Karl May
Old Surehand II
Karl May

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Die verkehrten Toasts

Als Treskow seinen Bericht beendet hatte, gab es von seiten seiner Zuhörer eine ganze Menge von Fragen, die er ihnen beantworten sollte. Die Geschichte, besonders das Ende derselben, war ihnen nicht ausführlich genug, und jeder wollte etwas wissen, was er vermißte. Am sonderbarsten kam es ihnen vor, daß Winnetou eine Seereise mitgemacht hatte. Ein Roter und noch dazu dieser Indianer, und eine Reise zur See, das war ihnen unbegreiflich, mir aber nicht, denn ich kannte diese Geschichte längst und wußte auch, daß er nicht nur dieses eine Mal zur See gewesen war.

Während sie noch hin und her sprachen, kamen neue Gäste. Es waren sechs Personen, welche lärmend eintraten und etwas mehr Spiritus genossen zu haben schienen, als ihnen zuträglich war. Sie sahen sich nach Plätzen um, und obgleich genug andre leer waren, zogen sie es vor, sich an meinen Tisch zu setzen.

Am liebsten wäre ich aufgestanden, was sie aber gewiß als eine Beleidigung betrachtet hätten, und da ich keine Veranlassung zu rohen Streitigkeiten geben wollte, so blieb ich sitzen. Sie verlangten Brandy und bekamen welchen, doch wurden sie von Mutter Thick in einer Weise bedient, welche erkennen ließ, daß sie diese Leute lieber gehen als kommen sah.

Bewohner der Stadt konnten sie nicht sein, denn sie hatten außer ihren Messern und Revolvern auch Gewehre mit. Wie echte Rowdies aussehend, stanken sie förmlich nach Schnaps, und es kostete mich wirklich Überwindung, mit ihnen an demselben Tische auszuhalten. Sie führten das große Wort und sprachen so laut und so unausgesetzt, daß von der Unterhaltung der andern Gäste fast nichts zu hören war. Die Ruhe und Gemütlichkeit, welche vorher geherrscht hatten, waren verschwunden.

Der lauteste von ihnen war ein stark und ungeschickt gebauter Kerl mit einem wahren Bullenbeißergesicht. Es war, als ob seine Glieder und seine Gesichtszüge aus Holz roh zugehackt worden seien. Er spielte sich als den Anführer der andern auf, und es war allerdings zu bemerken, daß sie ihn nach ihrer Weise mit einer Art Respekt behandelten.

Sie sprachen von Heldenthaten, die sie begangen hatten und wieder begehen wollten, von Vermögen, welche sie besessen und verjubelt hatten und jedenfalls bald wieder erwerben würden; sie gossen ein Glas nach dem andern hinunter, und als Mutter Thick sie Mahnte, langsamer zu trinken, wurden sie grob und drohten, vom Büffett Besitz zu nehmen und sich selbst zu bedienen.

»Das würde ich mir verbitten,« antwortete die mutige Wirtin. »Da liegt der Revolver; der erste, der sich an meinem Eigentum vergriffe, würde eine Kugel bekommen!«

»Von dir etwa?« lachte der Bullenbeißer.

»Ja, von mir!«

»Mach dich nicht lächerlich! In solche Hände gehört eine Nähnadel, aber kein Revolver. Glaubst du wirklich, uns zum Fürchten zu bringen?«

»Was ich glaube oder nicht, das geht Euch nichts an. Jedenfalls bin ich es nicht, die sich fürchtet, und wenn es an einer Hilfe fehlen sollte, so sind Gentlemen genug da, welche sich einer wehrlosen Witfrau annehmen würden!«

»Gentlemen genug?« wiederholte er ihre Worte höhnisch lachend, indem er von seinem Stuhle aufstand und seinen Blick herausfordernd rundum laufen ließ. »Sie mögen herkommen und probieren, wer den Kürzeren zieht, sie oder ich!«

Es antwortete ihm kein Mensch, ich natürlich auch nicht. Auf einen Widerstand meinerseits schien er überhaupt gar nicht gerechnet zu haben, denn er hatte sie alle angesehen, mich aber nicht. Vielleicht kam ihm mein ruhiges Gesicht so zahm vor, daß er es nicht der Mühe wert hielt, mich überhaupt zu addieren. Ich gehöre nämlich zu denjenigen Menschen, deren Züge grad dann einen recht bescheidenen Ausdruck annehmen können, wenn es in ihrem Innern arbeitet. Einer, der sich für einen großen Psychologen hielt, erklärte mir das einmal mit den Worten: Wenn der Geist sich nach innen zieht, muß außen das Gesicht dumm aussehen; das ist doch selbstverständlich.

Als der Bulldogge sah, daß niemand seiner Aufforderung folgte, wurde er noch kühner als vorher.

»Dachte es mir; es wagt sich keiner her!« lachte er. »Möchte auch den sehen, der es wagte, einen Gang mit Toby Spencer zu machen! Ich drehte dem Kerl das Gesicht auf den Rücken! Toby Spencer ist nämlich mein Name, und wer wissen will, was für ein Kerl dieser Toby ist, der mag kommen!«

Er streckte die geballten Fäuste aus und ließ den Blick noch einmal herausfordernd um die Runde schweifen. War es wirklich Furcht vor ihm oder nur der Ekel vor einem solchen Menschen, es rührte sich auch jetzt niemand. Da lachte er noch lauter als vorher und rief:

»Seht ihr es, Boys, wie ihnen die Herzen in die Schuhe und Stiefel fallen, wenn Toby Spencer nur ein Wort von sich hören läßt. Es ist wirklich keiner, aber auch kein einziger unter ihnen, der es wagt, nur einen Mucks zu thun. Und das wollen Gentlemen sein!«

Da stand doch einer auf, nämlich derjenige, der die erste Geschichte erzählt und sich für Tim Kroner, den Colorado-Mann ausgegeben hatte. Es war jedenfalls nicht eigentlicher Mut, sondern nur die Absicht, sich als einen tüchtigen Kerl aufzuspielen, was ihn veranlaßte, das Wort zu ergreifen. Er kam einige Schritte näher und sagte:

»Ihr irrt Euch sehr, Toby Spencer, wenn Ihr glaubt, es gebe niemand, der sich an Euch wagt. Das mag bei allen Anwesenden stimmen, aber nicht bei mir.«

»Bei Euch also nicht? So, so!« antwortete der Rowdy in verächtlichem Tone. »Warum bleibt Ihr denn stehen, wenn Ihr solchen Mut habt? Warum kommt Ihr nicht näher?«

»Ich komme ja schon!« sprach der andre, indem er noch einige langsame, zögernde Schritte machte und dann wieder halten blieb. Seine Stimme klang aber gar nicht so zuversichtlich wie vorhin, als er an meinen Tisch gekommen war, um mit mir anzubinden. Da Toby Spencer auch etwas vorgetreten war, standen sie nun in ganz geringer Entfernung von einander.

»Well! Also Ihr seid der Mann, der sich nicht fürchtet?« fragte der letztere. »So ein Kerlchen, welches ich mit einem einzigen Finger aus der Balance hebe! Da möchte ich wahrhaftig, ehe ich Euch auffresse, wissen, wie Ihr heißt!«

»Das könnt Ihr erfahren. Ich heiße Tim Kroner.«

»Tim Kroner? Da habt Ihr Euch ja einen recht berühmten Namen zugelegt!«

»Zugelegt? Es ist der meinige!«

»Das mögt Ihr andern weiß machen, aber nur nicht mir!«

»Es ist mein Name, sage ich Euch!«

»Hm! Vielleicht ist's möglich, daß Ihr so heißt, aber Ihr wollt doch nicht etwa behaupten, der Colorado-Mann zu sein?«

»Grad das behaupte ich!«

»Alle Wetter, wie kommt denn so ein Karnickel, wie Ihr seid, dazu, sich mit dem Namen eines Löwen zu schmücken! ich sage Euch, daß dieser Name Euch nicht gehört, daß Ihr ein Betrüger seid!«

»Oho! Ein Betrüger? Wahrt Eure Zunge, Sir! Man weiß, daß der Colorado-Mann nicht in dieser Weise mit sich sprechen läßt! Soll ich Euch das beweisen?«

»Knirps, beweise es!«

Bei dieser Aufforderung trat Spencer drohend zwei Schritte auf ihn zu; er wich vorsichtig ebenso weit zurück und antwortete:

»Das habe ich gar nicht nötig. Was alle Welt weiß, das brauche ich nicht zu beweisen!«

»Eigentlich richtig, denn der wirkliche Tim Kroner ist ein Kerl, der Haare auf den Zähnen hat; da du aber dieser echte nicht bist, hast du zu zeigen, ob dein Mut wirklich bis her zu mir reicht. Also, go on

Er machte wieder zwei Schritte vorwärts.

»Ja, come on!« rief der andre, indem er aber zwei Schritte rückwärts machte.

»So bleib doch stehn, du großer Held mit dem Maule! Warum retirierst du denn? Giebt sich dieser Mensch für den Colorado-Mann aus, den ich so gut kenne wie mich selbst! Diesem Übermute muß ein Dämpfer aufgesetzt werden. Also halte stand, und faß an, sonst nagele ich dich an die Wand, daß du daran kleben bleibst.«

Er ging abermals vorwärts; der falsche Tim Kroner wich auch jetzt wieder zurück, indem er sich auf die Verteidigung durch das Mundwerk legte:

»Ich bin der echte Colorado-Mann! Wenn ein andrer sich für mich ausgiebt, ist er ein Lügner!«

»Pshaw! Möchte den vernünftigen Mann sehen, dem es einfallen könnte, sich für dich auszugeben! Wenn du geglaubt hast, es bedürfe nur dieses Namens, mich zurückzuschrecken, so hast du dich nicht nur geirrt, sondern dich so verrechnet, daß das ganz entgegengesetzte Resultat herauskommt: Ich werde dich ein wenig höher hängen, damit die Leute sehen, was für ein berühmter und mutiger Colorado-Tim du bist. Komm also her, mein Bürschchen, nur her zu mir!«

Er gab ihm zwei blitzschnelle, gewaltige Hiebe auf die Achseln, nahm ihn dann bei den Oberarmen, drückte sie ihm an den Leib, schob ihn an die Wand und hob ihn so empor, daß er mit dem Kragen an einem Kleiderhaken hängen blieb. Das war kein ganz gewöhnliches Kraftstück, und er führte es aus, ohne daß man ihm dabei eine Anstrengung anmerkte. Der andre begann, als er an der Wand hing, zu schreien und zu zappeln, was bei seiner langen, dürren Gestalt sehr wunderlich aussah, bis der Kragen seines Büffellederrockes zerriß und er zu Boden fiel. Spencer lachte aus vollem Halse; seine Gefährten stimmten ein, und auch die andern konnten nicht ganz ernst dabei bleiben, obgleich der Rowdy gar nicht ihren Beifall hatte. Dieser schickte dem still auf seinen Platz zurückkehrenden »Colorado-Mann« sein Gelächter nach und schien dadurch in friedliche Stimmung zu geraten, denn er sah von einer weiteren Herausforderung ab und setzte sich wieder nieder, um mit seinen Kameraden die lärmende Unterhaltung fortzusetzen. Dabei hatte ich das große Glück, daß er mich nun endlich seiner Aufmerksamkeit würdigte. Er fixierte mich mit neugierigem Blicke und richtete dann die etwas sonderbare Frage an mich:

»Seid wohl auch so ein Colorado-Mann wie der da drüben, he?«

»Glaube nicht, Sir,« antwortete ich ruhig.

Man war an allen Tischen still, um zu hören, was nun kommen werde. Vielleicht gab es wieder etwas zum Lachen.

»Also nicht?« fuhr er fort. »Ihr scheint mir aber auch kein Held zu sein!«

»Gebe ich mich etwa für einen aus? Ich schmücke mich nicht mit falschen Federn.«

»Das ist Euer Glück, sonst würde ich Euch auch an den Nagel hängen!«

Da ich hierauf schwieg, fuhr er mich an:

»Glaubt ihr es etwa nicht?«.

»Hm! Ich glaube es ganz gern.«

»Im Ernste? Toby Spencer ist nämlich nicht der Mann, mit dem man Späße treibt!«

Es war klar, daß er nun mit mir Streit suchte. Ich sah den besorgten Blick, den Mutter Thick auf mich warf, und that ihr den Gefallen, sehr höflich zu antworten:

»Davon bin ich überzeugt, Sir. Wer die Körperstärke besitzt, einen so langen Menschen wie den da drüben an den Nagel zu hängen, der hat es gar nicht nötig, sich von andern Leuten foppen zu lassen.«

Sein boshaft auf mich gerichteter Blick wurde milder, und sein Gesicht nahm einen fast freundlichen Ausdruck an, als er jetzt in befriedigtem Tone sagte:

»Habt recht, Sir. Ihr scheint kein ganz unrechter Kerl zu sein. Wollt Ihr mir sagen, was für eine Art von Metier Ihr habt?«

»Hm! Eigentlich keins.«

»Wie meint Ihr das?«

»Weil ich grad jetzt gar nichts betreibe.«

»So habt Ihr wohl Ferien?«

»Yes

»Und viel Zeit übrig?«

»Sehr viel.«

»Was thut Ihr denn aber, wenn Ihr keine Ferien habt? Ihr müßt doch irgend etwas sein oder irgend etwas machen. Oder nicht?«

»Freilich wohl.«

»Nun, was?«

»Ich habe mich schon in verschiedenen Branchen versucht.«

»Es aber zu nichts gebracht?«

»Leider!«

»Was waret Ihr zuletzt?«

»Zuletzt bin ich in der Prairie gewesen.«

»In der Prairie? Also Jäger?«

»So ähnlich.«

»Könnt Ihr denn schießen?«

»So leidlich.«

»Und reiten?«

»So, daß ich nicht grad herunterfalle.«

»Ihr scheint mir aber von etwas ängstlicher Natur zu sein!«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Hm! Es kommt auf die Verhältnisse an. Mut soll man nur zeigen, wenn es nötig ist, sonst ist es Prahlerei.«

»Das ist sehr richtig! Hört, Ihr beginnt, mir zu gefallen. Ihr seid ein bescheidener Boy, der zu brauchen ist. Ein großer Westmann seid Ihr freilich nicht; das sieht man Euch mit jedem Blicke an; aber wenn ich wüßte, daß Ihr nicht grad ein ausgemachtes Greenhorn wäret, so – – –«

»So – – – ?« fragte ich, weil er den Satz nicht ganz aussprach.

»So würde ich fragen, ob Ihr Lust habt, mit uns zu gehen.«

»Wohin?«

»Nach dem Westen.«

»Der ist groß. Es wäre mir lieber, eine bestimmte Gegend zu hören.«

»Die kann ich Euch sagen. Also Ihr habt Zeit, und es hält Euch nichts hier zurück?«

»Gar nichts.«

»So sagt, ob Ihr mit wollt!«

»Ehe ich das sagen kann, muß ich doch erst wissen, wohin Ihr gehen und was Ihr dort treiben wollt.«

»Well, auch das ist richtig und vernünftig. Wir wollen ein wenig ins Colorado hinauf, nach dem Parke von San Louis so ungefähr. Seid Ihr vielleicht schon einmal da oben gewesen?«

»Ja.«

»Was? So weit? Das hätte ich Euch nicht zugetraut! Ist Euch die Gegend der foam-cascade bekannt?«

»Nein.«

»So! Dahin wollen wir. Dort oben in den Parks wird in neuerer Zeit wieder eine solche Menge von Gold gefunden, daß man die Gelegenheit nicht versäumen darf.«

»Ihr wollt graben?«

»Hm – jaaa – aaa!« dehnte er.

»Und wenn Ihr nichts findet?«

»So finden andre etwas,« antwortete er mit einem bezeichnenden Achselzucken. »Man braucht nicht grad Digger zu sein, um in den Diggins etwas zu verdienen.«

Es konnte ihm nicht einfallen, sich deutlich auszudrücken; ich wußte trotzdem, was er meinte. Er wollte ernten, wo er nicht gesäet hatte.

»Daß wir nichts finden, darüber braucht Ihr Euch nicht zu sorgen,« fuhr er fort, um mir Lust zu machen. Es war ihm Ernst damit, mich mitzunehmen, denn je zahlreicher seine Gesellschaft war, desto bessere Geschäfte mußte sie machen, und mich hielt er für einen Mann, den man ausnutzen und dann fortjagen, wenn nicht noch schlimmeres, konnte. »Wir sind alle überzeugt, daß wir gute Ausbeute machen werden, denn wir haben einen Mann bei uns, der sich darauf versteht.«

»Einen Geologen?«

»Er ist noch mehr als Geolog; er besitzt alle Kenntnisse und Erfahrungen, die in den Diggins nötig sind. Ihr werdet nicht daran zweifeln, wenn ich Euch sage, daß er ein Offizier von höchstem Range ist, nämlich General.«

»General?« fragte ich, indem mir ein Gedanke kam. »Wie heißt der Gentleman?«

»Douglas. Er hat eine Menge Schlachten mitgemacht und dann in den Bergen sehr eingehende wissenschaftliche Forschungen angestellt, deren Ergebnis die Überzeugung ist, daß wir Gold, sehr viel Gold finden werden. Nun, habt Ihr Lust?«

Wenn es wirklich seine Absicht gewesen wäre, nach Gold zu graben, so hätte er sich sehr gehütet, hier, vor so vielen Zeugen, davon zu sprechen; er hatte also etwas ganz andres vor, und daß dies nichts Gutes war, erhellte daraus, daß der Quasi-General zu der Gesellschaft gehörte. Daß dieser sich noch Douglas nannte und keinen andern Namen angenommen hatte, war von ihm eine Unvorsichtigkeit, die ich kaum begreifen konnte.

»Nein, Sir, ich habe keine Lust,« antwortete ich.

»Warum nicht?«

»Sehr einfach, weil mir die Sache nicht gefällt.«

»Und warum gefällt sie Euch nicht?«

Seine vorher freundlichen Züge verfinsterten sich mehr und mehr und wurden schließlich drohend.

»Weil sie nicht nach meinem Geschmacke ist.«

»Und was für eine Art von Geschmack habt Ihr, Sir?«

»Die Art, welche es mit der Ehrlichkeit hält.«

Dann sprang er auf und schrie mich an:

»Alle Teufel! Wollt Ihr etwa sagen, daß ich nicht ehrlich bin?«

Auch einige von den andern Gästen standen auf. Sie wollten die Scene genau sehen, welche jetzt unbedingt erfolgen mußte.

»Ich habe mich um Eure Ehrlichkeit ebensowenig zu bekümmern wie Ihr Euch um meinen Geschmack,« antwortete ich, indem ich ruhig sitzen blieb, ihn aber scharf im Auge behielt. »Wir gehen einander nichts an und werden uns in Ruhe lassen!«

»In Ruhe lassen? Das bildet Euch nur ja nicht ein! Ihr habt mich beleidigt, und zwar in einer Weise, daß ich Euch zeigen muß, wer Toby Spencer eigentlich ist.«

»Das braucht Ihr mir nicht erst zu zeigen.«

»So? Ihr wißt es wohl schon?«

»Ja.«

»Nun, was bin ich denn?«

»Grad das, was ich auch bin, nämlich Gast bei Mutter Thick, und als Gast hat man sich anständig zu betragen, wenn man anständig behandelt sein will.«

»Ah! Und wie wollt Ihr mich denn behandeln?«

»So, wie Ihr es verdient. Ich habe Euch nicht aufgefordert, Euch zu mir zu setzen; es waren genug andre Plätze da. Ich habe auch nicht von Euch verlangt, mit mir zu sprechen. Und nachdem ich von Euch ins Gespräch gezogen worden bin, habe ich höflich und sachgemäß geantwortet. Eure Pläne und Absichten sind mir vollständig gleichgültig; da Ihr mich aber fragtet, ob ich mit Euch nach Colorado wolle, habe ich Euch ruhig gesagt, daß ich keine Lust habe. Wie Euch das in Zorn versetzen kann, begreife ich nicht!«

»Ihr habt von Ehrlichkeit gesprochen, Boy! Das dulde ich nicht!«

»Nicht? Hm! Ich denke, ein ehrlicher Mann kann ruhig von Ehrlichkeit sprechen hören, ohne darüber in solchen Grimm zu geraten.«

»Mann, nehmt Euch in acht! Das ist wieder eine Beleidigung, die ich mir sehr stark – – –«

Er wurde von der Wirtin unterbrochen, welche ihn aufforderte, Ruhe zu halten; er hob den Arm gegen sie.

»Begebt Euch nicht in Gefahr, Mutter Thick!« bat ich sie. »Ich bin gewöhnt, für mich selbst zu sorgen, und pflege stets mein eigner Schutz zu sein.«

Das brachte den Rowdy in noch größere Wut. Er schrie mich an:

»Dein eigner Schutz? Nun, so schütze dich! Hier, das ist für die Beleidigung!«

Er holte mit der Faust zum Schlage aus; darauf war ich gefaßt. Ich hatte im Nu das Bierglas ergriffen und parierte mit ihm den Hieb. Anstatt daß dieser mich traf, wurde er von dem Glase aufgefangen, welches sogleich in Stücke ging. Zugleich sprang ich auf und stieß dem Kerl die Faust mit solcher Gewalt von unten herauf unter das Kinn, daß seine Gestalt, so stark und schwer sie war, hintenüberflog und, einen Tisch und mehrere Stühle umreißend, zur Erde stürzte.

Der war besorgt, und ich hatte zunächst meine Augen auf seine Genossen zu richten, denn daß diese seinen Fall rächen würden, das war sicher. Sie drangen auch sofort mit wildem Geschrei auf mich ein. Zwei Fausthiebe von mir, und zwei von ihnen flogen, der eine nach rechts und der andre nach links auseinander; dem dritten fuhr ich mit beiden Fäusten gegen die Magengrube, daß er mit einem überschnappenden Schrei zusammenknickte; die beiden letzten wichen bestürzt zurück.

Jetzt aber hatte sich Spencer wieder aufgerafft; seine Hand blutete vom Glase, und noch mehr Blut floß ihm aus dem Munde; er hatte sich bei meinem Fausthiebe unter das Kinn in die Zunge gebissen. Mir das Blut entgegenspuckend, brüllte er:

»Hund, das ist dein Tod! So ein Kerl, der nicht einmal weiß, was für ein Metier er hat, wagt es, sich an Toby Spencer zu vergreifen! Ich werde – –«

»Halt! Augenblicklich die Hand vom Gürtel!« unterbrach ich ihn, denn er griff nach dem Revolver; zugleich zog ich den meinigen und richtete den Lauf auf ihn.

»Nein, sondern die Hand in den Gürtel!« schäumte er. »Meine Kugel soll dich – –«

»Noch einmal, fort mit der Waffe, sonst schieße ich!« fiel ich ihm wieder in die Rede.

Er zog sie dennoch. Ich zielte auf seine Hand; er stieß einen Schrei aus, ließ sie sinken, und der Revolver fiel zu Boden.

»Hände hoch! Augenblicklich ihr alle, Hände hoch! Wer nicht gehorcht, bekommt die Kugel!« befahl ich nun.

»Hände hoch!« ist im Westen ein gefährliches Wort. Wer zuerst die Waffe in der Hand hat, der befindet sich im Vorteile. Um sich selbst zu retten, darf er den Gegner nicht schonen. Wenn er ›Hände hoch!‹ gebietet und es wird nicht augenblicklich gehorcht, so schießt er unbedingt; das weiß jedermann. Auch diese sechs Personen wußten es; ich hatte zu dem ersten schnell noch einen zweiten Revolver gespannt, und sie mußten überzeugt sein, daß ich meine Drohung wahr machen würde. Ich befand mich in Notwehr und konnte sie nach allem Rechte erschießen; darum fuhren, als ich den Befehl kaum ausgesprochen hatte, zehn Arme in die Höhe, diejenigen von Toby Spencer auch. Sie vor den Läufen der Revolver behaltend, warnte ich sie:

»Behaltet ja die Hände oben, bis wir miteinander fertig sind; ich habe noch elf Kugeln! Wie steht nun Toby Spencer da, der berühmte, große Held? jetzt hat er es mit keinem falschen Coloradomann zu thun und wird wohl einsehen, daß ich mich auf mein Metier verstehe. Mutter Thick, nehmt den Kerls die Gewehre, Revolver und Messer weg, und schließt sie ein! Morgen früh mögen sie schicken oder selber kommen, um sie abzuholen. Und untersucht ihre Taschen nach dem Gelde! Ihr zieht ihnen die Zeche ab, die sie gemacht haben und den Preis des Glases, welches Spencer zerschlagen hat; dann mögen sie sich trollen.«

Mutter Thick war schnell bei der Hand, diese Weisungen auszuführen, und es sah sich eigentlich komisch an, wie die sechs Menschen mit hoch erhobenen Armen um den Tisch standen und nicht wagten, sich zu bewegen. Zu welcher Sorte von Leuten sie gehörten, zeigte sich durch die Reichtümer, welche sie besaßen. Sie hatten zusammen nur wenige Cents über den Betrag der Zeche. Als die Wirtin dieses Geld eingesteckt hatte, sagte ich:

»Nun macht die Thür auf, Mutter Thick; sie mögen hin ausmarschieren. Draußen können sie die Arme sinken lassen, eher aber nicht, sonst schieße ich noch im letzten Augenblicke.«

Die Thür wurde geöffnet.

»Hinaus mit euch! jetzt wißt ihr nun, ob ich ängstlicher Natur bin oder nicht!«

Sie marschierten mit hoch erhobenen Händen einer hinter dem andern hinaus. Der letzte war Spencer. Ehe er den letzten Schritt that, drehte er sich um und drohte, halb brüllend und halb zischend:

»Auf Wiedersehen! Dann aber hebst du die Arme in die Höhe, Hund!«

Als die Wirtin die Thür hinter ihnen zugemacht hatte, steckte ich die Revolver wieder ein, setzte mich nieder und bat um ein andres Glas. Die allgemeine Spannung löste sich in einem Hauche, der hörbar durch den Gastraum ging. So hatten sich die guten Gentlemen das Ende nicht gedacht! Als Mutter Thick mir das Bier brachte, gab sie mir die Hand und sagte:

»Ich muß mich wieder bei Euch bedanken, Sir. Ihr habt mich von diesen Menschen befreit, die wer weiß was noch angefangen hätten. Und wie habt Ihr das fertig gebracht! Ich hatte wirklich Angst um Euch, als es losging, jetzt freilich weiß ich, daß Ihr keine Frau zu Eurem Schutze braucht. Ihr sollt das beste Zimmer bekommen, welches ich habe. Aber nehmt Euch ja vor diesen Leuten in acht! Sie fallen ganz gewiß bei der ersten Begegnung über Euch her.«

»Pshaw! Ich fürchte mich nicht.«

»Nehmt es nicht zu leicht! Derartige Halunken kommen nicht von vorn, sondern hinterrücks.«

Ich sah dann, daß sie nach mir gefragt wurde, doch konnte sie keine Auskunft geben. Man hätte wahrscheinlich gern gewußt, wer ich war, doch hatte ich keine Gründe, Bekanntschaften anzuknüpfen, die nur die Dauer von höchstens zwei oder drei Tagen haben konnten; länger wollte ich nicht in Jefferson bleiben.

Als ich mir dann meine Stube anweisen ließ, sah ich, daß Mutter Thick Wort gehalten hatte; ich wohnte so gut und sauber, wie ich es nur wünschen konnte, und schlief weit besser, als ich vorher vermutet hatte; denn wenn der Westmann zum erstenmal in einem geschlossenen Raum schläft, pflegt er gewöhnlich kein Auge zuzuthun.

Am nächsten Morgen sorgte ich dafür, daß mein äußerer Mensch ein besseres Aussehen erhielt, und dann suchte ich das Bankhaus Wallace und Co. auf, um mich nach Old Surehand zu erkundigen. Ich war höchst neugierig auf das Verhältnis, in welchem Old Surehand zu diesem Hause stand, und auf den Bescheid, den man mir geben würde.

Ich hatte von Mutter Thick aus nicht weit zu gehen, denn das Geschäft lag in derselben Straße. Als ich in der Office nach Mr. Wallace fragte, sollte ich meinen Namen nennen; aber weil ich nicht wußte, wie die Verhältnisse standen, verschwieg ich ihn lieber. Es ist oft gut, wenn man nicht gekannt wird, und ich hatte viele Vorteile, die ich auf meinen Wanderungen errang, nur dem Umstande zu verdanken, daß man nicht wußte, wer ich war.

»Sagt Mr. Wallace, ich sei ein Bekannter von Old Surehand,« sagte ich.

Kaum hatte ich diesen Namen ausgesprochen, so fuhren die Köpfe sämtlicher Clercs nach mir herum. Ich wurde in der erbetenen Weise angemeldet und dann in ein Zimmer geführt, in welchem ein einzelner Herr am Schreibtische saß und sich bei meinem Eintritte schnell erhob. Er war ein Yankee mit einem recht sympathischen Gesichte und stand in den mittleren Lebensjahren. Den Blick forschend und erwartungsvoll auf mich gerichtet, stellte er sich vor:

»Ich heiße Wallace, Sir.«

»Und mich nennt man Old Shatterhand. Ich weiß nicht, ob Ihr diesen Namen schon einmal gehört habt.«

»Oft, sehr oft, und zwar in einer Weise, die es mir zur Ehre macht, Euch bei mir zu sehen. Seid mir herzlich willkommen und nehmt hier nahe Platz, Mr. Shatterhand! Ihr seid natürlich soeben erst in Jefferson-City angekommen?«

»Nein, ich bin seit gestern hier.«

»Was? Ohne mich sofort aufzusuchen? Wo habt Ihr gewohnt, Sir?«

»Bei Mutter Thick, hier in derselben Straße.«

»Kenne sie; eine brave, ehrliche Frau, aber keine Wirtin für einen Gentleman wie Old Shatterhand!«

»O, ich wohne da vortrefflich und bin ganz zufrieden.«

»Ja, weil Ihr das Lagern im Freien bei jeder Witterung gewöhnt seid; darum sind Eure Ansprüche so bescheiden. Aber wenn Ihr Euch einmal an einem civilisierten Orte befindet, müßt Ihr Euch erholen und Euch bieten, was Ihr Euch bieten könnt; das seid Ihr Eurer körperlichen und auch geistigen Gesundheit schuldig.«

»Grad dieser Gesundheit wegen will ich keine großen Unterschiede, Sir.«

»Mag sein! Aber ich hoffe, daß Ihr meine Einladung annehmt und während Eures hiesigen Aufenthaltes bei mir wohnt!«

»Verzeiht es mir, daß ich mit bestem Danke ablehnen muß! Ich gehe wahrscheinlich schon morgen von hier fort; ferner liebe ich es, vollständig unabhängig zu sein und unabhängig handeln zu können, was aber nicht der Fall sein würde, wenn ich bei Euch wohnte. Und sodann bin ich es Mr. Surehand schuldig, Euch nicht zu belästigen.«

»Wie so?«

»Ihr kennt ihn gut?«

»Ja.«

»Vielleicht sogar genau?«

»Genauer als jeder andre Mensch; ich will Euch sogar aufrichtig sagen, daß wir verwandt miteinander sind.«

»Well! Er hat mich gebeten, nicht nach seinen Verhältnissen zu forschen. Wenn ich bei Euch wohnte, würde mir wahrscheinlich manches nicht entgehen oder ich würde manches erraten, was ich nicht zu wissen brauche.«

»Hm!« nickte er nachdenklich. »Diesen Grund und auch den von Eurer Selbständigkeit muß ich freilich gelten lassen; ich will also nicht in Euch dringen; aber willkommen, höchst willkommen würdet Ihr mir sein; das will ich Euch aufrichtig sagen.«

»Danke, Mr. Wallace! Der Grund meines Besuches ist nur der, zu fragen, ob Ihr wißt, wo er sich jetzt ungefähr befindet.«

»Er ist hinauf in die Parks.«

»Nach welchem?«

»Zunächst nach dem von San Louis.«

»Ah! Wann ist er fort von hier?«

»Vor drei Tagen erst.«

»Da kann ich ihn ja einholen.«

»Ihr wollt hinauf? Ihr wollt zu ihm?«

»Ja. Winnetou reitet mit.«

»Auch Winnetou? Das freut mich; das freut mich ungemein! Wir stehen immerfort so große Sorge um ihn aus; die Gründe kann ich nicht sagen. Wenn wir da zwei solche Männer bei ihm wissen, können wir viel ruhiger sein. Ihr habt ihm schon einmal das Leben gerettet; darum denke ich, daß – –«

»O bitte!« schnitt ich ihm das Lob ab. »Ich will, wie gesagt, nicht in seine Geheimnisse dringen; aber kann ich vielleicht erfahren, ob er damals in Fort Terrel den gesuchten Dan Etters gefunden hat?«

»Nein. Etters ist gar nicht da gewesen.«

»Also war es eine Lüge des Generals?«

»Ja.«

In diesem Augenblicke kam ein Clerc herein und zeigte ein Papier mit der Frage vor, ob es honoriert werden solle.

»Ein Check über fünftausend Dollars von Grey und Wood in Little Rock,« las Wallace. »Ist gut und wird ausgezahlt.«

Der Clerc entfernte sich. Nach einiger Zeit ging ein Mann an unserm Fenster vorüber; ich sah ihn und der Bankier auch.

»Himmel!« rief ich aus. »Das war der General!«

»Wie? Meint Ihr den General, der Old Surehand so unnötigerweise nach Fort Terrel geschickt hat?«

»Ja.«

»Er ging hier vorbei, muß also in meiner Office gewesen sein. Erlaubt mir, einmal nachzufragen, was er gewollt hat!«

»Und ich muß sehen, wohin er geht!«

Ich eilte hinaus, aber er war verschwunden. Ich ging bis zur nächsten Straßenkreuzung, sah ihn aber auch da nicht. Das konnte mich freilich nicht enttäuschen, denn ich hatte ja nichts mehr mit ihm zu thun. Nur hatte ich mich, falls er mich sah, vor einem hinterlistigen Angriffe zu hüten. Als ich zu Wallace zurückkehrte, erfuhr ich, daß der General es gewesen war, der den Check präsentiert hatte. Natürlich hatte ihn niemand gekannt.

Wallace lud mich, da ich nicht bei ihm logieren wollte, wenigstens zum Frühstück ein. Ich wurde von den Seinen so aufgenommen, daß ich mich bewegen ließ, bis zum Diner zu bleiben, und als dies vorüber war, wurde ich noch so lange festgehalten, daß das Souper beinahe schon serviert wurde. Es war also fast neun Uhr, als ich den Rückzug zu Mutter Thick antrat. Vorher mußte ich Wallace versprechen, ihn, wenn es mir möglich sei, vor meiner Abreise noch einmal zu besuchen.

Die Wirtin hatte Lust, mit mir zu schmollen, weil ich so lange weggeblieben war. Sie gestand mir, heut 'was ganz Besonderes für mich gebraten zu haben, was aber, weil ich nicht gekommen sei, Mr. Treskow gegessen habe. Die gestrigen Gäste waren wieder da, und es gab da eine Unterhaltung, welche der gestrigen ähnlich war.

Auf mein Befragen erfuhr ich, daß Toby Spencer gleich nach meinem Fortgange die konfiszierten Waffen hatte holen lassen. Ich hatte mich so gesetzt, daß ich den Eingang sehen konnte; darum war ich einer der ersten, welcher zwei Männer eintreten sah, auf die sich bald die Blicke aller Anwesenden richteten. Ihre äußere Erscheinung war freilich ganz geeignet, die größte Aufmerksamkeit zu erregen.

Der eine war kurz und dick, der andre lang und dünn. Der Dicke hatte ein bartloses, sonnverbranntes Gesicht; dasjenige des Langen war ebenso von der Sonne gefärbt, welche ihm aber fast die ganze Fruchtbarkeit entzogen zu haben schien, denn der Bart, den er trug, bestand aus nur wenigen Haaren, die von den Wangen, dem Kinn und der Oberlippe fast bis auf die Brust herniederhingen und ihm ganz das Aussehen gaben, als ob er von den Motten zerfressen und gelichtet worden sei. Sah man es diesen beiden Männern schon in Beziehung auf ihre Persönlichkeiten an, daß sie keine gewöhnlichen Leute waren, so mußten sie durch die Art, wie sie sich gekleidet hatten, doppelt auffällig werden. Sie trugen sich nämlich von den Köpfen bis zu den Füßen herunter zeisiggrün. Kurze, weite, zeisiggrüne Jacken, kurze, weite, zeisiggrüne Hosen, zeisiggrüne Gamaschen, zeisiggrüne Schlipse, zeisiggrüne Handschuhe und zeisiggrüne Mützen mit zwei Schirmen, hinten einen und vorn einen, ganz nach Art der Orienthelme. Es fehlte ihnen nur noch das Monocle in das Auge, so hätten sie für die Erfinder oder ersten Repräsentanten des heutigen Gigerltums erklärt werden können, zumal sie auch sehr dicke und unförmliche zeisiggrüne Regenschirme in den Händen hatten.

Es lenkten sich natürlich aller Augen auf sie. Ich erkannte sie trotz ihrer Kleidung, die man besser eine Maskerade hätte nennen können, sofort, und da ich mir den Spaß machen wollte, sie zu Überraschen, so drehte ich mich mit meinem Stuhle so um, daß sie mein Gesicht nicht sehen konnten. Es fiel ihnen nicht ein, zu grüßen; sie fühlten sich als Leute, die es nicht nötig hatten, sich dazu herabzulassen. Auch hielten sie es nicht für notwendig, leise zu sprechen. Sie sahen sich kurz um, dann blieb der Dicke vor einem leeren Tische stehen und fragte den Dünnen, der ihm langsam und bedächtig gefolgt war:

»Was meinst du, Pitt, altes Coon, ob wir hier an diesem vierbeinigen Dinge Lager machen?«

»Wenn du denkst, daß es da für uns passend ist, so habe ich nichts dagegen, alter Dick,« antwortete der Lange.

»Well! Setzen wir uns also her!«

Sie nahmen Platz. Die Wirtin kam zu ihnen und fragte nach ihren Wünschen.

»Seid Ihr die Wirtin dieses Trink- und Logierpalastes, Ma'am?« erkundigte sich Dick Hammerdull.

»Yes. Wollt Ihr vielleicht bei mir logieren, Sir?«

»Ob wir da logieren wollen oder nicht, das bleibt sich gleich; wir haben schon eine Hütte, in der wir wohnen. Was habt Ihr zu trinken?«

»Alle Sorten von Brandy. Besonders kann ich euch meinen Mint- und Carawayjulep empfehlen, der ganz vorzüglich ist.«

»Julep hin und Julep her, wir trinken keinen Schnaps. Habt Ihr denn kein Bier?«

»Sehr gutes sogar.«

»So bringt zwei Töpfe voll; aber groß müssen sie sein!«

Sie bekamen das Verlangte. Hammerdull setzte das Glas an und trank es in einem Zuge aus. Als Pitt Holbers dies sah, leerte er das seinige auch bis auf die Nagelprobe.

»Was meinst du, Pitt, wollen wir nochmals eingießen lassen?«

»Wenn du denkst, Dick, daß wir nicht daran ersaufen, so habe ich nichts dagegen. Es schmeckt besser als Savannenwasser.«

Sie bekamen ihre Krüge wieder gefüllt und nahmen sich erst nun die Zeit, das Lokal und die darin befindlichen Gäste in Augenschein zu nehmen. Dabei fiel das Auge des Dicken zunächst auf den früheren Indianeragenten, der ebenso wie der auch anwesende Treskow die beiden mit überraschten und erwartungsvollen Augen betrachtet hatte.

»Alle Donner!« rief er aus. »Pitt, altes Coon, schau doch einmal hinter nach der langen Tafel! Kennst du den Gentleman, der dort rechts in der Ecke sitzt und uns anlacht, als ob wir Schwiegerväter oder sonstige Verwandte von ihm wären?«

»Wenn du denkst, daß ich ihn kenne, lieber Dick, so will ich nichts dagegen haben.«

»Ist's nicht der Agent, der damals – Himmel!« unterbrach er sich selbst, denn sein Auge war nun auch auf Treskow gefallen – – – »Pitt Holbers, schau einmal mehr nach rechts! Dort sitzt noch einer, den du schon einmal gesehen hast. Gehe in dein Inneres und besinne dich!«

»Hm! Wenn du denkst, daß es der Polizist ist, der es damals so auf Sanders abgesehen hatte, so ist's richtig. Was meinst du dazu, wollen wir ihnen die Vorderfüße schütteln?«

»Ob ich es meine oder nicht, das ist ganz egal, aber geschüttelt werden sie. Komm, altes Coon!«

Sie gingen nach der Tafel, von welcher ihnen die beiden Genannten nun hoch erfreut entgegen kamen; sie hatten die zwei Westmänner nicht zuerst begrüßen wollen, um zu sehen, ob sie von ihnen erkannt würden. Dick Hammerdull und Pitt Holbers, von denen gestern zweimal erzählt worden war, hier bei Mutter Thick! Das war natürlich ein großes, ein freudiges Ereignis. Es wurden ihnen von allen, die an der Tafel saßen, die Hände geschüttelt, und es verstand sich ganz von selbst, daß sie ihre jetzigen Plätze aufgeben und sich zu ihren alten und neuen Bekannten setzen mußten.

»Wir haben erst gestern von euch gesprochen,« sagte Treskow. »Wir erzählten unsre damaligen Erlebnisse, und ihr dürft euch also nicht darüber wundern, daß ihr den Gentlemen hier sehr liebe Bekannte seid. Dürfen wir wissen, wie es euch dann später ergangen ist? Ich mußte mich in New York von euch trennen, nachdem wir der Hinrichtung von Sanders, der ›Miß Admiral‹ und ihrer Genossen beigewohnt hatten.«

»Wie es uns ergangen ist? Sehr gut,« antwortete Hammerdull. »Wir sind direkt nach dem Westen, wo wir natürlich sogleich unser hide-spot aufsuchten.«

»Bestand das noch?«

»Yes. Warum sollte es nicht mehr bestanden haben?«

»Der Ogellallahs wegen, die es entdeckt hatten.«

»Das schadete nichts, denn wir hatten sie ja alle ausgelöscht, und von den Kameraden, die wir dort zurückließen, als der Ritt nach San Francisco begann, waren alle Spuren vernichtet worden. Wißt Ihr noch, daß damals in San Francisco, als wir an Bord gingen, einige von uns am Lande blieben?«

»Ja, ich besinne mich.«

»Ob Ihr Euch besinnt oder nicht, das bleibt sich gleich, das ist sogar ganz egal; aber diese Männer sind nicht in San Francisco geblieben, um dort auf uns zu warten, sondern nach dem hide-spot zurückgekehrt, so daß wir unsre Pferde vorfanden, als wir dort ankamen.«

»Eure Stute auch?«

»Natürlich. Hei, das hat eine Freude gegeben! Das alte, gute Viehzeug ist vor Entzücken fast verrückt geworden, als sie ihren lieben Dick Hammerdull wieder sah. Auch Winnetou bekam seinen Rappen.«

»Er ist also mit Euch hinauf zum hide-spot

»Yes«

»Habt Ihr ihn denn vielleicht wieder einmal getroffen?«

»Yes. Er kam mit Old Shatterhand zu uns.«

»Old Shatterhand! Ah, den möchte ich auch gern einmal sehen. Ich beneide Euch darum, daß Ihr ihn kennt.«

»Ob Ihr mich beneidet oder nicht, das bleibt sich gleich; ich beneide mich ja selber drum. Ich sage euch, Mesch'schurs, das ist ein Kerl! Ich habe mich stets für einen tüchtigen Westmann gehalten, und du doch auch, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Hm, wenn du es denkst, lieber Dick, so kann ich nichts dagegen haben.«

»Ja, es ist wahrhaftig so. Wir haben uns immer eingebildet, daß wir ganz vortreffliche Kerle seien, aber dieser Old Shatterhand hat uns eines ganz andern belehrt. Alles, was wir machten, war falsch und dumm; er hatte in allem eine ganz andre Art und Weise, und wie und wo er ein Ding anfing, da hatte es Erfolg. Er war mit Winnetou fast drei Monate bei uns, und ich sage Euch, daß wir in dieser Zeit zehnmal mehr Häute und Felle erbeutet haben als sonst in einem halben Jahre. Das gab dann später beim Verkaufe einen ganzen Klumpen Gold. Kurze Zeit, nachdem sie fort waren, lernten wir einen andern Westmann kennen, der fast auch so berühmt ist wie sie. Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Wenn du Old Surehand meinst, so kann es mir nicht einfallen, dir unrecht zu geben, lieber Dick.«

»Ja, Old Surehand, den meine ich. Habt ihr von ihm schon gehört, Mesch'schurs?«

Sie bejahten alle diese Frage, und er fuhr fort:

»Das ist auch ein Mann, vor dem man Respekt haben muß. Leider hat er die Eigenheit, an keinem Orte lange zu bleiben. Er schießt nur so viel, wie er zum Leben braucht; darum ist er nicht eigentlich ein Jäger zu nennen, obgleich es aus seiner Büchse nie einen Fehlschuß giebt; er stellt keine Fallen; er sucht nicht nach Gold; man weiß gar nicht, weshalb und wozu er im wilden Westen lebt. Kaum hat man ihn gesehen, so ist er wieder verschwunden. Es ist, als ob er nach etwas suche, was er nicht finden kann. – Also, Mr. Treskow, es ist uns immer gut ergangen; wir haben einträgliche Jagden gehabt und unsern Beutel so gefüllt, daß wir mit dem Gelde nicht wissen, wohin.«

»Da seid Ihr ja zu beneiden, Mr. Hammerdull!«

»Zu beneiden? Schwatzt keine Dummheit! Was soll man mit dem vielen Gelde thun, wenn man nichts damit thun kann? Was kann ich mit meinen Goldstücken, mit meinen Checks und Anweisungen im wilden Westen machen, he?«

»Geht nach dem Osten und genießt da Euer Leben!«

»Danke! Was giebt's da zu genießen? Soll ich mich in ein Hotel setzen und eine Speisekarte herunteressen, von der nichts draußen am Lagerfeuer, sondern alles in der Ofenröhre gebraten ist? Soll ich mich im Menschengewühle eines Konzertsaales halb zerdrücken lassen, die schlechteste Luft des ganzen Erdballes verschlingen und meine guten Ohren in die Gefahr bringen, von Pauken und Trompeten vollständig ruiniert zu werden, während unser Herrgott da draußen im Rauschen des Urwaldes und in den geheimnisvollen Stimmen der Wildnis jedem, der einen Sinn dafür hat, ein Konzert bietet, gegen welches Eure Geigen und Trommeln nicht aufkommen können? Soll ich mich in ein Theater setzen, meine Nase in die dort herrschenden Moschus- und Patschulidüfte stecken und mir ein Stück vorspielen lassen, welches meine Gesundheit untergräbt, weil ich mich darüber entweder krank lachen oder krank ärgern muß? Soll ich mir eine Wohnung mieten, in welcher kein Wind wehen und kein Regentropfen fallen darf? Soll ich mich in ein Bett legen, über welchem es keinen freien Himmel, keine Sterne und keine Wolken giebt, und wo ich mich so in die Federn wickle, daß ich mir selbst wie ein halb gerupfter Vogel vorkomme? Nein! Geht mir mit Eurem Osten und seinen Genüssen! Die einzigen und wahren Genüsse finde ich im wilden Westen, und für die hat man nichts zu bezahlen. Darum braucht man dort weder Gold noch Geld, und Ihr könnt Euch denken, wie ärgerlich es ist, ein reicher Kerl zu sein, dem sein Reichtum aber nicht den geringsten Genuß oder Nutzen bringt. Da haben wir denn nachgedacht, was wir mit unsrem Gelde, welches wir nicht brauchen, machen sollen. Wir haben uns darüber monatelang den Kopf zerbrochen, bis Pitt Holbers endlich auf einen sehr guten, auf einen vortrefflichen Gedanken gekommen ist. Nicht wahr, Pitt, altes Coon?«

»Hm, wenn du wirklich denkst, daß er vortrefflich ist, so will ich dir beistimmen. Du meinst doch meine alte Tante?«

»Ob sie eine Tante ist oder nicht, das bleibt sich gleich; aber dieser Gedanke wird ausgeführt. Pitt Holbers hat nämlich schon als Kind seine Eltern verloren und wurde von einer alten Tante erzogen, der er aber davongelaufen ist, weil die Methode, mit der sie ihn erzog, für ihn sehr schmerzlich war. Es giebt, wie ihr alle zugeben werdet, Mesch'schurs, Gefühle, die man sich nicht abgewöhnen kann, besonders wenn sie von Tag zu Tag mit Hilfe von Stockhieben und Backpfeifen immer wieder von neuem aufgefrischt werden. Solche schmerzliche Gefühle waren es, denen sich Pitt Holbers durch die Flucht entzog. Er hielt nämlich in seiner jugendlichen Weisheit die Erziehungsmethode der alten Tante für zudringlicher, als sie in Beziehung auf gewisse, sehr empfindliche Körperteile eigentlich zu sein brauchte. Jetzt aber ist ihm der Verstand gekommen, und er hat eingesehen, daß er eigentlich noch viel mehr Hiebe hätte bekommen sollen. Die gute Tante erscheint ihm jetzt nicht mehr in der Gestalt eines alten Drachen, sondern als eine liebevolle Fee, die seinen äußern Menschen mit dem Stocke frottierte, um seinen innern glücklich zu machen. Diese Überzeugung hat in ihm das Gefühl der Dankbarkeit hervorgerufen und zugleich die Idee erweckt, nachzuforschen, ob die Tante noch am Leben ist. Ist sie tot, so leben wahrscheinlich Nachkommen von ihr, denn sie hatte neben dem Neffen selbst auch Kinder, welche ganz nach derselben Methode erzogen wurden und darum ganz gewiß verdienen, jetzt glückliche Menschen geworden zu sein. Zu diesem Glücke wollen wir ihnen verhelfen. Die Tante soll, wenn wir sie finden, unser Geld bekommen, auch das meinige, denn ich brauche es nicht, und es ist ganz egal, ob sie meine Tante oder seine Tante ist. Nun wißt ihr also, Mesch'schurs, warum ihr uns hier an der Grenze des Ostens seht. Wir wollen die gute Fee von Pitt Holbers aufsuchen, und weil man vor den Augen eines solchen Wesens unmöglich so erscheinen darf, wie wir im Urwalde herumlaufen, haben wir unsre geflickten Leggins und Jagdröcke abgeworfen und uns diese schönen grünen Anzüge zugelegt, weil sie uns an die Farbe der Prairie und der grünenden Buschwoods erinnern.«

»Und wenn Ihr nun die Tante nicht findet, Sir?« fragte Treskow.

»So suchen wir ihre Kinder und geben ihnen das Geld.«

»Und wenn nun die auch tot sind?«

»Tot? Unsinn! Die leben noch! Kinder, welche nach einer solchen Methode erzogen werden, die haben ein zähes Leben und sterben nicht so leicht.«

»So habt Ihr wohl Euer Geld mit?«

»Yes

»Aber doch wohl gut verwahrt, Mr. Hammerdull? Ich frage das nämlich, weil ich weiß, daß es Westmänner giebt, welche in Beziehung auf das Geld eine oft geradezu naive Arglosigkeit zeigen.«

»Ob arglos oder nicht, das bleibt sich gleich; wir haben es so gut verwahrt, daß es auch dem pfiffigsten Spitzbuben unmöglich ist, es zu bekommen.«

Er hatte ebenso wie Pitt Holbers eine auch zeisiggrüne Tasche umhängen, schlug mit der Hand an sie und sagte:

»Wir tragen es stets bei uns; hier in dieser Tasche steckt's, und des Nachts legen wir es unter den Kopf. Wir haben unser Vermögen in schöne, gute Anweisungen und Checks verwandelt, ausgestellt von Gray und Wood in Little Rock; jedes Bankhaus zahlt die volle Summe aus. Da, seht her; ich will's Euch zeigen!«

Als er die Firma Gray und Wood in Little Rock nannte, dachte ich sogleich an den ›General‹, welcher heut bei Wallace und Co. einen Check von diesem Bankhause präsentiert hatte. Dick Hammerdull schnallte die Tasche auf, griff hinein und nahm eine lederne Brieftasche heraus, die er mit einem kleinen Schlüssel öffnete.

»Hier steckt das Geld, Mesch'schurs,« sagte er; »also in zwei Taschen doppelt verwahrt, so daß kein Mensch dazukommen kann. Wenn ihr diese Checks – –«

Er hielt inne. Die Rede schien ihm nicht bloß im Munde, sondern hinten im Halse stecken zu bleiben. Er hatte Checks aus der Tasche nehmen und vorzeigen wollen; ich sah von weitem, daß er ein kleines, helles Päckchen in der Hand hielt; sein Gesicht hatte den Ausdruck des Erstaunens, ja der Bestürzung.

»Was ist das?« fragte er. »Habe ich die Checks dann in eine Zeitung gewickelt, als ich sie gestern in den Händen hatte? Weißt du das, Pitt Holbers?«

»Ich weiß nichts von einer Zeitung,« antwortete Pitt.

»Ich auch nicht, und doch ist das ein Zeitungspapier, in welches sie eingeschlagen sind. Sonderbar, höchst sonderbar!«

Er faltete das Papier auseinander und rief, indem sein Gesicht erbleichte, erschrocken aus:

»Alle Teufel! Die Checks sind nicht da! Die Zeitung ist leer!« Er griff in die andern Fächer der Brieftasche; sie waren leer. »Die Checks sind fort! Sie sind nicht hier – nicht hier -und auch nicht hier. Sieh gleich einmal nach, wo die deinigen sind, Pitt Holbers, altes Coon! Hoffentlich hast du sie noch!«

Holbers schnallte seine Tasche auf und antwortete:

»Wenn du etwa meinst, daß sie verschwunden sind, lieber Dick, so wüßte ich nicht, auf welche Weise das geschehen sein sollte.«

Es zeigte sich bald, daß sie auch fort waren. Die beiden Westmänner waren aufgesprungen und starrten einander rat- und fassungslos an. Das schon so sehr schmale und lange Gesicht von Pitt Holbers war um die Hälfte länger geworden, und Dick Hammerdull hatte vergessen, nach seinen letzten Worten den Mund zu schließen; er stand ihm weit offen.

Nicht nur die um die Tafel sitzenden, sondern auch alle andern Gäste nahmen teil an dem Schrecke der Bestohlenen, denn daß ein Diebstahl vorlag, das war allen und auch mir sofort klar; speziell ich glaubte sogar, den Dieb zu erraten. Man sprach von allen Seiten auf Hammerdull und Holbers ein, welche die an sie gerichteten Fragen gar nicht beantworten konnten, bis Treskow mit lauter Stimme in diesen Wirrwarr hineinrief:

»Still, Gent's! Mit diesem Lärm erreichen wir nichts. Die Sache muß anders angefaßt werden; sie schlägt in mein Fach, und so bitte ich Euch, Mr. Hammerdull, mir einige Fragen ruhig und mit Überlegung zu beantworten. Seid Ihr fest überzeugt, daß die Wertpapiere sich in dieser Brieftasche befunden haben?«

»Genau so fest, wie ich überzeugt bin, daß ich Dick Hammerdull heiße!«

»Und diese Zeitung war nicht drin?«

»Nein.«

»So hat der Dieb die Papiere herausgenommen und die zusammengefaltete Zeitung an ihre Stelle gelegt, um Euch möglichst lange in der Meinung zu halten, daß die ersteren noch da seien. Die Brieftasche war so dick wie vorher, und wenn Ihr sie in die Hand nahmt, so mußtet Ihr denken, sie sei nicht geöffnet worden. Wer aber ist der Dieb?«

»Ja, wer – – ist – – der – – Dieb?« dehnte Hammerdull in großer Aufregung.

»Habt Ihr keine Ahnung?«

»Nicht die geringste! Und du, Pitt?«

»Ich auch nicht, lieber Dick,« antwortete Holbers.

»So müssen wir nach ihm forschen,« meinte Treskow. »Giebt es irgend wen, der es wußte, daß Ihr Geld oder Geldeswert hier in der Tasche hattet?«

»Nein,« antwortete der Dicke.

»Wirklich nicht?« »Keinen Menschen!«

»Seit wann steckten die Papiere drin?«

»Seit vorgestern.«

»Wann habt Ihr die Brieftasche zum letztenmal geöffnet?«

»Gestern, als wir uns schlafen legten.«

»Da waren sie noch drin?«

»Ja.«

»Wo habt ihr logiert?«

»Im Boardinghouse von Hilley, Waterstreet.«

»Dieser Wirt ist ein ehrlicher Mann; auf ihn kann kein Verdacht fallen. Aber er hat keine einzelnen Zimmer, sondern nur einen großen, gemeinschaftlichen Schlafraum?«

»Ja; da standen unsre Betten.«

»Ah! Und in diesem Raume habt ihr die Taschen aufgemacht?«

»Nein, sondern unten in der Gaststube.«

»Man hat euch dabei beobachtet?«

»Nein. Wir waren in dem betreffenden Augenblicke die einzigen Gäste, und es gab kein Auge, welches uns zusehen konnte. Dann sind wir schlafen gegangen und haben die Taschen unter die Kopfkissen gelegt.«

»So! Hm! Das giebt keinen Anhalt. Wir müssen schnell zu Hilley gehen, damit ich mir die Räumlichkeiten betrachte und nach andern Momenten suche. Kommt, Mr. Hammerdull, Mr. Holbers! Wir wollen eilen!«

Da sagte ich, noch immer auf meinem Platze sitzend, während alle andern Gäste aufgestanden waren und die Tafel umdrängten:

»Bleibt in Gottes Namen hier, Mr. Treskow! Ihr findet den Dieb dort nicht.«

Die Augen richteten sich alle auf mich, und Treskow ließ die schnelle Frage hören:

»Wer sagt das? Ah, Ihr! Wie kommt Ihr zu dieser Behauptung?«

»Infolge meiner Vermutungen.«

»Seid Ihr Jurist?«

»Nein.«

»Polizist?«

»Auch nicht; aber ich denke, man braucht keins von beiden zu sein, um irgend eine Sache richtig anfassen zu können. Erlaubt, daß nun einmal ich einige Fragen an Mr. Hammerdull und Mr. Holbers richte!«

Ich stand von meinem Stuhle auf und ging auf die Tafel zu. Dadurch wurde es den beiden Genannten trotz der vielen Personen, die sie umstanden, möglich, mich zu sehen. Was ich erwartet hatte, das geschah. Dick Hammerdull streckte beide Arme aus, wies mit beiden Zeigefingern auf mich und schrie.

»Heavens! Wen sehe ich da? Ist das die Möglichkeit, oder täuschen mich meine Augen? Pitt Holbers, altes Coon, siehst du diesen Gentleman?«

»Hm, wenn du denkst, daß ich ihn sehe, so scheinst du das Richtige getroffen zu haben, lieber Dick,« antwortete der Lange freudestrahlend.

»Und kennst du ihn aber auch?«

»Und ob! Das ist der Mann, den wir grad jetzt hier brauchen können! Der wird Klarheit in diese Teufelei bringen; das bin ich überzeugt.«

»Ich auch, ich auch! Welcome, Welcome, Mr. Shatterhand! Ist das eine Überraschung und eine Freude, Euch hier zu sehen! Ihr seid eben erst gekommen?«

»Nein. Ich war schon bei eurer Ankunft da.«

»Und wir haben Euch nicht gesehen!«

»Ich drehte mich mit Absicht um, denn ihr solltet mich nicht gleich erkennen.«

»So habt Ihr alles gehört, was gesprochen worden ist, und wißt, daß wir bestohlen worden sind?«

»Ja.«

»Wollt Ihr uns helfen?«

»Eigentlich eine sonderbare Frage, Sir!« lächelte ich.

»Mag sein! Aber man ist gewohnt, zu glauben, daß es keine Lage giebt, aus welcher Old Shatterhand nicht den richtigen Ausweg weiß.«

Seit mein Name genannt worden war, herrschte in dem großen Raume tiefe Stille. Man war von der Tafel zurückgetreten, um mir Platz zu machen, und ich sah um mich einen Kreis von Menschen, deren Augen mich neugierig betrachteten. Da drängte sich die Wirtin durch den Kreis, streckte mir beide Hände hin und rief.

»Old Shatterhand seid Ihr, Old Shatterhand? Willkommen, Sir, tausendmal willkommen! Das ist für mein Haus ein Ehrentag, den ich mir anmerken werde! Old Shatterhand wohnt bei mir! Hört ihr es alle, ihr Leute? Er wohnt schon seit gestern hier, und ich habe es nicht gewußt! Freilich, als er gestern abend die sechs Rowdies hinausmarschieren ließ, da konnten wir es uns eigentlich denken! Nun habe ich aber von – –«

»Davon später, Mutter Thick!« bat ich, sie unterbrechend. »Ich will Euch vorläufig sagen, daß es mir hier gefällt und daß ich mit Euch zufrieden bin; später sollt Ihr alles von mir hören, was Ihr wollt. Jetzt aber haben wir es mit dem Diebstahle zu thun. Wollt Ihr mir erlauben, Mr. Treskow, einige Fragen an die Eurigen anzuschließen?«

Er war bescheiden zurückgetreten und antwortete:

»Erlaubnis, Sir? Ich möchte wissen, wen Old Shatterhand um die Erlaubnis zu fragen hätte!«

»Well! Also, Dick Hammerdull, ihr habt die gestohlenen Papiere vorgestern in die Brieftasche gethan?«

»Ja,« antwortete er.

»Warum nicht eher?«

»Weil wir die Taschen nicht eher besaßen. Wir haben sie erst vorgestern hier gekauft.«

»Und wann die Papiere hineingethan?«

»Gleich in dem betreffenden Laden.«

»Waret ihr die einzigen Käufer dort?«

»Nein. Es kam ein Mann dazu, weicher, ich weiß nicht was kaufen wollte. Dem gefielen die Taschen so, daß er von ganz derselben Sorte auch zwei kaufte.«

»Sah er, daß ihr die Papiere in die eurigen stecktet?«

»Ja.«

»Wußte oder ahnte er, was für Papiere es waren?«

»Gewußt hat er es nicht. Ob er es aber ahnte, das kann man doch nicht wissen, nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Wenn du denkst, daß man es nicht wissen konnte, so hast du unrecht, lieber Dick,« antwortete Pitt, ihm dieses Mal nicht beistimmend.

»Geirrt? Wie so?«

»Weil du es gesagt hast.«

»Ich?«

»Ja.«

»Das ist ja nicht wahr! Ich habe mit diesem Manne kein einziges Wort gesprochen.«

»Aber mit dem Verkäufer. Zu dem sagtest du, als du die Papiere hineinstecktest, daß diese Art von Taschen sich sehr gut zur Aufbewahrung von solchen hohen Checks eigne.«

»Das war eine große Unvorsichtigkeit!« nahm ich wieder das Wort. »Hat der Mann die Taschen gekauft, ehe er das hörte?«

»Nein, sondern nachher,« antwortete Holbers.

»Wer ging dann eher fort, er oder ihr?«

»Wir.«

»Habt ihr nicht etwa bemerkt, daß er euch nachgegangen ist?«

»Nein.«

»Ich nehme trotzdem an, daß er euch gefolgt ist, natürlich heimlich; er hat sehen wollen, wo ihr wohnt.«

Da fiel Hammerdull schnell und eifrig ein:

»Ob wir gewohnt haben oder nicht, das bleibt sich gleich; aber er war dann auch da.«

»In eurem Boardinghouse?«

»Ja.«

»Logierte er da?«

»Ja.«

»Er schlief auch da?«

»Ja.«

»In demselben Raume mit euch?«

»Natürlich, denn es gab keinen andern Platz.«

»So ist er der Dieb!«

»Alle Wetter! Wie bestimmt Ihr das sagt, Sir! Freilich, wenn Old Shatterhand es sagt, so ist es richtig. Aber wie soll er in unsre Brieftaschen gekommen sein?«

»Gar nicht.«

»Wie? Gar nicht? Er muß doch hineingekommen sein, denn er hat die Papiere herausgenommen!«

»Nein.«

»Nicht? Da begreife ich Euch nicht, Sir!«

»Die Papiere liegen noch drin, mit Ausnahme eines einzigen, welches er versilbert hat.«

»Sie liegen noch drin? Ich habe sie ja nicht!«

»Seid Ihr denn wirklich so kurzsichtig, Dick Hammerdull? Die Brieftaschen, welche ihr hier habt, sind gar nicht die eurigen.«

»Nicht – ?« fragte er, indem seine sonst so listigen Züge einen ganz entgegengesetzten Ausdruck annahmen.

»Nein; es sind die, welche er gekauft hat. Er hat Zeitungen hineingelegt und sie dann, wahrscheinlich als ihr schliefet, ganz einfach mit den eurigen umgetauscht.«

»Ah – ! Das hätte der Halunke ja außerordentlich schlau angefangen!«

»Allerdings. Er muß eine bedeutende Fertigkeit als Taschendieb besitzen, denn es gehört etwas dazu, zwei Westmännern, welche doch gewohnt sind, außerordentlich leise zu schlafen, die Brieftaschen unter den Kopfkissen wegzuziehen.«

»Was das betrifft, Sir, so haben wir gar nicht leise, sondern wie die Ratten geschlafen. Die schlechte Luft in diesem Raume und der Öldunst, das war schrecklich. Wir haben gelegen wie betäubt.«

»Nun, so ist ihm der Diebstahl leicht geworden. Ist Euch sein Name bekannt?«

»Nein.«

»Den werden wir im Boardinghouse erfahren,« fiel da Treskow ein.

»Wahrscheinlich nicht,« antwortete ich. »Er hat doch jedenfalls einen falschen Namen gesagt, wie Ihr als Polizist ja besser wißt als ich. Zu wissen, wie er sich genannt hat, bringt uns also gar keinen Nutzen.«

»Aber es giebt uns einen Anhalt, ihn aufzusuchen.«

»Glaubt Ihr etwa, daß er noch hier in Jefferson-City ist, Mr. Treskow?«

»Nein. Ich werde augenblicklich gehen, um die Polizei zu benachrichtigen und – –«

»Denkt nicht an die Polizei,« unterbrach ich ihn. »Von ihr haben die Bestohlenen gar nichts zu erwarten.«

»Ich denke doch!«

»Nein, gar nichts! Wenn wir nicht selbst das Richtige treffen, so trifft es die Polizei noch viel weniger als wir. Wollen es überlegen! Aber nicht hier, wo es so laut hergeht. Kommt heraus in die kleine Stube! Mutter Thick mag uns die Gläser nachbringen.«

Wir gingen in das separate Zimmer, aus welchem gestern Treskow gekommen war. Mit dem ›wir‹ sind Treskow, Hammerdull, Holbers und ich gemeint. Es lag nicht in meiner Absieht, noch andere hören zu lassen, was wir besprachen, denn es konnte leicht eine zweifelhafte Person dabei sein, die uns die Sache verdarb. Es hatte aber auch keiner Miene gemacht, uns zu folgen.

Als wir nun unbelauscht und unbelästigt beisammen saßen, sagte ich rund heraus:

»Ich kenne den Dieb, Mesch'schurs, und da ich ihn euch nennen will, habe ich euch hier hereingeführt. Es braucht da draußen niemand seinen Namen zu hören, denn es könnte möglicherweise jemand da sein, der ihn warnt.«

»Ihr kennt den Dieb, Mr. Shatterhand?« fragte Dick Hammerdull erfreut. »Oh, nun ist es mir um das Geld gar nicht mehr bange! Wir fassen den Kerl! Wenn Old Shatterhand auf seiner Fährte ist, kann er uns gar nicht entwischen!«

»Ja, Ihr seid wirklich ein außerordentlicher Mann, Mr. Shatterhand!« stimmte Treskow bei.

»Denkt das ja nicht! Es ist der reine Zufall, daß ich ihn gesehen habe.«

»Sogar gesehen habt Ihr ihn?«

»Ja, als er einen der Checks zu Geld machte; es waren fünftausend Dollars.«

»Was? Schon fünftausend Dollars?« zürnte Dick Hammerdull. »Der Kuckuck soll den Halunken reiten, wenn er uns diese Summe verkrümelt, ehe wir ihn fangen! Wie heißt der Mensch?«

»Er wird sich wohl schon verschiedene Namen beigelegt haben, Ich habe ihn unter dem Namen Douglas kennen gelernt.«

»Douglas? Unter unsern Bekannten befindet sich keiner, welcher Douglas heißt. Was sagst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Hm, wenn du denkst, daß wir es noch mit keinem Douglas zu thun gehabt haben, so ist das richtig, lieber Dick.«

»Aber ich, ich habe mit einem zu thun!« sagte Treskow. »Ha, wenn dieser Douglas der wäre, den ich suche!«

»Ihr sucht einen Menschen dieses Namens?« fragte ich.

»Ja. Das heißt, dieser Name ist nur einer von den vielen, die er sich schon beigelegt hat. Da Ihr ihn gesehen habt, könnt Ihr mir wohl eine Beschreibung seiner Person geben, Sir?«

»Sogar eine sehr genaue. Ich bin zwei Tage mit ihm zusammen gewesen.«

Ich gab ihm das Signalement des ›Generales‹; als ich damit fertig war, sagte er:

»Es stimmt; es stimmt genau. Um aber ganz überzeugt zu sein, bedarf es für mich der Beantwortung noch einer Frage. Wenn Ihr zwei Tage bei ihm gewesen seid, Mr. Shatterhand, so wird Euch an ihm eine Eigentümlichkeit aufgefallen sein?«

»Eine persönliche?« »Nein, ich meine seinen Stand.« »Ah, wohl daß er sich für einen General ausgiebt?« »Hat er das bei Euch auch gethan?« »Ja.«

»So ist er es; so ist er's ganz gewiß! Ich will Euch im Vertrauen mitteilen, daß ich hier nach Jefferson-City gekommen bin, um ihn zu fangen. Wir erfuhren, daß er sich wahrscheinlich hierher wenden werde. Wo habt Ihr ihn kennen gelernt, Mr. Shatterhand?«

»Im Llano estaccado.«

»Ah! Also in der Wüste?«

»Ja; er trat auch dort sofort als Dieb auf.«

»Wie? Bitte, laßt mich's wissen!«

Ich erzählte die Geschichte kurz.

»Fünfzig Hiebe hat er nur erhalten!« bedauerte er dann. »Das war zu wenig, viel zu wenig. Er hat noch mehr, noch viel mehr Werg am Rocken, als Ihr glauben werdet. Und wenn Ihr ihn hättet totprügeln lassen, so wäre es nicht schade um ihn gewesen. Ich muß ihn fangen; er darf mir nicht entgehen! Ich werde mir alle Mühe geben, eine Spur von ihm zu entdecken, und dann lasse ich nicht eher von seiner Fährte, als bis ich ihn habe.«

»Ihr braucht Euch keine Mühe zu geben, Sir; die Spur ist schon gefunden.«

»Von wem?«

»Von mir.«

»Wo führt sie hin?«

»Weit fort von hier, sehr weit! So weit, daß Ihr vielleicht davon absehen werdet, ihr zu folgen.«

»Das denke ich nicht. Ich bin damals Sanders quer durch den ganzen Kontinent gefolgt; um den ›General‹ zu fangen, werde ich nicht weniger thun. Also sagt, wohin er will!«

»Hinauf nach den Rocky-Mountains.«

»Wirklich? Mit so viel Geld in der Tasche?«

»Trotzdem! Dieser Mann ist zu klug, als daß er im Osten bleibt, um es zu verjubeln und sich dabei fangen zu lassen.«

»Aber die Felsenberge ziehen sich durch die ganzen Vereinigten Staaten. Kennt Ihr den Ort, nach welchem er will, ganz genau?«

»Ja.«

»Welcher ist es?«

»Soll ich es Euch sagen? Ihr wißt es ja auch.«

»Ich?« fragte er verwundert.

»Ja.«

»Von wem sollte ich was erfahren haben?«

»Von demselben Manne, der es mir sagte, nämlich von Toby Spencer.«

»Spencer – – Spencer – – wer heißt denn – – ah, Ihr meint den gestrigen Grobian, der von Euch so vortrefflich hinausgeleuchtet wurde?«

»Ja. Ihr habt doch gehört, was er mit mir sprach?«

»Ja.«

»Er machte mir einen Antrag.«

»Mit ihm nach dem San Luis-Park zu gehen?«

»Ja. Dorthin geht der ›General‹ auch.«

»Hat Spencer das gesagt?«

»Ist Euch das entgangen?«

»Daß er den General erwähnt hat, weiß ich nicht. Meine Aufmerksamkeit für Euer Gespräch muß in dem betreffenden Augenblicke durch irgend etwas abgelenkt worden sein. Also, der ›General‹ will auch hinauf?«

»Natürlich! Er ist ja der Anführer dieser Kerls, welche die Absicht zu haben scheinen, eine Räuberbande zu bilden. Wollt Ihr solchen Leuten folgen und Euch in ihre Nähe wagen, Mr. Treskow?«

»Um ihn zu fangen, schrecke ich vor keinem Wagnisse zurück. Ich habe die Weisung, ihn, wenn ich ihn sehe, ja nicht entkommen zu lassen.«

»So muß er ja ein ganz bedeutender Verbrecher sein, auch das abgerechnet, was ich von ihm weiß?«

»Das ist er allerdings. Ich könnte von ihm Geschichten erzählen, die aber nicht hierher gehören; wir haben auch keine Zeit dazu.«

»Aber bedenkt, was das heißt, einen Ritt hinauf in den Park zu machen! Ihr müßt durch das Gebiet der Osagen!«

»Sie werden mir wohl nichts thun!«

»Meint Ihr? Sie rebellieren in neuester Zeit. Sie sind ein Stamm der Sioux, und was das heißt, das haben Euch damals die Ogellallahs gezeigt. Und noch eine Frage: Habt Ihr Begleiter?«

»Hm! Ich bin allein, denke aber, daß ich auf Mr. Hammerdull und auf Mr. Holbers rechnen kann.«

»Warum auf uns?« fragte Dick, der Dicke.

»Weil er euer Geld bei sich hat. Oder wollt ihr es ihm lassen, Sir?«

»Fällt uns gar nicht ein! Wenn es unser wäre, könnten wir es noch eher schwinden lassen; aber wir haben es der schlagfertigen Fee zugedacht; es gehört also ihr, und darum müssen wir es für sie wieder holen.«

»So müßt ihr ihm aber nach!«

»Das versteht sich ganz von selber.«

»So haben wir also gleichen Zweck und gleiches Ziel, und ich denke doch nicht, daß ihr für euch allein handeln und mich allein reiten lassen werdet.«

»Zweck hin und Zweck her, wir reiten mit Euch.«

»Schön! So sind wir also zu dreien; das verdreifacht meine Hoffnung, den ›General‹ zu fangen.«

»Ob dreifach oder nicht, das ist ganz egal; aber wenn er mir zwischen die Hände kommt, so kommt er nicht wieder heraus. Meinst du nicht, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Wenn du denkst, lieber Dick, so reiten wir mit, nehmen ihm das Geld ab und prügeln ihn tüchtig durch; dann übergeben wir ihn an Mr. Treskow, der einen schönen Galgen für ihn aussuchen kann. Also wir drei reiten zusammen, aber wann?«

»Das muß erst noch überlegt werden. Vielleicht wird uns Mr. Shatterhand einen guten Rat geben,« sagte Treskow.

»Das will ich gern thun,« antwortete ich, »und ich denke, daß Ihr ihn befolgen werdet.«

»Ganz gewiß! Wie heißt er?«

»Er heißt: Reitet nicht zu dreien, sondern nehmt noch jemand mit, Mr. Treskow.«

»Wer ist dieser jemand?«

»Der bin ich.«

»Ihr?« fragte er, schnell aufblickend.

»Ja.«

»Wirklich? Ihr wollt mit?«

»Gewiß!«

»Halloh! Das ist ja alles, was wir nur wünschen können! Wenn Ihr bei uns seid, so ist das genau so viel, als ob wir den ›General‹ schon hätten!«

»Bitte, nicht so hitzig, Sir! Ihr haltet mich für einen viel vortrefflicheren Kerl, als ich bin. Wenn Ihr wüßtet, wie viel mir schon mißglückt ist, würdet Ihr Eure Erwartungen viel tiefer spannen. Ihr könnt zwar auf mich rechnen und überzeugt sein, daß ich thue, was ich kann, aber es wird noch einer dabei sein, der mir sehr weit vorzuziehen ist.«

»Euch vorzuziehen? Wer könnte das sein?«

»Erratet ihr das nicht?«

»Nein.«

»Winnetou.«

»Ah, Winnetou! Ist der auch hier in Jefferson?«

»Nein, aber in der Nähe.«

»Und Ihr denkt, daß er sich uns anschließt?«

»Ganz gewiß. Wohin ich gehe, dahin geht er auch.«

»Aber war es denn eure Absicht, hinauf nach dem San Luis-Park zu reiten?«

»Nein. Unsre Absicht war, uns hier nach jemandem zu erkundigen und ihn dann aufzusuchen, wenn er nicht zu weit von hier sein sollte. Wir haben erfahren, daß er hinauf nach Colorado ist, und werden ihm folgen. Das giebt denselben Weg wie den eurigen. Ihr dürft euch also nicht darüber Vorwürfe machen, daß wir euch ein Opfer bringen.«

»Wenn wir auch nicht von einem Opfer sprechen wollen, so ist es doch ein Dienst, ein so großer Dienst, den ihr uns leistet, daß wir euch gar nicht genug danken können. Nun sind wir also fünf Personen.«

»Und werden später sechs sein.«

»Sechs? Wer ist die sechste?«

»Der, nach dem ich mich hier erkundigt habe. Und wenn ihr dessen Namen hört, wird euch seine Gesellschaft auch sehr willkommen sein.«

»Sagt diesen Namen, Sir!«

»Old Surehand.«

»Was? Ihr werdet Old Surehand finden?«

»Ich hoffe es.«

»Und ihn zu uns bringen?«

»Ja.«

»Nun, da mag dieser ›General‹ dahin laufen, wohin er will, wir finden ihn! Freut Ihr Euch denn nicht darüber, Dick Hammerdull, daß wir drei solche Männer bei uns haben werden?«

»Ob ich mich freue oder nicht, das bleibt sich gleich; aber ich bin ganz entzückt darüber, mich in solcher Gesellschaft befinden zu dürfen; das ist doch eine Ehre, die man gar nicht hoch genug schätzen kann. Was sagst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Wenn du denkst, daß es eine Ehre ist, so stimme ich dir bei, lieber Dick, und schlage vor, daß wir uns nicht überflüssig lang in diesem Neste, welches sie Jefferson-City nennen, herumtreiben.«

Der gute Pitt Holbers pflegte nur zu sprechen, wenn sein ›lieber Dick‹ ihn fragte, und dann auch nichts andres zu thun, als ihm beizustimmen; jetzt schwang er sich so weit auf, einen Vorschlag zu machen. Ich antwortete:

»Wir werden allerdings hier keine Zeit versäumen, aber auch nichts unterlassen, was zu machen ist. Vor allen Dingen handelt es sich um die Pferde. Ihr wolltet nach dem Osten, habt also wahrscheinlich keine Pferde mit?«

»Keine Pferde mit? Da kennt Ihr Dick Hammerdull schlecht, Mr. Shatterhand! Wenn er sich ja von seiner alten, guten Stute trennen muß, dann aber nur im letzten Augenblicke. Ich habe sie mitgebracht und Pitt Holbers sein Pferd auch. Wir wollten sie hier in Pension geben und dann bei unsrer Rückkehr abholen. Das ist nun unnötig.«

»Gut! So seid ihr beide also beritten. Aber eure Trapperanzüge?«

»Denen haben wir freilich den Abschied gegeben. Wir gehen so, wie wir hier sitzen.«

»Und die Regenschirme?« fragte ich scherzhaft.

»Die nehmen wir auch mit, sie sind bezahlt; was ich bezahlt habe, das ist mein, und was mein ist, das kann ich mitnehmen, ohne daß die Polizei das Recht hat, sich darum zu bekümmern.«

»Well! Und Waffen?«

»Die haben wir im Boardinghouse.«

»Also alles gut. Aber Ihr, Mr. Treskow?«

»Ich habe einen Revolver bei mir; alles andre muß ich mir kaufen. Wollt Ihr mir dabei behilflich sein?«

»Gern. Gewehr und Munition kauft Ihr Euch hier, das Pferd aber erst in Kansas-City oder Topeka.«

»Kommen wir dorthin?«

»Ja. Wir reiten nicht von hier aus, sondern fahren mit dem Steamer. Erstens geht das schneller, und zweitens schonen wir dadurch die Pferde. Wenn Old Surehand klug handelt, so ist er am Republican-River hinauf, dem auch wir folgen werden. Das giebt einen Ritt, bei welchem man gute Pferde braucht.«

»Wißt Ihr, wann der Steamer von hier abgeht?«

»Ich glaube, morgen kurz nach Mittag. Wir haben also den ganzen Vormittag für die Vorbereitungen, welche noch zu treffen sind. Aber es giebt Erkundigungen einzuziehen, mit denen wir nicht bis morgen warten dürfen.«

»Welche?«

»Der ›General‹ ist ganz gewiß schon fort; wir brauchen uns also gar nicht die Mühe zu geben, nach ihm zu suchen; aber gut wäre es, zu erfahren, wann und auf welchem Wege er die Stadt verlassen hat.«

»Das werde ich besorgen, Sir. Ich gehe auf die Polizei.«

»Ist unnötig!«

»Warum unnötig?«

»Weil es keinen Erfolg haben wird.«

»Denkt Ihr?«

»Ja, ich denke es. Ihr seid doch hier, um nach ihm zu suchen, nicht wahr?«

»Ja.«

»Habt Ihr die Polizei davon unterrichtet?«

»Natürlich!«

»Aber weder habt Ihr noch hat die Polizei ihn gefunden, obgleich er dagewesen ist. Denkt Ihr, daß sie ihn nun grade im letzten Augenblicke bemerkt?«

»Wäre das nicht möglich?«

»Möglich wohl, aber es ist nicht geschehen.«

»Wie könnt Ihr das wissen?«

»Sehr einfach. Die Polizei weiß doch, daß Ihr hier bei Mutter Thick logiert?«

»Ja.«

»Sie würde, falls sie ihn sähe oder ihn gar festnähme, Euch sofort benachrichtigen.«

»Ja.«

»So müßtet Ihr es jetzt schon wissen, denn es ist spät am Abende, und er ist wahrscheinlich schon um die Mittagszeit fort. Gebt Ihr mir recht?«

»Sehr sogar, Sir, sehr! Auf diese Berechnungen hätte ich als Detektive doch schnell kommen müssen; aber es scheint, daß man, wenn man bei Euch ist, ganz unwillkürlich Euch das Denken überläßt.«

»Well! Wir werden also die Polizei nicht belästigen. Es gilt auch, zu erfahren, wo Toby Spencer mit seinen fünf Kerlen gewohnt hat, und ob er schon fort ist.«

»Das kann ich Euch sagen, Sir, nämlich ob er schon fort ist. Wissen wir das, so wird es wohl gleichgültig sein, wo er logiert hat. Nicht?«

»Ja. Also er ist fort?«

»Ja.«

»Wann?«

»Mit dem Zweiuhr-Zuge.«

»Ah! Also mit der Bahn? Sie sind nach St. Louis gefahren; das ist sicher.«

»Können sie nicht unterwegs aussteigen?«

»Nein.«

»Es bleibt sich auch gleich, ob sie ausgestiegen sind oder nicht. Sie sind mit der Missouribahn nach St. Louis, also in die entgegengesetzte Richtung; Ihr habt gedacht, daß sie mit dem ›General‹ gehen?«

»Das thun sie auch!«

»Aber, Sir, das stimmt doch nicht!«

»Wieso?«

»Er will nach dem Parke hinauf, also nach Westen, sie aber sind ostwärts fortgefahren!«

»Stimmt ganz genau. Sie fahren rückwärts, um dann desto schneller vorwärts zu kommen. Es ist doch klar, daß sie von St. Louis aus mit der Bahn nach Kansas wollen.«

»Alle Teufel! Wo beabsichtigen sie denn da mit dem ›General‹ zusammenzutreffen?«

»Das beabsichtigen sie gar nicht.«

»Nicht? Das scheint wieder nicht zu stimmen!«

»Stimmt aber ebenso genau, denn sie brauchen diese Absicht gar nicht zu hegen, weil sie schon mit ihm zusammen sind.«

»Wie? Ihr denkt also, daß – daß – – daß – –« fragte er ganz betreten.

»Sprecht nur weiter! Es ist ganz richtig.«

»Daß er mit ihnen gefahren ist?«

»Ja.«

»Alle Teufel!«

»Wo habt Ihr denn Toby Spencer gesehen?«

»Auf dem Bahnhofe. Er saß mit seinen fünf Kerlen schon im Coupé.«

»Sahen sie Euch?«

»Ja, und sie schienen mich von gestern abend her zu kennen, denn sie grinsten mich aus dem Fenster höhnisch lachend an.«

»Aber Einer hat Euch nicht angelacht, sondern sich gehütet, zum Fenster herauszusehen.«

»Den ›General‹ meint Ihr?«

»Ja. Es steht bei mir fest, daß er mit ihnen gefahren ist, Mr. Treskow.«

»Wenn das so wäre!«

»Es ist so. Ihr könnt Euch darauf verlassen.«

»Dann hätte ich den Kerl hier ganz vergeblich gesucht und, als er fortfuhr, kaum fünf Schritte weit von dem Wagen gestanden, in welchem er saß!«

»Gewiß!«

»Wie ärgerlich! Ich möchte mich ohrfeigen!«

»Thut das nicht, denn es hat keinen Zweck. Und Ohrfeigen, die man sich selber giebt, fallen nie so kräftig aus wie solche, die man von andern Leuten bekommt.«

»Ihr scherzt auch noch darüber! Aber der Fehler ist noch gut zu machen, wenn wir unsern Plan ändern.«

»Wie?«

»Wir fahren nicht mit dem Schiffe, sondern noch in dieser Nacht mit dem nächsten Zuge nach St. Louis.«

»Dazu würde ich nicht raten.«

»Warum nicht?«

»Wir müssen schon der Pferde wegen auf die Eisenbahn verzichten. Ferner ist Winnetou nicht da; ich muß einen Boten zu ihm schicken, der ihn holt, und drittens ist es sehr leicht möglich, daß die Kerls nicht gleich von St. Louis fortfahren, sondern sich aus irgend einem Grunde dort aufhalten. Dann kämen wir ihnen voraus und wüßten nicht, wohin.«

»Das ist richtig!«

»Nicht wahr, Ihr seht das ein? Wir könnten uns den ganzen Fang verderben. Nein, wir müssen die, die wir erwischen wollen, vor uns haben, aber nicht hinter uns. Dann folgen wir ihrer Spur und können uns nicht irren. Seid ihr mit dem, was ich bestimmt habe, einverstanden, Mesch'schurs?«

»Ja,« antwortete Treskow.

»Ob einverstanden oder nicht, das bleibt sich gleich, ja das ist sogar ganz egal,« erklärte Dick Hammerdull; »es wird aber so gemacht, ganz genau so, wie Ihr gesagt habt. Es ist besser, wir folgen Euch als unsern dummen Köpfen. Was sagst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?«

Dieser antwortete in seiner trockenen Weise:

»Wenn du denkst, daß du ein Dummkopf bist, so habe ich nichts dagegen, lieber Dick.«

»Unsinn! Ich habe von unsern Köpfen, aber nicht von dem meinigen gesprochen.«

»Daran hast du sehr unrecht gethan! Wie kannst du von einem Kopfe sprechen, der gar nicht dir gehört, sondern mir? Ich werde mir nie erlauben, von deinem Kopfe zu sagen, daß er dumm ist, denn du sagst es selber und mußt es besser wissen als ich, lieber Dick.«

»Ob ich dein lieber Dick bin oder nicht, das bleibt sich gleich, aber wenn du mich beleidigst, so werde ich es nicht lange mehr bleiben. Sagt jetzt, Mr. Shatterhand, ob es für uns beide heut noch etwas zu thun giebt!«

»Ich wüßte nicht, was. Kommt morgen mit euern Pferden an den Landeplatz des Steamers; das ist alles, was ich euch noch zu sagen habe. Aber, fast hätte ich ein Wichtiges vergessen: Ihr seid bestohlen worden und habt also kein Geld?«

»Wollt Ihr uns borgen, Sir?«

»Gern.«

»Danke! Wir borgen Euch auch, wenn Ihr etwas braucht. Ich stelle Euch sogar diesen ganzen Beutel zur Verfügung und würde es als große Ehre schätzen, wenn Ihr die Güte hättet, ihn als Geschenk von mir anzunehmen.«

Er zog bei diesen Worten einen großen, ganz vollen Lederbeutel aus der Tasche und warf ihn auf den Tisch, daß es nur so klirrte; es klang nach lauter Gold.

»Wenn ich ihn nähme, hättet Ihr dann selbst nichts mehr,« antwortete ich.

»Das schadete nichts, denn Pitt Holbers hat einen grad so großen und grad so vollen Ledersack. Wir sind nämlich so gescheit gewesen, nur die Papiere in die Brieftasche zu thun. Einige Tausend Dollars haben wir uns in Goldstücke umwandeln lassen und sie hier in diese Taschen gesteckt. Wir können also alles bezahlen, was wir brauchen. Nun aber wird es klug sein, zu schlafen, denn von hier bis Kansas-City werden wir wohl wenig schlafen können. Man weiß, daß es auf dem Steamer kaum möglich ist, ein Auge zuzuthun.«

»Wenn ihr das wollt, so könnt ihr gehen, es giebt nichts mehr zu besprechen.«

»Well! So komm, Pitt Holbers, altes Coon! Oder hast du noch Lust, zu bleiben?«

»Hm! Wenn ich es mir richtig überlege, so ist das Bier, welches bei Mutter Thick aus dem Fasse läuft, eine Flüssigkeit, in welcher man sich da oben in den Felsenbergen wohl nicht wird baden können. Oder schmeckt es dir nicht, lieber Dick?«

»Ob es mir schmeckt oder nicht, das ist ganz egal; aber es ist ein großartiges Getränk, und wenn du Lust hast, noch länger hier zu bleiben, so werde ich dich nicht im Stiche lassen, zumal ich nur deshalb vom Schlafengehen sprach, damit du nicht mitgehen solltest. Ich habe nämlich auch noch Durst.«

Sie blieben also sitzen, und ich war ebenso wie Treskow nicht so unmenschlich, sie in dem traulichen Stübchen allein zu lassen. Es entspann sich also noch eine recht animierte Unterhaltung, während welcher mir die originelle Art und Weise der beiden Trapper viel Vergnügen bereitete. Sowohl Treskow, als auch der frühere Indianeragent hatten von ihnen erzählt, dabei aber vergessen, den Namen zu nennen, den man ihnen gegeben hatte. Sie wurden nämlich die werkehrten Toasts‹ genannt. Toasts sind bekanntlich geröstete Butterschnitte oder zusammengelegte Butterbrote. Diese werden natürlich mit den Butterseiten zusammengelegt; Hammerdull und Holbers pflegten aber während des Kampfes Rücken an Rücken zu stehen, um sich gegenseitig zu decken; sie kehrten sich also die verkehrten Seiten zu und hatten darum den Beinamen ›verkehrte Toasts‹ bekommen.

Wenn ich sie nicht getroffen hätte, wäre ich allein nach den Felsenbergen geritten, und so war es mir recht lieb, daß ich sie hier gefunden hatte. Der heitere Dick und der trockene Pitt waren zwei Begleiter, in deren Gesellschaft ich auf keine Langeweile zu rechnen hatte, und da sie viel, viel bessere Westmänner waren, als zum Beispiel Old Wabble, Sam Parker und Jos Hawley, so brauchte ich auch nicht zu befürchten, daß sie mir durch fehlerhaftes Verhalten die gute Laune verderben würden. Treskow war kein Westmann, aber ein Gentleman, für den ich mich interessierte, von Erfahrung, kenntnisvoll und doch dabei bescheiden. Es stand also zu erwarten, daß wir recht gut zusammenhalten würden.

Mutter Thick besorgte mir einen zuverlässigen Boten, den ich zu Winnetou schickte. Dieser Mann hatte sich sehr beeilt, denn der Häuptling der Apatschen traf vor dem Boardinghouse ein, als ich am andern Morgen oben beim Kaffee saß. Natürlich brachte er mein Pferd mit. ich freute mich innerlich über die ehrerbietigen und bewundernden Blicke, mit denen die Anwesenden ihn betrachteten, und über die Art und Weise, mit welcher ihn Mutter Thick bediente, obgleich er nur um ein Glas Wasser gebeten hatte; es war, als ob ein König bei ihr eingekehrt sei.

Ich erzählte ihm, was geschehen war und weshalb ich ihn hatte holen lassen, und er war, wie gewöhnlich, mit allem einverstanden, was ich bestimmt hatte. Er erkannte Treskow sofort wieder, schien aber an die Fehler zu denken, welche damals gemacht worden waren, denn er sagte:

»Sam Fire-gun war der gebietende Häuptling seiner Bleichgesichter; darum hat Winnetou von dem Augenblicke an, in welchem er das Hide-spot betrat, keinen Befehl mehr gegeben, sondern sich nach ihm gerichtet. Auch war mein Bruder Shatterhand nicht dabei. Jetzt, wenn wir Old Surehand suchen, wird es anders sein; wir werden weniger Blut vergießen und jeden Fehler vermeiden. Welchen Weg hat Old Surehand eingeschlagen?«

»Das weiß ich nicht; ich werde es aber erfahren, denn ich gehe noch einmal zu Mr. Wallace, um mich von ihm zu verabschieden.«

Vorher ging ich mit Treskow fort, um ihn bei seinen Einkäufen zu unterstützen. Von Gewehren verstand er nichts und wäre gewiß mit einer sehr blanken, aber ebenso untauglichen Rifle über das Ohr gehauen worden. Wurde es doch sogar mir nicht leicht, dem Pulver, welches man uns erst vorsetzte, anzusehen, daß es wenigstens zwanzig Prozent zerstoßene Holzasche enthielt.

Als diese geschäftlichen Angelegenheiten erledigt waren, begab ich mich zu dem Bankier, um ihm zu sagen, daß ich jetzt im Begriffe stehe, die Stadt zu verlassen. Von dem ›General‹ und den Vorkommnissen des letzten Abends sagte ich nichts; es gab ja nichts, was mich drängte, es ihm mitzuteilen, und es ist immer besser, zu schweigen, als etwas zu sagen, was man nicht grad sagen muß oder nicht zu sagen braucht. Da fiel mir eine Frage ein, die ich noch an ihn richten mußte:

»Ihr wißt, Sir, daß Old Surehand auf seinem Ritte nach Fort Terrel von Apanatschka, dem jungen Häuptling der Comantschen, begleitet wurde?«

»Ja, er hat es mir erzählt,« antwortete Wallace.

»Wo ist dieser Indianer hin? Wo hat er sich von Old Surehand getrennt?«

»Sie sind von Fort Terrel miteinander nach dem Rio Pecos geritten, wo sich Apanatschka von ihm verabschiedet hat, um zu seinem Stamme zurückzukehren.«

»Schön! Und wißt Ihr vielleicht, welche Route Old Surehand jetzt eingeschlagen hat?«

»Er ist mit dem Schiffe bis Topeka und wollte dann zu Pferde an dem Republican-River hinauf.«

»Dachte es mir. Was hat er für ein Pferd?«

»Das, welches Ihr ihm geschenkt habt, Sir.«

»So ist er vorzüglich beritten. Ich hoffe, sehr bald seine Spur zu finden.«

»Was das betrifft, so kann ich Euch vielleicht einen Fingerzeig geben. Sucht, wenn Ihr nach Topeka kommt, Peter Lebruns Weinstube auf! Dort ist er jedenfalls eingekehrt. Er kennt den Wirt. Und dann giebt es zwei Tagesritte am Republican-River hinauf am rechten Ufer desselben eine große Farm, zu welcher bedeutende Ländereien gehören. Der Besitzer hat große Pferde- und Rinderherden. Er heißt Fenner, und so oft Old Surehand in jene Gegend gekommen ist, hat er diesen Farmer besucht. Weiter kann ich Euch leider keine Andeutung geben, Mr. Shatterhand.«

»Ist auch nicht nötig. Das, was Ihr gesagt habt, genügt mehr als vollständig, um mich später zu unterrichten. Ihr werdet dann erfahren, daß ich Freund Surehand so sicher getroffen habe, als wenn Ihr mir seinen Weg von Schritt zu Schritt beschrieben hättet.«

Ich ging.

Als die Zeit gekommen war, den Landeplatz der Steamer aufzusuchen, fragte ich Mutter Thick nach der Rechnung; da hatte ich aber einen Pudel geschossen, über den sie sich so gekränkt fühlte, daß sie beinahe Thränen vergoß. Sie erklärte, daß es eine großartige Beleidigung sei, ihr Geld dafür anzubieten, daß sie den unvergeßlichen Vorzug gehabt habe, Old Shatterhand bei sich zu sehen. Ich meinerseits bemerkte ihr dagegen, daß ich mich nur dann als Gast betrachten könne, wenn ich eingeladen worden sei, und daß mein Charakter es mir nicht erlaube, mir etwas schenken zu lassen, was ich bestellt und genossen habe, weil ich annahm, daß ich es bezahlen müsse. Sie sah ein, daß ich auch nicht unrecht hatte, und bot mir den höchst überraschenden Ausgleich an:

»Nun wohl, Ihr wollt partout geben und ich lasse mich partout nicht bezahlen; so gebt mir etwas, was kein Geld ist!«

»Was?«

»Etwas, was mir höher steht als alles Geld und was ich als ein Andenken an Old Shatterhand heilig halten werde, so lange ich lebe, nämlich eine Locke von Euerm Haare.«

Ich fuhr förmlich einige Schritte zurück.

»Eine L – eine Lo – – eine Locke – – von mir – – von mir? Habe ich recht gehört? Habe ich Euch richtig verstanden, Mutter Thick?«

»Ja, ja, Sir. Ich bitte Euch um eine Locke Eures Haars.«

Trotz dieser Versicherung war es mir schwer, es zu glauben. Mein Haar, und eine Locke! Wirklich zum Lachen! Ich besitze nämlich einen wahren, dichten Urwald von Haaren; man kann mich, was ich oft geschehen ließ, an denselben packen und in die Höhe ziehen, ohne daß es mich im geringsten schmerzt. Und so dicht wie dieses Haar ist, so dick und stark ist jedes einzelne. Als ich während meiner Schülerzeit mich einmal dem Schermesser eines Leipziger Friseurs anvertraute, rief er nach dem ersten Schnitte, den er that, ganz erschrocken aus: »Dunner und Sachsen, so was hab ich noch nich erlebt! Das sin schon keene Haare mehr; das sin die reene Borsten!« Und jetzt bat mich die gute Mutter Thick um eine ›Locke‹! Wenn sie noch Strähne gesagt hätte! Sie hielt mein Staunen für Einwilligung und lief fort, um eine Schere zu holen.

»Also, ich darf?« fragte sie dann, mit dem Blicke schon diejenige Stelle des Kopfes suchend, welcher die Locke entlockt werden sollte.

»Na, wenn es wirklich Euer Ernst ist, Mutter Thick, so nehmt Euch, was Ihr wollt!«

Ich neigte mein Haupt, und die lockenhungrige Alte -denn sie war über sechzig Jahre – ließ ihre Finger prüfend darüber gleiten. Sie entdeckte den Punkt, wo der Wald am dichtesten war, fuhr mit der Schere in das Unterholz – -schrrrrrr! Es klang, als ob Glasfäden zerschnitten würden, und sie hatte die gewünschte ›Locke‹. Sie hielt sie mir triumphierend vor das Gesicht und sagte:

»Ich danke Euch herzlich, Mr. Shatterhand! Diese Locke von Euch kommt in ein Medaillon und wird jedem Gaste gezeigt, der sie sehen will.«

Ihr Gesicht strahlte vor Vergnügen, das meinige aber nicht, denn das, was sie in der Hand hatte, war keine Locke, auch keine Strähne, sondern ein so dicker Pack von Haaren, daß man zwei dicke Maurerpinsel davon hätte binden können. Ein Medaillon! Sehr niedlich ausgedrückt! Wenn sie diese Haare in eine große Konservenbüchse steckte anstatt in ein Medaillon, so war sie so voll, daß nichts mehr hineinging! Ich fuhr mit der Hand erschrocken nach der Stelle, wo die Schere gewütet hatte; sie war kahl, vollständig kahl; ich fühlte eine Platte, die so groß wie ein silbernes Fünfmarkstück war. Diese schreckliche Mutter Thick! Ich stülpte mir schleunigst den Hut auf den Kopf und habe mir seitdem nie wieder eine Locke vom Haupte schneiden lassen, weder von einer Mutter, noch von einer Tochter!

Nach diesem Verluste wurde mir der Abschied von der braven Wirtin und Medailloneuse leichter, als ich ihn mir vorgestellt hatte, und ich suchte mir, auf dem Steamer angekommen, eine einsame Stelle aus, wo ich ungestört und unbemerkt eine planimetrische Untersuchung anstellen konnte, wie viele oder wie wenige solche Scherenschnitte dazu gehörten, das Haupt eines kriegerischen Westmannes in einen friedlichen Kahlkopf zu verwandeln.

Das Schiff, welches uns an Bord genommen hatte, war nicht einer jener schwimmenden Paläste, an welche man denkt, wenn von einer Missisippi- oder Missourifahrt die Rede ist, sondern ein schweres, plumpes Paketboot, welches von der keuchenden Maschine nur langsam fortgeschleppt werden konnte. Wir brauchten volle fünf Tage bis nach Topeka, wo ich mich in Peter Lebruns Weinstube nach Old Surehand erkundigte. Er war vor drei Tagen hier gewesen. Wir fanden ein gutes Pferd für Treskow und kauften es. Dann ging es fort, hinaus auf die ›rollende‹ Prairie, den Republican-River entlang. Der Osten von Kansas ist nämlich sehr hügelig; Bodenwellen, soweit das Auge reicht; das bietet einen Anblick, als ob ein ›rollendes‹ Meer plötzlich mitten in der Bewegung erstarrt sei; daher die Bezeichnung ›Rolling-Prairie‹.

Gegen Abend des zweiten Tages erreichten wir Fenners Farm. Wir hatten uns nach ihr erkundigt, denn es gab auf dem Weidelande, über welches wir kamen, eine Menge Cowboys, welche die Herden beaufsichtigten. Fenner war ein freundlicher Mann, der uns zwar erst mißtrauisch betrachtete, dann aber, als ich Old Surehands Namen nannte, uns einlud, seine Gäste zu sein.

»Ihr dürft euch nicht wundern, Mesch'schurs,« sagte er, »daß ich euch nicht gleich willkommen hieß; es kommen gar verschiedene Leute hier ins Land. Erst vorgestern lagerten bei mir sieben Kerls, die ich gastfreundlich aufnahm; aber als sie früh fort waren, fehlten mir sieben Stück meiner besten Pferde. Ich ließ sie verfolgen, doch konnten sie nicht eingeholt werden, weil ihr Vorsprung zu groß war und weil sie mir eben grad die besten Pferde genommen hatten.«

Er mußte sie mir beschreiben, und wir überzeugten uns, daß es der ›General‹, Toby Spencer und die fünf andern gewesen waren. Old Surehand hatte eine Nacht auf der Farm zugebracht. Wir beschlossen, dasselbe zu thun.

Da wir es vorzogen, im Freien anstatt in der Stube zu sein, wurden Stühle und ein Tisch herausgebracht. Da saßen wir essend und uns unterhaltend vor dem Hause; seitwärts von demselben grasten unsre Pferde, die wir abgesattelt hatten, und weiter draußen jagten Cow-boys hin und her, um die Herden für die Nacht zusammen zu treiben. Von links her kam auf galoppierendem Pferde ein Reiter gesprengt, gerade auf das Farmhaus zu; etwas Weißes wehte wie eine Mähne hinter ihm her; ich mußte sogleich an Old Wabble denken.

»Ah, da kommt der!« sagte Fenner. »Ihr werdet jetzt einen höchst interessanten Mann kennen lernen, der in früheren Jahren berühmt war und der ›King of the cow-boys‹ genannt wurde.«

»Uff!« ließ sich Winnetou hören.

»Habt Ihr den Mann auf Eurer Farm angestellt, Mr. Fenner?« fragte ich.

»Nein. Er kam heute mittag, mit einer« kleinen Gesellschaft von Westmännern hier an, mit denen er da draußen am Busche Lager macht, um morgen wieder fortzureiten. Er ist weit über neunzig Jahre alt und sitzt noch wie ein Jüngling im Sattel. Seht, jetzt ist er da!«

Ja, er war da. Er kam, ohne uns schärfer anzusehene fast bis ganz zu uns herangejagt, hielt sein Pferd an und wollte abspringen; da erst richtete er das Auge voll auf uns, fuhr sofort mit dem rechten Fuß in den Bügel und rief:

»All thousand devils! Old Shatterhand und Winnetou! Mr. Fenner, bleiben diese Kerls heut hier?«

»Yes,« antwortete erstaunt der Farmer.

»So reiten wir fort. Wo solche Halunken sind, haben ehrliche Menschen keinen Platz. Lebt wohl!«

Er riß sein Pferd herum und galoppierte wieder fort. Der Farmer war nicht bloß über das Verhalten des Alten überrascht, sondern auch über die Namen, welche dieser genannt hatte.

»Sir, Ihr seid Old Shatterhand? Und dieser rote Gentleman ist Winnetou, der Häuptling der Apatschen?«

»Ja, Mr. Fenner.«

»Warum habt Ihr mir das nicht eher gesagt? Ich hätte Euch noch ganz anders aufgenommen!«

»Wir sind Menschen wie alle Menschen und haben nicht mehr und nichts Besseres zu beanspruchen als andre Leute!«

»Mag sein; aber wie ich euch bewirten will, das ist nicht eure, sondern meine Sache. Werde meiner Frau sagen, für was für Gäste sie zu sorgen hat.«

Er ging in das Haus. Winnetou hielt sein Auge dorthin gerichtet, wo die weiße Mähne Old Wabbles noch wehte.

»Sein Blick war Haß und Rache,« sagte er. »Old Wabble hat gesagt, er gehe fort; aber er kommt in dieser Nacht zurück. Winnetou und seine weißen Brüder werden sehr vorsichtig sein.«

Wir waren mit dem Essen noch nicht fertig, als Fenner wieder herauskam. Er schob Fleisch, Brot, die Teller, kurz alles, was vor uns lag, zusammen und sagte:

»Bitte, Mesch'schurs, macht eine Pause! Meine Frau deckt drin einen andern Tisch. Redet nicht dagegen, sondern gönnt mir die Freude, euch zeigen zu dürfen, wie willkommen ihr mir seid!«

Dagegen war nichts zu machen; er meinte es gut, und wir fügten uns in seinen Willen. Als uns die Frau dann hineinholte, sahen wir alle Delikatessen aufgetragen, welche eine Farm zu bieten vermag, die zwei Tagereisen von der nächsten ,Stadt entfernt liegt. Das Essen begann also von neuem, in zweiter, verbesserter Auflage. Dabei erklärten wir unsrem Wirte das für ihn sonderbare Betragen des alten Wabble, indem wir ihm den Diebstahl der Gewehre und dessen Bestrafung erzählten. Er konnte aber trotzdem den Grimm des alten ›Königs der Cow-boys‹ nicht begreifen. Old Wabble hatte allen Grund, uns dankbar zu sein, denn wir waren eigentlich sehr gnädig mit ihm verfahren; er hatte keine Strafe bekommen, obgleich er bei dem Diebstahle beteiligt gewesen war, indem er den ›General‹ in das Haus des Bloody-Fox geführt hatte.

Während des Essens wurde es dunkel. Wir waren um unsre Pferde besorgt und stellten das dem Farmer vor. Er machte uns den Vorschlag:

»Wenn ihr sie wegen Old Wabble und der Gesellschaft, die er bei sich hat, nicht im Freien lassen wollt, so habe ich hinter dem Hause einen Schuppen, in dem wir sie anbinden können. Für Wasser und gutes Futter werde ich da sorgen. Der Schuppen ist zwar unverschlossen, weil von einer Seite offen, aber ich werde einen zuverlässigen Mann als Wächter hinstellen.«

»Was das betrifft, so verlassen wir uns lieber auf uns selbst. Wir werden also selber der Reihe nach wachen, erst Pitt Holbers, dann Dick Hammerdull, hierauf ich und nachher Winnetou,« sagte ich, »Jeder zwei Stunden lang.«

»Well! Und schlafen werdet ihr nebenan in der andern Stube, wo ich euch gute Lager machen lasse, da seid ihr vor einem hinterlistigen Überfalle sicher. Außerdem habe ich ja genug Cow-boys draußen auf den Weiden, die auch mit achtgeben können.«

Diese Maßregeln wurden getroffen, nur weil wir gewohnt waren, selbst da und dann vorsichtig zu sein, wo und wenn andre sich vollständig sicher gefühlt hätten. Recht überlegt, war ein Überfall von seiten des alten Wabble gar nicht zu erwarten, zumal uns bald darauf ein Cow-boy meldete, daß er mit seinen Leuten fortgeritten sei.

Die Pferde wurden also in dem Schuppen untergebracht, und Pitt Holbers ging hinaus, um seine Wache anzutreten. Wir andern saßen in der Stube um den Tisch und unterhielten uns. Wir waren noch nicht müde, und Fenner trieb uns von einer Erzählung zu der andern; er wollte von unsern Erlebnissen gern so viel wie möglich hören. Ihm und seiner Frau machte besonders die witzige Art und Weise Spaß, in welcher der wohlbeleibte Dick einzelne Episoden seines abwechslungsreichen Lebens schilderte.

Nach Verlauf von zwei Stunden ging er hinaus, um Pitt Holbers abzulösen. Dieser meldete uns, daß alles ruhig sei und nichts Verdächtiges sich habe hören oder sehen lassen. Es verging wieder eine Stunde. Ich erzählte eben ein humoristisches Erlebnis unter dem Zeltdache eines Lappländers und hatte nur auf die lachenden Gesichter meiner Zuhörer acht, als mich Winnetou plötzlich beim Kragen faßte und mit solcher Gewalt auf die Seite riß, daß ich fast vom Stuhle stürzte.

»Uff! Ein Gewehr!« rief er, indem er nach dem Fenster zeigte.

Zugleich mit seinen Worten fiel draußen ein Schuß; die Kugel zertrümmerte eine Fensterscheibe und drang hinter mir in den Säulenbalken, welcher die Decke stützte. Sie hatte mir gegolten und wäre mir in den Kopf gegangen, wenn Winnetou mich nicht weggerissen hätte. Im Nu hatte ich meinen Stutzen in der Hand und sprang nach der Thür; die andern folgten mir.

Die Vorsicht gebot mir, die Thür nicht ganz zu öffnen, um nicht einem zweiten Schusse als Ziel zu dienen. Ich machte sie also nur eine Lücke weit auf und blickte hinaus. Es war nichts zu sehen. Jetzt stieß ich sie ganz auf und trat hinaus ins Freie; Fenner und meine Gefährten schoben sich hinter mir her. Wir lauschten.

Da hörten wir hinter dem Hause das Stampfen und Schnauben von Pferden, und zu gleicher Zeit rief Dick Hammerdulls Stimme:

»Zu Hilfe! Die Pferde, die Pferde!«

Wir sprangen um die erste und um die zweite Ecke des Hauses. Da sahen wir Gestalten, welche mit Pferden kämpften, die sich nicht fortführen lassen wollten; zwei Reiter wollten an uns vorüber, um zu fliehen.

»Halt! Herunter mit euch!« rief Fenner.

Er hatte, als der Schuß auf mich gefallen war, seine Doppelbüchse von der Wand gerissen und richtete sie jetzt auf diese Reiter; zwei Schüsse von ihm, und sie stürzten von den Pferden. Die Kerls, welche sich mit unsern Pferden vergeblich abgemüht hatten, gaben den mißglückten Versuch auf und rannten davon. Wir sandten ihnen einige Schüsse nach.

»Recht so, recht so!« hörten wir Dicks Stimme wieder. »Gebt ihnen gutes Blei in die Köpfe! Dann aber kommt hierher! Der Schuft will nicht still liegen bleiben.«

Wir folgten dem Rufe und sahen ihn auf einem Menschen knieen, der sich gegen ihn sträubte und den er mit Aufbietung aller seiner Kräfte niederhielt. Dieser Mensch war – -der alte Wabble! Er wurde natürlich sofort festgenommen.

»Sagt mir doch, wie das gekommen ist!« forderte ich den Dicken auf, der jetzt vor mir stand und von der gehabten Anstrengung tief Atem holte. Er antwortete:

»Wie es gekommen ist, das bleibt sich gleich; aber ich lag im Schuppen bei den Pferden; da war es mir, als hätte ich hinter demselben leise sprechen hören. Ich ging hinaus und lauschte. Da fiel vor dem Hause ein Schuß, und gleich darauf kam jemand, der ein Gewehr in der Hand hatte, um die Ecke gerannt. Das weiße Haar war trotz der Dunkelheit deutlich zu sehen; ich erkannte Old Wabble, sprang auf ihn zu, riß ihn nieder und rief um Hilfe. Seine Kumpane hatten hinter dem Schuppen gesteckt und sprangen jetzt hinein, um unsere Pferde fortzuschaffen. Euer und Winnetous Hengst und meine alte, pfiffige Stute wollten nicht mit fort; Pitt Holbers' und Mr. Treskows Pferd aber waren nicht so gescheit; zwei von den Spitzbuben stiegen auf und wollten sich eben davonmachen, als Ihr kamt und sie mit Euern Kugeln herunter holtet. So ist die Sache. Was soll mit dem alten ›King of the cow-boys‹ geschehen, den man lieber König der Spitzbuben heißen möchte?«

»Schafft ihn hinein in die Stube! Ich komme gleich nach!«

Durch unsere Schüsse waren mehrere von Fenners Cowboys herbeigerufen worden, mit denen ich unsere Pferde wieder in den Schuppen brachte. Sie mußten als Wächter bei ihnen bleiben. Wir suchten die Umgebung desselben ab; die Diebe waren fort. Die zwei von ihnen aber, welche Fenner von den Pferden geschossen hatte, waren tot.

Als ich in die Stube kam, lehnte Old Wabble an dem Säulenpfosten, in welchen seine Kugel gedrungen war; man hatte ihn da fest angebunden. Er schlug nicht etwa die Augen nieder, sondern sah mir mit offenem, frechem Blicke in das Gesicht. Wie gut und nachsichtig war ich früher mit ihm gewesen! Ich hatte Achtung vor seinem hohen Alter, jetzt widerte er mich an. Man hatte über die Strafe gesprochen, die er bekommen sollte, denn eben, als ich eintrat, sagte Pitt Holbers:

»Er ist nicht nur ein Dieb, sondern ein ganz gefährlicher Meuchelmörder; er muß aufgehängt werden!«

»Er hat auf Old Shatterhand geschossen,« erwiderte Winnetou, »folglich wird dieser sagen, was mit ihm geschehen soll.«

»Ja, er ist mein; ich nehme ihn für mich in Anspruch,« stimmte ich bei. »Er mag die Nacht hier am Balken hängen; morgen früh werde ich sein Urteil fällen.«

»Fäll'es doch gleich!« zischte mich der Meuchler an. »Gieb mir eine Kugel in den Kopf, daß du als frommer Hirte dann für meine arme, verlorene Seele etwas zu wimmern und zu beten hast!«

Ich wendete mich, ohne ihm zu antworten, von ihm ab. Fenner entfernte sich, um seine Cow-boys auf die Suche nach den entflohenen Dieben zu schicken. Sie ritten die ganze Nacht durch die Umgegend, konnten aber niemand finden. Es läßt sich denken, daß wir nur sehr wenig schliefen; es war kaum Tag, so hatten wir die Lager schon verlassen. Old Wabble zeigte sich ganz munter; die Nacht am Balken schien ihm ganz gut bekommen zu sein. Als wir frühstückten, sah er so unbefangen zu, als ob gegen ihn gar nichts vorliege und er der beste unserer Freunde sei. Das empörte Fenner so, daß er zornig ausrief.

»So eine Frechheit ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen! Ich habe diesen Menschen stets, wenn er zu mir kam, mit Achtung behandelt, schon seines Alters wegen; nun aber bin auch ich dafür, daß er nach den Gesetzen der Prairie behandelt wird. Pferdediebe und Mörder werden gehängt. Mag er in das Grab stürzen, in dem er ja doch schon längst mit einem Fuße steht!«

Da knurrte ihn der Alte höhnisch an:

»Bekümmert Euch doch ja nicht um mein Grab! Es ist doch nicht für Euch! Ob mein Kadaver noch einige Jahre leben bleibt, oder ob er im Grabe verfault, das macht gar keinen Unterschied; ich pfeife darauf!«

Wir waren alle empört über diese Worte.

»Welch ein Mensch!« rief Treskow aus. »Er verdient den Strick und weiter nichts. Sprecht ihm sein Urteil, Mr. Shatterhand! Wir werden es unbedenklich vollziehen.«

»Ja, ich werde es sprechen; zu vollziehen braucht ihr es nicht,« antwortete ich. »Ob lebendig oder tot, das ist ihm gleich; ich werde ihm aber Gelegenheit geben, zu erfahren, daß jede Sekunde des Lebens einen Wert hat, an den alle Reichtümer der Erde nicht reichen. Er soll um eine einzige Minute der Verlängerung seines Lebens zu Gott wimmern; wenn er sich nicht bekehrt, soll seine Seele zetern aus Angst vor der göttlichen Gerechtigkeit, die er verlacht, und wenn die Faust des Todes seinen Körper krümmt, soll er nach der Vergebung seiner Sünden heulen!«

Ich band ihn vom Balken los. Er blieb stehen, dehnte und reckte seine eingeschlafenen Arme und sah mich fragend an.

»Ihr könnt gehen,« sagte ich.

»Ah! Ich bin frei?«

»Ja.«

Da schlug er ein höhnisches Gelächter auf und rief:

»Ganz wie es in der Bibel steht: Glühende Kohlen auf das Haupt des Feindes sammeln. Ihr seid ein Musterchrist, Mr. Shatterhand! Aber das fruchtet bei mir nichts, denn solche Kohlen brennen mich nicht. Es mag zwar außerordentlich rührend sein, den großmütigen Hirten spielen zu können, der seine bösen Lämmlein laufen läßt, mich aber rührt es nicht. Lebt wohl, Mesch'schurs! Wenn wir uns wiedersehen, wird es in einer ganz andern Weise sein als jetzt!«

Er ging hocherhobenen Hauptes fort. Wie bald sollte dieses sein letztes Wort in Erfüllung gehen! Wir sahen ihn wieder, ja, und wie anders, wie ganz anders stand es da um ihn! – – –


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