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»Kennst Du das Thal Idiz?« frug ich den Begleiter.
»Ja.«
»Warum trägt es diesen Namen?«
»Weil früher räuberische Kurden ihren Versteck dort hatten.«
»Wie lange reitet man von hier aus, um hinzukommen?«
»Zwei Stunden.«
»Ich möchte es sehen. Willst Du mich hinführen?«
»Wie Du befiehlst, Herr. Wollen wir direkt oder über Scheik Adi?«
»Welcher Weg ist der kürzere?«
»Der direkte; aber er ist auch der beschwerlichere.«
»Wir wählen ihn dennoch.«
»Wird Dein Pferd ihn aushalten? Es ist ein kostbares Thier, wie ich kaum jemals so eines gesehen habe; aber es wird wohl nur die Ebene gewohnt sein.«
»Gerade heute will ich es prüfen.«
Wir hatten Baadri hinter uns. Der Weg, unter dem man sich ja nicht einen gebahnten Steig zu denken hat, ging steil bergan und wieder steil bergab, aber mein Rappe hielt wacker aus. Die Höhen, welche erst mit Gebüsch bestanden waren, zeigten sich jetzt von dichtem, dunklem Wald besetzt, unter dessen Laub- und Nadelkronen wir dahinritten. Endlich wurde der Pfad so gefährlich, daß wir absteigen und die Pferde führen mußten. Es war erforderlich, jede Stelle genau zu untersuchen, ehe wir den Fuß auf dieselbe setzten. Das Pferd des Dolmetschers war diese Art Terrain gewohnt: es trat mit mehr Sicherheit auf und wußte die gefährlichen Stellen aus Erfahrung besser von den ungefährlichen zu unterscheiden; aber mein Rappe besaß einen glücklichen Instinkt und eine außerordentliche Vorsichtigkeit, und ich bekam die Überzeugung, daß er bereits nach kurzer Übung ein sehr guter Berggänger sein werde; wenigstens zeigte er bereits heute, daß er nicht ermüdete, während das andere Thier schwitzte und endlich auch mit dem Athem zu kämpfen begann.
Die zwei Stunden waren beinahe abgelaufen, als wir an ein Dickicht gelangten, hinter welchem die Felsen fast senkrecht hinabfielen.
»Das ist das Thal,« meinte der Führer.
»Wie kommen wir hinab?«
»Es gibt nur einen Weg, hinunterzukommen, und dieser führt von Scheik Adi hierher.«
»Ist er betreten?«
»Nein; er ist von dem übrigen Boden gar nicht zu unterscheiden. Komm!«
Ich folgte ihm längs der dichten Büsche hin, welche den Rand des Thales ringsum so vollständig bedeckten, daß ein führerloser Fremder von dem Dasein des Letzteren sicher nicht das Mindeste geahnt hätte. Nach einiger Zeit gelangten wir an eine Stelle, an welcher der Führer wieder abstieg. Er deutete nach rechts.
»Hier kommt man durch den Wald nach Scheik Adi, aber nur ein Dschesidi weiß den Weg zu finden. Und hier links geht es in das Thal hinab.«
Er schob die Büsche auseinander, und nun sah ich vor mir einen weiten Thalkessel, dessen Wände steil emporstiegen und zum Auf- und Niedersteigen nur die eine Stelle boten, an welcher wir uns befanden. Wir kletterten, die Pferde am Zügel führend, hinab. Unten angelangt, konnte ich das Thal in seiner ganzen Breite überschauen. Es war groß genug, um mehreren tausend Menschen eine Zuflucht zu bieten, und verschiedene Höhlenöffnungen nebst anderen Anzeichen ließen vermuten, daß es vor noch nicht sehr langer Zeit bereits Bewohner gehabt habe. Die Sohle des Kessels war mit einem kräftigen Graswuchse überzogen, welcher selbst das Verbergen von Heerden hier erleichterte, und einige künstlich in den Boden gegrabene Löcher hatten Trinkwasser genug für viele durstige Kehlen.
Wir ließen die Pferde weiden und legten uns in das Gras.
Alsbald begann ich das Gespräch mit der Bemerkung:
»Das ist ein Versteck, wie die Natur es nicht praktischer anlegen konnte.«
»Es hat diesem Zwecke auch bereits gedient, Effendi. Bei der letzten Verfolgung der Dschesidi haben über tausend Menschen hier ihre Sicherheit gefunden. Darum wird kein Angehöriger unsers Glaubens diesen Ort verrathen. Man weiß ja nicht, ob man ihn wieder brauchen wird.«
»Das scheint nun jetzt der Fall zu werden.«
»Ich weiß es. Aber es handelt sich jetzt nicht um eine allgemeine Verfolgung angeblich um des Glaubens willen, sondern nur um eine Maßregel, welche den Zweck hat, uns auszuplündern. Der Mutessarif sendet fünfzehnhundert Mann gegen uns, die uns unerwartet überfallen sollen; aber er wird sich täuschen. Wir haben seit sehr langen Jahren das Fest nicht gefeiert; darum wird kommen, wer nur kommen kann, so daß wir den Türken einige tausend kampfbereite Männer entgegenstellen können.«
»Sind sie alle bewaffnet?«
»Alle. Du selbst wirst sehen, wie viel bei unserem Feste geschossen wird. Der Mutessarif braucht für seine Soldaten während eines ganzen Jahres nicht so viel Pulver, wie wir in diesen drei Tagen für unsere Freudensalven.«
»Warum verfolgt man Euch? Des Glaubens wegen?«
»Denke dies nicht, Emir! Dem Mutessarif ist der Glaube sehr gleichgiltig. Er hat nur das eine Ziel, reich zu werden, und dazu müssen ihm bald die Araber und die Chaldäer, bald die Kurden oder die Dschesidi verhelfen. Oder meinst Du, daß unser Glaube so schlimm sei, daß er verdiene, ausgerottet zu werden?«
Auf diesem Punkte wollte ich den jungen Mann haben. Von ihm konnte ich erfahren, was der Pir mir noch nicht gesagt hatte.
»Ich kenne ihn nicht,« antwortete ich.
»Und hast auch noch nichts über ihn gehört?«
»Sehr wenig, und dieses glaube ich nicht.«
»Ja, Effendi, man redet sehr viel Unwahres über uns. Hast Du auch von meinem Vater nichts erfahren oder von Pali und Melaf?«
»Nein; wenigstens nichts Hauptsächliches; aber ich denke, daß Du mir Einiges sagen wirst.«
»O Emir, wir sprechen nie zu Fremden über unsern Glauben!«
»Bin ich Dir fremd?«
»Nein. Du hast dem Vater und den beiden Andern das Leben gerettet und auch jetzt uns vor den Türken gewarnt, wie ich vom Bey erfahren habe. Du bist der Einzige, dem ich Auskunft ertheilen werde. Aber ich muß Dir sagen, daß ich selbst nicht Alles weiß.«
»Gibt es bei Euch Dinge, die nicht Jeder wissen darf?«
»Nein. Aber gibt es nicht in jedem Hause Dinge, welche die Eltern ganz allein zu wissen brauchen? Unsere Priester sind unsere Väter.«
»Darf ich Dich fragen?«
»Frage; aber ich bitte Dich, einen Namen nicht zu nennen!«
»Ich weiß es; aber ich möchte grad über diesen Gegenstand Einiges wissen. Wirst Du mir Auskunft geben, wenn ich das Wort vermeide?«
»Soviel ich's vermag, ja.«
Dieses Wort war der Name des Teufels, den die Dschesidi niemals aussprechen. Das Wort Scheïtan ist bei ihnen so verpönt, daß sie selbst ähnliche Worte sorgfältig vermeiden. Wenn sie zum Beispiel von einem Flusse sprechen, so sagen sie ›Nahr‹, aber niemals ›Schat‹, weil dieses letztere Wort mit der ersten Silbe von Scheïtan in naher Beziehung steht. Das Wort ›Keïtan‹ (Franse oder Faden) wird vermieden und auch die Wörter ›Naal‹ (Hufeisen) und ›Naal-band‹ (Hufschmied), weil sie mit den Worten ›Laan‹ (Fluch) und ›mahlun‹ (verflucht) in einer gewissen Nähe stehen. Sie sprechen vom Teufel nur in Umschreibung, und zwar mit Ehrfurcht. Sie nennen ihn Melek el Kuht oder Melek Ta-us.
»Ihr habt neben dem guten Gott auch noch ein anderes Wesen?«
»Neben? Nein. Das Wesen, welches Du meinst, steht unter Gott. Dieser Kyral meleklerün war das oberste der himmlischen Wesen; aber Gott war sein Schöpfer und Herr.«
»Wo ist er jetzt?«
»Er empörte sich gegen Gott, und Gott verbannte ihn.«
»Wohin?«
»Auf die Erde und auf alle Sterne.«
»Nun ist er der Herr Derjenigen, die in der Dschehennah wohnen?«
»Nein. Ihr glaubt wohl, daß er ewig unglücklich ist?«
»Ja.«
»Glaubt Ihr auch, daß Gott allgütig, gnädig und barmherzig ist?«
»Ja.«
»Dann wird er auch verzeihen – den Menschen und den Engeln, welche gegen ihn sündigen. Das glauben wir, und darum bedauern wir Jenen, welchen Du meinst. Jetzt kann er uns schaden, und darum nennen wir seinen Namen nicht. Später, wenn er seine Macht zurückerhält, kann er die Menschen belohnen, und darum reden wir nichts Böses von ihm.«
»Ihr verehrt ihn? Ihr betet ihn an?«
»Nein, denn er ist Gottes Geschöpf wie wir; aber wir hüten uns, ihn zu beleidigen.«
»Was bedeutet der Hahn, welcher bei Euren Gottesdiensten zugegen ist?«
»Der bedeutet Jenen nicht, welchen Du meinst. Er ist ein Bild der Wachsamkeit. Hat Euch Azerat Esau, der Sohn Gottes, nicht erzählt von den Jungfrauen, welche den Bräutigam erwarteten?«
»Ja.«
»Fünf von ihnen schliefen ein und dürfen nun nicht in den Himmel. Kennst Du die Erzählung von dem Jünger, welcher seinen Meister verleugnete?«
»Ja.«
»Auch da krähte der Hahn. Darum ist er bei uns das Zeichen, daß wir wachen, daß wir den großen Bräutigam erwarten.«
»Glaubt Ihr das, was die Bibel erzählt?«
»Wir glauben es, obgleich ich nicht Alles weiß, was sie erzählt.«
»Habt Ihr nicht auch ein heiliges Buch, in welchem Eure Lehren verzeichnet sind?«
»Wir hatten ein solches. Es wurde in Baascheikha aufbewahrt, aber ich habe gehört, daß es verloren gegangen ist.«
»Welches sind Eure heiligen Handlungen?«
»Du wirst sie alle in Scheik Adi kennen lernen.«
»Kannst Du mir sagen, wer Scheik Adi war?«
»Das weiß ich nicht genau.«
»Betet Ihr zu ihm?«
»Nein. Wir verehren ihn nur dadurch, daß wir an seinem Grabe zu Gott beten. Er war ein Heiliger und wohnt bei Gott.«
»Welche Arten von Priestern gibt es bei Euch?«
»Zunächst kommen die Pirs. Dieses Wort heißt eigentlich ein alter oder ein weiser Mann; hier aber bedeutet es ein heiliger Mann.«
»Wie kleiden sie sich?«
»Sie können sich kleiden, wie es ihnen gefällt; aber sie führen ein sehr frommes Leben, und Gott gibt ihnen die Macht, durch ihre Fürbitte alle Krankheiten des Leibes und der Seele zu heilen.«
»Gibt es viele Pirs?«
»Ich kenne jetzt nur drei. Pir Kamek ist der größte von ihnen.«
»Weiter!«
»Nach ihnen kommen die Scheiks. Sie müssen so viel Arabisch lernen, um unsere heiligen Lieder zu verstehen.«
»Werden diese in arabischer Sprache gesungen?«
»Ja.«
»Warum nicht in kurdischer?«
»Ich weiß es nicht. Aus den Scheiks werden die Wächter des heiligen Grabes gewählt, wo sie das Feuer unterhalten und die Pilger bewirthen müssen.«
»Haben sie eine besondere Kleidung?«
»Sie gehen ganz weiß gekleidet und tragen als Zeichen ihres Amtes einen Gürtel, welcher roth und gelb ist. Nach diesen Scheiks kommen die Prediger, welche wir Kawals nennen. Sie können die heiligen Instrumente spielen und gehen von Ort zu Ort, um die Gläubigen zu belehren.«
»Welches sind die heiligen Instrumente?«
»Das Tamburin und die Flöte. Auch verstehen die Kawals, bei den hohen Festen zu singen.«
»Wie kleiden sie sich?«
»Sie können alle Farben tragen, doch kleiden sie sich gewöhnlich weiß. Dann aber muß ihr Turban schwarz sein, zur Unterscheidung von den Scheiks. Nach ihnen kommen die Fakirs, welche die niederen Dienste am Grabe und auch anderswo verrichten. Sie haben meist dunkle Gewänder und tragen ein rothes Tuch quer über dem Turban.«
»Wer ernennt Eure Priester?«
»Sie werden nicht ernannt, denn diese Würde ist erblich. Wenn ein Priester stirbt und keinen Sohn hinterläßt, so geht sein Amt auf seine älteste Tochter über.«
Das war allerdings höchst merkwürdig, besonders im Orient!
»Und wer ist der Oberste aller Priester?«
»Der Scheik von Baadri. Du hast ihn noch nicht gesehen, denn er befindet sich bereits in Scheik Adi, um das Fest vorzubereiten. Hast Du noch etwas zu fragen?«
»Noch Vieles! Werden Eure Kinder getauft?«
»Getauft und beschnitten.«
»Gibt es unreine Speisen, welche Ihr nicht essen dürft?«
»Wir essen kein Schweinefleisch und haben keine blaue Farbe, denn der Himmel ist so erhaben, daß wir seine Farbe nicht unsern irdischen Dingen geben mögen.«
»Habt Ihr eine Kiblah?«
»Ja. Wenn wir beten, so wenden wir das Angesicht dem Orte zu, an welchem an diesem Tage die Sonne aufgegangen ist. Auch die Todten werden bei ihrem Begräbnisse so gelegt, daß ihr Angesicht nach dieser Gegend gerichtet ist.«
»Weißt Du, woher Eure Religion gekommen ist?«
»Scheik Adi, der Heilige, hat sie uns gelehrt. Wir selbst aber sind aus den Ländern des untern Euphrat gekommen. Dann zogen unsere Väter nach Syrien, nach dem Sindschar und endlich hierher.«
Ich hätte sehr gern noch weiter gefragt, aber es erschallte von oben her ein Schrei, und als wir emporblickten, erkannten wir Selek, welcher im Begriffe war, zu uns herabzusteigen. Bald stand er neben uns und reichte uns die Hand.
»Beinahe hätte ich Euch erschossen,« lautete sein Gruß.
»Uns? Warum?« frug ich.
»Von oben herab hielt ich Euch für Fremde, und solche dürfen in dieses Thal nicht eindringen. Dann aber erkannte ich Euch. Ich komme, um nachzusehen, ob das Thal der Vorbereitung bedarf.«
»Zur Aufnahme der Flüchtigen?«
»Der Flüchtigen? Wir werden nicht fliehen; aber ich habe dem Bey erzählt, wie listig Du die Feinde der Schammar nach jenem Thale locktest, in welchem Ihr sie gefangen nahmt, und wir werden ganz dasselbe thun.«
»Ihr wollt die Türken hierher locken?«
»Nein, sondern nach Scheik Adi; die Pilger aber sollen während des Kampfes hier untergebracht werden. Der Bey hat es so befohlen, und der Scheik ist damit einverstanden.«
Er untersuchte das Wasser und die Höhlen und frug uns dann, ob wir ihn zurückbegleiten wollten. Dies verstand sich ganz von selbst. Wir führten unsere Pferde empor, saßen dann auf und hielten stracks auf Baadri zu. Als wir dort ankamen, fand ich den Bey einigermaßen in Aufregung.
»Ich habe Kunde erhalten, seitdem Du fortgeritten bist,« sagte er. »Die Türken aus Diarbekir stehen bereits am Ghomelflusse, und die aus Kerkjuk haben unterhalb der Berge auch schon denselben Fluß erreicht.«
»So sind Deine Kundschafter von Amadijah bereits zurück?«
»Sie sind gar nicht bis Amadijah gekommen, denn sie mußten sich theilen, um diese Truppen zu beobachten. Es ist nun erwiesen, daß der geplante Überfall nur uns gilt.«
»Ist es bereits bekannt?«
»Nein, denn dadurch könnte der Feind erfahren, daß er uns gerüstet finden wird. Ich sage Dir, Emir, ich werde entweder sterben oder diesem Mutessarif eine Lehre geben, die er nie vergessen soll!«
»Ich werde bis nach dem Kampfe bei Dir bleiben.«
»Ich danke Dir, Emir; aber kämpfen sollst Du nicht!«
»Warum nicht?«
»Du bist mein Gast; Gott hat mir Dein Leben anvertraut.«
»Gott kann es am besten schützen. Soll ich Dein Gast sein und Dich allein in den Kampf gehen lassen? Sollen die Deinen von mir erzählen, daß ich ein Feigling bin?«
»Das werden sie niemals sagen. Bist Du nicht auch der Gast des Mutessarif gewesen? Hast Du nicht seinen Paß und seine Briefe in der Tasche? Und jetzt willst Du gegen ihn kämpfen? Mußt Du nicht Deinen Arm aufheben für den Sohn Deines Freundes, den Ihr befreien wollt? Und kannst Du mir nicht dienen, auch ohne daß Du meine Feinde tödtest?«
»Du hast recht in allem, was Du sagest. Ich wollte aber auch nicht tödten, sondern vielleicht dahin wirken, daß kein Blut vergossen wird.«
»Laß diese Sorge mir, Effendi! Ich trachte nicht nach Blut; ich will nur den Tyrannen von mir weisen.«
»Wie willst Du dies durchführen?«
»Weißt Du, daß in Scheik Adi bereits dreitausend Pilger eingetroffen sind? Bis zum Beginne des Festes werden es sechstausend und noch mehr sein.«
»Männer, Frauen und Kinder?«
»Ja. Die Frauen und Kinder sende ich in das Thal Idiz, und nur die Männer bleiben zurück. Die Truppen aus Diarbekir und Kerkjuk werden sich auf dem Wege von Kaloni her vereinigen, und die aus Mossul kommen über Dscherraijah oder Aïn Sifni herauf. Sie wollen uns in dem Thale des Heiligen einschließen; wir aber steigen hinter dem Grabe empor und stehen rund um das Thal, wenn sie eingerückt sind. Dann können wir sie niederstrecken bis auf den letzten Mann, wenn sie sich nicht ergeben. Andernfalls aber sende ich einen Boten an den Mutessarif und stelle meine Bedingungen, unter denen ich sie freigebe. Er wird sich dann vor dem Großherrn in Stambul zu verantworten haben.«
»Er wird diesem die Angelegenheit in einem falschen Lichte schildern.«
»Aber es wird ihm nicht gelingen, den Padischah zu täuschen; denn ich habe vorhin eine heimliche Gesandtschaft nach Stambul gesandt, welche ihm zuvorkommen wird.«
Ich mußte mir im Innern eingestehen, daß Ali Bey nicht nur ein muthiger, sondern auch ein kluger und darum vorsichtiger Mann sei.
»Und wie willst Du mich verwenden?« frug ich ihn.
»Du sollst mit Jenen ziehen, welche unsere Frauen und Kinder und unsere Habe beschützen werden.«
»Euere Habe nehmt Ihr mit?«
»So viel wir fortbringen. Ich werde noch heute allen Bewohnern von Baadri sagen lassen, daß sie Alles nach dem Thale Idiz schaffen mögen, aber heimlich, damit mein Plan nicht verrathen werde.«
»Und Scheik Mohammed Emin?«
»Er geht mit Dir. Ihr könntet jetzt nicht nach Amadijah kommen, da der Weg dorthin bereits nicht mehr frei ist.«
»Die Türken würden das Bu-djeruldi des Großherrn und den Ferman des Mutessarif achten müssen.«
»Aber es sind Leute aus Kerkjuk dabei, und wie leicht ist es möglich, daß einer von ihnen Mohammed Emin kennt!«
Noch während wir sprachen, kamen zwei Männer in das Haus. Es waren meine beiden alten Bekannten Pali und Melaf, welche ganz außer sich waren, als sie mich erblickten, und mir vor Freude wohl zehnmal die Hände küßten.
»Wo ist der Pir?« frug Ali Bey.
»Im Grabe des Jonas bei Kufjundschik. Er sendet uns, um Dir zu sagen, daß wir am zweiten Tage des Festes früh am Morgen überfallen werden sollen.«
»Kennt er den Vorwand, welchen der Mutessarif angeben wird?«
»Es sind in Malthaijah von einem Dschesidi zwei Türken erschlagen worden. Er will die Täter in Scheik Adi holen.«
»Es sind in Malthaijah von zwei Türken zwei Dschesidi erschlagen worden, so lautet die Wahrheit. Siehst Du, Emir, wie diese Türken sind? Sie erschlagen meine Leute, um Ursache zum Einfall in unser Gebiet zu haben. Mögen sie finden, was sie suchen!«
Ich begab mich mit meinem Dolmetscher nach meinem Zimmer, wo ich meine Übungen begann. Mohammed Emin saß wortlos dabei, rauchte seine Pfeife und wunderte sich baß darüber, daß ich mir so viele Mühe gab, ein Buch zu lesen und die Worte einer fremden Sprache zu verstehen. Dies that ich während des ganzen Tages und am Abend. Auch der nächste Tag verging unter dieser angenehmen Beschäftigung.
Unterdessen hatte ich bemerkt, daß die Bewohner von Baadri ihre Habe ohne Aufsehen fortschafften; auch wurde in einer Stube unseres Hauses eine große Menge Kugeln gegossen. Beifügen muß ich noch, daß der Esel des Buluk Emini während dieser Zeit nicht wieder laut geworden war, da ihm sein Herr und Meister sofort bei Einbruch der Dunkelheit den Stein an den Schwanz befestigt hatte.
Pilger kamen fortwährend, bald einzeln, bald in Familien und bald in größeren Trupps. Viele waren arm und auf die Mildthätigkeit anderer angewiesen. Dann trieb Einer eine Ziege oder einen fetten Hammel herbei; reichere Leute hatten einen Ochsen oder zwei, ja einige Male sah ich sogar ganze Heerden vorüberziehen. Das waren die Liebes- und Opfergaben, welche die Wohlhabenden zum heiligen Grabe brachten, damit ihre armen Brüder nicht Mangel leiden sollten. So Viele auch kamen und gingen: – meine Baschi-Bozuks und Arnauten blieben verschollen, und ich habe bis zum heutigen Tage nicht erfahren, wo sie geblieben sind.
Am dritten Tage, dem ersten Tage des Festes, saß ich mit meinem Dolmetscher wieder beim Buche. Es war noch vor Sonnenaufgang. Er dictirte:
»Schi bu dunya geranra di dunya 'i aschutin, chosch the, seferi ti nav seferi kirin, di her baschereki ditin zinet u chamil, di her konajaki hisa 'i kirin, schi tischti dizi chaber hilanin, schi ne ditiyan pai hilanin, lakin bebini paschija schuchuli, di bascheri chodaya meriv chondekjar. Cheiri ma' in di bascheri choda digel munan, tschirite schi chandkjarija bascheri merivan. Di bascheri merivan egertschi dibe quendschi, dil nabe schi evina mali vala.«
Ich übersetzte:
»Angenehm ist es, um die Welt zu durchwandern, sich in die Welt hinein zu begeben, Reise auf Reise zu vollenden, in jeder Stadt alle Schönheiten zu schauen, in jeder Herberge Ruhe zu genießen, von allem Verborgenen Kenntniß zu nehmen und sich nach allem Ungesehenen zu erkundigen; doch nach aller Mühe wirst Du einsehen, daß nur in seiner eigenen Stadt der Mensch Herr ist. In seiner eigenen Stadt unter der Menge bleiben, ist besser, als über eine fremde Stadt herrschen. Wenn es auch in einer fremden Stadt gut ist, so trennt sich das Herz dennoch nie von seinem heimatlichen Herde.«
Dieser Text war der bekannten Erzählung von Iskender entnommen, und ich war in die Arbeit so vertieft, daß ich gar nicht bemerkte, daß der Buluk Emini eingetreten war.
»Emir!« rief er, nachdem er sich bereits einige Male geräuspert hatte, ohne daß es von mir bemerkt worden war.
»Was gibt es?«
»Fort!«
Jetzt erst bemerkte ich, daß er bereits gespornt und gestiefelt sei, übergab dem Sohne Selek's das Buch und sprang auf. Ich hatte ganz vergessen, daß ich mich baden und frische Wäsche anlegen müsse, wenn ich überhaupt am Grabe des Heiligen würdig erscheinen wollte. Ich nahm die Wäsche zu mir, ging hinab und eilte hinaus vor das Dorf. Der Bach wimmelte von Badenden und ich mußte ziemlich weit gehen, um eine Stelle zu finden, an welcher ich mich unbeobachtet glaubte.
Hier badete ich und wechselte die Wäsche, eine Prozedur, welche man auf Reisen im Oriente nicht gar zu häufig vornehmen kann. Daher fühlte ich mich wie neugeboren und wollte bereits den Ort verlassen, als ich eine leise Bewegung des Gebüsches bemerkte, welches sich an den Ufern des Baches hinzog. War es ein Thier oder ein Mensch? Wir standen auf dem Kriegsfuße, und so konnte es nichts schaden, wenn ich die Sache einmal näher untersuchte. Ich that daher vollständig unbefangen, pflückte einige Blumen und näherte mich dabei scheinbar absichtslos dem Orte, an dem ich die erwähnte Bewegung bemerkt hatte. Dabei kehrte ich dem Busche den Rücken zu; plötzlich aber drehte ich mich um und stand mit einem schnellen Sprunge mitten im dichten Zweigwerk. Vor mir kauerte ein Mann. Er sah noch jung aus, hatte aber beinahe einen militärischen Anstrich, obgleich ich nur ein Messer als einzige Waffe bei ihm bemerkte. Eine breite Narbe zog sich über seine rechte Wange. Er erhob sich und wollte sich rasch zurückziehen, ich aber faßte seine Hand und hielt ihn fest.
»Was thust Du hier?« frug ich.
»Nichts.«
»Wer bist Du?«
»Ein – ein Dschesidi,« klang es zaghaft.
»Woher?«
»Ich heiße Lassa und bin ein Dassini.«
Ich hatte gehört, daß die Dassini eine der vornehmsten Familien der Dschesidi seien; er sah mir aber gar nicht aus wie ein Teufelsanbeter.
»Ich habe Dich gefragt, was Du hier thust?«
»Ich versteckte mich, weil ich Dich nicht stören wollte.«
»Und was thatest Du vorher hier?«
»Ich wollte baden.«
»Wo hast Du die Wäsche?«
»Ich habe keine.«
»Du warst vor mir hier und hattest also das Recht, hier zu bleiben, statt Dich zu verstecken. Wo hast Du diese Nacht geschlafen?«
»Im Dorfe.«
»Bei wem?«
»Bei – bei – bei – – ich kenne seinen Namen nicht.«
»Ein Dassini kehrt bei keinem Manne ein, dessen Namen er nicht kennt. Komm mit mir und zeige mir Deinen Wirth!«
»Ich muß vorher baden!«
»Das wirst Du nachher thun. Vorwärts!«
Er versuchte, sich von meinem Griffe zu befreien.
»Mit welchem Rechte sprichst Du in dieser Weise zu mir?«
»Mit dem Rechte des Mißtrauens.«
»Ebenso könnte ich Dir mißtrauen!«
»Natürlich! Ich bitte Dich, es zu thun. Dann führst Du mich in das Dorf, und es wird sich zeigen, wer ich bin.«
»Gehe, wohin es Dir beliebt!«
»Das tue ich auch; aber Du wirst mich begleiten.«
Sein Blick hing an meinem Gürtel; er bemerkte, daß ich keine Waffe bei mir trug, und ich sah es ihm an, daß er im Begriffe stehe, nach seinem Messer zu greifen. Dies konnte mich aber nicht irre machen; darum hielt ich sein Handgelenk nur fester und gab ihm einen scharfen Ruck, der ihn zwang, aus dem Busch heraus in das Freie zu treten.
»Was wagest Du?« blitzte er mich an.
»Gar nichts. Du gehst mit mir; tschapuk – sofort!«
»Laß meine Hand los, sonst – – –!«
»Was sonst?«
»Brauche ich Gewalt!«
»Brauche sie!«
»Da – – –!«
Er zog das Messer und stieß nach mir; ich aber griff von unten herauf und faßte nun auch seine zweite Hand.
»Schade um Dich; denn Du scheinst kein Feigling zu sein!«
Ich drückte ihm die Hand, daß er das Messer fallen ließ, hob dasselbe schnell auf und faßte ihn bei der Jacke.
»Nun vorwärts, sonst – –! Hier nimm meine Wäsche auf, und trage sie!«
»Herr, thue es nicht!«
»Warum nicht?«
»Bist Du ein Dschesidi?«
»Nein.«
»Warum willst Du mich dann nach dem Dorfe schaffen?«
»Das will ich Dir sagen: Du bist ein türkischer Soldat, ein Spion.«
Er erbleichte.
»Du irrst, Herr! Wenn Du kein Dschesidi bist, so laß mich frei!«
»Dschesidi oder nicht; vorwärts!«
Er krümmte sich unter meinem Griffe, aber er mußte mit. Ich zwang ihn sogar, meine Wäsche zu tragen. Wir erregten kein geringes Aufsehen, als wir das Dorf erreichten, und eine ziemliche Menschenmenge folgte uns nach der Wohnung des Bey's. Er befand sich im Selamlik, wohin ich auch den Fremden schaffte. Unweit der Thüre stand, ohne daß der Gefangene ihn bemerkte, mein Baschi-Bozuk, der eine sehr überraschte Miene machte, als wir an ihm vorübergingen. Er mußte ihn kennen.
»Wen bringst Du mir da?« frug Ali Bey.
»Einen Fremden, den ich draußen am Bache fand. Er hatte sich versteckt, und zwar an einem Orte, von welchem aus er das ganze Dorf und auch den Weg nach Scheik Adi überblicken konnte.«
»Wer ist er?«
»Er behauptet, Lassa zu heißen und ein Dassini zu sein.«
»Dann müßte ich ihn kennen; auch gibt es keinen Dassini dieses Namens.«
»Er stach nach mir, als ich ihn zwang, mit mir zu gehen. Hier ist er. Thue mit ihm, was Du willst!«
Ich verließ den Raum. Draußen stand der Buluk Emini noch.
»Kennst Du den Mann, den ich jetzt brachte?«
»Ja. Was hat er gethan, Emir? Gewiß hast Du ihn verkannt! Er ist kein Dieb und kein Räuber.«
»Was sonst?«
»Er ist Kol Agassi bei meinem Regiment.«
»Ah! Wie heißt er?«
»Nasir. Wir nannten ihn Nasir Agassi. Er ist der Freund des Miralai Omar Amed.«
»Gut; sage Halef, daß er satteln möge!«
Ich kehrte in das Selamlik zurück, wo vor Mohammed Emin und einigen der zufällig anwesenden bedeutenderen Dorfbewohner das Verhör bereits begonnen hatte.
»Seit wann lagst Du im Busche?« frug der Bey.
»Seit dieser Mann hier badete.«
»Dieser Mann ist ein Emir; merke Dir das! Du bist kein Dassini und auch kein Dschesidi. Wie heißt Du?«
»Das sage ich nicht!«
»Warum nicht?«
»Ich habe eine Blutrache da droben in den kurdischen Bergen; ich muß verschweigen, wer ich bin und wie ich heiße.«
»Seit wann hat ein Kol Agassi mit der Blutrache des freien Kurden zu thun?« frug ich ihn.
Er wurde noch bleicher als vorhin am Bache.
»Kol Agassi? Was meinest Du?« frug er dennoch beherzt.
»Ich meine, daß ich Nasir Agassi, den Vertrauten vom Miralai Omar Amed, so genau kenne, daß ich mich nicht täuschen lasse.«
»Du – Du – – Du kennst mich? Wallahi, so bin ich verloren; das ist mein Verhängnis!«
»Nein; es ist Dein Kismet nicht. Gestehe aufrichtig, was Du hier thatest, so wird Dir vielleicht nichts geschehen!«
»Ich habe nichts zu sagen.«
»Dann bist Du verl – – –«
Ich unterbrach den zornigen Bey mit einer schnellen Handbewegung und wandte mich wieder zu dem Gefangenen.
»Ist das von der Blutrache die Wahrheit?«
»Ja, Emir!«
»So sei ein anderes Mal vorsichtiger. Wenn Du mir versprichst, unverweilt nach Mossul zurückzukehren und die Rache für jetzt aufzuschieben, so bist Du frei.«
»Effendi!« rief da der Bey erschrocken. »Bedenke doch, daß wir ja – –«
»Ich weiß, was Du sagen willst,« unterbrach ich ihn abermals. »Dieser Mann ist ein Stabsoffizier des Mutessarif, ein Kol Agassi, aus dem einst vielleicht ein General werden kann, und Du lebst mit dem Mutessarif in Freundschaft und in tiefstem Frieden. Es thut mir jetzt leid, diesen Offizier belästigt zu haben, was gar nicht geschehen wäre, wenn ich ihn sofort gekannt hätte. – Du versprichst mir also, unverweilt nach Mossul zurückzukehren?«
»Ich verspreche es.«
»Betrifft diese Rache einen Dschesidi?«
»Nein.«
»So gehe, und Allah behüte Dich, daß die Rache nicht gefährlich für Dich selbst wird!«
Er stand ganz erstaunt. Noch vor einem Augenblick hatte er den gewissen Tod vor sich gesehen, und jetzt sah er sich frei. Er faßte meine Hand und rief:
»Emir, ich danke Dir! Allah segne Dich und alle die Deinen!«
Dann war er in größter Eile zur Thür hinaus. Er mochte befürchten, daß wir unsere Großmuth noch bereuen könnten.
»Was hast Du gethan!« sagte Ali Bey mehr erzürnt als erstaunt.
»Das Beste, was ich thun konnte,« antwortete ich.
»Das Beste? Dieser Mensch ist ein Spion!«
»Das ist richtig.«
»Und hatte den Tod verdient!«
»Das ist richtig.«
»Und Du schenktest ihm die Freiheit! Zwangst ihn nicht zum Geständniß!«
Auch die andern Dschesidi schauten finster drein. Ich ließ mich dies nicht anfechten und antwortete:
»Was hättest Du durch sein Geständniß erfahren?«
»Vielleicht viel!«
»Nicht mehr, als wir bereits wissen. Und übrigens schien er der Mann zu sein, der lieber stirbt als gesteht.«
»So hätten wir ihn getödtet!«
»Und was wäre die Folge davon gewesen?«
»Daß es einen Spion weniger gegeben hätte!«
»O, die Folgen wären noch ganz andere gewesen. Der Kol Agassi war jedenfalls abgeschickt, sich zu überzeugen, ob wir eine Ahnung von dem beabsichtigten Überfalle haben. Tödteten wir ihn, oder hielten wir ihn gefangen, so kehrte er nicht zurück, und man hätte gewußt, daß wir bereits gewarnt sind. Nun aber hat er seine Freiheit wieder erhalten, und der Miralai Omar Amed wird als ganz sicher annehmen, daß wir nicht das Geringste von dem Anschlage des Mutessarif ahnen. Es würde doch die allergrößte Dummheit sein, einen Spion zu entlassen, wenn man überzeugt ist, daß man überfallen werden soll – so werden sie sich sagen. Habe ich recht?«
Der Bey umarmte mich.
»Verzeih, Emir! Meine Gedanken reichten nicht so weit wie die Deinigen. Aber ich werde ihm einen Späher nachsenden, um mich zu überzeugen, daß er auch wirklich fortgeht.«
»Auch dies wirst Du nicht thun.«
»Warum nicht?«
»Er könnte grad dadurch auf das aufmerksam werden, was wir ihm durch seine Freilassung verborgen haben. Er wird sich hüten, hier zu bleiben, und übrigens kommen jetzt genug Leute an, bei denen Du Dich erkundigen kannst, ob sie ihm begegnet sind.«
Auch hier drang ich durch. Es war mir eine angenehme Genugthuung, zwei Vortheile verbunden zu haben: ich hatte einem Menschen, der doch nur auf Befehl gehandelt hatte, das Leben erhalten und zu gleicher Zeit den Plan des Mutessarif vereitelt. Mit diesem Gefühle ging ich in das Frauengemach, welches hier eigentlich Küche genannt werden mußte, um das Frühstück einzunehmen. Vorher aber holte ich aus meiner kleinen Raritätensammlung, die ich von Isla Ben Maflei erhalten hatte, ein Armband, an welchem ein Medaillon angebracht war.
Der kleine Bey war auch bereits munter. Während ihn seine Mutter hielt, versuchte ich seine niedliche Physiognomie zu Papiere zu bringen. Es gelang ganz leidlich, denn Kinder sind einander ähnlich. Dann legte ich das Papier in das Medaillon und gab der Mutter das Armband.
»Trage dies als Andenken an den Emir der Nemtsche,« bat ich sie; »das Gesicht Deines Sohnes befindet sich darin; es wird ewig jung bleiben, auch wenn er alt geworden ist.«
Sie sah das Bild an und war ganz entzückt. In fünf Minuten hatte sie es sämtlichen Bewohnern des Hauses und allen Anwesenden gezeigt, und ich konnte mich vor Dankbarkeitsbezeigungen kaum retten. Dann aber brachen wir auf, allerdings nicht mit dem Gefühle, daß es zu einer Lustbarkeit gehe, sondern in sehr ernster Stimmung.
Ali Bey hatte seine kostbarste Kleidung angelegt. Er ritt mit mir voraus, und dann folgten die angesehensten Leute des Dorfes. Mohammed Emin befand sich natürlich an unserer Seite. Er war mißmuthig, da unser Ritt nach Amadijah eine solche Unterbrechung erlitten hatte. Vor uns her zog eine Schar von Musikanten mit Flöten und Tamburins. Hinterher kamen die Frauen, meist mit Eseln, die mit Teppichen, Kissen und allerlei Geräthschaften beladen waren.
»Hast Du Deine Vorbereitungen für Baadri getroffen?« frug ich den Bey.
»Ja. Bis Dscherajah stehen Posten, welche mir das Nahen des Feindes sofort melden.«
»Baadri wirst Du den Türken ohne Vertheidigung lassen?«
»Natürlich. Sie werden still hindurchziehen, um uns nicht vor der Zeit aufmerksam zu machen.«
Von jetzt an ging es sehr laut um uns zu. Wir wurden von Reitern umschwärmt, welche Scheingefechte aufführten, und von allen Seiten knallten unaufhörlich Salven. Jetzt wurde der Weg sehr schmal und wand sich stellenweise so steil an den Bergen empor, daß wir absteigen und, Einer hinter dem Andern, unsere Pferde über die Felsen führen mußten. Erst nach einer starken Stunde erreichten wir den Gipfel des Passes und konnten nun in das grüne bewaldete Thal von Scheik Adi hinabblicken.
Ein Jeder schoß, sobald er die weiße Thurmspitze des Grabmales erblickte, sein Gewehr ab, und von unten herauf antworteten ununterbrochen Schüsse, so daß ein großes Infanteriegefecht Statt zu finden schien, dessen Echo in den Bergen widerhallte. Hinter uns kamen immer neue Züge, und als wir den Abhang hinabritten, sahen wir rechts und links zur Seite zahlreiche Pilger unter den Bäumen liegen. Sie ruhten sich hier von den Strapazen des Steigens aus und genossen dabei den Anblick des Heiligthumes und der herrlichen Gebirgsnatur, der für die Bewohner der Ebene eine wahre Erquickung sein mußte.
Wir hatten das Grabmal noch nicht erreicht, so kam uns Mir Scheik Khan, das geistliche Oberhaupt der Dschesidi, an der Spitze mehrerer Scheiks entgegen. Er wird Emir Hadschi genannt und stammt von der Familie der Ommijaden ab. Seine Familie wird als die Hauptfamilie der Dschesidi betrachtet und Posmir oder Begzadehs genannt. Er selbst war ein kräftiger Greis von mildem, ehrwürdigem Aussehen und schien nicht den mindesten hierarchischen Stolz zu besitzen; denn er verbeugte sich vor mir und umarmte mich dann so innig, wie man es bei einem Sohne thun würde.
»Aaleïk salam u rahhmet Allah. Ser sere men at – der Friede und die Barmherzigkeit Gottes sei mit Dir! Ihr seid mir willkommen!« grüßte er.
»Chode scogholeta rast init – Gott stehe Dir bei in Deinem Amte!« antwortete ich. »Aber willst Du nicht türkisch mit mir sprechen? Ich verstehe die Sprache Eures Landes noch nicht!«
»Befiehl über mich nach Deinem Gefallen, und sei mein Gast in dem Hause dessen, an dessen Grabe wir die Allmacht und die Gnade verehren.«
Wir waren natürlich bei seinem Nahen abgestiegen. Auf einen Wink von ihm wurden unsere Pferde in Empfang genommen, und wir, nämlich Ali Bey, Mohammed Emin und ich, schritten an seiner Seite dem Grabmale zu. Wir gelangten zunächst in einen von einer Mauer umgebenen Hof, welcher bereits ganz von Menschen erfüllt war; dann gelangten wir an den Eingang des innern Hofes, welcher von den Dschesidi nie anders als barfuß betreten wird. Ich folgte diesem Beispiele, zog meine Schuhe aus und ließ sie am Eingange zurück.
In dem innern Hofe standen viele Bäume, deren Schatten den Pilgern Kühlung bringt; dichter Oleander trieb Blüthe an Blüthe, und ein ungeheurer Weinstock bildete eine Laube, nach welcher uns der Mir Scheik Khan führte und in der wir Platz nahmen. Einige Scheiks und Kawals ruhten unter den Bäumen, sonst waren wir allein.
In diesem Hofe erhebt sich das eigentliche Gebäude des Grabmales, welches von zwei weißen Thürmen überragt wird, die mit dem tiefen Grün des Thales lebhaft und wohltuend contrastiren. Ihre Spitzen sind vergoldet und ihre Seiten in viele Winkel gebrochen, zwischen denen sich Licht und Schatten jagen. Über dem Thorwege waren einige Figuren ausgehauen, in denen ich einen Löwen, eine Schlange, ein Beil, einen Mann und einen Kamm erkannte. Das Innere des Gebäudes ist, wie ich nachher sah, in drei Hauptabtheilungen geschieden, von denen die eine größer ist, als die beiden andern. Diese Halle wird von Säulen und Bogen getragen und hat einen Brunnen, dessen Wasser für sehr heilig gehalten wird. Mit demselben werden die Kinder getauft. In der einen der zwei kleineren Abtheilungen befindet sich das eigentliche Grab des Heiligen. Über der Gruft erhebt sich ein großes kubisches Gehäuse, welches aus Thon gebildet und mit Gips überzogen ist. Als einziger Schmuck ist ein grünes, gesticktes Tuch darüber gebreitet, und eine ewige Lampe brennt in dem Gemache.
Der Thon des Grabmales bedarf von Zeit zu Zeit einer Ergänzung, da die Hüter des Heiligthums kleine Kugeln daraus bereiten, welche von den Pilgern gern gekauft und als Andenken mitgenommen, vielleicht auch als Amulette getragen werden. Diese Kugeln befinden sich in einem Gefäße, welches an dem erwähnten Weinstocke angebracht ist, und haben verschiedene Größen: von der Größe einer Erbse bis zu der jener kleinen Marmor- oder Glaskugeln, mit denen bei uns die Kinder zu spielen pflegen.
In dem zweiten kleinen Gemache befindet sich auch ein Grab, über dessen Inhalt die Dschesidi aber selbst nicht klar zu sein scheinen.
In der Umfassungsmauer, welche das Heiligthum umgibt, sind zahlreiche Nischen angebracht, welche die Lichter aufzunehmen haben, mit denen bei größeren Festen illuminirt wird. Das Grabmal wird von Gebäuden umgeben, welche den Priestern und Dienern des Grabes zur Wohnung dienen. Der ganze Ort aber liegt in einer engen Thalschlucht, deren Felsen von allen Seiten sehr steil in die Höhe steigen. Er besteht nur aus wenigen profanen Wohnungen und enthält außer dem Heiligthume vorzugsweise solche Gebäude, welche die Pilger aufzunehmen haben. Jeder Stamm oder auch jede größere Abtheilung desselben hat dann ein solches Haus ausschließlich für sich in Besitz.
Draußen vor den Mauern hatte sich ein förmlicher Jahrmarkt entfaltet. Alle möglichen Arten von Geweben und Zeugen hingen zum Verkaufe von den Ästen der Bäume nieder; alle möglichen Früchte und Eßwaaren wurden feilgeboten; Waffen, Schmuckgegenstände und allerlei orientalisches Allerhand war zu bekommen. Wäre die Tracht nicht gewesen, so hätte ich mich in die Heimat versetzt dünken können, so heiter und unbefangen, so harmlos und gemüthlich war das bunte Treiben in dem Dorfe des Heiligen. Wahrhaftig, diese Teufelsanbeter erwarben sich immer mehr meine Sympathie, und ich stimme dem vollständig bei, was ein sehr verständiger Engländer, welcher einige Wochen in Kofau gewesen war, mir später in Constantinopel von ihnen sagte:
»Die Teufelsanbeter werden verleumdet, weil sie besser sind, als ihre Verleumder. Wären sie zahlreicher und nicht so zerstreut, so könnten sie die Deutschen Asien's werden, und nirgends hat das Christenthum so große Hoffnung auf Erfolg als bei diesen Leuten. Ich glaube, gewisse überseeische (protestantische) Sendboten der Mission schildern die Dschesidi nur deßhalb so ganz und gar unwahr, um einem etwaigen kleinen Erfolge eine sehr große Bedeutung verleihen zu können.«
Natürlich ließ ich meiner Wißbegierde nicht die Zügel schießen, so daß sie zur lästigen Neugierde werden konnte, und vielleicht grad darum wurde unsere Unterhaltung eine so animirt herzliche, als ob wir Glieder einer Familie seien und uns von Jugend auf geliebt und geachtet hätten. Natürlich kam die Rede zunächst auf den bevorstehenden Angriff, doch wurde dieser Gegenstand bald bei Seite gelegt, da es sich herausstellte, daß Ali Bey alle erforderlichen Maßregeln mit der größten Sorgfalt getroffen hatte. Dann kam das Gespräch auf Mohammed Emin's und meine Person, auf unsere Erlebnisse und gegenwärtigen Absichten.
»Vielleicht kommt Ihr dabei in Gefahr und bedürft der Hilfe,« meinte der Mir Scheik Khan. »Ich werde Euch ein Zeichen mitgeben, welches Euch den Beistand aller Dschesidi sichert, denen Ihr es zeigt.«
»Ich danke Dir! Es wird ein Brief sein?« frug ich.
»Nein, ein Melek Ta-us.«
Fast wäre ich wie elektrisirt emporgesprungen. Das war ja die Benennung des Teufels! Das war ja der Name desjenigen Thieres, welches nach den über sie verbreiteten Verleumdungen bei ihren Gottesdiensten auf dem Altare stand und die Lichter verlöschen mußte, wenn die Orgien beginnen sollten! Das war endlich auch der Name derjenigen Legitimation, welche der Mir Scheik Khan jedem Priester anvertraut, den er mit einer besonderen Mission beehrt! Und dieses große, dieses geheimnißvolle Wort, über welches so viel gestritten worden ist, sprach er hier so gelassen aus? Ich nahm eine sehr unbefangene Miene an und frug:
»Einen Melek Ta-us? Darf ich fragen, was das ist?«
Mit der freundlichen Miene eines Vaters, der seinem unwissenden Sohne eine nothwendige Erklärung gibt, antwortete er:
»Melek Ta-us nennen wir Jenen, dessen eigentlicher Name bei uns nicht ausgesprochen wird. Melek Ta-us heißt auch das Thier, welches bei uns ein Symbol des Muthes und der Wachsamkeit ist, und Melek Ta-us nennen wir auch die Abbildung dieses Thieres, welche ich Jenen verleihe, zu denen ich Vertrauen habe. Ich weiß Alles, was man über uns fabelt; aber Deine Weisheit wird Dir sagen, daß ich uns vor Dir nicht zu vertheidigen brauche. Ich habe mit einem Manne gesprochen, der in vielen christlichen Kirchen gewesen ist. Er sagte mir, daß dort die Bilder der Gottesmutter, des Gottessohnes und vieler Heiligen seien. Auch ein Auge sollt Ihr haben, welches das Symbol des Gottvaters, und eine Taube, welche das Zeichen des Geistes ist. Ihr kniet und betet an den Orten, wo diese Bilder sind, aber ich werde niemals glauben, daß Ihr diese Bilder anbetet. Wir glauben von Euch das Richtige, und Ihr glaubet von uns das Falsche. Wer ist verständiger und gütiger, Ihr oder wir? Blicke hin an das Thor! Meinst Du, daß wir diese Bilder anbeten?«
»Nein.«
»Du siehst einen Löwen, eine Schlange, ein Beil, einen Mann und einen Kamm. Die Dschesidi können nicht lesen; daher ist es besser, man sagt ihnen durch diese Bilder, was man ihnen sagen möchte. Eine Schrift würden sie nicht verstehen; diese Bilder aber werden sie nie vergessen, weil dieselben am Grabe ihres Heiligen zu sehen sind. Dieser Heilige war ein Mann; darum beten wir ihn nicht an; aber wir versammeln uns an seinem Grabe, wie sich die Kinder am Grabe ihres Vaters versammeln.«
»Er hat Euren Glauben gestiftet?«
»Er hat uns unsern Glauben, nicht aber unsere Gebräuche gegeben. Der Glaube wohnt im Herzen, die Sitten aber wachsen aus dem Boden, auf welchem wir leben, und aus dem Lande, welches diesen Boden rings umgrenzt. Scheik Adi hat vor Mohammed gelebt. Zu seiner Lehre sind auch diejenigen Satzungen des Kurans gekommen, welche wir für gut und heilsam erkannt haben.«
»Man erzählte mir, daß er Wunder gethan habe.«
»Wunder kann nur Gott thun; aber wenn er sie thut, so thut er sie durch die Hand der Menschen. Blicke hinein dort in die Halle! Dort ist ein Brunnen, den Scheik Adi hervorgebracht hat. Dieser ist noch vor Mohammed in Mekka gewesen. Schon damals war Zem-Zem eine heilige Quelle. Er nahm von dem Wasser des Zem-Zem und tropfte es hier auf den Felsen. Sofort öffnete sich derselbe, und das heilige Wasser sprang hervor. So wird uns erzählt. Wir gebieten nicht, dies zu glauben, denn das Wunder ist auch ohne dies da. Oder ist es kein Wunder, wenn aus dem harten, todten Stein das lebendige Wasser fließt? Dieses ist bei uns ein Symbol der Reinheit unserer Seele, und darum halten wir es für heilig, nicht aber, weil es von der Quelle Zem-Zem stammen soll.«
Mir Scheik Khan brach seine Rede ab, denn jetzt öffnete sich das äußere Thor, um einen langen Zug von Pilgrimen einzulassen, von denen ein Jeder eine Lampe trug. Diese Lampen waren die Dank- und Weihgeschenke für die Heilung einer Krankheit oder die Rettung aus irgend einer Gefahr. Sie waren für Scheik Schems bestimmt, das leuchtende Symbol der göttlichen Klarheit.
Alle diese Pilger waren gut bewaffnet. Ich sah dabei recht eigenthümliche kurdische Tüfenks. Bei einer derselben wurden Lauf und Schaft durch zwanzig starke, breite eiserne Ringe verbunden, welche ein sicheres Zielen ganz unmöglich machten. Eine zweite zeigte eine Art Bajonnet, welches eine Gabel bildete, deren zwei Zinken zu beiden Seiten des Laufes befestigt waren. Die Männer überreichten ihre Krüge den Priestern und traten der Reihe nach zu Mir Scheik Khan, um ihm die Hand zu küssen, wobei sie ihre Waffen neigten oder ganz ablegten.
Die Lampen werden gebraucht, um am Abend des Festes den heiligen Ort mit seiner ganzen Umgebung zu illuminiren. Es darf dabei kein gewöhnliches Öl oder gar Bitumen und Naphtha gebrannt werden, da dies für unrein gilt. Nur das Öl vom Sesam ist gestattet.
Als die Prozession sich entfernt hatte, wurden wohl gegen zwanzig Kinder getauft und beschnitten, welche zum Theil von sehr weit hergebracht worden waren. Ich wohnte diesen religiösen Handlungen bei.
Später entfernte ich mich mit Mohammed Emin, um einen Gang durch das Thal zu machen. Am auffälligsten war mir die ungeheure Zahl von Fackeln, welche zum Verkaufe auslagen. Nach einer ungefähren Schätzung konnten es zehntausend sein. Die Händler machten glänzende Geschäfte, denn ihre Waare wurde ihnen förmlich aus der Hand gerissen.
Eben standen wir vor einem Verkäufer von Glas- und unechten Korallenwaaren, als ich die weiße Gestalt des Pir Kamek den Bergpfad herabkommen sah. Er mußte, wenn er zum Heiligthume wollte, an uns vorüber, und als er uns erreichte, blieb er bei uns stehen.
»Willkommen hier, Ihr Gäste vom Scheik Schems! Ihr werdet den Heiligen der Dschesidi kennen lernen.«
Er reichte uns die Hände. Sobald er bemerkt worden war, wurde er vom Volke umringt, und ein Jeder bemühte sich, seine Hand oder den Saum seines Gewandes zu berühren und zu küssen. Er hielt eine Ansprache an die Versammelten; sein langes weißes Haar flatterte im Morgenwinde; seine Augen leuchteten, und seine Geberden zeigten die Lebhaftigkeit der Begeisterung. Dazu krachten die Schüsse der Ankommenden von oben herab, und ganze Salven antworteten aus dem Thale hinauf. Leider konnte ich seine Rede nicht verstehen, da er sie in kurdischer Sprache hielt. Am Schlusse derselben aber intonirte er einen Gesang, in welchen Alle einfielen und dessen Anfang mir der Sohn Seleks, welcher dazu kam, übersetzte:
»O gnädiger und großmüthiger Gott, welcher nährt die Ameise und die kriechende Schlange, Nacht und Tag Lenkender, Lebendiger, Höchster, Ursachloser, welcher der Nacht die Finsterniß und dem Tage das Licht zuweist! Weiser, herrsche über Weisheit; Starker, herrsche über die Stärke; Lebendiger, herrsche über den Tod!«
Nach dem Gesange zertheilte sich die Menge, und der Pir trat zu mir.
»Hast Du verstanden, was ich den Pilgern sagte?«
»Nein. Du weißt, daß ich Deine Sprache nicht rede.«
»Ich sagte ihnen, daß ich Scheik Schems ein Opfer bringen werde, und nun sind sie in den Wald gegangen, um das nöthige Holz zu holen. Willst Du dem Opfer beiwohnen, so bist Du willkommen. Jetzt aber verzeihe, Emir; dort kommen bereits die Opferstiere.«
Er ging dem Grabmale zu, vor dessen Mauern soeben eine lange Reihe von Ochsen aufgeführt wurde. Wir folgten ihm langsam nach.
»Was geschieht mit den Thieren?« frug ich meinen Dolmetscher.
»Sie werden geschlachtet.«
»Für wen?«
»Für Scheik Schems.«
»Kann die Sonne Stiere essen?«
»Nein, sondern sie verschenkt dieselben an die Armen.«
»Nur das Fleisch?«
»Alles: das Fleisch, die Eingeweide und die Haut. Mir Scheik Khan übernimmt die Vertheilung.«
»Und das Blut?«
»Das wird nicht gegessen, sondern in die Erde gegraben, denn die Seele ist im Blute.«
Das war also genau die alttestamentliche Anschauung, daß das Leben des Leibes, daß die Seele im Blute liege. Ich sah, daß es sich hier nicht um eine heidnische Opferung, sondern um eine Liebesgabe handle, welche es den Armen ermöglichen sollte, die Festtage ohne Nahrungssorgen feiern zu können.
Als wir den Platz erreichten, trat eben Mir Scheik Khan aus dem Thore, gefolgt von Pir Kamek, von einigen Scheiks und Kawals und einer größeren Anzahl von Fakirs. Alle hatten Messer in der Rechten. Der Platz wurde von einer großen Menge Krieger umgeben, welche ihre Gewehre schußbereit hielten. Da warf Mir Scheik Khan das Obergewand ab, sprang auf den ersten Stier und stieß ihm das Messer mit solcher Sicherheit in den Nackenwirbel, daß das Thier sofort todt niederstürzte. In demselben Augenblick erhob sich ein hundertstimmiger Jubel, und ebenso viele Schüsse krachten.
Mir Scheik Khan trat zurück, und Pir Kamek setzte das Werk fort. Es gewährte einen eigenthümlichen Anblick, diesen Mann mit weißem Haar und schwarzem Barte von einem Stiere auf den nächsten springen und sie alle der Reihe nach mit dem sicheren Messerstich fällen zu sehen. Dabei floß kein Tropfen Blut. Nun aber traten die Scheiks herbei, um die Halsader zu öffnen, und die Fakirs naheten sich mit großen Gefäßen, um das Blut aufzufangen. Als dies beendet war, wurde eine ganz bedeutende Anzahl von Schafen herbeigetrieben, deren erstes wieder Mir Scheik Khan tödtete, die andern aber wurden von den Fakirs geschlachtet, welche eine außerordentliche Geschicklichkeit in diesem Geschäft bewiesen.
Da trat Ali Bey zu mir.
»Willst Du mich begleiten nach Kaloni?« frug er. »Ich muß mich der Freundschaft der Badinan versichern.«
»Ihr lebt mit ihnen in Unfrieden?«
»Hätte ich dann meine Kundschafter aus ihnen wählen können? Ihr Häuptling ist mein Freund; doch gibt es Fälle, in denen man so sicher wie möglich gehen muß. Komm!«
Wir hatten nicht weit zu gehen, um das sehr große, aus rohen Steinen aufgeführte Haus zu erreichen, welches Ali Bey zur Zeit des Festes bewohnte. Sein Weib hatte bereits auf uns gewartet. Wir fanden auf der Plattform des Gebäudes mehrere Teppiche ausgebreitet, auf denen wir Platz nahmen, um das Frühstück zu genießen. Von diesem Punkte aus konnten wir beinahe das ganze Thal überblicken. Überall lagerten Menschen. Jeder Baum war zum Zelte geworden.
Drüben, rechts von uns, stand ein Tempel, der Sonne (Scheik Schems) gewidmet. Er stand so, daß ihn die ersten Strahlen des Morgenlichtes treffen mußten. Als ich ihn später betrat, fand ich nur vier nackte Wände und keinerlei Vorrichtung, welche auf eine götzendienerische Handlung schließen ließ; aber ein heller Wasserstrahl floß in einer Rinne des Fußbodens, und an der reinlichen weißen Kalkmauer sah ich in arabischer Sprache die Worte geschrieben: »O Sonne, o Licht, o Leben von Gott!«
Jetzt saßen an seiner Außenseite mehrere Familien der reichen Kotschers. Die Männer lehnten an der Wand, in hellfarbige Jacken und Turbane gekleidet und mit phantastischen Waffen geschmückt. Die Frauen hatten seidene Gewänder, und trugen das Haar in viele über den Rücken fallende Flechten geflochten, in welche bunte Blumen gewoben waren. Ihre Stirnen waren mit goldenen und silbernen Münzen fast ganz verdeckt, und lange Schnüre von Münzen, Glasperlen und geschnittenen Steinen hingen ihnen um den Nacken.
Vor mir stand ein Mann aus dem Sindschar am Stamme eines Baumes. Seine Haut war dunkelbraun, sein Gewand aber weiß und rein. Er musterte mit durchdringenden Blicken die Umgebung und schüttelte sich zuweilen das lange Haar aus dem Gesicht. Seine Flinte hatte ein plumpes, altes Luntenschloß, und sein Messer war an einem rohgeschnitzten Griff befestigt; aber man sah es ihm an, daß er der Mann war, diese einfachen Waffen mit Erfolg zu gebrauchen. Neben ihm saß sein Weib bei einem kleinen Feuer, an welchem sie Gerstenkuchen buk, und über ihm kletterten in den Zweigen zwei halbnackte, braune Buben herum, die auch schon ihre Messer in einem dünnen Stricke trugen, den sie um den Leib geschlungen hatten.
Nicht weit von ihm lagerten zahlreiche Städtebewohner, vielleicht aus Mossul; die Männer besorgten ihre mageren Esel, die Frauen sahen blaß und ausgemergelt aus, ein sprechendes Bild der Noth und Sorge und Unterdrückung, welcher diese Leute ausgesetzt sind.
Dann sah ich Männer, Frauen und Kinder aus dem Scheïkhan, aus Syrien, aus Hadschilo und Midiad, aus Heïschteran und Semsat, aus Mardin und Nisibin, aus dem Gebiete der Kendali und der Delmamikan, von Kokan und Kotschalian, ja sogar aus dem Bereiche der Tuzik und der Delmagumgumuku. Alt und Jung, Arm und Reich, Alle waren reinlich. Die Einen hatten ihre Turbans mit Straußenfedern geschmückt, und die Andern konnten kaum ihre Blöße bedecken; aber Alle trugen Waffen. Sie verkehrten untereinander wie Brüder und Schwestern; man gab sich die Hände, man umarmte und küßte sich; keine Frau und kein Mädchen verbarg ihr Angesicht vor einem Fremden – es waren die Angehörigen einer großen Familie, welche hier zusammentrafen.
Jetzt krachte eine Salve, und ich sah, wie sich die Männer in einzelnen größeren oder kleineren Gruppen nach dem Grabmale begaben.
»Was thun sie dort?« frug ich Ali Bey.
»Sie holen sich ihr Fleisch von den Opferstieren.«
»Gibt es eine gewisse Aufsicht dabei?«
»Ja. Nur die Armen kommen. Sie treten nach ihren Stämmen und Wohnsitzen zusammen, deren Anführer sie begleitet oder von dem sie eine Bescheinigung vorzeigen.«
»Eure Priester erhalten keinen Theil des Fleisches?«
»Von diesen Stieren nicht; am letzten Tage des Festes aber werden einige Thiere geschlachtet, welche weiß, ganz weiß sein müssen, und deren Fleisch gehört den Priestern.«
»Können Eure Priester Sünde thun?«
»Warum nicht? Sie sind doch Menschen!«
»Auch die Pirs, die Heiligen?«
»Auch sie.«
»Auch Mir Scheik Khan?«
»Ja.«
»Glaubst Du, daß auch der große Heilige Scheik Adi Sünde gethan hat?«
»Auch er war ein Sünder, denn er war nicht Gott.«
»Laßt Ihr Eure Sünden auf Eurer Seele liegen?«
»Nein, wir entfernen sie.«
»Wie?«
»Durch die Symbole der Reinheit, durch das Feuer und das Wasser. Du weißt, daß wir uns bereits gestern oder heute gewaschen haben. Dabei bekennen wir unsere Sünden und geloben, sie von uns zu thun; dann werden sie vom Wasser fortgenommen. Und heute Abend wirst Du sehen, daß wir unsere Seelen auch durch die Flamme reinigen.«
»Du glaubst also, daß die Seele nicht mit dem Leibe stirbt?«
»Wie könnte sie sterben, da sie von Gott ist!«
»Wie kannst Du mir dies beweisen, wenn ich es nicht glaube?«
»Du scherzest! Steht nicht in Eurem Kitab: ›Japar-di bir sagh solukü burunuje – er blies ihm einen lebendigen Odem in seine Nase‹?«
»Nun gut, wenn die Seele also nicht stirbt, wo bleibt sie nach dem Tode des Leibes?«
»Du athmest die Luft wieder ein, nachdem Du sie ausgeathmet hast. Auch Gottes Odem geht wieder zu ihm zurück, nachdem er von Sünden rein geworden ist. – Laß uns nun aufbrechen!«
»Wie weit ist es bis Kaloni?«
»Man reitet vier Stunden lang.«
Unten standen unsere Pferde. Wir stiegen auf und verließen ohne alle Begleitung das Thal. Der Weg führte an der steilen Bergwand empor, und als wir die Höhe derselben erreicht hatten, sah ich ein dicht bewaldetes, von zahlreichen Thälern durchzogenes Gebirgsland vor mir. Dieses Land wird von den großen Stämmen der Missuri-Kurden bewohnt, zu denen auch die Badinan gehören. Unser Weg führte bald bergab, bald wieder bergauf, bald zwischen nackten Felsen und bald durch dichten Wald dahin. An den Abhängen sahen wir einige kleine Dörfer liegen, aber die Häuser derselben waren verlassen. Hier und da hatten wir die kalten Fluthen eines wilden Bergbaches zu durchreiten, der sein Wasser dem Ghomel entgegenschickte, um mit diesem dem Ghazir oder Bumadus zuzufließen, der in den großen Zab geht und sich mit diesem bei Keschaf in den Tigris ergießt. Diese Häuser waren von Weingärten umgeben, neben denen Sesam, Korn und Baumwolle gedieh, und erhielten ein besonders schmuckes Aussehen durch die Blüthen und Früchte der sorgsam gepflegten Feigen-, Walnuß-, Granatapfel-, Pfirsich-, Kirschen-, Maulbeer- und Olivenbäume.
Kein Mensch begegnete uns, denn die Dschesidi, welche die Gegend bis Dschulamerik bewohnten, waren schon alle in Scheik Adi eingetroffen, und wir waren bereits zwei Stunden weit geritten, als wir eine Stimme hörten, welche uns anrief.
Ein Mann trat aus dem Walde. Es war ein Kurde. Er hatte sehr weite, unten offene Hosen an, und die nackten Füße steckten in niedrigen Lederschuhen. Der Körper war nur mit einem am Halse viereckig ausgeschnittenen Hemde bekleidet, welches bis zur Wade niederging. Sein dichtes Haar hing in lockigen Strähnen über die Schultern herab, und auf dem Kopfe trug er eine jener merkwürdigen, häßlichen Filzmützen, welche das Aussehen einer riesigen Spinne haben, deren runder Körper den Scheitel bedeckt und deren lange Beine hinten und zur Seite bis auf die Achseln niederhängen. Im Gürtel trug er ein Messer, eine Pulverflasche und den Kugelbeutel, eine Flinte aber war nicht zu sehen.
»Ni, vro'l kjer – guten Tag!« grüßte er uns. »Wohin will Ali Bey, der Tapfere, reiten?«
»Chode t'aveschket – Gott behüte Dich!« antwortete der Bey. »Du kennst mich? Von welchem Stamme bist Du?«
»Ich bin ein Badinan, Herr.«
»Aus Kaloni?«
»Ja, aus Kalahoni, wie wir es nennen.«
»Wohnt Ihr noch in Euren Häusern?«
»Nein. Wir haben unsere Hütten bereits bezogen.«
»Sie liegen hier in der Nähe?«
»Woher vermuthest Du das?«
»Wenn ein Krieger sich weit von seiner Wohnung entfernt, so nimmt er sein Gewehr mit. Du aber hast das Deinige nicht bei Dir.«
»Du hast es errathen. Mit wem willst Du reden?«
»Mit Deinem Häuptling.«
»Steige ab, und folge mir!«
Wir stiegen von den Pferden und nahmen sie beim Zügel. Der Kurde führte uns in den Wald hinein, in dessen Tiefe wir einen starken, aus gefällten Bäumen errichteten Verhau erreichten, hinter welchem wir zahlreiche Hütten liegen sahen, die nur aus Stangen, Ästen und Laubwerk hergestellt waren. In dieser Barrikade war eine schmale Öffnung gelassen worden, die uns den Eingang gestattete. Nun sahen wir mehrere Hunderte von Kindern sich zwischen den Hütten und Bäumen umhertummeln, während die Erwachsenen, sowohl Männer als Frauen, damit beschäftigt waren, den Verhau zu vergrößern und zu befestigen. Auf einer der größten Hütten saß ein Mann. Es war der Häuptling, der diesen höheren Platz eingenommen hatte, um einen freieren Überblick zu haben und die Arbeit besser dirigiren zu können. Als er meinen Begleiter erblickte, sprang er herab und kam uns entgegen.
»Kjeïr ati; Chode dauleta ta mazen b'ket- sei willkommen; Gott vermehre Deinen Reichthum!«
Bei diesen Worten gab er ihm die Hand und winkte einem Weibe, welches eine Decke ausbreitete, auf welche wir uns niedersetzten. Mich schien er gar nicht zu beachten. Ein Dschesidi wäre auch gegen mich höflich gewesen. Dasselbe Weib, welches jedenfalls seine Frau war, brachte jetzt drei Pfeifen, welche ziemlich roh aus dem Holze eines Indschaz geschnitten waren, und ein junges Mädchen trug eine Schüssel auf, in welcher Habi tri und Hingiv lagen. Der Häuptling nahm seinen Tabaksbeutel, welcher aus dem Felle einer Katze gearbeitet war, vom Gürtel, öffnete ihn und legte ihn vor Ali Bey.
»Taklif b' ela k' narek, au, beïn ma batal – mache keine Umstände, die unter uns überflüssig sind!« sagte er.
Dabei griff er mit seinen schmutzigen Händen in den Honig, zog sich mit den Fingern ein Stück heraus und schob es in den Mund.
Der Bey stopfte sich die Pfeife und steckte sie in Brand.
»Sage mir, ob Freundschaft ist zwischen mir und Dir!« begann er die Unterhaltung.
»Es ist Freundschaft zwischen mir und Dir,« lautete die einfache Antwort.
»Auch zwischen Deinen Leuten und meinen Leuten?«
»Auch zwischen ihnen.«
»Wirst Du mich um Hilfe bitten, wenn ein Feind kommt, um Dich anzugreifen und zu überfallen?«
»Wenn ich zu schwach bin, ihn zu besiegen, werde ich Dich um Hilfe bitten.«
»Und Du würdest auch mir helfen, wenn ich Dich darum ersuche?«
»Wenn Dein Feind nicht mein Freund ist, werde ich es thun.«
»Ist der Gouverneur von Mossul Dein Freund?«
»Er ist mein Feind; er ist der Feind aller freien Kurden. Er ist ein Kelehsch, ein Iz, der unsere Heerden lichtet und unsere Töchter verkauft.«
»Hast Du gehört, daß er uns in Scheik Adi überfallen will?«
»Ich hörte es von meinen Leuten, welche Dir als Kundschafter dienten.«
»Sie kommen durch Dein Land. Was wirst Du thun?«
»Du siehst es!« Er deutete dabei mit einer Armbewegung auf die Hütten ringsumher. »Wir haben Kalahoni verlassen und uns im Walde Hütten gebaut. Nun machen wir uns eine Mauer, hinter der wir uns vertheidigen können, wenn die Türken uns angreifen werden.«
»Sie werden Euch nicht angreifen.«
»Woher weißt Du dies?«
»Ich vermuthe es. Wenn es ihnen gelingen soll, uns zu überraschen, so müssen sie vorher allen Kampf und Lärm vermeiden. Sie werden also Dein Gebiet sehr ruhig durchziehen. Sie werden vielleicht gar den offenen Weg vermeiden und durch die Wälder gehen, um die Höhe von Scheik Adi unbemerkt zu erreichen.«
»Deine Gedanken haben das Richtige getroffen.«
»Aber wenn sie uns besiegt haben, dann werden sie auch über Euch herfallen.«
»Du wirst Dich nicht besiegen lassen.«
»Willst Du mir dazu verhelfen?«
»Ich will es. Was soll ich thun? Soll ich Dir meine Krieger nach Scheik Adi senden?«
»Nein, denn ich habe genug Krieger bei mir, um ohne Hilfe mit den Türken fertig zu werden. Du sollst nur Deine Krieger verbergen und die Türken ruhig ziehen lassen, damit sie sich für sicher halten.«
»Ihnen folgen soll ich nicht?«
»Nein. Aber Du magst hinter ihnen den Weg verschließen, daß sie nicht wieder zurück können. Auf der zweiten Höhe zwischen hier und Scheik Adi ist der Paß so schmal, daß nur zwei Männer neben einander gehen können. Wenn Du dort eine Schanze machst, so kannst Du mit zwanzig Kriegern tausend Türken tödten.«
»Ich werde es thun. Aber was gibst Du mir dafür?«
»Wenn Du nicht zum Kampfe kommst, so daß ich sie allein besiege, sollst Du fünfzig Gewehre erhalten; hast Du aber mit ihnen zu kämpfen, so gebe ich Dir hundert Türkenflinten, wenn Du Dich tapfer hältst.«
»Hundert Türkenflinten!« rief der Häuptling begeistert. Er fuhr mit größter Eile in den Honig und steckte sich ein solches Stück davon in den Mund, daß ich glaubte, es müsse ihn erwürgen. »Hundert Türkenflinten!« wiederholte er kauend. »Wirst Du Wort halten?«
»Habe ich Dich bereits einmal belogen?«
»Nein. Du bist mein Bruder, mein Gefährte, mein Freund, mein Kampfgenosse, und ich glaube Dir. Ich werde mir die Gewehre verdienen!«
»Du kannst sie Dir aber nur dann verdienen, wenn Du die Türken bei ihrem Kommen ungestört ziehen lässest.«
»Sie sollen keinen von meinen Männern sehen!«
»Und sie dann hinderst, zurückzukehren, wenn es mir nicht gelingen sollte, sie zu umzingeln und festzuhalten.«
»Ich werde nicht nur den Paß, sondern auch die Seitenthäler besetzen, damit sie weder rechts noch links, weder vor- noch rückwärts können!«
»Daran thust Du wohl. Doch will ich nicht haben, daß viel Blut vergossen werde. Die Soldaten können nichts dafür, sie müssen dem Gouverneur gehorchen; und wenn wir grausam sind, so ist der Padischah zu Stambul mächtig genug, ein großes Heer zu senden, welches uns vernichten kann.«
»Ich verstehe Dich. Ein guter Feldherr muß Gewalt und auch List anzuwenden verstehen. Dann kann er mit einem kleinen Emdscherg ein großes Heer besiegen. Wann werden die Türken kommen?«
»Sie werden es so einrichten, daß sie beim Anbruche des morgenden Tages Scheik Adi überfallen können.«
»Den Aschutin sollen sie selbst haben. Ich weiß, daß Du ein tapferer Krieger bist. Du wirst es den Türken ganz ebenso machen, wie es da unten in der Ebene die Haddedihn-Schammar ihren Feinden gemacht haben.«
»Du hast davon gehört?«
»Wer sollte dies nicht wissen? Die Kunde von solchen Heldenthaten verbreitet sich schnell über Berg und Thal. Mohammed Emin hat seinen Tribus zum reichsten Aschiret gemacht.«
Ali Bey lächelte mir heimlich zu und meinte dann:
»Es ist eine schöne That, Tausende gefangen zu nehmen, ohne daß ein Kampf Statt findet.«
»Diese That wäre Mohammed Emin nicht gelungen. Er ist stark und tapfer; aber er hat einen fremden Feldherrn bei sich gehabt.«
»Einen fremden?« frug der schlaue Bey.
Ihn ärgerte jedenfalls die Nichtbeachtung, die mir von Seiten des Häuptlings widerfahren war, und er ergriff nun die Gelegenheit, ihn zu beschämen. Dabei konnte es natürlich auf ein Übermaß von Lob gar nicht ankommen.
»Ja, einen fremden,« antwortete der Häuptling. »Weißt Du das noch nicht?«
»Erzähle es!«
Und der Kurde that es in folgender Weise:
»Mohammed Emin, der Scheik der Haddedihn, saß vor seinem Zelt, um Rath zu halten mit den Ältesten seines Stammes. Da that sich eine Wolke auf, und ein Reiter kam herab, dessen Pferd grad mitten im Kreise der Alten die Erde berührte.
»Sallam aaleïkum!« grüßte er.
»Aaleïkum sallah!« antwortete Mohammed Emin. »Fremdling, wer bist Du, und woher kommst Du?«
Das Pferd des Reiters war schwarz wie die Nacht; er selber aber trug ein Panzerhemd, Arm- und Beinschienen und einen Helm aus gediegenem Golde. Um seinen Helm war ein Shawl gewunden, den die Houri des Paradieses gewebt hatten; denn tausend lebendige Sterne kreiseten in seinen Maschen. Der Schaft seiner Lanze war von reinem Silber; ihre Spitze leuchtete wie der Strahl des Blitzes, und unter derselben waren die Bärte von hundert erlegten Feinden befestigt. Sein Dolch funkelte wie Diamant, und sein Schwert konnte Stahl und Eisen zermalmen.
»Ich bin der Seraskier eines fernen Landes,« antwortete der Glänzende. »Ich liebe Dich und hörte vor einer Stunde, daß Dein Stamm ausgerottet werden soll. Darum setzte ich mich auf mein Roß, welches zu fliegen vermag, wie der Gedanke des Menschen, und eilte herbei, Dich zu warnen.«
»Wer ist es, der meinen Stamm ausrotten will?« frug Mohammed.
Der Himmlische nannte die Namen der Feinde.
»Weißt Du dies gewiß?«
»Mein Schild sagt mir Alles, was auf Erden geschieht. Blicke her!«
Mohammed sah auf den goldenen Schild. In der Mitte desselben war ein Karfunkel, fünfmal größer als die Hand eines Mannes, und in diesem sah er alle seine Feinde, wie sie sich versammelten, um gegen ihn zu ziehen.
»Welch ein Heer!« rief er. »Wir sind verloren!«
»Nein, denn ich werde Dir helfen,« antwortete der Fremde. »Versammle alle Deine Krieger um das Thal der Stufen und warte, bis ich Dir die Feinde bringe!«
Er gab hierauf seinem Pferde ein Zeichen, worauf es wieder emporstieg und hinter der Wolke verschwand. Mohammed Emin aber wappnete sich und die Seinen und zog nach dem Thale der Stufen, welches er rundum besetzte, so daß die Feinde wohl hinein, aber nicht wieder heraus konnten. Am andern Morgen kam der fremde Jenmeki geritten. Er leuchtete wie hundert Sonnen, und dieses Licht blendete die Feinde, so daß sie die Augen schlossen und ihm folgten mitten in das Thal der Stufen hinein. Dort aber kehrte er seinen Schild um; der Glanz wich von ihm, und sie öffneten die Augen. Da sahen sie sich in einem Thale, aus dem es keinen Ausweg gab, und mußten sich ergeben. Mohammed Emin tödtete sie nicht; aber er nahm ihnen einen Theil ihrer Heerden und forderte einen Tribut von ihnen, den sie jährlich geben müssen, so lange die Erde steht.«
So erzählte der Kurde und schwieg nun.
»Und was geschah mit dem fremden Seraskier?« fragte der Bey.
»Sallam aaleïkum! sprach er; dann erhob sich sein schwarzes Roß in die Wolken, und er verschwand,« lautete die Antwort.
»Diese Geschichte ist sehr schön zu hören; aber weißt Du auch, ob sie wirklich geschehen ist?«
»Sie ist geschehen. Fünf Männer vom Dschelu waren zu derselben Zeit in Salamijah gewesen, wo es von den Haddedihn erzählt wurde. Sie kamen hier vorüber und berichteten es mir und meinen Leuten.«
»Du hast recht; diese Geschichte ist geschehen, aber anders als Du sie vernommen hast. Willst Du das schwarze Roß des Seraskiers sehen?«
»Herr, das ist nicht möglich!«
»Es ist möglich, denn es steht in der Nähe.«
»Wo?«
»Dort der Rapphengst ist es.«
»Du scherzest, Bey!«
»Ich scherze nicht, sondern ich sage Dir nichts als die Wahrheit.«
»Das Pferd ist herrlich, wie ich noch keines gesehen habe, aber es ist ja das Roß dieses Mannes!«
»Und dieser Mann ist der fremde Seraskier, von dem Du erzählt hast.«
»Unmöglich!«
Er machte vor Erstaunen den Mund so weit auf, daß man die ausgiebigsten zahnärztlichen Beobachtungen und Operationen hätte vornehmen können.
»Unmöglich, sagst Du? Habe ich Dich einmal belogen? Ich sage Dir noch einmal, daß er es wirklich ist!«
Die Augen und Lippen des Häuptlings öffneten sich immer weiter; er starrte mich wie sinnlos an und streckte ganz unwillkürlich seine Hand nach dem Honig aus, kam aber daneben und griff in den Tabaksbeutel. Ohne dies zu bemerken, langte er zu und schob eine ziemliche Portion des narkotischen Krautes zwischen seine weißglänzenden Zähne hinein. Ich hatte diesen Tabak sehr in Verdacht, alles Andere, aber nur kein Tabak zu sein, und jedenfalls hatte ich da ganz richtig vermuthet; denn er brachte im Momente eine so schnelle krampfhebende Wirkung hervor, daß der Häuptling augenblicklich die Kinnladen zuklappte und meinem guten Ali Bey den Inhalt seines Mundes in das Gesicht sprudelte.
»Katera peghamber – um des Propheten willen! Ist er es wirklich?« frug er noch einmal, und zwar in der äußersten Bestürzung.
»Ich habe es Dir bereits versichert!« antwortete der Angenetzte, indem er sich mit dem Zipfel seines Kleides das Angesicht reinigte.
»O Seraskier,« wandte sich jetzt der Mann zu mir; »atina ta, inschiallah, keïrah – gebe Gott, daß uns Dein Besuch Glück bringe!«
»Er bringt Dir Glück, das verspreche ich Dir!« antwortete ich.
»Dein Roß ist hier, das schwarze,« fuhr er fort, »aber wo ist Dein Schild mit dem Karfunkel, Dein Panzer, Dein Helm, Deine Lanze, Dein Säbel?«
»Höre, was ich Dir sage! Ich bin der fremde Krieger, welcher bei Mohammed Emin gewesen ist, aber ich stieg nicht vom Himmel herab. Ich komme aus einem fernen Lande, aber ich bin nicht der Seraskier desselben. Ich habe nicht goldene und silberne Waffen gehabt, aber hier siehst Du Waffen, wie Ihr sie nicht habt, und mit denen ich mich vor vielen Feinden nicht zu fürchten brauche. Soll ich Dir zeigen, wie sie schießen?«
»Sere ta, Ser babe ta, Ser hemscher ta Ali Bey – bei Deinem Haupte, beim Haupte Deines Vaters und beim Haupte Deines Freundes Ali Bey, thue es nicht!« bat er erschrocken. »Du hast die Rüstung, die Lanze, den Schild und das Schwert von Dir gelegt, um diese Waffen zu gebrauchen, die vielleicht noch viel gefährlicher sind. Nezanum zïeh le dehm – ich weiß nicht, was ich Dir geben soll; aber versprich mir, daß Du mein Freund sein willst!«
»Was kann es nützen, wenn Du mein Freund wirst? In Deinem Lande gibt es ein Sprichwort, welches lautet: ›Dischmini be aquil schi yari be aquil tschitire – ein Feind mit Verstand ist besser als ein Freund ohne Verstand.‹«
»Bin ich unverständig gewesen, Herr?«
»Weißt Du nicht, daß man einen Gast begrüßen muß, zumal wenn er mit einem Freunde kommt?«
»Du hast recht, Herr! Du strafst mich mit einem Sprichworte; erlaube, daß ich Dir mit einem andern antworte: ›Betschuk lasime thabe 'i mesinan bebe – der Kleine muß dem Großen gehorsam sein.‹ Sei Du der Große; ich werde Dir gehorchen!«
»Gehorche zunächst meinem Freunde Ali Bey! Er wird siegen, und Deine Türkenflinten sind Dir dann gewiß.«
»Du zürnst? Verzeihe mir! Ser sere men; bu kalmeta ta siuh taksir nakem – bei meinem Haupte; um Dir zu dienen, werde ich nichts sparen. Nimm diese Trauben und iß; nimm diesen Tabak und rauche!«
»Wir danken Dir,« antwortete Ali Bey, der jedenfalls auch an sauberere Genüsse gewöhnt war. »Wir haben vor unserem Aufbruche gegessen und dürfen keine Zeit verlieren, nach Scheik Adi zurückzukehren.«
Er erhob sich, und ich that dasselbe. Der Häuptling begleitete uns bis an den Pfad und versprach noch einmal, seine Pflicht so vollständig wie möglich zu erfüllen. Dann ritten wir denselben Weg zurück, den wir gekommen waren.