peyrehorade, »wirst du mir erlauben, daß ich ihr einen Rosen- und Lilienkranz aufs Haupt setze:
Manibus date lilia plenis.
Wie Sie sehn, mein Herr, ist die Verfassung ein eitler Begriff: Kulturfreiheit haben wir nicht.«
Die Maßnahmen für den nächsten Tag wurden in folgender Weise getroffen: Punkt zehn Uhr hatte jedweder bereit und angezogen zu sein. Nach der Schokolade würde man sich im Wagen nach Pygarrig begeben. Die Ziviltrauung sollte auf der Bürgermeisterei des Dorfes vollzogen werden, die kirchliche Feier in der Schloßkapelle. Darauf würde ein Frühstück folgen. Nach dem Frühstück könnte man seine Zeit nach Belieben bis sieben Uhr totschlagen. Um sieben Uhr würde man nach Ille zu Herrn von Peyrehorade zurückkehren, wo beide Familien gemeinsam zu Abend essen sollten. Das übrige ergab sich von selbst. Da man nicht tanzen konnte, wollte man sich mit möglichst gutem Essen entschädigen.
Seit acht Uhr hatte ich mit einem Bleistift in der Hand vor der Venus gesessen und zum zwanzigsten Male den Kopf der Statue begonnen, ohne daß es mir gelungen wäre, den Ausdruck herauszubekommen. Herr von Peyrehorade ging und kam, gab mir Ratschläge, wiederholte mir seine phönikischen Etymologien, legte dann Bengalrosen auf den Sockel der Statue und richtete in tragikomischem Tone Gelübde für das junge Paar, das unter einem Dache mit ihr leben sollte, an sie. Gegen neun Uhr ging er hinein, um an seinen Anzug zu denken, und gleichzeitig erschien in einen neuen Anzug gezwängt Herr Alfons, in weißen Handschuhen, Lackstiefeln, ziselierten Knöpfen und einer Rose im Knopfloch.
»Werden Sie das Porträt meiner Frau zeichnen?« sagte er, sich über meine Zeichnung beugend zu mir, »sie ist auch hübsch.«
In diesem Moment begann auf dem schon erwähnten Ballspielplatz ein Spiel, das Herrn Alfons Aufmerksamkeit sofort auf sich lenkte. Ermüdet und schier verzweifelt, dies dämonische Gesicht nicht wiedergeben zu können, verließ ich bald meine Zeichnung, um den Spielern zuzuschaun. Unter ihnen gab's einige am Vorabend eingetroffene spanische Maultiertreiber. Es waren Aragonesen und Navarresen, fast alle besaßen eine erstaunliche Geschicklichkeit. Obwohl sie durch Herrn Alfons Gegenwart und Ratschläge ermuntert wurden, sahen sich die Illoiser denn auch bald durch diese neuen Kämpfer geschlagen. Die einheimischen Zuschauer waren bestürzt. Herr Alfons sah auf seine Uhr. Es war erst halb zehn. Seine Mutter war noch nicht frisiert. Er zauderte nicht länger, zog seinen Rock aus, bat um ein Wams und forderte die Spanier zum Spiele heraus.
Lächelnd und ein bißchen verwundert sah ich ihn das tun. – »Es gilt die Ehre des Landes zu behaupten,« sagte er.
Jetzt fand ich ihn wirklich schön. Er war leidenschaftlich erregt. Seine Kleidung, die ihn eben allzu sehr beschäftigt hatte, existierte nicht mehr für ihn. Einige Augenblicke vorher hatte er beileibe nicht seinen Kopf umgedreht, um seine Halsbinde nicht in Unordnung zu bringen, jetzt dachte er weder an seine frisierten Haare noch an seine schöngefaltete Hemdbrust. Und seine Braut? ... Meiner Treu, wenn's nötig gewesen wäre, würde er, glaub' ich, seine Hochzeit haben verschieben lassen. Eilends sah ich ihn ein Paar Sandalen anziehen, seine Hemdärmel umkrempeln und sich mit sicherer Miene, wie Cäsar seine Soldaten bei Dyrrachium um sich scharend, an die Spitze der geschlagenen Partei stellen.
Ich sprang über die Hecke und setzte mich bequem in den Schatten eines Zürgelbaums, so daß ich beide Felder bequem überblicken konnte.
Wider allgemeines Erwarten verfehlte Herr Alfons den ersten Ball. Wahrlich hatte er auch nur den Boden gestreift und war von einem Aragonesen, der das Haupt der Spanier zu sein schien, mit überraschender Kraft geschleudert worden. Der war ein hagerer, sehniger, wohl sechs Fuß hoher, etwa vierzigjähriger Mann und seine olivengelbe Haut hatte eine fast ebenso dunkle Farbe wie die Bronze der Venus.
Wütend warf Herr Alfons seinen Schläger zu Boden.
»Der verfluchte Ring«, schrie er, »drückt mir den Finger und läßt mich einen sicheren Ball verfehlen.«
Nicht ohne Mühe zog er den Diamantring ab: ich trat näher, um ihn hinzunehmen. Doch er kam mir zuvor, lief zu der Venus, steckte ihr den Reif an den Ringfinger und nahm seinen Platz an der Spitze der Illoiser wieder ein.
Bleich war er aber ruhig und entschlossen. Von nun an tat er auch keinen Fehlschlag mehr und die Spanier wurden völlig geschlagen. Die Begeisterung der Zuschauer war herrlich anzusehen. Die einen stießen, ihre Mützen in die Luft werfend, tausend Freudenschreie aus, andre drückten ihm die Hand und nannten ihn den Stolz des Landes. Wenn er einen feindlichen Einfall zurückgeschlagen hätte, würde er, glaub' ich, nicht lebhafter und ehrlicher beglückwünscht worden sein. Der Kummer der Besiegten erhöhte noch den Ruhm seines Sieges.
»Wir werden noch andre Spiele machen, mein Lieber,« sagte er zu dem Aragonesen, »doch ich will euch dann etwas vorgeben.«
Ich hätte mir Herrn Alfons etwas bescheidener gewünscht und war von des Gegners Demütigung fast peinlich berührt.
Der spanische Riese fühlte diese Beleidigung bitter. Unter seiner gebräunten Haut sah ich ihn erbleichen. Zähneknirschend blickte er mit finsterer Miene auf seinen Schläger. Dann sagte er mit erstickter Stimme ganz leise: »Me lo qagaras.« (Das sollst du mir büßen.)
Herrn von Peyrehorades Stimme fuhr störend in seines Sohnes Triumph. Mein Wirt, schon sehr erstaunt, ihn nicht das Anspannen der neuen Kutsche überwachen zu sehen, war es noch viel mehr, als er ihn schweißgebadet mit dem Ballschläger in der Hand erblickte. Herr Alfons lief ins Haus, wusch sich Gesicht und Hände und zog seinen neuen Anzug und die Lackschuhe wieder an und fünf Minuten später fuhren wir in scharfem Trab auf der Straße nach Pygarrig. Alle Ballspieler der Stadt und eine große Zahl Zuschauer folgten uns mit Freudenrufen. Nur mit Mühe konnten die kräftigen Pferde, die uns zogen, ihren Vorsprung vor den unermüdlichen Kataloniern einhalten.
Wir waren in Pygarrig und der Zug nach der Bürgermeisterei sollte sich in Bewegung setzen, als Herr Alfons, sich vor den Kopf schlagend, ganz leise zu mir sagte:
»Solch eine Eselei! Den Ring hab' ich vergessen! Er steckt am Finger der Venus, die der Teufel holen soll! Sagen Sie's wenigstens meiner Mutter nicht! Vielleicht wird sie es nicht merken.«
»Sie könnten jemanden hinschicken,« sagte ich zu ihm.
»Bah, mein Diener ist in Ille geblieben. Denen hier traue ich nicht. Für zwölfhundert Franken Diamanten, das könnte mehr als einen in Versuchung führen. Was würde man übrigens hier von meiner Zerstreutheit denken? Zu sehr würden sie sich über mich lustig machen. Würden mich den Mann der Statue nennen ... Wenn man ihn mir nur nicht stiehlt! Glücklicherweise macht das Götzenbild meinen Kerlen bange. Auf Armlänge wagen sie sich nicht an es heran. Ah, es macht nichts, ich hab' einen andern Ring.«
Die beiden Trauungen, die zivile und die kirchliche, vollzogen sich mit dem schicklichen Gepränge; und Fräulein von Pygarrig erhielt einer Pariser Modistin Ring, ohne zu ahnen, daß ihr Bräutigam ihr ein Liebespfand opferte. Dann setzte man sich zu Tisch, aß, trank, sang sogar, das alles dauerte ziemlich lange. Für die Neuvermählte litt ich unter der plumpen Lustigkeit, die um sie herum einsetzte. Dennoch wahrte sie eine bessere Haltung, als ich erwartet hätte, und ihre Verlegenheit äußerte sich weder in ungeschicktem Benehmen noch in Ziererei.
Vielleicht wächst mit schwierigen Lagen auch der Mut.
Als nach Gottes gnädigem Ratschlusse das Frühstück zu Ende war, schlug's vier Uhr. Die Männer gingen im wundervollen Parke spazieren oder schauten den mit ihrem Sonntagsstaat geputzten Pygarriger Bäuerinnen zu, die auf dem Schloßrasen tanzten. Die Frauen waren inzwischen um die Neuvermählte beschäftigt, die ihre Brautgeschenke bewundern ließ. Dann wechselte sie ihr Kleid und ich bemerkte, daß sie ihre schönen Haare mit einer Haube und einem Federhute bedeckte, denn die Weiber haben nichts Eiligeres zu tun, als so bald wie möglich sich in den Staat zu werfen, den ihnen das Herkommen zu tragen verbietet, so lange sie noch Mädchen sind.
Fast acht Uhr war's, als man sich nach Ille zu fahren entschloß. Erst aber fand noch eine pathetische Szene statt. Fräulein von Pygarrigs Tante, die Mutterstelle an ihr vertrat, eine sehr alte und fromme Dame, konnte nicht mit uns in die Stadt kommen. Bei der Abfahrt hielt sie ihrer Nichte einen feierlichen Sermon über ihre Gattinnenpflichten, welchem ein Sturzbach von Tränen und nicht endenwollende Umarmungen folgten. Herr von Peyrehorade verglich diese Trennung dem Raube der Sabinerinnen. Trotzdem fuhren wir ab und den ganzen Weg über war jeder bemüht, die Neuvermählte zu zerstreuen und zum Lachen zu bringen; doch war's ein eitles Mühen.
In Ille harrte ein Abendessen unser und was für ein Abendessen! Wenn mich die plumpe Fröhlichkeit am Morgen verletzt hatte, wieviel mehr taten es noch die Zweideutigkeiten und Scherze, deren Zielscheibe der junge Ehemann und die junge Frau vor allem wurde. Der junge Ehemann, der sich für einen Augenblick, ehe man zur Tafel ging, entfernt hatte, war bleich und eisig ernst. Alle Augenblicke trank er alten Colliourewein, der fast ebenso stark wie Branntwein ist. Ich saß an seiner Seite und fühlte mich verpflichtet ihn darauf aufmerksam zu machen:
»Nehmen Sie sich in acht! Wie es heißt, ist dieser Wein ...«
Ich weiß nicht, welche Dummheit ich ihm sagte, um mich in Übereinstimmung mit den Gästen zu bringen.
Er stieß mich ans Knie und sagte ganz leise zu mir:
»Wenn man von Tisch aufsteht ... daß ich Ihnen dann zwei Worte sagen kann!«
Sein feierlicher Ton überraschte mich. Ich schaute ihn aufmerksamer an und bemerkte eine seltsame Verwirrung in seinem Gesichte.
»Fühlen Sie sich schlecht?« fragte ich ihn.
»Nein.«
Und er hub wieder mit Trinken an.
Unterdessen war unter Schreien und Händeklatschen ein elfjähriges Kind unter den Tisch gekrabbelt und zeigte den Anwesenden ein hübsches rosaweißes Band, das es der jungen Frau vom Knöchel gelöst hatte. Man nennt das ihr Strumpfband.
Sofort war es einem alten Brauche gemäß, der sich in manchen patriarchalischen Familien noch erhält, in Stücke geschnitten und an die jungen Männer verteilt, die sich das Knopfloch damit schmückten. Für die Neuvermählte war das ein Anlaß bis ins Weiße der Augen zu erröten ... Ihre Verwirrung erreichte aber den Höhepunkt, als Herr von Peyrehorade, nachdem er um Ruhe gebeten, ihr einige katalonische Verse vorsang, Stegreifverse, wie er sagte. Wenn ich recht verstanden habe, war der Sinn der:
»Was gibt's, liebe Freunde? Läßt mich der Wein, den ich getrunken, doppelt sehn: Zwei Venuse seh' ich hier ...«
Mit so verstörter Miene wandte sich der junge Ehemann jäh um, daß alles zu lachen begann.
»Ja,« fuhr Herr von Peyrehorade fort, »zwei Venuse gibt's unter meinem Dache. Die eine hab' ich wie eine Trüffel in der Erde gefunden, die andre ist aus den Himmeln herab gestiegen und hat soeben ihren Gürtel unter uns verteilt.«
Er wollte ihr Strumpfband andeuten.
»Lieber Sohn, wähle nach deiner Neigung entweder die römische oder die katalonische Venus. Der Schelm nimmt die katalonische und wählt das bessere Teil. Die Römerin ist schwarz, die Katalonierin weiß. Die Römerin ist kalt. Die Katalonierin aber entflammt alles, was in ihre Nähe kommt.«
Dieser Schluß rief ein solches Hurra, so hitzige Beifallstürme und so schallendes Gelächter hervor, daß man meinte, die Decke würde einem auf den Kopf fallen. Um die Tafel herum gab's nur drei ernste Gesichter: die der Neuvermählten und meins. Ich hatte heftige Kopfschmerzen; und dann macht mich eine Hochzeitsfeier, warum weiß ich nicht, immer traurig. Die hier widerte mich überdies etwas an.
Nachdem der Bürgermeister die letzten Lieder gesungen hatte – und die waren sehr schlüpfrig – , ging man in den Salon, um seinen Spaß am Verschwinden der jungen Frau zu haben, die bald in ihr Gemach geführt werden sollte, denn es war fast Mitternacht.
Herr Alfons zog mich in eine Fensternische und sagte mit abgewandten Augen zu mir:
»Sie werden sich über mich lustig machen ... Aber ich weiß nicht, was ich habe ... ich bin wie behext ... der Teufel soll mich holen!«
Mein erster Gedanke war, er fühle sich von einem derartigen Unglück bedroht, wie Montaigne und Frau von Sévigné sie schildern:
»Jegliche Liebesnacht ist voller tragischer Geschichten.« Ich glaubte, derartige Mißgeschicke träfen nur geistreiche Männer, sagte ich mir im stillen.
»Sie haben zu viel Colliourewein getrunken, mein lieber Herr Alfons,« erklärte ich ihm. »Ich hab' Sie gewarnt.«
»Ja, vielleicht. Aber 's ist was viel Schrecklicheres.«
Er sprach abgebrochen. Ich hielt ihn für sinnlos betrunken.
»Sie kennen die Ringgeschichte?« fuhr er nach einem Schweigen fort.
»Gewiß. Hat man ihn gestohlen?« »Nein.« »Nun also. Was haben Sie?«
»Nein ... ich ... ich kann ihn der verteufelten Venus nicht vom Finger ziehn.«
»Schön. Sie haben nicht fest genug gezogen.«
»Doch ... Die Venus aber ... hat die Finger zugedrückt!«
Mit düsterer Miene schaute er mich fest an und stützte sich dabei, um nicht umzufallen, auf den Fensterriegel.
»Welch ein Märchen,« sagte ich. »Sie haben den Ring zu fest aufgesteckt. Mit Zangen können Sie ihn morgen losmachen. Nehmen Sie sich aber in acht und beschädigen Sie die Statue nicht.«
»Nein, sage ich Ihnen. Der Venus Finger ist eingezogen, gekrümmt; sie preßt die Hand zu, verstehen Sie? ... Offenbar ist sie meine Frau, da ich ihr meinen Ring gegeben habe ... Zurückgeben will sie ihn nicht.«
Ein plötzlicher Schauder überkam mich, einen Augenblick hatte ich eine Gänsehaut. Ein tiefer Seufzer seinerseits führte mir starken Weingeruch zu und all meine Erregung verschwand.
»Der Unglücksrabe ist völlig betrunken,« sagte ich mir.
»Sie sind Altertumsforscher, mein Herr,« fügte der junge Ehemann mit kläglichem Tone hinzu; »Sie kennen sich mit solchen Statuen aus ... Vielleicht gibt's da eine Feder, irgend welche Teufelei, von der ich nichts weiß ... Wenn Sie mal nachsähen? ...«
»Gern,« sagte ich, »kommen Sie mit.«
»Nein. Lieber säh' ich's, Sie gingen allein.«
Ich verließ den Salon.
Das Wetter hatte sich während dem Abendessen verändert, ein starker Regen setzte ein. Ich wollte um einen Regenschirm bitten, als mich ein Gedanke davon abhielt. Ein großer Narr würde ich sein, sagte ich mir, wenn ich eines Trunkenen Aussage auf ihre Richtigkeit hin prüfen wollte. Überdies hat er mir vielleicht einen schlechten Streich spielen wollen, um den biederen Spießbürgern Stoff zum Lachen zu geben. Und das mindeste, was für mich dabei heraussprlngt, ist, daß ich bis auf die Knochen naß werde und mir einen tüchtigen Schnupfen hole.
Von der Tür aus warf ich einen Blick auf die regentriefende Statue und ging in mein Zimmer hinauf, ohne in den Besuchsraum zurückzukehren; legte mich zu Bett, doch der Schlaf ließ lange auf sich warten. Alle Szenen des Tages zogen vor meinem Geiste vorüber. Ich dachte an das so schöne und reine, einem rohen Trunkenbold ausgelieferte junge Mädchen. Eine Vernunftheirat, sagte ich mir, ist etwas Ödes. Ein Bürgermeister bammelt sich 'ne dreifarbige Schärpe um, ein Pfaffe eine Stola und dann ist das anständigste Mädchen der Welt einem Ungeheuer ausgeliefert. Was können zwei Wesen, die sich nicht lieb haben, sich in solchem Augenblicke sagen, den zwei Liebende mit ihrem Leben erkaufen würden? Kann ein Weib einen Mann lieb haben, den sie auch nur einmal roh gesehen hat? Die ersten Eindrücke verlieren sich niemals und sicherlich verdient es dieser Herr Alfons gehaßt zu werden ...
Während dieses Monologs, den ich nur im Auszuge wiedergebe, hatte ich viel Kommen und Gehen im Hause gehört; Türen wurden auf- und zugemacht, Wagen fuhren ab. Dann schien es mir, als hätte ich auf der Treppe die leichten Schritte einiger Frauen gehört, die sich nach dem meinem Gemach entgegengesetzten Flurende begaben. Wahrscheinlich war es das Geleite der Braut, die man zu Bett brachte. Dann war man die Treppe wieder hinuntergegangen. Frau von Peyrehorades Tür hatte sich geschlossen. Das arme Wesen, sagte ich mir, muß recht verwirrt sein und sich bedrückt fühlen. Übelgelaunt drehte ich mich in meinem Bett um. In einem Hause, wo es eine Brautnacht gibt, spielt ein Junggeselle eine törichte Rolle. Seit einiger Zeit herrschte Schweigen, plötzlich ward es durch dumpfe Schritte gestört, welche die Treppe hinaufstiegen. Die Holzstufen krachten laut.
»Welch ein Tölpel,« rief ich, »ich wette, er wird auf der Treppe noch hinfallen.«
Alles ward wieder ruhig. Ich griff nach einem Buch, um auf andre Gedanken zu kommen. Es war eine Provinzialstatistik, die ein Aufsatz des Herrn von Peyrchorade über die Druidendenkmäler des Prader Bezirks schmückte. Nach der dritten Seite schlummerte ich ein.
Schlecht schlief ich und wachte mehrmals auf. Es mochte fünf Uhr früh sein und seit länger als zwanzig Minuten war ich wach, als der Hahn krähte. Dann hörte ich deutlich die nämlichen dumpfen Schritte, das nämliche Treppenkrachen, welches ich vorm Einschlafen vernommen. Das kam mir merkwürdig vor. Gähnend versuchte ich zu erraten, warum Herr Alfons so zeitig aufstünde. Was Wahrscheinliches wollte mir nicht in den Sinn kommen. Ich wollte die Augen wieder zumachen, als meine Aufmerksamkeit von Neuem gereizt wurde: merkwürdiges Fußstampfen hörte ich, in das sich Glockenläuten und das Geräusch von Türen mischte, die heftig aufgerissen wurden. Dann unterschied ich verworrene Schreie.
»Mein Trunkenbold wird irgendwo einen Brand verursacht haben,« dachte ich, aus meinem Bette springend.
Schnell zog ich mich an und trat auf den Flur. Vom entgegengesetzten Ende gingen Schreie und Wehklagen aus und eine herzzerreißende Stimme beherrschte all die andern: »Mein Sohn, mein Sohn!« Augenscheinlich war Herrn Alfons ein Unglück zugestoßen. Ich lief zum Brautgemach. Es war voller Leute. Das erste Schauspiel, das sich meinen Blicken bot, war der halbbekleidete junge Mann, der quer über dem zerbrochenen Holzbette lag. Leichenblaß war er, rührte sich nicht. An seiner Seite weinte und schrie seine Mutter. Herr von Peyrehorade lief hin und her, rieb ihm die Schläfen mit kölnischem Wasser ein oder hielt ihm Riechsalz unter die Nase. Ach, sein Sohn war schon lange tot! Auf einem Sofa am andern Zimmerende wand sich die junge Frau in furchtbaren Krämpfen. Unartikulierte Schreie stieß sie aus und zwei kräftige Mägde vermochten sie nur mit knapper Not festzuhalten.
»Mein Gott!« rief ich, »was ist denn nur geschehen?«
Ich näherte mich dem Bett und richtete des unglücklichen jungen Mannes Körper auf; steif und kalt war er bereits. Seine zusammengekrampften Zähne und sein schwarz gewordenes Gesicht drückten entsetzliche Ängste aus. Man konnte durchaus sehen, daß er gewaltsam gestorben war und einen furchtbaren Todeskampf durchgemacht hatte.
Doch keine Blutspur auf seinen Kleidern. Ich machte sein Hemd auf und sah auf der Brust eine fahlgrüne Druckstelle, die sich nach den Seiten und dem Rücken hin fortsetzte.
Man hätte meinen mögen, er wäre von einem Eisenringe erdrosselt worden. Mein Fuß ruhte auf etwas Hartem, das auf dem Teppiche lag; ich bückte mich und sah den Diamantring.
Herrn von Peyrehorade und seine Frau führte ich in ihr Zimmer; dann ließ ich die junge Frau dorthin bringen. – »Sie haben noch eine Tochter,« sagte ich zu ihnen, »für die müssen Sie Sorge tragen.« Darauf ließ ich sie allein.
Nicht zweifelhaft schien es mir, daß Herr Alfons einem Mordanschlage zum Opfer gefallen war, dessen Täter Mittel und Wege gefunden hatten, sich nachts ins Brautgemach einzuschleichen. Jene Brustquetschungen aber und ihre ringförmige Richtung beunruhigten mich dennoch sehr, denn ein Stock oder eine Eisenstange konnten sie nicht hervorgerufen haben. Plötzlich fiel mir ein, gehört zu haben, daß sich in Valencia Bravi langer mit feinem Sande gefüllter Säcke bedienten, um Leute, für deren Tod man sie bezahlt hat, umzubringen. Sofort dachte ich an den aragonesischen Maultiertreiber und seine Drohung. Immerhin wagte ich kaum anzunehmen, daß er sich eines harmlosen Scherzes wegen so schrecklich rächen würde. Im Hause ging ich herum und suchte überall nach Einbruchspuren, fand aber keine. Ich ging in den Garten, um nachzusehen, ob die Mörder von der Seite her hätten eindringen können. Fand jedoch kein sicheres Anzeichen. Der Regen des Vorabends hatte den Boden überdies so aufgeweicht, daß er keinen halbwegs deutlichen Eindruck hätte behalten können. Dennoch entdeckte ich einige tief in den Erdboden eingedrückte Schritte; es gab welche in zwei entgegengesetzten Richtungen doch auf ein und derselben Linie, sie gingen von der an den Ballspielplatz grenzenden Gartenecke aus und mündeten bei der Haustür. Es konnten Herrn Alfons Schritte sein, als er seinen Ring vom Statuenfinger hatte holen wollen. Anderseits war die Hecke an dieser Stelle weniger dicht als anderswo, und an dieser Stelle würden die Mörder herübergekommen sein. Als ich vor der Statue hin und her ging, blieb ich einen Moment stehen, um sie zu betrachten. Dieses Mal, muß ich zugeben, konnt' ich ihren Ausdruck höhnischer Bosheit nicht ohne Schauder ertragen, und den Kopf ganz voll von den gräßlichen Szenen, deren Zeuge ich eben gewesen war, schien ich eine höllische Gottheit zu sehen, die sich des Unglücks, das dies Haus überkommen war, freute.
Ich ging wieder in mein Zimmer, wo ich bis Mittag blieb. Dann ging ich hinaus und erkundigte mich nach meinen Gastgebern. Sie waren etwas ruhiger. Fräulein von Pygarrig, eigentlich sollte ich Herrn Alfons Witwe sagen, war wieder zu Bewußtsein gekommen. Hatte sogar mit dem Perpignaner Staatsanwalt, der auf seiner Amtsreise zufällig in Ille war, gesprochen und der Beamte hatte ihre Aussagen entgegengenommen. Er fragte mich nach meiner Meinung. Ich sagte ihm, was ich wußte, und verbarg ihm meinen Verdacht auf den aragonesischen Maultiertreiber nicht. Er ordnete seine sofortige Verhaftung an.
»Haben Sie von Frau Alfons etwas gehört?« fragte ich den Staatsanwalt, als meine Aussagen schriftlich festgelegt und unterschrieben worden waren.
»Das unglückliche junge Wesen ist wahnsinnig geworden,« sagte er traurig lächelnd. »Verrückt. Total verrückt. Folgendes erzählt sie:
Seit einigen Minuten habe sie, sagte sie, hinter verschlossenen Vorhängen im Bette gelegen, als sich ihre Zimmertür aufgetan habe und jemand eingetreten sei. Dann hatte Frau Alfons sich hinten ins Bett zurückgezogen und das Gesicht der Wand zugekehrt. In der Überzeugung, es sei ihr Mann, hatte sie sich nicht bewegt. Einen Augenblick später krachte das Bett wie unter einer ungeheuren Last. Sie hatte Angst gekriegt, den Kopf aber nicht umzudrehen gewagt. Fünf, zehn Minuten vielleicht – über die Zeit konnte sie sich keine Rechenschaft ablegen – verstrichen so. Dann machte sie eine unwillkürliche Bewegung, oder vielmehr die Person, die im Bette war, machte eine, und sie fühlte die Berührung mit etwas Eiskaltem, wie sie sagt. An allen Gliedern zitternd drängte sie sich hart an die Bettwand. Kurz hernach tat sich, die Tür ein zweitesmal auf, jemand trat ein und sagte: »Guten Abend, mein Frauchen!« Bald darauf zog man die Bettvorhänge auseinander. Sie hörte einen erstickten Schrei. Die Person, die im Bette neben ihr war, setzte sich hoch und streckte scheinbar die Arme aus. Da wandte sie den Kopf, und sah, sagt sie, ihren Gatten neben dem Bette knieend, den Kopf in Kissenhöhe in den Armen eines riesenhaften grünlichen Wesens, das ihn mit Gewalt umschlungen hielt. Sie sagt, und zwanzigmal hat's die arme Frau wiederholt ... sie behauptet ... erraten Sie was? ... wiedererkannt zu haben. Die Bronzevenus, Herrn von Peyrehorades Statue ... Seit sie im Land ist, träumt alle Welt von ihr. Doch will ich mit der Erzählung der armen Wahnsinnigen fortfahren. Bei diesem Anblicke verlor sie das Bewußtsein und seit einigen Augenblicken hatte sie höchstwahrscheinlich die Vernunft verloren. In keiner Weise kann sie angeben, wie lange sie ohnmächtig gewesen ist. Als sie wieder zu sich kam, sah sie das Gespenst oder die Statue, wie sie immer sagt, unbeweglich, Beine und Unterkörper im Bett, Brust und Arme vorgestreckt und zwischen den Armen regungslos ihren Gatten. Ein Hahn krähte. Da sprang die Statue aus dem Bette, ließ die Leiche fallen und ging fort. Frau Alfons schleppte sich nach der Klingel und das übrige wissen Sie ja.«
Man brachte den Spanier; er war ruhig und verteidigte sich mit sehr viel Kaltblütigkeit und Geistesgegenwart. Übrigens leugnete er die von mir gehörten Redensarten nicht ab; erklärte aber nichts anderes damit gemeint zu haben, als daß er andern Tags, wenn er ausgeruht wäre, seinem Sieger schon eine Ballpartie abgewinnen würde. Wie ich mich erinnere, fügte er folgendes hinzu:
»Ein beleidigter Aragonier wartet mit seiner Rache nicht bis zum andern Tag. Wenn ich geglaubt haben würde, Herr Alfons wollte mich beleidigen, hätt' ich ihm mein Messer sofort in den Bauch gerannt.«
Man verglich seine Schuhe mit den Fußeindrücken im Garten; seine Schuhe waren viel größer.
Endlich versicherte der Schenkenwirt, bei dem der Mann wohnte, er habe die ganze Nacht über eins seiner Maultiere, welches krank wäre, abgerieben und ihm Heilmittel beigebracht.
Überdies war der Aragonese im ganzen Lande, wohin er alljährlich seines Handels wegen kam, wohlbeleumundet. Man entließ ihn also mit vielen Entschuldigungen.
Eines Bedienten Aussage vergaß ich, der Herrn Alfons als letzter lebend gesehn hatte. Das war im Augenblicke, wo er zu seiner Frau hinauf ging. Er hatte den Mann gerufen und ihn mit besorgter Miene gefragt, ob er nicht wisse, wo ich sei.
Der Diener erklärte, mich nicht gesehen zu haben. Dann seufzte Herr Alfons, blieb länger als eine Minute schweigend stehen und sagte: »Also zu, auch ihn wird der Teufel geholt haben!«
Ich fragte den Mann, ob Herr Alfons, als er mit ihm sprach, seinen Diamantring gehabt habe. Der Diener wollte nicht mit der Antwort heraus; endlich sagte er, er glaube nicht, im übrigen habe er nicht acht darauf gegeben. »Wenn er den Ring am Finger gehabt hätte,« fügte er sich berichtigend hinzu, »würd' ich das sicherlich gesehen haben, denn ich glaubte, er hätte ihn Frau Alfons geschenkt.«
Als ich den Menschen ausfragte, verspürte ich etwas von dem abergläubischen Schrecken, den Frau Alfons Aussage im ganzen Hause verbreitet hatte. Lächelnd sah mich der Staatsanwalt an und ich hütete mich sehr wohl dabei zu beharren.
Einige Stunden nach Herrn Alfons Beerdigung machte ich mich fertig Ille zu verlassen. Herrn von Peyrehorades Wagen sollte mich nach Perpignan bringen. Trotz seines geschwächten Zustandes wollte der arme Greis mich bis an die Tür seines Gartens begleiten. Schweigend durchschritten wir ihn, auf meinen Arm gestützt schleppte er sich nur mühsam fort. Im Augenblick unserer Trennung warf ich einen Scheideblick auf die Venus. Ich sah ja voraus, daß mein Gastgeber, obwohl er die Furcht und den Haß, welchen sie einem Teile seiner Familie einflößte, nicht teilte, sich eines Gegenstandes entäußern würde, der ihn unaufhörlich an ein furchtbares Unglück erinnerte. Meine Absicht ging dahin, ihn zu verpflichten, sie in einem Museum unterzubringen. Ich zauderte, die Sache anzuschneiden, als Herr von Peyrehorade den Kopf mechanisch nach der Seite hinwandte, wohin er mich fortgesetzt blicken sah. Er bemerkte die Statue und brach sogleich in Tränen aus. Ohne es zu wagen, ihm gegenüber auch nur ein Wort zu äußern, umarmte ich ihn und stieg in den Wagen.
Seit meiner Abreise habe ich nicht gehört, daß sich irgend etwas, das diese geheimnisvolle Katastrophe aufgeklärt hätte, ereignete.
Wenige Monate nach seinem Sohne starb Herr von Peyrehorade. Testamentarisch hat er mir seine Manuskripte vermacht, die ich eines Tages vielleicht veröffentlichen werde. Den Aufsatz über die Venusinschriften hab' ich nicht dabei gefunden. P. S. Mein Freund P. von M ... schreibt mir eben, daß die Statue nicht mehr existiert. Nach ihres Gatten Tode war es Frau von Peyrehorades erste Sorge, eine Glocke daraus gießen zu lassen. In dieser neuen Gestalt dient sie der Iller Kirche. Doch, fügte M. von P ... hinzu, scheint die Besitzer dieser Bronze ein Unstern zu verfolgen. Seit die Glocke in Ille läutet, sind die Weinberge zweimal erfroren.