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1. Mutterwille. / 2. Mutternot. / 3. Mutterschaftsrecht. / 4. Mutterschaftsversicherung. / 5. Mutterschutz.
In der Kunst und in der Wissenschaft und neuerdings auch schon im Bewußtsein der Gesellschaft sehen wir die Mutterschaft von einer Gloriole umgeben, / im praktischen Leben aber finden wir sie niedergetreten oder zu mindest bedrängt, wenn sie nicht durch besondere Vertragsklausel gesichert wurde. Durch die Jahrtausende der Geschichte hindurch hat man mit allen Gewaltmaßregeln versucht, dem Weibe seinen stärksten und natürlichsten Willen, den zur natürlichen Mutterschaft, zur Bereitschaft, das Kind von der Liebe zu empfangen, abzuzüchten. Dem Geschlecht, das die furchtbare Aufgabe des Gebärens zu vollführen hat, dazu mit seinem natürlichsten Willen bereit war und noch mehr bereit gewesen wäre, wenn man es nicht dafür gezüchtigt hätte, / diesem Geschlecht hat man noch eine Moral aufgeladen, die sein Wohl und Wehe den großmütigen Regungen des befruchtenden, in Freiheit verbleibenden Teiles ausliefert. Zu den Qualen des Gebärens hatte das Weib auch noch allein die Verantwortung für die Zeugung zu tragen. Dennoch war dieser Wille zur Mutterschaft, wenn auch oft betäubt, doch niemals ganz zu ersticken. Selbst das verlassene Weib trägt sein Geschick leichter mit dem Kinde. Schon in den ältesten Zeiten ringt diese so moderne und revolutionär erscheinende Sehnsucht nach Ausdruck. Dido, die Königin, klagt in Virgils »Aeneide«:
»Wäre zum wenigsten mir ein Denkmal unserer Liebe
Ehe du fliehst, gewährt und spielte ein kleiner Aeneas
Mir im Palaste herum, der
dir doch gliche von Antlitz,
Ach nicht schien ich mir ganz die Verlassene oder die Witwe.«
»Ehe du fliehst …!« Eine Welt von Resignation liegt in diesem Schrei. Und als Gefangene fühlt sich die stolzeste Königin, die »vollherzige Dido«, weil sie unfrei geworden ist / durch die Liebe.
»Schaff' mir Kinder, wo nicht, so sterbe ich!« fleht Rahel zu Jakob.
Das ist der Wille des Weibes, solange er ungebrochen wirkt. Aber auch hier gibt es ein Entsagen, einen Verzicht, auch dieser Wille wird müde und verebbt im Kampf gegen eine Welt voll Widerstand. Nur in verhältnismäßig kurzen Jahren, während der Zeit der stärksten Leidenschaftsflut, bäumt sich dieser Wille stürmisch auf, nachher flaut er ab, ergibt sich und verzichtet. Und erst wenn es zu spät ist, erkennt die Einsame mit vollem Bewußtsein, / was ihrem Frauenleben gefehlt hat und woran es krankt … Der weise Bevölkerungspolitiker aber müßte mit diesem Willen zur Mutterschaft rechnen. Und es ist unschwer zu prophezeien, daß, was keine moralische, keine humanitäre Erwägung erreichen konnte, / den Schutz der Gesellschaft diesem Willen gegenüber, / die harte Tatsache des Geburtenrückganges erreichen wird. Vergeblich ist es, diesem Willen des Weibes nach Fruchtbarkeit der, wenn er sich erfüllen dürfte, genügen würde, um jenem anderen Willen, dem zur Beschränkung der Fruchtbarkeit, die Wagschale zu halten; / vergeblich ist es, diesem Willen irgendwelche Surrogate hinzuwerfen. In Frenssens Hilligenlei wird das deutlich ausgedrückt. »Die, welche sagen, daß ihr Beruf ihr Leben ausfüllt, die lügen entweder oder sind von Geburt und Natur nicht zur Ehe geschaffen. Wir wollen nicht anderer Leute Kinder versorgen, anderer Leute Kinder lehren, anderer Leute Geschäfte betreiben, fremde Kranke pflegen, sondern wir wollen lieben, besorgen und pflegen und meinetwegen sterben für das, was uns gehört. Ein Beruf macht noch nicht glücklich, wohl einige, die von Natur so etwas Blasses, Stilles, Schwächliches haben, aber die anderen, die Gesunden sehnen sich nach Mann und Kindern / weise Leute sagen freilich, man kann das leicht unterdrücken.«
Die Sehnsucht nach dem Kinde ist der heiligste Instinkt, den die Natur in das Herz der Frau gelegt hat. Sogar die Wilden kennen diesen Trieb als den höchsten. Da gibt es eine alte Sage von einer Frau, die keinen Mann hatte. »Und sie lebte viele Tage in großer Unruhe«, heißt es wörtlich, »da fragte sie sich eines Tages: Wie kommt es, daß ich so unruhig bin, kommt es daher, weil ich weder Kinder noch einen Mann habe? Ich will zum Medizinmann gehn und ihn um / Kinder bitten.« Als sie das getan hatte, fragte er, ob sie einen Gatten oder Kinder haben wollte, darauf sagte sie: » Kinder«. Nun verschafft ihr der Zauberer eine Menge Kinder, die er aus den Früchten des Affenbrotbaumes für sich herauszaubert. Und dann heißt es, in geheimnisvoller Tiefe, in dieser alten Masaifabel weiter: »Aber eines Tages zankte sie sich mit ihnen, und sie warf ihnen vor, sie seien ja nur Kinder vom Affenbrotbaum, da wurden die Kinder still und sagten kein Wort.« Es ist unschwer zu erkennen, daß hier eine Allegorie des unehelichen Kindes vorliegt.
In unserer Zeit konnte man den »Schrei nach dem Kinde« nicht genug verspotten. Daß solche Worte gestammelt werden, sollte die, die sie hören, wahrlich aufhorchen lassen. In diesem »Schrei nach dem Kinde« wird richtig erkannt, daß es schlimm für die Frau ist, wenn sie auf dem Höhepunkt der Leidenschaft auf das Kind verzichten muß. Wenn sie elend, unstet und zerrissen, von einer Enttäuschung zur anderen eilt, zur Unfruchtbarkeit verdammt, und, im Zeitalter der komplizierten Eheschließung, häufig verlassen; ohne in der Treue ruhen und Treue entwickeln zu können; bleibt sie so in ihren weiblichsten Bedürfnissen unbefriedigt, so ist sie auch als Arbeitskraft herabgemindert.
»Einer Frau, die von Gott die geistigen und leiblichen Fähigkeiten empfangen hat, Mutter zu werden, die Mutterschaft vorzuenthalten, ist Mord. Auch ein Mord wider das keimende Leben … Die Einsamkeit des Weibes schreit nach Trost. An seinem Kinde soll sich seine zerschlagene Hoffnung wieder aufrichten. Mit seinem Kinde auf den Knien soll das Weib wieder lachen und jauchzen lernen … Ihr weiblichsten Frauen, in denen mehr Kraft, mehr Seele, mehr Blut ist als in den schwächeren Schwestern, ihr, die ihr so innig die Sehnsucht nach dem Kinde empfindet, einigt eure Kraft, daß sie wachse und stark werde. Daß wir durch sie die Würde der Mutterschaft wieder empfangen. Als unseren natürlichsten, vollkommensten Beruf. Als unser heiligstes, einzigstes Recht Inge Maria »Der Schrei nach dem Kinde«, Verlag Hermann Seemann Nachf., Leipzig..« Dieser starke Wille des Weibes, der sich wohl erst in unserer Zeit zum erstenmal so unverhüllt ans Tageslicht wagte, dieser Wille zur Mutterschaft, macht die politische Aktivität der Frau nötig. Denn es gibt kein Recht auf Mutterschaft ohne Mutterschutz, und diesen ausreichenden Mutterschutz wird sich die Frau in politisch direktester Art selbst erringen müssen.
Von Mutternot und Mutterelend wird der Öffentlichkeit Tag um Tag berichtet. Da hören wir von einer Hochschwangeren, die, zum Selbstmord getrieben, ins Wasser springt, der im Wasser das Kind aus dem Leibe gleitet und versinkt, während die Unselige gerettet wird … Während man die Geburt des Christuskindes feiert, schleppt sich eine werdende Mutter, schon in Geburtswehen, verstoßen von Tür zu Tür, wird überall abgewiesen, ohne eine andere Geburtsstätte zu finden, als die Straße. Als Kindesmörderin wird ein Mädchen verurteilt, dessen zwei Monate altes Kind verhungerte, weil sie selbst nicht genügend Nahrung und kein Geld hatte, Milch zu kaufen. Mit Tee versuchte sie das Kind zu ernähren, nachdem sie sich wochenlang fortgesetzt bemüht hatte, die Mittel zum Unterhalt des Kindes zu erlangen. Vergeblich wandte sie sich an den Vater, dann an das Gericht, dann an den Gemeindevorstand und dann an den Amtsvorsteher. Aber die hohe Obrigkeit bekümmerte sich erst um die Leiche, nicht um das lebende Kind. Die Obduktion wurde sehr sorgfältig vorgenommen, und die Ärzte bekundeten, daß sie eine Leiche, die einen so grauenhaften Anblick bot, wie die dieses verhungerten Säuglings, noch nicht gesehen hätten. Das Gericht verurteilte das Mädchen zu fünf Monaten, ihre Mutter, die ebenso arm ist, zu drei Monaten. »Müssen wir nicht sprachlos vor der ›Objektivität‹ der tiefen Weisheit dieser doch nur männlichen Gesetzgeber und Richter stehen?« schreibt die »Neue Generation« / »die den verwegenen Mut hat, dieser grausigen Hilflosigkeit ein Schuldig zu sprechen?!« Wir hören von einer Mutter, die in einem Zimmer entbunden wurde, das sie mit acht Schlafburschen teilte. Für tot gehalten wird das Kind in die Bodenkammer geworfen, wie ein Stück Unrat. Die Schreckenstaten verzweifelter Mütter nehmen kein Ende. Sie werfen ihre neugeborenen Kinder aus den Fenstern dritter Stockwerke in den Hof herab oder sie setzen sie aus, nicht selten, um sie tags darauf verzweifelt wieder zu suchen; und immer sind sie allein die Schuldigen, die die »Obrigkeit« mit eisernem Griff faßt.
Von einer der Gestalten in ihrem Roman »Der heilige Skarabäus« erzählt Else Jerusalem: »Die Geschichte der Marta Dubbe, die empfindsame Leserinnen so rührt, ich nahm sie einer kleinen Hausschneiderin aus der Seele, die mir mit fernverlorenen Augen ihre Geschichte erzählte, unwissend, daß sie mir damit ein Schicksal gab.
Sie erzählte mir von der Tragödie ihrer Mutterschaft, und wie sie in einem grauenden Herbstmorgen schmerzgeschüttelt von Krankenhaus zu Krankenhaus lief und / weil sie ein Mädchen war / nirgends Einlaß finden konnte. Wie da endlich eine Wärterin heraustrat, ihr erst das Versprechen abnahm, sie werde später bei ihr mieten und für sie nähen, und sie dann in ein Bett unterbrachte. Wie wenig nur, wie Äußerliches mußte da hinzutreten, um die Geschichte im Rothause zu beschließen, wie ich es tat.«
Mit dem sterbenden Säugling im Arme, irren entlassene Wöchnerinnen herum, von einer Gemeinde zur anderen, niemand will ihn ihnen abnehmen, ja, kaum begraben lassen, wenn er tot ist. Wenn eine Mutter ihr verhungerndes Kind in ein Kornfeld niederlegt, in der Hoffnung, daß vorübergehende Leute es finden und dadurch vor dem Hungertode erretten, so wird sie, auch wenn diese Hoffnung sich erfüllt, / zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Ein ungeheuerliches Todesurteil wurde in Glatz gefällt. Anna Werner war beschuldigt, ihr Kind ermordet zu haben. Von Gemeinde zu Gemeinde wurde sie herumgejagt, als sie es unterbringen wollte, auf der Erde schien nirgends Platz dafür; trotz des ungeheuerlichen Elendszwanges, der hier zum Himmel schrie, wurde die Unglückliche zum Tode verurteilt Die leidenschaftliche Agitation von Ruth Bré zur Begnadigung dieser Unglücklichen ist noch in aller Erinnerung.. Mütter entbinden bei Nacht und in eisiger Kälte in Straßenwinkeln und unter Brückenbogen. Sie suchen ihre Kinder zu verbrennen, zu ersäufen, zu ersticken, zu zerschmettern, / und während alles dies sich Tag für Tag ereignet, während man nicht nur duldet, daß es sich ereignet, sondern durch eine komplette Gesellschaftsordnung diese Ereignisse herbeiführt, während die Gesellschaft / und nicht diese armen Elenden / schuldig wird an diesen Ereignissen, / rührt man die nationalen Trommeln gegen den Geburtenrückgang.
»Durch die Weltgeschichte des Frauenelends schleicht das blutige Gespenst der Kindesmörderin. Unzählige sind in Schande und Marter zugrunde gegangen, und die Frau allein trug das Martyrium. Der Mann erscheint an ihrer Seite nur als Richter, Folterknecht und Henker.«
Die Psychologie des Kindesmordes wurde neuerdings von Margarete Meier untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, »daß die schwersten Verantwortlichkeiten nicht in den Täterinnen selbst liegen« und »daß die Verhältnisse überall der Entwicklung des mütterlichen Gefühls entgegenwirken«. Von einer ungeheuerlichen Tatsache unserer Gesetzgebung berichtete kürzlich auf dem deutschen Naturforscher- und Ärztetag in Münster Prof. Dr. Aschaffenburg, Köln. Er berichtet, daß das Begnadigungsrecht nur offiziell ein Recht der Krone sei, tatsächlich aber durch einen x-beliebigen jungen Assessor ausgeübt werde, »der in Berlin sitzt und durchaus nicht immer ein besonderes Verständnis für die Psyche des Verbrechers besitzt«. Der Redner erwähnte diese »bedauerliche Lücke« der Gesetzgebung, im Anschluß an seine Ausführungen über Kindesmörderinnen, die, wenn sie ein Kind nicht während oder gleich nach der Geburt getötet hatten, sondern erst einige Wochen oder Monate später, nach dem Gesetz zum Tode verurteilt werden müssen. Gerade hier aber müßte die Begnadigung von tief psychologischem Verständnis geleitet werden.
Schande und Elend traf seit jeher, zu allen Kulturzeiten, denen der Wert des menschlichen Lebens nicht genügend galt, die uneheliche Mutter. Interessant ist ein Brief der Schauspielerin Caroline Neuber, der späteren berühmten Neuberin. Der Brief ist an den Studiosus Gottfried Zorn gerichtet, der die Neuberin als fünfzehnjähriges Mädchen ent- und verführt hatte: »Zwickau 17.12. Ich bitte dich um die barmherzigkeit gottes und um das blud Christi willen verlasse mich nicht den ich bin ohne dem verlassen. Drum so komm, wenn du deine Ehre und deine seeligkeit retten willst deine Ehre bei den leuden deine seeligkeit bei mir drum so kom um die wunden Christi willen bitte ich dich nochmahls wenn du gleich kein Gelt mitbringst das uns die Leute doch sehen das du mich nicht äffen willst. Kom um Gottes willen du bringst mich sonst um Leben, ich will dir auch mein Leben auf deine Seele binden. / Da bedenke dich wohl Von der Königlichen Bibliothek in Berlin wurde dieser Brief im Original angekauft..«
Die lebenslustige Lieblingssoubrette der Wiener, Josephine Gallmeyer, mußte sich als Kind zu Tode verwünschen lassen, wurde schon als Keim im Mutterleibe verflucht; denn sie war ohne den Segen des Standesamtes da hinein gelangt. »Geliebte arme Schwester,« schreibt ihr Onkel an ihre Mutter, »ich würde es als eine Gnade des Allmächtigen erkennen, wenn dieses unglückliche Wesen, welches du unter deinem Herzen trägst, sterben würde.«
Die Anweisung, betreffend die Verwaltung der öffentlichen Armenpflege der Stadt Berlin, enthält im § 57 den folgenden Satz: »In der Regel wird eine gesunde und arbeitsfähige Frau für fähig zu erachten sein, ein Kind ohne dauernde Unterstützung zu erhalten.« Da kann man doch nur antworten: aber wie! Auch für die kranken und elenden Mütter gibt es keine gesicherte Hilfe.
Ein Schildbürgerstreich wurde erst kürzlich bei der Verwirklichung der Angestelltenversicherung geliefert. Die Versicherungskarten für weibliche Angestellte enthielten eine Rubrik, die zur Angabe etwaiger unehelicher Kinder verpflichtet. Auf solche Art wollte man wahrscheinlich / Kinderschutz betreiben. Diese Verfügung ist der Vorschrift der Feststellung der Virginität bei Feuerverbrennungen ungefähr gleichzuachten. Beide Amtsbestimmungen mußten der Auflehnung der Frauenwelt weichen.
Der Mutterfrevel ist einer der dunkelsten Punkte der modernen Zivilisation, hier kann man wahrlich behaupten, daß die Wilden meistens richtigere Instinkte haben. »Auf den Höhen des Montmartre, mitten in der Wildnis der Bohème, ist vor kurzem ein Opferstock für ledige Mütter errichtet worden. Eine Herme trägt die Büste einer jungen Mutter, an deren vergrämtes, verzweiflungsstarres Gesicht sich das Köpfchen ihres schlafenden Kindes schmiegt: eine Inschrift zeigt den Zweck der Gaben an.«
In einem Heft des »Kunstwart« lesen wir: »Namen haben ihre Geschicke, aber selten so wunderbare, wie der Name Hysterie. Der Gedanke, daß die unbefriedigte Liebessehnsucht gleich einem wilden Tiere im Körper des Weibes rase, hat einst das törichte Wort geboren. Hysterie heißt Mutterweh, und ein jahrtausendelanger Kampf war nötig, um den blöden Aberglauben zu zerstören, daß die Hystera dabei mitspiele.« Uraltes Mutterweh hat sich endlich zum bewußten Mutterwillen verdichtet, der sich sein Mutterschaftsrecht schaffen will. Ich nenne dieses Recht auf »natürliche« Mutterschaft Mutterschaftsrecht und nicht Mutterrecht, um Mißverständnisse zu vermeiden. Unter dem Mutterrecht könnte man an eine Wiederherstellung des Matriarchats denken, während unter dem Mutterschaftsrecht etwas wesentlich anderes zu verstehen ist.
Wenn in einem Liebesverhältnis die Sehnsucht der Frau nach dem Kinde wachgerufen und die Erfüllung dieser Sehnsucht dennoch verhindert werden muß, so führt dieser Zustand schließlich zu schweren Gemütsdepressionen. Nicht selten wäre die Frau, auch ohne daß der Mann ihr die Ehe bieten kann, bereit, sich über das Verbot der Gesellschaft hinwegzusetzen und dennoch das Kind zu empfangen und zu gebären. Meist ist es dann der Mann, der die Sorge und die Verantwortung für ein uneheliches Kind ablehnt. Daß das Glück und die Haltbarkeit des Verhältnisses bei einem solchen Konflikt meist nicht bestehen können, ergibt sich von selbst. Dennoch ist diese Ablehnung des Mannes begründet; denn tatsächlich bürdet ihm heute sowohl die legitime wie auch die illegitime Vaterschaft häufig ein Maß von Pflichten auf, die er bei der gegebenen wirtschaftlichen Zwangslage, die auch dem tauglichsten Menschen nicht zur rechten Zeit eine halbwegs gesicherte Existenz ermöglicht, nicht übernehmen kann.
Das Kind aber ist ein Recht der Frau. Unbewußt fühlt sie vielleicht auch, daß es ihr Schutz sein könnte, / Schutz vor einer langen und zermürbenden Kette fruchtloser Liebesverhältnisse, in denen sie nicht selten ihre besten seelischen und körperlichen Kräfte einbüßt. Sogar bei koketten und genußsüchtigen Mädchen ist ein deutlicher Wandel, eine Vertiefung und Beruhigung des Wesens zu beobachten, wenn die Mutterschaft, unter nicht allzu bedrohlichen Bedingungen, ihnen geboten wird. Der höher entwickelte junge Mann der neuen Generation wünscht auch selbst die Fruchtbarkeit, sofern sie von der Frau ersehnt wird und sein Lebensweg dadurch nicht noch mehr beschwert wird. Wenn er verzichtet, so tut auch er es zumeist, weil er muß. Wenn irgend etwas als »gottgewollt«, weil als naturgewollt, bezeichnet werden kann, so ist es die natürliche Fruchtbarkeit.
Die Gesellschaft hat seit jeher den Versuch gemacht, »individuelle Triebe durch staatliche Vorschriften zu schablonisieren« Caspari.. Insoweit mit dieser Bevormundung des Individuums ein wirksamer Rassenschutz verbunden ist, hat sie Berechtigung. Wir sehen aber, gerade umgekehrt, Gesetze in Wirksamkeit, welche der günstigsten Erneuerung der Rasse schaden. Nach einer neueren Statistik sind in Deutschland 45% aller gebärfähigen Frauen unverheiratet; ein gewisser Bruchteil kommt noch zur Ehe, aber selten unter günstigen Auslesebedingungen. Hier kann tatsächlich nur eine neue Gesellschaftsmoral Wandel schaffen, die bloße Wandlung der moralischen Anschauung des Einzelnen vermag dies nicht.
Man meint, daß eine Gefahr der freien, erlaubten und beschützten Mutterschaft darin läge, daß die Frauen sich dann allzuleicht dem Mann hingeben würden und daß die bestehenden Verbindungen durch den Fortfall des moralischen Zwanges, die Mutter des Kindes zu heiraten, sehr lose und von sehr kurzer Dauer wären. Darauf ist zu erwidern, daß die Frauen, unter dem Druck der sexuellen und der Gemütsentbehrung, fast durchweg schon heute bereit sind, sich dem Mann, den sie lieben, hinzugeben, auch ohne Ehe, nur daß durch die Heimlichkeit und »Unerlaubtheit« des Verhältnisses solche Verbindungen heute von Anfang an viel krisenhafter und gefährdeter sind, als wenn sie unter dem Schutz der Gesellschaft stünden, und daß schließlich das Streben, besonders der Frauen, unter allen Umständen immer auf eine dauernde Verbindung gerichtet sein wird. Sie werden immer die Ehe erstreben. Nahezu jede Frau will mit dem Mann ihrer Liebe die Ehe schließen, und auch der Mann wird der Geliebten die Ehe viel williger bieten, wenn sie nicht von vornherein wie eine Art Strafe über der Beziehung steht, eine Strafe, die er dafür erleiden muß, weil er das Mädchen »entehrte«.
Ohne die Freiheit und den Schutz der Mutterschaft ist und bleibt die Prostitution unvermeidlich; denn durch keine Sexualmoral der Welt ist der männliche Sexualtrieb bis zu der heutigen späten Eheschließung, wenigstens beim normalen, gesunden, jungen Mann, hintanzuhalten. Dieser selbe Lebenstrieb wirkt aber auch in der Frau, und mehr und mehr nimmt sie sich das Recht, ihn anzuerkennen.
Neuerdings, in der Ära des Geburtenrückganges, wird die Mutterschaft in der Theorie so sehr verherrlicht, daß man schon Kinder in der Volksschule in der Säuglingspflege unterrichtet. Kinder lernen Kinder warten! Man legt ihnen den Säugling in die unentwickelten Ärmchen und gibt ihnen Belehrungen über seine Ernährung, Sauberhaltung und Pflege in jedem Sinne. Sie dürfen ihn baden, waschen, pudern, wickeln, füttern und wiegen. Wie aber muß den Lehrerinnen dieser Instruktionen zumute sein, die auf solche Art in Mutterpflichten unterrichten sollen, / ohne, nach den Zölibatsvorschriften, die für sie und andere in Staatsämtern beschäftigten Frauen bestehen, selbst Mütter werden zu dürfen.
Wir halten die Säuglingspflege in der Schule und gar in der Volksschule für eine in vielen Fällen recht überflüssige Belastung. Denn bevor die Kinder zur Mutterschaft gelangen, haben sie die Lehren dieser Kurse ebenso vergessen, wie die vielfachen Flüsse, die Alexander der Große bei seinem Siegeszuge überschritt, oder an ihrem rechten oder linken Ufer verfolgte. Um die Mutter daheim bei der Pflege des Säuglings zu vertreten, / dazu, sagt man, sei diese Belehrung der Kinder notwendig, denn die Mutter habe oft nicht das richtige Wissen. Nun, da müßte man eher erwachsene Mädchen unterweisen, die der Mutterschaft nahe sind und es nicht nötig haben, sich später, in reiferem Alter, von ihren die Volksschule besuchenden Kindern über ihre Pflichten belehren zu lassen. Statt dessen sollte man Schwangere der ärmeren Klassen, besonders ledige Mütter, denen keine Familie zur Seite steht, mit aller Sorgfalt und mit Verständnis für ihre Lage in human geleiteten Freikursen in Säuglingspflege unterrichten.
In der »wilden Sumpfvegetation« sieht Bachofen das Urbild des ehelosen Muttertums. Und er stellt ihm die apollinische Reinheit des Vatertums entgegen, und sieht im Sonnenkult sein Symbol. In der Geschichte der Kultur sieht er eine Entwicklung vom »Tellurismus bis zur reinsten Gestaltung des Lichtrechtes, das Vaterrechtes. Das dionysische Element ist das der Stofflichkeit, der wilderen Triebe, das apollinische repräsentiert Reinheit, Bändigung, Ordnung und Schutz.« Eheloses Muttertum ist heute tatsächlich mit Tellurismus und Sumpfvegetation häufig identisch. Aber nur deshalb, weil das ordnende, leitende Prinzip des Vatertums in jeder Gestalt dabei fehlt und die Mutter der Wildnis überliefert bleibt. Von dieser wildwuchernden unbeschützten Fruchtbarkeit / zum apollinisch-uranischen Prinzip, zum Vaterrecht, das dem Kinde den Vater garantiert, ist gewiß ein großer Fortschritt. Woran wir aber denken müssen, was heute von so vielen Geistern ahnend gegrüßt wird, das ist die Existenz einer größeren Sonne, einer, von der die Sonne, die uns direkt versorgt, selbst wieder Kraft und Wärme erhält, mit einem Wort, an ein höheres Vatertum, als das der Zeugung; an den großen väterlichen Schutz der Gesellschaft, für die in ihr erzeugten Menschenleben. Die Unlösbarkeit vom nährenden mütterlichen Prinzip hat die Geschichte aller Zeiten bewiesen. Die Unverläßlichkeit des persönlichen, väterlichen Elementes aber ebenfalls.
Der Mann, in seinem faustischen Tun, in seiner Bearbeitung der Welt, hat sich als persönlicher Hüter der von ihm erzeugten Frucht nur zu oft als unverläßlich erwiesen. Sicherlich führt die Verinnerlichung unseres kulturellen Fühlens glücklicherweise auch dahin, daß das persönliche Vatergefühl immer mehr erstarkt. Wenn es aber nicht gegen einen Wall von Feindseligkeiten anzukämpfen hätte, wenn das größere Gestirn, die Väterlichkeit der Gesellschaft, ihm wohlwollend leuchten würde, so könnte auch das Gefühl der persönlichen Elternschaft sich nur um so reicher entwickeln. Ist der Mann ein wirklicher Vater, fühlt er sich als Beschützer, und hat er die Möglichkeit, dem Schutz die genügende Ausdehnung zu geben, so wird ihn ja niemals irgend jemand daran hindern. Aber Mutter und Kind sollen diesem persönlichen Wollen und Können nicht auf Gnad' und Ungnad' ausgeliefert sein, und die Fortpflanzung der Rasse darf nicht ausschließlich abhängig bleiben von der materiellen Leistungsfähigkeit des Mannes.
»Alle großen Naturmütter, in welchen die gebärende Macht des Stoffes Namen und persönliche Gestalt angenommen hat, vereinigen in sich beide Grade der Maternität, den tieferen, rein natürlichen und den höheren, ehelich geordneten« Bachofen: »Mutterrecht«.. Sicherlich soll diese geordnete Mütterlichkeit der nur natürlichen vorgezogen werden, das demetrische Prinzip dem aphroditisch-bacchischen. Aber dafür sorgt ja der natürlichste Wille des Weibes selbst. Man gebe der Mütterlichkeit einen unzweifelhaften Schutz, und man wird der Wildnis besser den Boden abgraben, als wenn man die uneheliche Mutter von vornherein auf sie verweist. Nicht an die Wiederherstellung des alten Matriarchates kann gedacht werden. Es war dies die natürliche Form der Familie, die nur die Blutsverwandtschaft mit der Mutter anerkannte, die in der Frau allein die Seßhafte und Besitzende sah. Wir aber brauchen ein Mutterrecht in einem anderen Sinne. Nicht in dem Sinne, daß der Mann prinzipiell ein »Lediger«, ein Herumschweifender bleiben soll, ein Mann, der bei der Frau nur zu Gast ist und weniger zu ihr gehört, wie ihre eigene Sippe. Jede Wirtschaftsepoche hat bestimmte Sexualformen als unabtrennbare Begleiterscheinungen. In einer Zeit, in der der Besitz in den Händen der Frau lag, mußte die Mutter die Repräsentantin der Familie sein. Heute liegt der Besitz, seine Verwaltung und Beschaffung zumeist in den Händen des Mannes, und Recht und Gesetz geben ihm die Repräsentation. Vielleicht wird in einigen Jahrzehnten die völlige ökonomische Gleichstellung der Geschlechter erreicht sein. Aber an ein Matriarchat ist auch dann nicht zu denken; denn wir haben seither in der Geschichte der Kultur die Tatsache der Lebensgemeinschaft von Mann und Frau, die Loslösung der beiden Gatten von ihrer eigenen Sippe und die Erscheinung des stärksten Zusammenschlusses aneinander: in der Ehe. An die Wiederherstellung des Clan- und Sippenwesens ist nicht zu denken. Das Mutterrecht primitiver Zeiten führte zur Häufung der Familienmitglieder, die sich schnell zu Sippen ausdehnen, ein Zustand, der mit unserem Individualgefühl unvereinbar und ohne weit ausgedehnte eigene Scholle durchaus unmöglich ist. Aber an ein Mutterrecht im Sinne des Rechtes auf Mutterschaft muß gedacht werden. Und dieses Recht ist ohne den weitgehendsten Schutz der Gesellschaft niemals voll zu erringen. Die Gesellschaft entzieht der werdenden Mutter »mit Fug die Freiheit, Kinder zu töten, aber mit Unrecht die Freiheit, in alledem, wodurch sie wahrhaft lebendig macht. Diese Freiheit muß sich die Frau zurückerobern!« Gerhart Hauptmann: »Lebensfluten«. Und derselbe Dichter spricht in dieser Frage noch deutlicher: »Bildet eine Liga der Mütter, würde ich den Frauen raten, und jedes Mitglied bekenne sich, ohne auf Sanktion des Mannes, d. h. auf die Ehre Rücksicht zu nehmen, praktisch und faktisch, durch lebendige Kinder, zur Mutterschaft. Hierin liegt ihre Macht, aber immer nur, wenn sie mit Bezug auf die Kinder stolz, offen und frei, statt feige, versteckt und mit ängstlich schlechtem Gewissen verfahren. Erobert euch das natürliche, vollberechtigte, stolze Bewußtsein der Menschheitsgebärerinnen zurück, und ihr werdet im Augenblick, wo ihr's habt, unüberwindlich sein« Gerhart Hauptmann: »Atlantis«..
Stolz, offen und frei werden sich aber nur solche Mütter zu ihren Kindern bekennen, die die Zeugung des Kindes verantworten können, / vor sich / und vor dem Kinde. Bei diesem Appell an die Frauen hätte allerdings die entsprechende Mahnung an die Gesellschaft, von der sie abhängen, nicht fehlen dürfen. Dieser Wille zur Mutterschaft hat der Frau wohl nie gefehlt. Aber wenn sie dafür dem Henker oder dem Schandpfahl, oder auch »nur« der Verachtung, oder »nur« der Not überliefert wurde, so hat sie allmählich lernen müssen, ihn zu unterdrücken. Sehr zum Schaden und Nachteil der Höherentwicklung des Lebens. Ihr Gefühl des Stolzes und der Freiheit wird ihr nicht viel nützen und wird sich nicht dauernd halten können, wenn sie durch ihre Hingabe ins Elend geriet, und diese Hingabe kann dann, unter solchen Umständen, auch nicht verantwortet werden.
Der Vater, der die Nahrung schafft, der dem Vögelchen und dem Weibchen das Futter ins Nest bringt, / ist und bleibt die beste Gewähr für die Aufzucht des Kindes und für die behütete Lebensbahn der Mutter.
Ein Dichter, abseits der Realpolitik, / den wir als solchen sehr schätzen, / übersieht nur allzuleicht die hart-konkrete Wirklichkeit, die besonders dort, wo es sich um die Entstehung neuen Lebens handelt, / als einzig ausschlaggebender Faktor zu gelten hat! Wo es sich um animalisches Leben handelt, / dürfen poetische Verklärungen nicht als Richtlinien gelten, / sondern hier hat in erster Linie die Nährfrage das Wort! Und um diese Frage / gruppieren sich viele Worte! Darüber mehr im dritten Kapitel.
Der Staat, in dem es noch Frauen gibt, die das Recht auf Mutterschaft verlangen, kann wahrlich sehr zufrieden sein. Bald wird er ihnen dieses Recht nicht nur gewähren, sondern die Mutterleistung von ihnen fordern müssen, sie ihnen ermöglichen und sie dazu ermuntern in jeder Form. Da dieses Recht in der kapitalistischen Welt seine Befriedigung nicht ausreichend finden kann, so wird die Nation, die sich erhalten will, zu planmäßigen sozialen und ethischen Organisationen gelangen müssen, deren Anfänge schon in unserer Epoche vorhanden sind und sich der Untersuchung darbieten.
Die Frage der Mutterschaftsversicherung ist im letzten Jahrzehnt zu einem Problem der sozialen Wissenschaft geworden, und es ist unmöglich, hier bei einer Besprechung, sich in fachhafte Detaillierung zu verlieren, vielmehr muß der Hinweis auf die Spezialliteratur und die Hervorhebung gewisser charakteristischer Forderungen und Errungenschaften hier genügen. Unsere Aufgabe ist es, den Umriß der Entwickelung dieser sozialen Erscheinung zu geben und ihre Grundgedanken zu erläutern, nicht aber, hier mit Zahlentabellen zu operieren, die in der Fachliteratur, auf welche wir verweisen werden, zu finden sind.
Über die »Mutterschaftsversicherung in den europäischen Ländern« Felix Dietrich. Leipzig 1907. hat besonders Dr. Alfons Fischer, Arzt in Karlsruhe, wertvolle Untersuchungen geliefert. Gesetzliche Maßnahmen des Schutzes für Wöchnerinnen findet er zuerst in der hebräischen Gesetzgebung: »nach welcher der Frau jegliche Arbeit während der Zeit des Wochenbettes erlassen wurde, unter der Bedingung, daß sie selbst ihr Kind stillen mußte; in diesem Falle wurde ihr reichliche Nahrung umsonst gespendet«. Das erste Wöchnerinnenschutzgesetz in Europa verdankt man der schweizerischen Gesetzgebung, die 1877 eine Verordnung annahm, durch die der Arbeiterin vor und nach der Entbindung eine Ruhezeit von acht Wochen angesetzt wurde. 1878 führte das Deutsche Reich eine obligatorische Ruhezeit von drei Wochen ein, 1883 fügt das Krankenversicherungsgesetz für diese Ruhezeit eine Unterstützung hinzu. Die Schonungszeit der Schweiz ist bis heute noch nicht übertroffen. Auf Deutschland folgten mit Mutterschutzbestimmungen Ungarn, / Österreich, dessen Krankenversicherung auch Wochengeld gewährt, Belgien und die Niederlande, England, Schweden und Portugal, Norwegen, / als Folge der internationalen Arbeiterschutzkonferenz von 1890. In Italien war merkwürdigerweise die Regierung schon im Jahre 1879 zu einem, wenn auch schwachen Schutz der Wöchnerin, in Gestalt eines Arbeitsverbots bereit, während das Parlament sich gegen die Annahme sträubte. Dafür hat Italien den Ruhm, die ersten Säuglingsstillstuben in Fabriken obligatorisch gemacht zu haben (1902). Viel weitergehend ist der Mutterschutz in Spanien. Die Schonungsfrist schwankt zwischen vier und sechs Wochen und kann, auf Grund ärztlicher Atteste, verlängert werden. In Frankreich konnte man sich über die Klassen, denen der Wöchnerinnenschutz gewährt werden sollte, lange nicht einigen, so daß das Parlament zehn Jahre brauchte, um auch nur die einfachsten Schutzbestimmungen zu schaffen, die nicht nur Arbeiterinnen zugute kommen. Der lebhafte romanische Geist hat instinktiv empfunden, daß Schutzmaßnahmen für Wöchnerinnen nicht nur Fabrikarbeiterinnen, sondern auch den Frauen anderer Klassen zu spenden sind. 1910 kam ein Gesetz zustande, welches gerade für Deutschland von Bedeutung ist. Dieses Gesetz schützt nämlich gerade die Lehrerin, die in Deutschland ja überhaupt kein Geschlechtsleben haben darf. Die Elementarlehrerin in Frankreich hat Anspruch, bei vollem Gehalt, in Fällen der Schwangerschaft, einen Urlaub von zwei Monaten zu fordern »und darf ihren Dienst erst wieder antreten, wenn ein ärztliches Zeugnis ihre volle Genesung feststellt, andernfalls ihr ein verlängerter Urlaub zu bewilligen ist«.
Die Geldunterstützungen, die heute von den Versicherungskassen im besten Fall für die Arbeiterin im Wochenbett erreicht werden, belaufen sich meist auf ein Drittel, in seltenen Fällen auf die Hälfte des Tagelohns, / und das in einer Zeit, in der sie das Vierfache ihrer sonstigen Einnahme gebrauchen würde. Unseres Erachtens müßte eine zweckentsprechende Mutterschaftsversicherung die Frauen aller Stände und Klassen einbegreifen, / unter der Voraussetzung des Verzichtes darauf in bemittelten Ständen und der moralischen Forderung nach dem Grundsatz noblesse oblige, d. h.: Die Einzahlung müßte von allen Staatsbürgern, Männern und Frauen, die über irgendwelche, das Existenzminimum überschreitenden Einnahmen verfügen, geleistet werden, / die Auszahlung sollte nur denen zugute kommen, die sie brauchen. Ist die Frau selbst vermögend oder ist der Mann in der Lage, sie und das Kind und den Apparat, Haushalt genannt, zu erhalten, so kann sie auf die Geldunterstützung, für die sie versichert ist, verzichten; ist sie aber weder vermögend, noch der Mann in der Lage, für alle Ausgaben aufzukommen, so ist sie, mitsamt dem Kinde, nicht hoffnungslos der Entbehrung ausgeliefert, und die einigermaßen »anstrengende« und nationalökonomisch vollwertige Leistung des Gebärens garantiert ihr die Möglichkeit, zu leben. Zu den Beiträgen der Versicherten kämen dann noch Zuschüsse von staatlichen und städtischen Behörden, sowie private Spenden. Dieses System der Selbsthilfe plus Staatshilfe ist in Frankreich und Italien im Gebrauch, allerdings nicht in dem allgemeinen gesellschaftlichen Umfang, in dem wir es anstreben. Nur langsam, Schritt für Schritt geht es in den Kulturländern Europas mit dieser so wichtigen Forderung der Versicherung des Wochenbettes vorwärts Soeben ist eine gründliche Studie von Alexandra Kollonthay erschienen, betitelt: »Mutterschaftsversicherung in vierzehn Ländern«..
Aus sich selbst heraus erzeugen jetzt in Deutschland einzelne Stände Mutterschaftskassen. So wurde kürzlich die Gründung einer Wochenversicherung für die Marine angeregt. Über die »Mutterschaftsversicherung im Rahmen des sozialen Versicherungswesens« hat Geheimer Regierungsrat Professor Dr. Mayet genaue statistische Aufstellungen ausgearbeitet. Er fordert die Ausdehnung der bestehenden Versicherung auf sämtliche Kategorien von Arbeitern, ebenso wie auf Ehefrauen und Familienmitglieder der Arbeiter.
Nur die obligatorische Mutterschaftsversicherung für die gesamte Bevölkerung wird wirklich zulängliche Dienste leisten, und schon die moralische Atmosphäre, die sie erzeugt, in der die Mutterleistung der Frau auf jeden Fall anerkannt wird, würde zu einer Gesundung des Bevölkerungsproblems, / durch Erlangung des Rechtes auf Mutterschutz für jede Frau, / beitragen. Schon ist der Vorschlag aufgetaucht »für bestimmte Gruppen der Mädchen des Mittelstandes Vereine für freiwillige Mutterschaftsversicherung zu schaffen«. Merkwürdigerweise wurden von dem Anreger dieser Idee, Dr. L. Eisenstadt, in der Zeitschrift für Versicherungsmedizin, gerade drei Gruppen als besonders geeignet ins Auge gefaßt und zwar: die Jüdinnen, die Beamtentöchter und die Künstlerinnen. In der ungelösten sexuellen Frage findet er mit eine Ursache für das Aussterben gerade der emanzipierten Juden. Ähnlich verhindern prinzipielle Moralkonflikte die Fortpflanzung der Töchter der Beamtenschaft und ökonomische und berufliche Schwierigkeiten die Fruchtbarkeit der Künstlerin. Diese drei wertvollen Frauenschichten unterstehen also besonders der Gefahr, von der Fortpflanzung / sehr zum Nachteil der Rasse / ausgeschlossen zu bleiben.
Besonders verängstigt vom Geburtenrückgang ist natürlich Frankreich, und darum schreiten jetzt dort mutterschützlerische Tendenzen mit Riesenschritten vorwärts. Sogar eine Art Mutterschaftsorden soll, einem neueren Vorschlag nach, gegründet und als ein Kreuz der Ehrenlegion für Mutterschaft bewertet werden. Auch in bezug auf die Forderung nach Kinderprämien und Junggesellensteuern geht Frankreich voran. Der Abgeordnete und ehemalige Kriegsminister Messimy hat einen Gesetzentwurf eingebracht, wonach jede Mutter von vier Kindern eine Prämie von 500 Franken erhalten soll, die teilweise oder ganz zur Sicherung einer Leibrente verwendet werden kann. Der Betrag dieser Rente würde mit der Zahl der Kinder zunehmen, so daß beispielsweise eine Mutter, die vom zwanzigsten bis zum einunddreißigsten Lebensjahr acht Kinder hätte, mit sechzig Jahren eine Leibrente von 518 Francs erhielte. Die erforderlichen Geldmittel sollen erlangt werden durch eine besondere Besteuerung der Junggesellen und der Ehepaare, die keine Kinder oder nur ein Kind haben.
Wir halten es nun nicht für durchaus gerecht, gerade die Kinder- und Ehelosen zu belasten, zu mindest nicht ohne Berücksichtigung ihrer materiellen Lage, die oft ja gerade der Grund ist, daß sie sich Ehe und Nachkommenschaft versagen mußten. Das französische Gesetz über den Schutz der Wöchnerinnen erforderte im Jahre 1913 an Gesamtausgaben etwa rund 11 Millionen Francs. Die Unterstützungen werden nur gewährt, wenn die Wöchnerinnen auf jede Erwerbstätigkeit verzichten, sind unübertragbar und unpfändbar und können zum Teil und auch ganz in Naturalien abgegeben werden.
Alle Gesetze, die Arbeitsruhe der niederkommenden Frauen betreffend, sind so lange nahezu illusorisch, solange sie die Frauen nur zwingen, die Arbeit niederzulegen, ohne ihnen die Mittel zu gewähren, in den arbeitslosen Wochen, bei den erhöhten Ausgaben, die Schwangerschaft und Wochenbett mit sich bringen, zu leben. Darum wird die Frage der Mutterschaftskassen von den Ruhevorschriften aller Art nicht zu trennen sein. Das System der wechselseitigen Unterstützungsvereine ist in Frankreich in der mutualité maternelle besonders ausgebaut, und auf ähnliche Art werden in England neue Einrichtungen des Mutterschutzes gegründet. Die obligatorisch erhobenen Beträge werden diesen Vereinen zugeführt, und sie haben dafür unentgeltliche ärztliche Behandlung und Medikamente zu liefern, sowie einen Krankenbeitrag von 10-12 Francs pro Woche durch 26 Wochen. Durch ein neueres Gesetz, das sich der englischen Kranken- und Invaliditätsversicherung einordnet, erhalten schwangere Frauen, ob sie nun selbst oder ob ihr Gatte versichert ist, eine Entschädigung von 30 M. pro Woche. Hier ist schon ein sehr bedeutender Schritt nach vorwärts getan. In Italien ist die industrielle Arbeiterin obligatorisch auf Mutterschaft versichert und erhält bei der Entbindung oder Fehlgeburt eine Unterstützung von 40 Lire. Diese geringfügigen Leistungen müssen vor allem als Symptome bewertet werden und fordern zu immer größeren und stark eingreifenden Hilfsmaßnahmen heraus.
Die Mutterschutzbestrebungen in Österreich begannen mit der Gründung von Findelanstalten unter Joseph II. Daß diese Anstalten heute nicht den hygienischen Anforderungen genügen, beweist die erschreckend hohe Säuglingssterblichkeit, die zeitweilig hier zu 75% ansteigt. Für eine soziale Sicherung der Mutter und des Kindes tun diese Anstalten so gut wie nichts, und erst in jüngster Zeit wurden Rechtsschutzabteilungen eingerichtet, die sich auch um den Vater des Kindes kümmern, um ihn zur Alimentenzahlung heranzuziehen. Nach dem Muster des »Deutschen Bundes für Mutterschutz« wirkt in Wien ein österreichischer Bund für Mutterschutz, der ein Schwangern- und Mütterheim und ein Bureau unterhält und sich in wichtigen Mutterschutzangelegenheiten mit Petitionen an das Abgeordnetenhaus wendet. In Wahrheit waltet in Österreich, dem unehelichen Kinde gegenüber, wie Marianne Tuma von Waldkampf in einem einschlägigen Artikel berichtet, in der Praxis eine größere Milde als anderwärts. In der in Vorbereitung befindlichen Novelle zum Bürgerlichen Gesetzbuch sollen die unehelichen Kinder den ehelichen materiell nahezu gleichgestellt werden.
Sehr energisch in mutterschützlerischem und bevölkerungspolitischem Sinne gehen die amerikanischen Staaten vor. Der Senat des Staates Illinois plant ein Gesetz, wonach jeder Ledige, der das Alter von 35 Jahren überschritten hat, einer jährlichen Steuer von 40 M. unterworfen wird, aus deren Erträgnissen Mütter für jedes Kind, das nach dem zweiten Jahre ihrer Verheiratung geboren wird, Prämien von 400 M. erhalten. Eine regelmäßige Barunterstützung gewährt auch das Mutterschutzgesetz im Frauenstimmrechtsstaat, in dem es fast keine Armen und keine Trinker gibt, / in Colorado, jenen Frauen, die beim Tode des Mannes mittellos mit unversorgten Kindern zurückbleiben. Eine staatliche Unterstützung für bedürftige Mütter, die ihre Kinder selbst pflegen, gewährt der Staat Ohio in Nordamerika. Witwen oder Frauen, deren Männer arbeitsunfähig sind (wobei wahrscheinlich Arbeitslosigkeit mit inbegriffen ist) Wir vermuten eine falsche Übersetzung des englischen Originals dieses Berichtes, / betreffend den Unterschied zwischen arbeitslos und arbeitsunfähig., sollen eine staatliche Pension erhalten, »damit sie der Notwendigkeit überhoben sind, durch außerhäusliche Arbeit ihren Lebensunterhalt zu erwerben und ihre Kinder entweder zu vernachlässigen, oder sie öffentlichen Anstalten zu übergeben gezwungen sind.«
Hier, zum erstenmal, finden wir Unterstützungen von wirklich wesentlicher Zulänglichkeit, Unterstützungen, die nicht bloß »Andeutungen« sind, wie in den meisten europäischen Staaten, wo die lächerliche Geringfügigkeit der gewährten Summen überall ins Auge sticht. An diesen Unterstützungen hängen in Europa meist noch die einschränkendsten Klauseln, die überhaupt dem ganzen Unterstützungswesen eine grausame Härte geben, was man besonders in Kriegszeiten empfinden und beobachten konnte. Bedürftige Mütter erhalten in Ohio für ein Kind unter 15 Jahren monatlich 15 Dollar (60 M.), für jedes weitere Kind 7 Dollar (28 M.). Gerade die Vereinigten Staaten, in denen man die Notwendigkeit der Frauenarbeit außer dem Hause im weitesten Sinne anerkannte, bringen jetzt pekuniäre Opfer, um den Frauen wieder zu ermöglichen, im Hause zu bleiben und ihre Mutterpflichten da zu erfüllen.
Die Gewalt der Panik in der Bevölkerungsfrage, die sich durch den Geburtenrückgang der europäischen Staaten bemächtigte, kann man am besten an der Tatsache ermessen, daß der eisernste Männerschutzparagraph, den die Gesetzgebung aller Zeiten kennt, in diesem Ansturm gefallen ist. Der grausame Triumphsatz »schutzbedürftiger« Männlichkeit, der mütter- und kindermordende Passus aus dem Code Napoléon (» La recherche de la paternité est interdite« / die Ermittelung der Vaterschaft auf dem Prozeßwege ist untersagt) / ist gefallen, und wenn auch die rechtmäßige Erklärung der unehelichen Vaterschaft noch an Klauseln gebunden ist, (vor allem bei Fällen von Entführung, Vergewaltigung und Täuschung), so ist hier doch ein hochbedeutsamer Schritt nach vorwärts getan.
In Deutschland ist die Frequenz der Entbindungsanstalten in stetem Steigen begriffen, und auch die immer zahlreicher ins Leben tretenden Mütter- und Schwangernheime erweisen sich, der Nachfrage gegenüber, als zu gering, immer noch bleiben obdachlose Mütter in Geburtswehen hilflos. Wer sich über die weitverbreitete Mütter- und Säuglingsfürsorge Deutschlands in ihren verschiedenen Formen und Versuchen unterrichten will, sei auf das Werk von Gustav Tugendreich Ferdinand Enke, Stuttgart. »Die Mütter- und Säuglingsfürsorge« hingewiesen. Neben der Reichsversicherung auf Mutterschutz, die der Bund für Mutterschutz erstrebt, und die bisher am Widerstand des Zentrums gescheitert ist, beginnen die Versuche privater Mutterschaftsversicherung immer festere Formen anzunehmen, zumindest entstehen bis ins kleinste ausgearbeitete Vorentwürfe. Wir erfahren von Mutterschutzkassen der Schauspielerinnen und anderer Berufsgruppen, von Mutterschutzzentralen mit Beratungsstellen in allen Teilen des Reiches.
Aber Hand in Hand mit dem Zentrum arbeitet der katholische Frauenbund gegen die Mutterschaftsversicherung der unehelichen Mütter, welche er in seinen Publikationen »auf das entschiedenste abweist, erstens: weil durch eine solche Versicherung die Stellung der unehelichen Mütter derjenigen der ehelichen in der Gesellschaft vollständig gleichgemacht werden soll, was vom christlichen Standpunkt verwerflich erscheint (!), zweitens: weil die zwangsweise besondere Versicherung für unbescholtene ehrbare Mädchen Gewissenskonflikte und Kränkungen in sich schließt (?), drittens: weil die zwangsweise besondere Versicherung lediger weiblicher Personen eine Verwirrung der sittlichen Begriffe des Volkes herbeizuführen droht und zur Zerstörung der Familie beiträgt.« Die besorgten Damen mußten es aber im Januar 1914 erleben, daß eine große Bevölkerungsklasse gebärwilliger Mädchen tatsächlich auf Schwangerschaft und Wochenhilfe staatlich versichert wurde: die weiblichen Dienstboten. Und zwar wurden durch diese Versicherung nur die Arbeitgeber faktisch und so unverhältnismäßig hoch belastet, daß der Mittelstand, der überhaupt überlastet ist, vielfach auf Dienstboten, deren Wochenbetten er jetzt zu bezahlen hat, verzichten mußte.
Die übliche Entlassung der Wöchnerin aus den Entbindungsanstalten nach 9-14 Tagen wird von den Ärzten einstimmig als schwerer Rasseschaden bezeichnet, da erst sechs Wochen nach der Entbindung, selbst in günstig verlaufenden Fällen, die Gebärmutter sich zu normaler Größe rückbildet, und die Frau bis zu diesem Zeitpunkt entschiedener Schonung bedarf. Eine Mutterschaftsversicherung, die etwas wert sein soll, wird daher unbedingt mit dieser Schutzfrist rechnen müssen. Die Beträge einer solchen obligatorischen Mutterschaftsversicherung, wie wir sie anstreben, müßten in erster Linie von Männern aufgebracht werden, aus dem Grunde, weil Frauen in den Jahren, die dem Gebären und der Aufzucht der Kinder gewidmet sind, die Prämien nicht leisten können, d. h. nicht außer ihrer generellen Tätigkeit des Gebärens, Säugens und Aufziehens, noch dem sozialen Erwerb nachzugehen gezwungen sein sollten. Ohne Zweifel liegt es im Plan der Entwicklung, daß die einfache Schwangeren- und Wochenbetthilfe eines Tages zur Mutterrente ausgebaut wird.
Die Gesellschaft braucht die Mutterrente schon deshalb, damit sie endlich die Rassenkontrolle über das neugezeugte Leben erhält, was durch eine Stellungspflicht der Schwangeren zu erreichen wäre, / ein Zusammenhang, auf den hier zum erstenmal aufmerksam gemacht wird. Die Frau, die von einem Säufer oder einem Gewohnheitsverbrecher oder einem Syphilitiker schwanger ist, wird dann erst zu der heute schon in solchen Fällen ärztlich verlangten Unterbrechung der Schwangerschaft bewogen werden können, / wenn ihre Mutterrente davon abhängt. Auch wäre das schon ein Moment, auf die Gefahr und Unsittlichkeit solcher Zeugung die Frau aufmerksam zu machen, so daß mit einem solchen Prohibitionsgesetz die Schwängerung selbst schon zu einem Akt der Auslese würde, / während sie heute fast das Gegenteil ist. Die Fortpflanzung minderwertiger, psychopathischer, belasteter, verseuchter Individuen könnte dann wirksam verhindert und die staatliche Abtreibung von voraussichtlich degenerierten Früchten vorgenommen werden. Durch diese Maßregel der vorgeburtlichen Ausmerzung der Untauglichen, / die nur zu erreichen ist, wenn die Gesellschaft eine Mutterrente zu vergeben hat, / würden Millionen für Zuchthäuser, Spitäler, Irrenanstalten gespart, und die Mutterrente würde sich aus diesen Ersparnissen reichlich ergeben und brauchte nicht durch neue Steuern aufgebracht zu werden!!
Die Nichtberücksichtigung der Säuglings- und Mutterpflege, die Lethargie der Gesellschaft in dieser Frage, die erst durch den Geburtenrückgang einen Stoß erhielt, zeigt die ganze Indolenz des Staates, gegenüber seinen vitalsten Interessen. Der Staat hat bis in die allerjüngste Zeit hinein die Frage, was denn überhaupt mit jenen Kindern geschieht, deren Mütter dem Erwerb nachgehen müssen, nur insofern aufgeworfen, als er die These »Die Frau gehört ins Haus« approbierte oder den erwerbenden Frauen in vielen Berufszweigen, z. B. den Lehrerinnen, den Staatsbeamtinnen, die Ehe und damit die Fortpflanzung untersagte. Eine allgemeine nationale Mutterschaftsversicherung, die sich nicht nur auf Arbeiterinnen, sondern auf alle Frauen erstreckt, deren persönliches oder Familieneinkommen unterhalb einer bestimmten Grenze bleibt, deren Kosten von Ledigen und Verheirateten aufzubringen wären, muß unbedingt erstrebt werden. / Vom Bund für Mutterschutz wurde eine Einkommensgrenze von 5000 M. vorgeschlagen, / also dieselbe, die dann später der Staat für die Angestelltenversicherung festsetzte! Man ersieht daraus deutlich die soziologische Verschiebung bzw. Erweiterung des Problems der Not, / aus dem das gesamte Versicherungswesen des modernen Staates hervorging, / von den proletarischen Klassen erweitert auf die des Mittelstandes, / wenn auch natürlich das Proletariat in erster Reihe der vom Wollen und Können des Einzelnen unabhängigen, automatischen Versicherungstechnik, / der Prophylaxis, zum Schutz gegen die typischen Katastrophen des Lebens bedarf.
Wie notwendig besonders die Erhaltung der Frauenkraft für die Aufzucht des Kindes ist und die Ermöglichung dieser Leistung durch entsprechende Vergütung / beweist ein sonderbares Faktum, das von Henriette Fürth mitgeteilt wird: Anfangs der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts machte die amerikanische Baumwollkrise die Textilfabriken in England stillstehen, ließ viele Familien brotlos; trotz Not und Hunger verminderte sich der Prozentsatz der Säuglingssterblichkeit, / denn die Mütter waren bei den Kindern zu Hause!
Die unzulänglichen Ansätze, die heute einen Mutterschutz repräsentieren, verdanken meist privater Initiative ihre Entstehung, vor allem den »Hauspflegevereinen«, von denen der erste 1892 in Frankfurt a. M. entstand. Das Odium der Wohltätigkeit, das diesen Vereinigungen heute noch anhaftet, beleidigt das soziale Empfinden, besonders dort, wo es sich um natürliche soziale Rechte handelt, um Katastrophen, die sich aus normalen Lebensvorgängen, die, wie Henriette Fürth betont, normalerweise Hilfsbedürftigkeit erzeugen müssen, ergeben.
Für den Augenblick müssen sich alle einschlägigen Forderungen auf eine zureichende Mutterschaftsversicherung konzentrieren, aus der sich die Forderung nach einer Mutterrente für jedes Kind bis zu einer bestimmten Ziffer / als Quote einer nationalen Universalversicherung / ergeben wird. Die amerikanischen Staaten gehen hier beispielgebend voran. An eine vollständige Entlastung der Eltern braucht dabei nicht gedacht zu werden. Die gesellschaftliche Mutterrente, die angestrebt werden muß, wird immer durch den Erhaltungsbeitrag, besonders des Mannes, für Frau und Kind, ergänzt werden müssen und zwar, meine ich, sollte dies gemäß seiner und ihrer sozialen Stellung geschehen. Ich lehne das heute schon im Bürgerlichen Gesetzbuch festgelegte Gesetz, welches die Stellung der Frau bei Bemessung der Alimentation in Frage kommen läßt, nicht so rundweg ab, wie es meistens von frauenrechtlicher Seite geschieht, da darin eine Bewertung der Eigenleistung der Frau außerhalb der Gattungsfunktion gegeben ist, welche es gerecht erscheinen läßt, daß es Unterschiede, auch in der Berufssphäre, in der sozialen Klassifizierung des Kindes gibt. Nicht ein nivellierender, sondern ein individualisierender Sozialismus, der uns vor den Roheiten einer wahllos gleichmachenden Demokratie behütet, scheint mir ein kulturelles Ziel: unbegrenzte Möglichkeiten der sozialen Betätigung und Entwicklung für jeden, aber / bevorzugte Chancen für alle die, die unter solchen Umständen, / der von Anfang an gegebenen Gleichheit, / höhere Ziele durch persönliche Tüchtigkeit erreichen Diesen Zusammenhang habe ich in einem meiner allerersten Bücher »In der modernen Weltanschauung«, Verlag Hermann Seemann Nachf. Berlin 1901, schon dargelegt. »Individualsozialismus« nannte ich es dort..
Die Entwicklungsbahn eines jeden Menschen muß von Seiten der Gesellschaft unbedingt freigegeben sein und darf nicht von irgendwelchen Alimentationen abhängen. Wenn der Vater ein Fürst und die Mutter ein Bauernmädchen ist, dann soll das Kind auf eine Durchschnittsalimentation Anspruch haben, d. h. nicht unter fürstlichen, aber auch nicht unter armseligen bäuerischen Verhältnissen erzogen werden, sondern es sollen ihm etwa die Mittel eines wohlhabenden Landwirts zur Verfügung stehen. Freie Bahn natürlich / das muß nochmals betont werden / für jede Entwicklung, die über die Klasse ihrer Geburt hinausstrebt, / durch öffentlichen freien Zutritt zu allen Bildungsmöglichkeiten, als gutes Recht, ohne Abhängigkeit von Stipendien, Freitischen u. dgl. Die Mutterschutzbewegung der Gegenwart bringt den eindringlichen Beweis, daß das Gebäude einer neuen Wirtschaftsordnung kein utopisches ist, sondern organisch und mit elementarer Gewalt sich aus den bestehenden Gesellschaftssitten, hervorgerufen durch ihre Unzulänglichkeit, / herausringt, herausstößt.
Ein Schriftsteller, O. A. H. Schmitz, der früher Mitarbeiter des Publikationsorgans des Bundes für Mutterschutz war, sich aber seitdem zum »Weltmann« und zum enragierten Verfechter der »reinen Familienmoral« einerseits und der unreinen Außerhausmoral andererseits, zum Barden der Dirnenmoral, »entwickelte« und in seinen Schriften fast nur die einzige Tendenz verfolgt, die Frauen der Mutterschutzbewegung in der wüstesten Weise zu beschimpfen, / der dabei kaum wiederzugebende Ausdrücke gebraucht, mit denen er unser Schrifttum bereichert (und diese Attacken auf wehrlose Frauen, die ihm nicht mit der Waffe in der Hand die Antwort geben können, / ohne jede Provokation von jener Seite / auch während der Zeit des Burgfriedens betrieb), / besagter O. A. H. Schmitz entwickelte vor einigen Jahren im Publikationsorgan des Bundes für Mutterschutz, das damals noch den gleichnamigen Titel trug, den Gedanken der Frauenrente.
»Ich weiß nicht, was logischerweise gegen eine Frauenrente einzuwenden wäre, welche die Gemeinschaft der Männer aufzubringen hätte. Sie würde auf der unabweisbaren Erkenntnis beruhen, daß die Frau schon durch ihre Weiblichkeit jeden Monat 3-8 Tage und, falls sie gebiert, bisweilen annähernd zwei Jahre im Kampf ums Dasein schlecht mit dem verantwortungsloseren Manne konkurrieren kann, von allen anderen Einwänden gegen Frauenberufe ganz zu schweigen. Jedes besitzlose Mädchen von etwa 25 Jahren, eine Waise oder Ehefrau schon früher, erhielte eine staatliche Rente, die sie gerade dem Kampfe ums Dasein, der Notehe, der unfreiwilligen Prostitution, sowie der Erniedrigung enthöbe, von ihrem Gatten mit Haut und Haar abzuhängen. Für Behagen und Freuden mag sie durch leichte Arbeit selbst sorgen, und fühlt sie sich wirklich zu etwas berufen, dann ergreife sie, unabhängig vom Kampf ums Dasein, einen Beruf. Keiner soll ihr verschlossen sein, nur treibe sie nicht mehr die Not hinein. Die Rente könnte, den drei Schultypen entsprechend, zwischen 40 und 80 M. monatlich variieren. Im Falle einer Erbschaft muß womöglich das bisher Empfangene zurückgezahlt und, wie von besitzenden Frauen überhaupt, ein Kapital sichergestellt werden, das die Rente abwirft. Nach dem Tod der Rentnerin verfällt es der Kasse, die dadurch langsam Kapitalistin wird und die »Männersteuer« herabsetzen kann. Was eine Frau darüber hinaus besitzt, steht ihr zu freier Verfügung, der Staat sorgt nur dafür, daß keine Frau unter ein gewisses Niveau herab verarmen kann. Die schon von anderer Seite verlangte Mutterrente wäre nur eine Ergänzung dieser allgemeinen Frauenrente.«
Gerade jetzt, wo durch den Massentod der Männer und Ernährer ein Frauenproletariat von unheimlicher Ausdehnung, eine Panik existenzloser Frauen geschaffen wird, / scheint es lohnend, diese Worte eines ehemals sozial empfindenden Schriftstellers auszugraben.
Das Wort Frauenrente ist sehr wichtig. Denn die Frau, die Frau bleibt, ist nicht nur als Mutter und Schwangere, sondern auch als nichtschwangere, kinderlose Frau meist nicht in der Lage, / sich allein zu ernähren. Wenn sie nämlich / Frau bleiben will. Schon die Ausbildung zu einem besseren Beruf setzt erhebliche Mittel voraus. Und wie es ihr ergeht, wenn der Zwang zu verdienen, als Katastrophe kommt, darüber soll an anderer Stelle mehr gesagt werden. Wenn sie nicht von Jugend an, ununterbrochen, in einem Brotberuf tätig war, wird sie nicht »plötzlich« ihr Brot selbst verdienen können, da überall spezialisierte, geübte, geschulte, bewährte und jugendliche Kräfte, mit langjährigen Zeugnissen, verlangt werden und ein Überangebot solcher Kräfte vorhanden ist.
Übrigens fehlt es auch uns nicht an »Vaterschutzbestrebungen«. Die »unglückseligen Nachforschungen nach der Vaterschaft« wurden (vor dem Krieg) von einem Oberkriegsgerichtsrat im »Tag« bitter beklagt, da, als Folge von Alimentationsprozessen, häufig Meineide geschworen werden, und die auf diese Art zu Fall gebrachten Männer ins Zuchthaus kommen können. Der Vaterschützler kann sich nicht genug tun, in der Verachtung derjenigen unehelichen Mütter, die freiwillig die Vaterschaftsklage erheben, und, als reiner Idealist, begründet er diesen Abscheu damit, daß er behauptet: »das Ziel der Klage ist nicht die Ehre, sondern das Geld«. Leider gibt es tatsächlich keine Einrichtung, durch die man auf dem Prozeßwege die verlorene Jungfrauenschaft wiedererlangen könnte, und man muß sich, wenn das Kind da ist, vor allem eben um das Geld dafür bekümmern. Der »Schrei« des Oberkriegsgerichtsrates, der im »Tag« Aufnahme fand, birgt wortwörtliche Sätze wie diesen: »Der Prozeß ist für die Kanaille ein Geschäft wie jedes andere, vielleicht steht der Interessent unbekannt im Hintergrund, der Bräutigam oder Zuhälter.« Man sieht, daß sich unser Schriftdeutsch, gerade in der Sexualterminologie und besonders in der Angriffsart des stärkeren gegen das schwächere Geschlecht, durch Autoren wie Schmitz und wie den eben zitierten Verfasser eigenartig popularisiert hat, / daß hier ein dunkler Geschlechtshaß seine Orgien feiert. Dieser aus Rücksicht vor seinem achtunggebietenden Amt hier ohne Namen aufgeführte Verfasser (der aber seinen Artikel selbst mit vollem Namen und Rang gezeichnet und ihm dadurch wohl Eingang verschafft hatte), ergeht sich, wie einer, der mit seinem »Herzblut« schreibt, / über die »Rentabilität des Kinderkriegens« und meint, daß sich manches Mädchen mit Alimenten eine Mitgift verdient und daß diese Geldstrafe, mit der der als Vater bezeichnete Mann belegt wird, eine »Prämie auf die Unzucht ist«. (Sonderbarerweise gehören aber zur Unzucht doch / mindestens / zwei.) Er jammert darüber, daß das Bürgerliche Gesetzbuch nicht längst den »altbewährten lebensweisen Grundsatz des Code Napoléon: » La recherche de la paternité est interdite« übernommen habe, / »denn so ersparten wir Hunderte von Zivil- und Strafrichtern, Staatsanwälten und anderen Beamten, Tausende von Prozessen, zahlreiche Rechtsurteile, ungezählte Falscheide, viele Erpressungen, Betrug und /sexuelle Unmoral«.
Wir dachten bisher, daß alle diese Übel gerade durch den Mangel jeder Verpflichtung / anwachsen würden! Auch daß wir dafür, d. h. anstatt der peinlichen Alimentationsprozesse, / eben ein paar hunderttausende Kindesmorde jährlich zu verzeichnen hätten, würde wohl weiter, nach Ansicht des Verfassers, nichts schaden, da ja die Prozesse, die sich aus Kindesmorden ergeben, / nur gegen die »Kanaille« gehen, / ob sie Goethes Gretchen oder Rose Berndt heiße … Besonders schlimm sei, was in solchen Prozessen von seiten »Geschwängerter und ihrer Gehilfen« an »Cochonnerien« hervorgebracht wird. Also nicht, daß die Cochonnerien geschehen sind, sondern, daß sie offenbar werden, ist / nach ihm / das Schlimme. Meines Erachtens ist gerade die Gefahr der Enthüllungen seiner »Cochonnerien« / zu deutsch / Schweinereien / dem Wüstling nur zu gönnen! Verfasser formuliert seine »Forderung«, die er aus »moralpolitischen Gründen« erhebt, in der allerliebsten Formel: »Wer freiwillig zugibt, Vater zu sein, soll zahlen; wer es aber nicht sein will, dem sollte man es nicht beweisen wollen.«
Daß es bei Paternitätsklagen auch zu schweren Ungerechtigkeiten kommt, ist sicher. Die ausreichende Mutterschaftsversicherung und die Mutterrente würden hier die schärfsten Gewaltmaßregeln, die oft wenig bemittelte junge Leute treffen, verhindern. Daß aber die Moral mit der Entlastung von materiellen Verpflichtungen des Vaters für das Kind sich heben würde, ist eine Annahme, wie sie nur Vaterschützler, von der Art des erwähnten Herrn Oberkriegsgerichtsrats, vorbringen können.
Fürchtet sich ein Mann vor vielfachen Paternitätsklagen (!), dann liegt wohl der wirksamste Schutz für ihn selbst in einem monogamen Verhältnis, zum Unterschied von der Zersplitterung seines Sexuallebens in »vielfachem« Sinn.
Nach der Berechnung von Professor Mayet würde ein um nicht ganz 2% erhöhter Krankenkassenbeitrag genügen, um eine zureichende Mutterschaftsversicherung, auf Grund der Reichsversicherungsordnung, in Deutschland durchzuführen. Bei der großen Tagung des Bundes für Mutterschutz zu dieser Frage, im Dezember 1910, wurde auch darauf hingewiesen, daß gerade durch eine obligatorische Versicherung auf Mutterschaft die offizielle Anerkennung der mütterlichen Funktion gegeben wäre. Wenn jährlich 400 000 Säuglinge vor Vollendung des ersten Lebensjahres sterben, so ist die wichtigste Ursache dafür in der vollständigen Schutzlosigkeit der Mutter während der Schwangerschaft und des Wochenbettes zu suchen. Auch die stillende Mutter bedarf eines ausreichenden Schutzes. Man forderte eine Erhöhung der bisher zu knapp bemessenen Wochenschutzfrist von sechs auf acht Wochen, mit dem Resultat, daß / die Agrarier und Zentrumsleute diese Schutzfrist bei Landarbeiterinnen auf vier Wochen herabsetzten! Während die trächtige Kuh mit großer Sorgfalt und Ängstlichkeit von ihren Besitzern behandelt und von jeder Anstrengung ferngehalten wird, treibt man die Menschenmutter zu schweren Diensten, auch in der Zeit, in der sie nur ihrer Genesung und der Pflege des Keimes oder des Säuglings leben sollte. Gerade in den heißen Monaten dürfte, der ärztlichen Meinung folgend, den stillenden Müttern die Wiederaufnahme der Arbeit erst dann gestattet werden, wenn das Kind mindestens drei Monate alt geworden ist, da gerade im Sommer die Gefahr der künstlichen Ernährung durch die leichte Verderbnis der Milch besonders groß ist. Alljährlich sterben in Deutschland infolge von Schwangerschaft und Geburt 10 000 Frauen, und weitere 30 000 werden an den Folgen mangelhafter Wochenbetten (in ärmeren Gegenden nicht selten ohne Hebammenhilfe) dauernd siech. Die Sterblichkeit der Säuglinge steigt bis auf 20%, und immer noch sträubt man sich gegen eine rationelle »Menschenökonomie« Vgl. Rudolf Goldscheids Werk »Höherentwicklung und Menschenökonomie«.. In Städten, in denen Stillprämien eingeführt wurden, z. B. im Amtsbezirk Heilbronn, hat man sofort ein Sinken der Kindersterblichkeit beobachten können.
Trotzdem sich die herrschenden Mächte des Staates nur langsam zu reformierenden Taten entschließen, muß man doch feststellen, daß durch die unablässige Agitation, insbesondere des Bundes für Mutterschutz, in gewissem Sinne auch aus dem Lager der Rassenhygiene und durch die freie wissenschaftliche Diskussion dieser Fragen, sich die Sphäre der moralischen Beurteilung so entscheidender vitaler Probleme, wie die, die das Geschlechtsleben betreffen, in Deutschland wesentlich gebessert hat. Auch fehlt es nicht an symptomatischen Geschehnissen, die diese veränderte Auffassung beweisen. So hat kürzlich ein Arzt, Dr. F. Gärtner, der Stadt Wiesbaden sein ganzes Vermögen, im Betrage von ½ Million, zur Unterstützung unehelicher Wöchnerinnen und Mütter hinterlassen. Eine besondere Aussteuer zu je 1500 M. sollen jene Mädchen erhalten, die der natürliche Vater des Kindes heiraten will.
Aus der Gesamtliteratur über die Mutterschaftsversicherung ist mir eine kleine Schrift in ganz besonders günstigem Sinne aufgefallen: »Alimentenbank und Elternschaftsversicherung« von Dr. Klaus Wagner-Roemmich Verlag Felix Dietrich, Gautzsch bei Leipzig.. Diese Schrift hat »nebenbei« eine der wichtigsten psychologischen Fragen des Glücks und der Liebe gelöst, / sie hat nämlich ein Mittel gezeigt, welches das Verlassenwerden der Frauen wesentlich seltner machen würde, indem es sie von dem vor der Vaterschaft heute gewöhnlich fliehenden Mann unabhängig macht, wodurch der Mann weit öfter bereit sein dürfte, bei der Frau zu bleiben. Dieses Heftchen bietet nicht nur eine fleißige Materialanhäufung, sondern die produktive Durcharbeitung eigner, neuer und starker Gedanken. Es geht von der Grundidee aus, daß die Kostendeckung für einen ausreichenden Mutterschutz nicht den einzelnen jeweiligen Eltern überlassen werden kann, sondern nur der in einer Versicherung organisierten Elternschaft. Es erbringt den Nachweis, daß ein starker Mutterschutz schon möglich ist, bei einem Jahresbeitrag von je 3 M., wobei erst an Unternehmer und männliche und weibliche Lohnarbeiter gedacht ist. Zwischen Mutter und Kind einerseits und dem außerehelichen Vater andererseits wirkt die Alimentenbank, die stets rechtzeitig die Alimente zahlt und auf private, ja selbst gemeindliche oder staatliche Hilfe, mit Ausnahme von Darlehen bei größeren Gründungen, nicht angewiesen ist. Auch dieser Verfasser geht, gleich uns, von der Voraussetzung aus, daß die Erzeugung von Kindern geregelt werden soll und daß die »Bedürfnisse, die zum Geschlechtsverkehr führen und die Gründe, die ihn erlauben, nicht immer auch zugleich Bedürfnis und Erlaubnis zur Elternschaft sind«.
Zureichende Geburtenmenge und Geburtengüte kann nur auf dem Boden planvoller sozialer Organisation entstehen. Die Sicherung der Kulturzukunft durch große Volkszahlen darf nicht so weit gehen, sich die ganze Erde als eine Art China zu wünschen, als ein bis zur höchsten Intensität überfülltes Land. Immerhin muß auf einen dauernden, sicheren Geburtenüberschuß, den wir auch immer gehabt haben Genauestes hierüber im 3. Kapitel., Wert gelegt werden und dazu bedarf es einer weisen Mutterschutzpolitik, die die »beste Sicherung für Kulturmacht und Kulturewigkeit gegenüber den Rassegefahren« darstellt. Verfasser rechnet auch mit dem Einwand, der von rassenhygienischer Seite gegen eine starke Mutterschutzpolitik erhoben wird, mit dem Einwand, eine solche Politik störe die natürliche Auslese. Er weist diesen Einwand damit zurück, daß er die an eine » künstliche Elendumwelt angepaßten Individuen« nicht als natürliche Auslese kennzeichnen kann. Die verhängnisvolle Entgleisung, welche die Hygiene, besonders die Geburten hilfe als »entartend« darstellen möchte, weil dadurch auch die weniger »starken« Elemente am Leben bleiben, wird von ihm (aber noch nicht mit der genügenden Schärfe) zurückgewiesen. Denn: die fast selbstverständliche Antwort darauf lautet, daß, wenn man die Hygiene für die breiten Volksmassen »abschaffen« oder einschränken wollte, man sie als ein Reservat gerade der Reichsten, die aber rassenmäßig mit die Untauglichsten darstellen können, belassen würde. Auch handelt es sich, bei Betrachtung des Wertes der Menschenleben, doch nicht nur um eine »Hochzucht« von bloßen Elterntypen, sondern der Mensch an sich, besonders der in geistiger und seelischer Beziehung wertvolle Mensch, hat auch den Anspruch, als Individuum und nicht nur als Genus, erhalten zu werden. Dieses Bemühen, welches die Umwelt von allen Lebenserleichterungen befreien möchte, um ein künstliches Anpassungswettrennen zu erzeugen, (als ob nicht der soziale Kampf dafür schon mehr als genügen würde!), wird vom Verfasser, mit Recht, bekämpft. »Denn beim Fehlen einer sorgfältigen Pflege werden nicht nur geringwertige Auslesen erzeugt, sondern die ganze Gesamtheit der Säuglinge wird geschwächt«. (Die hochwertigen werden künstlich geringwertig gemacht! …) »Mutterschutzpolitik ist Rassenpolitik.«
Wenn von rassenhygienischer Seite heute z. B. die geringere Säuglingssterblichkeit in den höheren Ständen und die bessere Körperbeschaffenheit der höheren Schüler als Beweis für bessere Rassentüchtigkeit der höheren Stände angeführt wird, ebenso die höhere Wehrfähigkeitsziffer der Ehelichen, gegenüber der der Unehelichen, so sollte wohl nicht übersehen werden, daß Entbehrung, Not, Schmutz, Schnaps, Elend aller Art bei dieser Konstellation mitwirken und zwar weit mehr, als die natürliche höhere »Anlage« der »besseren Stände«.
Über die Kindersterblichkeit in den deutschen Fürstenhäusern im 19. Jahrhundert wurde erst kürzlich das interessante Resultat einer wissenschaftlichen Untersuchung veröffentlicht:
»Einen schlagenden Beweis für den großen Einfluß, welchen die Hygiene auf dem Gebiet der Kinderfürsorge ausüben kann, gibt Professor Schloßmann, Direktor der Kinderklinik in Düsseldorf, in einer Studie in den »Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik« über die Kindersterblichkeit in deutschen Fürstenhäusern. An der Hand von Zahlen, die auf Anregung von Professor Schloßmann aus den einzelnen Jahrgängen des »Gothaer Hofkalenders« von 1800 bis 1900 zusammengestellt worden sind, läßt sich ersehen, daß die Säuglingssterblichkeit in den der Bearbeitung unterzogenen fürstlichen Familien von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mit ziemlicher Regelmäßigkeit fällt.« (Sehr erklärlich!) »1800 bis 1810 finden wir eine Sterblichkeit von 13,3%; bis zur Mitte des Jahrhunderts sinkt sie etwa auf die Hälfte (!), 6,6%, und fällt dann sprunghaft auf 3% in den letzten drei Jahrzehnten!!! Ebenso verhält es sich mit der Sterblichkeit der älteren Kinder. Während im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts die Gesamtsterblichkeit der Kinder in Fürstenhäusern. unter 14 Jahren 24,1% betrug, ist sie im letzten Jahrzehnt auf 8,6% gefallen. Aus den Geburtenzahlen und der Zahl der Todesfälle in den verschiedenen Jahren der Kindheit bei den einzelnen Fürstenfamilien geht hervor, daß in manchen Häusern eine außerordentlich hohe Sterblichkeit geherrscht hat. Aus dem Material ergibt sich nun, daß die Kinder aus den regierenden und standesherrlichen Fürstenhäusern heute eine weitaus größere Lebenswahrscheinlichkeit haben als vor hundert Jahren und als die Kinder der Armen., daß allmählich die Sterblichkeit der Säuglinge, wie der älteren Kinder, gesunken ist. Professor Schloßmann ist der festen Überzeugung, daß, dank der Fortschritte der Hygiene, auch für weitere Kreise im deutschen Volke die Säuglingssterblichkeit über das Erreichte hinaus noch eine erhebliche Minderung erfahren kann, so daß auch sie auf eine ähnliche niedrige Stufe herabsinkt. In der natürlichen Ernährung und verständigen Wohnweise sieht er die beiden Hauptmittel, um dieses erstrebenswerte Ziel zu erreichen.
Im großen und ganzen decken sich die Ergebnisse mit den vor einiger Zeit von Max Kemmerich (München) angestellten Erhebungen über Lebensdauer und Todesursachen innerhalb der deutschen Kaiser- und Königsfamilien. Er fand, daß die Steigerung der Lebensdauer im 19. Jahrhundert am bedeutendsten ist, und zwar auch hier größer bei den höchsten Familien, als in der Gesamtbevölkerung. Nicht nur die Kindersterblichkeit ist sehr vermindert, auch das absolute Lebensalter ist bedeutend gewachsen. Kemmerich schließt daher, daß die oft geäußerte Ansicht, Kulturfortschritt und Wohlstand führen zur Degeneration, falsch sei; das Gegenteil wäre der Fall.«
Da Kindersterblichkeit bzw. Kindererhaltung vor allem mit den Lebensverhältnissen der Mutter zusammenhängt, / so wurden diese Tatsachen an dieser Stelle berücksichtigt.
»Der Kultus des Mütterlichen« ist inzwischen in Deutschland in vollen Gang gekommen. Theoretisch zumindest, sogar in sehr übertriebenen Formen und in ungesunden Ausartungen, / weil er gewöhnlich mit einer Herabsetzung jeder andern Leistung, als der Gebärleistung der Frau, Hand in Hand geht, / ohne daß man im übrigen die wirtschaftlichen Probleme, die die Mutterschaft vielfach verhindern, zu lösen sucht. Daß die Wurzel dieser Frage an die Wurzel der sexuellen Krise greift, ist einleuchtend. Denn die Mutterschaft ungezählter Frauen wird von vorneherein verhindert und ganz zerstört durch die Tatsache, daß nicht jedes Weib bei Erlangung seiner sexuellen Vollreife unbehindert ihr Kind haben darf. Muß sie, auf der Höhe ihrer biologischen Fähigkeit zur Mutterschaft, diese hintertreiben, so sterilisiert sie sich nicht selten für ihr ganzes Leben. Der Denkirrtum der Gesellschaft, der die Fortpflanzung abhängig machte von der sozial-ökonomischen Vollreife eines Elternpaares, anstatt von der sexuellen Vollreife junger, gesunder Menschen, hat es auf dem Gewissen, daß nachher, wenn bei ergrauten Haaren die ökonomische Möglichkeit zur Fortpflanzung gegeben wäre, / sie aus physiologischen Gründen nicht mehr oder nicht zureichend mehr möglich ist. Nicht nur solche Menschen, die in jungen Jahren nicht zur Ehe gelangen, trifft dieser Fluch zur Hintertreibung der natürlichen Fruchtbarkeit, sondern auch jungverheiratete Paare, die in schwerer wirtschaftlicher Not sind. Es kommt vielleicht ein Kind zur Welt, das zweite aber muß, mit aller Macht, verhindert werden, wenn die Familie nicht ins Elend sinken und der junge Mann beruflich entgleisen soll. Nach einigen Jahren stirbt vielleicht das erste Kind, und die jungen Leute, die nun bessergestellt sind, möchten jetzt gern wieder Kinder haben, aber der Schoß der jungen Mutter mußte unter dem Zwange des Elends seinerzeit sterilisiert werden und versagt nun. Und nicht, indem man die Möglichkeiten der Konzeptionsverhütung bekämpft, sondern nur indem man den Eltern Kredit gibt für das Kind und damit die Möglichkeit und den Willen zu seiner Erzeugung, / kann man diesem Übel abhelfen.
Klaus Wagner-Roemmich verlangt die soziale Regulierung des Mutterschutzes durch den Staat und verwirft die private Wohltätigkeit als Prinzip (obwohl sie heute oft der einzige Ausweg ist). Er erkennt, daß auf diesem Gebiet des Mutterschutzes »heute alles im Fluß ist« und daß mit vorgreifender Ordnung von Teilgebieten (z. B. der Hebammenfrage) nicht mehr geholfen sein würde. Er bespricht den Widerstand gegen die Erwerbsarbeit der verheirateten Frau, der heute vielen als soziales Übel erscheint, kommt aber zu dem Resultat, daß es gar keinen Zweck hat, unerreichbare Ideale anzupreisen und daß es daher heißt, sich mit dem erwerbenden Muttertum zu befreunden. Dem »Hause« wurde zuerst das Kind entrissen, als der Schulzwang es von da herausholte, / die Mutter folgt nach. Und trotz aller Verherrlichung des Familienlebens muß doch jeder einzelne Mensch erkennen, daß der Schulzwang für das Kind richtig und notwendig und auch des Kindes Spielzeit besser ausgefüllt ist bei systematisch geleiteten Naturwanderungen, als wenn es sich auf Treppen, Höfen und Straßen vor der elterlichen Türe herumtreibt.
Anstatt einer zureichenden Mutterschutzpolitik wird heute zumeist mit falscher Sittlichkeitspolitik gearbeitet. Ja, es kam sogar vor, daß man unverheirateten Frauen die Benutzung der Stillstuben verbot!! Völlig widersinnig ist auch das Gesetz, wonach, wenn mehrere Männer als Väter in Betracht kommen, sie nicht allesamt als Schuldner zu haften haben, sondern jede Alimentationspflicht ihnen allen erlassen wird: »Das führt bekanntlich dazu, daß Liebhaber sich Kompagnons in der Liebe sichern, wenn auch nur für ein einziges Mal, was zuweilen mit viel List und seelischer Vergewaltigung nicht standfester Mädchen erreicht wird.« Welche / Väter und welche / Mütter! Häufig weigern sich angeblich auch die Mütter, von den Vätern sich unterstützen zu lassen, aus Stolz der vom Charakter des »Einst Geliebten« Enttäuschten. Das schlimmste aber ist, daß heute das Kind in freiem Verhältnis zumeist zum Vernichter des Liebesglückes wird, daß dadurch, besonders die Frau, sich dem unehelichen Vater des Kindes vollkommen ausgeliefert fühlt, die sichere, freie Haltung vollkommen verliert und vor dem Verlassenwerden zittern muß. »Ist für sie und ihr Kind besser gesorgt, dann hat sie nicht nötig, einem abtrünnigen Mann nur aus äußeren Gründen nachzulaufen.« Eine organisierte Elterngesamtheit soll daher die Kosten einer zureichenden Mutterschaftsversicherung tragen. Im Gegensatz zu ihrer Vereinzelung sind die Eltern, als organisierte Masse, durchaus leistungs- und zahlungsfähig. Da auf das laufende Einkommen, besonders unverehelichter Eltern, zur Niederkunftszeit kein Verlaß ist, so muß es ein Sparsystem geben, welches hier vorarbeitet, nämlich die Versicherung. »Die Versicherung ist überall berechtigt, wo zeitweise gehäufte Ausgaben auf einen großen Zeitraum verteilt werden können, also nicht nur dort, wo unnormale Zufälle einzelne bedrohen, sondern auch dort, wo normale Ereignisse die Mehrheit der Menschen treffen.« Grundlegend für den Ausbau des Mutterschutzes muß der Gedanke sein, daß es sich um »eine Versicherung des wirtschaftlichen Haltes beider Eltern und der ganzen Familie handelt, nicht nur Mutterschaftsversicherung, sondern Elternschaftsversicherung.« Nicht die Mutter, sondern die Kasse hat die Aufgabe, die Alimente von dem Vater einzutreiben.
Hier haben wir einen wirklichen, bedeutenden, auch tief psychologischen Reformgedanken; denn man bedenke, welche Zerstörung und Verwüstung des Verhältnisses zwischen Mann und Weib es bedeutet, wenn die Frau den Mann auf Zahlung der Alimente verklagen muß und wie hier die Sachlage sich vollständig ändert, wenn die Kasse automatisch, ohne Eingreifen der Mutter, ja sogar auch gegen ihren Wunsch, die Eintreibung der Alimente besorgt. »Die Kassen strecken durch ihre Leistung gewissermaßen die Alimente vor und wenn die Väter im Rückstand bleiben, so verlangen sie Verzugszinsen … Alimentenzahlung durch eine Kasse (und nicht durch den Vater!!) und Rückgriff der Kasse mit etwas erhöhten Forderungen auf die Väter.«
In diesem Vorschlag eines in den öffentlichen Bewegungen erst wenig bekannten Autors vereinigen sich, zum ersten Male, bei Durchdenkung und Verfolgung dieser Frage tiefgreifende psychologische Erkenntnisse mit soziologischen Regulierungsversuchen. »Auch Schadenersatzklagen bei Ansteckung, Verletzung, Gewalttaten könnten die Krankenkassen weiter übernehmen«, ja auch die Generalvormundschaft könnten sie sich übertragen lassen. Alimentenbanken, mit oder ohne allgemeine Mutterschaftsversicherung und Generalvormundschaft, lösen die Frage der Unehelichen. Zwei Novellen, eine zum Bürgerlichen Gesetzbuch, eine zur Reichsversicherungsordnung, hält Verfasser für nötig. Falls die Mutter den Namen des unehelichen Vaters nicht nennen will, so würde sich die Kasse mit ihrer Forderung gegen die Mutter richten, und die Alimente würden später von ihr zurückgefordert. Die Frau dürfte sich aber nur selten weigern, den Mann so weitgehend zu schonen, daß sie nicht einmal seinen Namen nennt, weil sie ja direkt von ihm nichts zu fordern hat und weil die neutrale Gesamtheit die Kosten trägt. »So zahlen die Kosten des Mutterschutzes der ehelichen Familie alle Versicherten, ohne Unterschied, ob sie eheliche oder uneheliche Kinder haben, oder ob sie kinderlos sind, und die Kosten des Mutterschutzes der Unehelichen tragen die Väter, unter Garantie der Kasse, (ev. mit späteren Ersatzzahlungen der Mütter). Wer keine ehelichen Kinder hat, soll sich an Niederkunftskosten nicht besser stehen, als wer für die Erhaltung des Volkes und seiner Kultur Kinder erzeugte und aufzieht. Schließlich kann jeder aber seinen Beitrag auffassen als Entgelt dafür, daß andere für ihn in seinen ersten Lebenstagen sorgten, / der Entgelt, den wir überall an die Nachwelt zahlen für die Arbeit der Vorwelt.«
Eine genaue mathematische Übersicht ergibt sodann, daß bei zwei Millionen Geburten jährlich die Kasse etwa mit 60 Millionen Pflege- und Verwaltungskosten belastet würde und ebenso mit 60 Millionen Mark Geldunterstützungen. Diese 120 Millionen Mutterschaftskosten, die, auf 20 Millionen erwerbtätige Versicherte verteilt, einen Jahresbeitrag von je 3 M. für Lohnarbeiter und Unternehmer ergeben, das bedeutet an Zahlung / 1 Pf. für den Arbeitstag. Ohne wohltätige Hilfe, in voller Unabhängigkeit, ja auch ohne Reichszuschuß könnte und würde sich diese Kasse durch sich selbst erhalten. Eine »umfassende Gesundheitsversicherung« für Gebrechen, Krankheit, Unfall, Alter, Elternschutz, durch Gesetzgebung errichtet, von Selbsthilfe und Selbstverwaltung durchdrungen! Und nicht auf dem Boden steuerlicher Finanzierung der Versicherung, wie die Sozialdemokratie dies nach dem Vorbild Australiens und Neuseelands fordert, wobei die breite Masse immer mehr von immer neuen Steuern erdrückt wird, / sondern »Polykollektivismus contra Sozialismus«. So repräsentiert sich der Entwurf dieser umfassenden Mutterschaftsversicherung als eine »Fürsorgekasse gegen Krankheit, Mütternot und Kindergrab«.
Gründe der Einsicht und des inneren Erlebens sind es, aus denen der Einzelne zu Widerständen gegenüber den bestehenden Sitten gelangt. Lediglich sozialökonomische Gründe aber veranlassen die Gesellschaft, die kompakte Mehrheit, ihre Sitten zu reformieren. Aus inneren Gründen bekannten sich Einzelne als Gegner der herrschenden Sitte, die die Frau vor und während ihres schwersten Erlebens, als Schwangere und Gebärende, nicht schützt, sofern sie nicht durch die Ehe legitimiert ist. Vor ungefähr zehn Jahren wagte es die Auflehnung einzelner selbständig denkender und wertender Persönlichkeiten, eine Vereinigung zu gründen, die gegen diese Barbarei offen protestierte: Der »Deutsche Bund für Mutterschutz« konstituierte sich in Deutschland. Die hartnäckigsten Anfeindungen, die fanatischeste Bekämpfung mußte diese Vereinigung über sich ergehen lassen. Aber, aus der Not geboren, in ihrer Daseinsberechtigung durch jeden Blick in die Umwelt, durch tausend Vorkommnisse jeden Tages bestärkt, behauptete sie sich und wuchs, wenn auch nicht zur populärsten Breite, so doch zu immer sichererer, innerer Stärke an. Neben dem praktischen Schutz jeder Mutterschaft hatte dieser Bund eine Bewegung zur Reform der sexuellen Ethik ins Leben gerufen, in der Erkenntnis, daß »praktische Hilfe«, ohne innere Überzeugung / von der prinzipiellen Berechtigung eines gesunden und natürlichen sexuellen Lebens eines jeden Menschen, auch außerhalb der Ehe, / nur von sehr geringem Wert sei und in ihrer Wirkung nur Stückwerk bieten könne. Wo man aber der bloßen Caritas gern hilfreich die Hand geboten hätte, / da setzte vielfach eine Bekämpfung des prinzipiellen Reformstandpunktes dieser Bewegung ein.
Von hochbegabten Frauen und Männern geleitet, arbeitete diese Bewegung von vornherein mit dem Rüstzeug eiserner Sachlichkeit. Sie zog alle Disziplinen der Wissenschaft heran und basierte ihre Forderungen einer sexuellen Reform auf dem Boden der Sexual- und Sozialwissenschaft. Ärzte von autoritärem Namen, scharfsinnige Juristen, Soziologen, Parlamentarier, Schriftsteller, Künstler, Priester standen und stehen innerhalb dieser Bewegung, die auch in der breitesten Öffentlichkeit zu einer respektierten Macht wurde. In zehn Jahren ist es dem Bunde gelungen, ein Netz von Ortsgruppen über ganz Deutschland zu spannen. Und im September 1911 wurde die Bewegung, durch den Anschluß zahlreicher Gesinnungsfreunde des Auslandes, international. Ein hervorragendes Publikationsorgan steht dem Bunde in der Zeitschrift »Die Neue Generation« Verlag Oesterheld & Co., Berlin W 15. zur Verfügung, deren Herausgeberin, Dr. phil. Helene Stöcker, gleichzeitig als die führende Persönlichkeit der Mutterschutzbewegung angesehen werden muß. Von Anfang an hat sie sich mit Leib und Seele mit der Sache identifiziert und allen Stürmen, die das Werk in Grund und Boden zu vernichten drohten, mit bewunderungswürdiger Festigkeit und unerschütterlichem Zielbewußtsein standgehalten. Sachliche Gegner erkennen denn heute auch an, daß in der Revision schon mechanisierter, moralischer Gesetze ein Vorgang liegt, der ein fortgesetztes schweres, moralisches Ringen, eine aufs äußerste geschärfte Gewissenhaftigkeit erfordert.
In ihren Glossen zur »Neuen Ethik«, im Anhang ihres trefflichen Buches über »William Godwin und Mary Wollstonecraft«, sagt die Verfasserin, Helene Simon: »Nicht etwa Beseitigung dauernder Lebensgemeinschaft ist das Ziel. Nur soll diese Dauer zu einer freigewollten, nicht äußerlich erzwungenen, sich gestalten. Zwar Gatten, deren Ehe vor den inneren Gesetzen nicht mehr besteht, sollen sich trennen. Sollen ungehemmt ein neues Bündnis schließen können. Aber die letzten Ideale der Bewegung sind monogamischer Natur. Ihr Kampf wendet sich nicht gegen die Einehe, sondern jene bloß scheinbare Monogamie, die sich öffentlich als Einehe gebärdet, in der Tat jedoch ein Nebeneinander von Ehe und Ehebruch, Vermögensgemeinschaft und freier Liebe, mit allen Ausartungen der Polygamie, bis zur Prostitution, darstellt.
Das Wesen der Ehe / die Liebe / lehrt die neue Ethik, irrt heimatlos, muß in Nacht und Dunkel ein schmachbeladenes Dasein fristen. Und die Ehelüge beherrscht hart und erbarmungslos das urbare Land, blickt kalt auf die Gefallenen und treibt sie der Prostitution in die gierigen Arme …
… Die Erotik spielt bei der neuen Ethik eine etwas unangenehm vordringliche Rolle. Das ist wohl nur eine Übergangserscheinung, die sich aus der Reaktion gegen die allzulaut betonten Glücksmöglichkeiten des zölibatären weiblichen Berufslebens erklärt.«
Ihre Befürchtungen faßt Helene Simon in diese Worte:
»Allein die neue Ethik hat auch ernste Gefahren gezeitigt. Sie löst die Hemmungsvorstellungen überkommener Moral. Freiheit und Persönlichkeitsrechte werden nicht scharf geschieden von dem mangelnden Verantwortungsgefühl und rücksichtslosem Egoismus, von Unbeherrschtheit und allzuleichtem Jasagen zu dem eigenen Begehren. So fallen unter den Nachläufern »Opfer ohne Zahl«. Daraus kann man indes der neuen Ethik ebensowenig einen Vorwurf machen, wie etwa Goethe für die Selbstmordepidemie der Wertherinfektion; wie Schopenhauer und Nietzsche für die Schar unreifer Nachbeter der Weltverneinung oder Weltbejahung. Auch das sind Kinderkrankheiten, die sich überwinden lassen. Und den Gefahren stehen größere Gewinne gegenüber.«
Die Gefahren, die aus dieser sog. »neuen Ethik« kommen, liegen im wesentlichen im Mißbrauch solcher Theorien, die zwar berechtigte Freiheiten verlangen, aber auch im Grunde die stärkste innere Selbstdisziplin erfordern.
Mit ihnen / den Gefahren / will ich mich im Kapitel über das Moralproblem, besonders in der Kritik der alten und der »neuen« Ethik beschäftigen.
Einige Berechtigung gegenüber einer allzu ideellen Auffassung des Geschlechterproblems hat allerdings der Vorwurf, den auch Helene Simon anführt, daß nämlich unter den Propagandisten solcher Theorien »zu viele wären, die jenseits der Familienbande und ihrer Erfahrungen stehen und daher nicht befugt sind, Theorien über die Familie aufzustellen.« Es ist tatsächlich richtig, daß vom wirklichen Wesen der Ehe, der legitimen, offiziell anerkannten und beschützten Ehe, meist nur der oder die eine genaue Vorstellung haben kann, der selbst in solcher Ehe gelebt hat. Vergleicht man z. B. die im »idealistischen« Sinne übermäßig gespannten, um nicht zu sagen überspannten Theorien von Ellen Key mit den Forderungen und Bedürfnissen, die der tägliche Kampf an das Beharrungsvermögen der Menschen, gerade in den Fragen des ehelichen Lebens, stellt, ermißt man, wie leichthin da die »große Liebe« als ausschließliches Evangelium gepredigt und wie ihre Tragfähigkeit im Strom des Alltagslebens überschätzt wird, so muß man sagen, daß hier die praktische Erfahrung einfach vollständig fehlt. Aber gerade in der Bewegung für Mutterschutz und Sexualreform ist eine langsam, aber stetig und sicher fortschreitende Untersuchungsart, die durchaus auf dem Boden der Verhältnisse fußt und nicht im Wolkenkuckucksheim ihre Ideale sucht, zu beobachten.
Hatten schon die schreckenerregenden Ziffern der Säuglingssterblichkeit dieser Bewegung Hilfstruppen geschaffen, so war es insbesondere ein soziales Phänomen, welches die Notwendigkeit ihrer Bestrebungen und Forderungen wohl auch für solche erhellte, die sich aus Prinzip niemals mit dieser Bewegung identifizieren werden: die Tatsache des Geburtenrückgangs. In dem Augenblick, in dem eine Gesellschaft über das Fallen der Geburtenzahl jammert, muß sie fast automatisch dahingelangen, tatsächlich erfolgte Geburten zu beschützen und der Mißachtung des in ihr erzeugten Lebens Einhalt gebieten.
Wenn es heute Säuglingsheime in Berlin gibt, die speziell für die Unehelichen ins Leben gerufen worden sind und deren Protektorin die Deutsche Kaiserin ist, so ist das ein Zeitsymptom von unverkennbarer Bedeutung. Dazu kam eine der Nation aufs kräftigste eingehämmerte Wertung der Mutterschaft, die aus dem Lager der Rassenhygieniker kam. Selbstverständlich wäre eine solche Tendenz nur zu begrüßen, wenn sie nicht, wie fast jede idealistische Bewegung in Deutschland, übertriebene Formen annähme und gleichzeitig so manchen falschen Popanz von angeblich zu bekämpfenden Gegenströmungen erzeugte. Man meint, von dieser Seite her, der Frau überhaupt nur eine Funktion, nämlich die der Gebärerin, zugestehen zu dürfen, und bekämpft mit sonderbar schrullenhaftem Eigensinn alle andern Bestrebungen des Weibes nach Selbständigkeit. Man verherrlicht die Mütterlichkeit und stellt sich in feindseligen Gegensatz zu allen Reformbestrebungen des Bundes für Mutterschutz … Man ist blind dafür, daß gerade das Ringen der Frauen nach persönlicher wirtschaftlicher Unabhängigkeit die Tendenz hat, dadurch leichter zur Ehe und Mutterschaft zu gelangen und auch wieder die Möglichkeit der sexuellen Auslese in die Hand zu bekommen, durch die die Rasse nur gewinnen kann. Und gerade auf dieser bisher durch den Kapitalismus und die Kriege / unterbundenen Freiheit der sexuellen Auslese der Frau beruht doch vor allem die Möglichkeit eines Rassenaufstieges.
Zu den wertvollsten Errungenschaften des Bundes für Mutterschutz rechne ich die Tatsache der Gründung einer »Akademischen Gruppe für Sexualreform«, die im Herbst 1913, im Anschluß an einen Vortragsabend von Dr. Helene Stöcker und Dr. Felix A. Theilhaber über »Die sexuelle Not der Studenten« zu Berlin erfolgte. Das Thema traf ins Schwarze. Wie hochgesinnt die männliche akademische Jugend, die sich der Bewegung, trotz des Widerstandes des Rektors der Berliner Universität, anschloß, von den Zielen einer reformierten Sexualethik denkt, geht aus den Satzungen und Richtlinien der Gruppe hervor. Ihr erstes Flugblatt hat den folgenden kernigen Wortlaut:
»Die sexuelle Not der Jugend ist eine Tatsache. Die große Jahresdifferenz, die zwischen dem Eintritt der Geschlechtsreife und der wirtschaftlichen Möglichkeit der Eheschließung liegt, hat zu einer krankhaften Ausartung des Sexuallebens geführt, die einerseits in der Doppelmoral der Geschlechter, andererseits in der Geringschätzung und Unterdrückung eines gesunden Geschlechtstriebes ihren Ausdruck gefunden hat. Die Statistik der Geschlechtskrankheiten zeigt, daß, trotz der großen gesundheitlichen Gefahren der Prostitution und, im Zusammenhang damit, des Rückganges der Nachkommenschaft, gerade der geistig höchststehenden Volksschichten, eine immer größere Zahl junger Menschen ihr Sexualleben in der Prostitution sucht; sie legt ein beredtes Zeugnis ab von der unnatürlichen Zwangslage, in welche die wirtschaftliche Entwicklung die Jugend gedrängt hat.
Die Akademische Gruppe für Sexualreform, Berlin, sucht daher eine Hinausentwicklung aus diesem Zustande auf Grund einer neuen, höheren Auffassung vom Wert des Geschlechtslebens. Sie geht von der Überzeugung aus, daß dem Geschlechtsleben, als positivem Kulturfaktor, eine würdige Stellung im Geistesleben gebührt. Sie wendet sich ebenso sehr gegen die Herabsetzung des Eros zu einer rein physiologischen Funktion, wie gegen seine Verkümmerung durch die Forderung völliger sexueller Abstinenz aus wirtschaftlichen Gründen. Sie fordert seine positive Höherbildung zu einer sexuellen Kultur.
Sie verlangt daher eine Bewertung aller sexuellen Beziehungen nach inneren Gesichtspunkten, wobei insbesondere der Wille zur Dauer Seltsamerweise fehlt in der gesamten modernen Sexualliteratur in allen, selbst in den präzisesten Definitionen eines reinen Geschlechtslebens, der Ausdruck dafür, daß nicht nur der Wille zur Dauer, sondern der Wille zur Ausschließlichkeit, das entscheidende Merkmal ist. Anm. d. Verf. mitbestimmend erscheint; sie bekämpft entschieden ihre Bewertung nach dem Gesichtspunkte traditioneller Formen.
Deshalb fordert sie:
Das Aufwachsen der Geschlechter in Lebensgemeinschaft sowie:
Die Weiterbildung dieser Gemeinschaft zur Arbeits- und Geistesgemeinschaft und zu verinnerlichtem Geschlechtsleben. Als Akademische Gruppe tritt ihre Anbahnung eines kameradschaftlichen Verkehrs zwischen Student und Studentin in den Vordergrund.
Sie sucht ihre Ziele zu erreichen:
1. durch Veranstaltung von Vorträgen aus dem Gebiet der Sexualwissenschaft und der Sexualethik;
2. durch Diskussion über diese Gebiete im engeren Kreis ihrer Mitglieder;
3. durch Stellungnahme zu allen das Sexualleben der Jugend berührenden Bewegungen und Ereignissen der Zeit.«
Eine solche Gruppe ins Leben gerufen zu haben, / das nenne ich eine Tat.
Gerade weil die Mutterschutzbewegung und zwar unter der Führung von Dr. Helene Stöcker und unter der Mitarbeit der hervorragendsten Männer und Frauen der Wissenschaft und der Forschung bleibende und die Entwicklung beeinflussende Werte geliefert hat, muß man darauf bedacht sein, sie / und besonders die Jugend / davor zu behüten, in gewissen Überschwenglichkeiten erotisch-ideologischer Natur, die der Anfang mit sich brachte, zu erstarren. Und diese wundervolle, idealistisch vertrauende Jugend darf über die Schrecken der Geschlechtlichkeit nicht hinweggetäuscht werden. Gerade darum ist die kritische Sonde notwendig, darum gerade muß hier alles wirklich Bewegung bleiben. Und daß ich vor dieser kritischen Beleuchtung der Theorien, die ich später erbringen werde, nicht zurückschrecke, / wird man mir eines, wie ich hoffe, nicht allzu fernen Tages, Dank wissen. Das Bleibende und die Wirkung der Bewegung im wertvollsten Sinn soll in diesem Buch wahrlich nicht zu kurz kommen, was wohl schon in diesem ersten Kapitel und im Vorwort zum deutlichsten Ausdruck kam. Und wenn eine Führerin der Bewegung, in bezug auf Ruth Bré und ihre eigene Stellung zu den Ideen von Ruth Bré gesagt hat, »daß wir uns niemals mit ihnen identifizieren können«, so muß ich, für mein Teil, ganz ebenso hervorheben, / was meine ganze Wirksamkeit auch während meiner Stellung in der Bewegung beweist, (nicht nur meine Publikationen vor meinem Anschluß an sie), / daß ich unabhängig, als freie Forscherin, meinen eigenen Weg ging und gehe, und mich nur bemühe, die Resultate, zu denen ich gelange, der Bewegung zugute kommen zu lassen und sie möglichst, durch das Ergebnis meiner Untersuchungen, zu beeinflussen. Auch ich muß von gewissen Theorien, die mir unrichtig erscheinen, deutlich erklären / »daß wir uns niemals mit ihnen identifizieren können.«
Im übrigen ist es gerade charakteristisch und wertvoll für die moderne Bewegung für Sexualreform und muß zu ihrer Ehre festgestellt werden, daß ihre sämtlichen Führer und Führerinnen im allgemeinen niemals der Bewegung einen Katechismus zu geben suchten und jeder Papismus bisher ausgeschlossen schien. Der Wert dieser Bewegung liegt für mich vor allem darin, daß hier das Sexualproblem frei untersucht werden konnte, / nach allen Richtungen, nach allen Seiten, von allen Standpunkten aus und / in unvergleichlicher Freimütigkeit, wie sie nie vorher bestand, / in edelster, reinster Sachlichkeit: zwischen Männern und Frauen, / auf einem Niveau, das allein schon jeden Versuch einer Verdächtigung entwaffnen muß. Es ist begreiflich und berechtigt, daß jeder Forscher in der Bewegung gerade die Richtlinien des unermeßlichen Materials hervorhebt, die sich gerade ihm am schärfsten und zwingendsten erkenntlich machten. Weniger im allgemeinen, als im besonderen, machen sich die Gegensätze der Anschauung und Gesinnung manchmal geltend. Und es muß jedem das Recht gewahrt bleiben, dort, wo es sich um prinzipiell verschiedene Auffassungen handelt, seiner Meinung Ausdruck zu geben, seinen Standpunkt zu vertreten und, soweit es an ihm liegt, in die grundlegenden Ideen Klarheit zu bringen, auch wenn er sich damit, in manchen Punkten, zu der einen oder anderen von ihm geschätzten Persönlichkeit in deutlichen Gegensatz stellt.