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Ich hatte den nächsten Tag dazu bestimmt, einen Überblick über die ausgegrabenen Schriften zu gewinnen, sah mich aber leider in dieser Hoffnung getäuscht. Wir saßen noch beim Morgenkaffee, als wir plötzlich lautes Stimmengewirr und Fußtritte nahender Menschen hörten. Der Junge Adler sprang rasch zum südlichen Rand der Lichtung.
»Es kommt ein großer Menschentrupp«, meldete er dann. »Vermutlich sind es die Squaws der Sioux, die eigentlich nach dem Mount Winnetou wollen. Aber es sind auch einige Männer dabei.«
Als unser alter, guter Pitt Holbers erfuhr, wen wir hier zu erwarten hatten, kam er in eine Aufregung, die er vergeblich zu verbergen trachtete. Die Brüder Enters fühlten sich unsicher. Sie fragten, ob sie sich vielleicht zurückziehn sollten. Das war anständig von ihnen.
»Ihr gehört jetzt zu uns, und ihr bleibt bei uns«, erklärte ich. »Wer ich bin, bitte ich zu verschweigen.«
Damit war diese Sache abgemacht. Ich sah mit meiner Frau den Nahenden in großer Spannung entgegen, obgleich ich es bedauerte, nun auf die Durchsicht der Hefte verzichten zu müssen. Es vergingen immerhin noch einige Minuten. Diese Leute nahmen sich Zeit. Endlich hörten wir den Lärm schwatzender Stimmen, unterbrochen von halblauten Ausrufen. Sie kamen zu Fuß. Die Pferde waren wegen der steilen Stellen unten am Berg gelassen worden. Wir wurden von den Nahenden bemerkt, noch ehe sie den Bäumen hervorgetreten waren. Das schlossen wir aus dem Umstand, daß die lauten Stimmen plötzlich verstummten. Hierauf sahen wir einen langen, hagern Menschen erscheinen, der sich in einem sonderbar hochbeinigen, schlingernden Gang auf uns zu bewegte. Er war nicht indianisch gekleidet, sondern trug einen tadellosen Yankeeanzug mit einem weißen, hohen Kragen und ebenso weißen, glänzenden Manschetten. An seiner Brust prahlte eine große, echte Nadelperle, und an seinen Fingern glänzten einige Diamanten nebst andern Edelsteinen. Aber seine Hände waren groß, seine Füße ebenso, und seine Nase – – oh, diese Nase! Die konnte nur von einer rasseechten indianischen Mutter und einem noch rasseechteren armenischen Vater stammen und schien an ihren beiden Seiten derart abgeschliffen zu sein, daß sich nur die dünne Scheidewand erhalten hatte. Für diese Nase zeigten sich die wimperlosen, zudringlichen Äuglein viel zu klein. Das Gesicht war schmal. Der Kopf glich einem Vogelkopf, aber dieser Vogel war nicht als kühner Adler zu denken, sondern als ein großschnabliger Pfefferfresser.
Dieser Mann kam auf uns zugeschlingert, blieb vor uns stehn, ohne zu grüßen, betrachtete uns, einen nach dem andern, wie verkäufliche Gegenstände oder wie völlig wertlose Personen, die sich das gefallen lassen müssen, und fragte dann:
»Wer seid ihr?«
Seine Stimme klang scharf und spitz. Leute mit solchen Stimmen pflegen gefühllos und rücksichtslos zu sein. Da er nicht gleich eine Antwort erhielt, wiederholte er seine Frage:
»Wer seid ihr? Ich muß das wissen!«
Meiner Frau und mir fiel es nicht ein, ihm Rede zu stehn; auch der Junge Adler schwieg stolz. Die beiden Enters hatten Grund, sich nicht hervorzutun, und so war es schließlich Hammerdull, der sich der Sache annahm. Er wandte sich mit größter Gemütsruhe an seinen langen Freund und fragte:
»Was meinst du, Pitt, soll ich?«
»Wenn du denkst, daß wir sonst keine Ruhe vor ihm bekommen, so gebe ich dir recht.«
»Ob Ruhe oder nicht, das bleibt sich gleich; aber ich will ihm sofort reinen Wein einschenken.«
Damit stand er auf, schritt langsam auf den Fremden zu und begann:
»Ihr müßt unsre Namen wissen? Wer zwingt Euch denn dazu?«
»Zwingt? Von einem Zwang ist keine Rede. Ich will! Und wenn ihr euch weigert, meine Frage zu beantworten, so haben wir die Mittel an der Hand, euch Benehmen beizubringen.«
»Benehmen beibringen? Ihr? Egad, den Mann, der das sagt, muß ich mir doch genauer betrachten.«
Er faßte ihn bei den Armen, drehte ihn nach rechts, nach links, schließlich ganz um sich herum, schüttelte ihn, daß alle Knochen wackelten, und sagte dann:
»Hm! Bin doch sonst nicht so dumm! Aber aus diesem Kerl werde ich nicht klug. Ihr seid kein Ganzindianer, sondern nur ein halber! Ist das richtig?«
Der Gefragte wollte aufbrausen, da aber schüttelte ihn der alte Westmann zum zweitenmal.
»Halt! Keine Grobheiten! Die vertrage ich nicht! Wer hierherkommt und uns, ohne zu grüßen, zwingen will, uns aushorchen zu lassen, wie es ihm beliebt, der ist erstens ein ungezogner Mensch und zweitens ein Schafskopf. Hier ist unser Lagerplatz. Nach den Gesetzen der Prärie gehört er uns, bis wir ihn verlassen. Wir waren eher da als Ihr. Wir sind hier daheim. Wer unser Heim betritt, der hat höflichst zu grüßen und sich auszuweisen, sei er, wer er will. Verstanden? Und nun sagt mir vor allen Dingen erst einmal Euern Namen!«
Er hielt ihn an beiden Armen noch so fest, daß der Fremde das Gesicht vor Schmerz verzog und kleinlaut antwortete:
»So laßt doch wenigstens los! Mein Name ist Okih-tschin-tscha. Bei den Bleichgesichtern heiße ich Antonius Paper!«
»Antonius Paper und Okih-tschin-tscha? Schön! Aber ein Ganzindianer seid Ihr nicht?«
»Nein.«
»Eure Mutter war Indianerin?«
»Ja.«
»Von welchem Stamm?«
»Sioux.«
»Und Euer Vater?«
»Der kam aus dem Gelobten Land herüber und war von Geburt Armenier.«
»Gelobtes Land oder nicht, das bleibt sich gleich. Aber die Armenier sind, wenn sie herüberkommen, immer Händler. Ihr wohl auch?«
»Ich bin Bankier«, erwiderte der Fremde stolz. »Nun aber laßt mich los! Und sagt auch, wer Ihr seid!«
»Soll geschehn! Ich bin ein alter, wohlbekannter Prärieläufer und heiße Dick Hammerdull. Der Lange dort, der Euch so liebevoll betrachtet, ist mein Freund Pitt Holbers, ebenfalls ein Name, der sich hören läßt. Auch er ist Westmann. Nebenbei ist es unser beider besondres Vergnügen, grobe Leute höflich zu machen. Ihr seid nicht allein, wie wir sahen. Eure Begleiter stecken noch dort drüben zwischen den Bäumen!«
»Das stimmt.«
»Es sind Frauen dabei?«
»Ja.«
»Siouxfrauen, die nach dem Mount Winnetou wollen?
»Woher wißt Ihr das?«
»Das ist meine Sache, nicht Eure. Wer sind die Männer dabei?«
»Das sind die Herren vom Ausschuß mit ihrer Dienerschaft und den Führern.«
»Was für ein Ausschuß?«
»Der Ausschuß für den Bau eines Denkmals –«
Er hielt inne. Es fiel ihm ein, daß Weiße als Mitwisser ja eigentlich ausgeschlossen waren. Darum fuhr er fort:
»Fragt sie selber! Ich bin nicht ermächtigt, über die Zwecke dieses Ausschusses Auskunft zu erteilen! Und laßt mich nun endlich los!«
Da gab Dick ihn frei.
»So kehrt zu ihnen zurück und nennt ihnen meinen Namen! Auch Pitt Holbers lasse sie grüßen. Besonders die Damen! Es sind einige dabei, die sich darüber freuen werden.«
Herr Antonius Paper schlingerte wieder über die Lichtung hinüber, bis er unter den Bäumen verschwand. Sein Indianername Okih-tschin-tscha bedeutet in der Siouxsprache so viel wie ›Knabe‹. Er schien sich also schon von Jugend auf nicht allzusehr durch männliche Taten und Eigenschaften ausgezeichnet zu haben. Er war der Kassierer des Denkmalausschusses für Winnetou. Man wird sich erinnern, daß ich mir von Anfang an Gedanken darüber gemacht hatte, wie Old Surehand ausgerechnet zu diesem Menschen kam. Nun, als ich ihn heut zum erstenmal sah, war der Eindruck, den er auf mich machte, nicht günstig. Meine Frau dachte ebenso.
»Ein Mischling!« sagte sie. »Du bist doch immer der Meinung, daß diese Halbblutleute meist nur die schlimmen Eigenschaften ihrer Eltern erben?«
»Ja, meist. Aber schau! Man kommt!«
Kaum hatte der Halbindianer drüben den Namen Pitt Holbers genannt, so hörten wir den frohen Ruf einer weiblichen Stimme, und gleich darauf erschienen zwei Frauengestalten, die mit eiligen Schritten über die Lichtung herüberkamen. Die eine war Aschta, die wir am Kanubisee gesehn hatten, die andre wahrscheinlich ihre Großmutter. Die übrigen Frauen folgten ihnen auf dem Fuß, hinter ihnen die Männer in langsameren, würdigeren Schritten.
Wir standen alle auf.
»Mir wird ganz sonderbar zumute«, sagte Pitt Holbers und lehnte sich an den nächsten Baum. Seine alten, ehrlichen Augen standen weit offen und waren mit erwartungsvollem Ausdruck auf die Nahenden gerichtet.
Man erkannte auf den ersten Blick, daß die beiden Frauen eng miteinander verwandt sein mußten, so sprechend ähnlich zeigten sich ihre Gesichtszüge. Dazu kam, daß sie völlig gleich gekleidet waren. Überhaupt stimmten die vierzig Indianerinnen in ihrem Äußeren alle überein. Auch trugen sie sämtlich den Stern des Clan Winnetou.
Die Gattin Wakons mußte nach meiner Berechnung beinahe sechzig Jahre alt sein, aber das Alter hatte ihren Zügen nicht jene Schönheit rauben können, an der die Seele nicht weniger Anteil hat als der Körper.
»Da ist er«, sagte die Jüngere, indem sie auf Holbers zeigte. »Und dort steht der Junge Adler, von dem ich dir ebenfalls erzählte.«
Aber ihre Begleiterin achtete jetzt nur auf den weißen Jäger. Sie blieb einen Augenblick stehn und ließ ihren Blick über ihn gleiten.
»Ja, er ists!«
Dann trat sie zu ihm heran, ergriff seine Hände und hob ihre Augen zu seinem Gesicht empor.
»Warum kamt Ihr nicht? Warum seid Ihr uns immer ausgewichen? Es ist grausam, den Dank der Herzen, die es ehrlich meinen, abzulehnen.«
Der alte Westmann konnte vor Bewegung kein Wort hervorbringen. Aus seiner Brust kam ein Laut, halb Ächzen, halb unterdrückter Jubel. Dann entwand er rasch seine Hände denen Aschtas, drehte sich um und entfernte sich mit eiligen Schritten, in den Wald hinein. Die beiden Frauen gingen ihm langsam nach.
Ich war der Meinung, daß hierauf zwischen uns und den Neuangekommenen ein kurzes Schweigen der Verlegenheit eintreten würde, aber ich hatte mich geirrt. Freilich war es diesmal nicht Mr. Antonius Paper, der das Wort ergriff, obgleich er nicht übel Lust zeigte, es nochmals mit uns zu versuchen. Vielmehr löste sich aus der Reihe der Männer ein Gentleman und trat mit verbindlichem Lächeln auf uns zu.
»Wir wünschen, uns euch vorzustellen. Ich bin Agent, Agent für alles, und heiße Evening. Hier steht Mr. Simon Bell, Professor der Philosophie. Und da seht ihr Mr. Edward Summer, Professor der klassischen Philologie. Genügt euch das?«
Man sah es ihm an, daß er erwartete, uns förmlich niedergeschmettert zu haben, und ich gestehe gern ein, daß diese beiden Professoren bisher meine Hochachtung besaßen; gesehn hatte ich sie noch nie. Zunächst bestand für mich kein Anlaß, diesen Männern nicht höflich und anständig entgegenzukommen, zumal alle vier im Verein mit Old Surehand ja den Ausschuß bildeten, in dessen Hände das geplante Winnetou-Denkmal gegeben war.
Dick Hammerdull machte Miene zu antworten, aber ich wehrte mit einer Handbewegung ab. Dann verbeugte ich mich ebenso verbindlich, wie Mr. Evening es getan hatte.
»Ich fühle mich geehrt, so hervorragende Männer der Wissenschaft kennenzulernen. Darf ich fragen, womit ich den Herren dienen kann?«
»Das ist mir sehr lieb. Ich werde Euch sofort Gelegenheit geben, die Antwort zu hören. Darf ich zunächst um Euern Namen bitten?«
»Ich heiße Burton.«
»Und die Lady neben Euch?«
»Ist meine Frau.«
»Die beiden Gentlemen, die hinter Euch stehn?«
»Sind Brüder. Mr. Hariman und Mr. Sebulon Enters. Ferner sehn Sie hier den Jungen Adler vom Stamm der Mescaleros und Dick Hammerdull, einen Westmann.«
»Ich danke Euch. Nun aber gestattet mir, den eigentlichen Kern der Sache zu besprechen! Wir sind gekommen diesen Platz zu besichtigen, und glaubten, niemand hier zu finden. Eure Gegenwart ist uns störend.«
So höflich, wie er das sagte, so rücksichtslos war es auch. Ich sah die beiden Professoren an und antwortete nicht sogleich.
»Ihr versteht mich doch?« fragte er.
»Gewiß«, erwiderte ich. »Es wurde ja deutlich genug gesagt.«
»Nun?«
»Ihr wünscht, daß wir uns entfernen?«
»Ja.«
»Wie weit?«
»Welch eine Frage! Ich meine selbstverständlich nicht nur zehn oder zwanzig oder fünfzig Schritte! Ihr sollt fort von hier, vollständig fort!«
»Wünschen das auch die Herren Professoren?«
Die Herren bejahten diese Frage sehr entschieden, und der Agent fügte überdies noch erklärend hinzu:
»Mr. Antonius Paper ist von einem von euch recht derb empfangen worden. Unsre Angelegenheit aber ist denkbar zart, wie soll ich sagen – zerbrechlich! Ich habe das Gefühl, daß Ihr nicht zu uns paßt.«
»Das sehe ich ein, Mr. Evening! Wir werden diesen Platz also verlassen.«
»Nicht nur zum Schein?«
»Nein.«
»Und wann?«
»Sofort. Ich bitte nur um so viel Zeit, wie wir nötig haben, das Zelt abzubrechen und die Pferde zu satteln.«
»Die sei Euch gern gewährt. Ich sehe, Ihr seid vernünftiger, als wir glaubten.«
Ich wandte mich mit meiner Frau nach dem Zelt und bat den Jungen Adler, Hammerdull und die beiden Enters, uns zu helfen.
»Wie schade«, klagte meine Frau leise, »die uns so heilige Stätte in dieser Weise verlassen zu müssen!«
Dabei stand ihr das Weinen nahe.
»Sei ruhig!« bat ich. »Wir kommen auf dem Rückweg wieder her und gewiß unter günstigeren Umständen.«
Meine Frau war mit diesem Bescheid sichtlich nicht zufrieden.
»Muß es denn sein?« klagte sie. »Sollen wir diesen Menschen so schmählich weichen?«
Ich wehrte ruhig ab.
»Willst du dich mit ihnen herumzanken?«
»Das nicht, aber –«
»Laß sie!« fiel ich ihr ins Wort. »Wir rechnen später mit ihnen ab. Jetzt pack unsre Sachen ein!«
Mit diesem Einpacken ging es bedeutend schneller, als wir dachten. Die Herren vom Ausschuß hatten die ›Güte‹, uns einige von ihren Hands Diener zur Verfügung zu stellen, so daß wir grad fertig und zum Aufbruch bereit waren, als die beiden Frauen und Pitt Holbers aus dem Wald zurückkehrten. Sein Gesicht strahlte im Ausdruck einer tiefen Freude. Als er die Maultiere bepackt, uns bei den Pferden stehen und den Jungen Adler sogar schon im Sattel sitzen sah, rief er verwundert:
»Was ist das? Wollt Ihr etwa fort?«
»Ja, fort«, antwortete ich. »Steigt auf!«
»Unmöglich! Ich habe versprochen zu bleiben!«
»So bleibt! Wort muß man halten! Ich aber habe versprochen, den Nugget Tsil zu verlassen, und zwar sogleich.«
»Wem verspracht Ihr das?«
»Den Gentlemen da.«
Ich deutete dabei auf die Herren vom Ausschuß.
»Wir sind ihnen zu derb!« fügte Dick hinzu, um seinem Ärger Luft zu machen.
»Nicht zart, nicht zerbrechlich genug!« vervollständigte Hariman Enters. »Sie meinen, daß wir an keine Stelle passen, wo sie sich befinden!«
»Das ist eine Unverschämtheit sondergleichen!« brauste Holbers auf. »Wir sind anständige Menschen und –«
»Still!« unterbrach ich ihn. »An der Sache ist nichts zu ändern. Wir gehn. Ihr könnt ja morgen nachkommen!«
»Was? Euch allein lassen, Euch und Ms. Burton? Da wäre ich ja der größte Halunke! Nein, nein! Ich reite mit! Ich bitte die Ladies, mir mein Wort zurückzugeben! Sie werden es gewiß tun. Denn ich verspreche ihnen, daß wir uns bald wiedersehn!«
Er nahm von ihnen in bärenhafter, aber wahrhaft rührender Weise Abschied und ging zu seinem auch schon gesattelten Maultier. Da richtete sich die Gattin Wakons hoch auf und fragte mit lauter, gebieterischer Stimme über den Platz hinweg:
»Was ist hier geschehn? Ich will es wissen als Weib Wakons, des Unbestechlichen, der sich weigerte, Mitglied dieses Ausschusses zu sein. Sagt es mir!«
»Der wird es dir sagen, der da kommt«, fiel ihre Enkelin ein, indem sie auf den Jungen Adler deutete, der sein Pferd in tänzelndem Schritt nach der Stelle trieb, wo beide standen.
Als er sie erreicht hatte, rief er mit weithin vernehmbarer Stimme:
»Ich bin ein Winnetou vom Stamm der Apatschen. Ich kehre aus den Wohnorten der Bleichgesichter heim zur Stätte meiner Ahnen. Man nennt mich den Jungen Adler –«
»Der Junge Adler – – der Junge Adler!« raunte es von Mund zu Mund. Man kannte diesen Namen, obgleich sein Träger noch so jung an Jahren war.
Er fuhr fort:
»Ich erkläre hiermit im Namen aller Winnetous vom Stamm der Apatschen, daß dieser Ausschuß nicht würdig ist, die große Frage, vor deren Lösung wir stehn, zu entscheiden! Ich habe gesprochen. Howgh!«
Er nahm sein Pferd vorn hoch, um den Platz zu verlassen.
»Auch du willst fort?« fragte Aschta, die Ältere.
»Man braucht mich. Aber wir sehn uns wieder.«
»Wann und wo?« fragte die Enkelin.
»Am Mount Winnetou.«
Diese beiden Fragen und Antworten wurden in gedämpftem Ton und nicht in englischer Sprache, sondern im Apatsche gewechselt. Die Ältere fügte hinzu:
»Du bist ein Liebling Wakons, meines Gatten. Du wirst auch ihn am Mount Winnetou sehn. Kommst du vielleicht schon vor den Tagen der Ausstellung zu Tatellah-Satah?«
»Ich hoffe es.«
»So sag ihm, daß Aschta, das Weib Wakons und ebenso die Enkelin des größten Medizinmanns der Senekas mit allen Frauen der roten Rasse an seiner Seite stehn im Kampf gegen den Unverstand.«
»Ich danke dir in seinem Namen. Wie kommt es, daß ihr trotzdem mit diesem Ausschuß des Unverstandes reitet?«
»Der Zufall führte uns mit ihnen zusammen. Sie hängten sich an uns, obgleich wir das nicht wünschten. Sie wollen erfahren, was wir in unserm Kampmeeting am Mount Winnetou beraten und beschließen werden. Wir verraten es ihnen aber nicht. Wir übergeben dir unsern Freund und Retter und bitten dich, über ihn zu wachen. Wer ist übrigens das Bleichgesicht, das sich mit seiner Squaw bei dir befindet?«
»Hat Mr. Holbers es euch nicht gesagt?«
»Nein. Wir fragten ihn, aber er schwieg. Doch scheint er diese beiden sehr hochzuachten.«
Ich hielt so nahe bei ihnen auf dem Pferd, daß ich diese Worte hörte. Wakons Frau glaubte, von mir, dem Weißen, nicht verstanden zu werden. Der Junge Adler warf einen fragenden Blick herüber. Er hätte den beiden Frauen gern gesagt, wer ich war. Ich gab ihm durch ein Senken der Augenlider die Erlaubnis dazu. Da trieb er sein Pferd noch einen Schritt weiter an sie heran und sprach:
»Wenn dieser Weiße und seine Squaw nicht erfahren sollen, was ihr mit mir redet, so müßt ihr leiser sprechen.«
»Warum?«
»Er versteht die Sprache der Apatschen.«
»So hat er uns ja schon verstanden«, hauchte sie sichtlich verlegen.
»Allerdings, jedes Wort. Aber du hast dennoch nicht nötig zu erschrecken. Er war ein Freund Winnetous, und er ist auch der eurige. Er will nicht, daß man jetzt schon seinen Namen erfährt; aber wenn ihr mir versprecht, verschwiegen zu sein, so darf ich ihn euch nennen.«
»Wir werden schweigen!«
»Nun wohl, er ist Old Shatterhand.«
»Old Shat – – –!« Sie konnte den Namen vor Überraschung nicht ganz aussprechen. Sie erbleichte für einen Augenblick. Dann rötete sich unter der zurückkehrenden Blutwelle ihr Gesicht um so mehr. »Ist das wahr?«
»Ja, er ists«, versicherte der Junge Adler.
»Der beste, der treuste Freund und Bruder unsres Winnetou! Zum erstenmal im Leben sehe ich ihn! O könnte ich – könnte ich –!«
Sie schlug die Hände zusammen und schaute wie hilflos zu mir empor. Ihre Enkelin aber trat zu mir heran und hob die Rechte zum Gruß.
»Old Shatterhand wird willkommen sein bei allen Brüdern und Schwestern des Clan Winnetou. Er kommt denen, die im Geist des großen Häuptlings leben, wie der erlösende Strahl der Morgensonne. Er wird sie zu dem Licht führen, das Wakon verheißen hat.«
Ich reichte den beiden Indianerinnen die Hand.
»Wakon, der unermüdliche Forscher und Finder, steht hoch in meiner Achtung; denn es ist die Seele seines Volks, nach der er sucht. Ich freue mich, daß ich ihn am Mount Winnetou sehn werde. Und ich bin stolz darauf, schon heut seiner Squaw und seiner Enkelin begegnet zu sein. Am meisten aber beglückt es mich zu wissen, daß wir Verbündete sind. Das Andenken Winnetous gehört in die Herzen unsrer Männer und Frauen, in die Seelen unsrer Völker, nicht aber auf die kahlen, windigen Höhen prahlerischer Öffentlichkeit. Ich bitte zu verschweigen, daß ihr mich hier getroffen habt. Wir sehn uns wieder. Zur rechten Zeit an der rechten Stelle!«
Wir ritten fort, mit höflichem Gruß für die Frauen, doch ohne einen Blick für die Männer. Es ging langsam dieselben Steilungen hinab, die wir heraufgekommen waren. Unten sahen wir die Pferde derer stehn, die uns vertrieben hatten; sie kümmerten uns nicht. Als der Weg eben wurde und wir aus dem Wald herauskamen, konnten wir eine größere Schnelligkeit entwickeln. Das erwies sich als notwendig, nicht weil wir mit der Zeit hätten geizen müssen, sondern weil die Verhältnisse mich zwangen, in diesem Fall den graden Weg zu meiden. Unser nächstes Ziel lag genau im Südwesten. Dennoch hielt ich nach Südosten auf die Gabel des North Fork und des Salt Fork des Red River zu, also auf die Gegend, wo sich früher Vgl. ›Winnetou‹ I und III das Zeltdorf der Kiowas befunden hatte. Ich hatte mich erst nach reiflichem Bedenken zu dieser Streife durch feindliches Gebiet entschlossen. Die alten, blutdürstigen Zeiten waren zwar, Gott sei Dank, vorüber, aber der alte Haß war noch nicht tot; der lebte heut noch. Das war sehr deutlich aus den Briefen zu ersehn, die ich von To-kei-chun, dem Häuptling der Racurroh-Komantschen, und von Tangua, dem ältesten Häuptling der Kiowas, erhalten hatte. Unser Weg führte durch das Gebiet dieser beiden Stämme, und ich war mir wohl bewußt, daß ich, wenn auch keinen Fehler, so doch ein Wagnis beging, indem ich mit meiner Frau grade diese schlimme Gegend durchquerte. Ich hatte kein gutes Gewissen, hütete mich aber, ihr das zu sagen. Anlaß zu diesem Unternehmen war für mich aber nicht etwa eine Regung des Leichtsinns. Ich wollte vielmehr die Herren vom Denkmalsausschuß, die uns in kurzer Zeit folgen und gleichfalls nach Südwest halten mußten, über unser Ziel täuschen. Sie sollten nicht ahnen, daß wir überhaupt am Mount Winnetou erscheinen würden. Darum durften sie unsre Fährte nicht lesen. Sie sollten meinen, wir hätten uns nach Südost entfernt. Später wollte ich dann südwestlich einbiegen und gleichlaufend neben dem mutmaßlichen Reiseweg des Ausschusses herreiten.
Von all diesen Erwägungen wußte meine Frau nichts. Während wir auf ebenem Boden im Galopp nebeneinander dahinflogen, warf sie mir von der Seite her zuweilen heimlich einen Blick zu, den ich aber doch bemerkte. Ich verstand diesen Blick gar wohl. Sie kann kein Unrecht ertragen, selbst dann nicht, wenn dieses Unrecht nicht in einer Tat, sondern nur in einem Gedanken besteht. Sie muß es bekennen. Eher läßt es ihr keine Ruhe. Sie hatte jetzt so etwas, was sie loswerden wollte. Daher ihre Blicke. Endlich, als sie wieder einmal so forschend herüberschaute, sah ich ihr voll ins Gesicht und forderte sie lachend auf:
»Na also, heraus damit!«
»Womit?« fragte sie.
»Mit dem Geständnis!«
»Geständnis? Was sollte ich wohl zu gestehn haben?«
»Das weiß ich nicht. Ich hoffe es eben von dir zu erfahren!«
»So? Höre, was hältst du wohl von einer Ehe, in der die arme, unglückliche Frau ihren Mann nie ansehn darf, weil er bei jedem Blick, den sie auf ihn richtet, glaubt, sie hätte ihm ein Geständnis zu machen?«
»Meine Meinung lautet dahin, daß diese arme, unglückliche Frau sehr glücklich verheiratet ist, denn sie hat einen Mann, der sie kennt und versteht.«
»Hm! Der aber trotzdem nicht weiß, was sie ihm gestehn soll, denn er sagt immer nur: ›Ich hoffe, es von dir zu erfahren!‹ Leider ist es in diesem einen, einzigen Fall richtig, daß ich dir Abbitte leisten muß. Ich war nicht einig mit dir, wenn auch nur im stillen.«
»Nicht einig? Inwiefern?«
»Ich wäre so gern da oben geblieben und hielt es wirklich für eine Schwäche von dir, diesen Menschen Platz zu machen.«
»Und nun?«
»Ja, nun! Du handeltest doch richtig. Wären wir geblieben, so hätte es nur Gehässigkeiten gegeben, also eher eine Niederlage als einen Sieg. Auch an eine ruhige Durchsicht der ausgegrabnen Hefte wäre nicht zu denken gewesen. Hier aber sind wir frei, ohne Zank und Streit und Bitterkeit, und – – das erste, große Vorpostengefecht ist gewonnen.«
»Das siehst du ein?«
»Ja, gern! Übrigens hat mir diese ältere Aschta, die Frau Wakons, gefallen. Sie ist eine gebildete Frau. Kein einziges von all den Ausschußmitgliedern reicht geistig an sie heran. Die ist wahrlich nicht nach dem Mount Winnetou unterwegs, um dort als Frauenrechtlerin Reden zu halten! Die weiß, was sie will! Aber sie sagt es nicht; das gefällt mir ganz besonders! Indem du dich vertreiben ließest, hast du dir in ihr eine Helferin gewonnen, die nicht zu unterschätzen ist.«
»Ja«, lachte ich fröhlich, »es wird eine Amazonenschlacht zwischen ihr und dem Ausschuß! Ich bin sehr gespannt auf die Entwicklung, der wir entgegengehn. Wir hörten, daß Kiktahan Schonka ein unerbittlicher Feind Wakons ist. Ich vermute, daß Wakon an der Spitze der jungen Sioux ebenso nach dem Mount Winnetou kommen wird, wie Kiktahan Schonka die alten Sioux nach dem Dunklen Wasser führt. Zwei feindliche Richtungen desselben Stammes, die auf fremdem Gebiet aufeinanderplatzen! Wie kurzsichtig! Grad hieran ging die Rasse zugrunde! Dem muß gesteuert werden! Also du bist wieder einverstanden mit mir?«
»Vollständig. Wo lagern wir heut abend?«
»Am Nordarm des Red River. Morgen kommen wir an den Salzarm desselben Flusses, an dem damals das Dorf der Kiowas lag. Das ist jetzt wohl nicht mehr der Fall.«
Es geschah, wie ich gesagt hatte. Wir erreichten gegen Abend den Nordarm des roten Flusses und machten an seinem Wasser Rast.
Noch ehe wir uns an diesem Abend schlafen legten, beschrieb ich meinen Gefährten den Weg, den ich damals, um Santer zu verfolgen, von dem Dorf der Kiowas aus genommen hatte. Für diesmal aber schlug ich ihnen einen andern, näheren Weg vor. Sie gingen darauf ein, und so kam es, daß wir schon nach drei Wochen in die Nähe des Ziels gelangten, eher als es sonst möglich gewesen wäre.
Die Gegend, durch die wir am nächsten Tag ritten, war öd und wasserlos. Kein Baum, kein Strauch, kein Grashalm erfreute das Auge. Es gab nur Steine und Felsen. Das Gelände war bisher eben gewesen, begann aber nun langsam zu steigen. Es war schon Mittag. Wir hielten jedoch nicht an, um zu essen oder auszuruhn, denn es fehlte das Wasser, auf das wir erst später, wenn wir höher hinaufkamen, rechnen durften. Da sahen wir einen Reiter, weit vor uns draußen, der durch eine kleine Anhöhe verdeckt gewesen war und nun langsam hervorkam, um uns entgegenzureiten. Er hatte uns von seinem Versteck aus beobachtet. Warum blieb er nicht verborgen? Warum kam er schon jetzt hervor? Er konnte uns ja noch gar nicht genau erkennen. Ein erfahrener Krieger hätte gewartet, bis er uns in größerer Nähe hatte. Lag der Grund etwa nur darin, daß die alten Zeiten der Gefahr vorüber waren und man deshalb überhaupt nicht mehr so vorsichtig zu sein brauchte wie früher?
Es war ein Indianer. Er lenkte sein Pferd langsamen Schrittes auf uns zu. Dann hielt er an, um uns herankommen zu lassen. Er war von schmaler, keineswegs kräftiger Gestalt, dabei nur mittelgroß. Seine Kleidung bestand aus buntem Pueblostoff. Unter dem aus Agavefasern geflochtnen Hut floß das dunkle Haar lang auf den Rücken nieder. Im Gürtel trug er ein Messer, am Riemen ein leichtes Gewehr. Sein Pferd war ein rassiges Tier, und die Haltung des Reiters war selbstbewußt, indianisch-edel, nach unsern Begriffen schneidig. Das Gesicht, selbstverständlich völlig bartlos, wollte mir bekannt erscheinen; nur wußte ich nicht gleich, warum. Es hatte weichere Linien und eine hellere, wärmere Farbe, als Indianer gewöhnlich zu haben pflegen. Und der Blick seines milden, ernsten Auges, das fast an Winnetous Schwester Nscho-tschi erinnerte – ah, da fiel es mir wieder ein, da wußte ich es mit einemmal, wo und wann ich diesen Indianer gesehn hatte! Und in demselben Augenblick wurde auch ich von ihm erkannt. Ich war inmitten unsres kleinen Trupps geritten. Darum traf mich sein Auge nicht sogleich.
Wilde, trotzige Vergangenheit wuchs wie das Märchen eines großen Erzählers vor mir auf. Ich sah vor mir Tage, die nicht so ruhig gewesen waren wie das Heute. Sah mich im Kampf um Winnetous Testament am Marterpfahl der Kiowas und – ahnte, wen ich vor mir hatte.
Doch es fiel mir nicht ein, den andern das zu sagen. Das war ein Scherz, töricht vielleicht in seiner Einfalt. Aber er sollte gelten.
Der Rote sah fast verlegen aus und vergaß, uns anzureden. Darum ergriff Dick Hammerdull, der an unsrer Spitze ritt, das Wort.
»Wir grüßen unsern roten Bruder. Ist das der richtige Weg nach dem Wiconte-mini?«
Der Gefragte antwortete:
»Ich gehöre zum Stamm der Kiowas. Wiconte-mini aber ist ein Siouxwort; doch kenne ich es. Ja, diese Richtung führt nach dem See. Wollen meine Brüder dorthin?«
»Ob wir hinwollen oder nicht, das bleibt sich gleich. Aber wir gehn auf alle Fälle hin.«
»So warne ich euch.«
»Warum?«
»Wiconte-mini heißt Wasser des Todes. Reitet ihr hin, so kann der See leicht wirklich zu einem Wasser des Todes für euch werden.«
Hammerdull hatte in seinem indianisch-englisch-spanischen Kauderwelsch gefragt; die Antwort war ihm in einem ziemlich guten Englisch geworden. Die Stimme des Kiowa klang wie die Stimme einer Frau, die sich bemüht, tief wie ein Mann zu sprechen.
»Warum drohst du uns mit dem Tod?« erkundigte sich der alte Jäger.
»Ich drohe nicht, sondern ich warne«, erwiderte der Rote.
»Ob du drohst oder warnst, das bleibt sich gleich, wenn wir nur den Grund erfahren!«
»Gründe, wie dieser, sind nicht billig. Man teilt sie nur den besten Freunden mit.«
»Wir sind deine Freunde.«
»Das sagst wohl du; ich aber kenne dich nicht.«
»So höre, wer wir sind: Ich heiße Dick Hammerdull, und der da neben mir ist Pitt Holbers. Da sind zwei Gentlemen, die Hariman und Sebulon Enters heißen. Der dort hinten ist Mr. Burton, und die Lady hier ist Mrs. Burton, seine Frau. Und unser roter Bruder an meiner Seite ist ein Sohn der Apatschen und wird der Junge Adler genannt.«
Der Kiowa sah uns in der Reihenfolge, in der wir nacheinander aufgezählt wurden, mit forschendem Auge an. Nur bei mir ließ er den Blick sinken. Auf der Gestalt meiner Frau ruhte lange und sinnend sein Auge. An den Jungen Adler aber ritt er nahe heran.
»Man erzählt bei uns von einem Jungen Adler der Apatschen, der aus dem Stamm Winnetous und sogar sein Verwandter ist. Bist du etwa dieser?«
»Ich bin es.«
»Du hast diesen Namen schon als Knabe bekommen, weil du einen freien Kriegsadler fesseltest und ihn zwangst, dich durch die Luft vom hohen Horst zur Erde zu tragen. Ist das richtig?«
»Es ist richtig.«
»So reiche ich dir meine Hand. Ich sehe den Stern der Winnetous auf deiner Brust. Auch ich bin ein Winnetou, doch habe ich jetzt noch Grund, es nur wenige sehn zu lassen. Schau her! Vertraust du mir?«
Er hob den Aufschlag seiner Jacke; da kam der zwölfstrahlige Stern zum Vorschein.
»Ich vertraue dir!« versicherte der Junge Adler.
»So erlaube mir, euer Führer zu sein! Ich habe euch erwartet.«
»Du –? Uns erwartet?« fragte der Apatsche ungläubig.
»Es ist so. Glaube es mir!«
Der Junge Adler schien doch irre werden zu wollen. Ein Angehöriger der feindlichen Kiowas! Der Stern konnte leicht den Zweck haben, böse Absichten zu verdecken. Ich bekam einen schnellen, fragenden Blick herübergeworfen und gab mit einem bejahenden Augenzwinkern heimliche Antwort.
»Ja, sei unser Führer!« entschied der Junge Adler.
Er wollte weiter sprechen, kam aber nicht dazu, denn Sebulon Enters richtete die schnelle Frage an den Kiowa:
»Sind die Sioux schon da?«
»Was für Sioux?« fragte der Rote.
»Die von dem alten Häuptling Kiktahan Schonka angeführt werden und nach dem Wiconte-mini wollen. Und die Utahs mit ihrem Anführer Tusahga Saritsch?«
Da verschwand der freundliche Ausdruck aus dem Gesicht unsres neuen Bekannten; sein Blick wurde schärfer.
»Kennt ihr diese beiden Häuptlinge?«
»Ja«, antwortete Enters.
»Ich hörte, ihr seid Brüder?«
»Die sind wir.«
»Kiktahan Schonka hat euch nach dem Wiconte-mini gesandt?«
»Ja.«
»So beeilt euch, schleunigst hinzukommen! Ihr werdet dort erwartet. Meldet euch bei Pida, dem Häuptling der Kiowas, dem Sohn des alten berühmten Häuptlings Tangua! Der wird euch zu Kiktahan Schonka und Tusahga Saritsch bringen.«
»Beeilen sollen wir uns? Weshalb?«
»Das weiß ich nicht. Es wurde mir gesagt.«
»Aber was wird dann aus euch? Wann und wo treffen wir euch wieder?«
Diese Frage wurde an meine Frau und mich gerichtet.
»Sorgt euch nicht«, sagte ich. »Wenn ich euch jetzt verspreche, daß ihr uns zur rechten Zeit und an der rechten Stelle treffen werdet, so werde ich ebenso Wort halten, wie es Old Shatterhand immer getan hat. Reitet also getrost weiter! Ihr könnt euch auf das Wort des Kiowa verlassen.«
»Und dieses Wiconte-mini ist wirklich das Dunkle Wasser, in dem unser Vater starb?«
»Ja. Ihr habt die Beschreibung der Örtlichkeit in meinem Buch gelesen. Ihr werdet sie sofort erkennen.«
»Aber der Weg ist uns unbekannt. Wie lange reitet ihr noch mit?«
Da antwortete der Kiowa rasch an meiner Stelle:
»Ihr reitet von jetzt an allein. Die andern weichen von der bisherigen Richtung ab. So will es Kiktahan Schonka, und dem habt ihr zu gehorchen. Euer Weg braucht euch nicht zu sorgen. Er geht gradaus. Sobald ihr in die Nähe des Sees gelangt, werdet ihr auf Posten treffen, die euch zu Pida führen.«
Er sagte das in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Die beiden Enters gehorchten. Sie verabschiedeten sich von uns und ritten weiter. Es schien, als ob sie uns nur ungern verließen, obgleich sie doch eigentlich darauf vorbereitet waren, sich von uns zu trennen, um uns an die Feinde zu verraten. Als sie außer Hörweite waren, wandte sich der Kiowa an den Jungen Adler:
»Kennt mein Bruder diese zwei Männer?«
»Wir kennen sie genau.«
»Wißt ihr, daß sie eure Feinde sind?«
»Ja.«
»Daß sie euch an Kiktahan Schonka ausliefern sollen?«
»Auch das wissen wir.«
»Und dennoch reitet ihr mit ihnen? Uff, uff! Das ist genau so, wie einst Winnetou und Old Shatterhand handelten. Sie liebten die Gefahr.«
Bei diesen Worten glitt ein warmer Seitenblick über mich hin. Dann fuhr er fort:
»Aber warum begleitet ihr sie nach dem See, wo euch Verderben droht? Etwa nur, um sie zu entlarven und zu bestrafen? Nein! Ihr hattet gewiß noch andre Gründe. Darf ich sie erraten?«
»Versuch's!« ermunterte ihn der Junge Adler.
»Ihr wolltet die Zusammenkunft der Kiowas und Komantschen mit den Sioux und Utahs belauschen. Habe ich recht?«
»Mein roter Bruder scheint sehr scharf zu denken.«
Jetzt lächelte der Kiowa.
»Pida, der Freund Old Shatterhands, denkt noch viel schärfer.«
»Bist du etwa sein Abgesandter? Handelst du in seinem Auftrag?« schaltete ich mich ein.
Da hob der Kiowa seine ehrlichen Augen zu mir empor.
»Nein! Er weiß nichts von dem, was ich tue. Er ist der Häuptling seines Stammes und der Sohn seines Vaters. Als Häuptling und als Sohn muß er euer Feind sein. Aber er liebt Old Shatterhand, und er verehrt ihn wie keinen andern Menschen. Darum wünscht er in seinem Herzen, daß Old Shatterhand auch jetzt wieder siegen möge, wie er immer siegte, aber nicht mit den Waffen, sondern durch Liebe und Versöhnung. Pida will nicht wissen, was ich tue; darum handle ich nach eignem Ermessen. Ich führe euch nach dem günstigsten Ort, den es für euch und eure Absichten gibt.«
»Nicht nach dem Wasser des Todes?«
»O doch! Aber auf einem Umweg, damit man euch nicht sieht. So gelangt ihr nicht nur ans Wasser des Todes, sondern auch ans Haus des Todes. Fürchtet ihr euch vor Geistern?«
»Nur Lebende sind zu fürchten, nicht aber die Toten. Ich hörte noch nie von einem Haus des Todes. Wo liegt es?«
»Am See. Es war unbekannt und wurde erst vor zwei Jahren entdeckt. Man fand es voller Gebeine aus uralter Zeit, mit zahllosen Totems, Wampums und andern heiligen Dingen. Das alles hat man geordnet, wohl mehrere Wochen lang. Dann wurde die Pfeife des Geheimnisses darüber geraucht, und niemand darf die Stätte mehr betreten. Wer es dennoch wagt, sich der Stelle des Ufers zu nähern, die nach dem Haus führt, wird von den Geistern derer, die einst dort starben, getötet.«
»Und trotzdem willst du es wagen?«
»Ja.«
»Welch ein Mut!« staunte der Junge Adler.
Es war nicht zu ersehn, ob er diesen Ausruf wirklich ernst meinte. Der Kiowa sah vor sich nieder und hob schnell den Kopf.
»Allein würde ich es nicht tun; mit euch aber kann mir nichts geschehn. Das weiß ich so genau, als hätte ich es aus dem Mund unsres großen Manitou selber gehört. Ihr kennt mich nicht und habt ein Recht, mir zu mißtrauen. Aber ich bitte euch, mir dennoch zu folgen! Ich kann euch keine Sicherheit geben. Ich kann euch höchstens eine Frage vorlegen: Kennt Ihr vielleicht Kolma Puschi?«
»Ja.«
»Sie ist meine Freundin. Und kennt Ihr vielleicht auch Aschta, die Squaw Wakons, des berühmtesten Mannes der Dakotastämme?«
»Auch diese.«
»Wir wohnen weit voneinander entfernt, aber wir stehen durch Boten stets miteinander in Verbindung. Ich hoffe, beide bald selber zu sehn, trotz der Feindschaft, die zwischen unsern Völkern waltet. Habt ihr nun Vertrauen zu mir?«
Diese Mühe, uns Zuversicht einzuflößen, war rührend. Wer weiß, was er alles wagte, um uns zu Diensten zu sein! Und er schien nicht zu ahnen, daß er dadurch, daß er diese beiden Frauen seine Freundinnen nannte, sich selber als Weib bezeichnete. Ich antwortete:
»Wir haben Vertrauen. Wir hatten es gleich vom ersten Augenblick an, als wir dich sahen. Führe uns also! Wir werden dir folgen.«
»So kommt!«
Die beiden Enters hatten sich schon eine große Strecke entfernt. Wir folgten zunächst langsam ihrer Spur, damit sie nicht sehn sollten, nach welcher Seite wir ritten, und erst als sie aus unserm Gesichtskreis verschwunden waren, wichen wir von unsrer bisherigen Richtung nach rechts ab. Da wir nach dem Haus des Todes wollten, durften wir nicht in grader Linie nach dem See trachten, sondern mußten ihn umgehn. Der Kiowa ritt voran, und Dick Hammerdull hielt sich an seiner Seite, jedenfalls um ihn auszufragen. Ich hörte, daß er sich zunächst bei ihm erkundigte, woher er die Brüder Enters kenne.
»Ich kenne sie nicht«, lautete die Antwort. »Aber Kiktahan Schonka hat einen Boten nach dem See gesandt, seine Ankunft zu melden. Er ließ durch ihn sagen, daß zwei Bleichgesichter eintreffen würden, die Brüder seien und sich verpflichtet hätten, Old Shatterhand, seine Squaw, zwei alte weiße Jäger und den Jungen Adler der Apatschen an die Sioux auszuliefern. Diese fünf seien dem sichern Tod geweiht. Da machte ich mich auf, sie zu retten. Ich entfernte mich einen halben Tagesritt vom See und blieb an einer Stelle, wo sie unbedingt vorüber mußten. Ich wartete gestern und heut. Da sah ich euch erscheinen. Die Zahl stimmte: ein Indianer, fünf Weiße Männer und eine weiße Squaw. Ich ritt auf euch zu und nahm mir vor, euch vor allen Dingen von den verräterischen Brüdern zu trennen. Das ist geschehn.«
»So glaubt Ihr also, Mr. Burton sei Old Shatterhand?«
»Ja. Irre ich mich?«
»Fragt ihn selber!«
»Das ist nicht nötig. Wäre er es nicht, so hättet Ihr sogleich mit einem Nein geantwortet. Ihr seid mir ausgewichen. Das ist deutlich genug.«
Weiter war nichts zu hören, weil die beiden Voranreitenden jetzt den Schritt ihrer Pferde beschleunigten. Aber meine Frau sagte zu mir:
»So ist es also mit deinem Geheimnis vorbei!«
»Noch nicht«, antwortete ich.
»Glaubst du, daß dieser Kiowa schweigt?«
»Wenn ich es wünsche, ja.«
»Er gefällt dir wohl?«
»Gewiß!«
»Mir auch. Weißt du, er hat so etwas Aufrichtiges und zugleich Wehmütiges an sich. Die Wehmut blickt allerdings fast aus jedem indianischen Auge, aber hier tritt sie doppelt deutlich hervor. Es ist, als ob dieser Mann einen andauernden Gram in sich trüge. Man sollte ihm helfen können! Meinst du nicht?«
»Hm! Du möchtest freilich gern allen Leuten helfen, doch ist innerem Kummer nicht so leicht beizukommen, wie du denkst. Man muß vor allen Dingen erst seine Ursachen aufspüren, und du weißt, die Indianer sind verschwiegen.«
»Aber ich möchte doch so sehr gern wissen ...«
Lachend unterbrach ich sie.
»Und ich wette, daß du mit den Menschen des Wilden Westens ganz andre Erfahrungen machst. Wobei es freilich möglich ist, daß dieser Rote grad eine Ausnahme bildet«, lenkte ich ein.
Meine Frau sah mich prüfend von der Seite an. Sie wußte von diesem Indianer nicht, was ich wußte oder vielmehr nur vermutete. Es war ihr einzig darum zu tun, daß ich Dick Hammerdull von dem Roten hinwegrief.
»Darf ich, oder darf ich nicht?« fragte sie schließlich zögernd.
»Bitte!« lächelte ich. »Ich will dir sogar entgegenkommen.«
Damit lockte ich Dick Hammerdull von dem Kiowa fort, so daß meine Frau ungestört mit dem Indianer sprechen konnte.
Das Gelände stieg immer höher. Wir näherten uns zusehends den Bergen, zwischen denen das Dunkle Wasser liegt. Gegen Abend sahen wir seitwärts von uns die Linie des Waldes, der den See verkündet. Dort hatten wir damals am Abend gelagert, bevor wir früh vollends bis ans Wasser geritten waren. Heut schlugen wir einen Bogen um Wald und See, überschritten einen breiten, aber nicht sehr tiefen Bach, der den Ausfluß des Wasserbeckens bildete, ließen die Pferde hier trinken und lenkten sie dann zwischen steilen Felsen nach einer dicht bewaldeten Höhe empor, auf der die Stelle lag, die für heut unser Ziel bildete. Das Haus des Todes noch zu erreichen, war es zu spät; denn es dunkelte bereits so sehr, daß wir uns beeilen mußten, noch vor der Nacht das Zelt aufzuschlagen und aus Steinen eine Feuerstelle zu errichten, damit die Flamme für andre unsichtbar wurde. Übrigens versicherte uns der Kiowa, daß wir hier oben vor Lauschern sicher seien. Der Ort, wo wir uns befanden, gehörte schon zu dem Gebiet, das nicht betreten werden sollte. Es bedurfte nur noch eines kurzen Abstiegs, um an das Haus des Todes zu gelangen, doch war, wie gesagt, dieser Abstieg so steil, daß er während der Abenddämmerung nicht gewagt werden konnte. Wir mußten damit bis zum Morgen warten. Unten am See lagerten, getrennt voneinander, die Kiowas und die Komantschen. Die Sioux und die Utahs waren noch nicht da, wurden aber jeden Augenblick erwartet.
Während der Junge Adler die Pferde versorgte, errichtete ich mit den beiden Jägern das Zelt. Dick befand sich in schlechter Laune. Er hustete und knurrte vor sich hin, als ob er etwas sagen wolle, aber den Anfang nicht finden könne. Darum fragte ich ihn gradheraus, was mit ihm sei.
»Was soll mit mir sein?« antworte« er, doch so, daß nur ich und Pitt Holbers es hörten. »Ich ärgere mich!«
»Worüber?«
»Und ich traue dem Kiowa nicht!«
Ich wußte, was der brave Dick meinte, aber es fiel mir nicht ein, ihm sogleich ins Garn zu gehn.
»Weshalb?« forschte ich.
»Das fragt Ihr noch? Seht Ihr denn gar nichts? Habt Ihr nicht auch Augen?«
»Wofür?«
»Wofür? Sonderbares Fragen! Worüber? Warum? Und auf solch abgerissene Erkundigungen soll man eine vernünftige Antwort geben können! Wißt Ihr, wie lange es her ist, seit wir diesen Kiowa getroffen haben?«
»Fast sechs Stunden.«
»Richtig! Und was hat er in diesen sechs Stunden gemacht?«
»Uns hierhergeführt.«
»Ob hierhergeführt oder nicht, das bleibt sich gleich. Das meine ich nicht. Das war seine Pflicht. Er hat aber noch etwas getan, was nicht zu seiner Pflicht gehört. Ärgert Ihr Euch darüber nicht?«
»Wüßte nicht, worüber ich mich ärgern sollte.«
»So? Ist das etwa kein Grund zum Ärger, wenn dieser Indianer sechs volle Stunden lang unaufhörlich neben Eurer Lady reitet und derart mit ihr spricht, daß sie weder Augen noch Ohren für andre Leute hat, auch nicht für Euch selber? Habe ich nicht recht, Pitt Holbers, altes Coon?«
»Wenn du denkst, daß Mrs. Burton zuerst dich zu fragen hat, mit wem sie sprechen darf, so kann ich dir nicht recht geben, lieber Dick.«
»Ach Unsinn! Sprechen! Als ob es sich nur darum handelte! Bist doch noch ein rechtes Greenhorn, Pitt, trotz deines Alters. Wie nun, wenn es dieser Kiowa nur darauf abgesehn hat, Mrs. Burton auszufragen und dann alles da unten bei den Kiowas und Komantschen zu erzählen?«
»Das wird er nicht. Mr. Shatterhand schenkt ihm sein Vertrauen, und der weiß immer, was er tut.«
»Pitt hat recht«, fiel ich ein. »Ich halte den Kiowa für unsern Freund.«
»Bevor ich jemand Freund nenne, pflege ich monatelang zu prüfen. Auch Ihr wart früher einmal so vorsichtig, noch vorsichtiger als ich. Heut aber seid Ihr wie ausgewechselt. Ich warne Euch!«
» Pshaw! Ihr regt Euch unnötig auf, Mr. Hammerdull. Darf ich Euch daran erinnern, daß Ihr auch Aschta, der jungen Siouxindianerin, mißtrautet? Und wie habt Ihr Euch dabei getäuscht! Glaubt mir doch, lieber Dick, und kümmert Euch um den Kiowa nicht weiter! Wir sind unter seiner Führung sicher.«
»Toll, was für ein Vertrauen Ihr zu dem Roten habt. Well, ich will nichts gesagt haben. Aber ich werde aufpassen; ich lasse mich nicht betrügen.«
Damit war die Sache für jetzt abgemacht. Ich verstand meinen guten Hammerdull recht wohl. Er war eifersüchtig auf den Kiowa. Er schätzte meine Frau, und es machte ihn, der sich mehr als ein Menschenalter lang mit der Gesellschaft des trocknen Pitt begnügt hatte, glücklich, wenn sie sich unterwegs mit ihm ein Viertel- oder ein halbes Stündchen unterhielt. Um dieses Glück sah er sich heut gebracht; daher seine Verstimmung.
Meine Frau zog sich sehr bald nach dem Essen in ihr Zelt zurück, und auch wir andern legten uns schlafen. Wäre ich mißtrauisch gewesen, so hätte ich die Wache unter uns verteilt; da ich aber vermutete, wer der Kiowa war und daß ich ihm vertrauen durfte, war es nicht nötig, diese Vorsichtsmaßregel zu treffen. Dick Hammerdull aber war andrer Meinung über ihn. Er legte sich in seine Nähe, um ihn während der Nacht zu beaufsichtigen. Ich hinderte ihn auch nicht daran.
Am andern Morgen wachte ich nicht von selber auf, sondern ich wurde geweckt, und zwar von Dick Hammerdull. Er sah erregt aus und hatte ein rotes Gesicht.
»Verzeiht, Mr. Burton, daß ich Euch aus dem Schlaf störe! Es sind Dinge geschehn, schreckliche Dinge, die mich veranlaßten, Euch sofort zu wecken!«
»Was ists?« fragte ich, indem ich aufsprang.
»Etwas Entsetzliches! Etwas Fürchterliches!«
»Also was? Sagt es schnell!«
»So schnell, wie Ihr wollt, kann ich das nicht. Muß Euch da erst vorbereiten.«
»Ach was! Heraus damit!«
Ich war wirklich in Sorge, denn ich wußte ja nicht, worum es sich handelte. Dick aber ließ sich nicht bewegen, seine Karten aufzudecken.
»Wenn ich Euch nicht vorher vorbereite«, behauptete er, »fallt Ihr vor Schreck um wie ein Klotz, den niemand wieder aufheben kann.«
»Ich? Meine Nerven sind nicht so schwach. Betrifft es etwa meine Frau?«
»Was ist mit ihr? So redet doch!«
Der alte, brave Jäger sah ganz so aus, als hätte sich wirklich etwas sehr Böses, nie wieder Gutzumachendes ereignet. Ich war auf alle möglichen schlimmen Überraschungen gefaßt.
»Ist ihr ein Unglück geschehn?« drängte ich weiter, weil Dick Hammerdull noch immer schweigend vor mir stand.
»Hm, wie man es nimmt. Vielleicht ihr nicht, aber Euch! Also hört!«
Anstatt noch näher an mich heranzutreten, wie man es bei vertraulichen Mitteilungen zuweilen zu machen pflegt, wich er zwei Schritte zurück.
Dann endlich gab er sich einen Ruck.
»Sie ist Euch untreu!« platzte er heraus.
Jetzt ahnte ich ungefähr, was folgen würde. Ich sah eine kleine Komödie kommen, deren mutmaßlicher Verlauf mich schon im voraus belustigte. Dagegen mußte meiner Meinung nach der brave Dick Hammerdull mit seiner großen, ehrlichen Entrüstung am Schluß der Genarrte sein.
Ich war bösartig genug, ihn ruhig gewähren zu lassen, als er nun wieder näher an mich herantrat und in sehr ernstem Ton fortfuhr:
»Auch ich habe sie hochgeschätzt, Eure Frau. Habe sie für die beste, die vortrefflichste Frau der Welt gehalten. Wäre für sie ins Feuer und ins Wasser gesprungen. Das ist mit dem heutigen Tag vorbei! Es kann mir nicht einfallen, für sie in Zukunft auch nur den kleinen Finger zu rühren. Sie ist es nicht wert! Sie hat mich zu bitter enttäuscht! So einen Mann zu haben, und ihm dennoch untreu zu werden! Und zwar mit was für einem!«
»Wer ist denn dieser eine – oder vielmehr dieser andre?«
»Nein.«
»Hm, begreiflich! Es ist auch wirklich nicht zu erraten. Wenns nur wenigstens Dick Hammerdull wäre! Oder Pitt, das alte Coon! Aber Euch um einer Rothaut willen untreu zu werden, das ist stark!«
»Rothaut sagt Ihr? Der Junge Adler liegt noch dort an seiner Stelle; der Kiowa aber ist nicht mehr da; er ist fort. Ihr meint also den?«
»Ja, den! Denn Eure Frau ist auch fort!«
»Und weiter?«
»Hört mich nur an! Es kommt noch sehr viel dazu. Soll ich es Euch erzählen?«
»Gewiß!«
»Das kam so: Ich war wütend auf den Kerl, weil er gestern am Nachmittag so lange und so unausgesetzt mit ihr gesprochen hatte. Habe Euch schon gesagt, daß es meinen Verdacht erregte. Habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Heute morgen erwachte der Kiowa sehr zeitig. Eure Frau trat kurz darauf aus ihrem Zelt. Sie pflegt des Morgens oft die erste zu sein; das weiß ich nun. Sie geht dann gewöhnlich ein Weilchen am gemeinsamen Lagerplatz auf und ab, um tief die frische Luft zu atmen. So auch heut. Als sie sich entfernt hatte, stand der Kiowa auf und folgte ihr. Das kam mir verdächtig vor. Ich ließ eine Zeit vergehn, und als weder sie noch er zurückkehrte, schlich ich mich ihnen nach. Was denkt Ihr, was ich da sah?«
»Nun, was?«
»Sie saßen nebeneinander auf einem Stein in inniger Umarmung!«
»Weiter nichts?«
Dick Hammerdull stutzte. Meine ruhige Frage brachte ihn aus dem Gleichgewicht.
»Ich meine«, fuhr ich sachlich fort, »es ist doch kein Verbrechen, wenn die beiden Freundschaft geschlossen haben miteinander.«
Da wich er von mir zurück, schlug die Hände zusammen und jammerte:
» Bounce! Hab mir's doch gedacht! Nun ist das Unglück da! Wenn auch in andrer Gestalt, als ich vermutete! Er fällt nicht um, und er schlägt nicht zu; aber er ist verrückt geworden vor Schreck! Er redet von berechtigter Freundschaft, wenn seine Frau mit einem andern liebäugelt.«
Da legte ich ihm mahnend die Hand auf die Schulter.
»Lieber Dick«, sagte ich, »habt Ihr mich wirklich jemals als einen so ausgemachten Narren kennengelernt, daß Ihr mir eine solche Schlappheit zutraut? Ich mache Euch einen Vorschlag. Wir gehn jetzt gemeinsam dorthin, wo die beiden sitzen und sehn nach dem Rechten. Dabei muß ich Euch vorher sagen, daß ich mit diesem Kiowa nicht so streng verfahren werde, wie Ihr wahrscheinlich erwartet. Wir haben in den letzten Tagen verschiedene Male über die Kiowas gesprochen. Ihr wißt, was ich bei ihnen erlebte, als ich zum letztenmal dort war?«
»Kenne die Geschichte. Ihr solltet zu Tode geschunden werden und wurdet nur durch die Tochter eines berühmten Kriegers, der ›Eine Feder‹ hieß, gerettet.«
»Richtig! Diese Tochter hieß Kakho-Oto ›Dunkles Haar‹. Ihr habe ich mein Leben zu verdanken.«
»Wollt Ihr um ihretwillen etwa diesem Kiowa verzeihen, der Euch um Eure Frau betrügt?«
»Ja, grade das will ich.«
»Hört! Das geht nicht! Das wäre eine unverzeihliche Schwäche! Ich muß Euch sagen, daß – daß – – – daß ich eine Bitte habe.«
»Erlaubt wenigstens mir, diesen roten Halunken beim Kragen zu nehmen und ihm ein Dutzend Ohrfeigen zu geben!«
»Würde Euch das ein Vergnügen machen?«
»Ein ganz unbändiges!«
»So tut es! Schlagt zu, so viel und so kräftig Ihr wollt!«
»So, jetzt rufe ich: Gott sei Dank! Das sollen Ohrfeigen werden, wie es nicht gleich wieder welche gibt! Nun kommt! Schnell, schnell!«
Hastigen Schrittes ging er voran, und ich folgte ihm. Er führte mich durch das Gebüsch nach einer kleinen Blöße. Kurz zuvor blieb er zwischen den letzten Sträuchern stehn und deutete hindurch.
»Da schaut! Dort sitzen sie noch! Wie gefällt Euch das?«
Meine Frau saß mit dem Kiowa auf einem niedrigen Felsstück, das einen bequemen Sitz bot. Sie hatte den rechten Arm um seine Schulter gelegt und hielt mit der Linken seine beiden Hände fest. Er war etwas kleiner als sie. Sein Kopf lehnte zärtlich an ihrer Seite. Dick sah mich an, als erwarte er einen gewaltigen Zornesausbruch. Statt dessen lächelte ich. Das regte ihn auf.
»Ihr lacht?« fragte er leise, aber doch sehr eindringlich. »Ich frage Euch allen Ernstes, wie Ihr das findet?«
»Etwas vertraulich, weiter nichts.«
»Etwas vertraulich – – –! Weiter nichts –!« wiederholte er. »Nun, ich finde es für mehr als nur vertraulich von diesem Halunken; ich finde es verbrecherisch! Und da Ihr mir gestattet habt, ihm ein Dutzend Maulschellen zu geben, so werde ich ihn keinen Augenblick darauf warten lassen. Also paßt auf!«
Er drang zwischen den letzten Büschen durch und eilte auf die Gruppe zu. Ich folgte ihm schnell. Die beiden vermeintlichen Missetäter standen auf, sobald sie uns erblickten. Hammerdull schien sein Rächeramt wortlos ausüben zu wollen, denn er packte den Kiowa mit der Linken bei der Brust und holte mit der Rechten aus, um zuzuschlagen. Da faßte ich rasch nach der erhobenen Hand.
»Halt, lieber Freund! Lassen wir ja keine der Vorschriften außer acht, die einem jeden Gentleman für solche Fälle gegeben sind!«
»Welche Vorschriften?« fragte er, indem er sich bemühte, mir seinen Arm zu entziehn.
»Wenn zwei Gentlemen die Absicht haben, einander zu ohrfeigen, so sind sie verpflichtet, sich vorher einander vorzustellen!«
»Was heißt das, vorstellen?«
»Einander zu sagen, wer und was sie sind.«
»Das ist hier unnötig, denn wir kennen uns ja schon. Dieser rote Halunke, den Ihr einen Gentleman nennt, weiß, daß ich Dick Hammerdull bin, und ich weiß, daß er kein Gentleman, sondern eben ein roter Schurke ist. Darum kann ich –«
»Aber seinen Namen habt Ihr noch nicht erfragt. Dieser Gentleman ist nämlich eigentlich eine Lady und wird, soviel ich weiß, Kakho-Oto genannt. So! Nun schlagt zu!«
Ich gab ihm seinen Arm frei, aber er rührte sich nicht. Er schaute mir wortlos ins Gesicht, als hätte er die Sprache verloren.
»Ka–kho-O–to?« fragte er endlich wie geistesabwesend.
»Ja«, nickte ich.
»Kein – Gentleman – sondern eine Lady?«
»Ganz so, wie ich sagte!«
»Also wohl gar die Tochter von ›Eine Feder‹, die Euch damals das Leben gerettet hat?«
»Ja, dieselbe!«
Da holte er tief Atem und machte ein äußerst verzweifeltes Gesicht.
»Alle guten Geister! Das kann nur mir zustoßen. Wo hat sich jemals, wenn irgendeiner einen andern ohrfeigen wollte, herausgestellt, daß dieser andre eine Lady war! Ich bin erledigt für alle Zeit! Ich trete ab! Ich verschwinde!«
Er drehte sich um und rannte fort. An den Büschen aber blieb er für einen Augenblick stehn und rief zurück:
»Aber, Mr. Shatterhand, ein Freundschaftsstreich war das nicht von Euch!«
»Wieso?« fragte ich.
»Ihr hättet mir diese Niederlage ersparen können. Brauchtet mir nur rechtzeitig zu sagen, daß wir es mit keinem Mann, sondern mit einem Frauenzimmer zu tun haben!«
»Ist nicht meine, sondern Eure Schuld, Dick Hammerdull! Hättet Ihr Old Shatterhand vertraut! Ich hatte Euch versichert, daß der Kiowa Vertrauen verdient. Das war genug. Warum habt Ihr mir nicht geglaubt?«
»Weil ich ein Esel bin! Ein vollendeter Esel!«
Nun verschwand er. Kakho-Oto stand mit gesenkten Augen vor mir. Das zeigte mir ihre Verlegenheit. Darum reichte ich ihr die Hand und sagte in ihrer Muttersprache:
»Ich danke dir! Ich habe dich nicht vergessen. Willst du uns Schwester sein? Uns beiden?«
»Wie gern! Dir und ihr!« antwortete sie. Dann eilte sie in tiefer Bewegung fort.
Meine Frau fragte mich zunächst, warum Hammerdull zum Zuschlagen ausgeholt hätte. Mit wenigen Worten unterrichtete ich sie von seinem Irrtum. Sie lachte herzlich. Dann bedankte sie sich bei mir dafür, daß ich ihr nicht mitgeteilt hatte, wer der Kiowa eigentlich war. Hätte ich das getan, so wäre ihr die köstliche Überraschung des heutigen Morgens versagt gewesen. Nun kehrten wir zum Zelt zurück wo Pitt Holbers ein kleines Feuer angezündet hatte, an dem Klara den Morgenkaffee bereitete. Dazu stellten sich Dick Hammerdull und Kakho-Oto ein. Beide bemühten sich, gleichgültig zu erscheinen. Aber dem alten Westmann ging die unangenehme Begebenheit doch zu nahe. Er betrachtete die Indianerin immerwährend von der Seite. Als ›Frauenzimmer‹ schien sie ihm ausnehmend zu gefallen. Plötzlich griff er nach ihrer Hand und knurrte wehmütig:
»Und so etwas habe ich ohrfeigen wollen! Bin ich da nicht selber Maulschellen wert?«
Damit war die Sache zwischen beiden abgemacht; sie wurden die besten Freunde.