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Fünfundzwanzig Jahre war ich alt, als ich nach Rom reiste. Mein Vater gab mir ein Dutzend Empfehlungsschreiben mit, von denen eins, das nicht weniger als vier Seiten umfaßte, versiegelt war. Auf der Adresse stand: »An die Marchesa Aldobrandi.«
»Schreiben sollst du mir,« sagte mein Vater, »ob die Marchesa noch schön ist.«
Seit meiner Jugend nun sah ich in seinem Arbeitszimmer am Kamin das Miniaturporträt einer sehr hübschen Frau hängen, der Kopf war gepudert und mit Efeu bekränzt, um die Schulter trug sie ein Tigerfell. Unten las man: Roma 18.. Das Kostüm erschien mir seltsam und viele Male geschah es, daß ich fragte, wer die Dame sei. Man antwortete mir:
»Eine Bacchantin.«
Diese Antwort befriedigte mich aber nicht sehr, ich argwöhnte sogar ein Geheimnis; denn bei der so harmlosen Frage kniff meine Mutter die Lippen zusammen und mein Vater nahm eine ernste Miene an.
Diesmal, als er mir den versiegelten Brief gab, blickte er das Porträt verstohlen an; unwillkürlich tat ich das nämliche und mir kam der Gedanke, diese gepuderte Dame könnte wohl die Marchesa Aldobrandi sein. Da ich dieser Welt Dinge zu begreifen begann, zog ich aus meiner Mutter Mienen und meines Vaters Blicken alle möglichen Schlüsse.
Der erste Brief, den ich nach meiner Ankunft in Rom abgab, war der an die Marchesa. Sie bewohnte einen schönen Palazzo bei der Piazza di San Marco.
Meinen Brief und meine Karte übergab ich einem gelblivrierten Diener, der mich in einen weiten, düstern, traurigen und schlechtmöblierten Salon führte. In allen römischen Palazzi gibt es Gemälde erster Meister. Dieser Salon enthielt ihrer eine ziemlich große Anzahl, von denen mehrere bemerkenswert waren.
Gleich zuerst fiel mir ein Frauenporträt auf, das mir ein Leonardo da Vinci zu sein schien. Am reichen Rahmen, an der Palisanderstaffelei, auf der es stand, war ersichtlich, daß es ein Hauptstück der Sammlung bildete. Da die Marchesa nicht gleich erschien, hatte ich alle Muße es zu betrachten. Ich trug es sogar ans Fenster, um es im günstigen Licht anzusehen. Augenscheinlich war es ein Porträt, kein Phantasiekopf, denn solche Gesichter erfindet man nicht: eine schöne Frau mit etwas vollen Lippen, fast zusammengewachsenen Brauen, einem hochmütigen und zugleich liebkosenden Blick. Unten sah man ihr Wappen mit einer Herzogkrone darüber. Am meisten aber überraschte mich, daß das Kostüm bis auf den Puder das nämliche wie das von meines Vaters Bacchantin war.
Ich hielt das Porträt noch in der Hand, als die Marchesa eintrat.
»Just wie sein Vater!« rief sie sich mir nähernd. »Ach, die Franzosen! Kaum angekommen ist er und schon bemächtigt er sich Madama Lucrezias.« Eilig entschuldigte ich mich meiner Unbescheidenheit wegen und erging mich ins Blaue hinein in Lobsprüchen über Leonardos Meisterwerk, das ich so kühn gewesen war von seinem Platze zu nehmen.
»Tatsächlich ist's ein Leonardo,« sagte die Marchesa, »und zwar das Porträt der allzu berühmten Lucrezia Borgia. Von all meinen Gemälden hat Ihr Vater grade das am meisten bewundert... Aber, lieber Gott, welch eine Ähnlichkeit! Ich glaube Ihren Vater zu sehen, wie er vor fünfundzwanzig Jahren ausschaute. Wie geht's ihm? Was treibt er? Will er uns nicht eines Tages in Rom besuchen?«
Obwohl die Marchesa weder gepudert war noch ein Tigerfell trug, erkannte ich kraft meines Genies auf den ersten Blick meines Vaters Bacchantin in ihr wieder. Fünfundzwanzig Jahre hatten die Spuren einer großen Schönheit nicht völlig verwischen können. Nur ihr Ausdruck hatte sich wie ihre Kleidung verändert. Sie war ganz in Schwarz und ihr dreifaches Kinn, ihr ernstes Lächeln, ihre feierliche und doch strahlende Miene verrieten mir, daß sie fromm geworden war.
Sie empfing mich übrigens aufs liebenswürdigste. In drei Worten bot sie mir ihr Haus, ihren Geldbeutel und ihre Freunde an, unter denen sie mir mehrere Kardinale nannte.
»Betrachten Sie mich«, sagte sie, »als Ihre Mutter...«
Sittsam schlug sie die Augen nieder.
»Ihr Vater beauftragt mich, Sie zu überwachen und Ihnen mit Rat und Tat beizustehn.«
Und um mir zu beweisen, daß sie in ihrer Mission keine Sinecure sähe, fing sie gleich an, mich vor den Gefahren zu warnen, die ein junger Mann meines Alters in Rom laufen konnte, und ermahnte mich sehr, ihnen aus dem Wege zu gehn. Schlechte Gesellschaft, besonders die Künstler, solle ich meiden, und nur mit Leuten, die sie mir bezeichnen werde, in Verbindung treten. Kurz, eine langweilige Ermahnung in drei Teilen. Ehrfurchtsvoll und mit schicklicher Scheinheiligkeit antwortete ich.
Als ich aufstand, um mich zu verabschieden, sagte sie:
»Zu meinem Bedauern ist mein Sohn, der Marchese, augenblicklich auf unsern Besitzungen in der Romagna, doch will ich Ihnen meinen zweiten Sohn, Don Ottavio, vorstellen, der bald Monsignore sein wird. Er wird Ihnen, hoffe ich, gefallen, und sie werden Freunde werden, denn die müssen sie wirklich sein...«
Schnell fügte sie hinzu:
»Denn sie sind fast gleichen Alters und er ist ein sehr sanfter und ordentlicher Junge wie Sie.«
Sofort ließ sie Don Ottavio holen. Ich sah einen hochgewachsenen, bleichen jungen Mann, der mit melancholischer Miene, immer gesenkten Augen bereits den Scheinheiligen spielte.
Ohne ihm Zeit zum Sprechen zu lassen, machte die Marchesa mir in seinem Namen die liebenswürdigsten Dienstanerbietungen. Mit tiefen Verneigungen bekräftigte er alle Phrasen seiner Mutter und es wurde abgemacht, daß er mich folgenden Morgens aufsuchen sollte, um mir die Stadt zu zeigen; hernach würde er mich zum Familiendiner in den Palazzo Aldobrandi führen.
Kaum hatte ich einige zwanzig Schritte auf der Straße getan, als jemand mit gebieterischer Stimme hinter mir herrief:
»Wohin gehen Sie denn allein zu solcher Stunde, Don Ottavio?«
Ich drehte mich um und sah einen dicken Abbate, der, die Augen aufsperrend, mich vom Kopf bis zu den Füßen betrachtete.
»Ich bin nicht Don Ottavio,« sagte ich zu ihm.
Bis zur Erde dienernd, erging sich der Abbate in Entschuldigungen und einen Augenblick später sah ich ihn in den Palazzo Aldobrandi treten. Nur mäßig geschmeichelt, für einen zukünftigen Monsignore gehalten worden zu sein, setzte ich meinen Weg fort.
Trotz der Warnungen der Marchesa, vielleicht sogar ihrer Warnungen wegen, hatte ich nichts Eiligeres zu tun, als die Wohnung eines mir bekannten Malers ausfindig zu machen. Ich verbrachte eine Stunde in seinem Atelier, um mit ihm über die erlaubten oder unerlaubten Vergnügungsmöglichkeiten, die Rom mir zu bieten hatte, zu plaudern. Ich brachte ihn auf das Kapitel Aldobrandi.
Die Marchesa, sagte er mir, habe sich, nachdem sie sehr leichtfertig gewesen, als sie erkannt, daß das Alter der Eroberungen für sie zu Ende sei, der hohen Frömmigkeit ergeben. Ihr ältester Sohn wäre ein roher Patron, der seine Zeit mit Jagen und Einsacken des Geldes verbrächte, das ihm die Pächter seiner ausgedehnten Besitzungen zutrugen. Man war dabei, den zweiten Sohn, Don Ottavio, kaltzustellen, aus welchem man eines Tages einen Kardinal machen wollte. Inzwischen war er den Jesuiten ausgeliefert. Nie ging er allein aus. Durfte keine Frauen ansehen, auch keinen Schritt tun, ohne nicht einen Abbate auf den Hacken zu haben, der ihn für den Dienst Gottes erzogen hatte und nachdem er der Marchesa letzter »Amico« gewesen, jetzt ihr Haus mit fast despotischer Autorität beherrschte.
Am folgenden Morgen holte mich Don Ottavio in Begleitung des Abbate Negroni, des nämlichen, der mich am Vorabend für seinen Zögling gehalten hatte, im Wagen ab und bot mir seine Dienste als Cicerone an.
Das erste Bauwerk, das wir besichtigten, war eine Kirche. Nach seines Abbate Beispiele kniete Don Ottavio nieder, schlug sich an die Brust und machte unzählige Male das Kreuzeszeichen. Nachdem er wieder aufgestanden, zeigte er mir Fresken und Statuen und sprach wie ein vernünftiger und geschmackvoller Mensch darüber. Das überraschte mich angenehm. Wir fingen zu plaudern an und seine Unterhaltung gefiel mir. Einige Zeit über hatten wir Italienisch gesprochen. Plötzlich sagte er französisch zu mir:
»Mein Erzieher versteht kein Wort von Ihrer Sprache. Lassen sie uns Französisch reden, wir sind dann viel ungezwungener.«
Meinen hätte man mögen, der Sprachwechsel habe den jungen Mann verwandelt. Nichts in seinen Reden schmeckte nach Priester. Ich glaubte einen unserer Provinzialliberalen zu hören. Ich merkte, daß er alles im nämlichen monotonen Tone herleierte, und daß diese Leierei seltsam mit seinen lebhaften Ausdrücken kontrastierte. Wahrscheinlich hatte er sich das angewöhnt, um Negroni irrezuführen, der sich dann und wann, was wir sprachen, auseinandersetzen ließ.
Wir übertrugen das wohlverstanden sehr frei.
Wir sahen einen jungen Mann in violetten Strümpfen vorübergehn.
»Das«, sagte Don Otavio zu mir, »sind unsere heutigen Patrizier. Eine niederträchtige Livrée! Und in einigen Monaten soll sie meine sein. Welch Glück,« fügte er nach einem augenblicklichen Schweigen hinzu, »in einem Lande wie dem Ihrigen zu leben. Wenn ich Franzose wäre, würd' ich eines Tages vielleicht Deputierter werden!«
Solch edler Ehrgeiz verursachte mir einen lebhaften Lachreiz; und da unser Abbate darum merkte, mußte ich ihm notgedrungen erklären, daß wir über den Irrtum eines Archäologen redeten, der eine Vernini-Statue für eine Antike hielte.
Zum Essen kehrten wir in den Palazzo Aldobrandi zurück. Fast sofort nach dem Kaffee bat mich die Marchesa für ihren Sohn um Entschuldigung, der bestimmter frommer Pflichten wegen sich in sein Gemach zurückziehen müsse. Ich blieb allein mit ihr und Abbate Negroni, der, in einen großen Sessel sich zurücklegend, den Schlaf des Gerechten schlief.
Währenddem fragte die Marchesa mich im einzelnen nach meinem Vater, nach Paris, nach meinem früheren Leben und meinen Zukunftsplänen aus. Sie erschien mir gut und liebenswürdig, doch ein bißchen zu neugierig und vor allem allzusehr mit meinem Wohle beschäftigt, übrigens sprach sie ein wunderbares Italienisch und ich hatte eine gute Aussprachestunde bei ihr, die ich mir recht oft zu wiederholen versprach.
Ich besuchte sie häufig. Fast jeden Morgen besichtigte ich Altertümer mit ihrem Sohn und dem ewigen Negroni, und abends speiste ich mit ihnen im Palazzo Aldobrandi. Die Marchesa empfing wenig Besuch und fast nur Geistliche.
Einmal indessen stellte sie mich einer deutschen Dame vor, einer neuen Konvertitin und ihrer intimen Freundin. Es war das eine Frau von Strahlenheim, eine sehr schöne Person, die seit langem in Rom lebte. Während die Damen miteinander über einen renommierten Prediger sprachen und ich bei Lampenlicht das Porträt der Lucrezia betrachtete, glaubte ich ein Wort anbringen zu müssen.
»Welche Augen,« rief ich, »man möchte meinen, die Wimpern bewegten sich.«
Bei dieser etwas prätentiösen Übertreibung, mit der ich mich bei Frau von Strahlenheim als Kenner zu beweisen gedachte, zitterte sie vor Entsetzen und verbarg ihr Gesicht in ihrem Taschentuch.
»Was haben Sie, meine Liebe?« fragte die Marchesa.
»Ach, nichts; doch was der Herr eben sagt...«
Man bedrängte sie mit Fragen, und als sie uns einmal gesagt hatte, daß mein Ausdruck sie an eine schreckliche Geschichte erinnere, war sie genötigt, die zu erzählen.
Hier ist sie in zwei Worten:
Frau von Strahlenheim hatte eine Stiefschwester namens Wilhelmine, die mit einem jungen Westfalen verlobt war, Julius von Katzenellenbogen, einem Freiwilligen in General Kleists Division. Ich bin sehr ärgerlich, so viele barbarische Namen wiederholen zu müssen, doch wunderbare Geschichten passieren immer nur Leuten, deren Namen schwer auszusprechen sind.
Julius war ein reizender Junge, glühender Patriot und Metaphysiker. Als ich zum Heer abging, hatte er Wilhelminen sein Bild geschenkt, und Wilhelmine hatte ihm das ihrige geschenkt, welches er stets auf seinem Herzen trug. Das tut man viel in Deutschland. Am neunzehnten Oktober eintausendachthundertdreizehn war Wilhelmine gegen fünf Uhr abends mit ihrer Mutter und Stiefschwester in einem Salon mit Stricken beschäftigt. Mitten im Arbeiten sah sie ihres Bräutigams Bild an, das auf einem kleinen Arbeitstisch ihr gegenüber aufgestellt stand. Plötzlich stieß sie einen furchtbaren Schrei aus, führte die Hand an ihr Herz und wurde ohnmächtig. Alles nur Erdenkliche mußte man aufstellen, um sie wieder zur Besinnung zu bringen; und sowie sie zu sprechen vermochte, rief sie:
»Julius ist tot! Julius ist getötet!«
Sie versicherte, und das all ihren Zügen aufgemalte Entsetzen bewies ihre Überzeugung genugsam, sie habe das Porträt seine Augen schließen sehen und im nämlichen Moment einen wütenden Schmerz verspürt, wie wenn ein rotglühendes Eisen ihr durchs Herz führe.
Vergebens bemühte jedweder sich, ihr zu beweisen, daß ihre Vision nicht der Wirklichkeit entspräche und sie ihr keine Bedeutung beimessen dürfte. Das arme Kind war untröstlich; sie verbrachte die Nacht in Tränen und wollte sich andern Tages in Trauer kleiden, wie wenn sie des Unglücks, das ihr geoffenbart worden war, schon versichert wäre.
Zwei Tage später erhielt man die Nachricht von der blutigen Schlacht bei Leipzig. Julius schrieb seiner Braut ein vom neunzehnten drei Uhr nachmittags datiertes Briefchen. Er war nicht verwundet worden, hatte sich ausgezeichnet und war eben mit in Leipzig eingezogen, wo er die Nacht im Hauptquartier, folglich fern von jeglicher Gefahr, zu verbringen hoffte. Dieser so beruhigende Brief vermochte Wilhelminen nicht gelassener zu machen; da sie bemerkte, daß er zwei Stunden früher datiert worden war, verharrte sie in ihrem Glauben, ihr Bräutigam sei um fünf gestorben.
Die Unglückliche täuschte sich nicht. Bald erfuhr man, daß Julius, mit einer Order versehen, Leipzig um halb fünf verlassen hatte. Dreiviertel Meilen vor der Stadt, jenseits der Elster, wurde er von einem, in einem Graben versteckten Nachzügler der feindlichen Armee durch einen Flintenschuß getötet. Als die Kugel durch sein Herz fuhr, hatte sie Wilhelmines Porträt zerbrochen.
»Und was ist aus dem armen jungen Wesen geworden?« fragte ich Frau von Strahlenheim.
»Oh, sehr krank ist sie gewesen. Jetzt ist sie mit dem Justizrat von Werner verheiratet, und wenn Sie nach Dessau kommen sollten, würde sie Ihnen Julius' Bild zeigen.«
»All so etwas geschieht durch des Teufels Vermittlung,« sagte der Abbate, der während Frau von Strahlenheims Erzählung nur mit einem Auge geschlafen hatte. »Der der Helden Orakel sprechen macht, kann auch die Augen eines Bildes bewegen, wenn es ihn gut dünkt. Keine zwanzig Jahre ist's her, daß ein Engländer in Tivoli von einer Statue erdrosselt worden ist.«
»Von einer Statue!« rief ich, »und wie das?«
»Es war ein Mylord, der in Tivoli Ausgrabungen vorgenommen hatte. Er hatte eine Kaiserinnenstatue gefunden, Agrippina, Messalina... was weiß ich? Soviel ist sicher, daß er sie zu sich schaffen ließ; und vom vielen Betrachten und Bewundern ist er verrückt geworden. Alle diese protestantischen Herren sind es ja schon mehr als halb. Er nannte sie seine Frau, seine Mylady und umarmte sie, marmorn wie sie war. Er behauptete, die Statue bekomme allabendlich Leben für ihn. Und zwar so viel, daß man meinen Mylord eines schönen Morgens steif und tot in seinem Bette fand. Es hat sich ein andrer Engländer gefunden, der die Statue kaufte. Ich, ich würde sie zu Kalk haben verbrennen lassen.«
Da man das Kapitel der übernatürlichen Erlebnisse einmal angeschnitten hatte, hörte man nicht mehr auf. Jeder hatte seine Geschichte zu erzählen. Ich selber leistete mein Teil an gruseligen Geschichten, so daß wir alle im Augenblicke des Auseinandergehns ziemlich erregt und von Respekt vor des Teufels Macht durchdrungen waren.
Zu Fuß ging ich nach meiner Behausung zurück und um auf den Corso zu gelangen, bog ich in eine winklige kleine Gasse ein, durch die ich noch nie gegangen war. Sie war einsam. Man sah nur lange Gartenmauern oder etwelche elenden Häuser, von welchen nicht eines erleuchtet war. Mitternacht hatte es geschlagen; es war sehr duster. Ich war mitten in der Straße und ging ziemlich schnell, als ich über meinem Kopf ein leises Geräusch und ein: Pst! hörte. Und im nämlichen Augenblicke fiel eine Rose zu meinen Füßen nieder. Ich hob die Augen auf und trotz der Dunkelheit bemerkte ich ein weißgekleidetes Weib an einem Fenster, den Arm nach mir ausgestreckt. In fremdem Lande sind wir Franzosen sehr übermütig und unsere Väter, die Besieger Europas, haben uns, was den Nationalstolz anlangt, mit schmeichelhaften Traditionen gewiegt. Kindlich glaubte ich, daß die deutschen, spanischen und italienischen Damen, nur wenn sie einen Franzosen sähen, schon entflammt wären. Kurz, zu jener Zeit stand mein Vaterland noch gut bei mir angeschrieben und sprach denn überdies die Rose nicht deutlich?
»Gnädigste,« sagte ich mit leiser Stimme, die Rose aufhebend, »Sie haben Ihren Strauß fallen lassen...«
Doch schon war das Weib verschwunden und das Fenster geschlossen worden, ohne das geringste Geräusch zu verursachen. Ich tat, was jeder andre an meiner Stelle auch getan hätte. Ich suchte die nächste Tür; zwei Schritte war sie von dem Fenster entfernt; ich fand sie und harrte, daß man mir öffnen würde. Fünf Minuten verstrichen in tiefem Schweigen. Dann hustete ich, darauf scharrte ich leis, die Tür aber öffnete sich nicht. Ich prüfte sie mit mehr Aufmerksamkeit in der Hoffnung, einen Schlüssel oder eine Klinke zu finden, fand aber zu meiner großen Überraschung ein Vorlegeschloß daran.
»Der Eifersüchtige ist also noch nicht heimgekehrt,« sagte ich mir.
Ich hob einen kleinen Stein auf und warf ihn gegen das Fenster. Er traf an einen hölzernen Fensterladen und fiel vor meine Füße zurück.
Verflucht, dachte ich, die römischen Damen bilden sich also ein, man hätte immer Strickleitern in der Tasche. Von solch einem Brauche hatte man mir nichts gesagt.
Ebenso vergeblich wartete ich noch einige Minuten. Nun schien es mir, als sähe ich ein- oder zweimal leicht den innern Fensterladen zittern, wie wenn man ihn hätte entfernen wollen, um auf die Straße zu schauen. Nach einer Viertelstunde war meine Geduld zu Ende, ich steckte mir eine Zigarre an und setzte, nicht ohne mir die Lage des Hauses mit dem Vorlegeschloß genau gemerkt zu haben, meinen Weg fort.
Am andern Morgen, als ich über dies Erlebnis nachdachte, blieb ich bei folgenden Schlüssen stehn: eine junge römische Dame, von wahrscheinlich großer Schönheit, hatte mich bei meinen Fahrten durch die Stadt gesehn und sich in meine mäßigen Reize verliebt. Wenn sie mir ihre Flamme nur durch das Schenken einer geheimnisvollen Blume kundgetan, so geschah das, weil eine ehrenwerte Scham sie zurückgehalten hatte oder sie durch die Anwesenheit irgend einer Duenna, vielleicht durch einen verfluchten Vormund wie Rosines Bartolo gestört worden war. Ich entschloß mich also vor dem von der Schönen bewohnten Hause eine regelrechte Belagerung zu eröffnen. Mit diesem herrlichen Vorsatze ging ich von Hause fort, nachdem ich meinen Haaren einen kühnen Bürstenstrich gegeben. Meinen neuen Überrock und gelbe Handschuhe hatte ich angezogen. In diesem Anzuge, den Hut auf dem Ohre, die welke Rose im Knopfloch, wandte ich mich nach der Straße, deren Namen ich noch nicht wußte, die ich aber mühelos entdecken konnte. Eine Aufschrift über einer Madonna lehrte mich, daß sie das Gäßchen der Madama Lucrezia hieß.
Der Name setzte mich in Erstaunen. Sofort erinnerte ich mich an Leonardo da Vincis Porträt und die Vorgefühls- und Teufelsgeschichten, die man am Vorabend bei der Marchesa erzählt hatte. Dann dachte ich, es gäbe im Himmel vorherbestimmte Liebschaften. Warum sollte mein Gegenstand nicht Lucrezia heißen? Warum sollte er nicht der Lucrezia der Aldobrandischen Galerie gleichen? Es war der Tag, ich war zwei Schritte fern von einer reizenden Person und kein erschreckender Gedanke hatte Teil an der Erregung, die ich verspürte.
Ich war vor dem Hause. Es führte die Nummer dreizehn. Das war unheilverkündend... Ach, es entsprach nicht grade dem Begriffe, den ich mir Nachts von ihm gemacht hatte. Es war kein Palazzo, weit gefehlt. Ich sah einen Platz, eingeschlossen von Mauern, die durch die Zeit geschwärzt und moosbewachsen waren, über welche die Zweige einiger mit Raupen bedeckten Obstbäume hingen. In einer Ecke des eingezäunten Platzes erhob sich ein nur einstöckiger Pavillon, der zwei Fenster nach der Straße hin hatte, die beiden mit alten, außen mit zahlreichen Eisenstäben versehenen Fensterläden verschlossen waren. Die Tür war niedrig, darüber ein verwittertes Wappenschild; zugesperrt war sie wie am Vorabend durch ein an einer Kette hängendes Vorlegeschloß. Auf dieser Tür las man mit Kreide geschrieben: Dies Haus ist zu verkaufen oder zu vermieten.
Dennoch hatte ich mich nicht geirrt. Auf dieser Straßenseite waren Häuser ziemlich selten; jeder Irrtum war ausgeschlossen. Sowohl mein Vorhängeschloß, und, was mehr heißt, zwei Rosenblätter auf dem Pflaster bei der Tür kündeten genau den Ort an, wo ich die Erklärung durch Zeichen meiner Vielgeliebten erhalten hatte, und bewiesen, daß man vor ihrem Hause nicht viel kehrte.
Ich wandte mich an arme Leute der Nachbarschaft, um zu erfahren, wo der Hüter dieser geheimnisvollen Behausung wohne.
»Das ist nicht hier,« antwortete man mir kurz angebunden.
Meine Frage schien denen, an die ich sie stellte, zu mißfallen, und das reizte meine Neugierde nur noch mehr. So von Tür zu Tür gehend, trat ich schließlich in eine Art dunklen Keller ein, wo sich ein altes Weib aufhielt, die man der Zauberei verdächtigen konnte, denn die hatte einen schwarzen Kater und kochte in einem Kessel, ich weiß nicht, was.
»Ihr wollt das Haus von Madama Lucrezia sehn,« sagte sie, »ich hab' den Schlüssel dazu.«
»Schön, zeigt mir's!«
»Möchtet Ihr's etwa mieten?« fragte sie lächelnd mit zweifelnder Miene.
»Ja, wenn's mir zusagt.«
»Es wird Euch nicht zusagen. Doch laßt sehn, wollt Ihr mir einen Paolo geben, wenn ich's Euch zeige?« »Sehr gern.«
Auf diese Versicherung hin stand sie schnell von ihrem Schemel auf, nahm einen ganz verrosteten Schlüssel von der Wand herunter und führte mich vor Nummer dreizehn.
»Warum nennt man dies Haus«, sagte er zu ihr, »das Haus der Lucrezia?«
Darauf entgegnete die Alte grinsend:
»Warum nennt man Euch einen Fremdling? Doch nur, weil Ihr ein Fremdling seid.«
»Schön; wer aber war diese Madama Lucrezia? Eine römische Dame?«
»Was! Ihr kommt nach Rom und habt nichts von Madama Lucrezia reden hören? Wenn wir drinnen sind, will ich Euch ihre Geschichte erzählen. Doch da ist wieder 'ne andre Teufelei. Ich weiß nicht, was mit dem Schlüssel los ist; er dreht sich nicht. Versucht 's selber.«
Tatsächlich hatten Vorhängeschloß und Schlüssel sich lange nicht gesehn. Doch nach drei Flüchen und ebenso vielem Zähneknirschen gelang es mir den Schlüssel umzudrehen; ich zerriß mir dabei aber meine gelben Handschuhe und verstauchte mir die Handfläche. Wir traten in einen dunklen Gang, der Zugang zu mehreren Erdgeschoßzimmern gewährte.
Die merkwürdig getäfelten Decken waren mit Spinneweben bespannt, unter welchen man mit Mühe einige Spuren von Vergoldungen entdeckte. Dem modrigen Geruche nach, den all diese Gemächer ausströmten, war es augenscheinlich, daß sie seit langem unbewohnt waren. Man sah nicht ein einziges Möbelstück dort. Einige alte Lederfetzen hingen längs der salpetrigen Mauern. Aus den Skulpturen einiger Konsolen und der Kaminform schloß ich, daß das Haus aus dem fünfzehnten Jahrhundert stamme; wahrscheinlich war es früher mit einiger Eleganz geschmückt gewesen. Die Fenster mit kleinen Scheiben, von denen die meisten zerbrochen waren, gingen auf einen Garten, wo ich einen blühenden Rosenbusch, einige Obstbäume und eine Masse Brokkoli sah.
Nachdem ich durch alle Erdgeschoßräume gegangen war, stieg ich in den oberen Stock, wo ich meine Unbekannte gesehen hatte. Die Alte versuchte mich zurückzuhalten. Behauptete, dort gäb's nichts zu sehen und die Treppe wäre sehr schlecht.
Als sie mich hartnäckig sah, folgte sie mir, jedoch mit deutlichem Widerwillen. Die Gemächer dieses Stockwerks ähnelten den andern sehr, nur waren sie weniger feucht, auch waren Diele und Fenster in besserem Zustand. Im letzten Räume, den ich betrat, gab's einen großen schwarzledernen Sessel, der – eine merkwürdige Sache – nicht mit Staub bedeckt war. Ich setzte mich hinein und da ich ihn zum Geschichtenanhören geeignet fand, bat ich die Alte, mir von Madama Lucrezia zu erzählen. Zur Auffrischung ihres Gedächtnisses aber schenkte ich ihr vorher einige Paoli. Sie hustete, schneuzte sich und begann solcherart:
»Zu heidnischen Zeiten war Alexander Kaiser und hatte eine Tochter, schön wie der Tag war die, und man nannte sie Madama Lucrezia. Seht, da ist sie!«...
Lebhaft wandte ich mich um. Die Alte zeigte mir eine skulpierte Konsole, welche den Hauptbalken des Saales stützte. Es war eine sehr plump ausgeführte Sirene.
»Donnerwetter,« fuhr die Alte fort, »die liebte es, sich die Zeit zu vertreiben. Und da ihr Vater mancherlei daran hätte tadeln können, hatte sie sich das Haus, wo wir sind, bauen lassen.
Allnächtlich kam sie vom Quirinal herunter und hierher, um sich zu belustigen. Sie stellte sich an dies Fenster, und wenn ein schöner Ritter, wie Ihr hier, Herr, durch die Straße kam, rief sie ihn an. Ob er gut aufgenommen ward, mögt Ihr Euch selber ausmalen. Männer aber sind Plaudertaschen, manche wenigstens, und hätten ihr durch Klatschereien schaden können. Auch hierin schaffte sie gute Ordnung. Wenn sie dem Galan Lebewohl gesagt, standen ihre bewaffneten Diener an der Treppe, die wir hinaufgestiegen sind. Sie beförderten ihn in die andere Welt und verscharrten ihn dann in den Brokkolifeldern dort. Ja, man hat in dem Garten da manche Gebeine gefunden.
So trieb sie's 'ne lange Zeit. Eines Abends aber kommt ihr Bruder, der Sixtus Tarquinius hieß, unter ihrem Fenster vorbei. Sie erkennt ihn nicht. Ruft ihn. Er kommt rauf. Nachts sind alle Katzen grau. Dem erging's wie allen andern. Er aber hatte sein Taschentuch vergessen, in das sein Name gestickt war. Nicht sobald hat sie den bösen Streich gemerkt, den sie begangen, als sie Verzweiflung überkommt. Schnell macht sie ihr Strumpfband los und hängt sich an dem Deckenbalken da auf. Nun wohl, das ist ein Beispiel für die Jugend.«
Während die Alte so alle Zeiten durcheinander brachte, die Tarquinier mit den Borgias vermengte, hatte ich die Augen auf den Estrich geheftet und dort einige noch frische Rosenblätter entdeckt, die mir viel zu denken gaben.
»Wer bestellt denn den Garten da?« fragte ich die Alte.
»Mein Sohn, Herr, der Gärtner von Signor Banozzi, dem der Garten daneben gehört; Signor Banozzi ist immer in den Maremmen; er kommt nicht nach Rom. Darum ist der Garten auch nicht allzu gut in Ordnung. Mein Sohn ist bei ihm. Und ich fürchte, sie kommen nicht sobald zurück,« fügte sie seufzend hinzu.
»Er ist also sehr beschäftigt bei Signor Banozzi?«
»Ach, das ist ein durchtriebener Kerl, der sich mit allzuvielen Dingen abgibt ... Ich fürchte, er wird sich in üble Geschichten einlassen ... Ach, mein armer Sohn!«
Sie tat einen Schritt nach der Tür hin, um die Unterhaltung abzubrechen.
»Niemand wohnt also hier?« fuhr ich, sie aufhaltend, fort.
»Keine Menschenseele.«
»Und warum nicht?«
Sie zuckte die Achseln.
»Hört,« sagte ich, ihr einen Piaster zeigend, »sagt mir die Wahrheit. Eine Frau kommt hierher.«
»Eine Frau, heiliger Christ!«
»Ja, ich habe sie gestern am Abend gesehn. Hab' mit ihr gesprochen.«
»Heilige Madonna!« schrie die Alte, auf die Treppe losstürzend. »Es war also Madama Lucrezia? Gehn wir, gehn wir fort von hier, mein guter Herr. Man hat mir wohl erzählt, daß sie nachts hier herumgeistere, doch hab' ich's Euch nicht sagen wollen, um dem Besitzer nicht zu schaden, weil ich glaubte, Ihr waret mietelustig.«
Ich konnte sie unmöglich zurückhalten. Eilig hatte sie das Haus verlassen, um, wie sie sagte, stehenden Fußes in die nächste Kirche eine Kerze zu stiften. Ich selber ging hinaus und ließ sie gehn, da ich aus ihr nicht mehr herauszubekommen glaubte.
Man kann sich denken, daß ich meine Geschichte nicht im Palazzo Aldobrandi erzählte: die Marchesa war zu prüde, Don Ottavio zu ausschließlich mit Politik beschäftigt, um in Liebesdingen ein guter Berater zu sein. Aber meinen Malersmann suchte ich auf, der in Rom alles bis ins kleinste kannte.
»Ich meine,« sagte er, »Sie haben Lucrezia Borgias Gespenst gesehn. Welche Gefahr sind sie gelaufen! Wenn die zu ihren Lebzeiten schon so gefährlich war, denken Sie doch, wie sehr muß sie's jetzt erst sein, wo sie tot ist! Das macht einen ja schuppern!«
»Scherz beiseite, kann das möglich sein?«
»Das heißt, der Herr ist Atheist und Philosoph und glaubt an die respektabelsten Dinge nicht. Sehr schön; was aber sagen Sie zu dieser andern Hypothese? Nehmen wir an, die Alte vermietet, leiht ihr Haus Weibern, die es darauf anlegen, durch die Straße gehende Männer anzurufen. Man kennt alte Weiber, die verderbt genug sind sich auf solch ein Gewerbe einzulassen.«
»Herrlich,« sagte ich, »aber seh' ich denn wie ein Heiliger aus, daß die Alte mir keine Dienstanerbietungen macht? Das beleidigt mich. Und dann, mein Lieber, denken Sie an des Hauses innere Ausstattung. Man müßte ja den Teufel im Leibe haben, um sich damit zufrieden zu geben.«
»Dann läßt sich an einem Geiste nicht länger zweifeln. Halt, doch! Noch eine letzte Hypothese. Sie werden sich im Hause geirrt haben. Potzblitz! Was mir einfällt: bei einem Garten? Eine kleine niedrige Tür? ... Nun wohl, das ist meine Busenfreundin, die Rosina. Seit achtzehn Monden bildet sie die Zierde der Straße. Wahrlich ist sie einäugig geworden, doch das ist Nebensache ... Sie hat noch ein sehr schönes Profil.«
Alle diese Erklärungen befriedigten mich nicht. Als es Abend geworden war, ging ich langsam an Lucrezias Hause vorüber. Sah nichts. Ich drehte um, wieder nichts. Drei oder vier Abende nacheinander stand ich mir, wenn ich aus dem Palazzo Aldobrandi kam, immer erfolglos die Beine unter ihrem Fenster steif. Ich begann die geheimnisvolle Bewohnerin des Hauses Nummer dreizehn zu vergessen, als ich auf meinem mitternächtlichen Wege durch das Gäßchen deutlich ein leises Frauenlachen hinter dem Flügel des Fensters vernahm, wo mir die Blumenspenderin erschienen war. Zweimal hört' ich dies leise Lachen und konnte mich eines gewissen Schreckens nicht erwehren, als ich gleichzeitig am andern Straßenende eine vermummte Büßerschar mit Kerzen in der Hand einschwenken sah, die einen Toten zu Grabe brachten. Als sie vorüber gegangen waren, stellte ich mich lauschend unter dem Fenster auf, doch hörte ich dann nichts mehr. Versuchte Steinchen zu werfen, rief mehr oder minder laut, niemand erschien und ein einsetzender Platzregen nötigte mich den Rückzug anzutreten.
Ich schäme mich zu sagen, wieviele Male ich vor dem verfluchten Hause stehen blieb, ohne das Rätsel, das mich peinigte, lösen zu können. Ein einziges Mal ging ich mit Don Ottavio und seinem unvermeidlichen Abbate durch Madama Lucrezias Gäßchen.
»Das ist Lucretias Haus,« sagte ich.
Ich sah ihn die Farbe wechseln.
»Ja,« antwortete er, »eine sehr ungewisse Volksüberlieferung will, daß Lucrezia Borgia hier ihr Haus für geheime Vergnügungen gehabt habe. Welche Greueltaten würden uns diese Mauern berichten, wenn sie reden könnten! Und doch, lieber Freund, wenn ich die Zeit mit unserer vergleiche, trauere ich ihr nach. Unter Alexander dem Sechsten gab's doch noch Römer. Jetzt gibt's keine mehr. Cäsare Borgia war ein Ungeheuer aber ein großer Kerl. Er wollte die Barbaren aus Italien vertreiben, und wenn sein Vater länger gelebt hätte, würde er diesen großen Plan vielleicht ausgeführt haben. Ach, wollte der Himmel uns doch einen Tyrannen wie Borgia senden und von jenen menschlichen Despoten erlösen, die uns verblöden lassen!«
Wenn Don Ottavio sich in politische Regionen schwang, konnte man ihn niemals zurückhalten. Wir waren auf der Piazza del Popolo, als sein Panegyrikus auf einen aufgeklärten Despotismus noch nicht zu Ende war. Von meiner Lucrezia und mir aber waren wir hundert Meilen fern.
An einem bestimmten Abend hatte ich der Marchesa sehr spät erst meine Aufwartung gemacht. Sie sagte mir, ihr Sohn fühle sich nicht wohl, und bat mich auf sein Zimmer zu gehn. Angekleidet fand ich ihn auf seinem Bette liegen; er las eine französische Zeitung, die ich ihm am Morgen sorgfältig in einem Bande Kirchenväter versteckt zugeschickt hatte. Seit einiger Zeit diente uns die Sammlung Kirchenväter zu all jenen Mitteilungen, die man vor dem Abbate und der Marchesa verheimlichen mußte. An Tagen, wo der französische Kurier anlangte, brachte man mir einen Folioband. Ich gab einen andern zurück, in welchen ich eine Zeitung versteckte, die mir der Gesandschaftssekretär lieh. Das gab der Marchesa und ihrem Beichtvater einen hohen Begriff von meiner Frömmigkeit. Letzterer wollte manchmal sogar theologische Gespräche mit mir anknüpfen.
Nachdem ich einige Zeit mit Don Ottavio geplaudert hatte, merkte ich, daß er sehr erregt war. Selbst die Politik konnte seine Aufmerksamkeit nicht fesseln. Ich riet ihm, sich niederzulegen und sagte ihm Lebewohl. Es war kalt und ich hatte keinen Mantel. Don Ottavio drängte mich seinen zu nehmen. Das tat ich und ließ mir dabei Unterricht in der schweren Kunst geben, mich als echten Römer zu drapieren.
Eingemummt bis an die Nasenspitze verließ ich den Palazzo Aldobrandi.
Kaum hatte ich einige Schritte auf den Steinfliesen der Piazza di San Marco getan, als sich ein Mann aus dem Volke, den ich auf einer Bank beim Palazzotor hatte sitzen sehn, mir näherte und mir ein zerknittertes Papier hinhielt.
»Um Gottes willen,« sagte er, »lesen Sie das hier.«
Die Beine nur so werfend verschwand er sofort. Ich hatte das Papier genommen, und suchte nach Licht, um es zu lesen. Beim Schein einer vor der Madonna angezündeten Lampe sah ich, daß es ein mit Bleistift und, wie mir schien, mit zitternder Hand geschriebenes Briefchen war.
»Komm heute Abend nicht oder wir sind verloren! Alles, außer Deinem Namen weiß man; nichts soll uns trennen. Deine Lucrezia.«
»Lucrezia!« rief ich, »nochmals Lucrezia! Welch eine verteufelte Mystifikation liegt all dem zu Grunde? ›Komm nicht.‹ Aber, meine Liebe, welchen Weg muß man denn einschlagen, um zu dir zu gelangen?«
Indem ich so hin und her überlegte und an das Briefchen dachte, schlug ich denn ganz mechanisch den Weg nach dem Gäßchen der Madama Lucrezia ein und befand mich bald dem Hause Nummer dreizehn gegenüber.
Wie gewöhnlich lag die Straße einsam da und nur das Geräusch meiner Schritte störte das tiefe Schweigen, welches in der Nachbarschaft herrschte. Ich blieb stehen und hob die Augen zu einem wohlbekannten Fenster auf. Diesmal täuschte ich mich nicht. Der innere Fensterladen ging auseinander.
Nun war das Fenster ganz offen.
Ich glaubte eine menschliche Gestalt zu sehen, die sich vom schwarzen Zimmerhintergrunde abhob.
»Lucrezia, seid Ihr's?« sagte ich mit leiser Stimme.
Im nächsten Moment erhielt ich einen furchtbaren Stoß vor die Brust, ein Knall ließ sich hören und ich sah mich auf den Boden gestreckt.
Eine rauhe Stimme schrie mir zu: »Von Signora Lucrezias Seiten!«
Und geräuschlos schloß sich der Fensterladen.
Wankend erhob ich mich sofort und tastete ich mich als erstes ab, da ich mitten im Bauch ein großes Loch zu haben wähnte. Der Mantel war durchlöchert, mein Anzug desgleichen, die Kugel aber durch die Stoffalten abgeschwächt worden und ich war mit einer starken Prellung davongekommen.
Der Gedanke kam mir, eine zweite Kugel würde wohl nicht auf sich warten lassen, und ich schleppte mich sogleich aus der Gegend dieses ungastlichen Hauses, indem ich mich so dicht an die Mauer preßte, daß man nicht auf mich zielen konnte.
Keuchend entfernte ich mich, so schnell ich's vermochte, plötzlich faßte mich ein Mann, den ich hinter mir hatte herkommen hören am Arm und fragte mich voller Besorgnis, ob ich verwundet sei.
An der Stimme erkannte ich Don Ottavio. Es war jedoch nicht der Augenblick ihn mit Fragen zu bestürmen, wie überrascht ich auch war, ihn zu dieser Nachtstunde allein und auf der Straße zu sehen. Mit zwei Worten sagte ich ihm, man habe aus irgend einem Fenster einen Schuß auf mich gefeuert, und ich sei mit einer Quetschung davongekommen.
»Es ist ein Irrtum!« rief er. »Aber ich höre Leute kommen. Können Sie gehn? Verloren wäre ich, wenn man uns zusammen fände. Und doch kann ich Sie nicht allein lassen.«
Er griff mich beim Arm und zog mich eilends fort. Wir gingen ober vielmehr liefen, so schnell ich nur vorwärts konnte. Bald aber mußte ich mich auf einen Prellstein setzen, um zu Atem zu kommen. Glücklicherweise war das in geringer Entfernung von einem großen Hause, wo man einen Ball gab. Eine Menge Wagen standen vor der Tür. Don Ottavio holte einen, ließ mich einsteigen und brachte mich in mein Hotel zurück.
Als ein großes Glas Wasser, das ich hinunterschüttete, mich völlig wieder hergestellt hatte, erzählte ich ihm im einzelnen, was mir von dem Rosengeschenke an bis zu dem der Bleikugel alles vor diesem verhängnisvollen Hause geschehen war.
Mit gesenktem Haupte, das zur Hälfte in einer seiner Hände verborgen war, hörte er mir zu. Als ich ihm das mir zugesteckte Briefchen zeigte, riß er es an sich, las es gierig und schrie nochmals:
»Das ist ein Irrtum! Ein furchtbarer Irrtum!«
»Sie müssen zugeben, mein Lieber,« sagte ich zu ihm, »er ist für mich und auch für Sie sehr unangenehm. Mich hat man beinahe getötet und Ihnen zehn bis zwölf Löcher in Ihren schönen Mantel geschossen. Donnerwetter, wie eifersüchtig ihre Landsleute sind!«
Mit bekümmerter Miene drückte er mir die Hände und las das Briefchen nochmals, ohne mir zu antworten.
»Versuchen Sie doch,« sagte ich zu ihm, »mir diese ganze Angelegenheit zu erklären. Der Teufel soll mich holen, wenn ich auch nur ein Wort davon verstehe.«
Er zuckte die Achseln.
»Was soll ich denn nur tun?« fragte ich, »an wen in der heiligen Stadt hier muß ich mich wenden, um jenen Mann zur Rechenschaft zu ziehen, der aus gedeckter Stellung auf die Vorübergehenden feuert, ohne sie auch nur nach ihrem Namen zu fragen. Ich muß Ihnen sagen, entzückt wäre ich, wenn er aufgehängt würde.«
»Hüten Sie sich ja davor,« rief er, »Sie kennen das Land hier nicht! Sagen Sie keinem Menschen ein Wort von dem, was Ihnen geschehen ist. Einer viel größeren Gefahr würden Sie sich aussetzen.«
»Wie, ich würde mich einer Gefahr aussetzen? Potzblitz, ich will doch meine Rache haben. Wenn ich den Lümmel beleidigt hätte, sagte ich ja nichts; doch weil ich eine Rose aufgehoben habe... wahrhaftig, dafür verdien' ich noch eine Kugel.«
»Lassen Sie mich nur machen,« sagte Don Ottavio; »vielleicht gelingt es mir das Geheimnis zu enträtseln. Doch als eine Gunst, als einen entschiedenen Beweis Ihrer Freundschaft für mich verlange ich von Ihnen, reden Sie mit niemandem auf der Welt darüber. Versprechen Sie mir das?«
Als er mich flehentlich bat, sah er so traurig aus, daß ich nicht den Mut hatte zu widerstehn, und ich versprach ihm alles, was er wollte. Überschwänglich dankte er mir, und nachdem er mir selber eine Kompresse mit Kölnischem Wasser auf die Brust gelegt hatte, drückte er mir die Hand und sagte mir Lebewohl.
»Was ich noch sagen wollte,« fragte ich ihn, als er die Tür öffnete, um hinauszugehen, »erklären Sie mir doch, wie grade Sie, um mir zu helfen, haben dort sein können?«
»Ich hatte den Flintenschuß gehört,« sagte er nicht ohne einige Verwirrung, »und bin sofort aus dem Hause gelaufen, da ich irgend ein Unglück für Sie fürchtete.«
Schnell verließ er mich, nachdem er mir von neuem Verschwiegenheit anempfohlen hatte.
Am Morgen besuchte mich ein zweifelsohne von Don Ottavio gesandter Chirurg. Er verordnete mir einen Breiumschlag, stellte aber keinerlei Fragen an mich, wer oder was diese Veilchen auf meinem Lilienteint gestreut habe. In Rom ist man verschwiegen und ich wollte mich in den Landesbrauch schicken. Einige Tage verstrichen, ohne daß ich ungestört mit Don Ottavio sprechen konnte. Er war in Gedanken, noch finsterer als gewöhnlich, und suchte meinen Fragen anscheinend aus dem Wege zu gehen. Während der seltenen Augenblicke, die ich mit ihm zusammen war, sagte er nicht ein Wort über die merkwürdigen Gäste des Gäßchens der Madama Lucrezia. Der für die Zeremonie seiner Priesterweihe festgesetzte Termin näherte sich und ich schrieb seine Trauer seiner Abneigung gegen einen ihm aufgezwungenen Beruf zu.
Ich aber bereitete mich vor Rom zu verlassen, um nach Florenz zu reisen. Als ich der Marchesa Aldobrandi meine Abreise anzeigte, bat Don Ottavio mich unter ich weiß nicht welchem Vorwande mit in sein Zimmer zu kommen.
Dort faßte er mich bei beiden Händen.
»Mein lieber Freund,« sagte er, »wenn Sie mir nicht die Gunst gewähren, um die ich Sie bitten will, jage ich mir ganz gewiß eine Kugel in den Kopf, denn ein andres Mittel, mich aus meiner schwierigen Lage zu befreien, weiß ich nicht. Völlig entschlossen bin ich, das elende Kleid, das man mir aufzwingen will, niemals anzuziehen. Ich will aus dem Lande fliehn. Worum ich Sie bitten möchte, ist, Sie sollen mich mit sich nehmen. Sie geben mich für Ihren Diener aus. Ein Ihrem Passe hinzugefügtes Wort wird genügen, um meine Flucht zu erleichtern.«
Anfangs versuchte ich ihn von seinem Vorhaben abzubringen, indem ich ihm den Kummer vor Augen hielt, welchen er seiner Mutter bereiten würde. Da ich ihn aber unerschütterlich in seinem Entschlüsse fand, versprach ich ihm schließlich ihn mit mir zu nehmen und meinen Paß darauf hin einrichten zu lassen.
»Das ist nicht alles,« sagte er. »Meine Abreise hängt noch von dem Erfolge eines Unternehmens ab, bei dem ich beteiligt bin. Übermorgen wollen Sie abreisen. Übermorgen werd' ich vielleicht Erfolg haben und dann gehöre ich Ihnen ganz.«
»Sollten Sie so töricht gewesen sein,« fragte ich ihn nicht ohne Besorgnis, »sich in eine Verschwörung eingelassen zu haben?«
»Nein,« sagte er, »es handelt sich um weniger ernste Angelegenheiten als das Wohl meines Vaterlandes; immerhin sind sie ernst genug, da Leben und Glück von dem Erfolge meines Vorhabens abhängen. Mehr kann ich Ihnen jetzt nicht darüber sagen. In zwei Tagen sollen Sie alles wissen.«
Ich begann mich an Geheimnisse zu gewöhnen; fügte mich drein. Abgemacht wurde, daß wir um drei Uhr morgens abfahren wollten, und erst, nachdem wir toskanisches Gebiet erreicht, sollte Halt gemacht werden. Da ich es für zwecklos hielt, mich vor einer so zeitigen Abreise schlafen zu legen, benutzte ich den letzten Abend, den ich in Rom verbringen sollte, um in allen Häusern, wo ich empfangen worden war. Besuch zu machen. Ich verabschiedete mich von der Marchesa und drückte ihrem Sohn offiziell und der Form wegen die Hand. Ich fühlte sie in meiner zittern. Ganz leise sagte er zu mir:
»In diesem Augenblicke heißt's für mein Leben: Kopf oder Schrift. Bei Ihrer Rückkehr ins Hotel werden Sie einen Brief von mir vorfinden. Wenn ich Punkt drei Uhr nicht bei Ihnen bin, so warten Sie nicht auf mich.«
Die Erregtheit seiner Züge überraschte mich, doch schrieb ich sie einer sehr natürlichen Bewegung seinerseits zu im Augenblicke, wo er sich vielleicht für immer von seiner Familie trennen wollte.
Gegen ein Uhr etwa ging ich nach meiner Behausung zurück. Noch einmal wollte ich durch das Gäßchen der Madama Lucrezia wandern. Etwas Weißes hing an dem Fenster, wo ich zwei so verschiedene Erscheinungen gesehen hatte. Vorsichtig näherte ich mich. Es war eine Strickleiter. War's eine Einladung, mich von der Signora zu verabschieden? Es sah ganz darnach aus und die Versuchung war sehr groß. Dennoch gab ich ihr nicht nach, da ich mich meines Versprechens Don Ottavio gegenüber und auch des – ich muß es schon sagen – unangenehmen Empfangs erinnerte, den einige Tage vorher eine minder große Unbesonnenheit zur Folge gehabt hatte.
Ich setzte langsam meinen Weg fort und war tief betrübt, daß ich die letzte Gelegenheit, die Geheimnisse des Hauses Nummer dreizehn zu lüften, vorbei gehen lassen mußte. Bei jedem Schritte, den ich tat, wandte ich den Kopf um, da ich immer erwartete, irgend eine menschliche Gestalt die Leiter hinauf- oder heruntersteigen zu sehn. Nichts geschah. Endlich erreichte ich des Gäßchens Ende; ich bog in den Korso ein.
»Leben Sie wohl, Frau Lucrezia,« rief ich, meinen Hut vor dem Haus abziehend, das ich noch sah. »Suchen Sie sich gefälligst einen andern als mich, um sich an einem Eifersüchtigen zu rächen, der sie eingesperrt hält.«
Zwei Uhr schlug's, als ich in mein Hotel eintrat. Der Wagen stand im Hof, alles war aufgeladen. Einer der Gasthofdiener überreichte mir einen Brief. Es war Don Ottavios und da er mir zu ausführlich schien, dachte ich, es sei besser ihn in meinem Zimmer zu lesen, und sagte dem Diener, daß er mir leuchten solle.
»Herr,« sagte er, »Ihr Diener, den Sie uns angekündigt hatten, der, welcher mit dem Herrn reisen soll ...«
»Nun, ist er gekommen?«
»Nein, Herr ...«
»Er ist auf der Post; wird mit den Pferden kommen.«
»Herr, es ist eben eine Dame gekommen, die mit des Herrn Diener zu sprechen verlangt hat. Sie wollte durchaus in des Herrn Zimmer gehn und hat mich beauftragt, des Herrn Diener, sobald er kommen sollte, zu sagen, daß Frau Lucrezia in Ihrem Zimmer sei.« »In meinem Zimmer?« rief ich, mich krampfhaft am Treppengeländer festhaltend.
»Ja, Herr. Und es scheint, sie reist ebenfalls, denn sie hat mir ein kleines Bündel gegeben; ich hab's auf den Lederkoffer gelegt.
Mein Herz schlug laut. Ich weiß nicht, welch ein Gemisch von abergläubischem Schrecken und Neugierde sich meiner bemächtigt hatte. Stufe für Stufe ging ich die Treppe hinauf. Als ich im ersten Stock angelangt war (ich wohnte im zweiten) tat der Diener, der vor mir herging, einen Fehltritt, die Kerze, die er in der Hand hielt, fiel und erlosch. Er bat mich tausendmal um Entschuldigung und eilte hinunter, um sie wieder anzuzünden. Währenddem ging ich weiter.
Bereits hatte ich die Hand an meinem Zimmerschlüssel. Ich zauderte. Was für eine neue Vision sollte ich haben? Mehr als einmal war mir in der Dunkelheit die Geschichte von der blutenden Nonne wieder ins Gedächtnis gekommen. War ich wie Don Alonso von einem Dämon besessen? Mir schien, der Diener lasse schrecklich lange auf sich warten.
Ich öffnete meine Tür. Gott sei Dank! In meinem Schlafzimmer brannte Licht. Schnell durchschritt ich den vor ihm liegenden kleinen Salon. Ein flüchtiger Blick genügte, um mich zu überzeugen, daß niemand in meinem Schlafzimmer sei. Doch sofort hörte ich hinter mir leichte Schritte und das Knistern eines Frauenkleides. Ich glaube, die Haare standen auf meinem Kopfe zu Berge. Hastig drehte ich mich um.
Eine weißgekleidete Dame, den Kopf mit einer schwarzen Mantilla bekleidet, näherte sich mir mit ausgebreiteten Armen:
»Endlich bist du also da, mein Vielgeliebter!« rief sie, meine Hand ergreifend. Ihre war kalt wie Eis und ihre Gesichtszüge waren totenblaß. Ich wich bis an die Wand zurück.
»Heilige Madonna, er ist es nicht! ... Ach, mein Herr, sind Sie Don Ottavios Freund?«
Bei diesem Worte war mir alles klar. Trotz ihrer Blässe sah die junge Frau nicht gespensterhaft aus. Sie schlug die Augen nieder, was Geister niemals tun und hielt ihre beiden Hände in Gürtelhöhe gekreuzt, eine bescheidene Haltung, die mich aber davon überzeugte, daß mein Freund Don Ottavio kein so großer Politikus war, als ich mir vorgestellt hatte. Kurz, es war höchste Zeit, Lucretia zu entführen, und leider war die Vertrautenrolle die einzige, die mir bei diesem Abenteuer zugedacht war.
Einen Moment später kam Don Ottavio verkleidet. Die Pferde erschienen und wir reisten ab. Lucrezia hatte keinen Paß, aber eine Frau, eine hübsche dazu, erregt nicht viel Verdacht. Ein Gendarm indessen machte Schwierigkeiten. Ich sagte zu ihm, er sei ein tapferer Kerl, sicherlich habe er unter dem großen Napoleon gedient. Das gab er zu. Ich machte ihm ein Porträt des großen Mannes in Gold zum Geschenk und sagte ihm, ich sei es gewohnt, mit einer »Amica« zu meiner Gesellschaft zu reisen, und da ich die sehr häufig wechsle, hielte ich es für zwecklos, sie in meinen Paß eintragen zu lassen.
»Die hier«, fügte ich hinzu, »bringe mich in die nächste Stadt. Dort, hat man mir gesagt, würd' ich ihrer andre finden, die sie aufwögen.«
»Sie täten Unrecht, wenn Sie sie fortschicken wollten, « sagte der Gendarm, als er ehrerbietigst den Wagenschlag zumachte.
Wenn man Ihnen schon alles sagen muß, gnädige Frau: der Verräter Don Ottavio hatte Bekanntschaft mit diesem hübschen Wesen, der Schwester eines gewissen Banozzi, gemacht. Der war ein reicher Landwirt, der als ein wenig zu liberal und als großer Schmuggler schlecht angeschrieben war. Don Ottavio wußte genau, daß selbst, wenn seine Familie ihn nicht zum Geistlichen bestimmt, sie nie darein gewilligt hätte, ihn ein Mädchen heiraten zu lassen, die aus einer so weit unter seinem Stande stehenden Familie hervorgegangen war. Liebe ist erfinderisch. Abbate Regronis Schüler gelang es einen heimlichen Briefwechsel mit seiner Geliebten zu unterhalten. Allnächtlich entschlüpfte er dem Palazzo Aldobrandi, und da es wenig sicher gewesen wäre in Banozzis Haus einzusteigen, gab sich das Liebespaar in dem der Madama Lurezia, dessen schlechter Ruf ihm zu Hilfe kam, immer sein Stelldichein. Eine kleine, durch einen Feigenbaum verborgene Tür stellte die Verbindung zwischen beiden Gärten her. Jung und verliebt wie sie waren, beklagten Lucrezia und Ottavio sich nicht über ihren ungenügenden Hausrat, der sich – ich glaube es schon gesagt zu haben – auf einen alten Ledersessel beschränkte.
Als Lucrezia eines Abends Ottavio erwartete, hielt sie mich für ihn und machte mir das an Ort und Stelle erwähnte Geschenk. Wahrlich gab's eine gewisse Ähnlichkeit in Figur und Haltung zwischen Ottavio und mir, und einige böse Zungen, die meinen Vater in Rom gekannt hatten, behaupteten, dazu sei einiger Grund vorhanden. Schließlich war der verwünschte Bruder hinter den Liebeshandel gekommen; seine Drohungen aber konnten Lucrezia nicht bewegen ihres Verführers Namen preiszugeben. Wie er sich rächte, weiß man; ebenso, daß ich für alle zu zahlen hatte. Man braucht Ihnen nicht zu erzählen, wie die beiden Liebenden, jeder seinerseits, an die Gartenschlüssel kamen.
Schluß. – Alle drei kamen wir in Florenz an. Don Ottavio heiratete Lucrezia und reiste sofort mit ihr nach Paris. Mein Vater nahm ihn ebenso liebenswürdig auf, wie mir die Marchesa entgegengekommen war. Er übernahm es die Versöhnung zu betreiben, die ihm nicht ohne einige Mühe gelang. Zur rechten Zeit bekam der Marchese Fieber in den Maremmen und starb daran. Ottavio hat seinen Titel mitsamt seinem Vermögen geerbt und ich bin seines ersten Kindes Pate.
27. April 1846.