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Ich kann wohl sagen, daß ich mir niemals Gewaltigeres an Geist und Körper zugemutet habe. Carlo war immer groß – aber so groß! . . . Es mag an Afrika liegen, an der Sahara. Die Prophetennatur lodert da in uns auf ganz ungewollt. Wir sehen unzählige Sonnensysteme vor unsern glühenden Augen kreisen, wir fühlen unsre Stimme wachsen zum Sphärengesang – der Apostelglaube hat uns gepackt, der Bekehrungswahn . . . Der Ueberkater ruht derweilen nicht.
Die christlichen Kreuzritter, die auf Abrahamsschoßplatz sich dereinst fest abonniert wähnten, wateten mit gläubigem Behagen im Türkenblut – und die dito Halbmondbekenner rechneten ihr Eintrittsbackschisch für die Gärten des Propheten grundsätzlich nach abgeschnittenen Christenköpfen . . . Von den Menschen ist viel über die Berechtigung dieser Glaubensauffassung gestritten worden. Aber merkwürdigerweise sind noch heute die ganz Frommen in ihrem Herzen für die freundliche Scheiterhaufenflamme und melodische Foltersymphonien, wenn damit nur dem Glauben gedient ist. Während umgekehrt die ganz Gottlosen aufs energischste für Mitleid, Nächstenliebe und alle Fundamentalsätze des wirklichen Glaubens plädieren, ohne daß es ihrem Unglauben im geringsten schadete . . . Ueberhaupt – die Zeloten legen auf die Hölle das Hauptgewicht, obgleich ihnen der Himmel doch viel näher liegt, und die Freidenker kritisieren abfällig speziell nur den Himmel, während sie doch sämtlich in der Hölle schmoren dürften. Jedenfalls haben alle Menschen die unerklärliche Angewohnheit, gerade nach Früchten zu haschen, die ihnen unerreichbar sind, sich nur um Angelegenheiten zu kümmern, die sie absolut nichts angehen, und sich mit Vorliebe für einen Himmel zu kasteien, der ihnen verschlossen ist. Bei ihnen ist der größte Weise, der die größten Plattitüden predigt, während Propheten regelmäßig in Wüsten fliehen müssen, falls sie nicht den Märtyrertod vorziehen – und als höchste Offenbarung gilt Ben Akiba, der leichtsinnig behauptete, es gäbe nichts Neues unter der Sonne, während es höchstwahrscheinlich nur Neues unter der Sonne gibt. Und da die Menschen außerdem Vernunft haben – wir Kater haben nur Instinkt –, machen sie alle Dummheiten mindestens zweimal. Unser Instinkt schlummert kaum, ihr Geist schnarcht hörbar – Aber es ließe sich mit diesen sogenannten Herren der Schöpfung ganz gemütlich hausen, wenn sie nicht unter ererbten Wahnideen litten. Sie bezichtigen sich der Gottähnlichkeit ohne Erröten, obgleich höchstwahrscheinlich Mars für diese Priesterinnen der Liebe und Venus für diese Marskarikaturen höflichst gedankt haben würden. Ich betrete menschliche Schlafzimmer stets mit der Befürchtung, daß eine grauenhafte Körperlichkeit offenbar wird, sobald die Hülle gefallen. Ein Besuch bei der alternden Hotelmessalina zum Beispiel macht hieb- und stichfest gegen alle Schreckenskammern. – Ich war seinerzeit auch bei dem Geheimen Kommissionsrat zur Mitternachtsstunde . . . ›Frau Venus läßt bestens danken, verehrter Mars, sie hätte schon am Ansehen genug . . .‹ Geistig sind sie jetzt allerdings so weit, zu behaupten, daß Nichtwissenkönnen die höchste Erkenntnis sei – für welche Wahrheit aber wirklich nicht solcher Riesenballast von Wissenschaft vonnöten gewesen wäre . . . Darum bekehrt sich die Masse jetzt wieder mal zum Glauben, der wenigstens ein phantastisch ausstaffiertes Jenseits besitzt, während in den öden Zwingburgen der Vernunft ein allzu trostloses Mailüfterl weht.– Und so werden auf allerdings merkwürdigen Umwegen diesem blinden Glauben neue Bekenner durch den scharfsichtigen Unglauben selber zugeführt . . . Wer heute noch nicht an Kopernikus und die Kugelgestalt der Erbe glaubt, der möge nur humoristisch blinzelnd das Menschengewimmel auf eben dieser Kugel beobachten. Sie klettern alle fieberhaft nach oben in ihrem Wahn, und wenn sie trotzdem nur auf Scheinhöhen gelangen, so liegt das an der Erde und nicht an ihnen. Die gute Mama ist nun einmal rund – und wenn der Geist auch noch so kraxelt, er wird sich immer wieder vis-a-vis jener Materie wiederfinden, die absolut träge ist. Bleibt also hübsch auf eurem Planeten, meine Lieben, und tröstet euch mit der Hoffnung, daß Chronos von Zeit zu Zeit immer wieder seine eignen Kinder verschlingt, damit sie ihm nicht zu dreist in seinem Weltall herumspionieren! – Ein Weltall gibt's allerdings . . . Doch herrscht dort nicht die Menschenvernunft, sondern der Katzeninstinkt. Im übrigen sind wir allesamt sich widerstrebende oder sich anziehende Atome, die aber der Wüstenwind ganz nach Belieben durcheinander wühlt.
Ich fühle mich etwas wie erschlagen – dieser verwünschte Sonnenbrand und diese verwünschte Liebe!
Ich bin nämlich acht Tage lang nicht in der Oase Biskra gewesen. Wer eine Festung belagert, darf seine Zernierungslinie nicht unterbrechen . . . Ob Sulamith schön ist, ob Carlos Seele flammt!
Acht Tage und acht Nächte sind lang, und noch immer denkt die Festung nicht an Uebergabe – aber sie muß sich ergeben, sie muß! – Einen Augenblick war's mir, als wenn die Seherin damals und die Fürstentochter jetzt ein wenig Spukgestalten meiner Phantasie gewesen sein könnten. Ich versuchte deshalb, mich auf jene beißende Philosophie zurückzuziehen, die die Menschen über ihre Kleinheit belehrt und uns über unsre Größe beruhigt. – Aber Größe hin, Größe her! man hat leicht sich eines Eispanzers zu rühmen, indes wilde Feuergluten die Seele erfüllen . . . Feuer schmilzt Eis.
Die Sahara ist zwar heiß, doch meine Seele ist noch viel heißer . . . Sulamith, Sulamith, Wilde, Stolze, Rätselvolle! – Ein König naht dir, die Krone seiner allerchristlichsten Ahnen der leuchtend-schönen Enkelin Mohammeds und der Propheten aufzusetzen – du aber siehst ihn mit fanatisch blitzenden Augen an. Ein Olympier neigt sich vor dir, die goldenen Stühle des Griechenhimmels als Gott mit der Göttin zu teilen – du lächelst hochfahrend, das klassische Altertum reizt dich also nicht. Ein Sklave liegt gefesselt zu deinen Füßen, dich anflehend, ihm Mohammeds Paradiesesgärten zu erschließen – du läßt diesen weißen Sklaven voll Verachtung stehen . . . Sulamith, so wahr ich ein Bourbon bin, so wahr mich das Olympierkleid umfließt, Sulamith, so wahr ich dich allein liebe und geliebt habe, erhöre mich!
Jedoch diese Tochter des Propheten ist unerbittlich. Sie thront inmitten ihres mohammedanischen Hofstaats: fahl, groß, unnahbar. Auf den leisesten Wink ihrer göttlichen Pfote stürzen viel hundert Sklaven sich auf mich, auf ein kaum sichtbares Blinzeln ihrer Augen rast die Blüte der moslemitischen Ritterschaft gegen den Kreuzfahrer, auf einen Hauch ihres hehren Mundes rasen sie wieder zurück, und gleich darauf liegt der Großwesir blutend am Boden, der klüglich nicht von seiner Herrin Seite wich . . . Diese heidnischen Schurken schreien: »Allah, Jlallah!« und ich schreie: »Hie Bourbon!« – Die wildeste Katzbalgerei ist sofort wieder im Gange, Kriegsgeheul durchgellt die schweigende nächtliche Wüste. Und Sulamith schaut bewegungslos starr mit dem rätselvollen Lächeln auf den Lippen, das uns alle wahnsinnig macht . . . Wen liebt sie? Wem lächelt sie zu? – Wir haben jeder die Ueberzeugung, daß dieses Lächeln jedem allein gegolten hat, wie ja auch eine einzige Pistolenmündung fünfzig Menschen zugleich mit dem Vorgefühl des sichern Todes erfüllt. Diese Toren! Von mir weiß ich bestimmt, daß sie nur mir lächeln muß . . . Es ist ja der weiße Prinz aus Märchenland, die Erfüllung der Stammessage. – Und wenn ich dir das alles auch nicht wäre, wenn ich dir nur als irrender Ritter erschiene, Sulamith, Sulamith, vermagst du nicht aus meinen Augen das stolze Sehnen des Abendlandes zu erkennen, wie ich in den deinen den verzehrenden Glutodem des Morgenlandes funkelnd schaue? . . . Weib, wenn es einen Himmel gibt, so findest du ihn bei mir; wenn es eine Treue gibt, so halte ich sie dir! . . .
Der ganze Ueberschwang des Orients, das ungeheure afrikanische Liebessehnen überkommt mich. – Ich schmiede Verse – Firdusi, wo ist dein Ruhm? Ich singe Lieder – Troubadours, bleibt in euern Gräbern, ich bitte euch um eurer selbst willen darum! Der ganze Himmel wölbt sich mir zu einem einzigen Sternendiadem für die Göttliche; das Schweigen der Wüste verdichtet sich mir zu einem einzigen hohen Liede ihrer Schönheit . . . Die ganze Welt erscheint mir winzig vor dieser Riesenleidenschaft. – Ich selbst habe das sichere Gefühl, daß ich tropisch, ungeheuer gewachsen sein muß und in keinem menschlichen Spiegel fürder mehr Platz finden kann. Es ist nicht Wahnsinn, nicht Ueberhebung, es ist das Wunder der Liebe, das mich zum Unendlichen erhöht.
Und nun tue ich, was ich tun muß, stürze ihr zu Füßen wie das erstemal bei ihrem Anblick, und wie das erstemal tönt es von allen Seiten: »Hund von einem Ungläubigen!« – Die Korankater stürzen sich auf mich, ich bin niedergezwungen, noch ehe ich mich über unsre divergierende Religionsauffassung habe eingehend äußern können. Aber die Erinnerung an die Taten meiner Ahnen, an die Türkenblutbäder aller echten Kreuzritter lebt in diesen Moslims instinktiv fort, und auch ich hake instinktiv nach jeder Nase von Halbmondform . . . Und Sulamith sieht, schweigt, lächelt. – Traum meines Herzens – Göttin – Hexe – denn von dem allen hast du etwas –, Carlo liebt, Carlo ist treu! . . . (Ich glaube wenigstens, daß alle Könige es zeitweise sein konnten. . .) Und anstatt nun ihren wilden afrikanischen Hofstaat zu romanischer Ritterlichkeit zu zügeln, mich durch Edelpagen an ihren Thron zu geleiten, gibt sie selbst jedesmal das Zeichen zum Kampf. Begreift sie die Größe ihres Glückes noch nicht? – Kann sie die irdische Scheu vor dem Ueberirdischen noch nicht überwinden? – Oder kämpft sie mit wahrhaft menschlicher Verblendung gegen das einzige große Gefühl ihres Herzens? . . . Jedenfalls gelange ich nie auch nur annähernd bis in ihre Nähe und muß zerbissen und zerkratzt aus der Ferne zusehen, wie dieses rätselhafte Medusenlächeln allen diesen Belialssöhnen leuchtet. Alles vermag ich zu ertragen, das nicht! Ich hinke davon, vergrabe mich tief in der Wüste und erinnere auch insofern an einen Propheten, als ich meine Wunden in einer Salzlache kühle und wie die Kinder Israels traurig meine Harfe an die Weiden gehängt hätte, vorausgesetzt, daß solche dagewesen wären . . . Der riesige Leibmohr hat mir nämlich über dem rechten Auge einen Halbmond zu zirkeln versucht, daher die Tränen; und ich zeichnete ihm gerade über der Nase eine weithin leuchtende Bourbonenlinie, daher die wilden Klagelieder aller dieser Mohammedaner, die ich bis hierher vernehme und die mir recht angenehm in den Ohren klingen.
Dieser Halbmond schmerzt wirklich scheußlich. Natürlich seelischer Schmerz! Ich werde euch schon Rittersitte lehren, ihr ungläubigen Schurken . . . Ich wäre in der Laune, euch sämtlich mit Hochgenuß in Höllenbratpfannen sieden zu sehen – und wenn Sulamith halsstarrig bleibt, so siede sie auch! Im Orient überkommen uns die glühenden Despotenphantasien. Ach, wie ich meinen erlauchten Ahn Ludwig XI. jetzt verstehe, wenn ihn das weinerliche Gekrächz dieses verräterischen Kardinals Balue in seinem unterirdischen Käfig so herzlich erfreute! Ich habe brütend und einsam den Rest jener Nacht in einer Felsnische zugebracht, zu der gegen Morgen eine Minutenschlange und eine Skorpionspinne gleichzeitig zum Trösten kamen. Ich verzichtete. – Vom Hunger übermannt, wollte ich heimwärts eilen zu dem Sahnentopf und der Kakesbüchse meiner unvergeßlichen Josefa. Wie die Gute sich freuen wird, wie sie mir meine Liebe danken wird – und wie hoffentlich nicht salzige Tränen des Wiedersehens mir die Freuden der Tafel verbittern werden! An der kleinen Oase vor Bistra rastete ich. Ein düsteres Sehnen, eine wilde Entschlossenheit wandten mir den Blick rückwärts. Und es war keineswegs der gelbe, spitzschnauzige Oasenköter allein, dessen riesigen Wolfszähnen und plumpem Gladiatorengenick ich die Ehre erwies, in die höchsten Wipfel einer Palme hinein zu voltigieren – Hunde verachte ich tief –, sondern vielmehr das leidenschaftliche Interesse an dem Riesenreich meiner Königin, auf das ich noch einmal schauen wollte. Von Palmen präsentiert sich die Wüste entschieden am günstigsten. Ich blieb traumverloren wohl einen halben Tag da oben sitzen, und der Oasenköter unten richtete sich gleichfalls häuslich ein. Gegen Mittag brannte der Halbmond abscheulich. Unter solchen Seelenschmerzen entflammte mir erst voll der mittelalterliche Fanatismus des Kreuzfahrers gegen die unheilbaren Heiden. – Ich werde sie nicht bekehren, aber ich werde sie dezimieren! Nacht für Nacht werde ich mindestens ein Dutzend dieser Moslims in ihre himmlischen Prophetengärten befördern, und dies so lange, bis Sulamith von ihren Peinigern befreit ist. Denn erst jetzt sehe ich in dieser Angelegenheit sonnenklar. Sulamith liebt mich – daher das Medusenlächeln! Aber zwischen ihr und ihrem Glück steht ihr Hofstaat, ein tyrannischer, zügelloser Hofstaat. Sie sehnt sich nach der Lilie der Bekehrung – ihr Leibderwisch langweilt sie mit Koransuren; sie will entfliehen – ihre Eunuchen begleiten sie ehrfürchtig zu jedem Gange; sie will befehlen – die Zauberstimme dieses holdseligen Geschöpfes erstirbt in dem heuchlerischen Heilrufen roher Kriegsmänner. Sie kann nur schweigen, lächeln, harren. – Carlo naht! Sie sieht es, sie hört es, sie möchte zerfließen in Wehmut und in Wonne; aber sie ist auch eine große Fürstin, sie kennt die allmächtige Etikette, den finster schleichenden Argwohn, sie weiß, wie Gift und Dolch gerade das duftende Liebeslager von Königinnen umdräuen. Und eben darum gibt sie immer selbst das Zeichen zum Kampf, fanatisch grausam, scheinbar gegen einen überlästigen Freier, in Wahrheit aber nur mörderisch für ihr Volk, das dieser weiße St. Georg ebenso sicher bezwingen wird wie seinerzeit den Lindwurm. – O, dieser Wunderglaube der Frauen! Wie er uns stärkt, wappnet! Sulamith, ich komme, ich komme!
Und wie Isabella von Spanien vor Granada durch einen feierlichen Schwur sich und ihr Hemd unsterblich machte, so schwöre ich als Olympier, als Bourbon, als Ueberkater, daß ich zu den Sahnentöpfen von Biskra mit Sulamith zurückkehre oder nie.
Noch heute gehen meine Fehdebriefe an die gesamte morgenländische Ritterschaft zum Zweikampf: Hie Bourbon! Hie Halbmond! – Königin in Banden, dein Befreier ist da!
Ueber die einzelnen Schlachttage werde ich im Bulletinstil Napoleons I. berichten. Donnerstag – Turnierplatz: die Wüste, drei Kilometer von den heißen Bädern, angesichts der Dunes de sable. Die Fürstin. Der Hofstaat. Als erster Kämpe tritt der riesige Leibmohr auf. Vielstündiger homerischer Kampf. Endlich sinkt der Riefe unter meinen Streichen. Ich selbst, eine schwere Blessur am Oberschenkel, bleibe einige Minuten besinnungslos auf dem Blachfeld liegen, während mein Gegner mit einem kläglichen Miau urplötzlich von dannen flieht. Die Ungläubigen schreiben sich den Sieg zu. Jedenfalls behaupte ich das Schlachtfeld, wenn auch schwer hinkend und mit furchtbaren Trübungen der Netzhaut. – Darauf einsame Fiebernacht in der Wüste. Ein Riesenskorpion steigt mit Seelenruhe über mich weg. Etwas Gift mehr oder weniger, was tut's dem, den der Stachel der Liebe traf . . . Sulamith, dein Bild strahlt herrlicher als je! Deine Rätselaugen leuchteten hell bei meinem Sieg! . . . Und im Fiebertraum sehe ich nur immer ein wildes Durcheinander von Lilien und Halbmonden. – Am Morgen eine klägliche Oasenmaus, ein kümmerlicher Tautropfen meine Atzung.
Sonnabend: Kampf auf den Felshöhen um Biskra. Zwei graue Wüstenritter, hager und heimtückisch, stürzten zugleich auf mich los. Ein Kampf ohnegleichen. Beide niedergewürgt, ich höre noch ihr Todesröcheln. Die Oberschenkelwunde brach wieder auf, und ich vermochte die Ketzer darum nicht lebendig zu vierteilen, was ich am liebsten getan hätte. Sie wurden sogar wieder lebendig, diese feigen Schurken! Wieder Freudenrufe aus dem Korps der Haremssklaven. Ich kann nur verächtlich lächeln. Verbrachte ich auf dem Schlachtfeld doch noch zwei volle Stunden, teils um den Sieg zu genießen, teils weil meine Beine andre Ansichten hatten als ich, und die Sterne einen deutlichen Cancan vor meinen Augen tanzten. – Rest der Nacht in einer Felshöhle. Ich höre die Minutenschlange zischen, aber sie geniert mich nicht weiter. Ob man nun für ein Weib oder durch eine Schlange stirbt, von einem von beiden muß man ja doch einmal sterben . . . Sulamith! Deine Märchengestalt verschwimmt mir zwar etwas, aber diesmal leuchteten deine Augen wie Feuer über meinen Triumph! Sulamith! . . . Wie durch einen Schleier sehe ich im Fieberdelirium funkelnde Halbmonde dutzendweise vom Himmel herabfallen, von heißen, weißen Lilien verfolgt. – Am Morgen nur Zisternenwasser aus einem Regenloch und einige junge gelbe Heuschrecken . . . O Kakesbüchse, o Sahnentopf!
Montag: Turnier hart an den heißen Bädern. Eine kleine falbe Giftkröte stürzt auf mich. Ich strauchle, er verhakt sich. Jeder hätte sich an meiner Statt ergeben, denn, eine Katerkralle brennend langsam durch beide Nasenlöcher gezogen, weckt den Vorgeschmack der Höllengluten. Natürlich besiegte ich diesen Roland zuletzt. Er lag tödlich verwundet auf mir und zerfetzte in den letzten Zuckungen mein Kleid, was ich großmütig einem Sterbenden nicht verwehren wollte. Der Hofstaat jubelte wiederum. Dabei habe ich den Kampfplatz, bei meiner Ehre, vierundzwanzig Stunden nicht verlassen, was noch jeder Feldherr sich zum Ruhme angerechnet hat. – Tag und Nacht verbrachte ich in einem glühenden Fieberwahn. Wie durch Wolken gewahrte ich unzählige, heiß gleißende Lilien, die einen einzigen wehmütigen Halbmond schrecklich bearbeiteten. Ich rufe: »Sulamith, Sulamith!« Und sofort ist auch meine ganze Ritterlichkeit wach, mein Mitleid. »Ich sah gar wohl, du unvergleichliche Wüstenkönigin, wie bei meinem letzten Sieg deine Augen wie in höchster Verzückung Blitze schossen . . . Aber Sulamith, wir haben gekämpft, wir haben gesiegt, jetzt wollen wir Milde walten lassen! Wenn auch Mohammedaner, so sind es doch Edle, des Blutvergießens wär's genug. – Ich lechze nicht mehr nach Toten . . . Was noch am Leben blieb, mag sich in die Wüste zerstreuen. Und jetzo, Sulamith, knie ich vor dir, der geprüfte, gereifte, der unsterbliche Königssohn. Der Zauber ist gelöst, Abendland und Morgenland finden sich in einem glühenden Brautkusse . . . In unsern Staaten schwinden fortan alle hemmenden Schranken. Holde Bekennerin der allerchristlichsten Lilien, segne den letzten Ritter des Halbmonds! . . .« An diesem Tage genoß ich nur einige schweflig schmeckende Wassertropfen und den Anblick eines singenden Vogels.
So dachte ich groß und königlich, und wallte feierlich vorerst nach Biskra zurück. Not bricht Eisen und der Hunger Schwüre. Anstandshalber kann ich nicht vor meiner Fürstin als Friedensfürst erscheinen mit zerschundenem Kleid und blutig ausgezackten Ohren. Was ich bin, das will ich auch scheinen. Mir tut eine kombinierte Fleisch- und Sahnendiät abwechselnd mit kühlen, seidenen Chaiselongue-Kissenbädern not. Wenn Sulamith Sulamith, wenn ein hohes Lied ein hohes Lied – so wird auch die Ewigkeit nichts an unsern Gefühlen ändern. Die Sentiments von Prinzessinnen dürfen nicht flüchtig sein wie die Tanzpas von Balletteusen . . . Ich dachte meiner hohen Holden in jener vornehm abgekühlten Ritterlichkeit, die allein die Garantie für glückliche Thronehen ist. Bei dieser Gelegenheit stieß ich auf die Falbkatze, die mir ausgeputzt entgegenkam und keineswegs mehr einer ehrwürdigen Norne, wohl aber einer verschlagenen Theaterfriseuse glich.
Sie ging zur Hochzeit! – Kommentar überflüssig. Ich gehe jedenfalls nicht zur Hochzeit!
Wenn Sulamith wirklich nur die illegitime Tochter dieser berufsmäßigen Kupplerin ist, die systematisch die ganze Herrenjugend auf dieses Geschöpf hetzte, nur der Vermittlungsgebühren halber, und wenn der dazugehörige Bräutigam wirklich nur ein zurückgelassener Ouled-naël-Kater aus den heißen Bädern ist, die wegen ihrer Liebesskandale berüchtigt sind: nun, dann gebe ich allen meinen Segen. Die Hochzeitsmutter, die Hochzeiter, das Hochzeitslokal sind einander wert. – Ich kann eigentlich von Glück sagen, denn was würde der Okzident zu dem Orient gesagt haben?!
Wenn ich mir es recht überlege, ich hätte eigentlich die haarsträubende Sittenlosigkeit der Tochter schon aus den Kupplerinnenallüren der Mutter erkennen müssen. – Ich kann kaum begreifen, daß ein so scharfsinniger Geist wie der meine auch nur auf Augenblicke düpiert werden konnte . . . Freilich afrikanische Wüstenträume sind heißer und afrikanische Wüstenspiegelungen täuschender. Ich kann es mir nur so zusammenreimen, daß die besagten Dschins oder Gespenster mir das alles vorgaukelten, sowohl Prinzessin und Hofstaat wie Turnier. Jedenfalls war die Täuschung ungeheuer frappant, denn die Wunden und Schmerzen des Kampfes sind alles andre wie liebliche Visionen. – Hoffentlich habe ich mich mit keinem Unebenbürtigen geschlagen. Gott sei Dank, daß keiner davonkam, sonst würde mich vielleicht schon morgen kameradschaftlich eine Kameltreiberkatze oder ein Negerkater in Biskra anreden!
Als ich ins Hotel kam . . .
Josefa fort, verschwunden, schon seit drei Tagen . . .
Ich konnte nur wild auflachen: »Josefa, Scheusal, so belohnst du unentwegte Treue!«
Und jetzt brach ich wirklich zusammen.
Und es war nicht die gelblich duftende Dinersahne aus zarter, aber verräterischer Frauenhand, es war bläulich fade Souterrainmilch aus groben, aber treuen Jungfernhänden kredenzt, die mich wieder zum Leben erweckte . . . Ja, Treue, bei den Vornehmen bist du nicht zu finden, du wohnst bei den Niedrigen. – Die edle Samariterin, die meine umflorten Augen nicht sofort erkannten, war die Luise der Gräfin Quedenberg. – Ich fiel natürlich sofort wieder in Ohnmacht, weil ich mich nun erst recht vergiftet glaubte. Aber meine Brüder aus dem Olymp wachten über mir. Es war nicht Gift, es war Leben, was mir eingeflößt worden.
In mir ist seitdem eine große Wandlung vorgegangen.
Heute nacht erwarten Luise und ich unser beider Herrin: Jeanette.
Jeanette neulich weggereist auf Grund eines plötzlichen Depeschenwechsels, ich weiß nicht, mit wem. Sie ist nach Algier, aber ich glaube weder an Algier noch an den Bruder dort. Jedenfalls kam eine Stunde nach ihrer Abfahrt Rhyns Araber mit einem Brief. Ich hatte diesen Brief in der Hand, ich hatte ihn auf meinem Zimmer und ich hätte ihn öffnen können . . . Für andre mag das eine Versuchung sein, für mich nicht. Ich ließ nur zurücksagen, daß die Dame in Oran sei und kein Hotel angegeben hätte.
Eine halbe Stunde später sah ich den Araber noch in der Halle, wo der Oberkellner und er mit Zeichen hin und her debattierten. Bei allem, was mit »ihm« zusammenhängt, schlägt mir natürlich das Herz. Während ich vorüberging, sagte wie entschuldigend der Oberkellner: »Was soll ich nun mit dem Menschen anfangen? Er will durchaus die Frau Gräfin haben oder sonst bis zum Raier zurückreiten mit dem Brief. – Wenn nun aber die Frau Gräfin in der Zwischenzeit zurückkommt . . .«
»Was ist Raier?« fragte ich, gleichgültig scheinbar, während mir das Herz bis zum Halse schlug.
»Eine Oase auf dem Wege nach Tuggurt – vielleicht zehn Stunden. – Dort werden sich, wie der Araber sagt, die übrigen Herrschaften von dem Grafen Rhyn trennen. Sein Diener soll von hier bis El-Kantara oder Batna weiterreisen.«
Der Mensch hatte noch nicht ausgesprochen, und mein Entschluß war schon gefaßt. Mir war's wie das rettende Licht in einer finstern Nacht. – Solange Jeanette Quedenberg dabei ist, spreche ich ihn nie allein, und ich muß ihn noch einmal allein sprechen! Auf dem Raier ist das möglich. Wem im Leben die Gelegenheit nicht dienstbar ist, der muß sie sich dienstbar machen. Die Spieler, die ihr Vermögen langsam verspielen, vom ersten bis zum letzten Heller, die zittern bei jedem Zug; die ihr Schicksal auf eine Karte setzen, die schauen dem Schicksal gerade ins Gesicht . . . Und wenn mir der Böse selbst diesen Araber geschickt hätte – morgen reitet er, und morgen reite auch ich! . . . Und mit einem Schlage war ich ganz ruhig, ganz klar. Ich suchte mir das beste Maultier, das es in Biskra zu mieten gab, und den seltsamsten Tropenhut, den es im Bazar zu kaufen gab. Mein Araber, der ungefähr so schwarz und so fanatisch aussieht wie der blutdürstigste der Kalifen, neigte sich zu allem, was ich sagte, gemessen höflich und verstand kein Wort.
Am andern Morgen um fünf Uhr ritten wir. Es war lau. Die schlaffe Oasenkühle nach einer heißen Wüstennacht. Als der Araber die Tiere vorbrachte, traute ich dem Frieden nicht recht. Aber Kopfhänger sind ja alle diese Mietsmaultiere. Es mag nicht gerade kriegerisch ausgesehen haben, als wir beide aufsaßen: ich in einem Damensattel ältester Konstruktion, grünem Nackenschleier, Flanellkostüm, eine recht unwahrscheinliche Regenkapuze als Ballast; er auf einer aufgeschnallten Wolldecke, die Füße statt in Steigbügeln in den natürlichen Satteltaschen dieser tief herabhängenden Wolldecke selbst. Ich Reitpeitsche, er Bambusprügel. In der Tür stand meine Jungfer, hinter dem Rouleau lugte Herr Meyer. Es war offenbar kein Abschied fürs Leben.
Durch die Oase ging's erträglich. Die Palmen dufteten frisch und nickten über ihre Lehmmauern. Zum erstenmal sah ich hier eine Palmenblüte, die wie eine riesige hellgelbe Rispe aus ihrer grünen Hülle quoll. Es war die einzige, so sehr ich auch suchte, denn noch schlummert der Oasenlenz. Ich aber zeigte nach der hohen Palme, die diese Blüte trug, und sprach und lachte, und der Araber, der höflich widerlächelte, ahnte nicht, daß hier eine Blüte und ein Traum sich im Blütentraume fanden. – Aber als wir dann den Saada-Weg entlang ritten, – der lichtgrüne Schein der Weizenfelder immer heller –, bis die Wüste rings in dem lehmigen Graugrün schwamm, da wurde mir nicht angst, aber mir wollte nüchtern zumute werden. Und wie um den eignen grauen Gedanken zu entrinnen, ließ ich mein Tier einen scharfen Paß gehen. Wieder kam die Saharasonne und brannte auf den verwehten Kamelkadavern. Wieder tauchten am Horizont die langschreitenden Kamelherden auf. Wieder klappte hohl der Maultierhuf auf der schwelenden, berstenden Landstraße. Hüben die dürren Sträucher, in denen der Morgenwind raschelte, und der tief ausgerissene, dürstende rotgelbe Oued, drüben die staubig-stumpfe, in trübseligem Graugrün verschwimmende Weite bis zu den dunstverhüllten Atlashöhen. Wir waren kaum eine Stunde geritten, aber die Sonne brannte und das Licht stach wie am Mittag. Ueber die ganze Wüste zog es sich grau und stickend zusammen . . . Der Gedanke an mein tolles Beginnen wollte mich wieder quälen, und ich trieb den schmutzigen Bastard schärfer. Je toller, je besser. Und wie beim Trabe der schlaff gewordene Lufthauch wieder sich ermannte, fühlte ich seine Frische und meinen Jugendmut. Ich habe nach Biskra nicht ein einzigesmal zurückgesehen. Ueberhaupt nicht zurücksehen im Leben! Ich habe zu viel gezaudert, zu wenig getan während meines ganzen Lebens. Nach vorwärts drängt das Glück, rückwärts trägt uns das Unglück ohne unser Gebet . . . Ich versuchte mit meinem Araber zu sprechen. Er gurgelte und verdrehte die Augen, und so viel wurde mir wenigstens klar, daß er keinen Glutwind befürchtete, wohl aber ein Gewitter mit Wolkenbruch. Ein Wolkenbruch in der Wüste. Ich mußte lachen. Es ist ja für unser Gefühl etwas Undenkbares, daß einmal die Sahara und ihr Sandozean in Regenstürmen ertrinken könnten. Dürre und Glut, weiter geht unsre Wüstenvorstellung nicht . . . Aber jedenfalls begegnen sich unser beider Wünsche: er möchte den Raier erreichen noch vor dem Regen, und ich noch vor der Nacht. Wir ritten und ritten also und schonten die stockenden, stolpernden Paßgänger bis Saada wahrhaftig nicht. – Aber kaum hundert Schritte davon an der schmutzigen Quelle trat mein Weißgrauer in ein Lehmloch, stürzte, der Sattelgurt riß. Wir beide wälzten uns in einer Staubwolke. Um den Fleck im Flanellrock wär's nicht schade gewesen, aber das Maultier markierte links vorn und hinkte mühselig weiter. Wenn die kleine Wüstenblume dereinst mir ein Zeichen war, wie deute ich diesen Sturz?
Und während mein arabischer Führer und die andern Araber das Tier umstanden und befühlten, setzte ich mich in die alte Wachtstube auf den einzigen schmutzstarrenden Strohstuhl und überlegte. Es war doch eigentlich etwas unsagbar Törichtes, was ich unternommen, ein lustiger Streich für sechzehn Jahre, ein abgeschmackter für sechsundzwanzig . . . Die Sünde, gut, die nehme ich auf mich; aber die Gefühle der ausgepfiffenen Tänzerin, die ertrage ich nicht! Ich bin hochmütig – und will mich erniedrigen; ich bin rein – und will mich beschmutzen; aber ich will keine zudringliche Bettlerin sein. Almosen gebe ich, aber ich nehme sie nicht! . . . Und ich dachte verbissen weiter: Wenn dieser Sturz nun eine Warnung wäre, der Finger Gottes, dann müßte ich zurück. Und wenn er genau das Gegenteil bedeutete, – den Felsblock, den uns das Schicksal noch im letzten Moment auf den Weg rollt, uns zu prüfen, ob wir kleinmütig weichen oder nicht? – Dann müßt' ich erst recht vorwärts . . . Und da wurde es mir so dunkel und trübe innen, und alles verblich in einem häßlichen Alltagsdunst. – Der Schoßhund, dem die Leine reißt! – Ich mußte immer an eine lächerliche Kindergeschichte denken: Cordulas erste Reise, die eine Vergnügungsfahrt sein sollte und nur eine Enttäuschung war und bei Ziegen auf einer Waldwiese endete. Mein Sündenentschluß gleicht verzweifelt dieser Cordulafahrt. Es ist nicht Angst, nicht Reue, es war das phantastisch Lächerliche, was mich lähmte. Ich ging auch hinaus, um dem Araber begreiflich zu machen, daß er allein weiterreiten möge. Sein Maultier stand abgesattelt im Hof, aber der Reiter fehlte. Und während ich ihn suchte, kam ich auf dieselbe Stelle, wo ich zum erstenmal die freie Wüste witterte und ihren Todeszauber. Der Himmel hing so tief, so bleiern, der Horizont in staubigen Wahngebilden schwankend. Das Unwetter liegt in der Luft, der stickige Odem kriecht in stumpfem Flimmern. Wie graue Schleier zieht's heran, wie Schatten stumm und tückisch, unheilschwanger. Das warnt, das dräut: – Nein, Schicksal, du taxierst mich falsch! Das Frühlingslächeln macht mich matt, im Traume schweift mein Geist, der Fuß bleibt träge, jedoch solch drohend Ungewitter regt mich an, ich will es gern bestehen . . . Ist's Ueberhebung, Sünde, sei es, was es wolle, das Weiße in des Schicksals Auge lüstet's mich zu sehen! . . . Ich sog die Luft mit weiten Nüstern ein. Was hat das Leben denn für Zweck und Ziel? – warum immer denken, bereuen? – warum nicht handeln, genießen? – Ich höre nur die Stimme, die mich vorwärts treibt, und folge ihr. Ach, gäbe es doch in meinem Leben niemals ein Zurück! . . . Und wäre es nur ein Sinnenwirbel heut, – besser jung sterben in der eignen Glut, als alt zu frieren an dem kalten Scheit . . .
Und das Glück hilft doch nur, wenn wir es versuchen. Die Kardinalfrage hatte ich nämlich vergessen. Woher hier in dieser verödeten Kaserne ein neues Maultier nehmen? – Aber ich verständigte mich so gut und so schlecht mit den Leuten, daß sie nach langem Ueberlegen einen knochigen Mischling von der Weide holten. Das Tier war ganz dunkel und sah viel stärker und heimtückischer aus als mein weißgrauer Invalide. Jedoch die Leute gaben es nur ungern, erst auf lange und energische Vorstellungen meines Führers. Die Augen, die mich streiften, hatten das tückisch Gleißende, und durch die orientalische Ruhe stach zuweilen die fanatische Flamme. Es war ein ungemütliches Gefühl, bei Menschen allein zu sein, von deren Sprache ich kein Wort verstand. Und dies Gefühl wurde unheimlicher, als wir nach mehrstündigem Warten endlich wegritten, der Sattelgurt notdürftig geflickt, mein Tier mürrisch trabend. Die wenigen Araber hatten sich versammelt, schauten uns nach, im schmutzigen Burnus der glimmende Haß. Wenn jetzt zwei Männer heimlich aufsattelten, uns hinter irgendeiner fernen Dünenwelle ablauerten? Mein Führer sah nicht aus, als ob ihn christliche Bedenken je drücken könnten.
Und vielleicht gerade darum war's mir ein köstlicher Ritt. Vielleicht bin ich im Grunde meines Herzens eine Abenteurerin, die nur Gefahr und Sünde locken. Wir ritten guten Paß. Es war bereits Mittag. Die Sonne, die wir kaum als gelben Schimmer erblickten, stach; der Wind, der träge abflaute, sengte; auf allen Seiten der Horizont eng wie verhangen. Erst ging's eben, der Huf knirschte auf großen Kieseln, dann lugten verschleierte Dünen, die Tiere krochen im weichen Sand. Zwei hockende Kamelreiter schienen langsam aus dem Boden zu wachsen. Leute aus Saada? Ich sah meinen Araber scharf an. Mit mohammedanischem Gruße glitten wir aneinander vorüber. Mein Führer lachte und zeigte zurück, ich weiß noch heute nicht warum; als ich mich umsah, verschwanden gerade die Reiter hinter der nächsten Bodenwelle wie Schatten. Auch Berge kamen, aber fern, sie schauten alle braun und dürr aus, und ihr Gipfel schwamm in Wolken. Während eines stundenlangen Rittes nur lastender Himmel, brütende Stille, versiegendes Leben. Die Tamarisken fort, die Salzkräuter nur noch wie ein Hauch. Auch Salzlachen zeigten sich, langgestreckt, blind, am Ufer mit brüchigen Kristallen bedeckt wie Eis. Aber kein rosiges Flamingogefieder, kein jappender Fisch, nur die Grabesstimmung eines toten Meeres; der braune Felskegel dabei, wie der erstarrte Wächter des ewigen Schweigens. Einmal schien sich dann die Natur darauf zu besinnen, daß der Tod nur gewaltig, wenn ihn das Leben rahmt. Graugrüne Salzweiden zogen heran mit Kamelherden und Hirten. So ungefähr denke ich mir das Gelobte Land zu Lots Zeiten. Zuletzt der helle Schimmer von Weizenfeldern um den dunkeln Kern einer Palmeninsel. Dort fütterten wir unsre Tiere mit kärglichem Mais, und sie schlürften das graue Oasenwasser argwöhnisch dazu. Wir selbst saßen auf dem Estrich eines Lehmhauses und aßen Sandwiches und tranken Wein aus unsern Satteltaschen, das heißt mein Führer sah mit Verachtung auf Wein und Schinken und aß nur das Brot. Eine dunkle, staubige Kinderhorde schaute durch die Tür. Die Palmenblätter hingen ganz schlaff, und die Stämme neigten sich wie bürstend über ihre Lehmmauern. Mir hatte der Kopf vorhin beim Reiten zum Springen geglüht, die Backofenhitze hier nahm mir den Atem. Nach einer Stunde kandarten wir wieder auf. Die Tiere wollten nicht traben und drängten sich widerwillig. Aber drüben, wo die Berge zu grauen Dunstketten sich dehnten, zuckte es bereits schweflig auf. Wir mußten unter der Peitsche reiten.
Wieder schaute uns die Oase nach, und wieder schien es mir das heimliche Glimmen orientalischen Hasses. Darüber nachzudenken war keine Zeit. Mein Araber zog die Kapuze seines Burnus über den Turban und fuchtelte mit einem unterdrückten Fluch den dicken Prügel um die Maultierohren. Ich band mir den Nackenschleier hoch, während mein Schwarzbrauner, von dem Fuchteln erschreckt, im Sprunge auszubrechen versuchte. Gewitterwind blies in kurzen Stößen. Sandwolken wirbelten auf. Der Himmel grabesdüster, die Wüste aschfahl, wie die Verdammnis. Wir zogen als apokalyptische Reiter dazwischen hin. Vom Atlas her begann es dumpf zu grollen. Die Tiere schnaubten, von Zeit zu Zeit langte der Knüppel aus dem Burnus zu mir herüber, und es ging hundert Schritte lang im harten, stöckrigen Galopp. Die Atmosphäre war tödlich schwül, staubgesättigt. Mir brach der Schweiß aus allen Poren, und der Bug der Tiere schimmerte schmutzig naß. Ich lechzte nach einem Regentropfen. Aber es grollte und grollte, und wenn über den Bergen hin und her ein Blitz auflohte, starrten die dürren, braunen Ketten in heimtückischer Wildheit. Ich mußte immer nach den Bergen schauen, und wie es sich da schwarzblau übereinanderschob, türmte, – es war ein so großes Bild; mein Araber schaute immer vorwärts, wo die Staubsäulen jäh aufwirbelten, matt zusammensanken. Es wurde von Moment zu Moment dämmriger, – eine tückische Halbnacht, – die Tiere wollten durchaus nicht mehr weiter. Der Araber hieb, sein Mischling stolperte vorwärts; aber der meine blieb immer mehr zurück. Ich schlug mit meinem Reitstock, was ich konnte, aber das Maultier drehte sich im Kreis, hufte zurück, ich hatte Mühe, den Sattel zu halten. Und derweilen begann es zu tropfen. Mein Araber schaute auf den Himmel und dann auf mich.
Als wir eine Stunde später glücklich eine Art Oase erreicht hatten mit einer schrecklichen Karawanserei, war's nicht etwa der Raier, sondern ein ganz andres, abgelegenes Ding. Die Wüste lehrt Geduld, und darum hatte sich auch mein Araber beschieden. Von einem Bett und einem Zimmer für die Nacht keine Spur. In einem langgestreckten, heißen Lehmraume ein schmutziger Kattundiwan, ein verlöschendes Feuer und eine Tasse türkischen Kaffees. Es war wohl gleichzeitig eine Art Kaufladen. Denn Araber kamen gemessenen Schrittes herein, nahmen Zigarettentabak von einem Tisch, hockten sich an der Wand hin, starrten mich an. Der Padrone schlurfte in weißen, weichen Schuhen umher ohne sonderliche Aufregung, aber mein Führer, der sich zu den andern an die Wand gehockt hatte, gestikulierte lebhaft mit allen, und wenn ein neuer hereintrat, begrüßte er ihn mit einem eigentümlichen Gurgeln und einem eigentümlichen Kuß zugleich. Draußen der lastende Regenhimmel, drinnen die abgestandene Hitze. Ich hatte keine Spur von Hunger, nur Durst, den ich mit lauem Wasser kühlte. Auch der Diwan hätte mir zur Nacht völlig genügt. Aber allein mit diesen Wilden, angestarrt, ohnmächtig gegen jede Gewalttat der Sinne oder der Habsucht! Es war wahrhaftig nicht blasse Furcht, es war weit eher Scham. Ich hätte mich verkriechen mögen vor dieser blöden Neugierde, die mich mit den Augen verschlang, ohne auch nur die Lippen zu rühren. Allein in der Wüste, in dieser Lehmbaracke von den Beduinen mit den Blicken ausgezogen bis zur Nacktheit! Und dabei übermüdet, nervös . . . Ja, wenn ich jetzt nach Biskra hätte zurückfliehen können, ich wäre sicher geflohen! Aber schlimmer als alles, der Gedanke, der mich peinigte bis aufs Blut; wenn Peter durch einen Zufall schon in dieser Nacht hierher käme, mich hier sähe, an ein Wunder der Liebe glauben müßte. Daran hatte ich kaum gedacht, als ich mich besinnungslos dem Zufall in die Arme warf. Nur »ihn« wollte ich noch einmal sehen, sprechen, der andre galt mir kaum als leerer Schatten. Nein, Gott, tu mir das nicht an, solch ein Wiedersehen nicht! Die Komödie der Ehe, wenn's sein muß, – ja; die Blasphemie der Leidenschaft, was auch komme, – nie. Und ich schlug mir vor die Stirn und sagte, was ich dachte: »Du bist verrückt gewesen, Josefa, und bist es noch!«
Aber das Schicksal, dem ich den Ariadnefaden aus der Hand genommen hatte, spann ihn jetzt für mich weiter, wo ich ihn fallen ließ. Ich überlegte eben, ob ich in der Nacht vielleicht noch bis Saada allein zurückreiten könnte, obgleich mir der Gedanke an Zurück immer noch schrecklich war. Da höre ich deutlich das Rollen eines Wagens. Der Wagen hält. Kurz darauf parieren Reiter. Klappern von Waffen, ein deutscher Fluch. Ich bin aufgesprungen mit einer flehenden Geste des Schweigens en tout cas et à tout prix für meinen Araber. Der lächelte beruhigend und schritt langsam heraus. Es mußte Peter sein, und mich durchrann ein feiger Ekel vor mir selbst! Die Araber im Zimmer haben mich wahrscheinlich für gestört gehalten, denn ohne Besinnen, instinktiv schlich ich auf Zehen in die dunkelste Ecke des langen Zimmers, in eine Art Nische hinter dem Lehmkamin.
Und im selben Augenblick öffnet sich auch schon die Tür. Das Herz steht mir still und beginnt gleich darauf wie rasend zu hämmern. Ich kenne sie alle am Tritt, noch ehe ein Wort gefallen. Es sind Bloome, die Quedenberg, Rhyn. Sie haben es offenbar sehr eilig. Ich kann niemand sehen, nur Schatten gleiten an der Wand. Zuerst spricht »er«: »Bloome, sorgen Sie für die Pferde! Einer muß dabei sein, wenn der Kerl abfuttert. Ich traue der Bande nicht. Und Sie finden beim besten Willen bis Saada kein Relais mehr. Die Maultiere übernimmt mein Diener. Er geht jedoch mit euch zurück, nicht mit mir. Und die Karabiner geladen! Wenn der Kutscher nicht pariert, schießt ihn vom Bock!«
Drauf Jeanette und »er« allein.
Sie: »Aber was ist denn los?«
Er: »Ihr müßt Biskra zu erreichen suchen, so schnell ihr könnt.«
Sie: »Ich liebe Klarheit, wie du weißt.«
Er: »Ich gewiß! Also setz dich auf den Kattundiwan, Jeanette.«
Sie: »Es riecht eigentümlich hier. Was ist das für ein Parfüm? Ich möchte schwören . . .«
Er: »Schwöre lieber nicht! Es riecht, wie es in jeder Lehmhütte riecht. Seit Biskra siehst du fortgesetzt Gespenster.«
Sie: »Und wenn's keine Gespenster wären?«
Er: »Nun, dann sind's eben keine Gespenster!«
Sie: »Also bitte, sprich, ehe Bloome zurückkehrt! Ich will mich setzen und alles tun, was du wünschest.«
Er: »Also es bereitet sich ein arabischer Aufstand vor. Er kann heute, morgen, er kann gar nicht losbrechen. Ich persönlich hatte bis gestern das Gefühl, er bricht nicht los. Ich spreche, wie du weißt, das Arabische so gut, ja besser als all diese Beduinen, und ein Aga, der mich darum fast für einen Mohammedaner hält, hat mich persönlich gewarnt. Mir käme der Tanz schon recht, aber meine Tagebücher sind noch in El-Kantara, und die sollen sie mir nicht verbrennen! Ich bin kein Glückskind, will's auch nicht sein, aber die Arbeit von drei Jahren vernichtet zu sehen, das wäre etwas zu viel Pech. Und darum reite ich von hier direkt ab nach El-Kantara.«
Sie: »Und wenn ich mitginge?«
Er: »Du kannst nicht reiten, oder unsicher, und es geht durch den Atlas.«
Sie: »Und wenn ich doch mitritte? Eine Frau kann schließlich alles, was sie will.«
Er: »So brichst du den Pakt.«
Sie: »Und wenn ich ihn bräche?«
Er: »Brich ihn lieber nicht, Jeanette, ich bitte dich darum!«
Darauf minutenlanges, düsteres Schweigen, während »er« schweren Schrittes im Zimmer auf und ab ging.
Bloome und der Diener kommen zurück. Der Diener gurgelte etwas Arabisches, und ich hörte Papier knittern. Bloome sagte lustig: »Ich habe ein schönes Maultier entdeckt mit recht zivilisiertem Zaumzeug. Es soll einer Französin gehören aus Biskra, aber die Dame scheint verschwunden. Schleppen wir es also mit. Ich bin sehr für unerlaubtes Beutemachen im Kriege.«
Darauf »er« kurz und scharf: »Bloome, Sie sollen bei den Pferden bleiben! Ich bin heute nicht zum Scherzen aufgelegt.« – »Ja, das haben wir während der ganzen sogenannten Vergnügungsreise gemerkt, hoher Chef.« – »Verzeihen Sie, lieber Bloome.« – »Bitte sehr, Herr Graf! Ich bin königlich preußischer Offizier gewesen, und da haucht man entweder an, oder man wird angehaucht.«
Die beiden wieder allein.
Er: »Willst du nicht etwas genießen, Jeanette?«
Sie: »Nein, ich möchte erst den Brief lesen.«
Er: »Der ist doch wertlos.«
Sie: »Für mich ist ein Brief von dir nie wertlos.«
Wieder minutenlange Pause, und sein schwerer Schritt.
Draußen schirren sie die Pferde auf.
Sie: »Es ist Zeit für mich, Robert.«
Er: »Jetzt bist du aber sonderbar, Jeanette!«
Sie: »Gott, was wollen wir uns denn gegenseitig noch länger belügen, es ist eben alles aus.«
Er: »Das liest du aus dem Brief?«
Sie: »Ja, aus dem Brief.«
Er: »Ja, dann verstehen wir uns wirklich nicht mehr, Jeanette.«
Sie: »Nein, Robert, seit Biskra verstehen wir uns in der Tat nicht mehr.«
Er: »Habe ich dir je etwas nicht gehalten, was ich dir versprochen hatte?«
Sie: »Du hältst stets, was du versprichst, aber ich kann nicht mehr halten, was ich versprochen habe.«
Und jetzt sehe ich, wie die Schatten verschmelzen, wie die Stimmen leise und bestimmt werden.
»Jeanette, du weißt –«
»Ja, Robert, ich weiß . . .«
»Nie mehr, nie weniger.«
»Es war dein eigenster Wille, Jeanette.«
»Es war mein eigenster Wille, Robert.«
Die Schatten lösen sich.
»Und eben darum trennen sich unsre Wege, Robert. Ich wollte dein Weib sein, und bin's.«
»Willst du mich nie wieder sehen?«
»Ich wünsche es wenigstens nicht.«
»Ich verstehe dich doch nicht, Jeanette. Was du gewollt hast, bin ich dir gewesen, bin ich dir noch, will ich dir ewig sein.«
»Und wenn ich mehr wollte, alles?«
»Man kramt vergebens in leeren Koffern.«
»Du lügst.«
»Ich wollte, ich löge!«
Draußen stieg der Kutscher auf den Bock.
»Jeanette.«
»Robert?«
»Jeanette, schneide das Band nicht durch!«
»Es war ein gutes Band, Robert, ich weiß es.«
»Du bist mir viel, Jeanette.«
»Du warst mir mehr, Robert.«
»Wir sehen uns bestimmt in Algier!«
»Wir sehen uns bestimmt nicht!«
Eine lange Minute zögerte er; was ihre Augen sprachen, weiß ich nicht. Dann ging er hinaus in die Regenschwüle, und ich hörte, wie er kurz und befehlend sagte: »Also Bloome, good bye. Es ist die französische Etappenstraße, auf die Sie in einer halben Stunde kommen, und wahrscheinlich keine Gefahr. Wenn ich's noch glaubte, ich führe sicher mit euch. Aber Augen offen!«
Und drinnen in dem Lehmgeruch sagte eine Frauenstimme leise: »Es mußte so kommen! und wenn ich's wußte, warum besann ich mich nicht auf mich selbst, solange es noch Zeit war? Ich habe den Augenblick verpaßt. Und doch war's gut, daß ich ihn verpaßte. Was ich war, will ich auch sein.«
Es war ein spröder Ton, und vielleicht tat mir die Frau leid. Aber ein echtes Weib bist du doch nicht, Jeanette! Die reißen sich wohl los, aber sie gehen zugrunde, und du gehst nicht zugrunde, du nicht!
Sie fuhren ab. Eine Stimme von vollem, warmem Klang rief dem Wagen nach: »Gut heim, Gräfin, gut heim! Und, vergessen Sie Algier nicht.« Und da haßte ich wieder die Frau, die ich eben bemitleidet hatte. Jedoch nur Bloome antwortete mit einem deutschen: »Auf Wiedersehen.«
Ich weiß wohl, daß ich hätte hervortreten müssen, noch ehe die Unterhaltung begann, und sagen: »Hier ist jemand.« Oder mir wenigstens die Ohren zuhalten und denken: »Hier ist niemand.« Aber es gibt Momente in jedem Frauenleben, wo jede Frau atemlos horcht wie ich. Ich wollte es ja auch nicht etwa gebrauchen, weder für mich, noch gegen sie. Und trotzdem, wenn ich je die Röte der Scham gefühlt habe, und den leidenschaftlichen Wunsch, mich zu verkriechen, so habe ich ihn nach dieser Unterredung gehabt. Ich vergaß darüber vollkommen Zweck und Ziel meiner Reise.
Die Leute ertrugen mit wahrhaft orientalischer Geduld die Geistesverwirrte in der Ofennische. Ich war lächerlich, aber mir blieb keine Wahl. Nach einer weiteren Ewigkeit hörte ich das zögernde Klappen von Maultierhufen auf dem Oasenlehm. Ich atmete befreit auf. »Er« durfte mich lieber nackend sehen, als in dieser Lauscherecke! Das Klappen klang ferner, aber merkwürdig unschlüssig für einen so eiligen Reiter. Das Klappen verklangt. »Nun ist er fort!« sagte ich beklommen, und fühlte nur dumpf, daß damit etwas tot sei, ganz tot. Ich ging wieder mechanisch zu dem Diwan, um zu liegen, zu schlafen, wenn möglich. Ob mein Mann jetzt oder in einer Ewigkeit kam, war mir auf einmal völlig gleichgültig.
Ich hatte noch nicht fünf Schritte gemacht, da öffnet sich wieder die Tür: Rhyn, verbrannt wie ein Araber, in einem weißen, wallenden Burnus. Er stutzt im Schritt, ich stutze im Schritt. Er fand sich zuerst zurecht: »Also, das schwarze Maultier im Stalle gehört Ihnen?« – »Ja.« – »Ich bin extra dieser Frau wegen noch einmal umgekehrt, der das Maultier gehören sollte. Sind Sie's nun eigentlich, Frau von Lasowitz, oder ist's Ihr Schatten?« – »Nein, ich bin's, und ich will meinen Mann erwarten.« – »Dann können Sie lange warten, gnädige Frau! Und wenn Ihr Herr Gemahl Tag und Nacht durchreiten würde, wie wir jetzt, vor morgen abend könnte er nicht zur Stelle sein.« – »Dann warte ich eben bis morgen abend.« – »Das werden Sie nicht tun, gnädige Frau!« – »Und wer sollte mich daran hindern?« – »Ich.« – Er sah mich mit seinem ruhig forschenden Blick einen Moment von der Seite an und sagte: »Das trifft sich dumm! Vor zwanzig Minuten sind die Gräfin Quedenberg und mein Freund Bloome mit einem Wagen hier durchgekommen. Sie hätten gut mitkönnen. Ich muß Ihnen nämlich sagen . . .« Da unterbrach ich ihn rasch im natürlichen Instinkt des anständigen Menschen: Herr Rin, ich weiß alles, ich hörte alles. Während Sie mit der Gräfin sprachen, stand ich in der Nische da. Ich bin mit Ihrem Diener hierher geritten, und wollte eigentlich weiter bis zum Raier.«
»Ja,« antwortete er scheinbar nachlässig, während seine Backenmuskeln spielten, »mein Diener sagte mir etwas Aehnliches im letzten Augenblick, was ich erst jetzt begreife,« darauf fuhr er jedes Wort häßlich scharf betonend fort: »Für Horcher kann ich nichts, gnädige Frau. Für das, was ich gesagt und getan habe, bin ich bereit einzustehen, wie stets in meinem Leben. Da es sich aber um meine Frau handelt, deren Ehre mir so lieb ist wie meine eigne, ersuche ich Sie dennoch, Frau von Lasowitz, unverbrüchlich zu schweigen gegen jedermann, und einem Gentleman zu glauben, wenn er Ihnen sagt: ›Jeanette Quedenberg war niemals Robert Rins Geliebte, nur seine Freundin.‹ Erinnern Sie sich an Sirmione vielleicht? Nun, diese Freundschaft datiert ungefähr von demselben Tag. Oder erzählen Sie auch meinetwegen aller Welt, was Sie gehört haben. Wer horcht, schweigt nicht, ich vergaß . . . Und seien Sie überzeugt, so wenig ich mit der genannten Frau in vielen Punkten übereinstimme, in dem einen stimmen wir unbedingt überein: daß wir den leeren Schein hassen, und der Konsequenz ins Gesicht sehen.« Da wurde auch ich feindlich und kalt: »Warum bleiben Sie eigentlich noch, Graf Rhyn? Ich habe meinen Weg allein gefunden, und wünsche ihn auch allein weiter zu gehen.« Er hatte die Zähne aufeinandergebissen und sah hart und finster aus, wie nur je ein Mann. Dann lachte er kurz auf: »Sie denken, gnädigste Frau, wem die eigne Gräflichkeit so herzlich gleichgültig ist wie mir, den mißt man als Mann auch sonst nach dem Maß, nach dem er sich selber mißt. Nun, gnädige Frau, ich bin ehrlich und gestehe Ihnen zu, daß ich jeden Kavalier lieber sehen würde an meiner Statt, aber da der nicht zu beschaffen ist beim besten Willen, muß ich hier Ihr Kavalier sein, und seien Sie mir auch die allerfremdeste Frau.« Und ich antwortete eisig: »Ich bleibe hier zur Nacht, ich sagte es schon einmal, wenn ich nicht irre.« – »Das werden Sie nicht!« – »Das werde ich doch!« – Da wechselte er den Ton und sagte mit der sicheren Ruhe, die er wohl in der Wüste gelernt hat: »Aber machen Sie mir das Leben doch nicht unnötig schwer! Ich kann Sie hier nicht lassen: das sehen Sie selbst. Sie sind übermüdet, ich selbst bin übermüdet. Also wir essen erst und trinken, – ich habe in meinen Satteltaschen Wein und Fleisch, – und dann nehmen Sie auf dem Diwan hier Ihren Kaffee, und ich rauche meine Zigarette. Selbst wenn diese Oase die harmloseste von der Welt wäre, könnte ich Sie nicht Tag und Nacht hier allein lassen. Also seien Sie vernünftig! . . . Es ist ein Wunder, daß wir Sie an diesem abgelegenen Orte trafen, nun bedienen Sie sich auch dieses Wunders. Ihr Maultier ist noch frisch, wenigstens bis Saada wird und muß es langen. Dort bekommen wir sogar Pferde bis Biskra. Ich reite weiter nach El-Kantara. Damit ist uns beiden geholfen. Also ich besorge Ihnen das Abendbrot.« Ich war dem Weinen nahe und durfte es mir doch nicht merken lassen. Ich bin überhaupt viel zu weich, viel zu sehr Kind des Augenblicks. Ich vermochte aber doch noch höflich zu sagen: »Wenn Sie mir einen Gefallen tun wollen, lassen Sie mich, bitte, eine halbe Stunde allein.«
Diese halbe Stunde habe ich dann genutzt, wie ich halbe Stunden nutze. Ich grübelte hin und grübelte her, ich war so haltlos. Aber kann man das anders sein an so einem Tag? Bis hierher habe ich das Schicksal geführt, nun Schicksal, führe du mich!
Er hat ja recht, hundertmal recht wie immer, und ich liebe ihn, wie nur ein Weib einen Mann lieben kann, aber so unsinnig es klingt, ich wäre heute lieber mit dem Teufel geritten als mit ihm!
Als er nach einer halben Stunde zurückkam, hatte ich eigentlich nur in allen Tonarten wiederholt: ›Du bist doch noch immer eine anständige Frau, Josefa, und willst es bleiben.‹
Er sagte kurz: »Nun, Baronin, wie weit sind Sie mit Ihren Entschlüssen?«
Ich antwortete ebenso kurz: »Ich reite mit Ihnen nach El-Kantara, Herr Rin. Sie brauchen dann meinetwegen keinen Umweg zu machen, und ich komme von da vielleicht nach Biskra zurück.« Es war wieder der blinde Impuls, der mich noch immer richtig geführt hat.
»Das nutzt Ihnen wenig, Baronin.«
»Es nutzt mir, so viel ich will!«
»Es sind halsbrecherische Wege. Wir reiten voraussichtlich noch die halbe Nacht. Bedenken Sie das!«
»Ich bin vollkommen ausgeruht, Herr Rin, und sehr sattelfest.«
Eine Pause.
»Ich dachte, Sie wollten nach dem Raier, gnädige Frau?
»Nein, ich will nach El-Kantara, Herr Rin.«
»Also reiten wir!«
»Er« sprach dann noch eine Weile mit den Arabern, die ihn offenbar kannten und ehrten. Sie halfen bereitwillig, als er die beiden Maultiere aufsattelte. Er griff nicht in die Tasche nach einem Backschisch, und doch grüßten sie den Abreitenden mit Respekt.
Es war vielleicht sieben Uhr abends. Die Wüste dunkel, in feucht heißer Gewitterschwüle, aber kein Tropfen Regen, nur der Boden wie betaut. Ueber dem Atlas zuckte es unaufhörlich. Mir ist noch nie in meinem Leben so seltsam, so widerspruchsvoll zumut gewesen, wie auf diesem Ritte. Dabei war die Wirklichkeit genau wie der Traum damals. Auf einem alten, zögernden Maultier »er«, auf einem jungen, mutigen ich. Wir ritten erst lange einen guten Schritt über Sand, Lehm, Geröll. Ich sah keine fünf Schritt vor mich. Nur wenn das Wetterleuchten blau flimmerte, hob sich das Dunkel: fahle Lehmwellen, weiße Kiesel, ein schattenhafter Streifen Sand. Zuweilen etwas wie eine Weglinie, die aber gleich wieder verschwand. Dann auf gut Glück weiter. Das alte Maultier strebte unbeirrt vorwärts, als brauche es weder Licht noch Steg. Zuweilen hielten wir. »Er« sah beim Zündholz nach seinem Kompaß. Ein Riesenblitz lohte; die braune, dürre Atlaskette dünkte mir ganz nahe. Es grollte und flammte stärker. Ein heißer Windhauch zischelte mir am Ohr – erstarb – zischelte wieder. Es sprühte leicht. »Er« reichte mir einen weißen Burnus vom Sattelbogen herüber. Ich zog die Kapuze über den Kopf.
»Sie sind sehr gütig. Graf.«
»Kaum. Es ist Bloomes Reservemantel, den er vergessen hatte. Ich fürchte, wir werden noch starken Regen bekommen.«
Als ich weiter sprechen wollte, lehnte »er« höflich ab: »Verzeihen Sie, gnädige Frau! Aber ich muß auf den Weg achten.«
Wir kamen bald in bergige Gegenden. Am Horizont starrte etwas Düsteres, Ungewisses, es war wohl die Atlaswand.
»Kennen Sie den Weg, Graf?«
»Mein Maultier kennt ihn hoffentlich.«
Ich schlug die Kapuze zurück. Es war so feuchtheiß darunter. Es regnete stärker. Die Tiere schüttelten sich, hoben die Köpfe. Das alte Maultier wollte nach links abbiegen. Wir hielten: »Er« stieg aus dem Sattel, beleuchtete den Boden und meinte endlich achselzuckend: »Hier ging nie ein Weg ab! Das Tier sieht auch Gespenster.«
Die Maultiere gingen widerwillig geradeaus. Das alte schielte mit spielenden Ohren immer wieder nach links. »Er« gab die Peitsche, und wir trotteten schneller. »Am Ende kommt der Weg, den ich meine, doch nicht. Wir werden nach dem Kompaß und nach meinem Gedächtnis zu reiten versuchen.«
»Aber Sie waren doch so lange in der Wüste!«
»Die Wüste ist so groß wie Europa, gnädige Frau.«
Da schwieg ich.
Der Regen floß gleichmäßig. Das war keine Wüste mehr, keine Majestät, das war ein graues, wallendes stumpfes Einerlei. Im Atlas grollte es noch immer, grollte hin, grollte her, und wenn das Gespensterlicht gleißte, sah ich griesgrämiges Oedland von schmutzigen Rinnsalen durchfurcht, in dem die Tiere nur Schritt für Schritt vorwärts kamen. Auch ein triefendes Beduinenzelt passierten wir. Auf »seinen« Ruf sahen Leute heraus und zeigten nach links, wo das kluge, alte Maultier schon immer hingewollt hatte. Er aber schüttelte eigensinnig den Kopf, und wir ritten weiter geradeaus.
Mir war's gleichgültig, wo und wann wir endlich ankämen. Doch die heiße Schirokkoluft, die feucht und ungesund dahinkroch, prickelte mir die Nerven. Ich mußte immer an Jeanette Quedenberg denken. Der Mann neben mir dachte wohl auch an sie. Es kann nur an dieser Luft gelegen haben, die die Sinne peitscht, den ekeln Schlamm aufwühlt, oder der Böse selbst raunte mir zu: ›Sie war doch seine Geliebte, sie ist es noch! »Er« lügt. Alle Männer lügen.‹ O, wie habe ich die Frau gehaßt, so heiß und doch so eisig! Ihr Tod wäre mir eine grausame Freude gewesen. Jedenfalls war's eine Nacht, wo die schlimmen Geister wandeln.
Die Tiere gingen bald Schritt, bald Trott, je nach dem Boden. Der Reiter neben mir schweigsam, vornüber gebeugt, von der Kapuze ganz verhüllt. Ich haßte auch »ihn«, und hatte »ihn« doch zum Sterben lieb! Dabei sagte ich mir wieder: ›Jetzt denkt »er« an sie, jetzt tut sie ihm leid, jetzt verwünscht »er« dich, jetzt möchte »er« bei ihr sein, sie umarmen, ihr alles abbitten mit Küssen und Schwüren.‹
Wie wir bis zu den hohen Bergen kamen, weiß ich nicht. Aber plötzlich starrten vor mir starre, braune Wände von trägen Nebelschwaden eingehegt. In der Ferne Gurgeln, Plätschern. Wir saßen ab. Die ermüdeten Maultiere beugten sich auf die Schmutzlachen, prüften, tranken, hoben den Kopf nach den Bergen, wohl von der frischen Höhenluft erquickt, die auch zu uns herabwehte. Wir standen in unsern durchnässten Burnussen trübsinnig und einsilbig. Das Gewitter entfloh grollend und gleißend nach Norden. Es hatte zu regnen aufgehört.
«Sie sind sehr müde, Baronin?«
»Nein.«
«Aber Sie müssen sehr müde sein!«
»Und wenn ich's auch wäre, Graf, es hilft doch nichts.«
Da lächelte »er« häßlich: »Warum lieben Sie alle eigentlich nur die halbe Wahrheit? Es klingt so höflich, es ist so bequem, es verpflichtet zu nichts!«
»Es war eine Herzenshöflichkeit gegen Sie, Graf Rhyn.«
»Verschwenden Sie sie an bessere Leute! Wer sein Lebtag Schwarzbrot gegessen hat, ist mißtrauisch gegen Näschereien.«
»Und war es vielleicht etwas andres als eine Herzenshöflichkeit gegen mich, daß Sie mitritten?«
»Nein, gnädige Frau. Diese Anschauung möchte ich auf keinen Fall. Ich tat meine Pflicht, kein Atom mehr. Dank dafür wünsche ich nicht.«
Darauf sah er erst auf die Tiere, dann nach den Bergen. Ich aber sagte empört: »Wenn ich Ihnen ein so lästiges Gepäck bin, so lassen Sie mich doch allein weiterreiten! Ich habe meines Wissens um Ihre Begleitung nicht gebeten.«
Ich ging auf mein Maultier zu. »Er« vertrat mir den Weg.
»Nein, ich lasse Sie nicht, gnädige Frau.« Und wieder fuhr »er« mit der zwingenden Ueberlegenheit fort, gegen die ich machtlos bin: »Frau von Lasowitz, wenn wir uns hier fremder gegenüberstehen als zwei Fremde trotz aller langen Bekanntschaft, so hat das doch wohl seine Geschichte. Sie mögen als Frau mit einem liebenswürdigen Lächeln über eine Jugendtorheit hinweggekommen sein und vergessen haben, ich als Mann sprang mit einem Fluch darüber, aber ich vergaß nicht . . . Sie haben meine Gesellschaft weder in Biskra noch irgendwo anders gesucht, und ich bei meiner Ehre die Ihrige noch weniger. Ich war niemals Weltmann, will's auch nicht sein! Ich mag vor allem Floskeln nicht. Und wenn ich jemals durch die Floskeln einer Gesellschaft mich habe betören lassen, die nie meine Gesellschaft sein kann, weil ihr immer der Name höher gilt als der Mann, so werden Sie hoffentlich verstehen, daß ich mit den Floskeln dieser Gesellschaft nichts mehr zu tun haben will. Ja, diese Floskeln reizen mich bis aufs Blut! Ich bin ich, und Sie sind Sie, und das Schicksal meinte es sehr gnädig, als es uns beide nicht unglücklich machen wollte. Aber die Abneigung gegen solche Erinnerungen und solche Zeiten geht so weit, daß ich auch Ihren Mann nicht mag, obgleich er sicher ein Mann ist, und auch Quedenberg nicht mag, obgleich er sicher ein altes Weib ist. Selbst seiner Frau habe ich nie ganz gerecht werden können, obgleich sie die einzige war, die Stange hielt. Diese Frau ist Ihnen vielleicht verächtlich gewesen vorhin, während Sie Ihnen hätte sehr hoch stehen sollen! Während wir ritten, quälte mich immer der Gedanke an diese Frau. Sie ist mir der beste Kamerad gewesen – und den besten Kameraden soll man nicht verlassen, selbst wenn er uns verlassen sollte, wie sie mich heut. Mit ihr hätte ich reiten sollen, nicht mit Ihnen! Es war ein blinder Zufall, aber jetzt kommt mir's vor, als sei's eine Schicksalsinfamie.«
»Er« zwang mich wiederum zu essen und zu trinken. Ich war gehorsam, weil ich apathisch war. Ich habe, glaube ich, ebenso matt und fröstelnd dagestanden wie unsre beiden übermüdeten Maultiere. Wir hatten noch einen stundenlangen Ritt vor uns, wie er mir sagte, und mir taten die trübseligen Kopfhänger herzlich leid, die nicht mal ihren Mais fressen wollten; namentlich das hagere, alte, das unter seinem hohen Reiter immer durchzubiegen schien. Ich sagte es ihm auch. Er aber klopfte dem Tiere lachend den Hals: »Nicht wahr, alter Veteran, wir kennen uns und wir halten's durch?« Zu mir gewendet: »Außerdem reite ich sehr leicht trotz meines Gewichts.«
Und jetzt war ich so müde, so hoffnungslos! Es mag an der Ueberanstrengung gelegen haben – ich habe wohl ein Recht, überanstrengt zu sein! Aber viel mehr noch war's die Seelenapathie, die dumpfe, stumpfe, die Tod und Leben in einem ewigen Grau zusammenfließen läßt. Ich war tatsächlich körperlich und geistig fertig! Ich hing nur im Sattel. Und kaum wie durch einen Schleier sehe ich, wie die müden Tiere die Steilhöhe heraufkratzen, schwer atmend, die Rücken gebogen. Steine rascheln in die Tiefe, wo unter der Nebeldecke Wasser rauschen. Dann sind wir oben. Eine kurze Pause zum Verschnaufen. Jetzt denselben Steilhang drüben wieder hinab, auf demselben schlüpfrigen Maultierpfade. Ich legte mich instinktiv weit im Sattel zurück, die Steine rollen, die Hufe tasten, die Rücken schwanken. Immer krr, krr, halb gleitend, halb springend. Bei Tag würden mir vielleicht die Haare zu Berge gestanden haben, in der Nacht und in der Regenluft zogen die Schwaden so barmherzig tief, daß selbst »er«, der immer voranritt, im Grau verschwand. Ich weiß nicht, wie viele Male es so hinauf- und hinabging, es war mir alles ein Traum. Er sprach zu mir, ich weiß nicht was; ich antwortete, ich weiß nicht was. Später ritt er hart neben mir, während wir auf kahlem Hochplateau zu traben versuchten. Ich gab die Hilfen, was ich konnte, aber mein Schwarzbrauner war nicht aus dem Schritt zu bringen.
»Wir sind in einer Stunde da,« sagte er.
»Wir sind nicht in einer Stunde da,« antwortete ich.
Mir schien's ein Ritt ohne Ende und Ziel.
Darauf saßen wir eine Viertelstunde ab. »Er« hob mich aus dem Sattel, ich war willenlos. »Er« lehnte mich an mein Maultier, ich ließ das auch geschehen. Das junge Tier zitterte an allen Gliedern, und der Atem klang wie Röcheln. »Er« suchte nach seinem Kompaß, den »er« aber nicht fand. Er hatte ihn verloren. Darauf sagte er unsicher: »Sie haben sich den schlechtesten Führer von der Welt ausgesucht, gnädige Frau. Es ist mir herzlich leid! Da links drüben muß Biskra liegen. Wo El-Kantara liegt, das weiß der Teufel, aber nicht ich. Können Sie überhaupt noch?«
Ich biß die Zähne aufeinander und murmelte: »Ja, ich kann!«
»Er« hob mich wie ein Kind in den Sattel, gab mir auch noch seinen Burnus um und hüllte mich ein wie ein Kind. Wir mußten sehr hoch sein. Es wehte eisig kalt, und ich begann zu frösteln. »Er«, der mit seinem Maultier an das meine gedrängt ritt, mochte es wohl fühlen, auch daß ich wie im Halbschlaf saß. »Er« sagte befehlend: »Sie dürfen nicht frieren! Sie werden jetzt Trab reiten! Was noch an Kraft da ist, das muß her!« Ich nickte. Auf Momente kamen mir wirklich die Kraft und das volle Bewußtsein zurück. Ich sah auch etwas wie einen Stern blinzeln, aber trübe; kleines Buschwerk glitt vorbei, weiter drüben verschlafene Bäume. Aber eigentlich deuchten es mich heimtückische Kobolde. »Er« hatte mir die Zügel genommen, die Tiere drängten sich. Ich fühlte seinen Körper an dem meinen und wie »er« mit aller Macht ritt. Dann fiel wieder die schwere Nilpferdpeitsche auf die Kruppe meines Tieres. Das unglückliche Geschöpf versuchte zu traben, zu trotten. Unmöglich! Ich spüre deutlich, wie dem jungen die Kräfte schwinden, wie der Strom des Lebens langsam verrinnt. Plötzlich blieb es stehen. Es konnte nicht mehr. Es war so ausgeritten, wie es nur ein Tier sein kann, ich wußte es. Ich, wollte aus dem Sattel gleiten. »Er« hielt mich. »Sie werden sitzen bleiben!«
»Aber das Tier bricht zusammen!«
»Dann bricht's zusammen.«
»Das ertrage ich aber nicht!«
»Das ertragen Sie doch! Ich bin kein Tierquäler. Aber ich kann Ihnen sonst nicht helfen. Sie erstarren mir hier. Wenn's einen Menschen gilt, muß man das Tier opfern.«
Und nun kommt eine schreckliche Stunde!
Es ging immer längs der Abhänge auf bröckelnden Felspfaden. Einmal mußte der Dunst über einer schauerlichen Tiefe hängen, denn ich hörte Wasser ganz, ganz unten rauschen. Hüben und drüben verwaschene, dumpfige Riesenwände. Mir schaudert noch vor der Grabeskühle. Als wenn der Tod heraufgähnte! Mir wollte die Toscolanerschlucht einfallen, und wie anders es damals war, aber ich war nicht fähig. »Er« reitet hinter mir, weil neben mir kein Fußbreit Raum – und die Nilpferdpeitsche fällt schwer und regelmäßig auf die Kruppe, und das Tier schwankt vorwärts, und ich schwanke im Sattel. Ich habe die Augen geschlossen, weil ich dies lebendige Sterben nicht mehr ertragen kann. Es war ein Grauen. Mit aller Willenskraft drehe ich mich um und sage: »Ich reite keinen Schritt mehr! Das Tier stirbt.« Die Peitsche pausiert. Ich halte. Im selben Moment strauchelt's unter mir, stürzt. Ich werde zur Seite gerissen, falle, rolle, vor meinen Augen flimmert's rot, ich fühle einen dumpfen Schmerz, und ehe ich die Besinnung verliere, höre ich noch tief unter mir ein dumpfes, tiefes, schauerliches Plumps.
Ich kann nur kurze Zeit in einer halben Ohnmacht gelegen haben, denn ich sah gleich darauf wie durch einen Schleier, daß sich etwas Dunkles über mir zu schaffen machte, hörte durch ein Brausen, daß jemand zu mir sprach. Als ich die Augen ein wenig öffnen konnte, kniete »er« über mir und tastete an meinem Herzen, eine geschnürte Stimme sagt: »Nein, Sie sind nicht tot, Sie dürfen nicht tot sein! Hören Sie mich, Baronin? Josefa, Sie hören mich, Sie müssen mich hören!« Ein köstliches, heißes, sündiges Rieseln geht durch meinen ganzen Körper. Ich schließe die Augen wieder. Aber als »er« sich auf mein Gesicht beugt, und ich seinen Atem an meinem Munde spüre, da umschlinge ich ihn mit beiden Armen. Und «er« will sich losreißen, und ich lasse ihn nicht! Ich sage im Halbtraum: »Hast du mich denn nicht mehr lieb, hast du mich denn gar nicht mehr lieb?« Ich mag unzurechnungsfähig gewesen sein in diesem Moment. Aber als er mich wieder küßte, starb ich fast unter seinem Kuß.
O Leben, wie lieb' ich dich doch! Und dann hat er mich aufgenommen und hinaufgetragen und hingesetzt an den Felsrand. Ich aber habe zu schluchzen angefangen, aus Erschöpfung, aus Glück, was weiß ich! Ich mußte eben weinen. Und »er« hat mir die Tränen weggeküßt. Und ich habe noch heute das Gefühl, daß es im Himmel nicht schöner sein kann als auf der Erde. Es gibt nichts Köstlicheres, als todmatt zu schluchzen vor Glück und sich die Tränen wegküssen zu lassen vom Glück. Und an diesem Glücksgefühl änderte gar nichts, daß mein junges Maultier mit zerbrochenem Rückgrat unten im Wasser lag und daß das alte sich an die Felswand lehnte, um nicht kraftlos zusammenzusinken.
Als wir Stunden später endlich aus den Bergen herausfanden, lag Benifera vor uns und nicht El-Kantara. Ich habe nie von Benifera gehört bis jetzt. Es liegt am Atlasabhang auf einem Hügel, seltsam zusammengetürmt aus Fels und Lehm. Kein Licht, kein Mensch, nur schlafende Gassen! Den Aga, den mein Schatz kennt, weckten wir glücklich. Der dicke, ältliche Kabyle – ganz Altes Testament – geleitete uns zu einer Art Karawanserei außerhalb des Orts. Dort in einer Lehmkammer und auf einem Teppich habe ich den Rest der Nacht verbracht. Ich schlief wie tot, ein Plaid als Schlummerrolle, eine Maultierdecke als Zudeck. Die Sonne lachte ins blinde, vergitterte Fenster hinein. Da sprang ich auf. Es war über zehn, und ich sah aus wie eine Vagabondin. Robert hatte mir Kleidungsstücke besorgt, aber ich hatte kein Vertrauen zu den Röcken der Kabylenfrauen. Schließlich tat's mir ein dicker, neuer Burnus an. So phantastisch kostümiert sind wir beide auf frischen Maultieren gegen Mittag wieder fortgeritten. Ein blauer Himmel spannte sich über den braunen, starren Bergketten hüben und der rötlich schimmernden Wüste drüben. Die Sonne funkelte. Es war ein Tag, wo auch die Natur Auferstehung feiert. Als wir durch die halsbrecherischen Gassen des Felsennestes hinabritten, immer den Kopf auf der Mähne, um nicht anzustoßen an all die Lehmnischen und Durchgänge, – selbst die Maultiere stockend und vorsichtig auf dem löcherigen Fels, – da lagen schon wieder die Kabylenmänner faul und schmutzig in ihren geflickten Burnussen und grün geflochtenen Sandalen auf dem Platz vor dem arabischen Café und sonnten sich. Um die Ecke hinter einem Felsen, wo kristallhelles Bergwasser unter dem Gestein versickerte, standen die unverschleierten Kabylenfrauen barfuß an der Quelle, die dunkeln Knöchel mit schweren silbernen Ringen geziert, und wuschen und schwätzten. Dann klommen wir wieder hinauf zum Atlasplateau. Spärliche, steineingefaßte Gerstenfelder begleiteten uns noch eine Weile, und die hellen, hochbeinigen Oasenhunde setzten mit heiserem Bellen daher. Die Sonne brennt, die Pflanzen, feucht betaut, scheinen zu atmen. Später freilich war's ein heißes Reiten auf dem braunen, ausgedörrten Hochland, wo kein Schatten einlud. Nirgends ein Baum, nur hohes Gestrüpp und schüchterne Bergblumen. Aber Robert trieb und trieb! Die Hufe klappten, mein Burnus flog im Wind. Als wir wieder hinabritten, tapp, tapp – die braune Grasnarbe feucht schimmernd, der schlüpfrige Fels glitschig, – immer mit dem unbequemen Gefühl, daß ein einziger Fehltritt der vorsichtig tastenden Tiere uns in das grüne, stille Atlastal zu unsern Füßen erschreckend schnell befördern könnte, sah ich ganz in der Ferne etwas Gründämmeriges aufleuchten, es war El-Kantara.
In dem grünen Atlastal frühstückten wir. Robert sagte: »Jetzt kann ich dir auch sagen, warum ich geeilt habe. Ich glaube zwar an keinen Araberaufstand mehr. Trotzdem – denn ich traue keinem Araber – hätten uns noch irgendwelche Leute aus den Bergen anfallen können. In El-Kantara sind wir sicher.«
Ich hatte auch nicht einen Moment mit ihm das Gefühl der Unsicherheit gehabt, ich konnte als Antwort auch nur lächeln wie ein Kind. Ach, El-Kantara, Traum! Und das ganze Leben liegt so sonnig vor mir, so leicht! Es ist ja auch so leicht, man muß nur die Oasen finden.
Und während ich weiter träumte, ritten wir schon wieder in der Wüste, einem Stück Kieswüste, das sich hier bis tief in den Atlas hineinschiebt. Und vor dieser Wüste weichen links die Höhen im weiten Bogen zurück, bald roter Fels, bald fahler Hügel, immer weicher, immer verschwimmender die Linien, aber schimmernd, leuchtend, blendend in der Mittagsglut, als sei's ihnen eine Lust, in der großen Oede da draußen zu sterben. Aber zur Rechten, da weicht die heiße rote Atlasmauer nicht. Da türmt sie sich stumm, kahl, starr wie ein Riesenmolo, der der Meeresfluten spottet. Und vor dieser leuchtenden Mauer ausgebreitet die Oase, lebensgrün und köstlich, der Palmenwald grüßt. Ich grüße dich auch, Oase des Glücks!
El-Kantara!
Zweiundzwanzig Stunden, nicht eine Minute länger. Die ganze Welt in einem goldigen Flimmer.
Als wir einritten – die Burnuskapuzen hoch, die Tiere scharfen Paß, am Sattelbogen der Karabiner – müssen wir ausgeschaut haben wie zwei harte Atlasbanditen. Wir ließen die Oase links. – Die rote Riesenschlucht des Gebirges tut sich auf, kahl, brüchig. Die Fahrstraße eingeengt von einem rauschenden Alpenfluß, der seine grünlichen Wasser neckisch froh über schimmernden Felsgrund trieb. Draußen die weiße, sengende Wüste, oben das glühende Gestein, unten die erquickende Schattenkühle, die Wasserfrische. In die Alpen reist man von der Hochzeit – hier weht echte Alpenluft – und ich mußte mich zusammennehmen, um meinen Schatz nicht leidenschaftlich zu küssen. Ein dunkler Araberbengel trieb seine Ziegenherde des Wegs, braune, langohrige Ziegen, die neugierig stutzten. Der Bengel blies ein Art Hirtenflöte; die Tiere horchten auf seine Melodie. Ich hatte das Gefühl, daß im alten Griechenland damals, als man den Marsyas schund, sich alles genau so zugetragen haben müsse, und es machte mir darum wenig Eindruck, als Robert, auf einen steinernen Brückenbogen zeigend, erklärte, daß von hier die äußersten römischen Feldzeichen in die Sahara hinausgeschaut hätten. Das ist ja wohl Jahrtausende her. Aber die Wüste rechnet nun einmal nicht, sie war von Anbeginn uralt, und unsre historischen Epochen sind so lächerlich klein, gemessen an ihr! In der Sahara berühren sich letzte Gegenwart und graueste Vergangenheit. Die Araber nennen diese Schlucht den offenen Mund der Wüste, und wer zurückschaut, fühlt die Wahrheit. Der gewaltige Engpaß ist nur wenige Minuten lang. Dann biegt die gemauerte Heerstraße nach links. Das kleine weiße Hotel liegt vor uns in einem grünen Garten, an einem grünen Fluß, und ringsum hohe Berge, rotdürr oder grün überhaucht. Sie liebt das Leben nicht, die Saharasonne.
Es war fünf Uhr nachmittags, als wir eintrafen. Zwei Stunden wie tot geschlafen, macht sieben Uhr. Eine halbe Stunde Toilette mit Hilfe von Waschkleidern und Sonntagsschuhen der hübschen Wirtstöchter. Gott sei Dank, Französinnen, – also schlanke Taillen, schmale Füße. Sonst einfache, fast bäuerische Leute. Die Mutter freilich ist eine Berühmtheit. Als der Arabersturm wieder mal über Algier blutdürstig dahinraste – der Stationsvorsteher in Batna lebendig verbrannt, die Kinder hingeschlachtet –, hielt diese damals noch junge Frau in El-Kantara aus, die einzige Europäerin, die nicht geflüchtet, und so groß war der Ruf ihrer Güte, daß die Wilden sie wie eine Heilige ehrten, auch noch jetzt. Man sieht dies alles dem ernst melancholischen Gesicht dieser elsässischen Bäuerin nicht an.
Was sieht man überhaupt den Menschen an? Mir vielleicht, daß ich immer eine strahlende Ballschönheit war? Den drei jungen Herren im mäßigen Reisezivil, daß sie preußische Leutnants von der Reitschule sind? Dem sehr französisch ausschauenden Maler mit seiner typisch deutschen Frau vielleicht, daß er jedes Wort unsrer Sprache versteht und sie kein einziges? – Es war ein winziges Speisezimmer mit kleinen Tischen, der Kellner servierte in Hemdärmeln; ich hatte das Gefühl, hier ganz ungestört glücklich sein zu dürfen. Aber bei der ersten halblauten Frage an Robert klang wie ein Echo von dem Tische der drei Herren zurück: »Und Oppenheimer in Hannover futtert doch Arsenik!« Und bei seinem lächelnden: »Das Fest hätten wir ja, aber die Festzigarre fehlt,« trat der französische Maler zu uns und offerierte die ersehnte Importe . . . Wenn die Welt freilich überall so klein ist und der Menschen Ohr so gut! Wir saßen darum reserviert, sprachen gedämpft. Es war kein Prunkdiner, kein edler Wein, aber der goldige Flimmer schwebte doch durch den Raum.
O, du lieber, goldiger Flimmer! Bist du das Glück selbst oder nur sein Schein! Kommst du und gehst du wie alles Irdische – kurz der Lebenstag, endlos die Todesnacht? – Bist du Traum, Phantasie, Lüge? – Nein, du bist Wahrheit. Ja, du bist's! Du Gabe des Himmels, die uns auch die Hölle nicht nehmen kann . . . Ich bin schwach, töricht – ich weiß es. Aber ich bin jung, Weib, ich liebe. Und wenn alles Glück nur Schimmer wäre, alle Seligkeit nur Wahn – Ihr Klugen, Alten, die ihr nur in die kühle Gruft starrt, weil die euch allein noch gehört, laßt uns den Himmel und das Leben! Wenn unser Himmel nun einmal Sünde ist, unser Leben nur Flimmer, ihr dürft nicht schelten! Denn das Göttliche selbst hat ja das Brot gegessen mit dem Zöllner, hat die Seelen geküßt der Magdalenen, hat das Paradies gelobt dem Schächer am Kreuz. Aber wo dürre Tugend und kleine Hoffart zu demselben Herrn wallten, da hat sich noch immer die unendliche Güte des Erbarmers gewandelt in die eisige Majestät des Gottes. Herr, ich fühle deinen Hauch, und sinke in den Staub und stammle frevelhafte Worte. – Nicht vor der großen Sünde bewahre mich! Du vergibst sie dem Ringenden – denn sie ist doch das Starke, das Göttliche in uns. Aber vor der kleinen Sünde behüte mich! Du siehst kalt auf sie, denn sie ist doch das Schwache, Gemeine, das Irdische in uns . . . Mein ganzes Leben war Halbheit – nimm mir diese Halbheit, Gott und Vater!
Das denke ich nicht erst heute, wo ich schreibe, das dachte ich damals erst recht.
Und der Schimmer umgaukelte mich, und die Liebe erhöhte mich. Ich sehe die unvergeßliche Nacht. Wir beide allein auf der Terrasse des ersten Stocks. Ueber uns der tiefleuchtende Sternenhimmel, ringsum die dunkeln Höhen. Der Mond in weichem Sichelglanz, durch die laue Sommerluft das schläfrige Raunen. Drüben gurgelt der Fluß, die Felsblöcke in seinem Bett starren tot, die Wasser blinken verschwiegen. Zuweilen rieselt's von der Steilhöhe, Felsbrocken hüpfen, klatschen in die Tiefe, zornig murrt der Oued auf. Hüben im Hof um den Schöpfbrunnen gelagert schlafen die Araber im weißen Burnus. Es ist eine Art Brunnenwache, und in dem Nachtdunkel malt es sich gespenstisch, wenn eine weiße Gestalt sich schlaftrunken da hebt, ein dunkles Gesicht zu uns hinaufstarrt. Mir will die Araberangst kommen. Die Baumschatten an der fahlen Landstraße recken sich auch so dämonisch. Dann taste ich instinktiv nach seiner Hand, und er nimmt meinen Kopf und küßt mir das Haar und sagt mit seiner tiefen, warmen Stimme: »Du siehst Gespenster, Josefa. Es gibt aber keine.«
»Und wenn's doch welche gäbe?«
»Josefa, es gibt keine Gespenster, weder hier noch drüben. Es gibt nur uns selbst. Nur uns selbst, vergiß das nie! Wer aber an Gespenster glaubt, dem wird auch mal ein Gespenst den Hals brechen.« Und da fühle ich sein kluges, graues Auge eigentümlich ernst auf mir ruhen. Ich spüre, wie sich seine nervige Hand fester um die meine legt. Ich beginne zu frösteln, zu zittern. Ist das das dumpfe Angstgefühl, das uns aus den Armen der Liebe reißt, gerade wenn wir nach diesen Armen sehnsüchtig verlangen? Oder ist's wieder einmal das schrecklich Halbe, das Gut und Böse zur gleichen Fratze verzerrt? Ja, es gibt doch Gespenster, aber nur für den, der an sie glaubt! Dann will der goldige Flimmer verrinnen, dann weht die Alpenluft kalt. Und geschwind bin ich wieder Kind, Törin, frage: »Hast du mich auch lieb, wirklich lieb?« Ich habe ihn das so oft gefragt an dem kurzen Glückstag. Und will immer dieselbe Antwort: »Frag nicht, geliebtes Geschöpf! Wäre ich denn sonst hier?« Und er erzählt mir leise und heiß ins Ohr, wie nur die dumpfe Angst um mich, um mein Leben ihn beherrscht hätte bei dem Gedanken an einen Araberaufstand. Weißt du, was in dem Briefe stand an Jeanette Quedenberg? Ein Araberaufstand bereitet sich wahrscheinlich vor. Ob die Garnison von Biskra euch zu schützen vermag, hoffe ich, aber ich weiß es nicht. Dein Mann und Herr von Lasowitz haben mich beinah ausgelacht. Aber jedenfalls sobald du reisest, benachrichtige auch zugleich Frau von Lasowitz. Sie war einmal deine Freundin, und du wie ich sind ihr diesen Dienst einfach schuldig.« Weiter gibt er freilich nichts preis, wie das seine Art immer ist, die wohl die herbste Ehrlichkeit, aber nicht die leiseste Indiskretion kennt. Jeanette liebt ihn, sie liebt ihn ganz gewiß! – Aber er liebt mich, er liebt mich ganz gewiß! Und ich, die ich Mitleid haben sollte mit einer, die unglücklicher hoffte als ich, empfinde doch nur wilden Triumph, trunkene Freude, Aber vor ihm möchte ich jetzt knien, meinen glühend heißen Kopf an seiner Brust bergen, die Augen lächelnd geschlossen vor der Glückshelle, die Lippen dürstend geöffnet dem Liebeskuß. Und er küßt mich, und ich küsse ihn, wir fließen ineinander, sind eins. O wie bin ich sündig, o wie bin ich glücklich!
Wie das Glück eilt!
Warum weilt nur das Unglück?
Jedesmal, wenn ich die verträumten Augen öffne, der Mond tiefer gesunken, die Berge dunkler; der Oued murmelt dumpf. Jetzt taucht die silberne Sichel in die Atlasschlucht hinab. In dem ungewissen Sternenschimmer eine steinerne Ruhe, ein erstorbener Grufthauch. Nur der Fluß murrt, und seine Wasser gleiten glanzlos. Unten hebt sich wieder ein weißer Burnus vom Brunnenrand, horcht, starrt, tut sich lautlos nieder. Und Robert erklärt mir, daß diesmal der warnende Aga und er Gespenster gesehen hätten: »Ich weiß nicht, warum mich der Mann täuschte und warum ich mich täuschen ließ.« Und im selben Augenblick kommt die Landstraße entlang ein riesiger Kerl herangetrottet auf einem winzigen Esel, ein arabischer Gruß gurgelt nach dem Brunnen hin. Tapp, tapp, – der Hufschlag verklungen. Wieder die unheimliche afrikanische Totenstille. Und diese Totenstille treibt mich, flüsternd von dem dumpfen Trieb, der dunkeln Macht zu erzählen, die unerklärlich ich schon bei seinem ersten Anblick empfunden hätte und die ich auch heute noch empfände, nur dämonischer, fesselloser. Wunderbar! Er hat ebenso empfunden, genau so dumpf, genau so stark. Als ob in den tiefsten Tiefen unsrer Natur von Anbeginn das Gemeinsame geschlummert hätte, das uns zueinander zwingt, ob wir wollen oder nicht! Auch er ist ernst geworden, brütend, und mich umrieselt die Nachtluft eiskalt wie der Fittich des Schicksals . . . »Wenn wir nun hinabtauchen könnten in jene Abgründe des Seins, was würden wir schauen? Nur das göttliche Gesetz, das mit uns spielt, wie der Sturm mit dem Zweig, oder die Urzelle des Lebens, die sich jugendkräftig stets von neuem gebiert? Glaube du an ein göttlich Gesetz! – ich glaube an die Allmacht des Lebens.«
Wie er das so sagte – es war nicht Blasphemie, denn Gott ist ja das Leben – da war mir, als wenn seine wunderschöne Stirn durch die Nacht leuchtete und seine grauen Augen strahlten. Und hier habe ich wirklich vor ihm gekniet und ihm die Hände geküßt und gesagt: »Du edler, du vornehmer Mensch du!«
Er aber hob mich rasch wie beschämt zu sich. Ich bin so leicht, und er ist so stark – ich fühlte seine Kraft so wonnig! Und jetzt sah ich nur das eherne Kinn, das wohl nie in Furcht oder Zweifel gebebt haben mag. Er aber sagte ernst: »Irre dich nicht, Josefa! Ich kann hart und mitleidlos sein wie einer, und die Leiche, über die ich muß, die kümmert mich nicht. Im Kampf verlernt man unnützes Mitleid . . . Aber nun mußt du schlafen gehen, mein Schatz! Du hast schwerste Zeiten vor dir, die ich dir nicht einmal abnehmen darf, selbst wenn ich könnte. Denn für dich heißt's zu tun, was dein Herz befiehlt, nicht was mein Kopf vielleicht raten sollte. Du hast Kraft nötig, Josefa, Kraft und nochmals Kraft! Von der Schwäche, die euch Güte heißt, hat auch die Schlechteste von euch übergenug.«
Ich konnte darauf nur ungläubig lächeln. Ich weiß, was ich will und was ich muß. Der definitive Bruch morgen oder übermorgen in Biskra, jedenfalls an dem Tage, wo Peter kommt! Später die Scheidung, was auch kommt!
Als er gegangen war – er schläft in dem kleinen Nebenhaus, und ich sah ihm natürlich nach, wie er an den Arabern des Brunnens vorüberging – fiel mir zum ersten Male die kleine Blume wieder ein, die an meinem heißen Herzen gewelkt ist, und das kleine Moos, das ich ihm einst geschenkt und das er auch am Herzen tragen sollte. Es war gewiß kindisch! Aber ich mußte ihm nacheilen, ihm sagen, ihn fragen. Er küßte die welke Blume und küßte mich, und ich fühlte es an seiner Hand, wie lieb ihm Weib und Blume war. Aber mein Moos hat er längst nicht mehr, es ruht im Garda schon über drei Jahre. Er ist kein Mensch, der sich mit schwachen Erinnerungen, feigen Sentimentalitäten abgibt, er ist eben ein Mann. Und gerade den Mann liebe ich! Und klingt's nicht voll und wunderschön, wie er sagte: »Ich habe ein Souvenir von dir nie nötig gehabt, Josefa. ›Leider‹, wie ich früher sagte! ›Gott sei Dank!‹ wie ich heute sage.« Und als ich die dunkle Treppe hinauf, zurück in mein Zimmer schlich, weinte ich. So lieb hatte ich ihn.
Und am nächsten Morgen die Sonne, der Duft! Als wenn es mein Brautmorgen wäre . . . Es ist ja auch mein Brautmorgen!
Roberts Diener ist gekommen. Ich sehe von der Terrasse den tiefschwarzen Kerl mit seinem leuchtenden Burnus gemessen zu mir heraufgrüßen, gemessen nach seines Herrn Zimmer schreiten. Im Hofe herumlungernde arabische Führer, trübselige Maultiere, das Schöpfrad knarrt. Auf der Landstraße eine ganze Kamelkarawane: ein vertrockneter Scheich, verschleierte Weiber, Teppiche, Zelte, zum Schluß zwei flinke Esel. Es sind echte Beduinen, die vor der Sommerhitze der Sahara in die Atlasschluchten ziehen. Es sieht alles aschfarben, mumienhaft aus, Mensch wie Tier. Aber es ist doch ein fremdes, eigenartiges Bild, dem ich folgen muß, bis der letzte philosophische Eselschwanz hinter einer Felsecke verschwindet. Später sitzen die Leutnants auf, die nach der berühmten Schlucht von Tilatu wollen. Im Vorüberreiten grüßen sie höflich hinauf. Mir macht es gar keinen Kummer, bei der Gelegenheit gedämpft zu hören: »Entzückendes Weib!« Und da natürlich jede unheimlich verliebte Frau auch unheimlich eitel ist, aus Glück, aus Torheit, aus Politik, was weiß ich – so imponierte mir selbst nach der gestrigen Maskerade mein Flanellkleid, das die Liebenswürdigkeit der Wirtstöchter über Nacht sehr hübsch wieder hergerichtet hat. Und der Fluß sendet mir Frische, die Berge strahlen Sommer. Die ganze Natur so jugendfrisch, so zukunftsfroh!l Und fühle ich vielleicht anders, ich, die ich nicht mehr fassen kann, daß es noch einen andern Mann für mich geben könnte als Robert Rin? Drei lange Jahre war ich verheiratet, aber jetzt erst fühle ich mich Braut. Und da habe ich natürlich wieder Angst, daß das alles nur Trug sei, Schimmer. Als wenn sich die Tür im Nebenhaus öffnen müßte und Peter von Lasowitz träte heraus, Peter, vor dem ich heiße Sünderin vielleicht einmal Mitleid oder Reue empfinden könnte, weil ich ihn betrog. Sonst nichts! . . .
Ach, es gibt ja keine Gespenster! Es gibt nur uns, nur uns zwei. Und wie köstlich dieser Egoismus der Liebe, diese Insel der Seligen, die in allen ihren Paradiesesgärten doch nur Raum hat für zwei! Heute bin ich die Frühaufsteherin, während der berühmte Afrikareisende sich so spät, ach so spät erst erhebt! Ich werde von jetzt ab immer früh aufstehen. Der Schlaf ist das Glück der Glücklosen. Aber die einzig Glücklichen, die Liebenden und die Kinder hassen den Schlaf, weil er ihnen das Leben im Licht kürzt.
Und als er dann doch kam, der Geliebte, viel übernächtigter als ich! Wie er mir die Hand küßte, wie ich es wonnig rieseln fühlte bis in die Fußspitzen, bis ins Haar! Wie ich vibrierte, wie's vor meinen Augen schwamm! Ach, ich war nie verheiratet, nie, bis heut! Und wie ich ihm nicht einmal antworten konnte gleich, weil sich in mir alles zusammenkrampfte, da küßte er mir noch einmal die Hand und sagte so warm, so innig: »In meinem Leben gab's viele Frauen, und doch nur eine, du, geliebtes Geschöpf!« Da erst fand ich das Wort: »Du lieber, du einziger Mensch!« Und ich mußte ihn umarmen, ihm den Mund küssen, die Stirn. Es war gewiß nicht klug, denn die Leute sahen's, und ich bin doch nicht seine Frau. Aber es war eben der Strom jenes echten Gefühls, den ich niemals hätte hemmen sollen!
Wir haben dann den ganzen Vormittag und noch mehr in der Oase zugebracht, wie sich's gehört. Ob's eine Traumoase ist! Ich berausche mich noch heut an diesen Erinnerungen, ich werde mich immer an ihnen berauschen, sie, die so jung sind, weil sie nie alt werden können.
Und wie genau ich alles vor mir sehe! Jenseits der roten Schlucht, wo der grüne Oued sich in die Wüste zu verlieren anschickt, führte eine kleine Eisenbrücke zur Oase. Halbnackte arabische Bengels spielen kreischend umher, klettern auf den Brückenbogen, hängen in dem Gitterwerk: »Madame, voulez-vous voir sauter un enfant du pont?« Und ehe ich noch dem übereifrigen Frager antworten kann, saust er schon in langem Sprunge in eine schwindelnde Tiefe. Ich fuhr zusammen. Ich hatte die bestimmte Empfindung, daß der Tollkühne zerschmettern müsse an den Riffen, die überall unter dem schmalen Wasserspiegel schimmern. Aber der Bengel kommt gleich darauf seelenvergnügt durch eine lebendige Stachelhecke der wunderlich geformten indischen Feigen gekrochen und gurgelt sein: »Sordo, sordo!« das aus arabischem Munde recht hart klingt, in Wirklichkeit aber nur das schmeichelnde: »Un soldo, un soldo, signore« der italienischen Betteljungen ist. Ich war selbst so glücklich an dem Tag und wollte auch glücklich machen nach Möglichkeit. Ich gab ihm ein Goldstück. Doch der Junge schüttelte stiernackig den Kopf und wiederholte: »Sordo, sordo!« bis ich ihm endlich das ganze Portemonnaie zum Aussuchen hinhielt. Er entschied sich für das wenige Kupfer und trollte davon. Der Arme kannte kein Gold. Wie oft mag's uns auch so gehen!
Dann drei arabische Dörfer am Oasenrand. Staubig, lehmig, eng die Gassen, in den Türen die Alten kauernd mit ihren erloschenen Orientaugen, vor dem Café auf der Bastmatte oder direkt im Schmutz die Jungen mit ihren Zigaretten. Dasselbe Oasenbild überall: Lieber sterben als arbeiten! Und der grüne Palmenwald lächelt und duftet und säuselt verheißungsvoll um seine müßigen Kinder.
Und haben wir's vielleicht anders gemacht, mein Schatz und ich? Wir sind auf vielen Umwegen und zwischen vielen Lehmmauern hindurch hinabgestiegen in das breite Steinbett des Oued, der hier gar nicht mehr der grüne, rasche Bergfluß ist. Er rieselt verschwiegen dahin, an beiden Ufern unter duftendem Gestrüpp versteckt und knospenden Oleanderbüschen; und er, der der Lebensspender der Oasen ist, verrät sich nur noch durch frischen Dunst und dunkles Grün, um dann weiter zu siechen bis zum Wüstentod der Sahara. Und hüben und drüben steigen von den weißgebleichten Steinen dieser vertrockneten Stromschlucht die Palmen auf, so groß, so stolz, so feierlich, wie ich sie niemals sah. Ueber uns strahlt der blaue Saharahimmel, vor uns flimmert die rote Atlaswand. Und hier im Oleandergebüsch versteckt, haben wir Stunden gesessen, die Wasserkühle eingeatmet, den Orientduft. Es war wahrlich ein Märchen! In der Palmenschlucht von El-Kantara wohnt mir der Frühling, das Glück. Ich habe ihn geahnt, diesen Frühling, aber nicht das Glück.
Robert hat mir hier manches erzählt, und ich ihm vieles. Der Frauen Leben ist ja meistens wie ein Mosaikbild aus tausend und abertausend Kleinigkeiten zusammengesetzt. Wir erleben vieles, selten viel! Der große Zug fehlt, das ist unser Reiz. Ich habe das so recht empfunden, während er erzählte. Kleinigkeiten gibt's da nicht. Ich bin in seinem Leben vielleicht die einzige Kleinigkeit gewesen. Er ist kein Kind der Liebe, und schon sein Jugendtraum war die große Wüste. Das klingt so herbe! Aber auch der ganze freie Mensch liegt drin. Denen die weiche Liebe nie an der Wiege sang, denen schmückt auch nicht schwächliches Mitleid den Grabhügel. Und wer in der freien Weite erst voll atmen kann, der wird nicht klein sein, sondern klar. Ich liebe klare, freie Menschen! Vielleicht nur, weil ich selbst unklar und unfrei bin . . . Ich möchte auch klar und frei werden, und eben darum ersehne ich widerspruchsvolles Geschöpf den Tag, wo ich ihn kette.
Der Tag verging so schnell.
Als wir ins Hotel zurückkamen, wartete schon der Omnibus. Ich muß ja nach Biskra, da hilft nichts. Auf dem Bahnhof hatten wir noch gerade Zeit, uns die Hand zu drücken. Ich schaute natürlich zurück nach ihm, solange ich irgend etwas von ihm noch zu erkennen glaubte, und dann schaute ich auf die rote Schlucht zurück, und dann winkten mir noch lange die Palmen. Dann alles wieder wie einst, ein verträumter Traum. Ich war, Gott sei Dank, im Coupé allein, konnte ungestört an ihn denken und die Zukunft. Kind des Glücks, das ich doch immer bin! Ich war in einer Oase, jetzt bin ich wieder in der Wüste. Doch die große Oede schreckt mich nicht, weil sie ihm Heimat ist. »Wer frei sein will, der kann's. Wir sind immer nur unsre eignen Gefangenen.« Das war sein letztes Wort. – O du lieber, lieber Schatz . . .