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(Sexualsoziologie)
1. Die Ursache der Kriege (Perspektive über den Zusammenhang der sexuellen mit der sozialen Krise und mit dem Krieg). / 2. Grundlagen der Bevölkerungskrise. / 3. Reformversuche. / 4. Richtlinien. / 5. Die Frage der Fruchtabtreibung.
»Der Volkswirtschaftler und Sozialpolitiker muß ausgerüstet sein mit den Seherblicken und dem Intuitionsvermögen des Künstlers, um soziale, insbesondere sozial-ethische Probleme solcher Art in ihrer ganzen Eigentümlichkeit erkennen zu können.« »Wohnung und Sittlichkeit«, von Viktor Noack, »Die Aktion«.
Daß die Intuition, die Ahnung kommender Zeitströmungen, bei der Ausgestaltung philosophischer und sozialer Systeme eine größere Bedeutung hat, als man gewöhnlich anzunehmen pflegt, kann ich durch ein schlagendes Beispiel belegen. Bevor es noch einen amtlich festgestellten Geburtenrückgang gab, habe ich diese Verebbung des Zeugungswillens vorausgesagt und das Wort »Gebärstreik« ausgesprochen, über welches sich damals sogar die Witzblätter lustig machten. Und als mein Buch »Die sexuelle Krise, I. Teil« schon erschienen war, schrieb ein Autor, den ich als Kulturbetrachter schätze, Alexander v. Gleichen-Rußwurm, als Referent darüber: »Man kann der Verfasserin den edlen Mut der Begeisterung nicht absprechen und muß sich vor dem hohen ethischen Ernst beugen, mit dem sie Geschlechtsfragen berührt. Aber … sie irrt in einem wichtigen Moment / Deutschlands gesunde Geburtenziffern strafen das Wort sexuelle Krise Lügen!«
Nun, die Antwort auf diese Behauptung kann sich der Autor dieser Rezension heute selbst geben. Die Abnahme der Geburtenrate ist in diesen sieben Jahren zu einer öffentlichen Panik geworden. »Deutschlands gesunde Geburtenziffern«, die das Wort sexuelle Krise »Lügen strafen«, wurden in den letzten Jahren täglich mit der sorgenvollsten Miene in der breitesten Öffentlichkeit und von allen Behörden in ihrem Rückgang erörtert. Und wenn ich auch weit davon entfernt bin, die Besorgnisse, die sich an diese Erscheinung knüpfen, zu teilen, aus Gründen, die ich in diesem Kapitel erörtern werde, / so war es mir, noch bevor dieser Geburtenrückgang bestand und begann, um dann bis zur öffentlichen Panik anzuschwellen, unzweifelhaft klar, daß er kommen müßte. Dieser Geburtenrückgang war ein bewußter Wille der Kulturwelt, ja noch mehr: eine metaphysische Angst vor dem kommenden Gemetzel durch den Krieg. Denn der Nahrungsspielraum in der Kulturzone Europa war und ist derartig beengt, daß eine gewaltsame Art, hier »Luft« zu schaffen, ebenso unvermeidlich schien, wie die instinktive Zurückhaltung der Menschen, unter solchen Umständen, ihrer natürlichen Fortpflanzungsfähigkeit breiten Spielraum zu lassen. Dieses ist der Zusammenhang des Bevölkerungszustandes Europas mit dem Weltkrieg. Europa war ein überhitzter Dampfkessel. Die Explosion mußte kommen. Desgleichen sage ich voraus, daß sich nach dem Kriege ein wahres Kesseltreiben nach unbegrenzter Volksvermehrung erheben wird und daß, wenn der Geburtenüberschuß, (der durch den Geburtenrückgang bis zum Krieg nicht vermindert wurde, weil gleichzeitig, mit der Geburtenrate, in entsprechendem Verhältnis, die Sterblichkeit sank), in Europa andauernd vermehrt wird, die Weltkriege niemals aufhören können, weil der vorhandene Nahrungsspielraum für eine bis in alle Ewigkeit hinein fortgesetzte Vermehrung des Geburten überschusses eben nicht ausreicht. Näheres hierüber werde ich an verschiedenen Stellen dieses Buches erörtern, besonders auch im III. Teil, im Supplement, wo ich mich mit dem Eugeniker, Professor Christian von Ehrenfels, beschäftigen werde, der nach dem Kriege sogar die Einführung der Vielweiberei, für deren Durchführung er schon früher exakte Systeme entwarf, für notwendig und wünschenswert hält, damit die Verluste quantitativ und auch qualitativ ersetzt werden.
Hier könnte man von metaphysischen Momenten sprechen, z. B. davon, daß man im Abendland das Weib nicht als verschließbare Sache behandelt und ihm die Seele nicht abspricht, die ihm auch im Morgenland das Judentum niemals absprach und die ihm besonders das Christentum zum Bewußtsein brachte. Gleichzeitig kam der Menschheit vom Judentum und Christentum, außer dem Monotheismus, als höchster Grundsatz sittlichen Volkstums das Leitgebot der Monogamie, die übrigens das reine Germanentum, noch bevor es das Bekenntnis des Christentums annahm, in der Praxis / während seine primitiven Rechtsgrundsätze noch die Vielweiberei erlaubten, / schon übte und womit es über das entartete Rom siegte. Aber ganz abgesehen von metaphysischen Momenten ist hier, an dieser Stelle, nur zu sagen, daß das Abendland niemals die Monogamie zum höchsten sittlichen und staatlichen Ideal erhoben hätte, wenn es nicht die Beschränkung der Zeugung auf die monogame Familie, als Norm, in Anbetracht des vorhandenen Nahrungsspielraums, für unerläßlich erkannt hätte. Die Nährfrage ist von der Gebärfrage niemals und nirgends zu trennen.
Der Mann der Kulturwelt bleibt zu einem riesigen Prozentsatz überhaupt unverheiratet, weil er eine Frau mit ihren Kindern, eine Familie sehr oft nicht ernähren kann, zumindest nicht in den Jahren, die für die Zeugung die wertvollsten und geeignetsten sind. Hier in der Nährfrage haben wir die gemeinsame Wurzel der sexuellen und der sozialen Krise und / der Kriege zu suchen. Ich erwähne diesen Zusammenhang hier als Einleitung dieses Kapitels nur deshalb, um darzutun, daß ich, als »Deutschlands gesunde Geburtenziffern« das Wort sexuelle Krise noch »Lügen straften«, doch schon die kommende Entwicklung der Dinge überblickte und daß ich mir, auf Grund dieser Erfahrung, für die Hinweise, die ich inbezug auf den Zusammenhang des Bevölkerungs- und Nahrungsproblems mit dem Weltkrieg geben werde, / Gehör erbitte.
Die ungelöste Nährfrage ist die Wurzel der sexuellen und der sozialen Krise und / der Kriege. Sie ist aber durchaus nicht für alle Zeiten unlöslich; und zwar liegt die prinzipielle Lösung nicht etwa in der Geburteneinschränkung, in dem Sinne, daß sie eine Gefahr für die Rasse werden könnte, / o nein! / Diese Geburteneinschränkung ist nur die provisorisch-praktische Lösung, die der Einzelne notgedrungen privatim für sich findet, / aber die soziale Lösung ist eine andere und liegt auf dem Gebiete der Sozialpolitik und der Sozialisierung der Gesellschaft überhaupt: durch die Bekämpfung des Pauperismus und des »Banditismus« J. Novicow »Das Problem des Elends«. im Staate, durch die gerechtere Verteilung des Besitzes und der Macht und natürlich auch durch die Beachtung des überhaupt vorhandenen Nahrungsspielraumes, durch die planmäßige Berechnung, wieviel Menschen innerhalb einer bestimmten Kulturzone denn überhaupt ernährt werden können, so daß sie ins Erwerbsalter gelangen und dann, erwachsen, auch wirklich dauernd Arbeit und damit dauernd Nahrung finden.
Die unbedingte Notwendigkeit des »Durchhaltens« im Krieg hat urplötzlich, sozusagen über Nacht, ohne theoretische Debatten, eine Menge Sozialisierungen geschaffen, die man vorher noch für Utopien hielt. So war plötzlich / über Nacht / die wenn auch nur notdürftige Versorgung der Frauen und Kinder durch den Staat, / die Utopie der Utopien!! / Tatsache geworden, durch die Rente in bar, die der Staat jeder bedürftigen Kriegerfrau für sich und ihre Kinder bezahlt und dies zu einer Zeit, wo sein Budget durch den Krieg auf die ungeheuerlichste Art belastet ist. Man sieht also, was prinzipiell und faktisch möglich ist, / wenn erst die Überzeugung da ist, daß es absolut notwendig ist. Zum erstenmal hat auch der Staat bzw. die Gemeinde während des Krieges alle Arbeitslosen, männliche und weibliche, die durch den Krieg in ihren Einkünften geschmälert worden waren, / unterstützt. Das gibt zu denken. Die staatliche Hinterbliebenenfürsorge und der Ausbau der deutschen Sozialpolitik, insbesondere des Versicherungswesens, werden diese sozialistischen Prinzipien weiterführen. Durch die Not des Krieges sind noch eine ganze Menge anderer Sozialisierungen geschaffen worden, über deren prinzipielle Möglichkeit man sich bislang die Köpfe zerbrach. Die »Frankfurter Zeitung« vom 10.9.1915 bringt z. B. einen großen Artikel: »Die Kriegssozialisierungen in Belgien«, / worin »die rechtmäßige Verteilung« verschiedener Getreidearten besprochen wird; ferner wurde der Ein- und Verkauf gewisser Produkte sozialisiert, Höchstpreise wurden festgesetzt, und auch unsere uns heute so vertraut erscheinende Brotkarte ist / ein Stück Sozialismus.
Wir stehen in einer Wirtschaftsepoche, welche alle Merkmale des Überganges zu einer anderen trägt und tragen muß, / wie uns dieser Weltkrieg aufs blutigste bewiesen hat. Zeugung und Ernährung, der Hunger und die Liebe, stehen in ihren Wirkungen aufeinander und in ihren Wirkungen auf die Gesellschaft im engsten Kausalnexus.
Und ist eine der schwersten Entartungen unserer Zivilisation die Anarchie des Geschlechtslebens, so ist die andere schwere Entartung / die Möglichkeit des Elends.
Wenn wir vermeiden wollen, daß jemals wieder ein solcher Blutozean über die Welt kommt, wie jetzt, / so müssen wir das Elend aus der Welt schaffen.
Die pazifistischen Theorien sind bisher in der Praxis fast ohne Wirkung geblieben. Warum? Nicht etwa, weil für sie das Verständnis fehlt, sondern / weil ihnen der Boden der Tatsachen fehlt: eine Gesellschaft, in der jeder satt wird. Dieser Krieg ist nicht bloß durch aktuell-politische Gründe bzw. durch gegenseitige Bezichtigung der Staaten, wer schuld sei und »wer angefangen hat«, zu erklären. Dieser Krieg ist nicht entstanden, »weil England«, und nicht weil Deutschland, und nicht weil Rußland und nicht, weil Österreich-Ungarn und auch nicht nur »weil Serbien«, sondern dieser Krieg ist, wie jeder Krieg, deshalb entstanden, weil in einer bestimmten Kulturzone, (in diesem Fall in Europa), nicht mehr genug Nahrungsspielraum vorhanden war. Deutschlands und Österreich-Ungarns Diplomaten haben gar nicht so schlecht gearbeitet, wie ihnen immer vorgeworfen wird. Das beweist das glänzend geglückte Bündnis mit der Türkei; die weite und mächtige muselmanische Welt gewonnen zu haben, ist wahrlich mehr wert, als ein Not- und Scheinbund mit dem italienischen Verräter. Nicht die Diplomaten sind an dem Ausbruch schuld und nicht die verhetzten Völker, und nicht unmittelbar die Regierungen. Wilhelm II. hat wahrlich das Menschenmöglichste getan, die Katastrophe abzuwenden. »Schuld«, vielmehr Ursache war für die für alle europäischen Staaten zu gering gewordene Expansionssphäre, die Unmöglichkeit, die Völker des überfüllten Erdteiles satt zu machen, ohne gegenseitige Übergriffe und ohne daß ein Mensch dem andern und ein Volk dem andern gegenseitig die Lebensadern abzuschnüren sucht, / einer den andern an den Abgrund drängt.
Wo aber nicht mehr genügend Nahrungsspielraum ist, da müssen schließlich die Völker über die Grenzen gejagt werden, da muß ein Bestreben nach dem rücksichtslosesten Erwerb von Kolonien einsetzen, da kommt es zum Wettkampf über die Beherrschung der Meere, / da entsteht der Krieg.
Und darum sei hier auf eine große Gefahr aufmerksam gemacht, die sich nach dem Krieg ergeben wird. Nach dem Krieg wird man nach unbegrenzter Volksvermehrung schreien, ja man tut es schon jetzt, um die großen Verluste zu ersetzen. Demgegenüber ist zu sagen, daß das Leben sich bei einem Volk von 65 Millionen, ganz von selbst, ohne gepeitscht zu werden, und zwar innerhalb der monogamen Einehe, so reichlich vermehrt bzw. vermehren kann, und unter gesunden Verhältnissen vermehren wird, daß in wenigen Jahren das Verlorene numerisch wieder da ist Ich verweise auf die Veröffentlichungen der Statistischen Korrespondenz siehe die Fußnote 3 auf Seite 163.. Eine Hetze zu übertriebener Volksvermehrung würde aber die Folge haben, daß spätestens die nächste Generation / wieder einen Weltkrieg hätte. Wenn wir dauernden Frieden wollen, so müssen wir endlich planmäßig genügenden Nahrungsspielraum schaffen, damit wir wirklich sagen können, wenn ein Volk das andere angreift:
»Raum für alle hat die Erde,
»Was verfolgst du meine Herde!«
Wir müssen die Menschen unabhängig machen vom Kapital und das Elend bannen, durch eine immer durchgreifendere und immer großzügigere Sozial-, Kolonial- und Geburtenpolitik. Auf dieser Grundlage sind dann zwischenstaatliche Organisationen, im Sinne eines national-ökonomischen fundierten Pazifismus, anzustreben. Niemals aber werden pazifistische Theorien, mögen sie noch so überzeugend die Schädlichkeit und Barbarei und das Unglück des Krieges erweisen, / den Weltfrieden sichern, wenn nicht die volkswirtschaftlichen Verhältnisse einer bestimmten Kulturzone so eingerichtet sind, daß die Völker und die Einzelmenschen innerhalb ihrer Staaten ihre Existenz erhalten können.
Daß die Explosion gerade in Serbien erfolgte, zeigt deutlich, wo die wirkliche Wurzel der Kriege überhaupt zu suchen ist. Die Abschnürung der wirtschaftlichen Lebensader war es, die zur höchsten Erbitterung führte und sich schließlich in dem unheilvollen Attentat entlud …
Nur wenn der soziale Ausgleich erfolgt ist, wird es keine mit unbegrenzter Machtbefugnis ausgestattete Oberschicht, die über Leben und Schicksal von Millionen Menschen, über ihre Köpfe weg, verfügen kann, mehr geben. Die Abgrabung der ungerechtfertigten Übermacht bestimmter Gruppen / hat den wirtschaftlichen Ausgleich als Voraussetzung. Kriege wird es nur dann nicht mehr geben / weder werden sie »entstehen« noch »in Szene gesetzt« werden können, / wenn kein Mensch an Kriegen mehr interessiert ist, wenn kein Mensch sich durch sie bereichern kann; wenn also / der soziale Ausgleich geschaffen ist, und eine übermächtige Oberklasse und übermäßige Besitzanhäufung bei Einzelnen / nicht mehr existiert. Hier / an alles das, was diesen Ausgleich herbeiführen will, / muß der Pazifismus Anschluß suchen, wenn er jemals zur Wirkung gelangen soll. Der Mangel an Kontakt mit der sozialen Frage und an Stellungnahme zum Kapitalismus ist das erste, was einem bei der pazifistischen Literatur und Bewegung auffällt. Hier muß frisches Blut einströmen und, vor allem, deutliche Bewußtheit über die Zusammenhänge zwischen Krieg, Nähr- und Machtfragen. Gewiß, die Nährfrage zu lösen oder ihre Lösung anzubahnen, / das ist umständlicher, als eine theoretische Propaganda gegen den Krieg. Aber ebensowenig, wie man Elementarkatastrophen mit Theorien aufhalten kann, /ebensowenig / Kriege. Die Ursachen und Möglichkeiten, die den Krieg herbeiführen / die muß man aus der Welt schaffen. Dann wird der Krieg nicht »entstehen« Als ein Bruchstück aus diesem Abschnitt im »Zeitgeist« des »Berliner Tageblattes« erschien, Ende November 1915, folgte im Januar dieses Jahres ein Angriff in der »Friedenswarte«. Der Herausgeber, der von mir geschätzte Dr. Alfred H. Fried, der mich jahrelang gebeten hatte, mein Interesse und meinen »Blick« dem Pazifismus zuzuwenden, war anscheinend ungehalten darüber, daß ich, als ich es tat, gleich auf den ersten Blick / sofort / die schwache Stelle des Pazifismus / so wie er gegenwärtig arbeitet / erkannte. In seinem Kriegstagebuch in der »Friedenswarte« vom Januar 1916 bezeichnet er meine Ansicht als »grundfalsch« und meint (wörtlich): »Um den Futterplatz braucht man heute nicht mehr Krieg zu führen, wo Eisenbahnen und Dampfschiffe die gesamte Erdoberfläche den entferntest angesiedelten Bewohnern nutzbar machen«. Es wird also die erstaunliche Meinung ausgesprochen, daß, weil es Eisenbahnen gibt, der Kampf um den Futterplatz aufgehoben sei! // Das Erstaunlichste ist, daß das im »Zeitgeist« erschienene Bruchstück, das nach seinem Erscheinen in der »Friedenswarte« als »grundfalsch« bezeichnet wurde, vorher / vom Herausgeber für die »Friedenswarte« akzeptiert und dort zur Vorveröffentlichung bestimmt war. Auf meine Bitte sah er zugunsten des »Zeitgeistes« davon ab, behielt aber das Manuskript zurück. Ich meinesteils halte es für »grundfalsch«, den Mangel an Nahrungsspielraum, den die Fortschritte der Technik nur verschärft haben und die Tatsache, daß sich kriegerische Verwicklungen daraus ergeben, zu bestreiten. Das ganze nachfolgende Kapitel über das Bevölkerungsproblem wird die Nährfrage im Zusammenhang mit der Gebärfrage untersuchen..
Die Kolonisierung fremder Erdstriche, zwecks Ausbreitung der Rasse, hat nur Sinn, wenn es sich um fruchtbare, gesunde Erdstriche handelt, in denen die Rasse gedeihen kann; Erdstriche, die zur Kolonisierung verlocken, / nicht aber Sandsteppen oder Eismeerufer, die kolonisiert werden müssen, / weil die Menschen zu Hause keine Nahrung, d. h. keinen Erwerb mehr finden! An die unwirtlichste Küste der Welt, an die Murmanküste am nördlichen Eismeer, / ohne jede Vegetation, wird soeben eine Bahn hingebaut und zwar von unseren Gefangenen in Rußland / für Rußland. Ist das auch Kolonialpolitik?
Die Begriffe »Nahrung« und »Arbeit« bekamen durch den Krieg eine Bedeutung selbst für die, deren Begriffsschatz sie vorher niemals belastet hatten. Das Wort »Nahrungsspielraum« ist hier nicht etwa im Sinne von Malthus gebraucht, wenigstens nicht unter den Malthusschen Voraussetzungen. Der Malthusianismus als solcher ist tot. Das ist allbekannt. Und auch der Neo- oder Neumalthusianismus, (der sich von Malthusianismus in verschiedenen Kardinalpunkten unterscheidet), der aber in der Praxis in der ganzen Kulturwelt eine entscheidende Rolle spielt und sich im Geburtenrückgang ausdrückt, braucht als nichts anderes angesehen zu werden, denn als ein Provisorium, ein Notausgang, den der Einzelne für sich allein findet. Das, was die blutigen Krisen heraufbeschwört, die generativen Krisen, die einerseits die Erzeugung des Lebens verhindern bzw. beschränken und andererseits die Ausrottung des Lebens durch Elend und durch Kriege »unvermeidlich und naturnotwendig« machen, / das ist der Mangel an sozialem Nahrungsspielraum. An natürlichem Nahrungsspielraum mangelt es nicht, denn die Erde hat noch Raum, Nährwerte, Produktionsstoffe und Reichtümer aller Art genug / für alle. Aber / »der Reichtum ergibt sich nicht aus dem Besitz von Edelmetallen oder irgendeiner anderen Ware, sondern aus der Anpassung des Erdballs für die Bedürfnisse der Menschheit« J. Novicow: »Der Krieg und seine angeblichen Wohltaten« mit einem Vorwort und ins Deutsche übersetzt von Dr. Alfred H. Fried, 2. verbesserte Auflage, Verlag Art. Institut Orell Füssli, Zürich.. Daß Deutschland viermal so viel Menschen ernähren könnte, als es hat, / dieser Konjunktiv ändert keinen Deut an der Tatsache, daß es in Deutschland, ebenso wie in allen anderen europäischen Staaten, eine Riesenanzahl von Menschen schon jetzt gibt, die nicht ernährt werden, weil sie nicht genügende und nicht genügend bezahlte, dauernde und regelmäßige Arbeit finden und unter den obwaltenden Wirtschaftsprinzipien nicht finden können, daher nicht ernährt werden können, wenigstens nicht auf menschenwürdige Art, daher auch ihre Nachkommenschaft entweder unterdrücken oder dem Frühtod verfallen lassen müssen und so zu der von Goldscheid so trefflich zubenannten »unfruchtbaren Fruchtbarkeit« verdammt sind. Man muß daher diese Prinzipien ändern. Der »Banditismus« und der »Raubhandel im Staat« Staudinger: »Kulturgrundlagen der Politik«. Verlag Eugen Diederichs, Jena. und unter den Völkern, / der erzeugt das Elend, der erzeugt die Beschränkungen generativer Art, die sich im Fallen der Geburtenrate ausdrücken, / der erzeugt die Kriege.
Alle theoretischen Bestreitungen eines Mangels an Nahrungsspielraum sind absolut müßig, / solange es Elend gibt. Und daß es Elend gibt, schweres, unleugbares Elend, kann von keiner Theorie bestritten werden. Und für die Menschen, die im Elend sind, gibt es doch offenkundigster Weise innerhalb der Gesellschaft, in der sie leben, keinen genügenden Nahrungsspielraum. An dieser Tatsache kann keinerlei Theorie im Konjunktiv etwas ändern. Es heißt: positive Formeln finden. Und die, die ich hier gebe, lautet:
Die fortgesetzte prinzipielle Mißachtung wirtschaftlicher und generativer Nöte führt, als letzte Konsequenz, immer wieder / zur Entstehung von Kriegen.
Auch scheinbare Gegenargumente in positiver Form ändern nichts an dieser Tatsache, daß es wirtschaftliche und generative Nöte schwerster Art in Deutschland und den anderen europäischen Staaten gibt. Ein Argument, daß man bei Kongressen zum Bevölkerungsproblem vielfach hört und worin der Bedarf an Menschen ausgedrückt werden soll, lautet: »Deutschland importiert Menschen. Wir haben eine Million Fremdländische bei uns.« Darauf ist zu erwidern: erstens ist eine Million gar nichts, bei einem Volk von 65 Millionen. Wir importieren Menschen als Saisonarbeiter, z. B. während der Ernte das sog. Sachsengängertum, welches nach der Ernte wieder abwandert, weil auch auf dem Lande kein Nahrungsspielraum das ganze Jahr über ist, / daher die Landflucht. Was ein Forscher von den alten Germanen sagt, gilt auch für die heute auf dem Lande und zum Teil auch für die in der Industrie beschäftigte Bevölkerung: »Schon zur Zeit des Arminius waren die Germanen seßhaft, trieben Ackerbau und hatten feste Ordnungen für Ehe und Recht; aber der Tag verzehrte den Erwerb, es wurden noch nicht erhebliche Arbeitsresultate in Besserung des Ackers, in Straßen und Häusern angesammelt.« Wie heute noch nicht, von der Masse. »Deshalb löste sich das Volk noch leicht vom Lande, wenn irgendein Anstoß dazu trat.« Ganz wie heute noch. Im übrigen wird ein Kulturstaat ersten Ranges immer einen gewissen Bruchteil Fremder anlocken, die hier ihr Glück versuchen wollen, weil es ihnen anderwärts eben noch schlechter geht. Ein entsprechender Bruchteil Deutscher wandert auch wieder aus, / während eine Auswanderung wie Ungarn, / nächst Rußland das reichste Getreideland Europas, / sie hat, / ein schlagender Beweis eben für die schlechte »Verteilung« ist, die den Mangel an Nahrungsspielraum selbst in den fruchtbarsten Zonen zur Tatsache macht. Rußland ist unterbevölkert, und hat, aus ebendemselben Grund, / mangelnden Nahrungsspielraum. Deutschlands Fremdenimportierung ist als nichts anderes denn als eine Art sozialen Fremdenverkehrs, / wie ich es nennen möchte, / anzusehen. Sie bedeutet aber nicht die dauernde Importierung, Ansiedelung fremder Elemente, in statistisch belangvoller Quantität. Und wenn sich heute sogar zehn Millionen Chinesen hier würden dauernd ansiedeln wollen, so würden sie das sogar dauernd können, denn der Kapitalismus würde sie sehr gerne / als Lohndrücker / akzeptieren. Daß wir sie hier dann füttern würden, bewiese nur, / daß es anderwärts noch weniger Nahrungsspielraum gibt. Nicht Deutschland importiert Menschen, sondern / der Kapitalismus importiert sie, / aus guten Gründen. Gleichzeitig aber errichtet er Zollbarrikaden gegen Lebensmittel und Waren jeder Art. Nur der Mensch darf herein, / wenn er in Gestalt der billigen Arbeitskraft kommt, / zollfrei!
Ebenso wie ich die Geburtenbeschränkung ein Provisorium des Einzelnen nenne, mit dem er sich / wahrlich der Not gehorchend und nicht dem eigenen Triebe / (das Wort hat hier die buchstäblichste, physiologische Bedeutung) durch generelles Zurückweichen, durch Selbstbeschränkung in generativem Sinne, innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsform allein helfen kann, / ebenso nenne ich die Kriege: ein Provisorium der Völker, eine provisorische, anarchisch-wilde Art, den Streit um den Futterplatz zu entscheiden. Wenn diesen Streit eines Tages das Gehirn entschieden haben wird, wenn die Futterplätze so verteilt sind, daß alle Geborenen satt werden, / nur dann wird es keine sexuelle Krise und keine Kriege mehr geben. Jedes gesunde Weib wird dann Mutter werden können, einen Frauenüberschuß in der riesigen Zahl des heutigen, wird es, wenn nicht immer wieder die Kriege die Männer in Hekatomben »ausjäten« und zwar nach den »Gesetzen« der grauenvollsten Kontraselektion, die ausdenkbar ist, / nicht geben, und die Paniximie und Anarchie des Geschlechtslebens wird dadurch, daß kein überschüssiges, unversorgtes Frauenmaterial mehr da ist, eine sehr erhebliche Einschränkung erfahren. (Ihr volles Schwinden hängt noch von anderen Momenten ab, die in diesem Buche aufs gründlichste erörtert werden sollen.) Die Bevölkerungsquote, die der Krieg ausrottet, / die ist als solche zu ersetzen und zwar sehr schnell. Aber die Unordnung in der Geschlechterquote, die dadurch erzeugt wurde und wird, das seit vielen tausend Jahren immer wieder die Männer und zwar gerade auf der Höhe ihrer Zeugungsfähigkeit, in der sie als Partner für die Frauen in Frage kommen, »ausgejätet« werden, die ist nie und nimmer zu beheben, solange eben diese Ausrottungen der Mannheit in Massen, von 30 zu 40 Jahren oder in kürzeren Intervallen fortgesetzt werden. Denn der Nachschub an Geburten verteilt sich ja immer wieder auf beide Geschlechter, und trotzdem sogar mehr Knaben als Mädchen geboren werden, dank einer mitleidigen Regung der Natur, sind diese Verluste der spezifisch männlichen Geschlechtsrate, die jeweils durch Kriege eliminiert wird, eben nicht zu ersetzen, und der Frauenüberschuß, der das Hauptsymptom der sexuellen Krise ist, der den verkehrten Werbekampf erzeugt und der Prostitution eine gigantische Ausdehnung gibt, wächst / in alle Zeiten.
Das Verständnis des Sexualproblems, welches das Problem der Zeugung und das Bevölkerungsproblem und damit das Nahrungsproblem in sich begreift, ist unlöslich verknüpft mit jeder Betrachtung und jeder Möglichkeit der Lösung der sozialen Frage. Nur deren richtige Lösung aber wird jemals den krassesten Atavismus der Menschheit / den Krieg / aus der Welt schaffen. Unberechtigte Kriege entstehen aus der berechtigten Unzufriedenheit der Menschen. In den untauglichen Versuchen, mit Gewalt eine Veränderung und Lösung herbeizuführen, entlädt sich, fast gegen den Willen aller, endlich diese Unzufriedenheit eruptiv / im Krieg.
Aage Madelung bezeichnete in seinem Berliner Kriegsvortrag 9. Oktober 1915. den Krieg als »unvermeidlich« und »naturgemäß«. Ich halte ihn für vermeidlich in einer geordneten Gesellschaft und für / naturgemäß / in einer ungeordneten. Die Völker, deren Menschen in ihren fundamentalsten Bedürfnissen nicht darben, / in ihren generativen und in ihren Nahrungsbedürfnissen, / werden keine Kriege mehr führen.
Während der Einzelne die katastrophalen Folgen örtlicher Übervölkerung in grausamer Weise zu spüren bekommt, beklagt der Staat das Sinken der Geburtenziffer und bekämpft den Geburtenrückgang mit allen tauglichen und untauglichen Mitteln. Über die tatsächlichen Folgen örtlicher Übervölkerung gibt uns jeder Blick ins Leben und jede einschlägige Schrift genaue Auskunft. Die Reihenfolge, in der z. B. Gräfin Gisella von Streitberg in ihrer Broschüre »Die Bevölkerungsfrage in weiblicher Beurteilung« Verlag Felix Dietrich, Gautzsch bei Leipzig 1908. diese schädlichsten Folgen aufzählt, erfaßte einige der typischen Übel, die sich aus dem verringerten Nahrungsspielraum, der im Industriestaat heute gegeben ist, ergeben: die Wohnungsteuerung und Wohnungsnot, die Obdachlosigkeit, die vermehrte Sterblichkeit in den Großstädten, Kinderelend und Degeneration, die sittliche Verwahrlosung und die Zunahme des Verbrechertums, die große Ausbreitung des Bettler- und Vagabundentums, die Belastung der öffentlichen Armenpflege, der dauernde Notstand der Arbeitslosigkeit, der allgemeine Konkurrenzkampf bis ans Messer, mit seiner Unterbietung der Löhne, bei immer höherer Teuerung, die schon die gewöhnlichsten Nahrungsmittel zu Kostbarkeiten macht, die Massenauswanderung aus den übervölkerten Ländern Europas.
Tatsache ist, daß die dichtest bevölkerten Staaten doch sehr kulturarme Länder sein können, wie Indien und China, und daß es »weit mehr auf die physische, geistige und moralische Beschaffenheit eines Volkes ankommt Dr. John Mez: »Die Bevölkerungsbewegung im Deutschen Reiche«, Dokumente des Fortschritts..« Auch wo die Ehen häufiger und früher geschlossen werden, sinkt die Geburtenziffer dennoch in allen Kulturstaaten ständig; im Deutschen Reich aber nimmt zudem die Zahl der Heiraten ab und die der Ehescheidungen und der Ehelosen ständig zu. Mit Tabellen beabsichtige ich dieses Werk nicht zu belasten; sie finden sich in nahezu allen der hier zitierten einschlägigen Fachschriften, sowie in den statistischen Jahrbüchern. Ständig im Steigen begriffen ist bei uns nur die Zahl der unehelichen Geburten. In Berlin betrug sie 1909 20%. Der Rückgang der ehelichen Geburtenziffer wird in unserem Jahrhundert der Hygiene und in unserem Kulturstaat der Hygiene durch das Sinken der Sterbeziffer bis zu einer gewissen Grenze ausgeglichen. Während noch in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts jährlich etwa 29 von je 1000 Personen starben, kamen 1909 nur 18,1 Sterbefälle auf 1000. Die Sterbeziffer wurde also etwa von 30 auf 18 in drei Jahrzehnten her abgedrückt, und dies bei uns, die wir in diesem Punkt hinter anderen Kulturländern noch zurückstehen, z. B. hinter Skandinavien. Eine gewisse Gefahr besteht nur darin, daß ein wesentliches Weitersinken der Sterbeziffer nicht zu erwarten ist, wohl aber die Heiratsziffer und die Geburtenzahl immer noch tiefer fallen können. Darum fordern fast alle Autoren auf diesem Gebiete, als Prophylaxis, die Beseitigung der ständigen Verteuerung der Lebensmittel und weisen darauf hin, daß die Militärdienstpflicht die Existenzbedingungen und damit auch die Heiratsmöglichkeit der erwachsenen männlichen Jugend stark beeinträchtigt. Dr. Mez fordert deren Abkürzung, ebenso wie die Verminderung der Rüstungsauslagen, die die Lebensmittel und die Löhne immer mehr verteuern; ferner eine gesunde Boden- und Wohnungspolitik, Erleichterung der Eheschließung, Gewährung gewisser Erleichterungen für kinderreiche Familien, kurz alle die schon durch die gesamte Bewegung auf diesem Gebiete bekannten Reformen.
Vor dem Weltkriege würden diese allen Kulturfreundlichen wohlbekannten Reform vorschlage wohl mit allgemeiner Zustimmung bei dem Publikum, das die Gesinnung des Verfassers teilt, aufgenommen worden sein, heute, nach dem Kriege, stocken aber selbst die bisher in diesem Punkte sehr »Radikalen«, wenn eine Herabsetzung der militärischen Dienstpflicht und eine Verminderung der Rüstungsauslagen verlangt wird. Denn wir haben inzwischen »erfahren« und zwar recht gründlich und eindringlich, daß wir von der Wehrfähigkeit und von der möglichst vollkommenen Rüstung »einigermaßen« abhängen. Tatsächlich werden die Rüstungsauslagen im allgemeinen von den antimilitärisch gesinnten Vertretern kultureller Reformbewegungen überschätzt. Denn: diese Ausgaben sind bedeutend geringer, als die für den jährlichen Verbrauch an alkoholischen Getränken im Deutschen Reich und als die gesamten Kosten der Arbeiterversicherungen. 1912 betrug der jährliche Verbrauch an alkoholischen Getränken im Deutschen Reich 2 Milliarden 800 Millionen M., die Gesamtkosten der Arbeiterversicherung 957 Millionen M., die laufenden Unkosten für Heer und Marine (ohne einmalige Ausgaben) 870 Millionen M., die für öffentliche Volksschulen 420 Millionen M. Die Bekämpfung des Alkoholismus gehört also mindestens mit in die erste Reihe aller Reformvorschläge, die dem Pauperismus entgegenarbeiten. Hingegen kann ich, auch nach dem Kriege, nicht anders, als dem Verfasser in seinem Satz »Forderung der Herabsetzung der militärischen Dienstpflicht« beistimmen. Und gerade dieser Weltbrand des Krieges, in dem jeder einzelne Mann, der nicht völlig untauglich war oder ganz jenseits des wehrfähigen Alters stand, hineingetrieben wurde in ein oft sehr unfreiwilliges Märtyrer- und Heldentum, hat die These, die Popper-Lynkeus in allen seinen Werken vertritt, nämlich die: daß es eine Kultur auf gäbe der Welt ist, in allen Staaten den freiwilligen Kriegsdienst einzuführen, in mir bestätigt. Jeder hat das Recht und soll es haben, zum Helden und Märtyrer für seine eigenen Ideale zu werden, aber niemand soll gezwungen sein, als Märtyrer für die Ideale anderer unfreiwillig zu sterben. So ungefähr formuliert es Popper und trifft damit das fundamentalste Rechtsgefühl im Kern. Wenn es nur freiwilligen Kriegsdienst, infolge einer Organisierung der Welt in diesem Sinne, in allen Staaten gäbe, dann wären solche Weltkatastrophen wie dieser Krieg überhaupt unmöglich. Wohl würde Deutschland, nach wie vor, Millionen Kriegsfreiwilliger zu stellen haben, weil der Deutsche sein Vaterland, mit Recht, liebt und mit Recht heroisch verteidigt, nimmermehr aber würden in Staaten, die in Wahrheit barbarisch zu nennen sind, weil Elend, Armut und Unwissenheit dort mit Absicht erhalten werden, sich freiwillige Riesenheere zum Kriegsdienst stellen. Weder Rußland noch Italien könnten bei freiwilligem Kriegsdienst Kriege führen. England und Frankreich allein, würden sich schwer hüten, dann eine Nation, wie es die deutsche ist, die allerdings auch bei freiwilligem Kriegsdienst ein begeistertes Riesenheer stellen könnte, zu überfallen. Die Dimensionen des furchtbaren Weltgerichtes würden also zum mindesten sehr eingeschränkt, und durch die Einführung des internationalen, nur freiwilligen Kriegsdienstes könnte Deutschland nur gewinnen.
Den Geburtenrückgang gewaltsam hintanhalten zu wollen, ist ein aussichtsloses Bemühen. Die »sexuelle Überbürdung« der Proletarierfrau, wie Max Marcuse es genannt hat, steigert nämlich keineswegs den Geburtenüberschuß, sondern hilft nur die Friedhöfe füllen. In je höherem Maße die generative Pflicht erfüllt wird, desto tiefer sinkt die Lebenshaltung der Familie im Industriestaat. Im Agrarstaat, wo die Familie auf der nährenden Scholle saß, war es möglich, viele Kinder großzuziehen, im Industriestaat ist es, für Arme, / unmöglich. Die Leidensgeschichten der im Elend geborenen Kinder und ihrer unseligen Mütter füllen fast täglich die Spalten der Zeitungen und die Auskunftsbogen der Behörden und Fürsorgestellen. Die Nahrungs- und besonders die Wohnungsnot kinderreicher Familien widerlegt jeden Appell an ihren Fortpflanzungseifer. Fast lächerlich erscheint es, da noch Beispiele aufzuzählen, wie sie das Leben tagtäglich liefert. Der Postamtsdiener Molnar in Budapest durchschnitt seinen fünf Kindern den Hals mit einem Rasiermesser und brachte sich dann selbst tödliche Verletzungen bei; als die Frau die Wohnung betrat, wurde sie wahnsinnig. In einem nachgelassenen Schreiben gab Molnar als Grund seiner Tat an, daß er seine Familie mit einem Monatsgehalt von 60 Kronen nicht erhalten könne. Oder ein junger, tüchtiger Arzt vergiftet sich, / weil er keine Praxis findet!
Nur in einer Gesellschaft, die jedem Menschen Nahrung und Arbeit unter menschenwürdigen Bedingungen verbürgt, wird es kein Verbrechen sein, dem Fortpflanzungstrieb freien Spielraum zu lassen.
Die wirtschaftlich Schwachen der kapitalistischen Gesellschaft sind durchaus nicht zu identifizieren mit den organisch Schwachen, wohl aber werden durch den heutigen ökonomischen Zustand Bedingungen geschaffen, die zur Organzerstörung ursprünglich organisch Starker führen, also Minderwertige im biologischen Sinne künstlich, gewaltsam und massenhaft erzeugen. Die Ansicht oder der fromme Glaube, daß das »Tüchtige« sich auf alle Fälle »durchsetze«, fällt diesen Tatsachen gegenüber in nichts zusammen. Gewiß, das Tüchtige wird vielleicht auch unter erschwerenden Bedingungen sein Leben eher erhalten, als das Untüchtige. Es ist aber mit ein Kriterium der Tüchtigkeit und der Anpassungsfähigkeit an die gegebenen Tatsachen, wenn man sich, in diesem Daseinskampf, einer überreichen Fortpflanzung enthält. Nur der, der in diesem Punkt einigermaßen Entsagung übt und damit ein sehr hohes Kriterium von »Anpassung« liefert, wird sich vielleicht, bei persönlicher Tüchtigkeit, und / wenn er / Glück hat! / erhalten. Eine große Schar von Kindern wird er aber nur dann großziehen, wenn er neben seiner Tüchtigkeit, ganz besonderes Glück hat, ein Begriff, der freilich nicht in eine biologisch rationelle Weltanschauung hineinpaßt, nichtsdestoweniger aber die Schicksale bestimmt.
Am meisten wird unter den Vielgeburten immer das jüngst geborene Kind leiden, das nicht genügend lang die nötige Pflege genießen kann, da auch die Milchproduktion der Mutter durch die neue Schwangerschaft nachläßt. Die oberflächliche Übersetzung des Darwinschen Ausdruckes: the fittest, hat in der exakten Wissenschaft viel Unheil angerichtet. The fittest ist nicht etwa mit »das Beste« zu übersetzen, sondern mit »das Tauglichste«, das »Anpassungsfähigste«, das, was am ehesten Kompromisse schließt, / also nicht das Charaktervollste!
Mutterschaft soll nicht erzwungen, sondern, unter Umständen, die sie wertvoll erscheinen lassen, / begünstigt werden. Eine Überproduktion an Kindern, ohne jede Auslese des Materials, schafft nur eine Elendsmasse, die dann, auf die grausamste Art, wieder »ausgejätet« wird. Gewiß, die militärisch notwendige Defensive braucht Menschen, aber wenn in allen Staaten die Heere kleiner werden, so scheint mir das kein Unglück. Sehr richtig bemerkt Hans Leuß »Die Welt am Montag«. 8.7.1912, »daß Adam und Eva auch ohne den besonderen Befehl, seid fruchtbar und mehret euch, Kinder erzeugt haben würden, die Natur selbst hat bekanntlich dafür gesorgt, daß die Menschheit in dieser Hinsicht ihre Schuldigkeit tut«. Aber Kindererzeugung, die zum Kindermord führt, hat keinen Sinn und Wert. Verfasser führt aus, daß an schlechter Ernährung alljährlich über hunderttausend Kinder, allein in Preußen, zugrunde gehen, und zwar auf dem Lande mehr, als in den Städten. Eine Tatsache, die überraschend klingt. In Westpreußen, wo die Geburtenzahl am höchsten ist, stirbt der fünfte Teil aller Kinder im ersten Lebensjahr. Verfasser kommt zu dem Schluß, daß, solange in vielen Gegenden ein Fünftel der Kinder mangels genügender Ernährung stirbt, / noch immer zuviel Kinder geboren werden.
Es ist bekannt, daß eine Unmenge von deutschen, unehelichen Kindern, besonders aus Elsaß-Lothringen, an das Findelhaus in Paris geliefert werden. Um diese Kinderausfuhr wirksam zu unterbinden, gibt es nur ein Mittel: auch in Deutschland Findelhäuser zu schaffen. Eine Lehrerwitwe, die neun Kinder mit Mantelnähen erhalten sollte, stiehlt ein Kleidungsstück für ihr frierendes Kind und bekommt einen Monat Gefängnis, einen Monat, indem sie ihren neun Kindern entzogen ist! Wenn der Staat diese Lehrersfrau gratis mit Mitteln der Konzeptionsverhütung versorgt hätte, so hätte er besser getan, als wenn er sie neun Kinder erzeugen läßt, um Arie einzige, schwache Frau dazu zu verurteilen, ihre Hungeragonie vor Augen zu sehen. Der Staat gibt ja auch nur so viel Papiergeld aus, als Deckung dafür in Gold da ist. Ebenso dürften nur soviel Menschen, in leicht festzusetzenden Quoten, auf die einzelne Frau »kommen«, als Nährstellen für sie vorhanden sind. Da zudem die freiwillige Gebärleistung ständig zunimmt, nämlich die uneheliche Fruchtbarkeit, die besonders auf den sog. Fruchtbarkeitstafeln, die für Berlin von dem Altmeister der Statistik, Richard Boeckh und von dem Direktor des Schöneberger Statistischen Amtes, Dr. R. Kuczynski, einwandfrei aufgestellt wurden, so ergibt sich die Konsequenz, daß man diese Tatsache in die Berechnung der Geburtenquote einbeziehen muß, von selbst.
Den Untergang einer Offiziersfamilie nach dem dritten Kind hat Helene von Mühlau in ihrem gleichnamigen Roman überzeugend dargelegt »Nach dem dritten Kinde«. Verlag Egon Fleischel & Co., Berlin.. Zur sicheren Katastrophe aber muß die Gebart eines Kindes dort werden, wo der Unterhalt der Familie mit von der Arbeitsleistung der Frau abhängt, vom Mann allein nicht bestritten werden kann und wo, durch die Geburt, die Frau für längere Zeit oder für immer arbeitsunfähig wird. Gewiß ist in dieser Tatsache der rationelle Kern gewisser Eheverbote von Staatsbeamtinnen zu erkennen; so unnatürlich und grausam diese Verbote uns auch erscheinen und es im natürlichsten Sinne sind, so beruhen sie doch eben auf einer richtigen Schlußfolgerung, weil der Staat ganz richtig sagt: du sollst dich nur dann zur Mutter machen lassen, wenn der Mann, mit dem du geschlechtlich lebst, dich erhalten kann und will und alle rechtlichen und wirtschaftlichen Sicherungen für dich trifft. Denn wenn die Beamtin oder Lehrerin, mit einem Einkommen rechnend in die Ehe geht, welches sie, bei natürlicher Fruchtbarkeit, wieder verliert, weil sie in diesem Falle nicht außerhäuslichen Dienst machen kann, so beruht diese Familiengründung auf einer falschen Berechnung, zumeist sogar auf einem Betrug, dem Manne gegenüber, dem dann eine Last aufgebürdet wird, über deren Schwere man ihn hinweggetäuscht hat. In Österreich und in Italien sind diese Heiratsverbote zum Teil aufgehoben worden. Man hat es im Interesse natürlicher Wünsche der Beteiligten begrüßt. Die Erfahrungen indessen, die in diesen Ehen gemacht wurden, bleiben abzuwarten und liefern noch kein wissenschaftlich zu bearbeitendes Material. Wahrscheinlich wird in den meisten Fällen der Ausweg des Neomalthusianismus gewählt. Und es ist dagegen nichts einzuwenden, da ja diese Mädchen, wenn sie ehelos und ohne Geschlechtsverkehr in ihren Ämtern verblieben wären, auch der Gesellschaft keinen Nachwuchs hätten schenken können.
Vielfach bekommt man aber auch aus der Praxis die Erfahrung, daß diese Mädchen, die sich früher als Beamtinnen allein ernähren mußten und die im Hinblick auf die wirtschaftliche Beihilfe einen Mann zur Ehe bereitwillig machten, sehr schnell den Beruf von selbst aufgeben und dem Mann die Sorge für die Familie allein überlassen. Auch in anderen Berufen wird dieser Trick geübt. Ein intelligenter Beamter, mit starken Kulturbedürfnissen, heiratete eine Dame, die ein erstklassiges Modeatelier besaß. Er ging diese Ehe ein, weil ihm das gemeinsame Einkommen eine auskömmliche Existenz verbürgte. Kaum war die Ehe geschlossen, so gab die Frau sofort den einträglichen Beruf auf und verlangte, daß der Hausstand, einschließlich ihrer persönlichen Bedürfnisse, von dem kleinen Einkommen des Mannes allein bestritten werden sollte. Der Mann fühlte sich betrogen, enttäuscht, ausgebeutet und überbürdet, und die Ehe gestaltete sich wenig glücklich, bis der Mann später in eine höhere Rang- und Einkommensstufe gelangte, wodurch sofort das Eheleben der Gatten sich besserte.
Die Lösung des Populationsproblems durch freiwillige Beschränkung der Fruchtbarkeit bedeutet keineswegs, wie J. Rutgers nachgewiesen hat, auch ein Sinken der zu stellenden Truppen, da unter eugenischen Verhältnissen eine größere Anzahl der männlichen Geborenen das wehrfähige Alter erreicht. In dem »entvölkerten« Frankreich, dem Lande, in dem der Präventivverkehr am häufigsten ist, erreichten im Jahre 1897 durchschnittlich 67% Kinder männlichen Geschlechtes das 20. Lebensjahr, in Belgien 25%, Italien 56%, in Deutschland 54% und in Rußland nur 49%. Gewiß kämpfen in Weltkriegen nicht Prozentsätze, sondern Bruttozahlen gegeneinander. Und darum wird, so lange der Krieg noch eine Möglichkeit der Kulturwelt bleibt, der Staat sein Interesse auf eine hohe Gesamtziffer richten.
Die Wettrüstung ist allerdings nicht etwas, was bis ins Unbegrenzte hinein sich auswachsen kann. Hier ist der Ausweg, / den die Pazifisten fordern, der durchaus richtige und der einzige, der alle Staaten vor unbegrenzten Opfern bewahren kann. Der Pazifismus vertritt durchaus nicht die Forderung nach vollkommener Abrüstung, wohl aber den Standpunkt: »der Weg zur Rüstungsverminderung führt über die Errichtung einer internationalen Ordnung« Dr. h. c. Alfred H. Fried, »Europäische Wiederherstellung«. Verlag Art. Institut Orell Füssli, Zürich 1915.. Damit ist gemeint, daß alle Staaten, zu ihrem eigenen Heil, genau so, wie sie andere internationale Abkommen treffen und einhalten, sich über das zulässige Maß der Rüstungen untereinander einigen, d. h. ein Maximum für ihre Rüstungen festlegen. »Warum die Kanonen und Torpedos heute noch wirksamer sind, als das Gebäude des Weltrechts im Haag, ist leicht erklärt: jene sind fertig und haben den Willen der Menschen noch für sich, dieses ist noch unfertig, es fehlt noch der Wille. An dem Tage, wo dieser vorhanden ist, wird die Haager Maschine ebenso genial und wirksam funktionieren, wie heute die Wunder der Kriegstechnik, und diese werden so stumm und machtlos daliegen, wie jetzt das Friedenshaus am holländischen Strande ebenda..« So sehr daher, unter den gegebenen Verhältnissen, auch eine unbeschränkte Bevölkerungsvermehrung, aus rein militärischen Gründen, notwendig scheint, so wird dennoch nicht dieser Standpunkt für alle Zeiten maßgebend sein. »Es geht nicht mehr an, daß alle Errungenschaften menschlichen Denkens nur der Artillerie zugute kommen. Die Menschheit hat noch andere Gebiete der Betätigung, deren Förderung ihr am Herzen liegt ebenda..« Defensive mit allen Mitteln, Kampfbereitschaft, in möglichst großer Zahl und in möglichst vollkommenster technischer Vollendung, das ist heute natürlich noch eine Lebensfrage für die Völker; aber durch internationale Organisation wird es doch wohl endlich dazu kommen, daß die höchsten Errungenschaften der Menschheit nicht nur dem Zweck der gegenseitigen Vernichtung dienstbar gemacht werden.
Gerade in der Bevölkerungsfrage wird der Konflikt zwischen den Tendenzen des Staates und jenen der Familie bzw. des Individuums zu einem unüberbrückbaren, der durch keinerlei Überzeugung von der Nützlichkeit der allgemeinen Vermehrung praktisch von den Einzelnen dahin gelöst werden wird, daß sie diese Vermehrung, um des Vaterlandes willen, persönlich besorgen, sofern nicht andererseits der Staat ihrer und ihrer Nachkommen Leben in jeder Hinsicht beschützt und ihnen für sich und die ihren den genügenden Nahrungsspielraum bietet. Bei den Arbeitern in Berlin verschlingt allein die Miete für die dürftigste Wohnung von einer Stube und Küche 25% des Gesamteinkommens. (25 M. monatlich). In solcher Behausung müssen dann noch Schlafburschen gehalten werden, ein Zustand, der natürlich der Tuberkulose, der »Proletarierkrankheit«, welcher ca. 50% der in den Krankenkassen organisierten Industriearbeiter zum Opfer fallen, sowie allen anderen Krankheiten und Entartungen, den Nährboden bietet. »Hierzu treten Jahr für Jahr die Kosten für das Neugeborene oder für den Todesfall oder für die Fehlgeburt. Wer hat an dieser Fruchtbarkeit ein Interesse? Die Familie? Deren Mutter jetzt an Schwindsucht zugrunde geht? Oder etwa der Staat? Bei fünf Verlustziffern auf acht Konzeptionen? Und werden dann die drei noch lebenden bei diesem häuslichen Elend Überlebende werden?« Dr. C. Hamburger. Der Staat hat an vielen Kindern allerdings ein Interesse, aber, wie Dr. Hamburger sehr richtig ausführt, nur an lebenden Kindern, die die Vollreife erreichen, nicht an toten. Man kann daher das Bemühen, die Fruchtbarkeit künstlich zu beschränken, auch rundweg mit dem Bemühen, vorzeitige Sterbefälle zu verhüten, identifizieren. Man kann dieses Bemühen nach Verminderung der natürlichen Fruchtbarkeit, sozusagen der wilden Fruchtbarkeit, daher nicht als ein lebensfeindliches, sondern im Gegenteil als ein lebenförderndes Prinzip ansehen, denn indem Eltern, anstatt einer großen Zahl siecher, organisch minderwertiger, dem Frühtode verfallener-Kinder ein zu kurzes Leben zu geben, die Geburtenzahl beschränken, sichern sie das Leben von zwei oder drei Kindern, die sie aufziehen können.
Ob nun der Industriestaat oder der Militärstaat auch Menschen in möglichst großer Zahl brauchen, so können sie sie am ehesten doch nur dann bekommen, wenn die Geburtenzahl dem Nahrungsspielraum entspricht. Jede Steigerung der Geburtenzahl treibt auch die Sterbeziffer prozentual und progressiv in die Höhe.
Wie sehr es, auch im Lebenskampf der Völker, auf die Qualität, gegenüber der Quantität, ankommt, haben die glorreichen Ergebnisse des Weltkrieges erwiesen, in dem sich zwei Staaten, Deutschland und Österreich-Ungarn, gegen eine nicht zu ermessende Übermacht sieghaft behaupteten. Die Qualität der deutschen und österreichisch-ungarischen Kriegführung hat die unermeßliche Menschenmasse, die der russische Koloß entsandte, immer wieder zurückgeworfen und sich daneben noch gegen acht andere feindliche Staaten an allen Grenzen behauptet, und mehr als das. Eines schlagenderen Beweises, daß es nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität ankommt, bedarf es nicht.
Interessant ist die von Dr. Hamburger angeführte Tatsache, daß, wie die Untersuchungen des Statistikers R. Boeckh ergeben haben, die Säuglingsernährung an der Mutterbrust nicht ausschlaggebend ist bei Verminderung oder Vermehrung der Kindersterblichkeit, sondern daß vielmehr in Berlin von dem Zeitpunkt an, von welchem ab das Stillen aus der Mode kam, die Kindersterblichkeit zurückging. »Wenn die Kindersterblichkeit trotzdem zurückging, so beweist das m. E. zwingend, daß die Mutterbrust, so wichtig sie ist, den Ausschlag nicht gibt, sondern daß dies andere Faktoren tun, vor allem die sozialen. Sieben Kinder kann eben die großstädtische Arbeiterfrau nicht großziehen. / Tut es die reiche?« In überhitzten überfüllten Wohnungen (z. B.) sterben die Säuglinge dahin, auch trotz der Brusternährung.
Trotz des vielbeklagten Geburtenrückganges verbessert sich, durch das Fortschreiten der Hygiene und der Sozialpolitik, andauernd der Geburten überschuß. 1870 betrug die Bevölkerung des Deutschen Reiches 40,8 Millionen, heute beträgt sie 65 Millionen. Ein Standpunkt, wie der von Dr. Franz Oppenheimer vertretene, daß die Bevölkerung überhaupt gar nicht dicht genug sein kann, würde, wenn er sich realisierte, das Leben unerträglich machen. Man muß sich nur das Gewimmel einer belebten Verkehrsstraße vor Augen halten und sich vorstellen, daß es immer und überall so wäre, daß der Einzelne gar kein Spatium mehr um sich herumziehen könnte und verurteilt wäre, sein ganzes Leben im Gedränge zu verbringen, / daß es überall so wäre, wie etwa in der Leipziger Straße in Berlin / wie es in den großen Städten Chinas tatsächlich ist, / um mit einem Instinkt, der konsequenter ist, wie jede Theorie, eine solche Perspektive abzulehnen.
Ein freigiebiger Storch erfreute die enge Portierswohnung der Eheleute Braun in Berlin 27mal in 26jähriger Ehe mit seinem Besuch. Allerdings wurden von dieser Kinderzahl 22 Stück durch den Frühtod wieder dahingerafft. Da hätte sich der Storch also nur fünfmal zu bemühen brauchen, um dasselbe Resultat und, höchstwahrscheinlich in viel besserer Qualität, zu erzielen.
Unter den Verhältnissen, die der Kapitalismus geschaffen hat, ist an eine reiche, natürliche Vermehrung der Menschen, vom Alter der sexuellen Vollreife an, nicht mehr zu denken. Denn welches ist das Einkommen eines jungen Mannes des Mittelstandes, der kostspielige akademische Studien hinter sich hat, im Alter von etwa 26 Jahren? Gewöhnlich ist er um diese Zeit überhaupt noch ohne Einnahme, läuft nach Volontärstellen und steigt auf einer Leiter von Hungergehältern langsam auf, bis er, so etwa im vierzigsten Jahr, vielleicht eine kleine Familie unter den bescheidensten bürgerlichen Verhältnissen von seinem Einkommen allein erhalten kann. Erst wenn das Elend ausgerottet sein wird, kann man, mit gutem Gewissen, zu einer stärkeren Vermehrung auffordern. Kindern das Leben geben, denen man nicht einmal das Nötigste bieten, geschweige denn sie gegen die grausamsten Zwischenfälle des Lebens sichern kann, werden immer nur die Skrupellosen. Wer die schauerlichen Berichte z. B. über das italienische Kinderelend liest, die furchtbaren Enthüllungen von Riccio, der das Elend der an die Glasfabriken verkauften Kinder darstellt, der wird schwerlich sich selbst zu vermehren wünschen, wenn er sein Kind vor solchem oder ähnlichen Elend nicht bewahren könnte. Den Raubbau, der mit menschlicher Lebenskraft heute getrieben wird, haben Gelehrte, wie Josef Popper-Lynkeus, Rudolf Goldscheid, Heinz Potthoff u. a., in ihren Untersuchungen dargetan. Raubbau mit menschlichen Zeugungskräften treiben in jedem Sinn, sei es, daß durch diesen »frechen Sport«, wie ein Gelehrter Prof. Dr. med. Jos. Kocks von der Universität Bonn. jeden unverantwortlichen Geschlechtsverkehr genannt hat, Leben in die Welt geschleudert wird, für welches keine genügende Vorsorge getroffen ist, / sei es, daß die wunderbare Naturkraft in geiler Orgie mißbraucht wird, anstatt bewahrt zu werden für die höchsten Augenblicke der vollkommenen Vereinigung zweier Menschen, / ist immer verhängnisvoll und bezeugt eine völlige Verkennung des Wesens der geschlechtlichen Moral.
Die Zuwachsrate im Deutschen Reich ist, trotz des Sinkens der absoluten Geburtenziffer, eine ganz enorme. Professor Dr. Wilhelm Stieda hat eine Flächenberechnung für das Deutsche Reich gegeben, wonach 1871 76 Menschen und 1911 schon 120 Menschen auf den Quadratkilometer nachgewiesen sind, einschließlich Seen und Sümpfen! Daß die ländliche Bevölkerung eine größere Regenerationskraft besitze, als eine industrielle, hält er für nicht erwiesen, und »eine Garantie, daß das Mehr an Geborenen, das man sich wünscht, der Landwirtschaft zuwächst, ist schlechterdings nicht gegeben.« In Petersburg wurde eine Engelmacherin verhaftet, die im Laufe von 35 Jahren über 1000 Kinder umgebracht hat. Eine »Mutter«, die ihr uneheliches Kind lebendig im Müll begraben hatte, hierauf seelenruhig ihr Abendbrot aß, schon mehrere Kinder gehabt hatte, die alle »gestorben« waren, wurde im Oktober 1915 zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Nie geboren zu werden, wäre für diese Kinder doch jedenfalls besser gewesen.
Gewiß bedeutet jede Einschränkung der natürlichen Fruchtbarkeit eine Flucht des Lebens aus dem Leben. Will man diese Flucht verhüten, so muß man das Leben eben begehrenswerter einrichten. In Trier wurden zwei arbeitslose Maurer, die mit ihren Familien dem Hunger preisgegeben waren, zu je drei Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie einen Hund gestohlen hatten, mit dessen Fleisch sie sich in den schlimmsten Zeiten der Not sättigten. Ähnliche Berichte lesen wir jeden Tag. Menschen in solcher Lage, sowie allen, die das, was ihnen das Leben wert macht, sich trotz aller Arbeit bzw. Arbeitswilligkeit nicht schaffen können, kann man doch nicht empfehlen, noch eine große Anzahl von Nachkommen in die Welt zu setzen.
Lizentiat Bohn hat am 21. deutschen Sittlichkeitskongreß in Halle a. S. November 1912 das deutsche Volk zum Sechskindersystem angefeuert. Wenn Maßnahmen getroffen sein werden, die die gesunde Aufzucht dieser sechs Kinder ermöglichen, werden die Eltern mit Vergnügen dazu bereit sein. Dieser Geburtenstreik ist ja natürlich das, was jeder Streik ist: die Zurückhaltung einer der Gesellschaft notwendigen Leistung, zum Zwecke der Gewinnung eines angemessenen Lebensunterhaltes. Nur weil dieser Streik im Gange ist, haben großzügige soziale Reformströmungen, wie Säuglings- und Mütterfürsorge, endlich ins Leben treten können. Jede Not lehrt so neue notwendige Verbesserungen der Technik des Daseinskampfes erkennen. Es geht nicht an, den Daseinskampf in all seiner unerbittlichen Grausamkeit dem Einzelnen zu überlassen, wenn man von diesem Einzelnen Werte fordert, die die Gesamtheit braucht. Es heißt vielmehr, die Interessen des Einzelnen mit denen der Gesellschaft mehr und mehr solidarisch zu machen.
Trotz aller öffentlichen Wohlfahrtspflege kann dem Elend nur sehr schwach entgegengearbeitet werden. Jede sozialpolitische Reform kommt in erster Linie den Beamten zugute. Sehr richtig bemerkt Dr. Felix Theilhaber in einer einschlägigen Schrift: »Einseitige Fürsorge des Staates für die Beamten wird gar keinen Effekt auslösen, ebensowenig wie zu geringe Fürsorge z. B. nur während des Wochenbettes oder des ersten Kinderjahres. Heute läßt man sich nicht durch die Not während der Geburtszeit, sondern wegen der ganzen ökonomischen Belastung abschrecken … Die kulturell hochstehenden Kreise haben heute vor allem keine Nachkommenschaft. 95% von ihnen haben in den Jahren, wo die Arbeiter heiraten, noch nicht die wirtschaftliche Position, um sich zu verheiraten und können sich somit den Luxus von Kindern nicht leisten. Auch später kommen viele nicht mehr in die Lage, Kinder aufzuziehen, weil sie knapp das verdienen, was sie selbst notwendig gebrauchen.«
» Bedürfnisse sind subjektiv empfundene Notwendigkeiten. Eine Definition von Professor Wilhelm Jerusalem von der Wiener Universität.« Man kann sie nicht aufgeben, weil irgendein moralischer Imperativ es befiehlt, denn man hat sie, sie sind etwas Organisches und zumeist die Vorbedingung der Betätigung und Entwicklungsmöglichkeit der betreffenden Individuen bzw. Schichten.
Theilhaber fordert für die Beamtenschaft und für die Akademiker ein ausgiebiges Kinderversorgungsgesetz, »wenn nicht alle Familien des Mittelstandes langsam aber sicher aussterben sollen … Die einzelnen Klassen aufoktroyierte Spätehe ist unnatürlich und daher auch schädlich. Sie bedingt die Ausbreitung der Prostitution und der Geschlechtskrankheiten … Die doppelte Moral unserer Gesellschaft beginnt sich bitter zu rächen … Von tausend jungen Leuten der Blüte der Nation infizieren sich notorisch hunderte, so und so viele haben irgendwo ein Mädchen geschwängert und von Einzelnen, die das Zölibat ernst nehmen, zu dem sie in ihren besten Jahren verurteilt sind, wissen wir, daß sie psychische und sexuelle Verstimmungen davon tragen … Wer die antikonzeptionellen Mittel aus dem Handel ziehen will, der öffnet erst recht dem sexualhygienischen Niedergang unserer akademischen und merkantilistischen Jugend Tür und Tor.«
Dazu kommt, daß, wenn durch die doppelte Moral die Gewöhnung an das sexuelle Vielerlei, an das wilde Herumschweifen der Triebe begünstigt wird, diese Triebe dann auch in der Ehe sehr oft nicht mehr monogam gezügelt werden können, woraus sich wieder die zunehmende Zahl der Ehescheidungen und die Seltenheit glücklicher Ehen ergibt. Eheliches und geschlechtliches Glück ist überhaupt, durch die Dauerkrise, in die das Geschlechtsleben der Völker, besonders im kapitalistischen Zeitalter, geraten ist, fast eine Chimäre geworden. Nur von einer durchgreifenden Reinigung, speziell der geschlechtlichen Willensrichtung des jungen Mannes, kann erwartet werden, daß der Abscheu vor der Prostitution endlich die nötige Macht gewinnt, die die Voraussetzung jeder gesunden, generativen Politik des Staates und die Voraussetzung des höchsten menschlichen Glückes, des ehelichen Glückes, ist.
Die künstliche Beschränkung der Kinderzahl findet sich unter den Naturvölkern, ebenso wie unter denen der Kultur, überall dort, wo, der beschränkten Nahrungsmittel wegen, kein anderer Ausweg übrig bleibt, und wo die Unsicherheit der Existenz zu generativer Vorsicht drängt. In der Praxis ist die Geburteneinschränkung die intimste Privatsache, die es gibt und widerstrebt schon deswegen einem staatlichen Druck. Gewiß, es gibt Völker, z. B. die polnische Bevölkerung, die auch im Elend sehr fruchtbar sind. Als nachahmenswert kann man sie andern Völkern nicht empfehlen, weil Glück und Unglück relative Begriffe sind und von persönlichen, zwingenden Bedürfnissen abhängen. Bauern in Russisch-Polen sind eben nicht steinunglücklich, wenn sie zu zehn in einer Stube hausen, wir aber würden ein solches Leben nicht ertragen wollen.
Der bürokratische Wohlfahrtsapparat funktioniert sehr umständlich, schwerfällig und unzulänglich. Die Not dagegen und der Hunger diktieren ihre Befehle sofort und warten nicht, bis der Instanzenweg erledigt ist. Die Familie eines Bergarbeiters, der, auf Grund einer Denunziation, die Arbeit verloren hatte, wurde obdachlos und wanderte mit vier Kindern von Ort zu Ort. Die Heimatsgemeinde, im dunkelsten Bayern, sollte helfen. Der Bürgermeister war jedoch immer abwesend, wenn die Frau kam. Mit vier Kindern geht's weiter auf der Landstraße. Schließlich wirft sie ihre zwei kleinen Kinder in den Fluß und wird auf fünf Jahre ins Gefängnis geschickt. Hier war eine Familie der polizeilichen Armenpflege ausgeliefert und ging daran zugrunde.
Der Mensch der Gegenwart, der in die kapitalistische Weltordnung hineingepfercht ist, muß, ob er will oder nicht, Zurückhaltung üben und zwar Zurückhaltung auf allen Linien und allen Gebieten; Zurückhaltung aller Triebe, aller eingeborenen Begehrlichkeiten. Wie sollte und könnte und dürfte er in der für ihn und die Generation allerwichtigsten Frage, der Zeugung, sich schrankenlos »ausleben« können und dem »Walten der Natur«, das er sonst überall bremsen muß, gerade hier freien Lauf lassen!
Gewiß, man sagt, der Rückgang der Todesfälle hat seine Grenzen und der Rückgang der Geburten kann unbegrenzt sein. Er wird es aber nicht sein. Dafür sorgt schon die eingeborene Neigung der Menschen, nicht nur nach Geschlechtsverkehr, sondern auch nach Elternschaft, soweit sie ihnen möglich ist.
Eine umfassende ärztliche Umfrage ergab, daß der Geburtenrückgang nicht auf körperliche, sondern vorwiegend auf soziale Gründe zurückzuführen ist; daß es also nicht am Können, sondern am Wollen liegt. Und hinter diesem Wollen steht wieder ein sehr kategorisches Müssen. Denn von Natur aus hat, besonders das Weib, auf der Höhe seiner biologischen Reife, einen glühenden Zeugungswillen, der unter dem eisernen Druck der Verhältnisse niedergehalten wird und werden muß, wenn sie nicht ihr ganzes Leben gänzlich aus dem Geleise bringen will. Nach einigen Jahren verfliegt dieser Zeugungswille. Die Jahre, in denen er vorhanden ist, werden bei dem immer späteren Heiratsalter und der Schwierigkeit der Eheschließung überhaupt nicht ausgenützt. Hier gibt es keine andere bevölkerungspolitische Reform als weitgehenden Mutterschutz, auch der unehelichen Mutterschaft gegenüber, bei immer weitergehender Schärfung des geschlechtlichen Verantwortungsgefühles des Mannes wie des Weibes.
Die Panik, die sich gewisser weiter Kreise durch den Geburtenrückgang bemächtigte, hat das Gute gehabt, daß sie eine Reihe krasser sozialer und politischer Mißstände, die mit seine Ursachen sind, ans Licht brachte. So wurde z. B. das Einkommensteuergesetz von fachlicher und autoritärer Seite scharf kritisiert. Oberverwaltungsgerichtsrat Mrozek wies darauf hin, daß die Steuerlasten durchaus nicht gleichmäßig verteilt seien. »Es rechtfertigt sich nämlich nicht bei der für die Ermäßigung maßgebenden Personenzahl, die Ehefrau überhaupt nicht und von den Kindern nicht mitzuzählen diejenigen, welche der Steuerpflichtige zwar in seiner Familie unterhält, zu deren Unterhalt er aber nicht verpflichtet ist.« Diese Erörterungen wurden an das sog. Kinderprivileg angeschlossen, wonach der Steuerpflichtige eine Steuererleichterung genießen soll, wenn er Kinder oder andere Familienmitglieder auf Grund gesetzlicher Verpflichtungen unterhält, wonach aber die Ehefrau und die Kinder, die das 14. Jahr überschritten haben und vielleicht im Betriebe des Vaters tätig sind, nicht mitgezählt werden. Ein weiterer krasser Mißstand ist der, daß, bei Eingehung der Ehe, das Einkommen des Mannes und der Frau zusammengerechnet und einheitlich besteuert wird, wodurch eine viel höhere Steuerquote erzielt wird, als wenn die beiden Einkommen separat versteuert würden. Mit Recht wurde diese Bestimmung eine Art Strafe für die Ehe genannt, die doch, im Gegenteil, mit allen Mitteln erleichtert werden soll. »Diese vermehrte Besteuerung wäre«, so meint Oberverwaltungsgerichtsrat Mrozek, »nur gerechtfertigt, wenn die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit der Eheschließung wachsen würde.« Dies sei aber nicht der Fall. »Im Gegenteil, die Ausgaben werden immer größer, schon weil für ein gemeinsames Heim die Wohnung größer sein soll und muß, als für zwei einzelne Ledige und weil« (es hat mich ganz besonders gefreut, dieses Argument von so ernster Seite vortragen zu hören) »bisher unbekannte Ausgaben für die Körperpflege usw. entstehen«. Diese Bemerkung zeugt von geschlechtspsychologischer Feinfühligkeit.
Auch wenn ein Steuerpflichtiger ein unvermögendes Mädchen heiratet, müßte (so meint dieser Autor) seine Steuerlast herabgesetzt werden, weil dann alle seine Ausgaben wachsen. Sehr kraß ist es auch, daß die Steuerermäßigung im Deutschen Reiche nicht gewährt wird, wenn ein Steuerpflichtiger in seiner Familie seine Kinder unterhält, »welche die Steuerbehörde nicht mehr für unterhaltsberechtigt hält.« (!) Wobei der Verfasser richtig bemerkt, daß es falsch ist, daß über Familienverhältnisse, die Außenstehende gar nicht beurteilen können, von dem Steuerbeamten entschieden wird. Jedes Kind wird auf seine körperliche und geistige Beschaffenheit von der Steuerbehörde in Betracht gezogen, und es kommt oft zu Erörterungen, die, nach dem Verfasser, in kleinen Orten oft zu einem großen Klatsch führen, durch den auch die Heiratsaussichten der Töchter ungünstig beeinflußt werden.
Zur wuchtigsten Bekämpfung des Geburtenrückganges sollte das Verbot des Verkaufs von Präventivmitteln führen. Mit erstaunlicher Kurzsichtigkeit bekämpfte man da wieder das Symptom, anstatt die Ursachen, die in der Teuerung, der Zollpolitik und der Übermacht des Kapitals liegen.
Ich hatte einmal eine Aufwärterin, die insgesamt 14 Kinder geboren hatte, die, mangels richtiger Pflege, in der elenden Umgebung / alle starben. Durch die steten Geburten, Krankheiten, Begräbnisse, kamen die Leute niemals aus dem Elend heraus. Hätte die Frau den Präventivverkehr üben können, so hätte sie, wie sie mir versicherte, immerhin 2-3 Kinder haben wollen. Dann hätte sie sich aus dem Elend emporgearbeitet, und diese Kinder wären, da alle ihre Kinder von Geburt aus ziemlich kräftig waren und nur mangels richtiger Wohnung und Nahrung zugrunde gingen, höchstwahrscheinlich großgezogen worden. Durch zeitweiligen Neumalthusianismus kann sich also die Bevölkerungsziffer eher heben, als durch unbegrenztes Gebären und Sterben.
Fanatiker sind aber immer glücklich, wenn sie einen Sündenbock finden, der sich so recht an der Oberfläche der Erscheinungen herumtummelt und ihnen die Mühe des Forschens in der Tiefe erspart. So hat ein Rassenhygieniker von Beruf, Professor Gruber in München, gegen die Hygiene gearbeitet, als er in der Öffentlichkeit, bei jedem Anlaß, die strengste Bestrafung für den Verkauf von Schutzmitteln befürwortete, sogar bei einer Gerichtsverhandlung. Die »Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten« nennt dieses Vorgehen eine ungeheuere Gefahr für die Hygiene. »So mag Gruber also die Verantwortung dafür tragen, daß alljährlich Tausende und Abertausende sich mit Syphilis und Gonorrhöe infizieren.« Gruber nannte den unehelichen Geschlechtsverkehr auf jeden Fall unsittlich und vertrat die Ansicht, daß, wer immer außerehelich geschlechtlich verkehre, »die Folgen sich selber zuzuschreiben« habe, d. h. also, wer außerehelich verkehre, möge sich und andre mit schweren Geschlechtskrankheiten infizieren oder aber unerwünschte Kinder, die er nicht ernähren kann, in die Welt setzen, und, in beiden Fällen, ein späteres Familienglück, das auf bewußter Wahl beruht, vernichten.
Der außereheliche Geschlechtsverkehr kann in der Tat etwas sehr Unsittliches sein, wenn er nicht in jeder Beziehung und allen Beteiligten gegenüber auf dem Boden vollkommenster Loyalität steht, wie es Professor Robert Michels sehr richtig definiert; d. h. wenn er irgendwie unsaubere, gefahrbringende oder gar lügnerische oder verräterische Verhältnisse schafft. Ist dies der Fall, dann ist hier nicht nur Unsittlichkeit zu sehen, sondern der gefährlichste Abgrund, dem ein Menschenschicksal überhaupt jemals zurollen kann. Denn wer, vom Geschlechtsteufel erfaßt, in irgendeiner Hinsicht gegen Treu und Glauben, gegen sein Gewissen verstößt oder gegen die höheren Bedürfnisse seiner Natur, der ist in die Fänge der gefährlichsten Dämonen geraten, die die ganze Grundlage seines bürgerlichen und moralischen Lebens untergraben müssen. Ist aber der Geschlechtsverkehr, ob ehelich oder unehelich, so geartet, daß er in jeder Hinsicht voll verantwortet werden kann, dann ist gegen ihn nichts einzuwenden.
Die Reformmaßnahme der Junggesellensteuer, die als Mutterlohn verwendet werden soll, wurde in verschiedenen Staaten teils erwogen, teils durchgeführt. Mit wirklich fühlbaren Prämien kamen nur sehr wenige Staaten in Betracht, z. B. Illinois in Nordamerika, wo, nach einem Entwurf, jeder ledige Mann mit 50 Frs. besteuert werden soll, die zur Prämiierung von Müttern verwendet werden; schon für das erste Kind, das nach zweijähriger Ehe zur Welt kommt, soll die Mutter 400 Frs. erhalten, die gleiche Summe für jedes weitere Kind, das im Abstand von je zwei Jahren geboren wird; für Zwillinge sind 800, für Drillinge 1200 Frs. veranschlagt. Eine Maßnahme, die vielleicht nicht ganz dem rassenhygienischen Sinn entspricht, da Drillinge und auch schon Zwillinge für organisch schwächlich gehalten werden. Auch im Berliner Abgeordnetenhaus hat man sich mit der Junggesellensteuer beschäftigt, ohne ein besonderes Ergebnis zu erzielen. Insbesondere wurde der wichtigste Antrag, verheiratete Personen mit einem Einkommen von weniger als 1050 M. steuerfrei zu lassen, abgelehnt. Hingegen wurde für die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit einiges getan, wenn auch die Summe von 60 000 M. für die Erforschung ihrer Ursachen nicht zureichend ist.
Dr. med. A. Grotjahn fürchtet einen Mißbrauch der Geburtenprävention, der aber, gegenüber den Schäden, die ein Verbot des Verkaufes der Präventivmittel mit sich bringt, nicht in Frage kommen kann. Immerhin spricht er von einer »naiven Produktion« zahlreicher und minderwertiger, sich überstürzender, zu unpassender Zeit erscheinender Früchte, die, auch nach ihm, / verhindert werden sollen.
Diese naive Produktion war es, welche die Alten in der Göttin Ceres personifizierten, während sie noch eine andere Göttin der Fruchtbarkeit kannten: Diana von Ephesus, die bewußte und gewollte Fruchtbarkeit …
In Frankreich wurde ein Heiratszwangsgesetz eingereicht, wonach der Staat nur noch verheiratete Beamte beschäftigen soll. »Wer eine Staatsstellung anstrebt, muß sich verpflichten, bis zum 25. Jahr zu heiraten. Beamte, die drei oder mehr Kinder haben, werden im Avancement bevorzugt, erhalten höhere Gehälter und Pensionen, Unverheiratete müssen ferner, nach diesem Entwurf, doppelt so viel Heeresdienst leisten, wie Verheiratete. Und wer bis zum 45. Jahr noch keine Lebensgefährtin hat, bleibt dienstpflichtig bis ins Greisenalter hinein.« So radikal dieser Entwurf scheint, so fehlen ihm doch noch positive Vorschläge, in bezug auf die sichere Einkommenserhöhung der Verheirateten und besondere Abstufungen des Einkommens, die mit jedem Kinde wachsen. Marcel Prévost verlangt, vom dritten Kinde an, eine Prämie, die groß genug ist, um ins Gewicht zu fallen und die überdies die Form einer Rente haben soll, die die Vorliebe der Franzosen hat. Dieser Rentenvorschlag scheint mir sehr zweckentsprechend, denn einmalige kleine Geschenke bedeuten fast nichts, gegenüber den Kosten der Aufzucht eines Kindes. Prévost schlägt eine zehnjährige Rente vor, die ja allerdings nur die Grundlage für die vermehrten Kosten bilden würde, die Eltern aber immerhin veranlassen könnte, es daraufhin zu wagen.
Mit der Frage der unbegrenzten Volksvermehrung steht es ähnlich, wie mit der der Rüstungen. Solange andere rüsten, müssen wir es auch und möglichst unbegrenzt; solange andere Völker sich zahlreich vermehren, / müssen wir es auch. Während aber in der Frage der militärischen Rüstungen durch internationale Organisation Grenzen geschaffen werden können, wird dies, in der Frage der unbegrenzten Vermehrung, der Wille der Individuen besorgen. Der zivilisierte Mensch hat ein Anrecht auf sich selbst, er kann nicht verhalten werden, auf Kosten seiner privaten, wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, eine so große Anzahl von Nachkommen dem Staate zu liefern, wie sie sein Fortpflanzungsapparat erzeugen könnte. Seltsam mutet es an, wenn ein italienischer Gelehrter, Achille Loria, an Stelle temporärer neomalthusianistischer Praxis, ein noch späteres Heiratsalter empfiehlt. Schon heute ist das Heiratsalter, besonders das der gebildeten Stände, unnatürlich hoch. Die einzige Methode, der tatsächlichen Gefahr, die der Neomalthusianismus mit sich bringt, der Gefahr der Ausjäte gerade der Kulturnationen, vorzubeugen, liegt m. E. nur darin, daß man der freiwilligen Einschränkung der Geburten die Möglichkeit freiwilliger Vermehrung entgegensetzt. Nur durch Anerkennung und Begünstigung jeder gesunden Fruchtbarkeit, im Hinblick auf das Kind und auf den notwendigen Mutterschutz, läßt sich die freiwillige Einschränkung der Geburten, die man schlechterdings niemanden verbieten kann und die sich nicht verhindern läßt, wettmachen. Die Fruchtbarkeit des unehelichen Liebeslebens würde dann nur in jenen Fällen hintertrieben werden, wo, durch die Tatsache der Geburt, Dinge offenkundig würden, die in einer anderen Beziehung Existenz und Ehre zu vernichten drohen und den Verlust wertvoller Güter mit sich bringen; also in allen Fällen des Ehebruches. Illegitime Verhältnisse aber, die nicht auf Verrat, d. h. auf »Mehrseitigkeit« (!), beruhen, könnten sich einer gewissen Fruchtbarkeit erfreuen, wenn weder eine künftige Ehe, noch die wirtschaftliche Existenz der Eltern und des Kindes dadurch bedroht wäre. Und diese Forderung ist überall da zu erheben, wo es sich um ein monogames und loyales Verhältnis handelt, dem aus irgendwelchen Gründen die Ehe versagt bleibt.
Auch wäre es nur zu wünschen, daß nicht überhastig an die Eheschließung geschritten werden muß, ohne daß der natürliche Geschlechts- und Liebestrieb unnatürlich hart deswegen aus dem Leben vollreifer Menschen verbannt wird. Die Aufzucht dieser Kinder müßte voll und ganz die Gesellschaft übernehmen, wenn sie nämlich überhaupt eine Steigerung der Geburtenrate wünscht; wenn nicht, dann tut sie natürlich gut, jede weitere Volksvermehrung und besonders die uneheliche abzuweisen.
Der Schmutz und die teuflischen Fallstricke des Geschlechtslebens liegen nicht in der Tatsache des Liebes- und Geschlechtsbedürfnisses in den geeigneten Jahren der biologischen Vollreife Vgl. »Die Sexuelle Krise« den Abschnitt »Die Ehe / ein Institut für Bejahrte«, S. 359-365, ferner X. Kapitel »Das sexuelle Elend«., sondern sie liegen in jeder Verknüpfung des Geschlechtsaktes, der ein Heiligtum sein soll, mit irgendwelchen schmutzigen Verrätereien oder mit Skrupellosigkeiten anderer Art, z. B. auch mit einem, um der Geschlechtslust willen, herabgesetzten Verantwortlichkeitsgefühl gegen sich selbst, d. h. in der Tatsache, daß Menschen sich in irgendeine geschlechtliche Vermischung begeben, die sie demoralisiert oder, in anderem Sinne, ruiniert. Hier hat die moralische Wertung einzusetzen, nirgends anders.
Warum soll eine Mutter, die schon drei- oder vier- oder fünfmal geboren hat, schon erschöpft ist an Lebenskraft, noch weiter gebären, während Millionen jugendlich blühender Frauen ihrer Sehnsucht nach einem Kinde nicht folgen dürfen?!
Wenn auch der Landwirtschaftsminister ein Lob der Zufriedenheit singt und, wie seinerzeit Herr von Schorlemer, meint: »Es wäre sonderbar, wenn alle anderen Nahrungsmittel gestiegen wären und nicht auch die Fleischpreise. Das Volk wird sich mit dieser Tatsache abfinden müssen«, so wird eben der einzelne Mensch, wenn ihm der Futterkorb immer und immer wieder höher gehängt wird, sich für seine Person natürlich immer mehr bescheiden müssen, aber begreiflicherweise nicht den Wunsch haben, noch weitere Mitesser an kaum erreichbare Brotkörbe hinzusetzen.
Als der Hauptsündenbock am Geburtenrückgang galt in gewissen Kreisen die Frauenbewegung, von der Autoren, wie der berühmte Herr Bornträger, überhaupt den Verfall von Staat und Familie erwarten. Wie sehr gerade der Frau die Notwendigkeit, zu verdienen und daher in möglichst gutqualifizierte Berufe hineinzuwachsen, als Messer an der Kehle sitzt, wie absolut sicher eine Millionenzahl von Frauen sonst dem Selbstmord, dem Hungertod oder der Prostitution überliefert wäre, wußten diese Millionen Frauen aus eigener Praxis. Wie notwendig aber die Gesellschaft unter Umständen Frauenarbeit braucht, hat uns die Kriegszeit bewiesen, wo die Frauen in alle nur erdenklichen Berufe hineingestellt wurden, (natürlich möglichst in die wenig qualifizierten und bei schlechterer Bezahlung) und wo, mit einemmal, selbst eine noch so reichliche Mutterschaft kein Hindernis gegen Frauenarbeit war, / bloß weil man diese Arbeit brauchte. Der Kinder nahmen sich, in besserer Weise, als es in einer nicht gutsituierten Familie möglich ist, die Krippen und Kinderhorte an. Gewiß ist jede Frau besser daran, die ihre generellen Pflichten reichlich erfüllen und sich sicher darauf verlassen kann, daß der ganze, für die Familie notwendige, finanzielle Aufwand ausschließlich und zulänglich vom Mann bestritten wird. Wie viele Frauen bzw. wie wenige können sich aber, bei der heutigen Sachlage der Dinge, auf ein solches Schicksal verlassen! Mit Wonne gibt jede Einzelne einen strapaziösen Beruf auf, wenn sie durch ihre Heirat in die Lage kommt, es tun zu können, ja in den meisten Fällen tut sie es sogar dann, wenn sie den Mann vorher glauben ließ, um ihn zur Ehe willig zu machen, sie werde den Beruf beibehalten. Man hängt nur an Berufen, deren Ausübung eine starke Persönlichkeitsentwicklung mit sich bringt, also an künstlerischen und an einzelnen wissenschaftlichen und einzelnen sozialen Berufen. Um keinen anderen Beruf werden sich die Frauen reißen, wenn sie sonst irgendeine andere anständige Möglichkeit haben, ihr Leben zu behaupten.
Als 1912, bei einer Verhandlung über den Wohnungsgeldzuschuß der Beamten, der Reichstagsabgeordnete Hoffmann-Dillenburg den Gedanken aussprach, der Wohnungsgeldzuschuß der Beamten sei zu differenzieren, je nachdem der Beamte Familie habe oder nicht, wurde er von der Regierung mit Spott überschüttet: »Herr Hoffmann will unterscheiden zwischen verheirateten und unverheirateten Beamten. Das wären die Wege des Quintus Metellus, der die Staatsbürger zum Heiraten zwingen wollte Vgl. einen Artikel im »Berliner Tageblatt«: »Das Zölibat der Beamten« von Senatspräsident Schmölder, Hamm, 30. 8. 1912.«.
Als man hier, im August 1912, über einen solchen Vorschlag, die Gehälter je nach der Familie zu differenzieren, noch lachte, war kurz vorher, am 20. Juli 1912, in Ungarn auf diesem Gebiet ein Gesetz erlassen worden, welches sich mit der familiären Unterstützung der Staatsbeamten befaßte. »Dieses Gesetz bestimmt, daß die höheren Beamten nach einem Kinde 200, nach zwei Kindern 400, nach drei oder vier Kindern 600 Kronen jährlicher Unterstützung bekommen sollen; für die niederen Beamten beträgt die Unterstützung die Hälfte der Summe (uneheliche Kinder werden nicht unterstützt). Die Unterstützung dauert bei den höheren Beamten bis zum 24. Lebensjahre des betreffenden Kindes, bei den niederen Beamten bis zum vollendeten 16., ausnahmsweise gleichfalls bis zum 24. Lebensjahre. Im staatlichen Budget sind die Kosten dieser familiären Unterstützung auf 27 Millionen Kronen veranschlagt. In der Begründung des Gesetzentwurfes wird ausdrücklich gesagt, daß das Gesetz nur die Unterstützung der Beamtenfamilie bezweckt, welche durch die gegenwärtige Teuerung doppelt geschädigt werde, daß aber zunächst von einer Prämiierung einer größeren Kinderzahl überhaupt abgesehen werden mußte. Die ungarischen Sozialpolitiker hoffen aber insgesamt, daß dieser weitere Schritt in nicht zu fern liegender Zeit sich anschließen wird. Es würde auch bei uns in Deutschland besser sein, wenn man der immerhin kaum abzuleugnenden Gefahr, die in dem Geburtenrückgang liegt, rechtzeitig vorbeugen würde, anstatt daß man sich erst durch die absolute Not zum Eingreifen zwingen ließe Prof. Dr. Arthur Keller in einem einschlägigen Artikel..«
Die Stadtväter von Fort Dodge in Amerika sollen in letzter Zeit eine unerschwinglich hohe Ledigensteuer eingeführt haben, wie denn überhaupt solche Junggesellensteuern leicht in Gewalt ausarten können und besonders dann bedenklich erscheinen, wenn man ermißt, daß es ja eben gerade die wirtschaftlich gedrückte Lage ist, die die Familiengründung sehr oft nicht gestattet. Naumann hat der Meinung Ausdruck gegeben, daß die »saturierten« Existenzen es sind, die den Geburtenrückgang verschulden. Gegen diese Saturiertheit, Risikolosigkeit des Lebens, zog er zu Felde, und führte aus, daß die demokratische Tendenz der Zeit, welche immer mehr Menschen schaffen wolle, die mit einem festen Auskommen rechnen können, diese vorsichtigen Beschränkungen in der Fruchtbarkeit mit sich bringe, während bei denjenigen Menschen, bei denen noch eine Möglichkeit bestehe, »sprunghaft« weiterzukommen, der Trieb zu größerer Kinderzeugung vorhanden sei. Man müsse also eine Bewegung in Deutschland erhalten, die das Antirententum genannt werden könne, die die Zahl der nichtregulierten Existenzen wieder vermehre und die Geburtenziffer werde wieder steigen.
Ich bin der Meinung, daß das Gegenteil nottut, / die Vermehrung der gesicherten, regulierten Existenzen! Dennoch ist etwas Wahres an dieser Behauptung. Wahr ist nämlich, daß es mehr und mehr einem Abenteuer gleichkommt, Kinder in die Welt zu setzen An dem Gebäude einer Versicherungsgesellschaft las ich: Lebens-Unfall-Versicherung. An Lebensunfall könnte man hierbei denken, an den »Unfall«, den es unter Umständen bedeutet, / geboren zu werden.. Die Existenzen, die, »mit einem Sprunge weiter kommen«, werden es ja auch ganz gewiß nicht an Fortpflanzungsfreudigkeit fehlen lassen, wenn sie mit solchen Sprüngen wirklich die Aussicht haben, in dauernd haltbare, bessere Lebenspositionen hineinzukommen, nicht aber, wenn diese Sprünge sie um Kopf und Kragen bringen können … Und die saturierten Existenzen ihrerseits werden ebenfalls gern Kinder aufziehen, wenn ihr »Sicheres« nicht allzu knapp beschnitten ist.
In Frankreich erhalten alle Staatsbeamtinnen und Lehrerinnen einen zweimonatlichen Mutterschaftsurlaub, d. h. einen Monat vor und einen nach der Entbindung; und die gleiche, noch erweiterte Maßnahme wird für die im Staatsdienst stehenden Arbeiterinnen angestrebt, neben völlig freier Behandlung und Krankengeld. Dennoch bleibt hier ein ewiger Konflikt. Eine Staatsbeamtin, die auf ihr Brot angewiesen ist, muß also, selbst nach einem relativ weit entgegenkommenden Gesetz, wieder einen Monat nach der Entbindung gesund sein, sonst verliert sie eben doch ihr Brot. Die meisten gesetzlichen Reformen auf diesem Gebiet sind viel zu kleinlich. Wenn einer Familie, die wenigstens vier Kinder unter 13 Jahren hat, die Steuer um 20 Frs. jährlich herabgesetzt wird, so wird dieser Umstand nicht zum Vierkindersystem ermutigen. Wo es gilt, den Staat zu belasten, ist man außerordentlich sparsam, bei neuen Steuern aber, die den Einzelpersonen auferlegt werden und werden sollen, steigen die Ziffern sofort ins Phantastische. So wurde, auf einem amerikanischen Kongreß, beschlossen, daß jeder Junggeselle gezwungen werden solle, 800 M. jährlich für die Unterbringung eines armen Kindes zu zahlen, ebenso Ehepaare, die nach zehnjähriger Ehe kein Kind haben. Dabei vergißt man, daß sie sich Kindersegen vielleicht gerade deshalb versagen mußten, weil eben ihr Existenzkampf es erforderte.
Über den Geburtenrückgang wurden in Deutschland unzählige Versammlungen, Kongresse usw. abgehalten, wie denn überhaupt wohl keine Nation sich so durchweg mit öffentlichen Sorgen abquält, wie die deutsche. Man könnte oft glauben, daß alle diese Menschen, die dieses öffentliche Versammlungsleben in so ungewöhnlich hohem Grade möglich machen, überhaupt kein Privatleben haben. Nationalen Sorgen gegenüber besteht auch ein Trieb, ziemlich schonungslos bei Reformvorschlägen über die Interessensphäre der Einzelnen hinwegzugehen, und man vergißt dabei die Kleinigkeit, / daß der Wald aus lauter Bäumen besteht.
So hat z. B. Grotjahn in seiner Schrift »Die Rationalisierung des menschlichen Artprozesses und die Eugenik« Zwangsmaßnahmen vorgeschlagen, gegen die die amerikanische Junggesellensteuer von 800 M. noch gar nichts ist. Grotjahn glaubt folgende Thesen aufstellen zu sollen:
»1. Jedes Ehepaar hat die Pflicht, eine Mindestzahl von drei Kindern über das fünfte Lebensjahr hinaus hochzubringen.
2. Diese Mindestzahl ist auch dann anzustreben, wenn die Beschaffenheit der Eltern eine Minderwertigkeit der Nachkommen erwarten lassen dürfte; doch ist in diesem Falle die Mindestzahl auf keinen Fall zu überschreiten. (!)
3. Jedes Ehepaar, das sich durch besondere Rüstigkeit auszeichnet, hat das Recht, die Mindestzahl um das Doppelte zu überschreiten und für jedes überschreitende Kind eine materielle Gegenleistung in Empfang zu nehmen, die von allen Ledigen oder Ehepaaren, die aus irgendwelchen Gründen hinter der Mindestzahl zurückbleiben, beizusteuern ist.«
Diese Forderungen, die das Leben des Einzelnen, in der privatesten Sphäre, unter einen tyrannischen Imperativ bringen wollen und zwar nicht nur, indem sie, aus Artinteresse, generelle Passivität verlangen, sondern zu genereller Aktivität zwingen wollen, bedürfen kaum eines Kommentars. Besonders kraß ist die Forderung von Punkt 2, wo die Mindestzahl auch dann anzustreben ist, wenn die Beschaffenheit der Eltern eine Minderwertigkeit der Nachkommen erwarten läßt. Wie Punkt 1 durchgeführt werden soll, d. h. wie jedes Ehepaar gezwungen werden soll, drei Kinder über das fünfte Lebensjahr hinaus hochzubringen und was mit ihnen geschieht, wenn ihnen die Kinder sterben, oder wenn sie gar nicht geboren werden, welche Strafen dann in Aussicht stehen, / darüber bin ich mir nicht klar geworden.
Wie die reformatorischen Triebe mitunter, einander widersprechend, durcheinander schießen, kann man z. B. daran erkennen, daß Grotjahn u. a. auch verlangt, daß, bei gestellter Diagnose auf Zwillingsschwangerschaft die vorzeitige Geburt einzuleiten sei, während ein anderer Reformler bei Zwillingen und Drillingen doppelte und dreifache Mutterprämien fordert. Das letztere hat wenigstens den Sinn, daß in einer großen, positiven Notlage Hilfe geleistet wird; das erstere bedeutet mehr als eine kühne Vergewaltigung der Natur, da auch aus Zwillingen Menschen werden können, die des Lebens durchaus würdig sind.
Sehr richtig hingegen wird vom Autor darauf hingewiesen, daß das Entartungsproblem sich nicht mit der einfachen Scheidung, auf Grund einzelner Körper- oder Geistesmerkmale, erledigen läßt und daß sogar oft unter den wirklich abnorm Veranlagten sich ebenso häufig geniale, als sozial minderwertige Individuen befinden.
Daß Genie und Entartung häufig in enger generativer Verbindung stehen und daß die gänzliche Ausschließung der Psychopathen von der Fortpflanzung die Möglichkeit des Entzuges großer Werte von schöpferischer Kraft, die sich in genialen Psychopathen entfalten, mit sich bringen könnte, wird erkannt. Diesen Geheimnissen der Natur gegenüber scheint ein aktives, eugenisches Eingreifen, im Sinne von Zerstörung vorhandener Lebenstriebe, nur dort am Platze, wo die Natur mit größter Deutlichkeit die Art zu schänden droht.
Wie panisch die Angst vor dem »Rassenselbstmord« ist, bezeugt die Tatsache, daß das Bollwerk der französischen Gesetzgebung, der berühmte Passus im Code Napoléon, der die Suche nach dem Vater unter Strafe stellt, gefallen ist. Das neue Gesetz faßt die Tatsache der unehelichen Schwängerung aber grundsätzlich als Delikt auf, und der Anspruch, der daraus von der Mutter erhoben wird, ist ein Anspruch aus unerlaubter Handlung Vgl. »Die außereheliche Vaterschaft im französischen Rechte« von Kurt Bauchwitz »Die neue Generation«.. Daß die Unterhaltspflicht gerade bei offenkundiger Liederlichkeit der Mutter, zumal wenn sie mit mehreren Männern verkehrt hat, nur in Fällen der Notzucht und der Entführung erhoben werden kann, halte ich aber für durchaus richtig; noch richtiger wäre es allerdings, wenn in solchen Fällen alle Männer, mit denen die Betreffende zu tun hatte, zum Unterhalt des Kindes verurteilt würden, wobei zugleich eine moralische Justiz geübt würde, die diesen Männern, die in solchem Schoß Kinder zeugen, das Brandmal der Lächerlichkeit aufdrückte, während bisher alle Schande, die sich aus jedem unehelichen Verkehr ergab, nur der weibliche Teil zu tragen hatte. Soll der Prostitution aber jemals der Boden abgegraben werden, so muß die Schande auch den Mann treffen, der sie benützt (von Prostitution ist hier die Rede, weil von Unterhaltspflichten gegenüber einer Mutter, die zu gleicher Zeit mit mehreren Männern Umgang pflegte, gesprochen wurde).
Jede Schmach, die aus dem Geschlechtsleben sich ergeben kann, hat ihr Kriterium immer und ausnahmslos in der Vielheit bzw. in der Mehrheit. Jedes Geschlechtsleben ist beschmutzt, das sich nicht ausschließlich zwischen zwei Menschen abspielt.
Immerhin mußte das französische Paternitätsgesetz 47 Jahre warten, ehe der Gesetzentwurf durchdrang. Der Kläger ist nicht die Mutter, sondern das Kind und die Mutter nur seine Vertreterin, während seiner Minderjährigkeit. Das Land des besorgtesten Vaterschutzes tut auch hier sein möglichstes, indem es auf Klagen, die, in schlechtem Glauben, fälschlich erhoben wurden, eine Strafe von mehrjährigem Gefängnis und zehnjährigem Verbot des Aufenthaltes in bestimmten Städten setzt. Man erließ seinerzeit das Verbot der Suche nach der Vaterschaft, weil die gesetzgebende Körperschaft, unter dem Vorsitz des ersten Napoleon, meinte, ein Gesetz »wodurch die unerfahrenen jungen Männer gegen die Verführung Schutz erhalten und schamlose Frauenspersonen mit ihren Ansprüchen gegen dieselben zurückgedrängt würden«, müsse unbedingt geschaffen werden. Die »Neue Freie Presse« vom November 1912 meint dazu, als sie jenem Gesetz einen endgültigen Nachruf widmet: »Es ist wohl kaum anzunehmen, daß heute Parlamentarier den Mut fänden, die Unerfahrenheit junger Männer, aus den besten Familien, in Schutz zu nehmen.«
Daß unter allen Umständen das Kind geschützt werden muß, liegt heute wohl eben so sehr auf der Hand, insbesondere müßte es einer liederlichen Mutter entzogen werden. Selbst in Hongkong hat man Findelhäuser gegründet, da die Greueltaten an Neugeborenen einen immer größeren Umfang annahmen. Gewöhnlich werden dort elend geborene, kleine Menschenwesen mit »etwas« eingedrückter Schädeldecke aufgefunden. Das Kind ganz zu töten, wagt man aus Aberglauben nicht. Interessant ist es, zu erfahren Fanny Schumm: »Das Findelhaus in Hongkong«., daß selbst diese elendesten der Kinder unter guter Pflege soweit gebracht werden, daß sie schon mit drei Jahren Spitzen klöppeln u. dgl.
Der Neumalthusianismus, dessen Tendenz man in unserer Ära mit Abwehr zu nennen pflegt, hat die Menschheit auf den Punkt hingewiesen, der zwar immerhin einige Überwindung fordert, aber doch im Rahmen der menschlichen Natur durchführbar ist. Jedenfalls ist die temporäre Trennung von Fortpflanzung und Geschlechtsverkehr noch eher durchführbar, als, wie ein sonderbarer Reformator empfahl: die Gründung großer Zölibatgesellschaften. Dieser ältere Autor, Feodore-Marlo, fordert, als Bedingung der Ehe, die Nachweisung eines sog. Kindergutes, d. h. eines für die Lebensdauer der Ehegatten unveräußerlichen, also ihren Kindern als Erbteil verbleibenden Kapitals. Weiter: Feststellung eines hohen Heiratsalters, Beförderung des Zölibates in jedem Sinne, Beförderung der Witwenschaft, Beschränkung des Umfanges der Familien, Begünstigung der Auswanderung usw. / Josef Popper-Lynkeus meint dazu: »Die allgemeine Nährpflicht.« Carl Reißer, Dresden. »Alle diese eminent kleinbürgerlichen Vorschläge involvieren zum Teil schwere Störungen der freien Entschließungen, und sie alle zusammen genommen, würden nicht erreichen, daß die Eindämmung der Volksvermehrung nicht zu groß oder nicht zu klein ausfalle.« In unserem Zeitalter wirken diese Vorschläge besonders kraß. Sie konnten nur zu einer Zeit entstehen, als man von einer Trennung von Geschlechtsleben und Fortpflanzung noch nichts oder sehr wenig wußte. Malthus selbst hat jeden Präventivverkehr, als unsittlich, verworfen.
Dr. Hamburger nannte, auf einer Mutterschutzversammlung, die Tatsache der steigenden Geburtenziffer der Unehelichen, gegenüber dem Sinken der Geburtenziffer der Ehelichen, / ein gewaltiges, dramatisches, die Phantasie fast künstlerisch ergreifendes Phänomen.
Dr. Julian Marcuse, Drysdale, Geißler und Hamburger kommen zu dem Resultat: »Mit steigender Konzeptionshäufigkeit sinkt die Lebensrate der überlebenden Kinder«. Zugrunde liegen diesen Untersuchungen die Riffelschen Tabellen, ebenso die von van der Velden und Drysdale. Dr. Julian Marcuse sagt »Die Beschränkung der Geburtenzahl.« München. Ernst Reinhardt 1913.: »Familien mit weniger zahlreichen und weniger rasch nacheinander geborenen Kindern bestehen aus gesünderem Material. Die Kindersterblichkeit ist fast um die Hälfte geringer, das durchschnittliche Lebensalter fast um die Hälfte größer, als in den Familien mit zahlreichen und in schneller Folge geborenen Kindern. Diese Zahlen zeigen, daß nichts verloren wird, wenn die Wiege einige Zeit leer bleibt, daß im Gegenteil die Qualität der Nachkommenschaft dabei gewinnt, daß also der durch prohibitiven Verkehr allenfalls den Eltern angetane Schaden zum Nutzen der Kinder ausschlägt, natürlich in gewissen Grenzen … Ja, der ganze Stufenbau der Arten zeigt, daß die Voraussetzung fortschreitender Qualität und damit höherer Entwicklung die Abnahme der Nachkommenschaft ist. Es gibt Tiere, die innerhalb 24 Stunden nach ihrer Geburt bereits Urgroßeltern sind, wie z. B. die Rädertierchen. Das Kaninchen beginnt sich im Alter von sechs Monaten zu vermehren, hat fünf bis acht Junge in einem Wurf und bringt mehrere Würfe in einem Jahr; im Laufe von vier Jahren soll ein Kaninchenehepaar eine Million Nachkommen erzeugen können. Dagegen beginnt die Fortpflanzung der Elefanten erst mit dem 30. Jahr; er bringt, obwohl seine Fruchtbarkeit bis zum 90. Jahre anhält, in dieser Zeit nur sechs Junge zur Welt. Eine Eiche bringt während der Jahrhunderte ihres Lebens nur so viel Früchte, wie ein Pilz in einer einzigen Nacht Sporen erzeugt. ›Wir dürfen es als ein Gesetz aussprechen,‹ heißt es bei Spencer, ›daß jeder höhere Grad von organischer Entwicklung stets begleitet ist von einem niedrigeren Grade jener eigentümlichen organischen Auflösung, welche in der Form der Erzeugung neuer Organismen sich kundgibt‹.«
Es ist eine landläufige Anschauung, daß nach Kriegen eine rapide Vermehrung notwendig sei, um die weitere Existenz des Volkes zu verbürgen. Wir haben aber erfahren, daß sogar / während des Krieges, trotz des Fehlens aller waffenfähigen Männer, noch immer kaum ein Stück Brot für die Arbeitsuchenden zu erraffen war und daß besonders die Frauenlöhne in dieser Zeit, in der man Frauenarbeit in stärkstem Maße brauchte, aufs unheimlichste gedrückt wurden. Und dies war sogar während des Krieges der Fall! Es herrschte zwar eine stärkere Nachfrage nach Frauenarbeit, aber man zwang die Frauen, während der größten Teuerung, zur Annahme der niedrigsten Löhne. Ein vorzügliches Wort von Rudolf Goldscheid lautet: »Nicht nur auf die Erhaltung der Art kommt es an, sondern auch auf die Art der Erhaltung«. In ihrer Mißachtung der Gefahr, die aus der Verelendung kommt, versündigen sich die Rassenhygieniker m. E. gegen eine Grundtendenz ihrer Lehren. Denn diese lautet dahin, daß der Auslesekampf aus der Welt der Lebenden möglichst auf die der Keime überwälzt werden soll. Wenn sie nun die Fortpflanzung auch unter den drückendsten Verhältnissen der Armut fordern, weil diese angeblich die Keime nicht schädige, was doch in keiner Weise feststeht und durch Untersuchungen, besonders von Beatrice und Sydney Webbs, widerlegt wurde, so entfesseln sie wieder den mörderlichen Auslesekampf zwischen schon Geborenen, anstatt zwischen den durch Selektion erst zu Werdenden. »Und wo soll denn die schrankenlose Vermehrung hinaus? Glaubt man wirklich, anderthalb Prozent jährliche Vermehrung sei als Dauerzustand denkbar? Mit dieser Quote hätte Deutschland im Jahre 2000 = 240 Millionen, im Jahre 3000 ziemlich 700 Billionen Einwohner (viel mehr als der ganze Erdball). Die schnelle Bevölkerungszunahme war ein Zwischenspiel des Jahrhunderts von 1850 zu 1950, einmal muß sie aufhören! Julian Marcuse.«. Denselben Gedanken hat Professor Wicksell aus Schweden sehr eindringlich entwickelt.
Die Beschränkung der Geburtenzahl, die Tendenz nach Qualitätsproduktion, entspricht dem Populationsgesetz der gegenwärtigen Wirtschaftsform. Daß es ein einheitliches Populationsgesetz überhaupt nicht gibt, hat Marx in aller Tiefe ausgeführt; vielmehr hat jede Wirtschaftsform ihr eigenes und ihr gemäßes Populationsgesetz, ein anderes der Agrar-, ein anderes der Feudal- und ein anderes der Industriestaat; anders auch je nach Ausdehnung, Klima, Fruchtbarkeit und Regierung des Landes.
Auch den Alkohol wollte man für den Geburtenrückgang verantwortlich machen, der aber nur zu sehr geringem Teil dafür in Frage kommt, und wohl die Geschlechtskrankheiten befördert, weniger aber am Sinken der Geburtenrate schuld ist, die aus einem ganz bewußten Willen stammt Dies hat besonders scharf der Statistiker der Stadt Berlin, Professor Silbergleit, hervorgehoben..
Es gibt sogar Vermehrungsfanatiker, die den Alkoholgenuß empfehlen, damit um so hemmungsloser gezeugt würde, / wenn auch Idioten.
Eine vernünftige Regelung der Geburten, die die Qualität des Nachwuchses verbessert, bedeutet für die Volksgesamtheit wirtschaftlich einen Milliardengewinn. Der Gesetzentwurf gegen die Präventivmittel würde vorwiegend nur die Proletarierkreise treffen, die begüterten Schichten könnten sich, nach wie vor, wenn auch zu höheren Preisen, die antikonzeptionellen Mittel aus dem Ausland verschaffen. Dr. Otto Ehinger bezeichnet den Gesetzentwurf als den Versuch »der polizeilichen Nachhilfe bei der Erschaffung von Proletariern. Eine unermeßliche Vermehrung der Geschlechtskrankheiten würde überdies die Nation auf eine viel schlimmere Art dezimieren, als sie durch ein Sinken der Fortpflanzungsrate jemals zu denken ist.«
Bernhard Shaw hat sich in den »Daily News« über »Gleichheit« geäußert: »Ich bin nicht verpflichtet, mich zu beherrschen, wenn ich eine so schändliche, so abscheulich kriecherische Lüge höre, wie es die Behauptung ist, daß die bestehenden Ungleichheiten des Einkommens mit moralischen und physischen Minderwertigkeiten und Überlegenheiten in Zusammenhang stehen, ja durch sie bewirkt werden … daß Mademoiselle Liane de Pougy durch ihre erfolgreiche Zuckerspekulation moralische Höhen erklommen hat, die von Florence Nightingale niemals erreicht wurden und daß eine Einrichtung zu ihrer völligen wirtschaftlichen Gleichstellung, durch entsprechend regulierte Bezüge, unmöglich wäre. Ich behaupte, daß man keinem vernünftigen Menschen zumuten kann, solchen unverschämten Blödsinn mit Ruhe, geschweige denn mit Achtung zu behandeln.«
Daß gerade die Frauenbewegung der Sündenbock für den Geburtenrückgang sein soll, ist um so komischer, als gerade die Frauen, unterstützt von der Sozialdemokratie, allein alles erreicht haben, was an Mutter- und Arbeiterinnenschutz bisher überhaupt zu erreichen war.
»Zu Breslau in der Stadt« / hielt Professor Gruber, im Verein für öffentliche Gesundheitspflege, eine Rede über den Geburtenrückgang, in welcher er, mit gewohnter Entschiedenheit, sich gegen die Frauenbewegung aussprach, sowie gegen alle Reformbestrebungen ähnlicher Art. Vielleicht ohne es zu wollen, machte sich Gruber zum Verteidiger der Tag- und Nachtmoral. Fast gleichzeitig wurde, zu Breslau in der Stadt, eine ganze Gruppe von Gesellschaftsstützen erfaßt, die / flott auf dem Boden der Bordell- und Wüstlingsmoral, / nach außen hin als achtbare Biedermänner galten, insgeheim aber Minderjährige schändeten; fünfzehn von ihnen machten Harakiri, d. h. begingen Selbstmord. Es nützt also wenig, den Frauen zuzurufen: zurück zum Mann, zurück zur Familie, solange man einer Umgrabung des Bodens, in dem die geschlechtliche Moral wurzelt, ängstlich ausweicht.
Je nach der verschiedenen Beleuchtung eines Problems ergibt sich eine verschiedene Beurteilung. Während heute z. B. die allgemein verbreitete Meinung dahin geht, daß die Erzeugung einer großen, zahlreichen Kinderschar ganz direkt als nationales Verdienst zu betrachten sei, haben manche Forscher, wie z. B. John Stuart Mill, ferner ein anonymer englischer Autor, dessen Werk nach der 30. Auflage auch ins Deutsche übersetzt wurde »Die Grundzüge der Gesellschaftswissenschaft oder physische, geschlechtliche und natürliche Religion.« Eine Darstellung der wahren Ursachen und der Heilung der drei Grundübel der Gesellschaft: Armut, Prostitution und Ehelosigkeit. Von einem Dr. der Medizin. Deutsch bei Edwin Staude, Berlin., der Meinung Ausdruck gegeben, daß in der Erzeugung einer zahlreichen Nachkommenschaft eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung der Mitmenschen liege, »indem er vielen anderen die Möglichkeit raubt, auch Familie zu gründen, weil Raum und Nahrung für dieselbe fehlt«.
Dr. Ferdinand Goldstein kommt in seiner Schrift »Die Übervölkerung Deutschlands und ihre Bekämpfung« Ernst Reinhardt, München. zu dem Schluß, daß die Abwanderung vom Lande, die heute als Landflucht gedeutet wird, eine notwendige sei, da die Arbeit auf dem Lande annähernd Jahr für Jahr dieselbe bleibt und daher dort nicht mehr genügend Arbeit geboten sei. Er nennt dieses Mißverhältnis: soziale Übervölkerung. Der zeitweilige Mangel an Landarbeitern ist lediglich auf die Ernteperioden beschränkt, woraus sich das Institut der Sachsengänger erklärt.
Die schwedische Dichterin und Forscherin, Frida Stéenhoff, gibt, in Anknüpfung an einen Fall von Kindermord aus Not, der Überzeugung Ausdruck: » Wir vermissen eine konsequente Idee, hinsichtlich der Frage der Volksvermehrung. Wir vermissen Klarheit über den Wert des Kindes … All das erfordert Untersuchungen, nicht zum mindesten vom Gesichtspunkt einer gerechten Verteilung der Kinder unter die Einzelnen. Wenn eine langsame und begrenzte Vermehrung in der Nation wünschenswert erscheint, dann müßte die Frau, die Mutter von 8, 12, vielleicht 15 Kindern ist, nicht geehrt und geachtet werden, während eine andere Schmach und Vorwurf um ihres ersten Kindes willen erdulden muß.«
Die Achtung bzw. Verachtung sollte überhaupt in keinem Fall an die Zahl geknüpft sein, sondern davon abhängen, unter welchen Umständen man Kinder in die Welt gesetzt hat, und ganz instinktiv richtet sich auch tatsächlich die Achtung nach diesem Moment. Die Verachtung, die heute die ledige Mutter trifft, hat ihre moralischen Wurzeln in dem an sich berechtigten Gefühl, (das ja natürlich, unter Umständen, durch andere Gefühle aufzuheben ist), daß hier eine Frau unter Verhältnissen, die die Existenz des Kindes und die gesunde Aufzucht in keiner Weise sichern, sich zur Mutter machen ließ, daß dieses Kind vermutlich nicht einem Wunsch nach Mutterschaft sein Leben verdankt, sondern die ungewollte Konsequenz eines sexuellen Verhältnisses ist, in dem in keiner Weise für die Folgen Vorkehrungen getroffen wurden. Die Ablehnung der unehelichen Mutterschaft von seiten der Gesellschaft hat ja selbstverständlich, (so sehr wir auch trachten müssen, hier humane Grundsätze zu schaffen), ihre Begründung in Erfahrungen, und es ist im Grunde ein ganz richtiger Instinkt, der die Frau davor bewahren will, geschwängert und Mutter zu werden, ohne daß der Mann rechtlich bindende Verpflichtungen zum Schutze des Kindes und der Frau einging. Der Instinkt der Gesellschaft vermutet, daß es sich in solchen Fällen um flüchtige sexuelle Beziehungen handelt, die nicht bindend genug waren, um die Zeugung eines Menschen zu rechtfertigen. In der Praxis behält die Weisheit Salomos sehr oft recht: »Was aus der Hurerei gepflanzt wird, das wird nicht tief wurzeln, noch gewissen Grund setzen.« Erst wenn die Gesellschaft vollgültig für jede gesunde Fortpflanzung die Sorge übernimmt, wird es weniger gewissenlos nicht nur scheinen, sondern sein, uneheliche Nachkommenschaft in die Welt zu setzen.
Dasselbe Gefühl der Verachtung bringt man instinktiv jeder Frau entgegen, die sich unter unwürdigen Verhältnissen zur Mutter machen ließ. Überall da, wo man den Eindruck hat, daß hier ein oder mehrere Leben verpfuscht und in die Tiefe gezerrt wurden, weil man den Verlockungen des Triebes nicht genug Zügel auferlegte. Auch bei einer verheirateten Frau wird es von ihrer näheren Umgebung mehr oder minder deutlich mißbilligt werden, wenn sie eine immer größere Zahl von Kindern in die Welt setzt, ohne daß der wirtschaftliche Aufschwung der Familie das rechtfertigt. Da kann die Theorie aus bevölkerungspolitischer Tendenz lauten wie sie mag, in der Praxis empfindet man eine ungehemmte Fortpflanzung, die den Nachwuchs dem Elend überliefert, eher als unsittlich, denn als sittlich.
So sehr wir auch im Prinzip für die temporäre neomalthusianistische Praxis des Geschlechtsverkehrs, dort wo sie notwendig ist, eintreten, so sehr müssen wir uns doch davor hüten, dem Mysterium des Geschlechtes allzu scharf mit der rationalistischen Sonde an den Leib zu rücken. Das tiefste Geheimnis des Lebens läßt sich auf diese Art nicht ergründen. Dies gut für einen Satz wie diesen: »Mit wenigen Worten kann man sagen, daß das Proletariat zu derselben Zeit verschwinden wird, zu der die Konzeption allgemein ein Akt reflektierenden Willens und kritischer Vernunft geworden sein wird«. (Stéenhoff.) Gerade wenn dieser Akt der Konzeption im Gange ist, ist die »kritische Vernunft« meistens meilenfern, ein Erfahrungsgrundsatz, der auch in den Sprichwörtern mancher Sprache recht derb seinen Ausdruck gefunden hat. Sehr richtig aber ist die Stéenhoffsche Definition, in der sie diese Elendskinder Opfer nennt, »die von ihren Eltern auf Lebenszeit zur Strafarbeit verurteilt werden« und in der sie jede Propaganda, die arme und unglückliche Menschen ermuntert, sich zu vermehren und dadurch die Überproduktion aller Art von Elend zu vergrößern, verurteilt. Vor solchen »trügerischen Pflichtpredigten« warnt sie besonders die Frauen.
Aber für eine trügerische Pflichtpredigt halte ich es auch, wenn etwa junge Ehen von vornherein mit der Absicht geschlossen werden, die Zeugung ganz zu verhüten. Es wird, unter den heutigen Umständen, genügend Zwangslagen geben, die einen solchen Vorsatz mit sich bringen werden, aber er erscheint mir denn doch dem Glücke sehr gefährlich. Es entzieht sich vollständig jeder wissenschaftlichen Untersuchung, es bleibt eine Sache der Ahnung, inwiefern das Unglück mancher Ehe in dem Fehlen des Kindes zu suchen ist. Wahrscheinlich ist es auch, daß gerade solche Menschen, die in diesem Punkte die allerklügsten und allervorsichtigsten zu sein glauben, Objekte einer dämonischen Naturauslese sind, die sie, um irgendwelcher Zwecke halber, aus der generativen Kette ausschließt, / daß sich ihr persönliches Schicksal vielleicht viel freudvoller gestaltet hätte, wenn sie in ihrem geschlechtlichen Leben mehr dem generativen Instinkte gefolgt wären. Ein naturhaft richtiger Fraueninstinkt wird z. B. den Verlockungen der Erotik gegenüber, auch wenn sie die idealste Maske trägt, sehr zurückhaltend sein, wenn die Person des Mannes für die Aufzucht von Kindern keinerlei Gewähr bietet.
Man hat so viel »umgewertet« in den letzten dreißig Jahren, daß man besonders, weil gerade diese Umwerter meist gar keine naturhaft richtigen Instinkte haben, in die schlimmsten Sackgassen geraten ist. So gut z. B. eine Frau als »ideal«, die unbedingt den Herzenszügen (der Plural ist hier meistens anwendbar) folgt, ohne die sozialen Fähigkeiten des betreffenden jeweiligen Mannes in Frage zu ziehen. Man spricht von »Liebesehen«, um den Mangel an solcher sozialen »Berechnung« damit zu kennzeichnen. In den meisten Fällen zeigt sich der betreffende Mann ganz unfähig, dieses Gefühl auf die Dauer zu rechtfertigen. Als Konsequenz sind entweder Kinder vorhanden, die eine Frau allein mit viel Idealismus und geringer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ernähren soll, oder es werden Geburten verhindert, und die Vereinsamung der Frau ist dann meistens ihr Schicksal.
So wenig wie ich daran glaube, daß der oder jener ein großer Dichter geworden wäre, wenn dieser oder jener Umstand seines Lebens anders gelegen hätte, so wenig glaube ich daran, daß an einer Frau, die aus irgendwelchen Gründen kinderlos bleibt, eine wirkliche biologische Mutter verloren gegangen ist; vielmehr wird der starke Mutterinstinkt zu seinem Rechte zu kommen wissen. Vom generativen Schicksal werden z. B. sehr leicht solche Frauen übergangen, die in der Erotik mehr ein persönliches als ein generelles Glück suchten. Nicht nur, daß ihnen dieses versagt bleiben wird, sind sie zumeist auch um jenes betrogen worden. Damit ist aber nicht im mindesten ein Werturteil gesprochen, denn die Natur verfolgt mit ihnen vielleicht ganz andere, vielleicht weit höhere Zwecke, als die generativen, und sie sind, als Ausnahmen von der Regel, ebenso notwendig, wie die Regel selbst.
Dr. Max Hirsch hat in seinen Untersuchungen ausgeführt, daß die Spätehe viel zum Geburtenrückgang beiträgt, dadurch, daß sie erstens die Fortpflanzungsperiode der Frau verkürzt, und zweitens dadurch, daß der voreheliche Geschlechtsverkehr die Gefahr der geschlechtlichen Infektion und der erworbenen Sterilität (um die handelt es sich zumeist) mit sich bringt. Fast 50% der Frauen heiraten erst nach dem 25. Jahr. Wenn sie vorher geschlechtlich leben, so sind sie in den meisten Fällen natürlich bemüht, die Konzeption zu vermeiden, Versuche, die in sehr vielen Fällen zu dauernder Sterilität führen. Wenn also in einer Gesellschaft die Schwierigkeit der Eheschließung immer mehr zunimmt, wie bei uns, wenn ein großer Prozentsatz von Frauen unbedingt damit rechnen muß, nicht zur Ehe zu gelangen, wenn gleichzeitig eine gerechte Verteilung der Geburtenrate und eine rege Bevölkerungsvermehrung überhaupt gewünscht wird, so müßte man zu dem logischen Schlusse gelangen, die uneheliche Mutterschaft, unter gesunden Verhältnissen, zu begünstigen. Es wäre dies oft im moralischen Interesse der ehelos gebliebenen Mädchen, da sie dadurch sehr oft in die Lage kämen, sich mit dem Kinde mehr zu beschäftigen, als mit dem Liebhaber, besonders wenn sie das Kind nicht heimlich zu haben brauchen und wenn durch die Art des illegitimen Verhältnisses niemandem Schaden oder Schande erwüchse, d. h. wenn es, wie schon mehrfach gesagt, in jeder Hinsicht auf loyalem Boden steht oder stand. Es gäbe dann, wenn der illegitime Nachwuchs aus loyalen Verhältnissen, d. h. solchen, die ihrer Natur nach rein und monogam sind, anerkannt und erlaubt wäre, auch weniger sterile Ehen, da diese selben Mädchen auch in eine ev. spätere Ehe keine erworbene Sterilität mitbringen würden, sondern/ein Kind.
Nach Prinzings Berechnung, sagt Hirsch, verursachen die sterilen Ehen für Deutschland jährlich einen Verlust von 220 000 Kindern. Diese sterilen Ehen sind es zumeist deshalb, weil der Mann sich im Verkehr mit der Prostitution infiziert hat, oft aber auch, weil die Frau, an ihrem Fortpflanzungsapparat schon geschädigt, in die Ehe trat.
Mit sehr viel Geist und wissenschaftlicher Schärfe hat Maria von Stach in einer Abhandlung im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik Band 33, Heft 3, November 1911. dargetan, »daß das eigentliche Produktionsgebiet der Frau, das Gebiet der Menschenherstellung, in die kapitalistische Betriebsweise einbezogen wurde … Auch die Arbeitskraft der Frau wird Ware. Ihr bisheriges Produkt aber, die Ware Mensch, hat noch keinen Preis. Also wird die Herstellung unwirtschaftlich … Die Frau geht, wie Naumann es formuliert, als Individuum leichter durch die kapitalistische Welt, wenn sie nicht Mutter wird und arbeitet besser »Ware«, da ihr niemand für Kinder etwas gibt … Die Menschenproduktion, nicht mehr geschützt und noch nicht gelohnt, geht zurück, der ausgebeutetste Arbeiter der Welt, die Frau, legt die Arbeit nieder. Wir haben den Mutterstreik. Durch die »Verfügung über die Mutterschaft« hat die Frau zum erstenmal der Gesellschaft gegenüber eine entscheidende Waffe in die Hand bekommen. »Tut eure Pflicht und liefert uns Menschen!«, sagt die Gesellschaft. »Unter solchen Bedingungen nicht!«, antwortet die Frau. So muß die nächste Frage lauten: »Unter welchen Bedingungen denn?«
Die neumalthusianistische Praxis ist also nicht etwa der Grund des sog. Geburtenrückganges, sondern nur die Methode, durch die er zustande kommt. Der Grund liegt in dem Zwange zur Zurückhaltung, zur Entbehrung auf jedem Gebiet, der die kapitalistische Wirtschaftsepoche kennzeichnet. »Wenn erst das deutsche Volk zu der Erkenntnis gelangt sein wird, daß die Herabminderung der Sterblichkeit der Mütter im Wochenbett und der Säuglinge eine Pflicht nationaler Selbsterhaltung ist, dann werden ihm auch die Mittel zur Erfüllung dieser Pflicht ebenso wenig fehlen, wie dem kleinen Magyarenvolk, das, als erstes, die Verstaatlichung der ganzen Säuglingsfürsorge von nationalen Gesichtspunkten aus unternommen hat« Franqué in einer Rede auf dem ersten Kongreß für Säuglingsschutz.. Aus bevölkerungspolitischen Gründen die Präventivmittel zu verbieten, anstatt die Säuglings- und Wochenfürsorge zu vervollkommnen, ist grundverkehrt. Professor Blaschko gibt der Meinung Ausdruck, »daß ohne das Kondom heute die Syphilis eine Krankheit aller Menschen wäre«.
Trotz aller Kriege und trotz der Pestilenz hat sich in nicht ganz einem Jahrhundert, dem neunzehnten, die Bevölkerung des Deutschen Reiches um das Doppelte vermehrt. »Wenn dies so fort geht, dann hat Deutschland trotz Auswanderung, Krieg und Seuchen … Ende 2000 224, Ende 2100 448, Ende 2200 896 und im Jahre 2250 1344 Millionen Köpfe« Buttenstedt..
Verkennen wir nicht, daß aus diesen Tendenzen nach unbegrenzter Volksvermehrung sich kriegerische Verwicklungen unbedingt ergeben müssen. Überzählige Menschen müssen unter Qualen, Opfern und immer tieferer Proletarisierung des Volkes geboren werden, um schließlich die Grenzen zu überfluten und im Völkerkrieg wieder niedergemacht zu werden.
Wie sehr die Probleme des Neumalthusianismus und des Mutterschutzes mit denen der Sexual- und Rassenhygiene zusammenhängen, bewiesen die beiden internationalen Kongresse zu diesen Fragen, die in Dresden in der letzten Septemberwoche 1911 tagten. Als Führer der radikalsten Seite des Neumalthusianismus können das englische Ehepaar Drysdale und der schwedische Professor Wicksell gelten. Sie fordern nicht nur die fakultative Sterilität, sondern die absolute Verminderung der Geburtenziffern aller Staaten. Professor Wicksell führte aus, daß es so klar sei, wie nur irgendein Satz des Euklid, daß jeder, auch der kleinste dauernde Geburtenüberschuß von der Erde nicht ertragen werden könne.
In der Tat hat dieser wuchtige Satz sehr viel für sich. Denn wenn wir auch gar nicht wissen, wie weit die Schätze der Erde noch brach liegen und durch eine kosmopolitische Kultur, nach und nach, zum Verbrauch herangezogen werden können, / aber sicherlich nur auf blutigstem, kriegerischem Wege, / so ist es doch eine unumstößliche Tatsache, daß die Oberfläche der Erde begrenzt ist und daß wir diese Grenzen sogar kennen. Also auch der kleinste Geburten überschuß, wenn er bis in alle Ewigkeit sich fortsetzt, muß schließlich zu einer Übervölkerung führen. Irgendwo muß es eine Grenze geben, wo alle Nationen schließlich stoppen müssen, wollen sie nicht die Erde mit künstlichen Brücken überwölben, auf denen die Menschen abgeladen werden. Der Einwand, daß die Sterblichkeit das Ihre tue, hat natürlich keine Berechtigung, wenn man nicht von der Geburten rate, sondern eben von dem Überschuß der Geburten spricht, also von dem Plus, um das sich die Bevölkerung vermehrt. So hat z. B. Deutschland, trotz der sinkenden Geburtenrate, einen in den letzten Jahrzehnten immer steigenden Geburtenüberschuß, weil mit der Geburtenrate auch die Sterblichkeitsrate sinkt.
Arithmetisch gesprochen, hat Professor Wicksell unzweifelhaft recht, sein Ausspruch ist nicht zu widerlegen. Es fragt sich nur, ob wir auf jenem Punkt des allgemeinen Stoppensollens schon angelangt sind, oder ob uns nicht noch Jahrhunderte von ihm trennen. Die Neumalthusianer sagen: Zugegeben, daß die Erde noch reich sei an Nahrungs- und Industrieprodukten; diese kommen aber den meisten Menschen nicht zugute, sind für sie nicht erreichbar, daher haben sie kein anderes Mittel, um bessere Lebensbedingungen für sich zu schaffen, als ihre Zahl zu vermindern.
Nun ist es richtig, daß der Einzelne das Problem seines Daseinskampfes oftmals nicht anders wird regeln können, als auf passive Art, durch Abtreten vom Kampfplatz, durch Selbstverneinung im generellen Sinne, durch Selbstaustilgung der durch ihn repräsentierten Lebensform, / durch Anerkennung des neumalthusianistischen Fortpflanzungsverzichtes. Aber, möchte man mit Heine fragen, »ist das eine Antwort?« Heißt das nicht nachgeben, im bitterlichsten Sinne? Wenn ein Volk weiß, daß es Getreide und Fleisch in Hülle und Fülle haben könnte, wenn nur die Grenzen geöffnet oder, z. B. in Ungarn, die Latifundien parzelliert würden, / soll es sich dann auf den Standpunkt stellen: Wir reduzieren die Zahl unserer Mäuler, oder aber / wir schlagen die Grenzbarrikaden ein?
Auf der dem Malthusianismus entgegengesetzten Seite steht heute die Bewegung für Rassenhygiene. Sie ruft dem Volk in allen Tonarten zu, es solle, um der Ausbreitung der weißen Rasse willen, sich vermehren, auch unter den blutigsten Opfern. Sie suggeriert ihm eine Fortpflanzungspflicht. Nun scheint es mir zweifellos, daß die Praxis des Neumalthusianismus, wenn sie erst einmal populär ist, mehr Aussichten hat, befolgt zu werden, als die von der Rassengeforderte reichliche Fortpflanzungstätigkeit.
Alle noch so idealen Bemühungen scheinen mir solange völlig leer und wertlos, als sie nur dem Wohl einer unpersönlichen Größe oder gar einer abstrakten Idee gelten. Niemals werden sich die Menschen freiwillig zu Zwecksmaschinen für irgendeine Idee machen, die nicht in ihr eigenes Leben tief eingreift. Der Selbsterhaltungstrieb wird immer stärker sein, als alle diesbezüglichen Ermahnungen, trotz der Macht der Suggestion. Seltsamerweise ist dieser Selbsterhaltungstrieb hier in generellem Sinne ein Selbstverneinungstrieb; aber dies ist nur scheinbar ein Paradoxon, denn in Wahrheit beruht im Lebenskampf die Möglichkeit der Selbsterhaltung zumeist auf der Fähigkeit der Selbstbescheidung, der Eindämmung gewisser überbegehrlicher Lebenstriebe. Niemand wird ein Kind haben oder nicht haben wollen, nur um der »Rasse« willen, sondern vor allem um seiner selbst willen.
Die Politik kennt nun zwei Mittel, um gegen den Selbsterhaltungstrieb zu wirken: Gewalt und Suggestion. Dauernd erfolgreich scheint mir aber nur ein anderes Mittel: jenes, welches die Interessen jener abstrakten Größe, die man fördern will, solidarisch macht mit denen der Individuen. Wenn eine größere Fortpflanzungsfähigkeit erwünscht ist, so schaffe man Zustände, in denen der gesunde, normale, jugendlich reife Mensch sich auf Kinder freuen kann, dann wird er von selbst »eugenisch« denken und handeln. Solange das aber nicht der Fall ist, solange hat die Praxis der fakultativen Sterilität entschieden mehr Aussicht auf Anhängerschaft, und selbst dort, wo der Neumalthusianismus in der Theorie leidenschaftlich bekämpft wird, wird er in der Praxis geübt.
Mag man über die Frage, ob mehr oder weniger Menschen da sein sollen, denken wie man will, / eines steht doch wohl für alle fest: Geburten, die die Sterblichkeit wieder ausjätet, haben keinen Wert und bedeuten eine schwere Vergeudung von Volkskräften, von Mutterschmerzen und von nationalökonomischen Werten. Sicher wird darum die neumalthusianistische Praxis segensreich wirken, wo sie die Erzeugung von Kindern, die einer frühen Sterblichkeit und langem Siechtum voraussichtlich überliefert sind, verhindert. Aber / ich komme darauf zurück: diese Bewegung des biologischen Sicheinengens, dieser geradezu tragische Verzicht auf weitere Verpflanzung der eigenen Art, sofern sie eine gute und gesunde Art ist, der da im Namen des sozialen Elends gefordert wird, birgt ein Moment von sozialer Nachgiebigkeit, das mir sehr gefährlich scheint. Tatsächlich lastet dieser erzwungene Fortpflanzungsverzicht heute schon auf einer Riesenanzahl tüchtiger Menschen. Tausende junger, liebes- und lebensreifer Frauen ersehnen glühend ein Kind, welches ihnen, durch die Schwierigkeiten der Eheschließung, verwehrt bleibt.
Der Widerspruch zwischen den Forderungen des Neumalthusianismus und denen der Rassenhygiene, welche die reichliche Ausbreitung guter Rassenelemente fordert, scheint mir nur durch eine einzige Möglichkeit aufzuheben: das ist die Möglichkeit vollwertigen Schutzes der Mutterschaft, sowohl auf versicherungstechnische Art, als auch durch die moralische Anerkennung jeder in jedem Sinne gesunden und sittlichen Fruchtbarkeit. (Denn es gibt tatsächlich auch / eine unsittliche Fruchtbarkeit.) Der freiwilligen Einschränkung der Geburten muß die freiwillige Vermehrung gegenüberstehen. In den Jahren des größten Glückshungers ist auch der Wille zum Kinde, zumindest bei der Frau, sehr stark, und gerade dieser echteste Zeugungswille wird von der herrschenden Sexualmoral mit Füßen getreten.
Die fortschreitende Entwicklung der Gesellschaft muß es ermöglichen, daß der echten Auslese, welche heute durch die geknebelte Wahlfreiheit des Weibes grob durchkreuzt wird, wieder der Weg gebahnt wird. Dann erst wird auch der Neumalthusianismus, als die freiwillige Beschränkung gewisser ermüdeter Elemente, keine Gefahr mehr bedeuten, die er heute noch tatsächlich ist. Es geht uns gegen das stärkste Lebensgefühl, wenn die rote Linie des Lebens, (die man auf den Tabellen von Drysdale, im Zusammenhange mit der schwarzen Todeslinie, sah), gewaltsam zurückgedrängt und niedergehalten wird. Ein Redner wies darauf hin, daß oft das beste und tüchtigste Menschenmaterial eines Landes zur Auswanderung gedrängt werde. Ich selbst habe in Dalmatien die herrlichsten Menschen, die ich jemals sah, Dalmatiner und Albanesen, / Leute von ungewöhnlich hohem Wuchs regelmäßigen Gesichtszügen und einer geradezu königlichen Haltung, / in Scharen, jeden Freitag das Auswandererschiff nach Amerika (und nach der Türkei!) besteigen sehen, aber gerade diese Tatsache beweist mir nicht, daß diese Prachtmenschen nicht hätten geboren werden sollen, denn das Land, das sie kolonisieren werden, ist jedenfalls besser daran, als wenn eine minderwertige Horde dahin käme. Und wenn irgendeine Frage, so muß gerade die Rassen- und Vermehrungsfrage vom kosmopolitischen Standpunkt aus betrachtet werden.
Aber da ist auch noch etwas wie ein metaphysischer Instinkt, der sich gegen jene Forderung absoluter Geburtenreduktion wehrt: Wie jeder Künstler, so braucht auch die Natur eine gewisse Fülle der Versuche, eine gewisse »Übung«, wenn man es so nennen will, ja Vergeudung, bevor sie etwas Vollkommenes hervorbringt. Und die großen Repräsentanten der Idee »Mensch« sind so selten gesäet, daß auf Zehntausende einer kommt. Die Fülle stoppen, heißt nun auch die Möglichkeit zu der Erzeugung des höchstwertigen Typus Mensch, der die ganze Art um Jahrhunderte vorwärts schiebt, verringern.
Die »Gefahr«, die die Rassenhygieniker à la Professor Gruber vor allem fürchten, ist, daß die geistige Betätigung die Frau in ihrer Eigenschaft als Gebärerin reduzieren wird. Aber sie können ganz ruhig sein. Gerade je höher das Weib in seiner Entwicklung steigt, desto stärker, wenn auch quantitativ beschränkt, wird seine Muttersehnsucht werden, und desto weniger wird es geneigt sein, sich sein unverbrüchlichstes Recht, das auf Mutterschaft, entraffen zu lassen, wie dies heute in Millionen Fällen geschieht, / überall da, wo die rechtzeitige Ehe und die Begründung eines gesicherten Haushaltes unmöglich ist, gar nicht zu sprechen von den Fällen, wo der Fortpflanzung zwar nicht ganz entsagt, wo aber die Auslese durch unechte, unerwünschte Ehe gefälscht wird.
Wenn Fortschritte der Menschheit, wie die Technik der Verhütung der Empfängnis, die Frauenbewegung, eine echte Rassenhygiene und, last not least, eine gesündere Gesellschaftsökonomie, zusammenwirken werden, dann ist es ganz ausgeschlossen, daß die Menschheit nicht auch den Status ihres zahlenmäßigen Vorhandenseins automatisch und schmerzlos regeln wird. Es schadet nichts, wenn auch die Frauen ihre Gebärtätigkeit einschränken, sobald man jenen anderen, die heute zum Zölibat oder zu erworbener Sterilität verdammt sind, auch das Recht auf Mutterschaft gibt und sie nur die moralische Verantwortung dafür tragen läßt, die ja, trotz ausgiebigen Mutter- und Kindesschutzes, an Schärfe nichts zu verlieren braucht.
Wir sehen heute auf der einen Seite Frauen, die unendlich gebären, andere die unendlich entbehren und wieder andere, die unendlich gewähren und doch unfruchtbar bleiben müssen. Vielleicht würden diese letzteren, die ins Dirnentum sinken, eher davor bewahrt bleiben, wenn sie rechtzeitig hätten Mütter werden dürfen.
Frankreich hat jetzt den im 17. und 18. Jahrhundert weit verbreiteten Versuch der Soldatenehen gemacht, wonach die Soldaten das Recht haben, sich zu verheiraten und die staatliche Fürsorge die Soldatenfrauen und -kinder und - bräute umfaßt. Gewisse Heiratsbeschränkungen in unseren Staaten unterliegen zumeist der scharfen Kritik der Fortschrittsfreunde. Immerhin darf man nicht verkennen, daß sie keine andere Tendenz haben, als einen Stand Menschen vor Verelendung zu bewahren. Außerdem wirken sie erziehlich, indem sie die Gründung des Hausstandes von dem Vorhandensein eines oft nur kleinen Kapitals abhängig machen, eines Notgroschens, ohne den tatsächlich eine Ehe kaum gewagt werden kann. So wird von einem Sanitätsoffizier der Nachweis eines Mindestgehaltes von 750 M. jährlich verlangt. Bei Sanitätsunteroffizieren und Gemeinen müssen außer den zur ersten Einrichtung nötigen Mitteln, bei Unteroffizieren ein Vermögen von 300 M., bei Gemeinen, wenn sie sich mit einer Inländerin verheiraten 150 M., wenn sie Ausländerin ist, mit 300 M., im 12. und 19. Armeekorps von 600 M. vorhanden sein. Unterärzte müssen ein außerdienstliches Einkommen von 750 M. jährlich nachweisen und Unterbeamten der Post wird vor der definitiven Anstellung die Eheschließung nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Tatsache ist, daß diese Einkommensgrenzen so niedrig sind, daß man sie allerdings als das Unentbehrlichste für die Begründung eines noch so bescheidenen Hausstandes betrachten muß.
»Teures Brot heißt weniger Ehen und mehr sterbende Menschen« (Adolf Wagner) und »Es hängt die Kinderzahl des Volkes mit seinem Schutzzollsystem, insbesondere seinem Getreide-, d. i. Brotzoll, zusammen« (Friedrich Naumann) »Der Geburtenrückgang« von Dr. Max Hirsch, Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. 8. Jahrgang 1911, 5. Heft.. Solche Reformen wären jedenfalls von durchgreifenderer Wirkung, als wenn, durch Sondersteuern für Unverheiratete, eine neue Daseinsschraube geschaffen wird, die oft in der sonderbarsten Art und nicht immer an der richtigen Stelle kommunistische Maßnahmen, mitten in der Drangsal der Privatwirtschaft, also gänzlich unproportioniert, den sonstigen Verhältnissen gegenüber, schafft.
So wurde in der Stadt Reichenbach im Vogtlande, im Juni 1915, eine Steuer für unverheiratete Personen beiderlei Geschlechts eingeführt. »Unverheiratete Personen über 28 Jahre müssen bei einem Hinkommen von 1400 bis 2200 M. 5%, bei 4000 M. 10%, bei 10 000 M. 15% und bei einem höheren Einkommen 20% Zuschlag zur Einkommensteuer entrichten. Befreit von dem Zuschlag sind diejenigen Personen, die bei einem Einkommen bis 4000 M. für unterstützungsberechtigte Verwandte zu sorgen haben. Die Besteuerung verwitweter Personen wurde abgelehnt.« Daß ein Mädchen aus freier Wahl unverheiratet blieb, oder um sich den Pflichten der Mutterschaft zu entziehen, / ist bei der Lage der Dinge in Deutschland kaum anzunehmen. Wenn sie endlich mit ihrer Arbeit eine Einkommensstufe erreicht hat, die ihr gestattet, die Mühsale des Berufes leichter zu tragen, so muß sie, nach diesem Gesetz, einen relativ sehr hohen Prozentsatz davon abgeben. Dabei ist noch gar nicht ausgedrückt, daß diese Steuer zu Mutterschutzzwecken oder zu Kindererziehungsrenten verwendet wird, sondern es bleibt der Gemeinde überlassen, darüber zu verfügen.
Partiellen Kommunismus / eine contradictio in adjecto / halte ich für eine gefährliche Sache. Entweder wir haben Sozialismus, d. h. eine Gesellschaft, in der die fundamentalsten Lebensbedürfnisse jedes Menschen, von der Stunde seiner Geburt bis zu der seines Todes, absolut von Gesellschafts wegen gesichert sind, (und eine solche Staatsform haben wir leider noch nicht), oder aber wir haben die Privatwirtschaft, in der man m. E. nicht verlangen kann, daß das Privateigentum des Einzelnen, besonders wenn es sich um mühselige Arbeitseinkünfte handelt und er vielleicht noch gar nicht in der Lage war, Sicherungen für seine Existenz und für sein Alter zu treffen, so behandelt wird, als lebten wir inmitten einer kommunistischen Verfassung. Wenn der Staat oder die Gemeinde immer weitere Mittel brauchen, so sollen sie mehr und mehr Betriebe verstaatlichen, d. h. Unternehmer werden. Aber sie sollen nicht dem Einzelnen die Gefahren und die Mühsal des Privatunternehmertums aufbürden, um ihm dann die Erträge seiner risikoreichen Existenz so zu beschneiden, als ob ihm, als Entgelt, kommunistische Sicherheitsmaßnahmen geboten wären.
Dieses Gesetz der Stadt Reichenbach zeitigt überdies das seltsame Phänomen, daß eine ledige Person weiblichen Geschlechts auf ihrem Einkommen noch eine Extrasteuer hat, während sie, bei demselben Einkommen, wenn sie außerdem einen Mann hat, der seinerseits natürlich auch über ein Einkommen verfügt, diese Sondersteuer nicht zu zahlen braucht, auch dann nicht, wenn das Ehepaar kinderlos ist. So repräsentiert sich diese Steuer als eine Extrabuße auf das Zölibat. Eine geplagte Lehrerin z. B. wird dafür, daß sie dem Familienleben von Staats wegen entsagen und sich zeitlebens durch schwere Arbeit selbst ernähren muß, auch noch durch diese Sondersteuer / bestraft. Wie unproportioniert ein solches Gesetz ist, läßt sich am besten daran erweisen, daß es nicht Hand in Hand geht mit allen nur denkbaren Erleichterungen der Eheschließung. Nur dann wäre es einigermaßen zu rechtfertigen.
Auch ein Mann kann davon sehr zu Unrecht betroffen werden. Ein Staatsbeamter z. B. muß so ziemlich alt und grau werden, bevor er ein Einkommen hat, das einigermaßen als Familieneinkommen betrachtet werden kann, wobei der Begriff standesgemäß kaum in Frage kommt. Wenn er also aus diesem Grunde Junggeselle bleiben mußte, so wird er dafür durch erhöhte Steuer noch besonders belastet. Ganz außer Betracht bleibt hierbei der Umstand, ob nicht ein Mann, außer für unterstützungsbedürftige »Verwandte«, auch für uneheliche Kinder Unterhaltbeiträge zu zahlen hat. Das uneheliche Kind gilt ja nicht als mit seinem Vater »verwandt«, demzufolge wird es wohl auch nicht bei Bemessung der Steuer in Betracht gezogen. Konkret und real ist aber dadurch das Einkommen des Mannes sehr erheblich belastet.
Eine sprunghafte Willkür, die zwischen Gesellschaftsformationen pendelt, spricht aus solchen Notgesetzen, die wir aber jedenfalls als Symptom des Überganges einer Wirtschaftsverfassung in eine andere zu betrachten haben.
Selbst Rassenhygieniker strenger Observanz, wie Forel, sind unter Umständen Vertreter eines sehr weitgehenden Neumalthusianismus, der sogar vor der zwangsweisen Sterilisierung nicht zurückschreckt, nämlich bei Verbrechern und schwer Belasteten. Auch Menschen mit vererbbaren Krankheiten überhaupt, die in manchen Staaten Amerikas von der Eheschließung ausgeschlossen sind, könnten dadurch, daß sie sich der Sterilisierung unterziehen, zur Ehe zugelassen werden. Unter den Staaten Europas ist Schweden der erste, der Menschen, die mit erblichen Krankheiten behaftet sind, das Heiraten verbieten will, während diese Beschränkung in vielen Staaten der amerikanischen Union schon besteht. In Kalifornien werden Idioten und Trunkenbolde, in Indiana außerdem auch Epileptiker von der Eheschließung ausgeschlossen, in New Jersey muß ein von zwei Ärzten unterschriebenes Gesundheitsattest erbracht werden; in Michigan ist ein ganz vortreffliches Gesetz in Wirksamkeit, wonach Personen, die an gewissen Geschlechtskrankheiten litten, mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft werden, wenn sie sich verheiraten, bevor ihre Heilung eine so vollständige ist, daß für die Nachkommenschaft keinerlei Schaden mehr daraus erwächst. In Kalifornien und Indiana sind auch gewisse Verbrecherkategorien von der Heirat ausgeschlossen.
Der schwedische Forscher, Dr. Anton Nyström, steht auf dem Standpunkt, daß die Ehefrequenz durch Präventivmittel sogar bedeutend erhöht werden kann, die Bevölkerungszunahme im großen daher dieselbe bleibt, als wenn keine Präventivmittel angewendet und dafür weniger Ehen geschlossen werden. »In den allermeisten Fällen erstrebt man nicht Sterilität, sondern nur Beschränkung der Kinderzahl.« Und während bei der Anwendung der Präventivmittel die Fruchtbarkeit erhalten bleibt, (beim vorehelichen Verkehr auch die Geschlechtsgesundheit), wird, ohne Präventivverkehr, sowohl die Fruchtbarkeit als die Geschlechtsgesundheit schwer gefährdet; einesteils deshalb, weil dann in zahllosen Fällen, anstatt zu antikonzeptionellen Mitteln, zur Fruchtabtreibung gegriffen wird, woraus sich unheilvolle Folgen für Leben und Gesundheit der Frauen ergeben Dr. Max Hirsch, »Der Geburtenrückgang«.; andererseits, weil dann, wie Blaschko es ausgedrückt hat, die Syphilis die Krankheit aller Menschen wäre. Professor Forel hält es für nötig, Präventivmittel anzuwenden, nicht nur um die Fortpflanzung einer kränklichen Nachkommenschaft oder »defekter Untermenschen« zu verhindern, sondern auch behufs Vorbeugung von Elend und Not. Er hält es für notwendig, das Geschlechtsbedürfnis und das Zeugungsvermögen als zwei durchaus verschiedene Dinge zu behandeln. »Unser starker Geschlechtstrieb«, sagt er, »steht in keinem Verhältnis zu den Zeugungsforderungen, zu der Möglichkeit, unsere Kinder großzuziehen und vor allen Dingen zu ihrem Anspruch auf ein anständiges, menschenwürdiges Leben.«
Der Nachsatz, den er zu dieser Bemerkung macht, bedarf allerdings einer Einschränkung. Er meint: »Es hegt indessen nicht in unserer Macht, den Trieb selbst zu ändern, während wir die Zeugung regulieren können.« Man kann aber auch auf dem Standpunkt stehen, daß es auch in unserer Macht hegt, den Trieb selbst zu ändern, in dem Sinne, daß er niemals das höhere Selbst des Menschen versklaven darf. Es ist anzunehmen, daß ein Mensch, der seinen Geschlechtstrieb, der vielleicht durch jede noch so niedrige Reizung rege wird, nicht »ändern« (im Sinne von beherrschen) kann, auch gar nicht imstande und willens sein wird, die Zeugung zu regulieren. Es gibt lüsterne Wüstlinge genug, die alle Schutzmittel verschmähen, unbedenklich Frauenzimmer, die sich ihnen anbieten, schwängern, / nachher wird dann abgetrieben. Hier haben wir die unsittliche Fruchtbarkeit, / die gänzlich wilde. Hier ist durch die schweren Schädigungen des weiblichen Organismus infolge der Abtreibung, im allgemeinen (nicht immer) eine gute Ausjäte am Werk: Dirnenhafte Weiber lassen sich, um verschiedener Vorteile willen, ohne Schutzmaßnahmen benützen und schwängern. Nachher greifen sie, je nach den pekuniären Vorteilen, die sie sich von dem einen oder anderen System versprechen bzw. je nach dem Plane, den sie dem Mann gegenüber verfolgen, entweder zur Fruchtabtreibung, oder sie gebären das Kind; meistens jedoch, um den Mann zu weiterem Verkehr mit ihnen zu veranlassen und den Bruch hinauszuschieben, finden sie sich zur Abtreibung bereit. Daß aus ihnen keine Mütter werden, ist meistens nicht zu beklagen.
Wo diese Art von Geschlechtstrieb wütet, da ist allen Lastern und allen Verbrechen Tür und Tor geöffnet, da werden Menschen verjaucht und schmutzig, ehe sie es noch merken, da steht die Tür zum Zuchthaus weit offen, da lauert der moralische Ruin und der soziale Zusammenbruch. So rächt sich / das Geschlecht, wenn es, anstatt als Heiligtum gehalten zu werden, in die Kloake gezerrt wird.
Auf dem Dresdener Kongreß 1911 führte Dr. Ferdinand Goldstein aus: »Die Gegenüberstellung heute heißt nicht, wie beim Raubtier, Individuum und Nahrung, sondern Individuum bzw. Mensch und Arbeit. Die Arbeitsbedingungen und die Verteilungsmöglichkeiten der Arbeit sind das Entscheidende.« Dieser Satz hat viel Richtiges, denn die natürlichen Nahrungs- und Produktionsmittel der Welt kommen hierbei nicht in Frage, da sie durch Systeme sozialer Art nicht zu gerechter Verteilung gelangen. Unbedingt verteilt werden aber die vorhandenen Arbeitsstellen und zwar nach dem System, daß den einen mehr, den andern weniger oder gar keine Arbeit zugewiesen ist. So gibt es, z. B. in den kapitalistischen Oberklassen, ein vorwiegend aus Damen bestehendes Publikum, das nur / konsumiert und gar nichts leistet, gar nichts produziert. Für diese Klassen werden, in Scheffeln, immer neue Zerstreuungen und Vergnügungen ausgesonnen, denn da sie eben ihre ganze Zeit nur zur Konsumtion verwenden, so genügt alles das nicht, was produziert wird, / um sie satt zu machen.
Nach der verteilbaren Arbeit und ihrem Ertrag muß sich die Zahl der Köpfe richten, die in einer Gesellschaft versorgt werden können. Übervölkerung heißt: Mehr Arbeitsangebot, als Arbeit zu vergeben ist. Daher spricht Goldstein von einer sozialen Übervölkerung, die in allen Ständen zu beobachten sei, besonders auch im gebildeten, nicht kapitalistischen Mittelstand, der zu den besitzlosen Klassen zu zählen ist, weil die notwendige Lebenshaltung den Erwerb fast vollständig verzehrt, so daß ausgiebige Sicherungen, in Form von wesentlichen Kapitalersparnissen, immer weniger getroffen werden können.
So richtig die Ausführungen Goldsteins in bezug auf soziale Übervölkerung sind, so hatte er dennoch eine vollständig unrichtige Vorstellung von Deutschlands Finanzkraft, als er auf dem genannten Kongreß zu Dresden 1911 äußerte: »Wir haben zwar eine große Armee, aber wir bekommen beim Krieg kaum genügende Anleihen.«
Unsere drei deutschen Kriegsanleihen Derzeit sind es schon vier geworden, und das Resultat der vierten übertrifft noch das der andern drei. sind jetzt / im Film zu sehen. Da wird der Eiffelturm gezeigt, der 300 Meter hoch ist und daneben / in Tausendmarkscheinen aufeinandergeschichtet, / das Ergebnis der drei deutschen Kriegsanleihen, welches, nach genauer Berechnung, bei der Stapelung in Tausendmarkscheinen, / um mehr als das Dreifache über den Eifelturm hinauswächst. / Dieser glänzende finanztechnische Erfolg hat aber / eine Kehrseite, die sich am besten durch die Variation des Wilhelm Buschischen Wortes »Vater werden ist nicht schwer, / Vater sein dagegen sehr« ausdrücken läßt: Schuldenmachen ist nicht schwer, / aber zahlen desto mehr. Und die Opfer werden erst dann anfangen, wenn das Reich, d. h. das Volk, diese von ihm selbst aufgebrachten Kriegsmilliarden an sich selbst zurückzuzahlen haben wird und zwar mit 5% Zinsen. Bis jetzt kann ich in dem Ergebnis der deutschen Kriegsanleihen keinen Ausdruck der Opferwilligkeit sehen. Denn ein Patriotismus, der sich mit 5% verzinst, ist zwar der Ausdruck dafür, daß das Reich Kredit hat, aber kein Opfer, sondern eine vielbegehrte Kapitalsanlage. Jeder Mensch würde sehr gerne heute sein Geld in deutschen Kriegsanleihen investieren, wenn er nur welches hätte. Gerade die Besitzenden haben also auch hier wieder Gelegenheit zu einer vortrefflichen Kapitalsanlage gehabt, und waren dabei noch Primapatrioten obendrein. Alfred H. Fried schreibt dazu, in seiner, »Friedenswarte Oktobernummer 1915.«: »Der einzelne Staatsgläubiger wird sich bei dieser Kapitalsanlage vielleicht ganz gut stehen, aber der Schuldnerstaat wird schwere Lasten dem Volke auferlegen müssen. Die Not Frankreichs kann keine Tugend Deutschlands sein. Bis 1877 war das Deutsche Reich überhaupt schuldenfrei. Das ermöglichte seinen großen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Lebenshaltung des Volkes war in Deutschland bedeutend besser als in Frankreich. Man vergleiche nur die deutsche Wohnungskultur mit der französischen, wo enge und beschränkte Räume, ohne jeden Komfort, die Norm bilden. Arbeiter und Mittelklassen lebten vor dem Krieg in Frankreich ungleich schlechter, als in Deutschland. Und das (nämlich daß es jetzt auch bei uns so kommen dürfte) soll unser Trost sein? / Nein, wir lassen uns durch dieses lustige Rechenexempel nicht betören.«
Ähnliche Verhältnisse wie in Frankreich herrschen in Österreich schon seit 1809. Durch die Kriegslasten ist besonders der Grund und Boden in Österreich so belastet worden, daß komfortables Wohnen, selbst in Wien, ein Begriff ist, den nur die sehr Wohlhabenden kennen, während der Mittelstand, nach deutschen Begriffen, für enormes Geld erbärmlich wohnt, so daß es sogar eine Wohnungsnot im Mittelstand gibt, während die des Proletariats unheimlich ist.
Über »die dunkleren Häuser« Wiens, die Häuser des Proletariatsbezirkes Ottakring, ist kürzlich eine Betrachtung von einem Wiener Schriftsteller, Karl Marilaun, erschienen.
»Hier ist die Schattenseite dieser so oft als gemütlich belobten und verschrieenen Stadt, und die da in den beklemmend endlosen, trostlos geraden Zeilen der vierstöckigen Zinskasernen wohnen, sind immer auf der Schattenseite menschlichen Erlebens gestanden. Kamen zur Welt, ein Waschtrog war ihre Wiege, oder ein noch nicht gepfändetes Gitterbett aus dem Abzahlungshaus; strichen früherfahren durch die Straßen, saßen mit dem Kainszeichen des Auswürflings in der hintersten Bank ihrer Schule, repetierten unverdrossen und immer noch einmal die vierte und fünfte Volksschulklasse, kamen zu einem Binder, Schlosser oder Kürschnermeister in die Lehre und führten mit 18 Jahren, schmal emporgewachsen, eingefallen die Brust, von ihrem ersten Wochenlohn das Mädchen aus, dessen Leib vielleicht schon gesegnet war, auf daß es in 20 Jahren Kürschnergesellen und Hilfsarbeiter und Liebende in Ottakring gäbe …« Oktobernummer 1915.
Ein Wiener Nationalökonom formulierte Österreichs Wirtschaftslage seit 1809 folgendermaßen: »Jeder Österreicher wird in Schulden geboren.« Kriegsanleihen sind eben positive Schulden kolossalster Art, / die man zu bezahlen hat. Um diese Milliarden abzuzahlen, wird ein volkswirtschaftlicher Druck geübt werden müssen, der uns mit ahnungsvoller Beklommenheit erfüllt, besonders da dem Staat auch noch die Aufgabe erwächst, die Hinterbliebenen zu versorgen und besonders da auch der unversorgte Frauenüberschuß, die Mädchen, die keine Männer mehr finden werden und die Witwen, notgedrungen als Lohndrückerinnen und Unterbieterinnen dem Arbeitsmarkt zuströmen werden, der durch sie, ebenso wie der Markt der Prostitution, / billiges Menschenfleisch bekommt, besonders soweit es sich um Schichten handelt, die bisher noch nicht gearbeitet haben und daher als ungelernte Arbeitswillige den Markt überfluten werden. Die Lebenshaltung des Volkes wird durch die finanztechnisch so glänzend aussehende Kriegsanleihe bzw. durch die Notwendigkeit sie abzuzahlen, aufs furchtbarste gedrückt werden, wodurch eine freudige Steigerung der Geburtenrate kaum zu erwarten ist.
Die sexuelle Krise, die Not des Geschlechtes, die generative und die wirtschaftliche Bedrückung ist durch diese Weltkatastrophe des Krieges ins Ungemessene gewachsen. Wirtschaftlich könnte uns eine Milliardenkompensation vielleicht retten. Der Sieg der Waffen ist ja so gut wie entschieden, die Zentralmächte haben ihn wahrhaft heroisch errungen. Aber, / der Zwang eine Milliardenkompensation von den Feinden herauszubekommen, / gerade der ist es, der den Friedensschluß so lange hinausschiebt, den Krieg so lange dauern läßt und immer neue Opferungen von Hekatomben von Menschenleben mit sich bringt …
Ein uferloses Phrasenmeer ergoß sich, schon im zweiten Kriegswinter, über das Bevölkerungsproblem. Öffentliche Eiferer stürzten sich darauf, mit schnöder Hast, und versuchten, der niedergedrückten Menschheit eine nationale Gebärbegeisterung zu suggerieren, für die nirgends in den Gemütern und nirgends in den wirtschaftlichen und sexuellen Verhältnissen, gerade in dieser Zeit, die geringsten reellen Voraussetzungen bestanden. Eine bestimmte Richtung der Frauenbewegung, die sich durch ein Jahrzehnt gegen das bloße Anrühren des Sexualproblems und gegen die Forderungen des Mutterschutzes versperrt hatte, die ihre Kongresse und Ausstellungen gerade mit ostentativer Übergehung dieser Richtung in Szene setzte, / dieser Flügel, der sich immer nach der herrschenden Windrichtung dreht, plädierte auf einmal für das »weibliche Bedürfnis, Leben weiter zu geben«, nachdem sie durch ein Jahrzehnt die Mutterschutzbewegung, die der Ausdruck dieses Bedürfnisses ist, / feindselig boykottiert hatten. Frauenrechtlerinnen von ganz besonders asexueller Art, denen die Probleme des Geschlechts für alle Zeiten versiegelte Mysterien bleiben werden, stürzten sich auf einmal auf das Sexualproblem und besonders auf das Bevölkerungsproblem und » lösten« es mit den Phrasen der Oberfläche, »lösten« es so, wie man es bei oberflächlichster Betrachtung sehr schnell theoretisch aber nicht praktisch »lösen« kann, indem man aus den Verlusten den zwar naheliegenden und oberflächlichen, aber dennoch durch und durch unrichtigen Schluß zieht, daß jetzt diese Verluste in schnellster Vervielfältigung möglichst doppelt und dreifach ersetzt werden müssen, daß das Heil der Nation darin bestände, auf die schleunigste Art wieder / recht schnell und recht bald / eine große Armee liefern zu können. In Wahrheit ist die Tatsache, daß Armeen überhaupt notwendig werden, die Folge einer Bevölkerungs- und Wirtschaftspolitik, in der sich das Leben staut, in der Nahrung und Arbeit nicht mehr zureichend und erreichbar für alle vorhanden sind, so daß dieser Zustand zu kriegerischen Verwicklungen führen muß.
Weder der Rasse noch der Nation, sondern höchstens nur den herrschenden Oberschichten ist gedient, wenn das Leben, das die Rasse hervorbringt, zum Verhungern, zur Verelendung oder zum kontraselektorischesten Massentod in den gerade durch die Überproduktion »unvermeidlich« gewordenen Kriegen verurteilt ist. Was »wohlgeboren« wird, soll auch erhalten bleiben, sein Leben auswirken können, bis zur natürlichen Auflösung / und nicht niedergemetzelt werden müssen, / in der Blüte …
Niemals wird sich, auch rein instinkthaft, gerade der Geschlechtstrieb so vollständig vor sich selbst verkriechen, / wie man es ausdrücken möchte, / als wenn da draußen die unermeßlichen Leichenfelder ins Unendliche anwachsen … wenn diese Schlachtstätten mit den Kadavern der kernigsten Mannheit eines Volkes / gedüngt sind. Da soll man / zu Hause / mit wirklicher Lebenslust ans Zeugen, Gebären und Lieben denken??? Als nationale Phrase kann man das wohl in die Menge werfen, / in den erstarrten Herzen ist kein Widerhall darauf.
Weder vor der Übervölkerung noch vor der Untervölkerung brauchen wir uns zu fürchten, weder die eine noch die andere kann je zu einer Gefahr werden, / »wenn wir rechtzeitig die erforderliche Konsequenz aus den veränderten Tatsachen ziehen. Und diese Konsequenz kann nicht anders lauten, als: Menschenökonomie … Wir müssen erkennen, daß die Menschenökonomie die Grundlage der gesamten Wirtschaft darstellt und daß nur auf dieser sorgsam ausgebauten Grundlage sich ein festes Gebäude der nationalen Wirtschaft erheben kann. Neben dem Bodenkapital, neben dem Industriekapital, neben dem Finanzkapital haben wir eben bisher das organische Kapital nicht genügend beachtet, wir lebten von diesem selber, statt uns nur auf dessen natürlichen Zinsertrag zu beschränken Rudolf Goldscheid: »Frauenfrage und Menschenökonomie.««.
Die polarsten Gegensätze: das Problem der Zeugung und das Problem der Vernichtung / Sexualproblem und Kriegsproblem / sind oder sollen vielmehr die Eckpfeiler jeder reformatorischen Entwicklung sein. Diese beiden Probleme und das Nahrungsproblem müssen erst gelöst werden in dem Sinne, daß weder eine unnatürliche generative und wirtschaftliche Not, noch eine unnatürliche Massenvernichtung des Lebens jemals wieder möglich ist, / ehe wir uns wirklich als Angehörige einer geordneten, kultivierten Gesellschaft betrachten können, ohne in uns einen lächerlichen Wahn zu wiegen, den das namenlose Leid eines jeden Tages widerlegt, / ehe freudig und allgemein an reichliche Fruchtbarkeit gedacht werden kann, / die der bewußte Wille dann ebenso sicher begehren wird, / wie er sie jetzt / nicht begehren darf und kann.
Professor Dr. von Luschan, der bekannte Anthropologe, hielt anfangs November 1915 in Berlin eine der »Deutschen Reden in schwerer Zeit«, die aber, ihrem ganzen Ténor nach, / zu spät kam. Im ersten Taumel der Kriegsbegeisterung hätte es vielleicht stärker gewirkt, wenn man so ins volle Horn gestoßen hätte, / im Sinne der Aufopferung des Einzelnen unter die Idee des Staates. Wertvoll an der Rede war, daß sie allerhand Rassenillusionen zurückwies, die dem Gebildeten natürlich als solche längst schon bekannt sind, während die große Menge an ihnen noch festhält. Professor von Luschan führte aus: » Das Wort Rasse wird meistens sehr mißverständlich angewandt; man sollte es eigentlich überhaupt nicht gebrauchen. Ganz besonders fallen linguistische und anatomische Menschengruppen durchaus nicht zusammen. Deshalb ist die Ausdrucksweise »arische Rasse« ebenso unsinnig, wie etwa »langschädlige Grammatik«.
» Rassen, Völker und Nationen entstanden, dem Werden folgte ein Vergehen. Die wahren Ursachen des Verfalls der Völker sind uns vollständig unbekannt. Der Kulturhistoriker Seeck schrieb den Untergang des alten Rom dem Militarismus und dem Imperialismus zu.«
Gleich darauf, nachdem der Redner ausgeführt hatte, daß die wahren Ursachen des Verfalls der Völker uns, d. h. sogar der Wissenschaft, vollständig unbekannt sind, behauptete er selbst mit Präzision, / Rom sei nicht an seinen Kriegen und seinen Kaisern, sondern an der bewußten Beschränkung der Kinderzahl zugrunde gegangen.
Den Ausführungen Luschans habe ich folgendes entgegenzusetzen: Unter den Verfallserscheinungen Roms spielt allerdings auch die Beschränkung der Kinderzahl eine Rolle, besonders deshalb, weil sie als der Ausdruck generativen Versagens gerade bei dem entarteten Rom angesehen werden muß, während in unserer Kulturwelt, wie die Wissenschaft aller Disziplinen feststellte, die Beschränkung der Kinderzahl durchaus nicht auf eine physische Degeneration zurückzuführen, sondern der Ausdruck einer sozialen Zwangslage ist. Das ist der Unterschied / zwischen uns und Rom. Und daß in reichen Familien oft die Fruchtbarkeit tatsächlich physiologisch abnimmt, daß diese Geschlechter oft sogar aussterben, / auch das braucht uns nicht im geringsten zu beunruhigen, denn eine Rasse erneuert sich von unten, und im Aussterben gewisser übermüdeter Rassenelemente ist ein vollständig richtiger und heilsamer sozial-biologischer Ausgleichsprozeß zu sehen.
Denn diese übermäßig Reichgewordenen sind meist nicht die Tüchtigen an sich, sondern sie haben den Reichtum, der vielfach durch besondere Skrupellosigkeit erworben wurde, ererbt. Durch ihre geringe Kinderzahl wird hier ein Ausgleich geschaffen, und die übermäßig angehäuften Güter / gelangen an die Allgemeinheit zurück. Da ja über den Verfall von Völkern nichts Genaues bekannt ist und hier nur Hypothesen aufgestellt werden können, so liegt, wie ich meine, über den Verfall Roms eine andere Hypothese, als die von Luschan verfochtene, weitaus näher. Ich bin der Meinung, daß Rom an seiner Entartung, Unzucht und Schwelgerei zugrunde ging, und daß diese Entartung in solchem Ausmaße nur möglich war / durch seine Klassengegensätze, durch das Sklaventum, welches zu einem Drohnenleben der Oberklassen, zu ihrer Verfaulung und Entartung führen mußte. Vielleicht ist Rom also zugrunde gegangen, weil es sich gegen die humanisierenden und sozialisierenden Tendenzen des Christentums versperrte, die das starke, aufsteigende Germanentum willig annahm. »Humanität« wurde in der letzten Epoche von Seiten der Rassenhygieniker als ein Hemmnis für die Entwicklung der Rasse bezeichnet. (!) Not und Elend wurden von ihnen / als Faktoren der Selektion ausgerufen! / / / Nun / Rom ist nicht durch Humanität zugrunde gegangen, sondern gerade deshalb, weil ihm dieser Begriff der Humanität, d. i. der / Menschenökonomie, den erst das Christentum der Menschheit gab, / vollständig widerstrebte.
Man kann nicht vom Einzelnen verlangen, daß er generative Kollektivaufgaben erfülle, deren Realisierung ihm vollständig unmöglich gemacht wird. Daß Rom an der Beschränkung der Kinderzahl zugrunde ging, ist / eine Hypothese. Daß aber hier, bei uns, derzeit ein Ei 35 Pf. kostet, In Wien sogar 1 Krone das Stück. / das ist keine Hypothese, sondern eine Tatsache und zwar eine solche, die die Geburtenrate weitaus stärker beeinflußt, als jede Heraufbeschwörung der Manen Roms, / mit richtiger oder mit falscher Tendenz.
Die »Gesellschaft zur Bekämpfung der Übervölkerung Deutschlands«, deren Vorsitzender Dr. Goldstein ist, erstrebt als Reformen die Abschwächung und Einschränkung der §§ 218/219 des Strafgesetzbuches, mit der Begründung, daß nicht nur eine medizinische, sondern auch eine soziale Indikation zum künstlichen Abort zulässig sein soll. Wer, wie Grotjahn, das Dreikindersystem als Minimum fordert, der müßte auch unbedingt, wenn er konsequent und einsichtig das Problem zu Ende denkt, auf dem Standpunkte stehen, daß z. B. eine Arbeiterin, die ihre drei Kinder hat oder gar haben soll, durch ihre wirtschaftliche Lage nicht genötigt sein dürfte, in die Fabrik zu gehen, sondern, als Entgelt für ihre Mutterleistung, über ein zureichendes Einkommen verfügen müßte, welches ihr gestattet, zu Hause zu bleiben und ihre Kinder zu pflegen. »Gegen die Berechtigung der Präventivmittel in zahllosen Fällen kann nur derjenige sprechen, der keinen Begriff davon hat, was es heißen will, eine Menge hungriger Kinder und wenig Nahrung zu haben. Bei den zahlreichen Familien, wo dieser Fall zutrifft, sind Warnungen vor Präventivmitteln geradezu unmenschlich.« Dr. Anton Nyström, in einem offenen Brief an die Reichstagsabgeordneten seines Landes.
Daß die weiße Rasse, um sich siegreich zu erhalten, sich in dem Grad vermehren muß, wie die gelbe und die schwarze, ist ein krasser Trugschluß, der wiederum durch den Krieg auf das glänzendste widerlegt wurde.
Die Völker, die sich in ihrer Fruchtbarkeit so unbegrenzt vermehren, wie die gelben und die schwarzen, haben eine Sterblichkeit, die sie wie Unkraut wegjätet, und es gibt unter ihnen kaum Greise. In einer neueren Untersuchung über die Leistungsfähigkeit deutscher Soldaten hat Dr. J. Spier Dr. Spier, München: »Die Widerstandsfähigkeit des Kulturmenschen im Kriege«, »Der Zeitgeist« des »Berliner Tageblatt« vom 21. 6. 1915. nachgewiesen, daß Strapazen, von denen ein Bruchteil einen stiernackigen Neger fällen würde, von weißen Nervenmenschen in einer Weise überwunden werden, wie sie in der Kriegsgeschichte aller Zeiten noch nicht da war. Und daß gerade das verfeinerte Nerven- und Seelenleben der Kulturrasse, von dem man eine Dekadenz befürchtete, der unerschöpfliche Born ist, aus dem er seine Widerstandskraft holt, die sich vor allem aus moralischen Quellen nährt und aus solchen des Bewußtseins überhaupt, um dann von da aus stählend auf die körperliche Leistungsfähigkeit zu wirken. Die Hindenburg-Armee z. B. leistete in Dauermärschen und in Überwindung von Strapazen aller Art Rekorde, wie sie weder die Armeen des Xerxes noch die des großen Alexander jemals erreichten.
»Gerade Naturvölker besitzen gegen Hunger, Krankheiten, lange Leiden eine minimale Widerstandsfähigkeit. Sie werden dann dezimiert … Was nun Ertragen von Schmerzen, Aushalten von furchtbaren Verletzungen betrifft, so muß der Kenner der Kriegsschrecken hier bewundernd eingestehen, daß weder Mucius Scävola, noch irgendein anderer freiwilliger Sucher von Wunden und Tortur heldenhafter als unsere Soldaten sich gebärden konnte … Die seelischen Insulte, die Träume der Psyche, wie man das wissenschaftlich benennt, finden am modernen Kulturmenschen ein Material von seltener Elastizität. Man muß staunen, wenn man erlebt, wie schnell sich die Soldaten an das Grauen der Schlachtfelder, an Totenstätten mit aashaften Ausdünstungen, an schlimmste Erlebnisse akkommodieren. Die Elastizität der Seele ist wunderbar. Gewiß gibt's immer Individuen von labiler Konstitution … Deshalb sind paradoxe Proben von Mut, Ausdauer, Durchhalten, Erholungsfähigkeit bei scheinbar zarten, schwächlich dünkenden Individuen zu registrieren. Man kann als Dokument hierfür ja Rußland anführen, dessen rohes, recht primitives, sogar gut aussehendes, kräftiges Menschenmaterial absolut gegenüber unseren, ich möchte sagen, Nervensoldaten versagt. Man unterschätze die Russen nicht. Sie sind vorzüglich körperlich ausgestattet, jedoch ›Nerven‹ haben sie nicht. Und das ist diesmal ein Manko.« Ebenda.
Nur eine Qualitätszeugung und eine Auslese der Geborenen macht solche Ergebnisse möglich. Eine Vermehrung der weißen Rasse ist ganz gewiß zu wünschen, mit zwei Einschränkungen: erstens, solange die Oberfläche der Erde noch dazu fruchtbaren Raum bietet und genügender Nahrungsspielraum vorhanden ist, zweitens, solange nicht die Qualität unter der Quantität leidet. 70 000 Engländer halten in Indien 300 Millionen Eingeborener im Zaum. Auch die Chinesen sind, obwohl zahlenmäßig den Europäern ungeheuer überlegen, ihnen aber, was Lebenskraft und Lebensdauer anbelangt, untergeordnet. Die russischen Horden wurden, obwohl rassig ein sehr tüchtiges Material, von einer gegen acht Mächte sich zugleich verteidigenden Minderheit, den verbündeten Armeen Deutschlands und Österreich-Ungarns, immer wieder zurückgeworfen, obwohl die unerschöpflichen Reserven immer wieder die Berge ihrer Leichen ersetzen. Der amoralische Organismus der russischen Armee ist die Ursache ihrer Niederlage. Dieser Krieg hat, wie noch nie einer, den Beweis erbracht, daß die höhere Moral, das höchste Rassenmerkmal, schließlich auch gegen eine noch so gewaltige aber minder qualifizierte Übermacht Siegerin bleibt.
Im übrigen ist die Geburteneinschränkung ein Korrelat fortschreitender geistiger Entwicklung. Gerade weil nach dem Kriege die Nation mit noch größerem Eifer zu sehr starker Vermehrung angetrieben werden wird, weil dieses gefährliche Pflichtideal ganz sicher als ein nationales dargestellt werden wird, weil man die Verluste des Krieges, in überhitzter Weise, durch Hinauftreiben der Geburtenrate schleunigst zu ersetzen trachten wird und weil dadurch Deutschland bald wieder einem überheizten Dampfkessel gleichen dürfte, nachdem der furchtbare und schmerzliche Aderlaß eben erst etwas Luft geschaffen hat, / muß die Gegenseite der Medaille der unbegrenzten Volksvermehrung deutlich gezeigt werden. Im übrigen ist das der Praxis gegenüber fast überflüssig, und es geschieht mehr um der Theorie halber. Denn in der Praxis wird, nach wie vor, keiner zum Märtyrer der Statistik werden wollen, die Theorie muß aber um so klarer sein, um schädliche und gewalttätige Maßnahmen, wie etwa das Verbot des Verkaufes der Präventivmittel, jederzeit bewußt bekämpfen zu können.
Dr. Hamburger hat Tabellen über die Ergiebigkeit der Arbeiterehen aufgestellt, aus denen hervorgeht, daß in Arbeiterehen mit zunehmender Geburtenzahl der prozentuale Ertrag der Ehe sinkt. Auch die Stillpropaganda nützt in allzu kinderreichen Arbeiterehen nicht viel, denn die Ernährung so vieler Kinder kann die Mutter zumeist nicht leisten. Auch nützt die Muttermilch dem Kind nichts, wenn sie von Metallsalzen oder anderen Giften, die die Mutter in der Fabrik einatmet, verdorben ist. Darum sind die Stillstuben, die jetzt in Fabriken hier und da errichtet werden, auch erst ein Versuch, dessen Resultat vorsichtig abgewartet werden muß. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß eine tadellose künstliche Ernährung, etwa mittels Soxleth, der Muttermilch, wenn sie an Qualität Schaden erlitten hat, vorzuziehen ist. Nach den Tabellen von Hamburger kommen auf etwa 100 Geburten 40 Todesfälle. Das gibt einen Überschuß von 60. Auf 85 Geburten kommen aber nur 21 Todesfälle. Es wird also ein Überschuß von 64 erzielt. Deutschland hat noch heute, trotz sinkender Geburtenziffer, den größten Geburtenüberschuß aller Nationen, mit Ausnahme von Rußland, welches trotz seiner enormen Säuglingssterblichkeit durch die riesige Bruttozahl sich auch in der Überschußquote behauptet. Jede Geburt, die nicht das 16. Jahr überdauert, bedeutet einen Verlust an Nationalvermögen und eine Vergeudung an Frauenkraft, Vergeudung biologischer und nationalökonomischer Kräfte. Diese Überkonzeptionen und Übergeburten, bei Hungerlöhnen und in Elendsquartieren, repräsentieren daher keinen Wert, sondern vermindern im Gegenteil den Überschuß. In Arbeiterfamilien beträgt, nach den Tabellen von Hamburger, die durchschnittliche Fruchtbarkeit der Frau und Familie 7, bei sog. reichen Frauen dagegen 3½, also genau die Hälfte. »Die Gesamtverluste betrugen:
Bei den Reichen | Bei den Arbeitern | |
Todesfälle: | 9,85% | 32,75% |
Fehlgeburten: | 8,17% | 17,89% |
Zusammen: | 18,02% | 50,64% |
Bei den Arbeitern also fast dreimal so viel Verluste, wie bei den Reichen.«
G. Höft hat in einer einschlägigen Untersuchung In der Zeitschrift »Das monistische Jahrhundert«. nachgewiesen, daß die Geburts- und Begräbniskosten für Säuglinge etwa über 100 Millionen M. jährlich betragen und daß wir, wenn wir noch die Säuglingssterblichkeit des vorigen Jahrzehntes hätten, »jährlich über 150 Millionen M. in Säuglingsgräber werfen würden. Kämen wir zu einer weiteren Verminderung der Säuglingssterblichkeit, wie sie in England, Holland, der Schweiz oder gar Skandinavien besteht, so könnten wir weitere 50 Millionen M. jährlich ersparen. Der Rückgang der Kindersterblichkeit (bis zu 15 Jahren) seit 30 Jahren ist so groß, daß heute auf 2 Millionen Geburten jährlich 122 000 Kinder mit 380 000 Lebensjahren weniger sterben als früher. Das heißt wirtschaftlich, es werden jetzt 190 Millionen M. weniger in Kindergräber geworfen als einst, und im ganzen ist durch den Rückgang der Sterblichkeit seit 30 Jahren das deutsche Volk sicher um 6-8 Milliarden M. reicher geworden. In der als produktiv angesehenen Lebenszeit von 15 bis zu 60 Jahren lebt im Durchschnitt heute die deutsche Bevölkerung 1¾ Jahre länger als vor 20 Jahren. Das bedeutet für eine Generation einen Gewinn von zwei Millionen Lebensjahren oder, wenn man das Jahr zu 300 achtstündigen Arbeitstagen rechnet, einen Gewinn von fünf Milliarden Arbeitsstunden. Diese Zahlen beweisen wohl zur Genüge, daß es sich um eine gewaltige Vermehrung des Volksreichtums handelt. Und wenn wir fragen, was von Staat und Gesellschaft für die Verbesserung der Lebensverhältnisse aufgewandt worden ist, so werden wir finden, daß es gar keine rentablere Kapitalsanlage geben kann als diese.« Im Anschluß an den von Goldscheid geprägten Begriff »Menschenökonomie« kommt Verfasser zu dem Resultat: » Massenproduktion pflegt Schund zu sein! … Denn die Massen, die den Kampf ums Dasein nicht bestehen, sinken nicht in den Tod, sondern in schlechte Verhältnisse. In ihrem Elendssumpfe pflanzen sie sich fort, vergiften die organische Reserve des Volkes.«
Goldscheid hat das Wort »Weg mit dem Schutz der Schwachen« mit schneidender Richtigkeit dahin gewendet, daß wir um so mehr auf einen Schutz vor Schwächung bedacht sein müssen. Er wendet sich »gegen die ›extremen Selektionisten‹, die ›im Dienste reaktionärer Mächte‹ sich die schwere Sünde zuschulden kommen lassen, ›mittels Übertreibung der Gefahren des Schutzes der Schwachen planmäßige Diskreditierung des Schutzes vor Schwächung hervorzurufen‹.«
Dr. Heinz Potthoff, ein Forscher derselben Richtung und trefflich rechnender Nationalökonom, hat die Summe aller Sachgüter in Deutschland auf etwa 300-350 Milliarden M. geschätzt, denen 1000 Milliarden M. als Aufzuchtskosten der gegenwärtigen Bevölkerung Deutschlands gegenüberstehen. Er führt aus, daß diese »in den Menschen selbst angelegte Summe« sich entsprechend verzinsen muß, dadurch daß jeder Einzelne mehr leistet als er kostet.
Mit unerschrockener Wahrhaftigkeit ist ein Publizist, Paul Harms, wiederholt dem Kesseltreiben gegen den Geburtenrückgang entgegengetreten. »Dagegen muß im Namen der sozialen Gerechtigkeit sowohl wie im Namen der sozialen Gesundheit entschieden Widerspruch erhoben werden. Entweder schafft billiges Brot und billige Kleidung, gesunde Wohnung und Licht und Luft zur Erholung auch für die hart arbeitenden Klassen, / dann wird sich die Zahl der Geburten von selbst wieder heben. Oder, mögt ihr das nicht, weil ihr für eure Privilegien fürchtet, so findet euch wenigstens damit ab, daß das Wachstum der Bevölkerung dem Punkte nahe ist, wo es erst zum Stillstand kommt und dann langsam rückläufig wird. Aber hütet euch, im Deutschen Reich ein Herdenvolk tributpflichtiger Proletarier künstlich wieder aufzüchten zu wollen, dessen Lebensaufgabe nur darin bestehen würde, eine dünne Oberschicht von Privilegierten zu sättigen! Dies Verbrechen am Volke, 400 Jahre nach Thomas Münzer und 200 Jahre nach Jean Jacques Rousseau noch einmal verübt, würde sich an seinen Urhebern furchtbar rächen« »Berliner Tageblatt«, 5.7.1912..
Über den Zusammenhang von »Frauenerwerbsarbeit, Frauenkrankheiten und Volksvermehrung« hat Dr. Max Hirsch, Frauenarzt in Berlin, eingehende Untersuchungen veröffentlicht. Er nennt die Befürchtung einer Entvölkerung unseres Vaterlandes, angesichts der Resultate der Volkszählung vom Dezember 1910, die eine Zunahme von rund 4 200 000 seit dem Jahre 1905 und von rund 8 400 000 seit dem Jahre 1900 ergeben hat, übertrieben und unbegründet, findet vielmehr die Gefahr einer Übervölkerung näher liegend, »wenn man bei annähernd gleichbleibender Bevölkerungszunahme für das Jahr 1930 eine Volksziffer von 80 Millionen Einwohner (!) in Anschlag bringt« »Sexualprobleme«, Zeitschrift für Sexualwissenschaft und Sexualpolitik. Herausgeber Dr. med. Max Marcuse, Juli 1912.. Allerdings ist seit 1906 nicht nur die absolute Geburtenziffer sondern der Geburtenüberschuß selbst gesunken. Bis dahin hatte die schnellere Abnahme der Sterblichkeit den Geburtenüberschuß erhöht Während dieses Buch im Druck ist, März 1916, veröffentlicht die Statistische Korrespondenz bemerkenswerte Zahlen, aus denen sich ergibt, daß allein die preußische Bevölkerung im Jahre 1914 um rund 400 000 Menschen gewachsen ist..
Die Tätigkeit der Frauen in schweren und aufreibenden Berufen hält er, mit Recht, für eine der Ursachen des Geburtenrückganges. Dieser Zudrang der Frauen zur Erwerbsarbeit ist aber, wie er zugibt, kein freiwilliger; sondern eine Folge der Industrialisierung und der Wirtschaftsform der Gegenwart, »eine Notwendigkeit, die der Kampf um die Existenz den Frauen auferlegt und in deren Richtlinie die weitere Entwicklung liegt«.
Die groben, schweren und vergiftenden Arbeiten hat man im übrigen den Frauen seit jeher gelassen, nur die geistigen, höheren und freudigeren, besser bezahlten und weniger schädlichen Berufe sucht man ihnen zu verschließen. Die gewerbliche Arbeiterin des modernen Industriestaates erleidet zweifelsohne in ihrer Mutterkraft Abbruch. »Die Arbeit im Sitzen schädigt durch Druck auf die Unterleibsorgane, Hemmung des Kreislaufes, insbesondere des venösen Rückflusses, Herabsetzung der Verdauungstätigkeit. Die Arbeit im Stehen führt zur Erhöhung des intraabdominalen Druckes, zu Hernien, Vorfällen, Blutstauungen in den unteren Extremitäten. Die in manchen Betrieben übliche Arbeit in gebückter Stellung erzeugt Verkrümmungen der Lenden- und Rückenwirbelsäule, Hernien und Senkungen der Genitalorgane, vielfach auch Blasen- und Nierenerkrankungen. Neben diesen durch die Art, in welcher die Arbeit ausgeführt wird, bedingten Schäden kommen die den einzelnen Betrieben spezifischen Schädlichkeiten in Betracht, wie Verderbnis der Luft durch giftige Gase, wie schweflige Säure, Salpetersäure, Kohlenoxyd, Schwefelwasserstoff, Arsenwasserstoff; Beimischung von staubförmigen Bestandteilen zur Luft, wie Glas, Kohle, Pflanzenfasern; vor allem gewerbliche Vergiftungen durch Blei, Quecksilber, Arsen, Phosphor, Zink, Nikotin, Anilin … Unter Allgemeinerkrankungen nehmen die Chlorose, Anämie und Tuberkulose die ersten Stellen ein. Alle drei sind in hohem Grade von den allgemeinen Lebensverhältnissen (Wohnung, Ernährung, Kleidung, Erziehung usw.) abhängig. Aber die Erfahrung hat doch gewerbliche Betriebe kennen gelehrt, in denen die Arbeiterinnen den Gefahren dieser Krankheiten ganz besonders ausgesetzt sind.«
Gerade diesen erschütternden Tatsachen gegenüber, muß festgestellt werden, daß die sog. Frauenfrage oder Frauenbewegung, die der allgemeine Sündenbock der Rassenhygiene ist, nicht identisch ist mit der Arbeiterinnenfrage, sondern, im Gegenteil, dahin strebt, die außerhäusliche Arbeit, die heute nun einmal ein großer Teil der Frauen leisten muß, aus dem zermalmenden Turnus der Gewerbsarbeit, gegen die keine Seele Einspruch erhebt noch je erhoben hat, herauszuheben in freiere, höhere und gesündere Berufe. Die Lösung der Arbeiterinnenfrage aber ist ein besonderer Teil und eine besondere Aufgabe der Sozialpolitik.
Über den »Untergang der deutschen Juden« hat Dr. Felix A. Theilhaber eine volkswirtschaftlich sehr interessante Studie veröffentlicht Ernst Reinhardt, München.. Er weist nach, daß die Juden langsam aber sicher von der Schaubühne des Lebens zurückgedrängt werden, d. h. aussterben, weil sie »die exzeptionellen Vertreter der ›Unterfrüchtigkeit‹ sind. Ihre Geburtenziffer ist knapp halb so groß wie die deutsche; sie war 1910 noch 15‰«. Den Grund sieht er in der Abhängigkeit des Judentums vom Kapitalismus und in der Rationalisierung des Geschlechtslebens der Juden, in der schweren, wirtschaftlichen Belastung des Mittelstandes, der die jungen Männer im dritten Jahrzehnt ihres Lebens, auf der Höhe der Geschlechtsreife, auf Verhältnisse der Gasse anweist, durch die sie sich infizieren und ihre Fruchtbarkeit schwächen und sich immer mehr an die Ehelosigkeit gewöhnen. Verfasser warnt die offizielle Welt vor ihrer Interesselosigkeit an diesen Problemen, denn »die Probleme, über die die Juden vergehen, sind nicht von ihnen erfunden oder in Erbpacht genommen. Sind mehr oder minder Fragen, die über kurz oder lang den Bestand des freien deutschen Mittelstandes berühren werden. Und die heute höhnisch über die gewaltige Auflösung und Degeneration der jüdischen Massen lachen, können vielleicht noch erleben, daß auch weite andere Schichten des deutschen Volkes vor derselben Alternative stehen. Vielleicht ist dann aber die Zeit, gewarnt durch Beispiele, wie sie hier die Juden geben, einsichtsvoller und entschließt sich, eine gesunde Geburtenpolitik zu treiben: Schutz und Hilfe den kinderreichen Familien zu gewähren, jedem Erwachsenen die Möglichkeit des Zeugens resp. des Gebärens zu verleihen.«
Es wurde festgestellt, daß in Berlin mehr als 40% aller ehelichen Erstgeburten vor der Hochzeit konzipiert wurden und daß in manchen ländlichen Bezirken mit nur wenigen unehelichen Geburten jene Zahl noch größer ist. Dr. Robert Hessen, ein Biologe und Schriftsteller, der die Probleme lebhaft und persönlich anzuschauen pflegt, hielt auf dem Kongreß für biologische Hygiene in Hamburg einen interessanten Vortrag, in dem er besonders den Niedergang der weiblichen Konstitution beklagte, aber den Gedanken verwerflich fand, »arme erschöpfte Weiber durch Verwaltungsmaßregeln in immer neue Kindbetten hineinzuhetzen«. Er verlangt mehr Mutterschutz, biologische Schulreformen und »aufbauende Aktivhygiene«. Die sämtlichen genannten Ärzte wurden erst von der Mutterschutzbewegung auf diese Richtung hingelenkt.
Als charakteristisch für die Richtlinien des Neumalthusianismus sei hier mitgeteilt, daß die Führer der Bewegung den Plan erwogen, den Ausdruck Neumalthusianismus zu ersetzen durch das Wort: Rassenkontrolle. Goldscheid führt aus: »Es ist ja auch ganz klar, daß der Prozeß der Gattungserneuerung sich weitaus ökonomischer vollzieht, wenn mit geringerem generativem Umsatz der gleiche generative Nutzeffekt erzielt wird.« Der Geschlechtstrieb, unter rassendienstlicher Kontrolle, das ist in der Tat ein wirkliches Kulturideal.
Der englische Forscher Drysdale gelangt in seinen Diagrammen der Lebensstatistik der verschiedenen Nationen zu demselben Resultat, wie sein französischer Kollege G. Hardy, der in einem statistischen Werk nachweist, daß die Verminderung der Geburtenziffer oft das einzige Mittel ist, » durch welches das Leben im allgemeinen erhalten werden kann«. Seine Überzeugung formuliert Drysdale in einem Satz, der als der Kernsatz der neumalthusianistischen Bewegung angesehen werden kann: Er stellt die Behauptung auf, » daß nicht eine einzige Person in irgendeinem europäischen Lande durch Verminderung der Geburten verloren gegangen ist, / nicht einmal in Frankreich, das immer als ein abschreckendes Beispiel hingestellt wird«. Er weist an den Beispielen von Neuseeland, Kanada und Australien nach, »daß die natürliche Sterblichkeitsziffer eines Landes, das frei von jedem Mangel ist, sich nicht höher als zehn pro Tausend bemißt, und, da die Sterblichkeitsziffer für Deutschland immer noch 17 pro Tausend beträgt, so kann hier die Geburtsziffer noch fünf oder sechs pro Tausend fallen, ehe die geringste Gefahr einer Bevölkerungsabnahme vorhanden ist. Bis dieser Punkt erreicht ist, werden zwar mehr Geburten nicht mehr Bevölkerung hervorbringen, aber mehr Todesfälle, größere Armut, teuerere Nahrungsmittel und geringere nationale Leistungsfähigkeit. Doch wir dürfen Frankreich nicht vergessen, die ›aussterbende Nation‹, wie es häufig genannt wird, die, nach der Behauptung vieler, in der Volkszahl zurückgeht. Das bewahrheitet sich nicht. Frankreich hat sich innerhalb vieler Jahre, sehr langsam zwar, aber stetig vermehrt, obgleich in einigen Einzeljahren die Sterbeziffer bisweilen die Zahl der Geburten überschritten hat. Die langsame Bevölkerungszunahme Frankreichs jedoch hat nicht das mindeste mit der niedrigen und sinkenden Geburtenziffer zu tun, denn es wird durch die Tatsache bewiesen, daß in der Periode von 1781-84, vor der Revolution, wo die Geburtenziffer sich auf 39 pro Tausend belief, während 37 pro Tausend starben, die Bevölkerung nicht mehr zugenommen hat, als von 1901-06, einer Epoche, in der die Geburtenziffer auf 21 pro Tausend zurückgegangen ist. Alles läuft darauf hinaus, zu zeigen, daß die Volkskraft Frankreichs (der ältesten der modernen europäischen Zivilisationen) nicht imstande ist, sich über etwa zwei pro Tausend im Jahre zu vermehren, und daß sicher vorausgesetzt werden kann, daß seine Geburtenziffer noch viel tiefer fallen dürfte, ohne die Zahl seiner Bevölkerung im geringsten zu beeinträchtigen.
Was schließlich Europa und die ›gelbe Gefahr‹ anbetrifft, so zeigen die Diagramme nicht allein, daß die Sterblichkeitsziffer von der Geburtenziffer durchaus abhängig ist und daß sich deshalb keinerlei Vorteil für die Volkszahl durch das Aufrechterhalten einer hohen Geburtsziffer ergibt, sondern auch, daß die Bevölkerung Europas stetig zugenommen hat und sich heute höher beläuft, als zu irgendeiner anderen geschichtlichen Periode. Dagegen erzeugen im Osten nicht allein die hohen Geburtenziffern entsetzliche Armut, Krankheit und Hungersnot, sondern die Bevölkerung nimmt auch in keiner Weise so zu, wie die Europas. Der offizielle Bericht der Volkszählung in den indischen Staaten beweist, daß, trotz der so hohen Geburtenziffer (fast 50 pro Tausend), die Bevölkerungszunahme in der Dekade 1891-1901 nur 2,4% betrug, was kaum höher, als die Frankreichs, und daß die physische Beschaffenheit des Volkes beklagenswert ist. In vielen westlichen Provinzen hat die Bevölkerung augenblicklich abgenommen.
China steckt in den Banden von Hungersnot, Pestilenz und Aufruhr. Die Sterblichkeit Japans ist mit seinen Geburten gestiegen, und seine Bevölkerungszunahme ergibt sich als niedriger, wie die von Australien oder von Neuseeland, wo die Geburtenziffern ungeheuer zurückgegangen sind. Also gehört die ›gelbe Gefahr‹ ins Reich der Fabel, und wenn sie auch wirklich bestünde, so wird jedes Jahr mit fallender Geburtenziffer Europa stark genug machen, sie zu überwinden. Hierin besteht nicht allein die Rechtfertigung der Geburtenregelung, sondern zugleich ihr Anspruch darauf, die höchste Stelle unter allen Bewegungen für die Verbesserung der menschlichen Wohlfahrt einzunehmen.« Drysdale.
Der holländische Arzt, Dr. Rutgers, weist darauf hin, daß das Stärkere im Kampf ums Dasein gewöhnlich das Rohere und Gröbere ist, auch im sozialen Daseinskampf siegen zumeist die brutalen Gewalten der materiellen Machtmittel, besonders des Geldes, das selbst Talent und Genie zinsbar macht. »Das eben wollen wir nicht; im Namen unseres Gesamtglückes dulden wir das nicht. Nicht die blinde Zuchtwahl der Natur soll uns zur Verzweiflung bringen, sondern die bewußte Zuchtwahl soll uns retten! Wir wollen eine feinere, zielbewußte Auslese.« Gewiß, die individuellen Vorzüge einer höheren Bildung, des Talentes, der Kenntnisse, vererben sich nicht, aber sehr richtig wird hier endlich einmal der Theorie gegenüber, die die Welt nur als generativen Apparat betrachtet, bemerkt: »Sie vererben sich nicht« (zuweilen auch, Anmerkung der Verfasserin), »sie werden aber doch auf die Nachwelt übertragen, nur auf anderem Wege! Nicht auf dem Weg der Erblichkeit, sondern dadurch, daß die nächstfolgende Generation immer wieder mit der vorigen Generation im Zusammenhang aufwächst. Also nicht durch die Kontinuität des Keimplasmas, sondern durch die Kontinuität der sich folgenden Generationen, die Kontinuität der Spezies.« Rutgers.
Auf den Angriff des bekannten Statistikers Dr. Bertillon gegen Frauenarbeit in Frankreich antwortet der französische Forscher Herm. Ferneau: »Es ist angenehmer und lebenfüllender für eine Frau, in zehn Jahren vier Kinder zu gebären und zu erziehen, als zwanzig Jahre lang täglich zehn Stunden in ungesunden Fabrikräumen zu verwelken.« Wie kann man angesichts des eisernen Muß, das der Frau keine Wahl läßt, von »Pflichtvergessenheit« sprechen, » denn die Frau kann nicht zugleich ein erwerbender Sklave des Kapitals und ein kindergebärender Sklave der Gesellschaft sein. Die aus dem Zwiespalt zwischen Persönlichkeits- und gesellschaftlichem Pflichtgefühl langsam entstehende Abstinenz von der Mutterschaft (»der Streik der Bäuche«, wie der Dichter Brieux dies in seinem Drama »Blanchette« nennt), ist so normal, verständlich und unvermeidlich, daß man sich wundern muß, warum so viele Zeitgenossen die Ursachen der Geburtenabnahme in der »sittenlosen« Moral, im »zersetzenden« Einfluß der »modernen Ideen«, in Kunst und Literatur oder im Theater suchen. Sogar Zola (der Erfinder des »Naturalismus«) beging die Enormität, den Lesern des »Figaro« die abnehmenden Geburten mit dem (lebenverneinenden) Einfluß der – – – Wagnerschen Musik (»Tristan und Isolde«, »Tannhäuser« usw.) zu erklären. Wozu diese künstlich-künstlerischen Hypothesen für so nüchterne, so offensichtliche Dinge, als die Folgen der modernen Frauenarbeit und Frauenselbständigkeit? … Man hat die Frau und ihren Konflikt nicht beachtet. Die Frau rächt sich auf ihre Art; sie hilft sich wie sie kann, indem sie zunächst die Mutterschaft entbehren lernt. Die Bevölkerung nimmt ab, die Nation stirbt. Wie denn? Die Gesellschaft fordert von jedem Ehepaar mindestens vier Kinder und betrachtet diese Mutterschaft wie eine selbstverständliche Pflicht der Frau? … Aus dieser Sackgasse, in die unsere kapitalistische Wirtschaftsweise und traditionelle Nichtbeachtung der Frau uns langsam aber sicher führt, gibt es nur einen Ausweg: die Schaffung besserer Existenzmöglichkeiten für die Frau, d. h. die Bezahlung und gänzliche Umwertung der Mutterschaft als soziale Arbeit, die national und großzügig durchgeführte Mutterschaftsversicherung, mit einem Wort: die Anbahnung einer vornehmeren Kultur. Alles andere ist Flickwerk … Nur wenige klarsehende Köpfe (ich nenne den Schriftsteller V. Margueritte, den Senator Strauß, den Professor Richet) fordern heute für Frankreich eine Mutterschaftsversicherung großen Stils, die aus der Kindererzeugung eine / bezahlte Frauenarbeit macht und eben damit die Frau von ihrer sonstigen Erwerbsarbeit entbindet.« Ferneau.
Die organisierten fortschrittlichen Frauenkreise in Deutschland, mit ihren Führerinnen, haben, vor dem Krieg, ebenfalls zur Frage des Geburtenrückganges im Sinne einer Bekämpfung der Übervölkerung Stellung genommen. So forderte Frau Henriette Fürth in einer öffentlichen Frauenversammlung »eine Bevölkerungspolitik, durch die das Geborenwerden krankhafter oder entarteter Individuen verhütet, die Säuglingssterblichkeit weiter herabgesetzt und die Geburten- und Konzeptionsziffer in ökonomisch überlasteten Schichten eingeschränkt wird«.
Bevölkerungsbilanzen, die die Gelehrten aufstellen, führen dazu, daß sich auch der Staat plötzlich für die unehelichen Kinder zu interessieren beginnt. Wägungen der unehelichen Neugeborenen, die Professor Pieper und sein Assistent Dr. Polenz vornahmen, ergaben, daß das Körpergewicht meist nicht nur geringer, sondern größer ist, als das der ehelichen Kinder, so daß sich eine Minderwertigkeit bei der Geburt nicht erkennen ließ. Das gleiche Resultat erzielten die Genannten, in bezug auf die Prüfung der geistigen Leistungsfähigkeit durch Untersuchungen, die sie mit Hilfe verschiedener Schulleiter vornahmen. Die höhere Kriminalität der Unehelichen erscheint demnach als die Folge ihrer sozialen Verhältnisse. Dr. W. Hanauer fordert das Eingreifen der Kommunen, zwecks Schaffung kommunaler Mütter- und Zufluchtshäuser und weist auch auf das Leipziger Ziehkindersystem hin, das sich am besten bewährt und aus der Generalvormundschaft, dem Ziehkindarzt und den besoldeten Pflegerinnen besteht.
Den Vorgang der Säuglingssterblichkeit fassen manche Rassenhygieniker als einen Ausleseprozeß auf. Das wäre er, wenn alle Kinder unter denselben Elendsbedingungen sich »durchsetzen« müßten. Da dies aber nicht der Fall ist, so bedeutet eine Vernachlässigung der Individual-Hygiene, die seltsamerweise zum Wohle der Rassenhygiene gefordert wurde, nur eine Akkumulierung des Elends an den Stätten der Armut, während gleichzeitig die Minderwertigsten unter den Geborenen, deren Eltern ihnen sorgfältige Pflege angedeihen lassen können, erhalten bleiben. Diesen Zusammenhang hat auch Reichstagsabgeordneter Dr. Ed. David sehr klar dargetan. Nicht das Beste bleibt inmitten des Elends erhalten, höchstens das Beste, was dort im Elend vorhanden ist, aber nicht das wirklich Beste, was ohne Elend vorhanden sein könnte. Gesetzesverordnungen gegen Präventivmittel bedeuten eine »Maßnahme«, die allerdings auf schnellem und kurzem Wege getroffen werden kann und nicht so umständlich ist, als ein weitgehender Mutter- und Kinderschutz.
Auch mit steigenden Militärlasten sinkt die Kinderzahl. Ungeheuere Tribute werden gerade der besitzlosen Masse des Volkes auferlegt. Immer weiter sank demzufolge die Geburtenziffer. Havelock Ellis meint, daß selbst das Sinken und Fallen von großen Reichen durchaus nicht den Fall ihrer Zivilisation bedeutet, »zwar der Staat löste sich auf, aber es entwickelte sich das Individuum Rassenhygiene und Volksgesundheit.«.
Mit der zunehmenden Teuerung der Lebenshaltung sank nicht nur die Geburtenzahl, sondern auch die Eheziffer von Jahr zu Jahr. Es kam vor, daß auf den Standesämtern mancher Orte in Deutschland länger als ein Jahr lang überhaupt keine Ehe geschlossen wurde, z. B. in Bad Aibling Soeben, März 1916, ist ein Vorschlag zur Gründung eines Reichsbevölkerungsamtes erfolgt. Medizinalrat Dr. Richter in Königsberg fordert diese Gründung, mit Abteilungen für Wohnungspflege, Marktaufsicht und Pflege des Kindes »vom Keim im Mutterleibe bis zum jugendlichen Arbeiter«..
Eine bemerkenswerte Reform wurde aus Newyork gemeldet: »Der Richter Chatalan vom Obersten Gerichtshofe des Staates Newyork hat verfügt, daß von jetzt ab Probeheiraten für Personen bis zum 18. Lebensjahre eingegangen werden dürfen. Demnach können junge Leute unter 18 Jahren im Staate Newyork Probeheiraten eingehen, oder sie können, wie es in der amtlichen Verfügung heißt, die Lösung des Bundes verlangen, falls die Heirat ihren Erwartungen nicht entsprochen hat. Ein junges Mädchen von 17 Jahren war mit einem Schutzmann der Newyorker Polizei verheiratet worden. Sie verlangte jetzt die Scheidung, weil ihr, wie sie sich ausdrückte, die Probe nicht zugesagt habe. Das Gericht hat zu ihren Gunsten entschieden und die Ehe gelöst.«
Während in Deutschland und auch in Österreich und Ungarn kinderreiche Familien nur schwer überhaupt eine Wohnung bekommen, hat der Stadtrat von Paris einen Beschluß entgegengesetzter Art gefaßt, wonach in den Arbeiterwohnhäusern, die städtisches Eigentum sind, die Mietspreise im umgekehrten Verhältnis zur Zahl der Kinder des Wohnungsinhabers festzusetzen sind. »Während der Mieter, der ein bis drei Kinder hat, für vier Zimmer 400 Frs., für drei Zimmer 333 Frs. und für zwei Zimmer 233 Frs. zahlen muß, brauchen Mieter, die mehr als drei Kinder haben, für vier Zimmer nur 300 Frs. und für drei Zimmer nur 250 Frs. zu zahlen. Man ging bei der Festsetzung dieser Mietpreise von der Erwägung aus, daß, da ein Arbeiter nicht allein, d. h. durch seiner Hände Arbeit, alle Unterhaltskosten für drei oder mehr Kinder unter 15 Jahren aufbringen kann, die Gesamtheit für ihn eintreten muß, um ihm wenigstens das Mietezahlen zu erleichtern.«
Nach dem Krieg wird die Geburtenzahl zweifelsohne steigen, wie immer nach Kriegen. Vorübergehend aber wird durch den Krieg, durch die schmerzlichen Verluste an Menschenleben Luft geschafft werden, worauf Tausende von arbeitslosen Menschen aller Schichten zu »hoffen« verurteilt sind.
In Summa ist zu fordern: Keine Zwangszölibate, dafür Gebärfreiheit gesunder, vollreifer Menschen, mit pekuniärer Sicherung der Kinder und Mütter, solange sie sich nicht selbst erhalten können. Gleichzeitig aber schärfere moralische Verantwortung nicht nur für jede Geburt, sondern für jede Sexualbeziehung überhaupt. Zustände, durch die keine Frau im Elend umkommen muß, weil sie geboren hat und kein Mann deswegen an die Sklavenkette gelegt wird. Für jede bedürftige Schwangere und für jedes uneheliche Kind, nach Bedarf auch für das eheliche, sorgt die Gesellschaft, und, soweit er kann, der Schwängerer, der durchaus nicht gänzlich entlastet, sondern noch schärfer herangezogen werden soll, als heute, schon damit auf diesem Wege sich für ihn Konsequenzen ergeben, die den wildesten Trieben, bei einiger moralischer Besinnung, Zucht auferlegen.
Der Mensch ist heute ein mißachtetes Zuviel in der Gesellschaft, Massenware, die entsprechend entwertet wird. Arbeitslosigkeit ist nicht nur bei den Scharen saisonweise unbeschäftigter Industrie- und Landarbeiter, sondern ganz besonders auch im akademisch gebildeten Mittelstand insofern zu finden, als dort der Ertrag der hochqualifizierten Arbeit in den Jahren der höchsten biologischen Vollreife noch keinerlei Familienexistenz gewährleistet; in diesen Kreisen herrscht, durch die Überkonkurrenz, trotz aller Anstrengungen auch eine, wenigstens teilweise Arbeitslosigkeit, d. h. es kommt nicht zu voller Ausnützung der Fähigkeiten und Kräfte, infolge des Überangebotes im Stande. Nur die reiche Heirat oder die Abstammung aus reicher Familie verhilft da zumeist zur Karrière. Sehr treffend sagt Robert Scheu in seiner famosen Burleske »Der Staatsstreich«: »Den Zensor bezähmt man / durch einen Beirat, die Armut ›bekämpft‹ man / durch reiche Heirat …«
Es sind eben zu viele Menschen überall, die dieselbe Arbeit leisten können. Es muß Luft geschaffen werden, bis der Mensch in der Gesellschaft wieder ein hochwillkommener Wert ist, bis mehr Nahrungsspielraum da ist, für alle, und alles nur auf den Menschen und seine Leistung wartet, wie etwa in Kanada, wo man jeden, der da kommt, mit offenen Armen willkommen heißt und ihm Maschinen, Material und Kredit förmlich aufdrängt, nur damit er da sei und seine Kraft spielen lasse Vgl. Artur Hollitschers packende Studie »Amerika«. S. Fischer, Berlin.. Ähnlich müßte es überall sein, (wenn auch nicht in demselben Maße), um den Menschen aus der Versklavung des Mammons zu retten. Freie Berufschancen für die Frau müssen gefordert werden, aber ergänzt von einem Mutterschutz größten Stils, der ihr in jener Zeit, in der sie nicht arbeiten kann, weil sie ihren Gebärpflichten nachkommt, eine vollwertige Existenz garantiert und ergänzt von der Frauenrente überhaupt! Es dürften sich dann nur wenig Frauen finden, die sich ihrem natürlichen Berufe entziehen. »Die wirtschaftliche ebenso wie die Wehrkraft, die Lebenskraft des Volkes hängt von dem Willen zum Nachwuchs ab. Er wird, gegenüber den Tendenzen, die ihm entgegenarbeiten, in Zukunft nur lebendig zu erhalten sein, wenn für Schaffung und Erweiterung der Möglichkeiten und der Antriebe zu gesunder Fortpflanzung, für reichliche Beihilfen zum Unterhalt und zur Heranziehung der Kinder Sorge getragen wird.« Justizrat Dr. Max Rosenthal: »Die neue Generation«, März 1915. Dieselben Gründe, die den Geburtenrückgang und die sexuelle Krise herbeiführten, / führten schließlich den Krieg herbei.
Der künstliche Abortus ist nur auf ärztliche Indikation hin gestattet. Es wurde, wie schon erwähnt, der Vorschlag gemacht, daß auch eine soziale Indikation hierfür erlaubt sein sollte. Auch die ärztliche Indikation darf nur in den Fällen absoluter Lebensgefahr erfolgen. Bei chronischen Infektions- oder Vergiftungserkrankungen, bei Geisteskranken, Degenerierten und unverbesserlichen Verbrechern ist die Vornahme der Unterbrechung der Schwangerschaft bzw. die Sterilisation nicht erlaubt, wird aber von wissenschaftlicher Seite verlangt. Von sozialreformatorischer Seite wird vielfach darauf hingewiesen, daß durch eine Abänderung des § 218 unser Volk vielleicht ein paar Geburten weniger hätte, dafür aber ärmer wäre an gebrochenen Existenzen. Professor Dr. med. Josef Kocks von der Universität Bonn hat im Zentralblatt für Gynäkologie, Band 36, Nr. 38, einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er, in lapidarer Form, das Recht der Frau auf freie Verfügung über ihre ungeborene Leibesfrucht vertritt. Seine besten Bundesgenossen nennt er hierbei »die armen unglücklichen Kinder, die, entgegen dem Willen und Wunsch ihrer Eltern, als Früchte der rein tierischen Sexualität in und außerhalb der Ehe geboren werden; ferner die vielen Tausende armer Geschöpfe, die jährlich durch herzlose Mütter und Engelmacherinnen gemordet und zu Tode gefoltert werden, oder sonst, nach einem kurzen Elendsdasein, aus Mangel an richtiger Pflege zugrundegehen«. Er nennt diesen Paragraphen eine Scheußlichkeit des Strafgesetzbuches.
Dagegen ist einschränkend zu bemerken, daß vielfach auch unerwünscht geborene Kinder, wenn sie da sind, nicht nur nicht mehr gehaßt, sondern abgöttisch geliebt werden, auch wenn man sie vorher abtreiben wollte. Der temperamentvolle Professor, seinem Stil nach ein höchst origineller Kopf, läßt sich aber auf keinerlei Konzessionen ein.
Das Grauenhafte ist, daß die Kontrolle der Gesellschaft über das Kind erst sehr spät und sehr unzulänglich einsetzte und Brutalitäten noch heute möglich sind. Mit dem Hinweis auf eine siebenmalige Kindermörderin fragt Professor Dr. med. Josef Kocks: »Wäre es nicht besser gewesen, diese ›Mutter‹ hätte das gesetzliche Recht gehabt, sich ihre schwangere Gebärmutter vom Arzt ausräumen zu lassen? Ihr Herz wäre weniger entmenscht worden und ihre Leibesfrüchte hätten nicht nach der Geburt den grausamsten Tod erleiden müssen.« Er weist darauf hin, daß es einen grausamen Mutterhaß gibt, den das Strafgesetz erschaffen hat. Und er verhöhnt den katholischen Standpunkt der Nottaufe, die sogar für den Fötus verlangt wird. Geschlechtlich miteinander verkehrende Menschen, die keine Nachkommen wünschen, sollen, so meint er, auch keine haben. Er fordert das alte römische Recht, Infans pars viscerum matris, zur Verhütung vielen Unglücks. Und sein Ideal ist die Schopenhauersche Willensverneinung, in bezug auf die Kindererzeugung.
Seltsam ist seine Philippika für eine Sorte von Menschen, die er »Monosexuelle« tauft. Unter ihnen versteht er solche Menschen, die sich in jedem Sinne selbst genügen. Nun, gerade diesen Monosexuellen zuliebe, braucht man doch m. E. den § 218 nicht abzuschaffen; wenn sie in jeder Hinsicht keine Partnerschaft benötigen, dann entstehen durch sie auch keine Schwangerschaften. In einem weiteren Artikel über dieselbe Frage »Verbrechen und Gesetz« »Sexualprobleme«. nennt derselbe Verfasser den Fötus einen Teil der Eingeweide der Mutter, auf die sie, wie auf jeden Teil ihres Organismus, ein unbeschränktes Recht haben müßte. Das Wort »Liebe« nennt er eine heuchlerische Bezeichnung für die »legitime oder nicht legitime Entlastung des Organismus von drückendsten Sekreten«. Von der Liebe, die jenseits aller Drüsenbedürfnisse steht, verlautet bei diesem Autor nichts. »Ich sah die Verzweiflung eines verehrten Kollegen über die junge unverheiratete aber gravide Schwester.« Die grausame Unlogik, deren Opfer dieses Mädchen war, liegt darin, daß sie ihr Kind weder haben noch auch abtreiben durfte.
Dennoch bleibt die Fruchtabtreibung für mein Empfinden immer ein Akt grausamer Unnatur. Die Durchlochung der Eiteile, Zerreißung der Eihäute, dieses Wüten gegen den eigenen Leib, / welche Motive müssen bei diesem Akt der partiellen Selbstzerstörung mitwirken, zumindest dort, wo es sich nicht um stumpfe Geschlechtstiere handelt, die diesen Akt ganz ohne Skrupel vornehmen werden, um nur, je eher, je lieber, wieder zu sexuellen Diensten bereit zu sein.
Die Fruchtabtreibung zerstört nicht selten die Fruchtbarkeit der Frau für immer. Dies hat besonders scharf Dr. Max Hirsch nachgewiesen. Die Mutterbänder werden gedehnt, die Gebärmutter erleidet Knickungen, Senkungen und Verlagerungen, und die Fähigkeit, zu empfangen und die Frucht auszutragen, wird oft für immer zerstört. Gerade der Bevölkerungspolitiker muß darum in dem unschädlichen Präventivverkehr eine Prophylaxis gegen schlimmeres Übel sehen. Hier kann man ja meist wirklich sagen: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Das Kind, das sich mancher Mensch zu bestimmter Zeit versagen muß, wird er, unter günstigeren Bedingungen, zu anderer Zeit gern und willig zeugen, wenn er bis dahin organisch nicht dazu unfähig ist bzw. nicht gezwungen war, / sich organisch zu zerstören. Auch andauernder präventiver Geschlechtsverkehr ist etwas Abnormes und führt leicht zu Entzündungen und Wucherungen des weiblichen Geschlechtsapparates Vgl. »Krankheiten und Ehe« in einem Werk von L. Blumenreich, Senator und Kammer.. Dieser Umstand allein verlangt gebieterisch monogame Verhältnisse mit rechtlichem und sozialem Unterbau.
Immerhin ist es »nur dem Gebrauch der antikonzeptionellen Mittel zu danken, daß die Zahl der Fruchtabtreibungen nicht ins Unermeßliche steigt … Amerika hat ein Gesetz, wenn ich nicht irre, seit 1873, welches die Einfuhr und Verordnung antikonzeptioneller Mittel bei Strafe verbietet, dafür marschiert es mit der Zahl seiner Fruchtabtreibungen an der Spitze aller Nationen« Dr. Max Hirsch, »Der Geburtenrückgang«.. Durch das Verbot der Präventivmittel würde, wie die Sachverständigen nachgewiesen haben, »in kurzer Zeit eine vollkommene Durchseuchung des ganzen Volkes mit Syphilis und Tripper erfolgen … Kinder- und Erwachsenen-Sterblichkeit, Gehirn- und Rückenmarkserkrankungen würden eine starke Zunahme erfahren«.
Auch Dr. Ed. Ritter von Liszt, K. u. K. Bezirksrichter in Wien, plädiert dafür, die Fruchtabtreibung straflos zu lassen, »wenn sie vor einem gewissen, eng zu bemessenden Termin nach der Konzeption, im Einverständnis mit allen Berechtigten, von einer sachverständigen und der Behörde verantwortlichen Person vorgenommen wird. Jede andere Fruchtabtreibung ist zu bestrafen, und zwar um so strenger, je entwickelter die Frucht schon war, je größer also die Gefahr sein muß, daß das Kind noch außerhalb des Mutterleibes leben und Schmerzen leiden oder ein geistiger oder körperlicher Krüppel werden könnte.« »Die kriminelle Fruchtabtreibung«, I. Band. Zürich, Art. Institut Orell Füssli.
Es ist ein grauenhafter Gedanke, daß schon der Versuch der Fruchtabtreibung milder beurteilt wird, »wenn nur das Kind, einerlei in welchem Zustand, lebend auf die Welt kam« … »In jedem natürlich empfindenden Menschen wird die Vorstellung der Fruchtabtreibung einen schwer besieglichen Widerwillen erregen. Man wird für alle, die es tun oder an sich tun lassen, verdammt wenig Sympathie aufbringen. Und wenn es sich nur um die Männer und Weiber handelte, die sich widerstandslos ihren Trieben überlassen und die Folgen ihres ›Vergnügens‹ nicht tragen wollen, wäre man mit dem Urteil bald fertig. Doch es handelt sich auch um die Kinder.« Aus der Anzeige des genannten Werkes von Emil Marriot in der »Zukunft«.
Von allem Grauenhaften, was man aussinnen kann, ist das Entsetzlichste die Tatsache, daß es Mißgeburten gibt, die es sind, weil man sie vorzeitig aus dem Mutterleib herausjagte. Man wollte sie als unreife Geburt abtreiben. Zu spät. Sie kamen zur Welt, herausgehetzt schon aus dem Mutterleib, unfertig und mißgeboren, aber / lebend und zum Leben verurteilt.
Der § 220 des Strafgesetzbuches, Absatz 2, lautet: »Ist durch die Handlung der Tod der Schwangeren verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Zuchthausstrafe ein.«
Die präzise Forderung, die aus dem Lager unserer Bewegung erhoben wurde, nach Aufhebung der §§ 218/19/20 kann ich nicht teilen. Wenn auch in der Begründung gesagt wurde, z. B. in den Leitsätzen auf der Generalversammlung des Deutschen Bundes für Mutterschutz in Hamburg 1909, daß diese Paragraphen nicht geeignet sind, die Abtreibungen einzuschränken und außerdem schädliche Nebenerscheinungen schaffen, so kann ich mich der Forderung zu ihrer Abschaffung dennoch nicht anschließen, denn hier ist im Gesetz ein sittliches Ideal normiert, und es wird der Versuch gemacht, es zu schützen. Die Abtreibung ist eine fürchterliche Vergewaltigung der Natur, eine Gefahr für Leben und Gesundheit, (auch dann, wenn sie von sachgemäßer ärztlicher Hand besorgt wird), Eine der häufigsten Folgekrankheiten, die bei der kleinsten Erkältung nach erfolgter Abtreibung eintreten kann und dann meist letal verläuft, ist Bauchfellentzündung. und eine schwere Insulte der weiblichen Seele. Sie leistet jeder Skrupellosigkeit von Seiten des Mannes und des Weibes Vorschub und eröffnet der Gewissenlosigkeit im Geschlechtsverkehr Tür und Tor. Es soll eben nicht geschlechtlich verkehrt werden, wenn man nicht gewillt ist, beiderseits die sichtbaren Folgen vor den Augen aller Welt zu tragen und zu verantworten. Schon dort, wo Präventivverkehr nötig ist, steht der Geschlechtsverkehr nicht auf gesundem Boden. Dennoch muß gerade, um die Fruchtabtreibung zu verhindern, die Freiheit des Handels mit Präventivmitteln gefordert werden. Und der temporäre Präventivverkehr ist eine Hemmung, die sich der Mensch der gegenwärtigen Wirtschaftsepoche eben auferlegen muß.
Ich gebe gern zu, daß der Gesetzesparagraph, der die Abtreibung verbietet und sie unter so exorbitant schwere Strafe stellt, sie in vielen Fällen doch nicht verhindert. In andern aber doch. Und es ist schon als ein Vorzug zu betrachten, daß es dann den Menschen, die sie vornehmen, deutlich wird, daß sie eine Handlung begangen haben, die das Gesetz als schweres Verbrechen bestraft. Gewiß ist hier dem Erpressertum Tür und Tor geöffnet, aber wer sein Geschlechtsleben so gestaltet, daß es in irgendeinem Sinne das Licht zu scheuen hat, der soll den Gefahren, die sich daraus ergeben, ausgeliefert sein. Nur die Angst vor der Gefahr wird seinem dumpfen Gewissen vielleicht Klarheit darüber geben, wohin er, indem er sich vom animalischen Trieb blindlings unterjochen ließ, geraten ist. An eine Aufhebung der §§ 218/19/20 ist bei der heutigen Tendenz in Deutschland, die den Geburtenrückgang bekämpft, gar nicht zu denken. Der Überfall unserer Feinde hat uns gezeigt, daß wir zur Defensive gerüstet sein müssen. Und wenn wir auch, trotz der blutigen Ernte, die der Krieg gehalten hat, temporäre Geburteneinschränkung für notwendig halten, solange die Wirtschaftslage in Deutschland nicht besser ist, so werden doch Gesetze, die die Frage der Bevölkerungsvermehrung ganz und gar in das Belieben des Einzelnen legen, niemals durchdringen.
Neben der ärztlichen Indikation zur Abtreibung hat man die soziale Indikation zu deren Berechtigung gefordert. In den Fällen schweren sozialen Elends könnte man vielleicht die Zulässigkeit der Unterbrechung der Schwangerschaft verlangen, mehr zu befürworten wäre aber der Hinweis auf Präventivmittel, ja sogar deren Verteilung in jenen Kreisen, in denen durch weitere Geburten nicht eine wirkliche Hebung des Bevölkerungsüberschusses, sondern nur eine Vermehrung der Sterblichkeit zu erwarten ist. Die Unterbrechung der Schwangerschaft wäre vielleicht auch dort zu erlauben, wo eine Frau schon etwa drei gesunde Kinder geboren hat und wo die wirtschaftliche Lage eine gesunde Aufzucht weiterer Kinder kaum erwarten läßt. Wäre eine Abtreibung aber vollständig straffrei, so würde sie sehr oft gleich bei der ersten Schwangerschaft angewendet und die dauernde Unfruchtbarkeit gebärfähiger Frauen dadurch häufig erzielt werden. Ein Leitsatz der Generalversammlung des Deutschen Bundes für Mutterschutz in Hamburg 1909 zu dieser Frage lautete: »Die Forderung der Aufhebung dieser Paragraphen bedeutet nicht die sittliche Billigung jeder Abtreibung.« Ich möchte meinen Standpunkt durch die Umkehrung dieses Satzes präzisieren: Meine Forderung der Nichtaufhebung dieser Paragraphen bedeutet nicht die sittliche Mißbilligung jeder Abtreibung. Die Abtreibung ist bestimmt am Platz bei Schwerdegenerierten und bei schweren Verbrechern, und sie sollte, bei ärztlicher Indikation und in Fällen zwingender sozialer Indikation straffrei sein. Um sie zu verhüten, muß die Möglichkeit des Präventivverkehrs und ein vollwertiger Mutter- und Kinderschutz gegeben sein. Gleichzeitig ist, um sie zu verhüten, ein Stoß in die noch immer stillschweigend von der Gesellschaft sanktionierte Doppelmoral notwendig. Und die Verantwortung für ein ehrloses Geschlechtsleben muß den Mann ebenso treffen, wie das Weib, das sein Geschlecht nicht heilig hält. Um dies zu erwirken, muß der Prostitution der Boden abgegraben werden, denn hier ist die Quelle nicht nur der Volksseuchen, sondern der Verseuchung des menschlichen Geschlechtsgefühles. Mit der Untersuchung dieser Frage beschäftigt sich das nächste Kapitel.
Die soziale Indikation zur Fruchtabtreibung sollte in allen Fällen nachweislicher Verführung und besonders der Vergewaltigung gegeben sein. Erst kürzlich wurde eine Mutter verurteilt, die die Abtreibung ihrer 13jährigen Tochter, die angeblich von dem berüchtigten Rektor Bock geschwängert worden war, versucht hatte. In solch einem Fall müßte die behördliche Erlaubnis zur Beseitigung der Frucht und zwar auf schnellstem Wege, mittels einstweiliger Verfügung, zu erwirken sein. Daß der Instanzenweg sich hier nicht »empfiehlt«, dürfte ziemlich einleuchtend sein, da sonst die behördliche Erlaubnis das Resultat einer lebensfähigen Mißgeburt ergeben könnte. Ein warmherziges Sexualempfinden der Gesellschaft müßte es aber ermöglichen, daß nicht jedes junge Ding, das der Überrumpelung der Sinne erlag, die Frucht seines Leibes zerstören muß, z. B. in Fällen, wo die Jugend der Jugend in die Arme sank, wie es in Wedekinds »Frühlingserwachen« geschildert wird. »Die Kleine da hätte ganz gut geboren«, sagt der »fremde Herr« in der Friedhofsszene zu dem Jüngling, / den der Dämon des Geschlechtes in die Wirrnis des Lebens und der Schuld führte, / indem er auf den Leichenstein der Wendla Bergmann deutet. Gewiß, die Kleine hätte ganz gut geboren und vermutlich ein schönes und starkes Kind, / wäre nicht die soziale Indikation gewesen, die die unbeschützte Frühlingsliebe unter allen Umständen unter die Strafe der lebenslänglichen Verachtung, ja fast der Ausstoßung aus der Gesellschaft stellt.
Die Unterbrechung von Schwangerschaften Schwerdegenerierter und schwerer Verbrecher bzw. die Sterilisierung müßte auch gegen ihren Willen zwangsweise erfolgen dürfen. H. Fuchs berichtet in seinem Buch »Wer ist schuld?« Verlag F. Seybold, Ansbach. von einer Trinkerin, 1740 geboren, die ziemlich alt wurde. »Im Jahre 1893 lebten von ihr nicht weniger als 834 Nachkommen, und die Lebensverhältnisse von 709 dieser Nachkommen ließen sich noch genau ermitteln. 181 waren liederliche Dirnen, 142 trieben sich als Bettler umher, 40 bevölkerten die Armenhäuser, 76 waren Schwerverbrecher und 7 von diesen hatten Mordtaten verübt. In der vierten Generation waren alle Frauen der Unsittlichkeit ergeben und alle Männer Verbrecher. Den preußischen Staat hat diese Frau mit ihrer Nachkommenschaft an Gefängniskosten, Unterstützungen, Versorgungsaufwand usw. rund 5 Millionen M. gekostet.« Wer ist schuld? Die Anarchie in der Behandlung des Geschlechtslebens. Bei der bekannten Verbrecherfamilie Zero ergeben sich ganz ähnliche Resultate.
Man ist für die Abschaffung der Fruchtabtreibungsparagraphen auch unter dem Schlagwort eingetreten, daß »der Wille zur Verweigerung der Geburt« respektiert werden müsse. Der Wille zur Verweigerung der Schwängerung wäre m. E. respektabler. Gerade das dirnenhafte Weib »fesselt« so manchen Mann und bringt ihn auf Abwege, die zum vollkommensten Ruin führen, weil er bei ihr sich ungehemmten Geschlechtsorgien hingeben kann. Sie verlangt keine Hemmung, und ist den Folgen gegenüber so skrupellos, wie er. Die Schwängerung bedeutet für sie ein Mittel mehr, um Macht über ihn zu bekommen, sei es, indem sie das Kind gebiert, sei es, indem sie ihn verpflichtet, dadurch, daß sie an sich den verbotenen und gefährlichen Akt der Unterbrechung der Schwangerschaft vornehmen läßt. Solange die Beziehung gut ist, erscheint sie ihm dadurch als Märtyrerin; will er sich von ihr abwenden, so hat sie das Machtmittel der Denunziation der verbotenen Handlung in der Hand. Wer sich so tief erniedrigt, sich in die intimste Beziehung, in die Geschlechtsbeziehung, mit fragwürdigen weiblichen Elementen einzulassen, der gerät eben in die noch tiefere Entehrung, auch durch Geheimnisse und Vertraulichkeiten anderer Art mit ihnen verknüpft zu werden.
Aus keinem anderen Verbrechen, wie aus dem Verbrechen des Mißbrauches des Geschlechtes, ergeben sich, so lawinenartig schnell und in den Untergang reißend, alle nur erdenklichen Komplikationen, die zur Vernichtung führen. Es gibt brutalere Verbrechen, die dennoch etwas Isoliertes bleiben im Leben eines Menschen. Dieses Verbrechen aber, das Verbrechen gegen sich selbst, das generative Verbrechen, der Mißbrauch der Geschlechtlichkeit, wächst in kürzester Zeit zu einem immer gefährlicheren Klumpen Unheil an, vergrößert sich durch alles und jedes, was es auf dem Wege findet, rollt todbringend immer weiter, bis es krachend die Stätten des Lebens begraben hat. Denn dieses Verbrechen stammt aus der Wurzel des Lebens. Es ist eins mit dem Leben selbst. Das Unheil muß wachsen, eben indem man weiter lebt, es sind Keime des Lebens, die sich, ihrem eingeborenen Gesetz nach, entwickeln müssen, darin enthalten. Es ist niemals etwas Isoliertes, wie etwa ein Einbruchsdiebstahl, den jemand aus Not begangen hat, sondern es ist etwas Organisches, Werdendes, Wachsendes, / es ist der ungeheuere Schrecken des Lebens.
Die Abtreibung der Frucht ist die äußerste Spitze der Selbstverneinung, der eigenen Lebensentwertung, zu der es, durch den Mißbrauch der heiligen Schöpferkraft, kommen kann.
In der Rationalisierung unseres Lebens haben wir es so herrlich weit gebracht, daß wir jetzt auch das Geschlechtsleben »rationell« erfassen und nicht wenig stolz sind auf unsere Vernünftigkeit und Wissenschaftlichkeit. Dabei haben wir vergessen, was uns das Leben täglich zeigen müßte, / daß seine tiefsten Geheimnisse, seine dunkelsten Willensstrebungen, daß die Magie des Schicksals niemals von der Vernunft allein erfaßt und gelenkt werden kann. Der Brennpunkt des Lebenswillens aber ist, wie Schopenhauer erkannte: das Geschlecht. Wer da glaubt, hier mit dem Kalkül des Oberflächendaseins »lösen« zu können, wird leicht zum schamlosen Zyniker. Hier, / wo die Mütter wohnen, wo das heilige Leben erzeugt, wo der Schicksalsfaden gesponnen wird, / versagt der Rationalismus. Hier spricht das Instinktleben aus seinen tiefsten Tiefen, hier werden die Fäden geknüpft, die von uralter Ahnenreihe hinüber zu den Werdenden, in die ewige Zukunft leiten. Wenn irgendwo, so ist hier Ehrfurcht vonnöten, Wachsamkeit, Keuschheit, Scheu vor dem Mysterium, Tempelsitten, Kulte. Je wissenschaftlicher rationalistische Definitionen sich hier gebärden, desto flacher erscheinen sie. Äußerste Schrecken zu verhüten, sei unserer Vernunftkultur in diesem Punkte erlaubt. Mehr aber auch nicht.