Karl May
Old Surehand II
Karl May

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Ein Korsar

»O, Sennores,« bemerkte der mexikanische Advokat zu seiner Erzählung, »das war die Geschichte vom Grafen von Rodriganda. Was aus diesem vornehmen Herrn noch geworden ist, das ist Nebensache. Es galt mir nur, zu zeigen, daß sehr oft ein Indianer ein weit besserer Mensch als ein Weißer ist. Die beiden Häuptlinge der Apatschen und der Miztecas haben das mehr als zur Genüge bewiesen. Und wenn man nun gar von Winnetou sprechen hört, der geradezu ein Beispiel von Hochherzigkeit und Noblesse ist, und von den vielen Bleichgesichtern, an denen er dies bewiesen hat, so möchte man es wirklich bedauern, daß man nicht eine rote, sondern eine weiße Haut besitzt. Zwar ist bei der Episode mit Sam Fire-guns Trappergesellschaft sehr viel Blut geflossen, wie wir vorhin hörten; aber das hat er nicht verhindern können, denn die Verhältnisse lagen so, und die Gegner waren so gefährliche Kerls, daß Schonung gar nicht am Platze war. Nur bedaure ich, daß dieser Sanders im ehrlichen Kampfe eines so raschen Todes gestorben ist; er hatte nicht das Messer, sondern einen tüchtigen Strick aus gutem Hanf verdient.«

Da rief Mutter Thick vom Schänktische her: »Den hat er ja auch bekommen!«

»Wie? Was? Einen Strick?«

»Ja.«

»Aber es ist doch erzählt worden, daß er im Gutter von dem Steuermanne erstochen worden ist!«

»Ja freilich; aber es ist nicht wahr. Der Gentleman, der die Geschichte erzählt hat, ist von der wirklichen Thatsache abgewichen. Sanders ist nicht erstochen worden, und Jean Letrier ist auch nicht umgekommen; sie blieben verschont und wurden gefangen genommen.«

»Ist das wahr, Sennor?«

Der Mexikaner richtete diese Frage an den frühern Indianeragenten, dessen Gesicht jetzt eine kleine Verlegenheit zeigte. Er antwortete:

»Hm, wie man es nimmt! Eigentlich ist er tot, denn ich habe es erzählt, und er lebt auch wirklich heut nicht mehr; aber, hm! Mutter Thick, wie kommt denn Ihr dazu, zu behaupten, daß Sanders damals nicht erstochen worden ist?«

»Weil ich es weiß, und zwar ganz genau,« antwortete die Wirtin, welche den ihr vorhin erteilten Wink nicht länger mehr beachten wollte.

»Von wem denn?«

»Von einem, der dabei gewesen ist.«

»Ich war doch auch dabei!«

»Ja; aber der Gentleman, von dem ich es habe, hat später noch viel, viel mehr mit Sanders erlebt und durchgemacht.«

»Wirklich? Wen meint Ihr denn eigentlich?«

»Den Polizisten Treskow.«

»Ah! Der soll später mit ihm noch mehr erlebt haben?«

»Ja. Wenn Ihr es nicht glauben wollt, so mag er es Euch selbst sagen!«

»Um das zu können, müßte et hier sein.«

»Das ist er auch.«

»Wo denn? Wo?«

»Dreht Euch nur einmal um, und seht Euch den Gentleman an, der hinter Euch am letzten Tische sitzt! Ihr habt ihn noch gar nicht bemerkt, weil er bis vorhin draußen in der andern Stube saß.«

Der Agent drehte sich um. Als er den Herrn sah, der mir so interessant vorgekommen war, sprang er auf, ging zu ihm hin, hielt ihm beide Hände entgegen und rief:

»Mr. Treskow, wirklich, das ist Mr. Treskow! Es ist seitdem eine Reihe von Jahren vergangen; aber ich kenne Euch trotzdem sofort wieder. Welche Freude! Was führt Euch denn nach Jefferson-City?«

»Ich bin in letzter Zeit wiederholt hier gewesen und da stets bei Mutter Thick eingekehrt.«

»In Geschäften?«

»Hm! Geschäfte sind es eigentlich nicht, die ich betreibe,« antwortete er mit einem Lächeln.

»So seid Ihr nicht geschäftlich, sondern amtlich hier?«

»Ja.«

»Also noch immer Detektive?«

»Ja.«

»Wollt Ihr etwa einen von uns da fangen?«

»Das nicht, denn ich bin überzeugt, daß sich nur Gentlemen hier befinden, die von der Polizei nichts zu fürchten haben. Ich wohne für einige Tage hier bei Mutter Thick und saß da draußen in der Stube, deren Thür nur angelehnt war; darum hörte ich die Geschichten, welche hier erzählt wurden. Als Ihr von Sam Fire-gun, von Pitt Holbers und Dick Hammerdull zu sprechen anfingt, da litt es mich freilich nicht länger draußen, und ich kam herein, um zuzuhören.«

»Habt Ihr mich erkannt?«

»Sofort!«

»Natürlich! Es war freilich dumm von mir, Euch, einen Detektive, zu fragen, ob Ihr mich erkannt habt. Ich freue mich außerordentlich, Euch wiederzusehen, und Ihr müßt die Güte haben, Euch mit an unsre Tafel zu setzen; die Gentlemen kennen Euch ja aus meiner Geschichte, so daß ich Euch nicht erst lange vorzustellen brauche. Aber Eure Anwesenheit macht mir doch einen Strich durch meine Rechnung oder vielmehr durch meine Erzählung!«

»Wieso?«

»Weil ich Sanders und Jean Letrier habe sterben lassen, und sie sind damals doch am Leben geblieben.«

»Ja, das war freilich eine Licenz, welche nicht mit der Wahrheit übereinstimmte.«

»Licenz, Licenz, das ist das richtige Wort. Man nimmt sich die Freiheit, gegen die Wahrheit zu erzählen, um dadurch eine höhere künstlerische Wirkung oder einen guten, befriedigenden Abschluß zu erzielen. Dieses letztere war bei mir der Fall. Sanders und Letrier wurden damals freilich nicht niedergemacht, sondern gefangen genommen, denn Fire-gun befahl seinen Leuten, sie zu schonen, weil er sie lebendig haben wollte, und auch Euch lag sehr viel daran, Sanders lebendig in Eure Hand zu bekommen. Aber ich hatte keine Zeit; ich konnte nicht im ›Lager‹ bleiben und ritt mit meinen Leuten schon am andern Tage fort. Ich habe also bis zum heutigen Tage nicht gewußt, was Ihr mit den beiden angefangen habt, und da die Gerechtigkeit ihre Bestrafung erforderte, so habe ich sie einfach bei unsrem Angriffe im Gutter sterben lassen. Das gab einen Schluß, mit dem man zufrieden sein konnte, und so hoffe ich, daß die Gentlemen hier mir die kleine Licenz verzeihen werden.«

Er führte Treskow an die Tafel, wo derselbe von allen Dortsitzenden willkommen geheißen wurde. Sie wollten natürlich nun hören, welche Strafe Sanders damals bekommen hatte. Natürlich war der Agent der Neugierigste unter ihnen und drang in Treskow, die Wißbegierde der Anwesenden zu stillen.

»Oder,« fragte er, »ist's etwa Amtsgeheimnis, was nach meiner Entfernung von Sam Fire-gun geschehen ist?«

»Gar nicht,« antwortete Treskow. »Ich kann Euch alles ganz und gern erzählen.«

»So thut es! Fangt an, Sir, fangt an! Ihr seht, daß wir alle darauf brennen, das weitere zu hören. Also Sanders und Letrier wurden gefangen genommen, gefesselt und mit nach dem ›Lager‹ transportiert. Früh ritt ich fort. Was geschah nachher?«

»Wenn ich Euch das erzählen soll, muß ich erst einige Bemerkungen machen. Zunächst waren Sanders und Letrier nicht die einzigen, welche dem Tode entgingen; es gelang noch einem seiner Leute, zu entkommen, ohne daß wir es wußten; wir erfuhren es aber sehr bald, und zwar zu unsrem Schaden. Er traf auf der Flucht auf eine Schar junger Ogellallahs, welche auf eigne Faust ausgezogen waren, um ihren Kriegern entgegen zu reiten und dabei Gelegenheit zu finden, sich auszuzeichnen; der Sohn des gefallenen Häuptlings führte sie an. Sie trafen auf die Spuren des Kampfes; sie sahen, was geschehen war und folgten unsrer Fährte, um die Niederlage und den Tod der Ihrigen zu rächen. Dabei stieß der erwähnte Weiße zu ihnen. Er war ein schlauer Kerl, dessen Spürsinn es gelang, das Hide-spot der Trapper zu entdecken.«

»Hide-spot? Ihr meint das ›Lager‹, welches wir vom Gutter aus aufsuchten?«

»Nein. Unter dem Hide-spot war ein ganz andrer Platz, ein noch viel besseres Versteck gemeint. Das ›Lager‹ galt, so zu sagen, nur als Filiale oder als Außenfort des Hide-spot, welches eine viel größere Sicherheit gewährte und wohin die beiden Gefangenen geschafft wurden, als ihr euch von uns getrennt hattet. Das Hide-spot hatte zwei Ein- oder Ausgänge, nämlich den gewöhnlichen, den alle Mitglieder der Gesellschaft kannten, und einen andern, den Sam Fire-gun entdeckt und bisher geheim gehalten hatte. Und grad diesen geheimen Zugang spürte der Weiße auf und verriet ihn den jungen Ogellallahs, was unsern Absichten und den Verhältnissen überhaupt eine ganz andre Wendung gab. Ihr werdet es erfahren, Mesch'schurs.

Die zweite Bemerkung ist die, daß wir an Sanders einen noch viel bedeutenderen Fang gemacht hatten, als wir dachten. Wir glaubten, den von der Polizei so lange vergeblich gesuchten Dieb und Betrüger ergriffen zu haben; er war aber mehr, weit mehr als das.«

»Was, Mr. Treskow? Ein Mörder?«

»Noch mehr!«

»Noch mehr? Etwas Schlimmeres als einen Mörder kann es doch eigentlich gar nicht geben!«

»Hm! Hat vielleicht jemand von euch einmal von einer gewissen ›Miß Admiral‹ gehört?«

»Miß Admiral? Miß Admiral? Miß Admiral?« wurde von mehreren ausgerufen. »Natürlich, natürlich! Wer von uns hätte nicht von diesem Frauenzimmer gehört, die ein Teufel in Menschengestalt gewesen ist!«

»Kennt ihr ihr Ende?«

»Ja. Sie wurde in New-York aufgehängt.«

»Und kennt ihr ihre Verbrechen?«

Der frühere Indianeragent antwortete:

»Es ist ganz unmöglich, alle ihre Verbrechen zu kennen. Sie ist das einzige Kind eines alten, originellen Seefahrers gewesen, der die Schrulle hatte, sich nicht von ihr trennen zu wollen. Er steckte sie in Knabenkleider und nahm sie auf allen seinen Reisen mit an Bord. Da lernte sie den Dienst von unten bis nach oben genau und vollständig kennen; sie machte nach und nach alle Stufen vom Schiffsjungen bis zum Offizier durch; sie hatte nicht bloß Gabe, sondern Talent für die See und brachte es durch die Praxis und durch den Unterricht, den ihr der Vater gab, so weit, ein Schiff bei jedem Wind und Wetter zu regieren. Aber darüber konnten sich die Mannen, die mit ihrem Vater fuhren, nicht freuen; sie war schon als Kind eine wilde Katze, und je größer und älter sie wurde, desto mehr entwickelte sich ein Teufel in ihr, der sie bis an ihr Ende, also bis zum Strange beherrschte. ist das richtig oder nicht, Mr. Treskow?«

»Es ist richtig. Aber da ihr wißt, daß sie gehängt worden ist, werdet ihr wohl auch erfahren haben, daß sie den Galgen nicht ohne Gesellschaft bestiegen hat?«

»Ja; der schwarze Kapitän wurde mit ihr gehängt, ein Kerl, der grad so schlimm oder noch schlimmer war als sie.«

»Kennt ihr seine Vergangenheit?«

»Ich weiß nicht, was Ihr da unter Vergangenheit versteht. Er muß schon jung ein außerordentlich guter Seemann gewesen sein, denn als man ihm den Strick um den Hals legte, hat er nicht viel über dreißig Jahre gezählt und vorher doch schon lange, lange Zeit die belebtesten Seekurse unsicher gemacht. Er war ein Sklavenhändler, wie es keinen zweiten gegeben hat, holte die Negerware von Afrika herüber und brachte sie hier stets glücklich an den Mann, ohne daß es jemals gelang, ihm das Handwerk zu legen. Es nahm es eben kein anderer Kapitän und kein anderer Marineoffizier mit ihm auf.«

»Das ist richtig, doch lag der Grund nicht allein in ihm, sondern auch in der Vortrefflichkeit des Fahrzeuges, welches er führte.«

»Ihr meint den ›l'Horrible‹? Ja, das soll eine Schunerbrigg oder ein Dreimast-Marssegelschuner gewesen sein, gegen welchen kein anderes Schiff hat aufkommen können. Der schwarze Kapitän hat sich selbst vor Dampfern nicht gefürchtet, so lange nur eine Handvoll Wind in seinen Segeln steckte. Die ›Miß Admiral‹ war sein Segelmeister, oder wie man das so nennt, und wenn zwei solche Personen zusammenkommen, so kann man sich denken, wie dann der ›Stecken schwimmt‹. Diese beiden haben nämlich nicht nur Neger gejagt und verkauft, sondern jedes Fahrzeug, dem sie begegneten, als gute Prise betrachtet, wenn es zu bewältigen war. Wie viel Fahrzeuge da ausgeraubt und mit der ganzen Bemannung versenkt worden sind, das wird wohl niemals an den Tag kommen. Interessant wäre es mir, zu erfahren, wo und wie die beiden, nämlich die ›Miß Admiral‹ und der schwarze Kapitän, zusammengekommen sind.«

»Das kann ich Euch sagen, Sir.«

»Wirklich? Also wie?«

»Ich ersah es aus den Akten, welche mir vorgelegen haben. Der Seemann war ihm angeboren, und er hätte es auf gutem Wege weit, sehr weit bringen können, aber wie die ›Miß Admiral‹ eine Katze, so war er schon als junge ein durchtriebener und unbändiger Fuchs, dem kein Lehrer ein gutes Ende voraussagte, obgleich er durch seine außerordentlichen Fortschritte alle in Erstaunen setzte. Die Navigation war sein Element, in welchem er mit fünfzehn Jahren sich besser auskannte als mancher vielbefahrene Orlogoffizier; aber es gab auch in ihm einen Teufel, der ihn nicht auf dem rechten Kurse litt. Er machte Dummheiten über Dummheiten, die ihm so lange nachgesehen und verziehen wurden, bis es nicht mehr ging, weil er es zu arg trieb. Er wurde trotz seiner sonstigen, unvergleichlichen Brauchbarkeit mit Schande fortgejagt. Nun trieb er sich längere Zeit herum, von einem Bord zum andern; das waren aber alles Schiffe zweifelhaften Rufes. Wie unverzeihlich das von ihm war, werdet ihr einsehen, wenn ich euch sage, daß er es schon deshalb ganz anders hätte haben können, weil er nicht arm war, sondern ein beträchtliches Vermögen besaß, welches ihm die Eltern hinterlassen hatten. Um diese Zeit traf er mit ›Miß Admiral‹ zusammen, deren Vater kürzlich gestorben war; sie hatte von ihm auch einen ganzen Sack voll Geld geerbt. Die beiden sahen sehr bald ein, daß sie vortrefflich zu einander paßten, aber nicht etwa, um einander zu heiraten, o nein! denn die ›Miß Admiral‹ ist in dieser Beziehung niemals ein Frauenzimmer gewesen, sondern in ganz anderer, sagen wir, geschäftlicher Beziehung. Sie beschlossen, ihr Geld zusammenzuthun und ein Schiff zu kaufen, um mit Ebenholz zu handeln und nebenbei zu nehmen, was sich bieten würde. Das mußte aber ein vorzügliches Fahrzeug sein, ein Segler ersten Ranges, und einen solchen führte ihnen der Satan in den Weg, nämlich den ›l'Horrible‹, der nachher so berüchtigt wurde. Matrosen fanden sich sehr bald, die nichts mehr zu verlieren hatten und ihren letzten Schutz nun unter der Piratenflagge suchten. – – – Das Geschäft begann und entwickelte sich zu einem höchst einträglichen Unternehmen. In der ersten Zeit hatte der Sklavenhändler zwei Kapitäns, weil die ›Miß Admiral‹ sich als gleichstehend mit ihrem sauberen Compagnon betrachtete; aber er bekam sie nach und nach unter; sie sah ein, daß er ihr als studierter Navigationer denn doch über war, und mußte sich mit der zweiten Stelle als Segelmeister begnügen. Diese Herabsetzung, wie sie es nannte, ließ sie an ihren Untergebenen aus; sie war ein Unmensch gegen sie; die neunschwänzige Katze bekam die Herrschaft an Bord, und wer es wagte, einen Befehl zu mißachten, wurde sofort niedergeschlagen und in die See geworfen. Die Mannen mußten sich das gefallen lassen, denn sie hatten sich selbst außerhalb des Gesetzes gestellt und konnten bei keiner Behörde Schutz und Hilfe suchen.

Der Name ›l'Horrible‹ wurde bald nur mit Schrecken genannt, und sein Kapitän war nur unter dem Namen der schwarze Kapitän bekannt. Man darf nun nicht etwa meinen, daß er zu der ›Miß Admiral‹ in einem einträchtigen Verhältnisse gestanden habe; sie lebten im Gegenteile in offener Feindseligkeit, und keins von ihnen beiden fühlte sich seines Lebens sicher. Die kühnste und verwegenste That des schwarzen Kapitäns war die, daß er sich mit seinem ›l'Horrible‹ sogar einmal in den Hafen von New-York getraute, natürlich unter falscher Flagge und mit guten Papieren, die von einem Schiffe stammten, welches er ausgeraubt und in den Grund gebohrt hatte. Bei dem Kampfe mit der Besatzung dieses Schiffes war er verwundet worden, und kam nun nach New-York, um sich heilen zu lassen. Wenn ich sage, dies sei sein kühnster Streich gewesen, so wurde ihm dabei von der ›Miß Admiral‹ ein Streich gespielt, der ebenso groß war. Sie ging ihm nämlich, während ihn das Krankenlager festhielt, mit dem Schiffe und dem ganzen Gelde auf und davon. Dies zu thun und ihn los zu werden, hatte sie schon längst geplant; aber es bekam ihr nicht so, wie sie es erwartet hatte. Sie hatte gelernt, ein Schiff zu regieren, ja; aber die Finessen, welche dazu gehören, einen Kaper jeder, auch der eifrigsten Verfolgung zu entziehen, die besaß sie doch nicht, die hatte nur der schwarze Kapitän besessen. Sie wurde von einem Kriegsschiffe aufgegriffen und geentert; es gab einen Verzweiflungskampf, bei welchem alles, was an Bord gelebt hatte, niedergemetzelt oder dann an den Raaen aufgehängt wurde. Nur einige Mannen waren entkommen, weil sie sich augenblicklich am Lande befanden.

Natürlich suchten die Sieger nach dem schwarzen Kapitän; doch ohne ihn zu finden; sie nahmen an, daß er mit bei den Toten liege und kein Abzeichen habe, an welchem er zu erkennen sei. Als dann die Kabinen und Kojen durchsucht wurden, fand man eine Dame, welche Passagierin eines überfallenen Schiffes gewesen und von den Korsaren mitgeschleppt worden war, um von ihr ein hohes Lösegeld zu erpressen. Sie war natürlich unendlich glücklich, ihre Freiheit wieder zu erhalten, wurde mit der größten Achtung und Zuvorkommenheit behandelt und im nächsten Hafen gelandet. Niemand ahnte, daß diese Dame die ›Miß Admiral‹ war, welche sich für einen Fall wie diesen mit Frauenkleidern versehen hatte. Sobald ihr klar geworden war, daß jeder Widerstand vergeblich sei, hatte sie sich unter Deck geflüchtet und diesen Anzug angelegt.

Man kann sich die Wut denken, in welche der schwarze Kapitän geriet, als er erfuhr, daß der ›l'Horrible‹ aufgegriffen und fast unbeschädigt eingebracht worden sei. Er hatte fest angenommen, daß das Schiff noch im Hafen vor Anker liege, und erfuhr nun erst die Untreue der ›Miß Admiral‹. Als er von seiner Verwundung geheilt war, stand er arm und ohne alle Mittel da. Er ergriff bald dieses und bald jenes, um nur den Hunger zu stillen, dachte aber ganz und gar nicht daran, ein ehrlicher Kerl zu werden, sondern wurde ein so raffinierter Gauner und Betrüger, wie er vorher ein Korsar gewesen war. Als er dann bemerkte, daß in New-York die Polizei auf ihn aufmerksam wurde, machte er sich fort, um sein Heil im Westen zu versuchen; vorher erfuhr er noch, daß sein ›l'Horrible‹ nach Vornahme der notwendigen Umwandlung in die Kriegsmarine eingestellt werden solle.

Nun werdet ihr mich fragen, Mesch'schurs, warum ich hier so viele Worte über den schwarzen Kapitän mache; ihr sollt die Antwort sofort haben. Nämlich als wir Sanders bei Sam Fire-gun ergriffen hatten und dann seine Taschen durchsuchten, wurden allerhand Notizen gefunden, deren Bedeutung die andern nicht ergründen konnten; als man mir sie aber überließ und ich sie sorgfältig durchging, wurde mir klar, daß Sanders kein anderer als der schwarze Kapitän sei; Jean Letrier war einer seiner Korsaren. Welch ein Fang! Nicht wahr? Ich kann euch die Freude, welche ich fühlte, nicht beschreiben, und sah die Belohnung, die mich erwartete, schon in meinen Händen. Ich ließ diese Freude aber nicht sehen und verheimlichte es auch Sanders, daß ich ihn durchschaut hatte.«

»Sagtet Ihr es auch Euren Gefährten nicht?« erkundigte sich der Indianeragent.

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil ein unvorsichtiges Wort genügt hätte, Sanders erraten zu lassen, daß ich sein Geheimnis kannte. Er sollte das erst vor Gericht erfahren. Durch solche Überraschungen pflegen selbst harte Verbrecher förmlich niedergeschmettert zu werden. Es ging aber leider anders, als ich dachte.«

»Er ist euch doch nicht etwa entsprungen?«

»Allerdings ist er das. Aber ehe ich erzähle, wie das zuging, will ich euch viel weiter nach dem Westen führen, über die Felsenberge, durch Arizona und Nevada, bis wir uns in San Francisco befinden, wo wir sehr bald auf eine bekannte Person treffen werden, obgleich sie sich große Mühe giebt, nicht erkannt zu werden.«

»Wer ist das?«

»Werdet es gleich erfahren. Also, hört:

»Wer heutigestags nach San Francisco, der Beherrscherin des Goldlandes und des stillen Weltmeeres, kommt und, am Hafenquai stehend, das Völkergewühl, welches hier in fast unlösbarer Bewegung durcheinander wirrt, beobachtet, wer die breiten, langgestreckten Straßen, die umfangreichen Plätze, die prächtigen Paläste und Gebäude sieht, hinter deren Spiegelscheiben alles aufgestapelt ist, was vom Golde stammt, mit ihm in Beziehung steht und für dasselbe zu haben und zu kaufen ist, der vermag nur schwer an die geringen, ja armseligen Anfänge zu denken, aus denen sich die Metropole des schimmernden Metalles entwickelt hat.

Und wie die Wogen da draußen im Hafen und auf der See steigen und fallen, wie die bunt zusammengewürfelte Menschheit in den Straßen, Plätzen und öffentlichen Lokalen sich ohne Rast und Ruhe schiebt und stößt, drückt und drängt, so steigt und fällt auch das wankelmütige Glück, so schiebt auch das untreue Verhängnis den Spielball, Mensch genannt, zum scheinbar sichern Halt empor und stößt ihn im nächsten Augenblicke wieder hinab auf den Grund, wo das ›Ungeziefer der Gesellschaft‹ wimmelt. Wer gestern noch als Millionenmann gepriesen und beneidet wurde, bricht vielleicht schon heut mit Hacke, Spaten und Büchse nach den Diggins auf, um den verlorenen Reichtum wieder zu gewinnen. Die Existenzen sind vorwiegend problematisch, und manche glänzende Salonerscheinung entpuppt sich, wenn das Spiel zu Ende ist, als ein haltloses, abenteuerliches Dasein, dessen Bestehen nur von dem Falle des Würfels abhängig war.

Auf dem Kurse von Acapulco nach San Francisco segelte ein Fahrzeug. Es war ein stramm gebautes, schneidiges Dreimasterschiff, welches unter dem Spriete und hinten am Stern in goldenen Lettern den Namen ›l'Horrible‹trug. Die Kleidung der Mannschaft bewies, daß das Schiff zur Kriegsflotte der Vereinigten Staaten gehöre, obgleich aus mancher Kleinigkeit in Bau und Takelung sich vermuten ließ, daß es nicht zu diesem Zwecke gebaut sei.

Im gegenwärtigen Augenblicke stand der Befehlshaber auf dem Quarterdecke und blickte hinauf nach den Wanten, wo einer der Männer hing und mit dem Rohre in der Hand scharfen Ausguck hielt.

»Nun , Jim, hast du ihn?« fragte er.

»Ay, ay, Capt'n; dort segelt er grad vor dem Glase!« antwortete der Gefragte, mit der Hand windwärts deutend. Er nannte den Befehlshaber Kapitän, obgleich dieser die Abzeichen des Marinelieutenants trug. Ein Grad höher kann niemals schaden, zumal wenn der Betreffende den höhern Rang verdient.

»Welchen Lauf hält er?«

»Er sucht unser Kielwasser, Master. Ich glaube, er schlägt von Guayaquil oder Lima, vielleicht gar von Valparaiso herauf, weil er mehr aus dem Westen steuert als wir.«

»Was für ein Fahrzeug ist es, Jim?«

»Kann es noch nicht sagen, Sir; laßt ihn erst noch um etwas näher kommen!«

»Wird er das?«

»Sicher, Capt'n!«

»Möchte es fast nicht glauben,« lautete die Antwort. »Wäre doch neugierig, das Schiff zu sehen, welches den ›l'Horrible‹ übersegelt!«

»Hm,« machte der Mann, indem er aus den Wanten niederstieg und dem Lieutenant dann das Rohr Übergab; »kenne doch eins, dem es gelingen sollte!«

»Welches?«

»Die ›Swallow‹, Sir.«

»Ja, die; sonst aber weiter keins! Aber wie sollte die ›Swallow‹ in diese Gewässer kommen?«

»Weiß nicht, Master; aber das Schiff da hinten ist keine Bostoner Heringstonne, sondern ein kleiner, rascher Klipper. Wäre er größer, so müßte man ihn auf die Entfernung hin deutlicher sehen. Und die ›Swallow‹ ist auch ein Klipper.«

»Well, wollen sehen!« entschied der Lieutenant, den Mann verabschiedend und sich mit dem Rohre nach dem Steuer begebend.

»Ein Segel in Sicht?« fragte der Steuermann.

»Ja.«

»Wo' Sir?«

»Hinter uns.«

»Möchtet Ihr da nicht ein Reff in die Leinwand ziehen lassen?«

»Ist nicht nötig,« antwortete der Kommandant, jetzt selbst durch das Glas blickend. »Es ist ein ganz famoser Segler; er wird uns auch ohne Reff einholen.«

»Pah, Sir; das möchte ich sehen!«

»Es ist so,« klang es mit einem leisen Anfluge von verletztem seemännischen Stolze. »Er greift den Raum mit Macht. Seht, Maate, vor drei Minuten war er bloß vom Mars aus zu erkennen; jetzt stehe ich auf Deck und sehe ihn.«

»Soll ich ein weniges vom Winde abfallen?«

»Nein; ich will sehen, wie lange er braucht, um Seite an Seite mit uns zu segeln. Ist's ein Amerikaner, so soll mich's freuen; ist's aber ein andrer, so will ich ihm lieber den Teufel, als ein solches Fahrzeug gönnen.«

Es dauerte nicht lange, so waren die Mastenspitzen und dann auch der schlanke Rumpf des fremden Schiffes schon mit unbewaffnetem Auge zu erkennen.

»Es ist ein Klipper mit Schunertakelage,« meinte der Maate, »ein Dreimast-Marssegelschuner, grad wie unser ›l'Horrible‹.«

»Yes. Ein prächtiges Fahrzeug, bei allen Teufeln! Seht, wie es schief vor dem Winde läuft, und mit vollem Segelwerk. Der Mann, der es befehligt, scheint sich vor einer Hand voll Wind mehr als gewöhnlich nicht zu fürchten. Jetzt legt er sogar die Braamtücher bereit, so daß der Schuner das Steuer hebt und fast nur auf dem Buge tanzt!«

»Ein wackerer Bursche, Sir. Aber kommt ein diverger Windstoß, so legt sich der Klipper in die See, so wahr ich Maate bin und Perkins heiße! Der Mann segelt doch ein wenig zu verwegen.«

»Nein. Seht Ihr nicht, daß die Reffleinen nicht angesorrt sind, sondern nur festgehalten werden? Bei einer Bö läßt man sie fahren, pah!«

»Jetzt zieht er die Flagge. Wahrhaftig, ein Amerikaner! Seht Ihr die Sterne und Streifen? Er frißt das Wasser förmlich, und in fünf Minuten ist er an unsrer Seite.«

»Er frißt das Wasser; ja, das ist der richtige Ausdruck für eine solche Fahrt. By god, der Kerl hat wahrhaftig sechs Kanonenluken auf jeder Seite, eine Drehbasse auf dem Vorderkastell und also wohl auch so etwas Ähnliches kurz vor dem Steuer. Könnt Ihr das Bild bereits erkennen, Maate?«

»Noch nicht; aber wenn mich nicht alles trügt, so ist es die ›Swallow‹. Ich habe sie in Hoboken einmal bestiegen und mir jede Talje und Schote, jedes Stückchen Tau und Takelwerk genau angesehen.«

»Wer kommandierte damals auf ihr?«

»Hab' den Namen vergessen, Master; war ein alter, halb wracker Seehund mit einer rotbraunen Nase, die ganz nach Gin und Brandy aussah. Aber den Maate habe ich gut gekannt, hieß Peter Polter, stammte aus Germany da drüben herüber und war ein wohlbefahrener junge, auf den sich jeder wohl verlassen konnte. Habt Ihr ihn jetzt nahe genug am Rohre?«

»Ja. Es ist die ›Swallow‹. Haltet einen oder zwei Striche mehr nach Luv; es ist augenscheinlich, daß sie mit uns reden will!«

Er kehrte auf das Quarterdeck zurück und rief:

»Holla, Jungens, an die Brassen!«

Die Männer sprangen zu den Leinen.

»Mann am Stock, zieh auf die Flagge!«

Das Stern- und Streifenbanner der Union flog in die Höhe.

»Greift an zum Beidrehen!«

Die Befehle wurden mit anerkennungswerter Präcision ausgeführt.

»Konstable!«

Der Gerufene trat an sein Geschütz.

»Laßt fallen. Feuer!«

Die Segel fielen und zugleich krachte der Schuß über die See.

»Achtung, Maate; leg bloß den Wind!«

Augenblicklich gehorchte das Steuer dem Rufe, und mit möglichst weniger Leinwand an den Raaen legte sich der ›l'Horrible‹ herum, um auf die ›Swallow‹ zu warten.

Auch von ihrem Borde krachte ein Schuß. Mit beinahe fabelhafter Geschwindigkeit kam sie herbeigeflogen. Unter ihrem Spriete breitete eine aus Holz gehauene blaue Schwalbe ihre vergoldeten, spitzen Flügel aus. Die Namensinschrift am Stern war jetzt nicht zu bemerken. Die flotte Brise lag voll in ihrem schweren Segelwerke. Zur Seite geneigt, so daß die Spitzen ihrer Nocken fast das Wasser berührten, schoß sie mit einer Sicherheit und Zierlichkeit heran, die ihrem Namen alle Ehre machte. Jetzt war ihr Klüversegel fast in gleicher Breite mit dem Sternwimpel des ›l'Horrible‹, da erscholl die Stimme ihres Befehlshabers, welcher vorn auf dem Deck seines Schuners stand:

»Hallo, die Reffs!«

Im Nu schlappten die Segel hernieder, das Fahrzeug stieg vorn in die Höhe, erhob sich aus seiner geneigten Lage, schwankte einmal kurz auf die andre Seite und richtete sich dann stolz und kräftig über die gebändigten Wogen.

»Ahoi, was für ein Schiff?« fragte, mit der Hand vor dem Munde, der Befehlshaber des ›l'Horrible‹; er wußte gar wohl, was für ein Fahrzeug er vor sich hatte, mußte aber der gebräuchlichen Form genügen.

»Die ›Swallow‹, Lieutenant Parker, von New-York, direkt von New-Orleans um Kap Horn herum. Und Ihr?«

»Der ›l'Horrible‹, Lieutenant Jenner aus Boston, zum Kreuzen in diesen Gewässern, Sir!«

»Ist mir lieb, Sir! Habe Euch etwas zu übergeben. Soll ich per Schaluppe hinüberkommen, oder darf ich mich Dahlbord an Dahlbord an Eure Langseite legen?«

»Versucht's, wenn Ihr's zuwege bringt, Lieutenant!«

»Pah, die ›Swallow‹ bringt noch Schwereres fertig!«

Er trat zurück und gab den Seinen einen Wink. Die ›Swallow‹ warf sich leicht herum, beschrieb einen kurzen Bogen und legte sich so nahe an das andre Fahrzeug, daß ihre Mannschaft die Wanten desselben zu erfassen vermochte, ein Manöver, welches bei solchem Winde und mit dieser Sicherheit nur ein kühner und dabei sehr tüchtiger Mann auszuführen den Mut hat.

Während die beiden Schiffe sich auf einem nachbarlichen Wellenpaare wiegten, stand Max Parker mit einem gewandten Sprunge neben dem Lieutenant Jenner.

»Habe den Auftrag, Euch diese versiegelte Depesche zu überreichen, Sir!« meinte er, indem sie sich freundschaftlich die Hände schüttelten.

»Ah! Wollt Ihr mit hinab in die Kajüte? Müßt doch einen Trunk am Bord des ›l'Horrible‹ nehmen!«

»Hab' nicht gut Zeit, Lieutenant. Laßt einen Schluck heraufbringen!«

Jenner gab den dazu nötigen Befehl und öffnete dann, nachdem er respektvoll salutiert hatte, das Couvert.

»Wißt Ihr, was die Depesche enthält?« fragte er.

»Nein; kann mir's aber denken.«

»Ich muß sofort nach San Francisco, wohin ich übrigens schon den Kurs genommen hatte. Ich soll Euch dieses mitteilen.«

»Well, so habe ich Euch diese Depeschen an die dort stationierenden Unionskapitäne zu überreichen. Ihr wißt wohl, daß der Süden revoltiert?«

»Habe davon gehört, obgleich ich erst kurze Zeit in dieser Breite kreuze. Werden sich aber wohl verrechnet haben, die Rebellen, was?«

»Meine es auch; doch ist der Süden stark und im Besitze fester Häfen und ungeheurer Hilfsquellen. Kampf wird es geben, schweren, harten Kampf, und ungewöhnlicher Anstrengung wird es bedürfen, um ihn niederzuringen. Ich wünsche, daß wir uns wiedersehen, Sir, Seite an Seite, dem Feinde gegenüber!«

»Sollte mich freuen, Master, herzlich freuen, mit einem Schiffe, wie Eure ›Swallow‹ ist, den Gegner packen zu können. Wohin seid Ihr jetzt bestimmt?«

»Auch nach San Francisco, wo ich neue Ordres empfange. Vorher jedoch muß ich ein wenig auf der japanesischen Route streifen. Fare well, l'Horrible!«

»Fare well, Swallow!«

Die beiden Männer leerten ihre Gläser, dann sprang Parker auf das Deck seines Fahrzeugs zurück. Die ›Swallow‹ stieß vom ›l'Horrible‹ ab, warf ihre Segel wieder an die Raaen, nahm den Wind voll in die Leinewand und schoß unter einem lauten Abschieds-Hallo der beiderseitigen Mannschaften davon. So schnell wie sie vom südwestlichen Gesichtskreise her erschienen war, so schnell verschwand sie wieder an dem in Glut getauchten westlichen Horizonte.

Es war, als sei eine graziöse Fee aus den Fluten aufgetaucht, um den einsamen Schiffer zu begrüßen und dann unerbittlich wieder in ihr nasses, geheimnisvolles Reich zurückzukehren.

Auch der ›l'Horrible‹ setzte jetzt alle Segel bei, um die unterbrochene Fahrt mit vergrößerter Geschwindigkeit wieder aufzunehmen. Zwar währte die Fahrt noch einige Tage, dann aber mehrte sich die Zahl der ihm begegnenden oder zu gleichem Ziele mit ihm zusammentreffenden Fahrzeuge, und endlich ging er auf der Reede der ›Goldkönigin‹ vor Anker.

Hier überließ Jenner das Ordnen der polizeilichen und hafenbehördlichen Angelegenheiten seinem Steuermanne und begab sich sofort an Bord eines neben ihm liegenden Panzerschiffes, an dessen Kapitän eine der ihm anvertrauten Depeschen adressiert war. Die andern der ihm bezeichneten Fahrzeuge mußten erst noch aufgesucht werden oder befanden sich auf kurzem Ausfluge in See.

Der Kapitän nahm die Depesche in Empfang und führte ihn in die Kajüte hinab, wo sich ein kameradschaftliches Gespräch entwickelte.

»Ihr werdet einige Zeit hier zu verweilen haben,« meinte am Schlusse desselben der Kommandant des Panzerungeheuers. »Habt Ihr Bekanntschaften in der Stadt?«

»Leider nicht. Ich werde in gesellschaftlicher Beziehung nur auf die Restaurationen und Hotels angewiesen sein.«

»Dann erlaubt mir, Euch meine Verbindungen zur Verfügung zu stellen.«

»Wird mit Dank und Vergnügen acceptiert.«

»Ich kenne da zum Beispiel eine exquisite Dame, die sich die ganze Etage eines der feinsten Häuser gemietet hat. Sie ist eine Pflanzerswitwe aus Martinique, nennt sich de Voulettre und gehört zu denjenigen Frauen, die ewig jugendlich bleiben, deren Alter nie bestimmt werden kann, weil Bildung, Geist und Liebenswürdigkeit die Macht der Jahre paralysieren. Sie macht ein großes Haus, scheint unerschöpflich vermögend, sieht bei sich nur die Vertreter der Aristokratie des Geistes, des Geldes und der politischen Macht und ist grad mir ganz außerordentlich interessant, weil sie große Seereisen gemacht und sich Kenntnisse über unsern Beruf angeeignet hat, über welche sie mancher wackere Seebär beneiden möchte.«

»Dann bin ich wirklich begierig, sie kennen zu lernen.«

»Ich werde Euch schon heut die Gelegenheit dazu bieten. Ich bin heut abend zu ihr geladen; wollt Ihr mit?«

»Sicher, Kapitän.«

»Gut. Ich werde Euch vorstellen, und dann dürft Ihr Euch so frei bewegen, als befändet Ihr Euch an Bord Eures ›l'Horrible‹. Ist übrigens ein prächtiges Fahrzeug, Lieutenant, und ich kann Euch zu diesem Kommando aufrichtig Glück wünschen. Das war so nett, so sauber, so adrett, so boudeaux, als Ihr herbeigestrichen kamt und Ruck und Zuck die Segel und der Anker fielen. Kam er nicht von den Inglishmen in den Besitz der Vereinigten-Staaten-Flotte?«

»Ja. Vorher aber war er das gefürchtetste Fahrzeug zwischen Grönland und den beiden südlichen Kaps. Oder habt Ihr nie von dem ›schwarzen Kapitän‹ gehört?«

»Wie sollte ich nicht? Vielleicht mehr noch als Ihr. Ich wußte nur nicht gleich, wohin ich den Namen ›l'Horrible‹ thun sollte; jetzt aber besinne ich mich. Das Fahrzeug wurde auf einer Ebenholzfahrt betroffen und daher weggenommen. Die Bemannung hing man an die Raaen und den schwarzen Kapitän – ah, wie war es nur mit ihm?«

»Er befand sich nicht an Bord, dafür aber eine Dame, die man beim Überfalle eines Kauffahrers verschont und mitgenommen hatte, um ein Lösegeld zu erpressen.«

»Wer war sie?«

»Weiß es nicht. Seit jener Zeit hat man nie mehr etwas wieder über den Piraten gehört. Entweder hat die Lektion gefruchtet oder er ist doch mit an Bord gewesen und im Kampfe getötet oder als gewöhnlicher Vormarsgast mit gehangen worden.«

»Wäre ihm recht geschehen! Also heut abend bei der Frau de Voulettre; ich werde Euch abholen, Lieutenant, ja?«

»Ich werde diese Ehre – –«

»Pshaw, ich bitte nur, mir Euer braves Fahrzeug einmal ansehen zu dürfen, ehe wir an das Land rudern.«

Während dieses Gespräches kam ein Mann langsam und gemächlich am Quai herabgeschlendert, ganz in der Haltung eines Menschen, der über sich und seine Zeit vollständig Herr ist. Von kaum mittlerer Statur und dabei schlank gebaut, trug er die Kleidung eines Diggers, der von den Minen kommt, um von der anstrengenden Arbeit auszuruhen und sich ein Weniges in der Stadt umzusehen. Ein breitkrempiger, vielfach zerknitterter Hut hing ihm in das Gesicht hernieder; doch vermochte er nicht, das große, häßliche Feuermal zu verdecken, welches sich von dem einen Ohre quer über die ganze Wange bis über die Nase zog.

Wer ihn sah, wandte sich mit Abscheu von dem abstoßenden Anblicke weg. Der Mann bemerkte dies sehr wohl, schien sich aber nicht sehr darüber zu grämen und ließ sich sogar durch gelegentliche laute Äußerungen in seiner offenbaren Seelenruhe nicht stören.

Da blieb er stehen und ließ sein Auge hinaus auf die Reede schweifen.

»Wieder einer vor Anker,« murmelte er; »ein Segelschiff und, wie es scheint, nicht schlecht gebaut. Wenn nur –.« Er hielt plötzlich in seinem Selbstgespräch inne und beschattete das Auge mit der Hand, um schärfer sehen zu können.

»Sacré nom du dieu, das ist, – ja, das ist er, das ist der ›l'Horrible‹, wegen dem ich nun schon seit einem Monate hier vor Anker liege. Endlich, endlich sehe ich ihn wieder, und – -doch, er liegt zu weit vom Lande, und ich könnte mich täuschen. Ich werde mich überzeugen, ob ich mich irre oder nicht!«

Er schritt die Stufen hinab, vor denen mehrere Boote lagen, und sprang in eines derselben.

»Wohin?« fragte der Besitzer, der sich auf der Ruderbank sonnte.

Der Mann deutete leicht nach der Reede hinaus und antwortete:

»Spazieren.«

»Wie lange?«

»So lange es mir gefällt.«

»Könnt Ihr bezahlen?«

Der Frager musterte seinen Fahrgast mit nicht sehr vertrauensvollen Blicken.

»Nach der Fahrt mit gutem Gelde, vor der Fahrt mit guten Fäusten. Wähle also!«

»Hm, hm,« brummte der Schiffer, offenbar eingeschüchtert durch den drohenden Blitz, welcher aus dem dunklen Auge des Fremden leuchtete, »steckt: Eure zehn Finger, wohin es Euch beliebt, nur nicht in mein Gesicht. Könnt Ihr das Steuer führen?«

Ein kurzes Nicken war die Antwort, dann wurde der Kahn gelöst und suchte durch das Gewirr der umherliegenden Fahrzeuge aller Gattungen seinen Weg hinaus in das freie Wasser.

Der Fremde verstand zu steuern wie nur irgend einer, das hatte der Schiffer schon nach den ersten Ruderschlägen bemerkt. Er ließ kein eigentliches Ziel erraten, umkreiste in weitem Bogen das Panzerschiff und den ›l'Horrible‹ und führte dann das Boot an seinen Platz zurück, wo er die Fahrt auf eine Weise bezahlte, die seine äußere Erscheinung allerdings nicht hatte vermuten lassen.

»Er ist's,« seufzte er erleichtert, indem er die Stufen emporstieg; »nun soll die Frau de Voulettre bald so spurlos verschwinden, wie die Miß Admiral damals spurlos verschwunden ist. Jetzt aber in die Taverne!«

Er lenkte seine Schritte einer Gegend der Stadt zu, wo die obskuren Existenzen ihr elendes und oft auch verbrecherisches Leben fristen. Er mußte durch ein Gewirr enger Gassen und Gäßchen schreiten, deren Häuser kaum diese letztere Bezeichnung verdienten. Der wüste, holperige Boden bildete ein besonders für die Nacht halsbrecherisch zu nennendes Terrain, und die Hütten, Baracken und Zelte glichen eher einem wilden Zigeunerlager, als dem Teile eines wohlgeordneten Stadthaushaltes, wo die mächtige Hand einer kräftigen Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei jeden schädlichen oder auch nur verdächtigen Stoff auszuscheiden oder wenigstens unter scharfer Bewachung zu halten verpflichtet ist.

Endlich hielt er vor einer langgestreckten Bretterbude, über deren Thür mit einfachen Kreidezügen die Inschrift »Taverne of fine brandy« angebracht war. Vor und hinter diesen Buchstaben war auch mit Kreide je eine Schnapsflasche auf das rissige Holz gemalt.

Er trat ein.

Der lange Raum war mit Gästen gefüllt, denen man es ansah, daß sie nicht zu den Kreisen der Gesellschaft gehörten, welche die Bezeichnung gentlemanlike für sich in Anspruch nehmen. Ein unbeschreiblicher Spiritusdunst und Tabaksqualm warf den Eintretenden förmlich zurück, und der Lärm, welcher hier herrschte, schien eher tierischen, als menschlichen Kehlen zu entstammen.

Der Mann mit dem Feuermale kehrte sich nicht im mindesten an diese Unannehmlichkeiten. Er trat an den Schenktisch und wandte sich zu dem hinter demselben paradierenden Wirte.

»Ist der lange Tom hier, Master?«

Der Gefragte musterte ihn mit einem mißtrauischen Blicke und antwortete nicht eben freundlich:

»Warum?«

»Weil ich mit ihm zu sprechen habe.«

»Wer ist der lange Tom, he?«

»Pah! Spielt nicht Versteckens! Ich kenne den Mann ebenso gut wie Ihr und bin von ihm hierher bestellt worden.«

»Wer seid Ihr?«

»Das geht Euch den Teufel an. Hab Euch auch noch nicht nach der Geburtsliste gefragt, auf der Euer Name verzeichnet sein mag!«

»Hoho, wenn Ihr so kommt, so könnt Ihr lange fragen, ehe Ihr die Antwort bekommt, die Ihr haben wollt. Eher ist es möglich, daß Ihr einen guten Faustschlag oder zwei von hier mit fortnehmt!«

»Darüber ließe sich vielleicht auch noch sprechen. Aber ich will Euch wenigstens so viel sagen, daß es Euch der lange Tom verteufelt anrechnen wird, wenn Ihr mich nicht mit ihm sprechen laßt.«

»So? Nun, ich will einmal so thun, als ob ich ihn kenne; versteht Ihr, Sir? Wenn er Euch wirklich bestellt hat, so hat er Euch jedenfalls ein Wort gesagt, ein kleines Wörtchen, ohne welches man nicht zu ihm kommt.«

»Das hat er. Hört einmal!«

Er neigte sich über den Tisch hinüber und raunte dem Wirte einige leise Silben zu. Dieser nickte zustimmend mit dem Kopfe.

»Richtig! jetzt darf ich Euch trauen. Tom ist noch nicht hier; es ist eben jetzt die Zeit, wo gewöhnlich die Polizei kommt, um sich ein weniges unter meinen Gästen umzusehen. Ist sie fort, so gebe ich ein Zeichen, und in fünf Minuten ist er da. Setzt Euch bis dahin nieder!«

»Hier nicht, Master. Tom sagte mir, daß es bei Euch einen kleinen Raum giebt, wo man nicht von jedermanns Auge belästigt wird.«

»Den giebt es, ja; aber er ist eben auch nicht für jedermann da.«

»Nicht für jedermann. Aber für wen denn?«

»Wenn ich Euch das erst sagen muß, so scheint es unter Eurem Hute ganz niederträchtig finster zu sein!«

»So sehr doch nicht, wie Ihr denkt!«

Er zog ein Goldstück hervor und schob es dem spekulativen Manne zu.

»Gut! Es steht mit Euch doch nicht ganz so schlimm, als ich dachte. Aber wißt Ihr, wenn man jemandem den Gefallen thut, die Spürnasen von ihm abzuhalten, so ist ganz natürlich eine Liebe der andern wert. Wollt Ihr etwas trinken?«

»Ein Glas Wein.«

»Wein? Seid Ihr verrückt? Was soll ich hier mit diesem albernen Getränke machen? Ihr bekommt eine Flasche Brandy, wie es hier Sitte und Gewohnheit ist. Hier, und auch ein Glas dabei. Jetzt setzt Ihr Euch an den Tisch dort hinter dem breiten Ofen. Gleich daneben ist eine Thür, die niemand sehen kann. Ich werde sie aufstoßen; dann paßt Ihr auf, und beim ersten Augenblicke, wo es kein anderer bemerkt, schlüpft Ihr schnell hinein.«

»Soll geschehen.«

»Es ist jetzt leer in jener Stube. Aber es werden bald Gäste kommen, und ich rate Euch, sie nicht zu inkommodieren. Es sind rasche Bursche, bei denen Wort und Klinge nicht weit voneinander liegen!«

Es geschah, wie er gesagt hatte, und bald saß der Fremde in dem verborgenen Raume. Dieser faßte nur zwei Tische mit vielleicht einem Dutzend Stühlen, welche jetzt leer standen. Aber, wie der Wirt gesagt hatte, kamen bald Gäste, einer nach dem andern, herbeigeschlüpft und nahmen in einer Weise Platz, welche erraten ließ, daß sie gewohnt seien, hier in dieser Abgeschlossenheit zu verkehren.

Die Notiz, welche sie von dem bereits Anwesenden nahmen, bestand nur in einem kurzen, musternden Blicke; sonst aber beachteten sie ihn nicht im mindesten und führten ihr halblautes Gespräch so ungeniert, als ob kein Fremder zugegen sei. Sämtliche Männer schienen Seeleute zu sein, wenigstens zeigten sie sich während ihrer Unterhaltung in dem Schiffswesen sehr bewandert und in allen nautischen Vorkommnissen der jüngeren Vergangenheit außerordentlich gut unterrichtet. Auch die im Hafen und auf der Reede liegenden Fahrzeuge wurden besprochen.

»Wißt Ihr,« fragte einer, »daß der ›l'Horrible‹ draußen vor Anker gegangen ist?«

»Der ›l'Horrible‹, das frühere Kaperschiff?«

»Ja, Befehlshaber Lieutenant Jenner. Ein prächtiges Schiff, ganz unvergleichlich in Bau und Ausrüstung; der schwarze Kapitän hat es bewiesen.«

»Schade um den armen Kerl, daß er den Strick hat schmecken müssen! Oder nicht, he?«

»Jammerschade; er wußte etwas aus sich und seinen Jungens zu machen.«

»Er vielleicht weniger, aber er soll einen ausgezeichneten Segelmeister gehabt haben, der das eigentliche Kommando führte.«

»Hab auch davon gehört. Der Kerl soll gar nicht einmal ein Mann, sondern ein Weib gewesen sein, ein wahrer Satan. Will's auch gern glauben, denn wenn sich der Teufel ein Extrapläsir machen will, so fährt er in ein Frauenzimmer.«

»Richtig,« meinte ein dritter, »ein Frauenzimmer ist es gewesen, und Miß Admiral wurde sie geheißen; ich weiß es genau. Sie soll die Tochter eines alten Seelöwen gewesen sein, der sie auf allen seinen Fahrten mitgenommen hat. Dadurch ist sie das reine Mannsbild geworden, hat sich nur auf dem Wasser wohl befunden und es nach und nach so weit gebracht, ein Schiff noch besser als mancher erfahrene Kapt'n zu führen. Jeder Seemann weiß, daß es dergleichen Frauenzimmer gegeben hat und wahrscheinlich auch heut noch giebt. Und wer noch mehr erfahren will, der mag nur den langen Tom fragen, der weiß Bescheid. Ich glaube, der Halunke ist schon einmal mit dem schwarzen Kapitän gefahren und kennt den ›l'Horrible‹ besser, als er gestehen will.«

»Möglich; zuzutrauen ist es ihm. Und wenn es wirklich so gewesen ist, so fällt mir gar nicht ein, es ihm übel zu nehmen; denn so ein Hundeleben wie auf einem elenden Kauffahrer giebt es natürlich auf einem wackeren Kaper nicht. Ich will nicht weiter reden, aber, na, ihr wißt schon, was ich meine!«

»Papperlapapp, heraus damit! Oder wenn du dich fürchtest, so will ich es sagen: Wenn der schwarze Kapitän noch lebte und den ›l'Horrible‹ noch hätte, ich ginge auf der Stelle zu ihm an Bord. Da hört ihr's, und ich meine, daß ihr mir recht gebt!«

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür von neuem und ein Mann trat in gebückter Stellung ein, den alle als alten Bekannten begrüßten.

»Der lange Tom! Komm her, alter Swalker und verteie dich hier auf diesen Stuhl. Weißt du, daß wir soeben von dir gesprochen haben?«

»Ja, von dir und dem ›l'Horrible‹!« bestätigte ein andrer.

»Laßt den ›l'Horrible‹ nur immer draußen auf dem Wasser, ihr alten Schwatzratten,« antwortete er, sich niedersetzend und dem Manne mit dem Feuermale unbemerkt zublinzelnd. »Was geht euch das Fahrzeug an, he?«

»Uns nichts, aber dich desto mehr. Wir meinen, daß du es besser kennst als wir; oder bist du nicht einmal auf seinen Planken herumgelaufen?«

»Ich sage nicht ja und nicht nein, aber möglich wäre es. Es sind wohl einige hübsche Dutzend guter Schiffe, die den Tom gesehen haben, und wer kann da etwas dawider haben, wenn der ›l'Horrible‹ mit dabei gewesen ist?«

»Niemand. Doch sag, ist es wirklich wahr, daß der Segelmeister des Kapers ein Weibsbild gewesen ist?«

»Wie ich gehört habe, ja.«

»Hm, da muß doch trotz alledem eine miserable Wirtschaft auf dem Fahrzeuge stattgehabt haben!«

»Wieso?«

»Na, wenn ein Frauenzimmer das Kommando eines Schiffes führt, so möchte ich nicht dabei sein. Ich meine, daß grad dies und nichts andres daran schuld ist, daß der ›l'Horrible‹ genommen worden ist.«

»Meint Ihr – ?« ließ sich da mit gedehnt fragender Stimme der Fremde mit dem Feuermale vernehmen.

»Ja, ich meine es. Oder habt Ihr vielleicht etwas dagegen?«

»Geht Euch nichts an; wollte bloß wissen, ob Ihr das wirklich meint!«

»Geht mich nichts an, he? Wenn sich ein Fremder in das mengt, was ich sage, so geht es mich nichts an? Nehmt Eure Zunge etwas fester hinter die Zähne, sonst schlage ich Euch eins auf das Maul, daß sie Euch hinunter bis auf die Zehen fährt!«

»Seht ganz danach aus!«

»Wie – was? Da – da habt Ihr, was Euch gehört!«

Mit einem raschen Schritte stand er vor dem schmächtigen, um Kopfeshöhe kürzeren Mann und holte zu einem Schlage aus, der sicher keine wohlthuende Liebkosung sein konnte. Der Bedrohte aber hatte ihn im Nu gefaßt, hob ihn in die Höhe und schmetterte ihn mit solcher Wucht zu Boden, daß er sich kaum aufzuraffen vermochte.

Sofort sprang der ihm am nächsten Sitzende herbei, um die schmähliche Niederlage seines Kameraden zu rächen. Es wurde ihm ganz dasselbe Schicksal: mit wahrhaft katzenartiger Geschwindigkeit wich der Gegner seinen Streichen aus, unterlief ihn und warf ihn zur Erde nieder, daß es dröhnte.

Schon wollte der dritte dem Beispiele folgen, als der lange Tom sich in das Mittel legte.

»Stopp!« meinte er, ihn beim Arme packend und zurückhaltend. »Mach keine Dummheit, alter Bursche. Mit dem dort nimmst du es nicht auf und noch zehn andre ebenso!«

»Oh! das will ich sehen!«

»Versuch's, wenn du durchaus nicht anders willst, aber ich meine, daß ihr einen Offizier vom ›l'Horrible‹ respektieren werdet.«

»Vom ›l'Horrible‹!«

Auch die beiden andern, welche sich jetzt vom Boden erhoben hatten und Miene machten, den Angriff von neuem zu beginnen, stimmten überrascht in diese Frage ein.

»Vom früheren oder jetzigen?«

»Vom früheren natürlich; oder glaubt ihr etwa, daß sich so ein Schwachkopf von Vereinigte-Staaten-Marineoffizier hier in unsre Kabine wagen möchte?«

»Ist's wahr?«

Der Mann mit dem Feuermale nickte leichthin mit dem Kopfe und sagte:

»Wird wohl wahr sein, ihr Männer. Der lange Tom kennt mich ein weniges von früher her, wo wir einige Zeit lang auf denselben Planken herumgestiegen sind und manchen guten Coup ausgeführt haben.«

»So; das ist etwas anderes! Wenn es so steht, so seid Ihr sicher bei uns, und wir werden Euch unsre Fäuste nicht weiter zu schmecken geben.«

»Pah,« klang die geringschätzige Antwort; »vor euren Fäusten ist mir ganz verteufelt wenig bange, wie ihr gesehen habt. Doch seid ihr keine üblen Maten, denke ich, und so will ich die Sache nicht nur gut sein lassen, sondern mich sogar auch ein wenig bei euch auf den Stuhl verteien.«

»Gut sein lassen? Ich denke, der Streit ist nicht von uns, sondern von Euch ausgegangen. Als Fremder ging Euch das, was wir sprachen, nichts an!«

»Hm, ihr mögt nicht so ganz unrecht haben, aber ich bin gewohnt, meine Leute auf die Probe zu stellen, ehe ich den Handschlag von ihnen nehme.«

»Eure Leute?« meinte der eine.

»Auf die Probe stellen?« der andre.

»Den Handschlag nehmen?« der dritte.

»So ist's! Habt ihr nicht vorhin gesagt, daß ihr nach dem ›l'Horrible‹ möchtet?«

»Das war so eine Rede. Ihr werdet Euch wohl die Beifügung gemerkt haben: wenn der schwarze Kapitän noch lebte und ihn befehligte.«

»Wißt ihr denn so genau, daß er tot ist?«

»Alle Wetter! Wollt ihr damit etwa sagen, daß er noch lebt?«

»Er lebt noch.«

»Wißt Ihr das gewiß?«

»Gewiß.«

»Wo steckt er, he?«

»Das ist nicht eure, sondern meine Sache!«

»Auf dem ›l'Horrible‹ jedenfalls nicht!«

»Nein; da habt ihr recht. Aber – – hm, wenn er ihn nun wiederbekäme?«

»Wiederbekäme? Holla, Sir, das wäre ja ein verdammt guter Streich von ihm!«

»Und von euch!«

»Von uns? Wieso?«

»Weil ihr mit dabei sein könnt, wenn ihr wollt,« erklang es leise und vorsichtig.

»Was wollt Ihr damit sagen, Master?«

»Ich will damit sagen, daß man Männern, die der lange Tom seine Freunde nennt, wohl ein wenig Vertrauen schenken darf. Oder nicht, he?«

»Bei allen Teufeln, da habt Ihr recht und geht nicht fehl! Wir sind überall gern dabei, wo es ein gutes Geld oder einen hübschen Sold zu verdienen giebt. Tom mag uns Euch empfehlen!«

»Ist schon geschehen,« antwortete der Genannte. »Dieser Sir kennt euch so wie ich, und ich hatte ihn herbestellt, damit er euch einmal sehen und mit euch sprechen könne. Wißt ihr etwas Neues?«

»Nun?«

»Ich werde Bootsmann auf dem ›l'Horrible‹.«

»Bootsmann? Willst du uns kalfatern?«

»Fällt mir gar nicht ein! Auch ihr könntet eine gute Stelle finden, wenn ihr wolltet.«

»Ob wir wollen! Aber das Schiff gehört ja den Buntjacken.«

»Jetzt, aber lange nicht mehr, das ist sicher.«

»Wieso?«

Er neigte sich über den Tisch herüber und flüsterte:

»Weil wir es ihnen nehmen werden.«

»Donnerwetter, das wäre ja ein Streich, wie er noch gar niemals dagewesen ist. Man würde in den ganzen Staaten und wohl auch noch weiter darüber hinaus davon sprechen.«

»Fürchtet ihr euch davor?«

»Fürchten? Pah! Was kann uns das Gerede schaden? Mit dem ›l'Horrible‹ unter den Füßen braucht man sich vor der ganzen Welt nicht zu scheuen!«

»Ja, und könntet ein Leben führen wie der große Mogul oder wie der Kerl heißt, der so viel Dollars besitzt, daß die See voll würde, wenn er einmal so dumm sein wollte, sie hineinzuwerfen. Es liegt nur an euch, es so zu haben!«

»An uns? Sprecht weiter, Sir!«

Der Rotmalige langte in die Tasche, zog ein wohlgefülltes Portefeuille hervor, entnahm demselben einige Banknoten und legte jedem eine derselben hin.

»Wollt ihr diese Wische haben?« fragte er.

»Werden nicht so albern sein, sie zurückzuweisen! Aber was sollen wir dafür thun?«

»Nichts; ich schenke sie euch umsonst. Aber wenn ihr die Richtigen seid, so könnt ihr morgen oder übermorgen fünfmal soviel haben!«

»Inwiefern?«

»Wollt ihr eine Spazierfahrt hinaus auf die Reede mitmachen?«

»Warum nicht?«

»Um den Buntjacken einen Besuch abzustatten?«

»Warum nicht?«

»Es wird wohl einige Hiebe oder Messerstiche dabei geben.«

»Thut nichts!«

»Doch ist es möglich, daß es auch glatt abgeht.«

»Desto besser.«

»Ihr bleibt natürlich dann auf dem Schiffe.«

»Versteht sich! Aber wer wird uns befehligen?«

»Wer anders als der Kapitän?«

»Der schwarze?«

»Der schwarze!«

»So lebt er wirklich noch.«

»Er lebt noch, und ihr sollt mit ihm zufrieden sein, wenn ihr das Eurige thut.«

»Wird an nichts fehlen, Sir, darauf könnt Ihr Euch verlassen!«

»Gut; so hört, was ich euch sage!«

Sie rückten erwartungsvoll zusammen.

»Ihr kauft euch bessere Kleider, denn so wie jetzt darf euch niemand sehen!«

»Soll geschehen.«

»Ihr geht des Abends nicht aus, sondern bleibt hier, um auf mich oder einen Boten zu warten!«

»Ist uns lieb. Die Spürnasen machen uns ja draußen genug zu schaffen.«

»Sobald ich schicke, kommt ihr mit Tom zu – zu – in die Wohnung der Frau de Voulettre.«

»Alle Teufel, das ist eine verdammt vornehme und reiche Miß. Ich habe von ihr sprechen hören. Was haben wir mit ihr zu schaffen?«

»Die Offiziere des ›'Horrible‹ werden bei ihr zu finden sein.«

»Ah!«

»Ihr wollt Heuer auf dem Schiffe nehmen, und sie wird euch den Herren empfehlen.«

»Donnerwetter – uns empfehlen – die reiche, vornehme Miß? Seid Ihr klug, Sir?«

»Ich denke es!«

Die Männer sahen ihn halb zweifelnd, halb respektvoll forschend an.

»Dann seid Ihr wohl ein wenig gut mit ihr bekannt?«

»Möglich! Ihr werdet jedenfalls gemietet werden und geht sofort an Bord.«

»Ganz wie Ihr befehlt, Sir.«

»Es wird dann dafür gesorgt werden, daß die Offiziere und Subalternen an das Land gehen. Der schwarze Kapitän wird dann mit seinen Leuten bei euch anlegen und – – na, das übrige ist nicht meine Sache; ich bin bloß sein Agent. Was ihr noch zu wissen braucht, wird euch Tom schon sagen.«

Die Männer nickten zustimmend. Der Plan des scheinbaren Agenten nahm ihre Köpfe so sehr in Anspruch, daß sie keine Zeit zu langen Reden hatten. Dieser fuhr fort:

»Und nun noch eins: Tom ist Bootsmann, und ihr habt ihm von diesem Augenblicke an in allen Stücken Gehorsam zu leisten, versteht ihr?«

»Yes, Sir!«

»Seid ihr treu und verschwiegen, so könnt ihr auf den Kapitän rechnen; bei dem geringsten Zeichen von Verrat aber seid ihr verloren, dafür ist gesorgt. Also nehmt euch zusammen!«

»Keine Sorge, Master! Wir wissen, was wir vorhaben; es ist so etwas schon längst unser Wunsch gewesen, und da er nun so schön in Erfüllung geht, werden wir uns das Vergnügen nicht selbst verderben.«

»Schön! Hier habt ihr noch ein weniges, um zu trinken; ich muß nun fort. Adieu!«

»Adieu, Sir!«

Während die andern sich in achtungsvolle Stellung erhoben, reichte er Tom wie herablassend die Hand und verschwand dann durch die Thür.

»Alle Teufel, konnte der Kerl zugreifen!« bemerkte der eine.

»Und was die Hauptsache ist, mit diesen kleinen Händen,« fügte der andre hinzu. »Man sieht es ihm nicht an, aber er hat wahrhaftig den Satan im Leibe!«

»Setzt euch,« mahnte Tom; »ich habe euch noch mancherlei zu erklären.«

Die Männer saßen noch lange beisammen und lauschten den Reden ihres Kameraden. Er war ein erfahrener und gewiegter Maate und verstand es, sie vollständig für das beabsichtigte Unternehmen zu gewinnen, so daß an einen Verrat ihrerseits nicht zu denken war. Seine Auslassungen bezogen sich darauf, daß grad jetzt während des Krieges zwischen den Nord- und Südstaaten ein gut geführter Kaper, der nebenbei heimlich Piraterie treibe, vortreffliche Geschäfte machen könne. – – –

Die Gemächer der Frau de Voulettre waren am Abende nach dieser Unterredung hell erleuchtet. Sie hatte große Soiree. Im Salon wurde zum Piano getanzt; an den Büffets nahm man die feinsten Delikatessen und Erfrischungen zu sich; die älteren Herren hatten sich in die Nebenzimmer zurückgezogen, wo man allerlei diskutierte oder sich einem ›kleinen‹ Spielchen hingab, bei welchem die Dollars zu Hunderten gesetzt, gewonnen oder verloren wurden.

Selbst der Neid mußte gestehen, daß unter allen anwesenden Damen der Herrin des Hauses die Krone gebühre. Sie verstand es, jedes Wort so auszusprechen und jede, auch die kleinste Bewegung so auszuführen, daß der Beobachter selbst gegen seinen Willen angezogen und dann dauernd gefesselt wurde.

Jetzt eben ruhte sie in nachlässiger Stellung auf dem sammetnen Diwan und wehte sich mit dem perlenbesetzten Fächer Kühlung zu. Ihr dunkles Auge ruhte mit sichtbarem Interesse auf dem Gesichte des Marinelieutenants Jenner, der von dem Kapitän des Orlogschiffes vorgestellt worden war.

»Sie kommen um Kap Horn, Lieutenant?« fragte sie ihn.

»Direkt nicht. Ich kreuze schon längere Zeit vis-à-vis dem Isthmus.«

»Ah, ein langweiliges Geschäft, nicht? Hatten Sie nicht Zeit, schon längst einmal hier anzulegen?«

»Leider nicht. Der Dienst zur See ist streng.«

»Wissen Sie, Lieutenant, daß ich mich trotzdem außerordentlich für das Seewesen interessiere?«

»Ah! Die See hat allerdings etwas Anziehendes selbst für Damen; aber das, was man unter ›Seewesen‹ gewöhnlich zu verstehen pflegt, ist so trocken und – gefährlich, daß ich kaum einer Lady im Ernste zumuten möchte, sich –«

»Pah,« fiel sie ihm in die Rede; »nicht jede Dame fürchtet die Gefahr, ebenso wie nicht jeder Herr ein Herkules ist. Meine Heimat ist eine Insel, rings vom Wasser umgeben; ich habe zahlreiche Verwandte drüben auf dem Kontinente, bin viel hin und her gefahren, oft droben in New-York oder Boston gewesen, habe sogar einmal das Kap der guten Hoffnung besucht und mir dabei eine Teilnahme für die See angeeignet, welche sich auf alles erstreckt, was mit der letzteren in Beziehung steht. Sogar den nautischen Wissenschaften, die für den Laien allerdings so schwer und trocken sind, wie Sie sagen, habe ich einige Teilnahme schenken dürfen, und wenn Sie mein Arbeitskabinett betreten wollten, so könnte ich Ihnen den sichersten Beweis für diese Behauptung liefern.«

»Für ein solches Heiligtum dürfte mein Fuß doch vielleicht zu profan sein.«

»Meinen Sie! Man lebt hier so ungeniert und unabhängig von den sonstigen Regeln der Etikette und Dehors, daß ich meinen Gästen gegenüber sicherlich keinen faux-pas begehe, wenn ich Sie ersuche, mir Ihren Arm zu geben!«

Sie legte ihren Arm in den seinen und schritt mit ihm durch mehrere Gemächer bis in ein Zimmer, welches allerdings die Bezeichnung ›Arbeitskabinett‹ wenig oder gar nicht verdiente. Es war das Boudoir der Dame und mit einem Luxus ausgestattet, der geradezu raffiniert genannt werden mußte.

Hier trat sie an ein kostbares Schreibmöbel, öffnete einen Kasten desselben und entnahm demselben eine vollständige Sammlung der zuverlässigsten und wertvollsten Seekarten. Die andern Kästen enthielten alle nautischen Instrumente, welche zur Führung eines Schiffes erforderlich sind.

Jenner konnte seine Verwunderung über diesen unerwarteten Schatz nicht verbergen. Er gestand aufrichtig-

»Ich muß sagen, Miß, daß ich in meiner Kajüte nicht bessere Karten und Instrumente besitze!«

»Möglich; ich pflege nie etwas Unbrauchbares zu meinem Eigentum zu machen.«

»Aber diese Gegenstände sind nur nach tiefen Studien und nur in der Praxis zu verwenden!«

»Und diese Studien trauen Sie einer Dame nicht zu?«

»Ich fand noch keine, welche mich zu einer andern Überzeugung bekehrt hätte.«

»So bitte ich, mich zu examinieren!«

Ihr Auge hing mit einem belustigten Blicke, in welchem ein aufmerksamer Beobachter jedenfalls etwas wie Hohn oder Verachtung bemerkt hätte, in seinen offenen, ehrlichen Zügen.

»Examinieren?« lachte er. »Wer vermöchte es, hier Ihnen gegenüber die zu einem solchen Vorhaben nötige Ruhe zu bewahren! An Bord meines Schiffes würde ich weniger befangen sein.«

»Dieser ›l'Horrible‹ ist ein prächtiges Schiff, Sir, das prächtigste, welches ich kenne; aber wissen Sie, daß ich Sie dieses Fahrzeuges wegen hassen sollte?«

»Hassen? Weshalb?«

»Weil ich auf ihm die schlimmsten und bittersten Stunden meines Lebens durchlitten und durchjammert habe.«

»Sie waren auf dem ›l'Horrible‹?« fragte er erstaunt.

»Ja. Sie kennen die Geschichte dieses berühmten oder vielmehr berüchtigten Fahrzeuges?«

»So ziemlich.«

»So hörten Sie auch von einer Dame, welche sich an Bord desselben befand, als es genommen wurde?«

»Gewiß.«

»Sie war mit einem Kauffahrer vom Kap gekommen und in die Hände des schwarzen Kapitäns geraten?«

»So ist es!«

»Nun, diese Frau war ich!«

»Waren Sie? Welch ein Zusammentreffen, Miß! Sie müssen mir später von diesem außerordentlichen Abenteuer erzählen!«

»Darf ich einen Wunsch äußern, Sir?«

»Sprechen Sie!«

»Darf ich den ›l'Horrible‹ sehen, darf ich ihn nochmals besteigen, um die Stätte, an welcher ich so viel verlor, durch meine Gegenwart zu – zu – entsündigen?«

»Sie dürfen!« erwiderte er erfreut, sie in seinem kleinen, wohlgeordneten Reiche umherführen zu können.

»Und wann?«

»Wann Sie befehlen!«

»Dann morgen, Sir, morgen am Vormittage!«

»Sehr, sehr gern, Miß. Ihr Fuß soll die Stätte heiligen, die meine gegenwärtige Heimat ist!«

»Dann werden wir Gelegenheit finden, das Examen anzustellen,« lächelte sie schalkhaft. »Doch wünsche ich, Lieutenant, daß mein Besuch Ihnen keinerlei Unbequemlichkeit veranlasse. Ich bin weder Admiral noch Kommodore und habe nicht das mindeste Recht, einen seemännischen Eklat zu beanspruchen.«

»Keine Sorge, Miß! Selbst wenn ich wollte und es mir überhaupt gestattet wäre, den ›l'Horrible‹ im Paradekleide auf Sie warten zu lassen, würde ich mit einigen kleinen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Grad morgen früh gehen einige meiner Männer auf Abschied vom Bord, und ich muß, um wieder vollzählig zu sein, mich nach Ergänzung umsehen.«

»Ah! Darf ich Ihnen dabei dienen, Sir?«

»Ich würde eine solche Liebenswürdigkeit mit Dank anzuerkennen wissen!«

»O bitte, nein, zum Dank würde dann nur ich verpflichtet sein! Ihre Bemerkung erinnert mich an einige brave Männer, die in meinen Diensten standen und auf ein gutes Schiff zu kommen wünschen. Sie sämtlich sind sehr wohlbefahrene Seeleute, denen ich das beste Lob erteilen kann. Darf ich sie Ihnen empfehlen?«

»Ihre Empfehlung überhebt mich der Mühe, mich nach passenden Persönlichkeiten umzusehen, Darf ich um das Nähere bitten?«

»Sie wohnen in der Nähe. Ich werde sie in das Vorzimmer rufen lassen, wo Sie die Prüfung vornehmen können.«

»Ihre Güte drückt mich förmlich nieder, Miß. Ich bin überzeugt, daß keiner Ihrer Schützlinge zurückgewiesen wird!«

»Ich danke! Gestatten Sie mir, den betreffenden Befehl zu erteilen!«

Sie kehrte in die Gesellschaftsräume zurück.

Jenner war bezaubert von der Liebenswürdigkeit dieser Frau, die ihm eine solche Freundlichkeit erwies. Er, der einfache, in gesellschaftlicher Beziehung anspruchslose und in Betreff der Frauen noch vollständig unerfahrene Seemann konnte sich unmöglich einem Argwohne hingeben, und als ihm gemeldet wurde, daß die Betreffenden im Vorzimmer seiner harrten, trat er am Arme der Gastgeberin hinaus, warf Tom, denn dieser war es, den die Dame mit seinen Gefährten aus der Taverne hatte kommen lassen, einige leicht zu beantwortende Fragen hin, gab ihnen das gebräuchliche Angeld und gebot ihnen, schon am nächsten Morgen am Bord des ›l'Horrible‹ einzutreffen.

»Nun, Lieutenant,« fragte ihn der Kapitän des Panzerschiffes, als sie später miteinander heimgingen. »Wie gefällt Ihnen die Dame?«

»Ausgezeichnet!« antwortete Jenner. »Sie will meinem l'Horrible einen Besuch abstatten.«

»Ah! Und wann?«

»Schon morgen am Vormittage.«

»Hm, gratulire, Lieutenant! Der Empfang wird ein gebührender sein.«

»Höflich, nicht mehr!«

»Soll ich mich dazu einladen?«

»Darf ich Sie ersuchen, Kapitän?«

»Nein, nein,« lachte dieser; »ich will ein rücksichtsvoller Kamerad sein und Sie in Ihrer Herrlichkeit nicht stören, allerdings nur unter einer gewissen Bedingung!«

»Sie lautet?«

»Sie bringen mir Ihren Besuch auf eine Viertelstunde herüber zu mir!«

»Zugestanden!«

»Topp?«

»Topp!«

Die beiden Offiziere bestiegen das ihrer harrende Boot, um sich nach ihren Fahrzeugen zu begeben. –

Am andern Morgen herrschte am Bord des ›l'Horrible‹ ein regeres Leben als gewöhnlich. Die Mannschaft war unterrichtet worden, daß eine hochgestellte Dame das Schiff zu besichtigen wünsche. Die peinliche Ordnung und Reinlichkeit, welche auf einem Kriegsschiffe zu herrschen pflegt, ließ zwar alle Vorbereitungen in dieser Richtung als überflüssig erscheinen, dennoch aber unterwarf Jenner sein Fahrzeug einer sorgfältigen Prüfung und verordnete hier und da einen Handgriff oder befahl ein kleines Arrangement, um seine schwanke Wohnung in einem möglichst vorteilhaften Lichte erscheinen zu lassen.

Er hatte diese Thätigkeit eben erst beendet, als die neu angeworbenen Matrosen an Bord erschienen und sich ihm vorstellten. Er nahm sie in Pflicht, ließ ihnen ihren Raum anweisen und bekümmerte sich dann nicht weiter um sie. Die spezielle Beaufsichtigung der Leute war so nicht seine, sondern die Sache des Maate.

Als dann später die Frau de Voulettre erschien, empfing er sie mit ausgesuchter Artigkeit.

»Ein prächtiges Schiff!« meinte sie, als sie von der Besichtigung desselben mit Jenner unter das auf dem Decke errichtete Zeltdach zurückgekehrt war, wo der Koch mit den gewähltesten Leckerbissen auf sie wartete. »Ich muß gestehen, Sir, daß es sich sehr zu seinem Vorteile verändert hat. Die gegenwärtige Takelung ist ausgezeichnet, so daß ich glaube, seine Geschwindigkeit habe um ein Beträchtliches gewonnen, seit es in die Hand der Vereinigten-Staaten-Marine gelangt ist.«

»Ich kenne die Zahl der Knoten nicht, die es früher zurückgelegt hat, aber ich bin dennoch in der Lage, Ihrer Meinung mich anzuschließen, wenn auch nicht aus dem Grunde, um dabei mir ein Verdienst beizulegen. Die Verwaltung der Staaten-Marine besitzt eben mehr als ein Privatmann die intellektuellen und pekuniären Mittel, welche die Ausrüstung eines Schiffes erfordert.«

»Es will mir scheinen, als ob der ›l'Horrible‹ einen Vergleich mit jedem andern Schiffe getrost aufnehmen könne.«

»Auch hier stimme ich bei, obgleich ich eine Ausnahme kenne, allerdings nur eine einzige.«

»Und diese wäre?«

»Die ›Swallow‹, Lieutenant Parker.«

»Die ›Swallow‹? Mir ist, als hätte ich von ihr gehört. Was für ein Schiff?«

»Klipper mit Schunertakelage.«

»Wo stationiert?«

»Mit Depeschen unterwegs nach hier. Ich stieß einige Grade südlich von hier auf sie, wo ich von Parker Instruktionen in Empfang nahm. Er legte nach der japanesischen Linie hinüber, wird aber bald hier vor Anker gehen.«

»Es soll mich verlangen, dieses ausgezeichnete Fahrzeug zu sehen! Parker ist ein amerikanischer Name?«

»Der Lieutenant ist, so viel ich weiß, kein Nordamerikaner, sondern ein Deutscher.«

»Ah! Woher?«

»Kann es nicht sagen; doch, bitte, nehmen Sie von dem kleinen Imbiß, der Ihrem Geschmacke allerdings nicht angemessen sein dürfte. Der Koch eines Kriegsschiffes ist nur selten auf ein Menu für Damen vorbereitet.«

»Aber eine Dame auf ein Menu für brave Seegasten. Darf ich eine Einladung aussprechen, Herr Lieutenant?«

»Ich füge mich dankbar Ihren Bestimmungen.«

»Dann darf ich Sie heut abend bei mir sehen und auch erwarten, daß Sie die übrigen Chargen mitbringen?«

»So weit der Dienst es gestattet, ja.«

»Ich danke! Es wird ein Souper entre nous, bei welchem ich mich bestreben werde, Ihren freundlichen Empfang nach Kräften zu erwidern.«

»Dieser Empfang ist der Frau de Voulettre überall gesichert. So habe ich zum Beispiel den Auftrag, Ihnen, wenn auch nur für einen Aufenthalt von wenigen Minuten, eine Einladung hinüber nach der Panzerfregatte auszusprechen. Der Kapitän würde sich für diese Aufmerksamkeit Ihnen außerordentlich verbunden fühlen.«

Ach sage zu, doch nur unter einer Bedingung.«

»Welche ist dies?«

»Ihre Begleitung, Herr Lieutenant.«

»Zugestanden, und zwar von Herzen gern!«

Als das Frühstück eingenommen war, ließ er sich mit ihr nach dem Panzer hinüberfahren. Der arglose Offizier hatte keine Ahnung von dem heimlichen Zwecke, der diesem Besuche zu Grunde lag. Natürlich wußte er ebenso wenig, daß die Matrosen, welche auf die Empfehlung der Dame heut zu ihm an Bord gekommen waren, es auf sein Fahrzeug abgesehen hatten. Und diese Matrosen hatten sich auch täuschen lassen. Es wäre ihnen sicher ganz unglaublich erschienen, wenn jemand ihnen gesagt hätte, daß Frau de Voulettre identisch sei mit dem Manne mit dem großen Feuermale, der sie gestern in der Taverne engagiert hatte.« – –

»Und nun, Mesch'schurs,« fuhr der Erzähler fort, »muß ich meine Geschichte einen großen, weiten Sprung von San Francisco nach der Gegend des wilden Westens machen lassen, in welcher sich Sam Fire-gun mit seinen Leuten befindet. –

Die erregten Lüfte, welche heulend über die Ebene jagten, sie fangen sich an den Felsenmauern der Gebirge und gehen – zur Ruhe. Die Wolken, die entweder majestätisch langsam am Himmel hinzogen, oder, vom Sturme gepeitscht, wie wilde, wirre Gespensterscharen am Firmamente sich auf- und niederwälzten, sie gießen ihr wärmeloses Blut zur Erde nieder und gehen – zur Ruhe. Der Bach, der Fluß, der rauschende Strom, der ohne Rast und Aufenthalt von dem unerbittlichen Gesetze der Schwere zwischen seinen Ufern fortgetrieben wird, er wälzt sich endlich in das Meer und geht -zur Ruhe. Bewegung und Ruhe ist der Inhalt des ganzen, des besonderen wie allgemeinen Lebens, auch des menschlichen.

Die wilde Prairie kennt keine Heimat, keinen häuslichen Herd, an welchem die Familie ihr Glück zu genießen und zu feiern vermag. Wie das Wild, vorsichtig, scheu und heimlich, jagt oder schleicht der Jäger sich über die weiten Savannen, vor, neben, hinter und um sich die Gefahr und den immerfort drohenden Tod. Aber nicht immer darf dies währen, sonst würde seine riesige Körperkraft, seine mutige Ausdauer, seine unbeugsame Energie endlich doch erliegen. Auch er bedarf der Erneuerung seiner Kräfte, der Erholung und Ruhe. Und dies findet er an den sorgfältig ausgesuchten Orten, die er teils zu diesem Zwecke, teils auch zur Aufstapelung seiner Jagdbeute herzustellen pflegt, in den sogenannten Hiding-holes oder Hide-spots(*Verstecke, heimliche Niederlagen der erbeuteten Felle"> - – –

Es war einige Tage, nachdem Sam Fire-gun seine Trapper und seine Gäste aus dem »Lager« nach dem eigentlichen Hide-spot geführt hatte, als drei Männer durch die Prairie ritten, welche einige Maultiere an der Koppelleine führten. Dieser Umstand ließ erraten, daß sie ausgezogen waren, um »Fleisch zu machen«, das heißt nach dem Jägerausdruck, um auf die Jagd zu gehen und die Ihrigen mit der notwendigen Nahrung zu versorgen.

Der eine war kurz und dick, der andere unendlich lang und hager, und der dritte hing auf seinem Pferde, als erwarte er alle Augenblicke einen heftigen Choleraanfall.

»Zounds,« meinte dieser letztere, indem er einen Versuch machte, sich in gerade Stellung emporzurichten, »Ich wollte, ich wäre in unserem Loche zurückgeblieben und hätte mich nicht vom Teufel reiten lassen, mit euch hier auf der traurigen Wiese herumzuschlingern wie ein Fahrzeug, welches Kompaß und Steuer verloren hat. Machen mir da die verteufelten Jungens weis, daß die Büffel hier herumlaufen wie die Ameisen, und nun sind wir bereits zwei Tage auf dem Kurse, haben weder Ochse noch Kuh, ja nicht einmal ein armseliges Kalb zu Gesicht bekommen. Und dabei schüttelt mich mein Gaul wie eine Medizinflasche auf und nieder, daß ich gewiß noch aus allen Fugen gehe, und zuletzt nicht einmal mehr meinen Namen weiß. Macht, daß wir wieder bald vor Anker gehen. Wer Fleisch haben will, mag sich welches holen; ich brauche keins!«

»Ob du Fleisch brauchst oder nicht, Peter, das bleibt sich gleich,« antwortete der Dicke; »aber was willst du essen, wenn wir keines bekommen?«

»Wen denn anders als dich, den fetten Hammerdull, he! Oder denkst du etwa, daß ich mich da an Pitt Holbers machen werde, an dem nichts zu finden ist als Knochenzeug und ungegerbte Schwarte?«

»Was sagst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?« lachte Dik Hammerdull.

»Wenn du meinst, daß sich der alte Seefisch um sich selber zu bekümmern hat, Dick, so gebe ich dir vollkommen recht. Ich habe nicht den mindesten Appetit, ihn anzubeißen.«

»Das wollte ich mir auch verbeten haben! Wer den Steuermann Peter Polter aus Langendorf anbeißen will, der muß ein anderer Kerl sein als – – Donner und Doria, guckt doch einmal hier zur Erde. Hier ist irgend wer gelaufen; ob Mensch oder Tier, das weiß ich nicht, aber wenn ihr das Gras untersuchen wollt, so wird es sich wohl zeigen, was für eine Kreatur es gewesen ist.«

»Egad, Pitt Holbers,« meinte Hammerdull, »es ist wahr; hier ist das Gras zerstampft. Laßt uns absteigen!«

Die beiden Jäger verließen ihre Pferde und untersuchten den Boden mit einer Sorgfalt, als hinge ihr Leben daran.

»Hm, alter Pitt, was meinst du dazu?« fragte Hammerdull.

»Was ich meine? Wenn du denkst, daß es Rothäute gewesen sind, Dick, so gebe ich dir vollständig recht.«

»Ob es welche gewesen sind oder nicht, das bleibt sich gleich, aber daß es keine andern waren, das ist sicher. Peter Polter, steig ab, daß man dich nicht so weit erkennen kann.«

»Gott sei Dank, ihr Leute, daß wir auf die roten Halunken stoßen, denn auf diese Weise komme ich von meiner Bestie herab!« erwiderte dieser, indem er sich mit einer Miene, als sei er einer fürchterlichen Gefahr entronnen, von dem Gaule herabbalancirte. »Wie viele sind es ihrer denn gewesen?«

»Fünf, das ist sicher. Und daß sie zu den Ogellallahs gehören, daran ist auch kein Zweifel.«

»Woran erkennst du das?«

»Weil vier von ihnen neueingefangene Pferde haben. Das Tier des Fünften ist uns entgangen, als wir sie überrumpelten, und zum Fang der andern benutzt worden. Macht euch kampfbereit. Wir müssen ihnen nach, um zu sehen, was sie wollen!«

Die drei Männer sahen nach ihren Büchsen, machten ihre Waffen gebrauchfertig und folgten dann den Spuren, aus deren Richtung ein näherer Zweck des Rittes allerdings nicht zu erkennen war. Sie führten endlich direkt auf ein schmales aber tiefes Flüßchen zu, welches die Indianer durchschwommen haben mußten, da man ihre Spur am jenseitigen Ufer erkennen konnte.

Hammerdull musterte, vorsichtig zwischen dem Gesträuch haltend, das drüben sich ausbreitende, hügelige Terrain.

»Wir müssen ihnen auch dort nach. Sie führen nichts Gutes im Schilde, und wenn ich berechne, daß wir ihnen vor – –«

Er konnte nicht weiter sprechen; ein Lasso zischte durch die Luft, schlang sich um seinen Hals und riß ihn zur Erde. So erging es auch den beiden andern; ehe sie an Gegenwehr denken konnten, waren sie von den fürchterlichen Riemen umschlungen, lagen unter den unvermutet über sie hergefallenen Feinden und wurden ihrer Waffen beraubt und gefesselt. Es waren fünf Indianer.

Mit wahrhaft gigantischen Anstrengungen sträubte sich der Steuermann gegen die Umschlingung; es half ihm nichts; die Büffellederriemen waren zu fest; er erreichte nichts als ein verächtliches Knurren von seiten der Indianer. Dick Hammerdull und Pitt Holbers dagegen nahmen die Sache gelassener. Sie schwiegen und ergaben sich regungslos in ihr Geschick.

Der jüngste der Wilden trat vor sie hin. Drei Adlerfedern schmückten sein hochgeflochtenes Haupthaar, und das Fell eines Jaguars hing ihm von den Schultern hernieder. Er musterte sie mit drohendem Blicke und begann dann mit einer verächtlichen Handbewegung:

»Die weißen Männer sind schwach, wie die Brut des Prairiehundes; sie vermögen nicht, ihre Fesseln zu zersprengen!«

»Was sagt der Halunke?« fragte Peter Polter, der das Idiom des Wilden nicht verstand, die beiden Leidensgefährten.

Er erhielt keine Antwort.

»Die weißen Männer sind keine Jäger. Sie sehen nicht, sie hören nicht und haben keine Klugheit. Der rote Mann sah sie kommen hinter sich her. Er ging durch das Wasser, um sie zu täuschen, und kehrte zurück. Sie haben keine List gelernt und liegen nun auf der Erde wie Kröten, die man mit dem Stocke zerschlägt.«

»Mille tonnerre, wollt ihr mir wohl endlich sagen, was der Kerl zu schwatzen hat, he?« schrie der Steuermann, sich erfolglos unter seinen Fesseln emporbäumend.

Die Angeredeten schwiegen auch jetzt.

»Die weißen Männer sind feig wie die Mäuse. Sie wagen nicht, mit dem roten Manne zu sprechen; sie schämen sich, vor ihm zu liegen als – –«

»Heiliges Graupelwetter, was er sagt, frage ich euch, ihr Schufte!« brüllte Peter, jetzt über ihr Schweigen noch wütender, als über die Lage, in welche sie durch ihre Unvorsichtigkeit geraten waren.

»Ob er etwas sagt oder nicht, das bleibt sich gleich,« meinte Hammerdull; »aber er schimpft dich eine dumme, feige Kröte, weil du so unvorsichtig gewesen bist, dich fangen zu lassen!«

»Dumm – feig – Kröte – mich schimpft er –, mich bloß? Habt ihr euch etwa nicht auch fangen lassen? Wart, ihr Schlingel, er soll den Peter Polter aus Langendorf kennen lernen und ihr dazu! Mich allein hat er geschimpft, mich allein, hahaha! Na warte, so werde ich ihm auch beweisen, daß nur ich allein mich nicht vor ihm zu fürchten brauche!«

Er zog die sehnigen Glieder langsam zusammen. Die Indianer waren seitwärts getreten, um sich leise zu beraten und bemerkten diese Bewegung nicht.

»Eins – zwei – drei – adjes, Dick Hammerdull – adjes, Pitt Holbers – kommt recht bald hinterdrein gesegelt!«

Das Vertrauen auf seine Riesenkraft hatte ihn bei dieser fast übermenschlichen Anstrengung nicht im Stiche gelassen. Die Riemen sprangen; er schnellte empor, stürzte zum Pferde, schwang sich auf und flog davon.

Die Wilden hatten das Entkommen eines ihrer Gefangenen für keine Möglichkeit gehalten, und die Bewegungen des Steuermannes waren so blitzeschnell gewesen, daß er schon eine ziemliche Strecke zurückgelegt hatte, ehe sie nach den Schießwaffen griffen. Die Kugeln trafen ihn nicht; aber zwei der Indianer saßen auf, ihn zu verfolgen. Die andern blieben bei den beiden Gefangenen zurück.

Während des ganzen Zwischenfalles war kein Wort, kein Ruf zu hören gewesen; jetzt trat der junge Wilde, welcher vorhin gesprochen hatte, wieder zu den beiden Jägern heran und fragte sie:

»Kennt ihr Sam Fire-gun, den weißen Jäger?«

Die Gefragten würdigten ihn keiner Antwort.

»Ihr kennt ihn, denn er ist euer Häuptling. Aber ihr habt auch gekannt Matto-Sih, die Bärentatze, dessen Blut geflossen ist von euren Händen. Er weilt jetzt in den ewigen Jagdgründen, und jetzt steht sein Sohn vor euch, um seinen Tod zu rächen an den weißen Männern. Er ist mit den Jünglingen den alten Kriegern nachgezogen, welche das Feuerroß fangen wollten, und hat zweimal gefunden die Leichen seiner Brüder. Den Entkommenen hat er neue Pferde gefangen und wird nun liefern die Mörder an den Feuerpfahl.«

Er trat zurück. Die beiden Jäger wurden, ohne daß sie sich dagegen wehrten, auf ihre Pferde gebunden; dann ging es über das Flüßchen hinüber dem Walde zu, der sich längs des hügeligen Horizontes hinzog. Die drei Wilden wußten, daß sie wegen der zwei Übrigen, welche dem Steuermann nachgeritten waren, keine Sorge zu haben brauchten.

Als sie den Wald erreichten, war es Abend. Sie ritten am Rande desselben hin und dann ein kleines Stück hinein, bis sie auf eine Schar junger Indianer trafen, welche um ein kleines, gedämpftes Feuer saßen. Sie hatten sich, obgleich sie keine erwachsenen Krieger waren, unter der Anführung des Häuptlingssohnes aufgemacht, um ihren älteren Angehörigen nach dem Überfall des Zuges entgegenzureiten, und hatten dabei die Niederlage derselben bemerkt. Sie brannten darauf, den Tod der Ihrigen zu rächen, und waren entzückt, als sie jetzt die Gefangenen sahen. Sie lauschten aufmerksam dem Berichte ihres jungen Anführers, welcher, hochaufgerichtet unter ihnen stehend, ihnen die Gefangennahme der Weißen erzählte und daran seine weiteren Vorschläge schloß.

Seine Worte schienen Beifall zu finden, wie ein oft eingeschaltetes »Uff!« seiner Zuhörer zeigte. Dann trat der einzige Weiße, welcher sich unter ihnen befand, hervor und begann:

»Der große Geist öffne die Ohren meiner roten Brüder, damit sie verstehen das, was ich ihnen jetzt zu sagen habe!«

Nach einigem Räuspern fuhr er fort:

»Sam Fire-gun ist ein großer Jäger; er ist stark wie der Bär des Gebirges und klug wie die Katze hinter dem Stamme der Sykomore; aber er ist ein Feind des roten Mannes und hat ihm mehr als hundert Skalpe genommen. Er hat getötet Matto-Sih, den berühmten Häuptling der Ogellallahs, hat niedergeschlagen die Hälfte des Stammes und sich wieder frei gemacht, als er in unsre Hände fiel. Fire-gun hat das Gold der Berge in seinem Wigwam aufgestapelt, und niemand durfte wissen, wo er wohnte. Er ist mein Feind, und darum nahm ich meine Männer, um sein Wigwam zu finden und ihm das Gold zu nehmen. Da trafen wir auf unsre roten Brüder, verbanden uns mit ihnen und wurden einig: sie das Blut und wir das Gold der Feinde. Aber an dem Himmel stand für uns kein günstiges Gestirn; die weißen Männer wurden außer mir alle getötet, und von den roten Brüdern erhielten nur wenige das Leben. Wir waren ohne Waffen und Pferde, und die Not hätte uns ergriffen, wenn wir nicht auf die jungen Krieger des Stammes getroffen wären, welche ausgezogen waren, um zu zeigen, daß sie würdig sind, in den Reihen der Tapfersten zu kämpfen. Sie werden die Getöteten rächen und die Skalpe ihrer Feinde nehmen, aber anders, als der junge Häuptling will.«

Ein Ruf der Spannung ging durch den Kreis der Zuhörer. Der Sprecher fuhr fort:

»Wir haben entdeckt den Zugang zu dem Wigwam des Feindes. Er wohnt in einer Höhle, in welche das Wasser führt, das die Spur seines Fußes und seiner Pferde verdeckt. Meine Brüder wollen da eindringen in der Dunkelheit der Nacht und ihn im Schlafe töten. Aber die roten Männer mögen erwägen, daß er nicht ohne Wächter ist und jetzt einer seiner Leute ihnen entkommen ist, der ihm ihre Anwesenheit verraten wird. ich weiß einen bessern Weg zu ihm.«

»Der weiße Mann spreche!« ertönte es.

»Das Wasser, welches in den Wigwam fließt, bleibt sicher nicht in demselben, sondern fließt wieder ab. Ich habe den Ort gefunden und will jetzt den jungen Häuptling hinführen, um zu entdecken, ob durch die Erde zu gelangen ist. Man frage die beiden Gefangenen, ob sie davon wissen!«

Der Vorschlag wurde mit allgemeinem Beifall aufgenommen; der Kreis teilte sich, und der Anführer trat auf Pitt Holbers und Dick Hammerdull zu, welche gefesselt und geknebelt in der Nähe lagen.

Sie hatten jedes Wort vernommen. Der Gedanke des feindlichen Trappers hatte jedenfalls seine Berechtigung, doch wußten sie von einem zweiten Eingange zu dem Hide-spot nicht das geringste.

Das Versteck Sam Fire-guns bestand allerdings aus einer Höhle, welche die Natur in dem Innern eines kalkfelsigen Berges gebildet hatte. Der Zugang zu derselben war durch das Wasser eines Baches gebrochen worden, welcher sich im Hintergrunde der Höhle brausend in die dunkle Tiefe des Bergesinnern stürzte und nach der Meinung der Jäger dort verschwand. Sam Fire-gun hatte diese Höhle selbst entdeckt, sie als Versteck eingerichtet und über ihre Beschaffenheit nie anders gesprochen, als daß sie nur bis an den Rand des Sturzbaches zu betreten sei.

Es wurde den Gefangenen der Knebel aus dem Munde genommen; dann führte man sie in den Kreis, wo der weiße Trapper das Verhör begann:

»Ihr seid Leute von Sam Fire-gun?«

Hammerdull würdigte ihn keines Blickes, wandte sich aber zu seinem Freunde.

»Pitt Holbers, altes Coon, was meinst du, wollen wir dem verräterischen Halunken antworten?«

»Hm, wenn du denkst, Dick, daß wir uns nicht zu schämen und zu fürchten brauchen, so stopfe ihm doch einige Worte in den Mund!«

»Ob ich sie ihm hineinstopfe oder nicht, das bleibt sich gleich; aber er könnte wirklich denken, wir hätten aus Angst vor ihm und den Indsmen die Sprache verloren; also wollen wir ihm einiges zu hören geben!«

Der Trapper blieb zu dem ›Halunken‹ ruhig. Er wiederholte seine Frage:

»Ihr gehört zu Sam Fire-gun?«

»Ja, und Ihr nicht, weil der Colonel nur ehrliche Männer bei sich haben mag.«

»Schimpft, wie Ihr wollt, wenn Ihr meint, daß für Euch etwas dabei herauskommt; für jetzt habe ich nichts dagegen. Wie nennt Ihr Euch?«

»Wäret Ihr vor zwanzig Jahren über den Missisippi hinübergegangen und hättet vierzig Jahre lang gesucht, so wäre Euch vielleicht jemand begegnet, der Euch sagen könnte, wie ich heiße. Jetzt aber ist's zu spät.«

»Mir auch gleich. Ihr habt Gold im Hide-spot

»Viel, sehr viel, jedenfalls aber mehr, als ihr Euch dort holen werdet.«

»Wo liegt es vergraben?«

»Wo es vergraben liegt, das bleibt sich gleich, Ihr dürft es ja nur finden!«

»Wie stark ist Eure Gesellschaft?«

»So stark, daß jeder einzelne Euch heimleuchten wird.«

»Wer war der Indsman, welcher Eurem Colonel von den Banden half?«

»Das darf ich Euch schon sagen; er heißt ungefähr Winnetou.«

»Der Apatsche?«

»Ob Apatsche oder nicht, das bleibt sich gleich; aber er wird es wohl sein.«

»Wie viel Ausgänge hat Euer Versteck?«

»Grad so viele, wie Männer da sind.«

»Das sind?«

»Für jeden einen und denselben, nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Wenn du denkst, Dick, ich habe nichts dagegen!«

»Beschreibt mir einmal die Höhle!«

»Seht sie Euch an, das wird Euch besser bekommen!«

»Gut, wie Ihr wollt! Ihr hättet Euch Eure Lage erleichtern können, aber Ihr wollt es nicht anders haben, als daß Ihr gepfählt und verbrannt werdet. Ihr werdet natürlich mit in die Dörfer der Ogellallah genommen, und was dort geschieht, könnt Ihr Euch denken!«

»Pah! Ob gepfählt oder verbrannt, das bleibt sich gleich; für jetzt jedoch sind wir noch hier, und Ihr mögt Euch vorsehen, daß ich Euch nicht ein wenig klopfe, damit Ihr später besser schmort und bratet, wenn Euch dieses Glück an unsrer Stelle passiert!«

Der Trapper wandte sich ab.

»Meine roten Brüder mögen diesen weißen Männern noch strengere Fesseln geben als bisher; sie verdienen den Tod am Marterpfahl!«

Hammerdull und Holbers wurden schärfer geschnürt und wieder zur Erde geworfen. Das Feuer brannte, wurde aber so spärlich und langsam genährt, daß der Geruch des Rauches nur auf wenige Schritte zu bemerken war. Der abendliche Schimmer, welcher vor kurzer Zeit noch über dem Laubdache des Urwaldes gespielt und geschwebt hatte, war verschwunden; es wurde finster und immer finsterer, und gar unter der Blätterdecke herrschte eine so dichte Finsternis, daß das an die Dunkelheit gewöhnte Auge eines Indianers oder Westmannes dazu gehörte, die nächsten Gegenstände zu unterscheiden.

Da brach der Trapper mit dem jungen Anführer der Indianer auf, um ihm die Höhle Sam Fire-guns zu zeigen. Die andern blieben zurück. Der junge Häuptling stand vor seiner ersten Waffenthat, und wenn er nach dem Gebrauche seiner stoischen Rasse sich auch nichts davon merken ließ, so brannte er doch vor Begierde, den Beweis zu führen, daß er würdig sei, unter die Zahl der erwachsenen Krieger aufgenommen zu werden.

Er schritt lautlos hinter dem Weißen her. Der Weg, den der Trapper trotz der dichten Dunkelheit nicht verfehlte, führte in gerader Richtung durch den Wald, zwischen den Riesenstämmen tausendjähriger Eichen und Buchen hindurch, bis sie an den Lauf eines Wassers kamen, den sie mit verdoppelter Vorsicht aufwärts verfolgten.

Nach einiger Zeit gelangten sie an die Stelle, wo die Wellen aus dem Fuße des Berges traten. Dichtes Gesträuch bestand diesen Ort. Der Trapper langte in das Gestrüpp, schob es auseinander und verschwand hinter demselben. Der Indianer folgte ihm. Sie befanden sich in einem niedrigen natürlichen Stollen, dessen Sohle das Bett des Baches bildete, in dessen Wasser sie langsam vorwärts krochen.

Es war ein mühevoller und beschwerlicher Weg, welchen sie zurücklegten. Auch der Trapper verfolgte ihn zum erstenmal; er war heut bloß bis an den Eingang gekommen. Sie mochten wohl eine halbe Stunde lang dem durch das Innere des Berges in zahlreichen Windungen und kleinen Schnellen sich arbeitenden Wasser entgegengekrochen sein, als sie ein leises Brausen vernahmen, welches von Sekunde zu Sekunde stärker wurde und endlich ein Getöse bildete, welches auch den lautesten Schall der menschlichen Stimme unhörbar machte.

Sie standen vor dem senkrechten Fall des Baches. Oben über ihnen befand sich der Hide-spot Sam Fire-guns, und vor ihnen lag ein gewiß sehr tief von dem stürzenden Wasser ausgehöhltes Kesselloch, aus welchem die Wellen an ihren Füßen vorüberspühlten. Wurde der Wasserlauf wirklich als geheimer Ausgang benutzt, so mußte es irgend eine Vorrichtung geben, welche die Möglichkeit bot, neben dem stürzenden Bache von oben in die Tiefe zu gelangen.

Der Trapper suchte mit den tastenden Händen. Seine Erwartung hatte ihn nicht getäuscht; er ergriff ein Doppelseil, stark und haltbar aus Schlingpflanzenfaser gedreht und in zahlreiche Knoten geschlungen, so daß es keiner großen Anstrengung bedurfte, sich an ihm auf- oder niederwärts zu bewegen.

Er unterrichtete seinen Begleiter von diesem Funde und dem daraus hervorgehenden Unternehmen, da zu sprechen nicht möglich war, durch fühlbare Fingerzeige, probierte, ob das Seil oben auch genügend befestigt sei und zog sich dann langsam an ihm in die Höhe.

Der Indianer folgte ihm.

Es war für die Uneingeweihten ein gefährlicher, ja beinahe ein fürchterlicher Weg, sich neben dem Wassersturze, dessen Sprühregen sie durchnäßte und dessen Schall in dem engen Raume sie fast betäubte, unter sich eine ungekannte Tiefe und über sich einen vielleicht nur allzu wachsamen Feind, mühsam empor zu turnen. Sie schreckten nicht vor ihm zurück, der eine aus Gier nach dem Golde, von dessen Menge man sich Wunderdinge erzählte, und der andre aus jugendlicher Thatenlust.

Sie legten ihn glücklich zurück und faßten im oberen Bette des Wassers festen Fuß. Das Getöse des Falles machte es ihnen unmöglich, irgend ein Geräusch vor sich zu entdecken; sie tasteten sich langsam vorwärts, bis der Schall sich zu einem leisen Rauschen gemildert hatte. Da blieb der Trapper stehen; es war ihm, als habe er menschliche Laute vernommen. Das Messer ziehend und den wegen des Wassers bisher sorgsam verhüllten Revolver lockernd, schlich er, natürlich gefolgt von dem ebenso kampfbereiten Indianer, langsam und geräuschlos vorwärts. Die Stimmen wurden deutlicher. Die beiden schlichen sich weiter hin, legten sich nieder, lauschten aufmerksam und hörten jemand leise sprechen:

»Verdammt, mir schneiden die Riemen in das Fleisch, als seien sie aus Messerschneiden gedreht. Der Teufel hole diesen Sam Fire-gun und seine ganze Gesellschaft!«

»Klage nicht, sage ich dir; es wird ja nicht besser dadurch. Wir sind nur selbst an unsrer Lage schuld! Hätten wir eine bessere Wacht gehalten, so wären wir nicht so schmählich überrumpelt worden. Dieser Winnetou ist ein wahrer Teufel, der Colonel ein Riese und die andern sind alle Männer, die schon manchen guten Messerstich in ihrem Fleische gefühlt haben. Aber einen Trost haben wir: sie werden uns nicht töten, und das giebt Hoffnung. Ich habe bald die Hände frei und dann, sacrebleu, dann werde ich mit ihnen Abrechnung halten, denn wir werden – –

»Sanders – Master Sanders, seid Ihr es?« klang da eine leise Frage aus dem Hintergrunde des Raumes, in welchem Sanders und Letrier gebunden lagen.

»Wer ist da?« antwortete der Gefragte, aufs höchste überrascht.

»Sagt erst, wer ihr alle seid!«

»Heinrich Sanders und Peter Wolf, weiter niemand. Wir liegen hier gefangen und gefesselt. Unsre Feinde sind weit vorn und können uns nicht hören. Wer aber seid ihr?«

»Das sollt ihr gleich erfahren. Gebt einmal eure Riemen her; wir wollen sie gleich herunter haben!«

Einige Schnitte genügten, um die Gefangenen von ihren Banden zu befreien. Die vier Männer hatten sich nach wenigen Worten erkannt und verständigt.

»Wie kommt ihr in die Höhle?« fragte Sanders. »Sie geht ja nur bis zum Wasserfall!«

»Für einen Schwachkopf, der nicht nachdenken kann, ja; ich aber habe mir die Sache so prächtig zusammengereimt, daß ich diesem alten Fire-gun schnell hinter die Schliche gekommen bin. Das Wasser kann doch unmöglich hier im Berge verschwinden.«

»Ah!«

»Es muß einen Ausweg, einen Abfluß haben.«

»Natürlich. Daß ich doch an diesen Umstand nicht gedacht habe!«

»Diesen Ausweg habe ich gefunden und das andre dazu.«

»Weiter, weiter!« drängte Sanders.

»An der Seite des Falles führt ein Seil hinab. Mit seiner Hilfe gelangt man wieder in den ruhigen Bach und von da in das Freie. Wollt ihr mit? Natürlich!«

Sanders überlegte einige Sekunden.

»Herzlich gern; aber es geht nicht.«

»Warum nicht? Fürchtet ihr euch vor dem bißchen Klettern?«

»Pah! Wir haben vielleicht mit dergleichen Tauen oder Seilen mehr zu thun gehabt als ihr. Aber wenn wir euch folgen, verderben wir euch und uns den ganzen Coup.«

»Wie so?«

»Es ist jedenfalls geratener, ihr bindet uns wieder und laßt uns hier, bis ihr mit allen euern Indsmen wiederkommt.«

»Ich meine doch nicht, daß es euch hier so sehr gefallen kann!«

»Wenn ich mich jemals vor irgendwem fürchten könnte, so würde ich mich hüten, hier zu bleiben. Bedenkt, was für eine Menge Gold hier aufgestapelt liegt. Wenn unsre Flucht vor der Zeit entdeckt wird, so ist es für uns verloren, und wenn wir dann wiederkommen, um es zu holen, dann bereiten wir uns einen Empfang, der uns den letzten Atem nimmt.«

»Beim Teufel, Ihr habt recht; das konnte ich mir eher denken! Wir brauchen einige Stunden Zeit, ehe wir wieder hier sein können, und während dieser Frist könnte alles verloren sein. Habt ihr wirklich den Mut, bis dahin zu bleiben, wo ihr seid?«

»Unnütze Frage! Nur setze ich voraus, daß ihr uns nicht etwa im Stiche laßt.«

»Fällt uns gar nicht ein! Die roten Gentlemen haben mit dieser Gesellschaft ein notwendiges Wörtchen zu sprechen, und ich bin auch nicht so dumm, das schöne Metall hier liegen zu lassen.«

»Gut, so bindet uns wieder!«

»Kommt her! Fest werde ich es nicht machen; und hier habt ihr für den Notfall ein Messer, mit dem ihr euch helfen könnt! So, das ist gethan, und nun fort!«

Die beiden kühnen Männer verschwanden mit unhörbaren Schritten. Die Gefangenen hatten ihre vorige Stellung wieder eingenommen; sie fühlten sich um vieles sicherer und leichter als vor wenigen Augenblicken. – –

Während dies im Innern des Hide-spot geschah, lehnte der kleine Bill Potter außerhalb desselben an einem Baumstamme und horchte aufmerksam auf jedes Geräusch, welches die nächtliche Stille ihm zu Ohren brachte. Er hatte den Posten übernommen und für die Sicherheit der Gesellschaft zu sorgen. –

Da vernahm er ein Plätschern, wie von eiligen Schritten, die sich im Bache fortbewegten. Er warf sich zur Erde nieder, um den Nahenden besser zu erkennen, ohne selbst bemerkt zu werden. Dieser blieb in seiner Nähe stehen und versuchte, die dichte Dunkelheit zu durchdringen.

»Have-care – attention – Achtung, ist denn hier kein Mann von der Wacht an Bord?« fragte er.

»Peter Polter, du bist's?«

»Na, wer sollte ich denn sein, wenn ich nicht der Peter Polter aus Langendorf bin, he? Wen hat der Colonel denn eigentlich hergestellt? Man kann ja nicht einmal sein eignes Gesichtsbugspriet erkennen!«

»Wer ich bin? Hihihihi, kennt der Peter Polter den Bill Potter nicht und steht doch nur zwei Schuh von ihm so lang da wie ein Hikorystamm! Wo sind denn die andern?«

»Welche andern denn, alter Swalker?«

»Nun, Hammerdull und Holbers! Und wie ist's mit dem Fleische, das ihr holen sollt?«

»Das Fleisch holt euch nur selber und den Dicken dazu mit samt dem Dünnen. Ihr findet alles bei den Indsmen draußen am Flusse, wenn sie nicht unterdessen um ein weniges weiter geritten sind!«

»Indsmen – am Flusse? Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, daß ich keine Zeit habe, mit dir ein langes Garn abzuwickeln,« erwiderte Peter Polter dem kleinen Bill Potter. »Ich muß hinein zum Colonel; von ihm kannst du nachher alles hören.«

Er wandte sich dem Eingange der Höhle zu. Dort saßen die Jäger um das Feuer. Sam Fire-gun erkannte den Nahenden.

»Schon wieder hier, Steuermann?« fragte er. »Die andern sind wohl mit dem Fleische noch zurück?«

»Ja, mit dem roten Fleische, Sir! Sie sind gefangen und werden nun gehenkt oder erschossen oder gefressen – mir ganz egal.«

Die Männer sprangen empor.

»Gefangen? Von wem? Erzähle!« riefen sie.

»Das soll geschehen. Aber langt mir einmal einen Schluck und einige Bissen von dem Zeug dort her. Ich bin gesegelt wie ein Avisokutter und krache in allen Fugen wie ein Wrack, das den Kalfater verloren hat. Der Teufel soll mich holen, wenn ich jemals wieder in diese unselige Prairie komme, und mich auf den Rücken einer solchen Bestie verteie, die mit mir in die Lappen geht, so daß ich den richtigen Kurs verliere und in alle Ewigkeit nicht wiederfinden kann. Hätte das Viehzeug nicht ganz von selbst den Hide-spot gewittert, so flöge ich noch in zehn Jahren draußen im Grase herum!«

Das Verlangte wurde ihm gegeben, und er begann seinen Bericht, welcher natürlich eine nicht geringe Aufregung hervorbrachte, obgleich sich dieselbe bei den an Schweigsamkeit und Selbstbeherrschung gewöhnten Jägern nicht in der lauten und geräuschvollen Weise wie bei andern zeigte.

»Hammerdull und Holbers gefangen?« fragte der Colonel. »Sie müssen befreit werden, und zwar so bald wie möglich, denn die Roten werden kurzen Prozeß mit ihnen machen.«

»Wir brechen sofort auf!« meinte ich, der ich die beiden originellen Trapper lieb gewonnen hatte und ihnen daher die schleunigste Hilfe gönnte.

»Ja,« stimmte Wallerstein bei; »wir müssen sofort aufbrechen, sonst erhalten die Indsmen einen Vorsprung, den wir ihnen nicht wieder abgewinnen können!«

Sam Fire-gun lächelte.

»Ihr werdet doch warten müssen bis zum Anbruche des Morgens, da es in der Dunkelheit unmöglich ist, eine Spur zu erkennen. Ich glaube sogar kaum, daß uns der Steuermann an das Wasser zu führen vermag, wo er mit ihnen überrumpelt worden ist.«

»Ich –? An das Wasser –?« rief Peter Polter erbost. »Was geht mich das armselige Wasser an, wo wir einen so miserablen Schiffbruch erlitten haben? Ich lasse mich von oben bis unten durchsägen, wenn ich sagen kann, ob die Pfütze rechts oder links von hier liegt. Ich habe weder Kompaß noch Lockleine mitgehabt und bin von dem Dicken und Langen ins Schlepptau genommen worden, so daß ich mir nicht die geringste Mühe gegeben habe, auf den Kurs zu merken, den wir gesteuert sind. Und später ist die verteufelte Bestie mit mir davongestrichen, daß mir Hören und Sehen vergangen ist. Was soll ich von eurem Wasser wissen? Laßt mich in Ruh damit!«

»Hihihihi,« lachte der herbeigetretene kleine Bill Potter in seiner gewöhnlichen Weise, »reitet der große Mensch draußen in der Prairie herum und weiß nicht, wo er gewesen ist! Nun werden wir erst seiner Fährte folgen müssen, ehe wir die Spuren der Redmen finden. Ist das nicht lustig, he?«

»Willst du wohl den Schnabel halten, du winziges Kreaturchen du?« donnerte ihm der, ob dieser Beleidigung ergrimmte Steuermann entgegen. »Wenn ich an Bord eines guten Schiffes stehe, so weiß ich auf die Linie, wo ich mich befinde; aber hier in der Savanne und noch dazu auf dem Rücken eines solchen Pestilenzviehzeuges ist es einem ja so fürchterlich schlimm zu Mute, daß man sich vor Herzeleid nicht einmal auf den eigenen Verstand besinnen kann.

Willst du deine Redmen haben, die Halunken, so suche sie dir selber! Ich habe nichts dagegen.«

»Ich denke, wir brauchen weder der Spur des Steuermannes zu folgen, noch die Fährte der Indianer zu suchen,« unterbrach Fire-gun den komischen Streit. »Die jungen Leute der Ogellallah sind in kriegerischem Thatendurste den erfahrenen Männern entgegen geritten, haben deren Leichen gefunden, und dürsten nun nach Rache. Ganz sicher haben sie sich einen verborgenen Lagerplatz aufgesucht, zu welchem man die beiden Gefangenen schleppt. Dort wird man sie nach unsrem Hide-spot ausforschen; aber Hammerdull und Holbers sterben lieber, als daß sie uns verraten. Darum würde es den Indsmen schwer werden, ihn zu entdecken; aber ich meine, daß ihre entkommenen Genossen zu ihnen gestoßen sind, und da diese die Gegend unsers Verstecks so ziemlich wissen, so wird man einen Überfall beschließen und zwar einen baldigen, damit uns der ihnen entflohene Steuermann nicht zeitig genug zu warnen vermag. Aus diesem letzteren Grunde sind sie sicher schon unterwegs und wir haben sie zu erwarten, ohne sie erst aufsuchen zu müssen. Der Posten mag daher wieder an seinen Platz gehen und wird verdoppelt. Wir andern halten uns schlagfertig. Also, das Feuer aus vor der Höhle, Kinder; die Kienfackeln im Innern können weiter brennen. Ich werde einmal nach unsern beiden Gefangenen sehen.«

»Ich gehe mit, Onkel,« meinte Wallerstein; »ich habe die meiste Veranlassung, mich zu überzeugen, daß wir sie festhaben.«

Er ergriff einen der brennenden Kienäste und leuchtete dem voranschreitenden Colonel.

Bei den Gefangenen angekommen, warf der letztere einen forschenden Blick auf sie. Sein Auge fiel dabei auf den feuchten und infolgedessen etwas weichen Kalkboden der Grotte. Über sein Gesicht zuckte ein gedankenschneller Blitz der Überraschung, der allerdings kaum zu bemerken war, da die düster rote Flamme nur von seitwärts auf ihn fiel.

»Alles sicher; komm!« meinte er ruhig und verließ mit seinem Begleiter den Platz. Aber zu den Seinigen zurückgekehrt, genügte ein halblauter Ruf, sie schleunigst um sich zu versammeln.

»Hört, Leute, ich habe recht geraten. Die Indsmen sind nicht nur unterwegs, sondern sogar schon im Hide-spot gewesen! Sie haben es entdeckt!«

Eine dem Schrecken nahe Verwunderung zeigte sich auf den Gesichtern der sofort nach Messer und Revolver greifenden Leute. Der Colonel fuhr fort:

»Ich muß euch ein Geheimnis mitteilen, von dem ich bisher aus Rücksicht auf die allgemeine Sicherheit kein Wort verlauten ließ. Die Höhle hat nämlich einen verborgenen Ausgang.«

»Ah!« klang es leise rundum.

»Ich fand ihn an demselben Tage, an welchem ich die Höhle entdeckte. Das Wasser des Baches fällt hinten in die Tiefe und hat sich da einen Kessel gegraben, aus welchem es durch das Innere des Berges seinen Ausweg findet. Ich befestigte damals an der Seite des Falles ein festgedrehtes Doppelseil, ließ mich hinab und fand, daß die Passage dem Wasser entlang und hinaus in das Freie ganz gut zu ermöglichen ist. Das Seil hängt noch und befindet sich in gutem Zustande. Als ich nun jetzt nach unsern Gefangenen sah, bemerkte ich fremde Fußstapfen im Boden; ein rascher Blick auf die beiden Männer überzeugte mich, daß ihre Banden gelockert sind.«

»Wie geht das zu?« fragte ich. »Ich habe sie selbst gefesselt und zwar so, daß sie nur mit Hilfe andrer gelöst werden können.«

»Die Indianer haben einige Kundschafter ausgeschickt, welchen die Entdeckung des Ausganges gelungen ist. Sie sind in denselben eingedrungen, an dem Seile emporgestiegen, haben die Gefangenen gefunden, ihnen die Banden gelockert und sie jedenfalls auch mit einigen Waffen versehen. Dann sind sie zurückgekehrt, um die Ihrigen zu holen.«

»Warum haben sie da Sanders und Jean Letrier nicht mitgenommen?« fragte Wallerstein.

»Weil dann alles verraten war, wenn wir die Abwesenheit derselben vor der Zeit entdeckten. Vor allen Dingen müssen wir die zwei gefährlichen Bursche unschädlich machen, indem wir sie wieder binden. Vorwärts, Neffe; wir gehen voran; die andern folgen leise nach, um Sich, sobald der Widerstand, den sie leisten werden, beginnt, auf sie zu werfen. Wir müssen alles Blutvergießen zu vermeiden suchen!« –

Während dieser Unterredung war in der Grotte auch ein leises Gespräch geführt worden.

»Jean, hast du den Blick gesehen?« fragte Sanders flüsternd, als sich Sam Fire-gun und Wallerstein entfernt hatten.

»Welchen Blick?«

»Den der Colonel auf den Boden warf.«

»Nein; ich habe den Kerl gar nicht angesehen.«

»Er hat alles entdeckt.«

»Nicht möglich! Er ging ja vollständig beruhigt fort.«

»Nichts als schlaue Verstellung! Er sah die Fußspuren des Jägers und Indianers; ich habe es ihm trotz des halben Lichtes augenblicklich angemerkt. Es zuckte ganz verdächtig über sein Gesicht. Dann warf er einen kurzen, aber dolchscharfen Blick auf unsre Fesseln, und der Klang, den sein ›Alles sicher‹ hatte, vervollständigte mir nur den Beweis, daß er alles durchschaut hat.«

»Teufel! Wenn er nun fort wäre, um die Leute zu holen und uns wieder binden zu lassen. Es wäre zum verrückt werden!«

»Er bringt sie sicher.«

»So wehre ich mich bis auf den letzten Blutstropfen. Denn wenn sie uns wieder fesseln, ist alles verloren. Sie werden uns in einen andern Raum stecken und die Indsmen an unsrer Stelle empfangen.«

»Sicher! Aber eine Gegenwehr ist gar nicht notwendig.«

»Wie so?«

»Sie wäre sogar vollständig zwecklos, da wir doch nur bezwungen würden. Der einfachste und zugleich der einzige Weg zu unsrer Rettung ist der, daß wir sofort fliehen.«

»Aber wenn Ihr Euch irrt, Kapitän, wenn der Alte gar nichts bemerkt hätte?«

»So wäre es ganz gleich. Sie kämen dann vor der Ankunft der Indianer ganz gewiß nicht wieder hierher, so daß unsre Flucht entdeckt und der Plan des Überfalles verraten würde. Ich mache mich davon; wir haben ja gehört, welcher Weg zu nehmen ist. Rasch, Jean, ehe es zu spät ist!«

Sie standen von der Erde auf und befreiten sich von den Riemen; dann folgten sie dem Rauschen des Falles und fanden, allerdings erst nach einem längeren und hastigen Suchen, das Seil, an welchem sie sich hinunterließen. An der wallenden und brausenden Oberfläche des Beckens angelangt, untersuchte der vorangekletterte Sanders, sich mit den Händen fest am Seile haltend, die engen Felsenwände mit den Füßen und fand die niedere Seitenöffnung, durch welche sich die abfließenden Wellen drängten. Ein Schwung brachte ihn in dieselbe hinein; er zog das Seil fest an sich, um seinem Begleiter die Richtung zu geben. Es war ein gefährlicher Augenblick für die beiden Flüchtlinge, welche sich wegen des Tobens des Falles keine hörbare Mitteilung machen konnten; aber das mutige Unternehmen gelang, und in tief gebückter Stellung im Wasser fortwatend, gelangten sie in einigen Minuten zwar vollständig durchnäßt, aber sonst ganz wohlbehalten in das Freie.

Hier reckten sie sich in die Höhe und blieben, von der Anstrengung einen Moment ausruhend, mit keuchendem Atem halten.

»Hier müssen wir warten, bis die Indsmen kommen,« meinte Letrier.

»Das geht nicht. Der Colonel würde uns verfolgen lassen, sobald er ja unsre Flucht entdeckte. Wir müssen weiter fort.«

»Aber wir wissen das Lager der Indianer nicht!«

»Thut nichts! Wir brauchen uns ja nicht weit zu entfernen, sondern suchen ein Versteck hier in der Nähe und warten das Weitere ruhig ab.«

»Das Richtige ist es eigentlich, Kapitän; denn wenn wir jetzt auf die Roten treffen, so müssen wir wieder zurück, und dazu habe ich verteufelt wenig Lust. Jedenfalls ist es geratener, wir schicken die guten Leute für uns in das Feuer und sehen dann zu, wie wir auf eine praktische Weise zu den Kastanien gelangen.«

»Ganz meine Meinung! Komm!«

Sie drangen einige Schritte weit in das Gesträuch ein und verbargen sich in dem wirren Dickicht desselben. Hier verhielten sie sich so regungslos wie möglich und lauschten mit angestrengter Aufmerksamkeit in die Nacht hinaus.

Da klang ein leises Geräusch, ähnlich dem Rascheln eines kleinen Insektes, an ihr Ohr.

»Die Indianer!« flüsterte Sanders.

Er hatte sich nicht getäuscht. Mit dem weißen Jäger und dem Sohne des Häuptlings Matto-Sih an der Spitze, nahten sie sich, einer hinter dem andern, in einer langen, mit außerordentlicher Behutsamkeit sich vorwärts bewegenden Linie. An dem verborgenen Ausgange Halt machend, hielten sie eine kurze Beratung; dann verschwand einer nach dem andern in der kleinen Öffnung des Wasserlaufes. Zwei aber blieben zurück, um Wache zu halten.

Es verging eine lange, lange Zeit. Der Himmel, den man in der Finsternis vorher nicht von dem Laubdache des Waldes zu unterscheiden vermochte, begann, von demselben abzustechen; die einzelnen Stämme erst, sodann auch die Äste und Zweige ließen sich erkennen; hier und da erhob ein erwachender Vogel seinen noch schläfrigen Morgenruf – die Nacht begann dem Tage zu weichen, und die Dämmerung brach herein.

Die zwei wachhaltenden Indianer standen regungslos am Ufer des Baches, da wo derselbe aus dem Berge trat. Sie erlitten gewiß nicht geringe Ungeduld über das unerwartet lange Verbleiben der Ihrigen, aber kein Zug ihrer jugendlichen, bronzenen Gesichter verriet dies. Sie waren schon als Knaben an die unbedingteste Selbstbeherrschung und die Überwältigung selbst der gewaltigsten Gefühle gewöhnt worden. Sie hatten ganz das Aussehen zweier auf den Lauf ihrer Büchsen gestützten und mit allen indianischen Waffen versehenen Statuen.

Da krachten plötzlich zwei Schüsse zu gleicher Zeit, so daß sie wie ein einziger Schuß erklangen; die beiden Wachen stürzten, durch die Köpfe getroffen, zur Erde. Im nächsten Augenblick hoben sich neben ihnen zwei Gestalten empor, welche von ihnen unbemerkt die enge Wasserpforte passiert hatten. Es war Sam Fire-gun und der kleine Bill Potter.

»Hihihihi!« lachte der letztere, »sind zu früh flügge geworden, die kleinen Jungens; haben noch nicht gelernt, die Augen und Ohren aufzuthun. Seht Ihr's, Colonel, daß ich recht hatte? Sie haben vergessen, ihre Spuren zu verwischen, und nun können wir den Lagerplatz suchen, wo der Dicke mit dem Dünnen angehobbelt liegt.«

»Getraust du dich allein wieder zur Höhle emporzuarbeiten, Bill?«

»Warum nicht? Glaubt Ihr etwa, Bill Potter fürchtet sich vor den zwei Tropfen Wassers, die er zu schlucken bekommt?«

»So kehre zurück, während ich inzwischen diesen Spuren folge, und bringe die andern um den Berg herum zu dieser Stelle. Es braucht nur die gewöhnliche Wache zurückzubleiben, denn der Platz ist vollständig gesäubert. Ich gehe euch voran und ihr kommt mir nach. Sputet euch aber, mich bald einzuholen!«

Der kleine Trapper verschwand nach einer zustimmenden Gebärde in der Öffnung, und Sam Fire-gun begann, die Fährte aufzunehmen. Diese war so deutlich, daß er, wenigstens für den Beginn ihrer Verfolgung, keine übermäßige Aufmerksamkeit auf sie zu verwenden brauchte und sie nur flüchtig nebst dem umherliegenden Terrain überblickte. Daher entgingen dem sonst so scharfsinnigen Manne die Spuren, welche die beiden Flüchtlinge wegen des nächtlichen Dunkels notwendigerweise zurückgelassen hatten, und er verschwand, den Fußstapfen der Indianer folgend, gar bald zwischen den Bäumen des Waldes.

Wieder verging eine längere Zeit, dann flüsterte Sanders:

»Das ist Pech, außerordentliches Pech! Diese braven, kleinen Indianer sind glücklich an dem gefährlichen Seile hinauf in die Höhle gekommen, aber sofort alle niedergemacht worden. Es ist jammerschade um sie! Nun stehen wir wieder allein gegen Fire-gun und seine Leute!«

»Wäre es nicht besser, Kapitän, wenn wir ihm heimlich folgten?« fragte Jean Letrier. »Wenn wir glücklich entkommen wollen, müssen wir unbedingt Pferde haben und können uns nur an die Tiere der Roten halten.«

»Das geht unmöglich. Die Jäger kommen nach und würden unsre Spur sofort entdecken.«

»Was hindert uns, den Alten für immer unschädlich zu machen? Wir haben ein Messer.«

»Jean, wir haben gar Vieles und Schweres möglich gemacht, aber Westmänner sind wir nicht. Der Colonel hat ein feines Gehör und ist uns mit seinen Waffen überlegen. Selbst wenn es uns gelänge, einen guten Stich anzubringen und zu den Pferden zu gelangen, so hätten wir kaum einige Minuten später die ganze wütende Horde im Rücken.«

»Wenn der Alte weg ist, brauchen wir die übrigen nicht zu fürchten. Der unsinnige Steuermann, Wallerstein, der veritable Polizeispion, sie verstehen von der Prairie nichts und sind – –«

»Und Winnetou, der Apatsche?« fiel ihm Sanders in die Rede.

»Teufel, ja, an den habe ich gar nicht gedacht. Chez dieu, der wäre ganz allein im stande, uns einzuholen und mit seinem verdammten Tomahawk zu zerschmettern. Aber, was thun? In Ewigkeit hier liegen bleiben können wir doch nicht.«

»Du bist ein Schwachkopf, Jean. Im Hide-spot liegt ein ganzer Reichtum an Gold aufgestapelt.«

»Nun?«

»Gold brauchen wir.«

»Wollen wir Sam Fire-gun schön bitten, es uns zu verehren?«

»Pah! Wir haben es.«

»Wann?«

»Wenn die Trapper jetzt fort sind.«

»Und wie?«

»Das ist leicht. Oder fällt dir gar nichts ein, Jean?«

»Mir fällt jetzt weiter nichts ein, als daß wir in eine ganz armselige Memme geraten sind.«

»Aus welcher wir bald heraus sein werden.«

»Inwiefern?«

»Wir warten, bis die Jäger fort sind.«

»Und dann?«

»Dann,« flüsterte Sanders, obgleich kein Lauscher in der Nähe war, »dann kehren wir auf demselben Wege zurück, den wir gekommen sind.«

»Teufel! Nach der Höhle?«

»Versteht sich!«

»Und lassen uns drin abschlachten!«

»Oder auch nicht. Du hast ja gehört, daß bloß ein einziger Jäger als Wache zurückbleiben soll. Er wird eine ganze Strecke von der Höhle am Bache stehen und uns gar nicht bemerken.«

»Ah – richtig! Der Colonel hat einen gewaltigen Fehler begangen, daß er hier am Wasser keinen Posten aufstellte.«

»Natürlich. Also wir kehren in die Höhle zurück.«

»In die Höhle zurück,« wiederholte der andre eifrig, dem das neue Abenteuer zu gefallen begann.

Suchen nach dem Golde –«

»Nach dem Golde –?«

»Nehmen es fort und –«

»Und?«

»Bewaffnen uns, denn im Hide-spot giebt es allerlei Schieß- und Stechzeug.«

»Das ist wahr, eine ganze Rüstkammer voll.«

»Dann stechen wir den Posten nieder.«

»Das ist notwendig.«

»Nehmen uns jeder ein gutes Pferd.«

»Wo stecken die Tiere, Kapitän?«

»Ich weiß es allerdings noch nicht; sie werden aber schon zu finden sein. Die Jäger reiten stets im Bache empor; es muß in der Nähe desselben irgend ein Platz sein, wo man die Tiere anhobbelt. Wenn wir die Ufer aufmerksam untersuchen, so finden wir ihn ganz gewiß.«

»Und dann?« frug Jean Letrier.

»Dann geht es fort. Wohin, das wird sich finden, jedenfalls aber westlich, denn nach dem Osten dürfen wir nicht zurück. Wir haben da, nicht bloß in letzter Zeit, sondern schon von früher her, so viel auf dem Kerbholz, daß wir uns in den Oststaaten nicht sehen lassen dürfen. Wenn wir Geld oder Gold bekommen, sehen wir, daß wir nach San Francisco – –«

Er hielt mitten in seiner Rede inne. Ein knisterndes Geräusch, welches von der Seite her an ihre Ohren drang, hatte ihn verstummen lassen.

Leise Schritte erklangen. Bill Potter drang durch die Büsche, hinter ihm außer dem zurückgelassenen Posten die sämtlichen Bewohner des Hide-spot. Auch Winnetou war dabei. Ohne Aufenthalt folgten sie den Spuren, welche Sam Fire-gun ihnen mit Vorbedacht deutlich zurückgelassen hatte. Die beiden Versteckten hielten den Atem an; ein einziger Blick aus dem scharfen, geübten Auge des Apatschen konnte die allerdings jetzt kaum mehr bemerkbaren Eindrücke wahrnehmen, welche sie zurückgelassen hatten. Die Gefahr ging glücklich vorüber, da Winnetou sich auf den vorangehenden Trapper verließ und den Boden nicht im mindesten beachtete.

»Grace à dieu!« meinte Letrier, als das Knistern der Zweige in der Ferne verklungen war. »Jetzt stand wahrhaftig alles auf dem Spiele, und trotzdem ich naß bin bis auf die Haut, habe ich geschwitzt, als stäke ich im Bade.«

»Jetzt ist es Zeit; aber wir müssen nun vorsichtig sein und jede Spur hinter uns verwischen.«

Dieses letztere machte ihren ungeübten Händen so viel Mühe, daß eine bedeutende Weile verging, ehe sie in dem Bette des Baches verschwanden. Sie kannten den Weg, den sie schon einmal gemacht hatten, und gelangten trotz der Beschwerlichkeit desselben glücklich oben an. Der hinter seinem Herrn emporkletternde Letrier hatte eben das Seil verlassen und festen Fuß gefaßt, als er sich von Sanders zurückgehalten fühlte. Sie standen vor einer ganzen Menge herumliegender menschlicher Körper. Durch Betasten überzeugten sie sich, daß es die getöteten jungen Indianer seien. Sie stiegen über die Leichen hinweg und kamen so in die Grotte, wo sie vorher gefesselt gelegen hatten. Hier konnten sie wieder miteinander sprechen.

Letrier schüttelte sich.

»Brrr, Kapitän, die armen Burschen sind einer nach dem andern ruhig abgefangen und ausgelöscht worden, sobald sie in der Höhle ankamen. Ein Glück, daß wir uns verborgen hielten, sonst hätten wir mitgemußt und ganz dasselbe Schicksal erlitten!«

»Wir haben jetzt keine Zeit zu solchen Betrachtungen. Vorwärts, und zwar zunächst zu den Waffen!«

Sie kehrten mit Hilfe des Seiles wieder in den Hide-spot zurück, der von den Trappern verlassen war. Nur ein einziger Mann stand als Wächter draußen auf der anderen Seite desselben.

In den Hauptraum der Höhle mündeten mehrere kleine Kammern. Eine derselben war ringsum mit allen möglichen Kriegswerkzeugen, welche das Leben in der Prairie erfordert, behängt. Auch Pulver, Blei und Kugelformen waren in Menge vorhanden. Lebensmittel, wenn auch nicht in einem großen Vorrate, zeigten sich im Nebenraume. In der Haupthöhle brannte eine Talglampe, welche ihnen zur Beleuchtung diente.

Die beiden Männer versahen sich zunächst mit allem Nötigen; dann begannen sie, nach den verborgenen Reichtümern zu suchen.

Alle ihre Bemühungen waren vergebens. Die kostbare Zeit verging und ihr Forschen wurde von Minute zu Minute hastiger, ohne daß sie etwas fanden.

»Es ist zu sorgfältig versteckt, Jean,« meinte endlich Sanders, als sie vor der letzten Kammer anlangten, die ihnen noch übrig blieb. »Und selbst wenn wir es entdeckten, wie wollen wir es fortbringen? Das Gold ist schwer, und ich wüßte mir keinen Rat.«

»Wir packen es auf Reservepferde.«

»Das wäre das Einzige, würde aber unsre Flucht bedeutend verzögern und unsern Marsch sehr verlangsamen. Aber sieh, das muß die Extrawohnung des Colonels sein!«

Der Raum war an seinen Wänden mit ungegerbten Fellen behangen, um die Feuchtigkeit der Wände abzuhalten, und enthielt einige roh gearbeitete Sessel und Kästen, über welch letztere die Suchenden sofort begierig herfielen. Auch sie enthielten nichts von dem gehofften Golde, sondern nur einen Vorrat von Kleidungsstücken und allerlei sonstigen Gegenständen. Die Sachen wurden in der Eile rings auf dem Boden umhergestreut. Da stieß Sanders einen halblauten Ruf der Freude aus. Er hatte eine alte, abgegriffene Brieftasche gefunden, welche als letzter Gegenstand, sorgfältig eingewickelt, auf dem Boden eines der Kästen gelegen hatte.

»Kein Gold, aber vielleicht doch von Wert!« sagte er.

Er trat in die Haupthöhle zurück, weil es da lichter war, und öffnete das Portefeuille.

»Was ist drin, Kapitän?« frug Letrier mit Spannung.

»Nichts, gar nichts; ich habe mich auch hier getäuscht,« antwortete der Gefragte ruhig; aber in seinem Innern wogte es gewaltig auf und nieder. Der Inhalt bestand in höchst wertvollen Depositenscheinen. Sam Fire-gun hatte bedeutende Mengen Gold bei verschiedenen Bankhäusern des Ostens abgeliefert und sich über die umgerechneten Summen diese Scheine ausstellen lassen. Der gegenwärtige Besitzer konnte sie bei jeder Bank augenblicklich in courante Münze umsetzen. Doch, das brauchte Letrier ja nicht zu wissen.

Die Summen, welche auf diese Scheine lauteten, gehörten nicht dem Colonel allein, sondern der ganzen Gesellschaft; darum waren sie so hoch. Jedenfalls gab es noch eine Menge von Goldstaub und Nuggets, konnte aber nicht gefunden werden. Eben als sie darüber ihre unmutigen Bemerkungen austauschten, hörten sie ein Geräusch. Es war der Posten, der in die Höhle kam. Sanders, der einen der vorgefundenen Revolver geladen hatte, schoß ihn nieder.

»Nun aber fort!« sagte er dann. »Wir müssen Pferde haben. Hoffentlich finden wir welche!«

Sie nahmen alles an sich, was sie für sich ausgesucht hatten, und gingen nach dem vordern gewöhnlichen Eingang der Höhle. Draußen vor derselben angekommen, folgten sie dem Bache und kamen bald an einen schmalen Weg, der auf eine grasbewachsene Lichtung führte, wo sich die Pferde der Gesellschaft befanden.

Sie verloren nicht die mindeste Zeit, sattelten schnell zwei Tiere, denn Sättel und Zäume hingen da an den Bäumen, stiegen auf und ritten davon. – –

Inzwischen waren die Jäger alle, mit Ausnahme dieses Postens, den sie zu seinem Verderben allein zurückgelassen hatten, den Spuren der jungen Indianer gefolgt, um Dick Hammerdull und Pitt Holbers zu befreien. Sam Fire-gun, der vorausgegangen war, wurde sehr bald eingeholt. Er hatte alle mitgenommen, weil man nicht wissen konnte, mit wieviel Roten man es zu thun bekam. Er ging, die Fährte lesend, mit Winnetou voran. Sie war, weil die Roten ihren Marsch des Nachts gemacht hatten, sehr deutlich ausgetreten, und es machte also keine Mühe, sie nicht zu verlieren. Dennoch sahen sie erst nach Stunden den Wald vor sich liegen, wo die Roten gelagert hatten und wohin Hammerdull und Holbers von dem Häuptlingssohne gestern geschafft worden waren. Sie durften nicht in direkter Linie hin, weil sie da von dort aus gesehen werden mußten; darum wichen sie jetzt von der Fährte ab und hielten sich mehr seitwärts, so daß sie den Wald an einer Stelle erreichten, welche wohl eine englische Meile von derjenigen entfernt war, wo die Spur in ihm verlief.

Unter den Bäumen angekommen, wurde in einem Winkel dann wieder in die beabsichtigte Richtung eingelenkt, so daß man sich nun dem Lagerorte nicht von vorn, sondern von der Seite näherte. Mit jedem Schritte, der jetzt weiter gemacht wurde, mußte man vorsichtiger sein. Die Männer huschten, immer gute Deckung suchend, von Busch zu Busch, von Baum zu Baum, bis Winnetou, stehen bleibend, den ihm Folgenden ein Zeichen gab. Er hatte Stimmen gehört. Er schlich sich mit Sam Fire-gun allein weiter, und bald sahen sie den Ort, den sie suchten, vor sich liegen. Zugleich bemerkte der Colonel, daß er zu vorsichtig gewesen war, als er alle seine Leute mitnahm, denn bei den zwei Gefangenen, welche gefesselt an der Erde lagen, befanden sich nur drei Personen, nämlich zwei Indianer und der Weiße, welcher gestern die Roten zum Überfallen des Hide-spot aufgefordert hatte. Es bedurfte nur einiger Minuten, so war die Stelle umringt. Die drei Leute hätten sich ohne Gegenwehr ergeben müssen, sie wurden aber, freilich gegen den Willen Winnetous und des Colonels, niedergeschossen, dann schnitt man den Gefangenen die Riemen durch.

»Aber müßt Ihr unvorsichtig gewesen sein, Dick Hammerdull, daß Ihr Euch von solchen Knaben habt fangen lassen?« sagte Fire-gun.

»Ob vorsichtig oder nicht, das bleibt sich gleich,« antwortete der Dicke, indem er seine Glieder reckte; »sie haben uns eben erwischt. Dagegen war nichts zu machen. Was meinst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Hm!« antwortete der Lange. »Wenn du meinst, Dick, daß nichts dagegen zu machen war, so hast du recht, denn wir haben eben nichts dagegen gemacht.«

»Und ein Weißer war dabei!« wunderte sich der Colonel. »Es ist also außer Sanders und Letrier uns doch noch einer entkommen!«

»Ja,« nickte Hammerdull; »und grad dieser Kerl hat unser Hide-spot entdeckt. Er führte den jungen Häuptling hin, um es ihm zu zeigen, ist aber dann, als es überfallen werden sollte, nicht mitgegangen, sondern hier geblieben. Wie steht es dort? Die Roten kamen nicht zurück.«

»Sie sind alle ausgelöscht worden, auf welche Weise, das laß dir unterwegs erzählen; wir wollen jetzt gleich fort, denn wir haben nur einen Mann daheim gelassen.«

Was für einen Fehler er damit begangen hatte, das sah er nur zu deutlich, als sie wieder im Hide-spot ankamen. Da fanden sie die Leiche des Postens und sahen sofort, daß alle Abteilungen der Höhle durchsucht worden waren, von wem, darüber konnte es natürlich keinen Zweifel geben. Zu seiner Beruhigung überzeugte sich der Colonel zunächst, daß der höchst wertvolle Vorrat von Goldstaub und Nuggets nicht entdeckt worden war; um so mehr aber erschrak er, als er sah, daß die Brieftasche mit den Depositenscheinen fehlte. Der Grimm, den er darüber empfand, teilte sich natürlich allen andern mit, und es gab nun nur eine einzige Stimme, nämlich die, daß Sanders und sein Genosse sofort zu verfolgen seien. Ganz abgesehen davon, daß wir ihre Personen wieder haben mußten, war es ein bedeutendes Vermögen, welches sich in der Brieftasche befand.

Aber grad dieses Geld mußte ihnen das Entkommen erleichtern, wenn sie nur erst einen bewohnten Ort erreichten. Darum galt es, mit der Verfolgung keinen Augenblick zu säumen; aber wir mußten uns auch mit den nötigen Mitteln versehen, um nicht ohne Geld zu sein, wenn es zu unsrem schnellen Fortkommen nötig sein sollte. Es war also bei allem Unglück noch ein Glück, ein wahres Glück, daß die Entflohenen die Nuggets nicht auch gefunden hatten! – –

Wenn ich in meiner Geschichte vorhin einen großen Sprung von San Francisco nach dem wilden Westen gethan habe, so bitte ich euch, Mesch'schurs, diesen Sprung mit mir wieder zurückzuthun. Wir befinden uns also wieder in ›Frisco‹ oder vielmehr zunächst in dem ihm an der Bai gegenüberliegenden Oakland, denn wer zu Pferde, so wie wir, aus dem Osten kommt, der muß in Oakland halten, weil sich ihm die hier elf Kilometer breite San Francisco-Bai in den Weg legt. Das ist aber kein Hindernis, denn für Gelegenheiten, hinüberzukommen, auch mit den Pferden, ist mehr als reichlich gesorgt. Reiter setzten damals auf den breiten Oakland-Trajektbooten über.

Mit einem dieser Boote landeten zwei Berittene, die selbst während der Überfahrt nicht aus dem Sattel gestiegen waren. Ihre Pferde schienen von guter Rasse zu sein, obgleich sie fürchterlich abgetrieben aussahen. Auch die Reiter hatten ganz das Äußere von Leuten, die eine geraume Zeit lang nichts mit den Segnungen der Civilisation zu thun gehabt haben. Der Bart hing ihnen lang und wirr bis auf die Brust herab; die breitrandigen Jägerhüte, weit und formlos geworden, ließen ihre Krempen bis tief in das Gesicht herunterschlappen; die ledernen Gewänder schienen aus vertrockneter, rissiger Baumrinde zusammengesetzt zu sein, und die ganze übrige Ausrüstung ließ auf fürchterliche Strapazen schließen, welche die Männer überstanden haben mochten.

»Endlich – grace à dieu!« atmete der eine hoch auf. »Da sind wir, Jean, und ich denke, daß die Not nun nichts mehr mit uns zu schaffen haben wird.«

Der andre schüttelte fast trübselig den Kopf.

»Verzeiht, Kapitän, daß ich nicht so zuversichtlich bin. Ich werde mich nur dann erst vollständig sicher fühlen, wenn ich auf einem festen Deck stehe, welches einige Meilen von hier da draußen auf dem Wasser schwimmt. Der Teufel soll mich holen, wenn der Colonel mit seinem Volke uns nicht jetzt noch an den Fersen hängt!«

»Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Wir haben ihn ja so in die Irre geführt, daß er glauben muß, wir haben uns nach dem Gebirgsübergange hinauf nach Britisch Columbien geschlagen. Wir haben diesen ungeheuren Umweg jedenfalls nicht umsonst gemacht.«

»Ich will wünschen, daß Ihr Euch nicht irrt, aber ich traue diesem verteufelten Trappervolke nicht zehn Schritte weit und halte es für das beste, uns möglichst bald an Bord eines Schiffes zu begeben, welches von diesem unglückseligen Lande nichts mehr wissen will.«

»Vor allen Dingen ist es nötig, uns wieder ein menschliches Aussehen zu geben.«

»Dazu gehört wieder Geld.«

»So viel muß werden, und zwar sofort. Schau da hinüber!«

Er deutete mit der Rechten nach einer Baracke, über deren niederem Dache ein Brett mit der Inschrift »Jonathan Livingstone, Horse-haggler« angebracht war.

»Ein Pferdehändler?« meinte Jean. »Wird für unsre halb verhungerten Tiere auch viel bieten!«

»Müssen eben zusehen!«

Sie lenkten ihre Pferde dem angegebenen Orte zu. Ein Mann, dem der Pferdejude auf tausend Schritte Entfernung anzusehen war, trat aus der Thür, als sie abstiegen.

»Zu wem wollt ihr, Gentlemen?« fragte er.

»Zu dem ehrenwerten Master Livingstone, Sir.«

»Der bin ich selbst.«

»Ihr kauft Pferde?«

»Hm – ja – solche aber nicht,« antwortete er mit einem geringschätzigen, aber doch aufmerksamen Blicke auf die angebotene Ware.

»Well, dann god bye, Sir!«

Im Augenblicke saß Sanders wieder auf und machte Miene, sich zu entfernen.

»Slow, Master, langsam, langsam; man wird sich die Tiere doch wohl einmal ansehen können!«

»Wenn Ihr solche nicht kauft, so sind wir fertig. Ihr habt kein Greenhorn vor Euch!«

»So, so! Da steigt einmal wieder herunter! Hm, elend, ungeheuer elend! Ihr kommt wohl aus der Savanne?«

»Yes

»Kann kaum etwas bieten; muß gewärtig sein, sie gehen mir noch drauf,« meinte er, die Tiere eingehend musternd. »Wie viel wollt Ihr haben?«

»Was bietet Ihr?«

»Für alle zwei?«

»Für beide!«

»Hm, dreißig Dollars, nicht mehr und auch nicht weniger.«

Sofort saß Sanders wieder auf und ritt ohne Antwort davon.

»Stop, Sir, wo wollt Ihr denn hin? Ich denke, Ihr wollt die Pferde verkaufen!«

»Ja, aber nicht an Euch.«

»So kommt doch zurück! Ich gebe vierzig.«

»Sechzig!«

»Fünfundvierzig.«

»Sechzig!«

»Fünfzig!«

»Sechzig!«

»Unmöglich! Fünfundfünfzig und keinen Cent mehr.«

»Sechzig und keinen Cent weniger. Adieu!«

»Sechzig? Nein, fällt mir gar nicht ein – doch halt, so wartet doch nur, he; bleibt doch da; Ihr sollt sie haben, die Sechzig, obgleich das Viehzeug so ein Geld gar nicht wert ist!«

Lächelnd kehrte Sanders zurück und stieg wieder vom Pferde.

»Da nehmt sie, und zwar mit Zaum und Zeug!«

»Kommt herein, Master; der andre mag sie einstweilen halten.«

Der Händler führte ihn in einen kleinen Verschlag, welcher durch einen alten, kattunenen Vorhang in zwei Teile geschieden war. Er verschwand hinter dem letzteren und trat dann mit dem Gelde wieder hervor.

»Hier sind die sechzig Dollars. Ihr habt ein Sündengeld bekommen!«

»Pah, macht Euch nicht lächerlich! Doch – hm – Ihr seid hier in der City bekannt?«

»Besser als mancher andre.«

»So könnt Ihr mir wohl eine Auskunft geben –«

»Nach einem Boardinghouse wohl?«

»Nein, nach einem coulanten Bank- oder Lombardgeschäft.«

»Lombard – hm, was für einen Antrag habt Ihr dort?«

»Ist Nebensache!«

»Ist Hauptsache, Sir, wenn Ihr richtige Auskunft wünscht.«

»Will eine Deposite verkaufen.«

»Worüber?«

»Über Goldstaub und Nuggets.«

»Donnerwetter! Wie hoch lautet der Schein?«

»Ich habe deren mehrere.«

»So seid Ihr verdammt glücklich gewesen. Zeigt einmal her!«

»Hat keinen Zweck!«

»Warum nicht? Wenn das Papier gut ist, kaufe ich es selbst. Mache zuweilen auch diese Art von Geschäften, notabene, wenn etwas dabei zu verdienen ist.«

»Das ist's!«

Er zog die im Hide-spot gefundene Brieftasche hervor und wählte einen der Scheine aus, den er dem Händler überreichte. Dieser machte ein erstauntes Gesicht und warf einen höchst respektvollen Blick auf den zerrissenen und zerfetzten Mann, welcher sich im Besitze eines solchen Reichtums zeigte.

»Zwanzigtausend Dollars, auf den Inhaber lautend, deponiert bei Charles Brockmann, Omaha! Der Schein ist gut. Was wollt Ihr haben?«

»Wie viel gebt Ihr?«

»Die Hälfte.«

Sanders nahm ihm das Papier aus der Hand und schritt nach dem Eingange.

»Adieu, Master Livingstone!«

»Halt! Wieviel wollt Ihr haben?«

»Achtzehntausend zahlt mir jeder Bankier sofort und bar; aber ich bin einmal hier bei Euch und habe Eile. Gebt sechzehn, und Ihr bekommt den Schein.«

»Unmöglich. Ich weiß nicht, ob Ihr der rechtmäßige – –«

»Well, Sir, Ihr wollt nicht, und damit gut!«

Der Mann hielt ihn am Arme zurück; er stieg mit einem Gebote höher und höher und brachte endlich die verlangte Summe hinter dem Vorhange hervor. Er gehörte zu jener Art von Geschäftsleuten für alles, denen es trotz ihres unscheinbaren Aussehens und ihrer absichtlich ärmlichen Einrichtung an den nötigen Barbeständen doch niemals mangelt.

»Hier habt Ihr das Geld; ich habe heut einmal meinen schwachen Tag. Verkauft Ihr die andern Scheine auch?«

»Nein. Adieu!«

Er ging. Livingstone begleitete ihn hinaus und nahm die Pferde in Empfang. Die beiden Fremden entfernten sich. Ein Gehilfe kam herbei, um die Tiere von Sattel und Zaum zu befreien.

»Gutes Geschäft gemacht,« brummte der Pferdehändler Livingstone; »prächtige Rasse, famos gebaut; haben viel ausgehalten und werden bei guter Pflege sich bald wieder erholen.«

Noch war er um die eingehandelten Pferde beschäftigt, so ertönte lauter Hufschlag die enge Straße herauf. Zwei Reiter erschienen im Galopp, die mit dem nächsten Fährboote gekommen waren. Der eine war ein Indianer, dessen aufgebundenes und mit Adlerfedern geschmücktes Haar ihn als Häuptling bezeichnete. Der andre war ein Weißer von herkulischer Gestalt und weit über dem Nacken herabwallendem, weißem Haupthaar. Auch ihnen war eine ungewöhnliche Strapaze sehr wohl anzusehen, doch zeigten sie in ihrer Haltung ebenso wie ihre prachtvollen Tiere nicht die geringste Ermüdung.

Im Galopp vorübersprengend, warf der Indianer unwillkürlich einen Blick herüber nach dem Händler und riß in demselben Moment sein Pferd herum.

»Mein weißer Bruder blicke diese Pferde an!« sagte er.

Der andre war ihm ebenso schnell bis an die Baracke gefolgt. Ein kurzer Blick genügte, er sah das Schild, ritt bis hart an den Händler heran und grüßte:

»Good day, Sir! Ihr habt soeben diese Pferde gekauft?«

»Yes, Master,« antwortete der Händler.

»Von zwei Männern, welche folgendermaßen aussahen?«

Er gab eine sehr genaue Beschreibung von Sanders und Letrier.

»Das stimmt, Master.«

»Sind die Männer noch hier?«

»Nein.«

»Wo sind sie hin?«

»Weiß nicht; geht mich auch gar nichts an!«

»Ihr müßt aber doch die Richtung wissen, in welcher sie davongegangen sind?«

»Sie bogen um die Ecke dort. Weiter kann ich nichts sagen.«

Der Frager besann sich einen Augenblick, warf einen scharfen, forschenden Blick auf den Händler und fuhr dann fort:

»Ihr kauft nur Pferde?«

»Pferde und manches andre.«

»Auch Nuggets?«

»Auch. Habt Ihr welche?«

»Nicht hier; sie kommen nach. Darf ich sie Euch anbieten?«

»Wenn es nicht gleich ist, ja. Habe soeben all mein Geld ausgegeben.«

»Den beiden Männern?«

»Dem einen.«

»Er verkaufte Euch etwa Depositen?«

»Ja.«

»Wie hoch?«

»Zu zwanzigtausend Dollars.«

»Wollt Ihr so gut sein, Sir, und mir den Schein einmal zeigen?«

»Warum?«

»Um zu sehen, ob es der Gentleman gewesen ist, mit dem wir gern zusammentreffen wollen.«

»Hm, so! Den Schein sollt Ihr sehen; aber in die Hand bekommt Ihr ihn nicht.«

Er trat in die Baracke und kam nach kurzer Zeit mit dem Papiere zurück. Der Fremde betrachtete es genau und nickte dann vor sich hin.

»Ihr habt bloß dies eine von ihm erhalten?«

»Nur dieses.«

»Danke, Sir! Die Männer werden nicht wiederkommen, sollte es aber dennoch geschehen, so kauft ihnen nichts mehr ab, sondern laßt sie festnehmen. Die Depositen gehören mir und sind mir von ihnen gestohlen worden. Ich werde vielleicht wieder bei Euch vorsprechen!«

Er zog sein Pferd herum, der Indianer that desgleichen, dann sprengten beide wie vorher im Galopp die Straße entlang.

Es wurde kein Wort zwischen ihnen gewechselt, bis sie am Quai des Hafens anlangten. Dort fragte der Colonel, denn dieses und kein andrer war der Weiße:

»Mein roter Bruder ist mir auf der Fährte der Räuber gefolgt über die weiten Länder der Savanne. Wird er bei mir bleiben, wenn ich gezwungen bin, ein Schiff zu besteigen?«

»Winnetou, der Häuptling der Apatschen, geht mit Sam Fire-gun über die ganze Erde und auch auf das große Wasser. Howgh!«

»Die Räuber wollen wahrscheinlich über das Meer entfliehen; sie werden sich nach den abgehenden Schiffen erkundigen. Das thun wir auch und bewachen die Fahrzeuge; da erwischen wir sie.«

»Mein Bruder thue das und halte sich immer hier am Wasser auf, damit ich ihn wiederfinde. Winnetou aber wird zurückkehren vor die Häuser der großen Stadt da drüben, um zu erwarten und herzuführen die Jäger, welche zurückgeblieben sind, weil ihre Pferde müde waren.«

Sam Fire-gun neigte zustimmend den Kopf und sagte:

»Mein Bruder ist klug; er thue, wie er gesagt hat!«

Er stieg vom Pferde, welches er dem Hausknechte eines in der Nähe sich befindenden Gasthauses übergab. Der Apatsche aber kehrte allein den Weg zurück, welchen sie miteinander gekommen waren. –

Während dieses geschah, hatten Sanders und Jean Letrier ihren Weg fortgesetzt. Langsam dahinschlendernd, bemerkten sie einen Mann, welcher aus einem engen Seitengäßchen hervortrat und, ihrer nicht achtend, in einiger Entfernung quer über die Straße schritt. Von kaum mittlerer Statur, und dabei schlank gebaut, trug er die Kleidung eines Diggers, der aus den Minen kommt, um von der anstrengenden Arbeit auszuruhen und dabei sich ein weniges in der Stadt umzusehen. Ein breitkrempiger und vielfach zerknitterter Strohhut hing ihm in das Gesicht hernieder, doch vermochte er nicht, das große, häßliche Feuermal zu verdecken, welches sich von dem einen Ohre quer über die ganze Wange bis über die Nase zog.

Überrascht blieb Sanders stehen und faßte seinen Begleiter am Arme.

»Jean, kennst du den?« fragte er hastig.

»Den? Nein, Kapitän.«

»Wirklich nicht?«

»Nein.«

»Ich habe falsch gefragt. Es sollte heißen: kennst du die?«

»Die? Alle Wetter, die Gestalt, die Haltung, der Gang, Kapitän, es ist doch wohl kaum möglich!«

»Sie ist's, sage ich dir, sie und keine andre! Wir sind vollständig verwildert; aus dieser Entfernung erkennt sie uns nicht. Ein glücklicher Zufall führt sie uns vor die Augen; wir müssen ihr folgen!«

Sie schritten hinter dem Manne her, welcher nach kurzer Zeit in eine Bretterbude trat, über deren Thür mit einfachen Kreidezügen die Inschrift ›Taverne of fine brandy‹ angebracht war. Vor und hinter diesen Buchstaben hatte man auch mit Kreide je eine Schnapsflasche auf das rissige Holz gemalt.

»Was thut sie in dieser Butike? Sie hat genug Geld und wohnt jedenfalls anständig. Ihr jetziges Habit ist also eine Verkleidung, und ihr gegenwärtiger Gang hat irgend einen geheimnisvollen Zweck.«

»Wir müssen ihr hineinfolgen, Kapitän.«

»Das geht nicht, Jean. Sie würde uns trotz unsers verwilderten Zustandes doch sofort erkennen, zumal sie uns in der Prairie als Jäger gesehen hat. Die Bude besteht aus einfachen Brettern; von vorn dürfen wir uns nicht nahen; vielleicht finde ich an ihrer Rückseite ein Astloch oder irgend eine Ritze oder Spalte, durch welche es mir möglich ist, das Innere zu überblicken. Du bleibst zurück und beobachtest den Ausgang. Sollte sie den Ort verlassen, ehe ich zurückkehre) so kommst du schleunigst, um mich zu benachrichtigen.«

Er wandte sich zur Seite. Die Gelegenheit war günstig. Die Hütte hatte keinen Ausgang nach hinten und wurde dadurch einen kaum drei Fuß breiten Zwischenraum von einem ganz ähnlichen Bauwerke getrennt. Sanders schob sich hinein und fand bald ein Astloch, durch welches er einen großen Teil des Schankraumes, in welchem zahlreiche Gäste saßen, zu überblicken vermochte.

Der Mann mit dem Feuermale hatte in der Nähe eines breiten Ofens Platz genommen, war dann aber plötzlich nach rückwärts verschwunden. Weiter nach dieser Seite hin, schloß Sanders, befand sich vielleicht ein abgeschlossener Raum, der für private Zwecke dienen konnte. Er schob sich leise in dieser Richtung weiter, bis er hart hinter der dünnen Wand, an welcher er lehnte, mehrere Stimmen erklingen hörte. Er legte das Ohr an das Brett und lauschte.

»Wo treffen wir uns, Sir?« hörte er fragen.

»Nicht hier, das wäre unvorsichtig, auch nicht am Quai, sondern in der kleinen Bucht oberhalb der letzten Fischerhütte.«

»Und wann?«

»Wann ich kommen kann, ist noch unbestimmt, aber um elf müßt ihr versammelt sein, dürft jedoch vor meiner Anwesenheit nichts unternehmen.«

»Schön. Es wird einen tüchtigen Kampf geben, ehe das Fahrzeug unser ist.«

»Nicht so sehr, als ihr denkt. Die Offiziere und Subalternen sind heut abend an das Land geladen, und an Bord selbst wird ein Festgelage stattfinden, welches uns bestimmt in die Hand arbeiten muß.«

»Das läßt sich hören. Giebt es keinen Freund an Bord?«

»Der lange Tom ist da mit noch einigen, die uns erwarten.«

»Alle Teufel, Ihr habt das Ding fein eingeleitet! Also der schwarze Kapitän wird wirklich mit dabei sein?«

»Sicher. Es werden die Anker sofort gelichtet; der Wind ist gut; die Ebbe fällt passend, und wenn nicht ein ganz und gar unvorhergesehenes Hindernis eintritt, so wird man von dem ›l'Horrible‹ bald dieselben Geschichten wie früher erzählen.«

»Auf uns könnt Ihr rechnen, Sir. Wir werden gegen dreißig Mann sein, und mit tüchtigen Offizieren und einem solchen Segler braucht man die ganze Marine der Welt nicht zu fürchten.«

»Das meine ich auch. Hier habt ihr euer Draufgeld und noch einiges darüber, um zu trinken. Aber haltet euch nüchtern, damit der Handstreich uns nicht etwa mißlingt!«

Ein Stuhl wurde gerückt; der letzte Sprecher entfernte sich. Sanders hatte ihn auch an der Stimme erkannt, obgleich sie eine verstellte und in die tieferen Tonlagen hinabgedrückte war. Das Gehörte war so außerordentlich, daß er eine ganze Weile vollständig bewegungslos stand und auch wohl noch länger so verblieben wäre, wenn ihn nicht ein leises »Pst!« aus seiner halben Erstarrung aufgeschreckt hätte. Jean Letrier stand vor dem Zwischenraume und winkte.

»Sie ist fort, wieder zurück; schnell, schnell!«

Der Kapitän drängte sich aus der Enge hinaus, gerade noch zur rechten Zeit, um den Gegenstand seiner Beobachtung hinter der nächsten Ecke verschwinden zu sehen. Die beiden Männer eilten ihm nach und verfolgten ihn durch die schmutzigen Gäßchen der Vorstadt und die breiten Straßen der besseren Stadtteile bis an das Gitter eines einsam gelegenen Gartens. Hier blickte er sich prüfend um und schwang sich, als er nichts Verdächtiges bemerkte, mit einem katzenartigen Sprunge hinüber. Hier hielten sie wohl gegen eine Stunde Wacht, aber vergebens; er kehrte nicht zurück.

»Sie muß hier wohnen, Jean. Laß uns das Haus suchen, zu welchem dieser Garten gehört!«

Um dies zu thun, mußten sie eine Seitengasse durchschreiten. Als sie aus derselben traten, bemerkten sie eine glänzende Equipage, welche vor der Thür eines Hauses hielt, welches kein andres als das gesuchte sein konnte. Eine Dame war soeben eingestiegen und gab dem Kutscher das Zeichen. Sanders trat in die Gasse zurück; das elegante Fahrzeug rollte vorüber, so daß die Gesichtszüge der Inhaberin zweifellos zu erkennen waren.

»Sie ist's!« rief Jean.

»Ja, sie ist's; hier ist eine Täuschung ganz unmöglich. Ich bleibe hier; du aber gehst in das Haus und suchst ihren jetzigen Namen zu erfahren.«

Jean gehorchte dem Gebote und kehrte schon in kurzer Zeit mit der gewünschten Auskunft zurück.

»Nun?«

»Frau de Voulettre.«

»Ah! Wo wohnt sie?«

»Sie hat die vollständige erste Etage inne.«

»Komm nach dem Hafen; dort werde ich dir weitere Mitteilungen machen!«

Sie schritten der genannten Gegend zu und kehrten auf diesem Wege in einem ›Store of dressing‹ ein, den sie in Beziehung auf Wäsche, Kleidung und sonstige Ausstattung vollständig verändert verließen. Langsam durch das Menschengewühl des Quais schreitend, zuckte es plötzlich wie ein heftiger Schreck über das Gesicht Letriers; er faßte Sanders und zog ihn hinter einen großen Haufen aufgestapelter Warenballen.

»Was giebt's?« fragte Sanders.

»Blickt gradaus, Kapitän, und seht, ob Ihr den Mann kennt, der unter dem großen Krahne steht!«

»Ah – alle Teufel, der Colonel, Sam Fire-gun! Sie haben sich also nicht irre führen lassen und sind uns auf dem Fuße gefolgt. Wo mögen die andern stecken?«

»Die hat der verdammte deutsche Polizist ganz sicher in der Stadt verteilt, um uns aufzulauern und unsern Aufenthalt zu erforschen.«

»Jedenfalls. Hat uns der Alte schon bemerkt?«

»Ich glaube nicht. Sein Gesicht war seitwärts gerichtet, als ich ihn sah, und bei unsrem jetzigen Habitus sollte es ihm auch schwer werden, uns zu erkennen, wenn wir ihm nicht allzuweit zu nahe kommen.«

»Richtig. Jetzt blicke einmal da hinüber auf die Reede. Kennst du das Schiff, welches in der Nähe des Panzerschiffes liegt?«

»Hm – ja – das – das ist – Donner und Wetter, das ist kein andres als unser ›l'Horrible‹, den kenne ich Sofort, und wenn sie noch so sehr an seinen Segeln und Stangen herumgemodelt haben!«

»So komm!«

Sie nahmen ihren Weg durch das dichteste Gewühl und suchten sich ein entfernt liegendes Schankhaus, wo sie sich ein separates Zimmer geben ließen. Hier konnten sie ungestört verhandeln.

»Also du hast unsern ›l'Horrible‹ erkannt?« fragte Sanders.

»Sofort, Kapitän.«

»Weißt du, wer ihn jetzt befehligt?«

»Nein.«

»Und weißt du, wer ihn morgen um diese Zeit befehligen wird?«

»Jedenfalls derselbe wie. heut.«

»Nein.«

»So tritt ein Dienstwechsel ein?«

»Allerdings. Der heutige muß ›aus der großen Tasse trinken‹, und an seine Stelle wird ein gewisser Sanders treten oder, wenn du lieber willst, der schwarze Kapitän.«

»Hm, das ist kein übles Luftschloß, Kapitän.«

»Luftschloß? Ich sage dir, daß es in Wirklichkeit so sein wird.«

Jean Letrier lächelte.

»Dann wird die Miß Admiral natürlich wieder Segelmeister?« meinte er, auf den mutmaßlichen Scherz eingehend.

»Gewiß.«

»Und fegt mit der neunschwänzigen Katze das Verdeck wie vor alten Zeiten?«

»Oder auch nicht. Dieser Panther wird gezähmt; darauf kannst du dich verlassen!«

»Und der treue Jean Letrier, welche Stelle wird der haben?«

»Wird sich schon etwas Passendes finden lassen.«

»Schade um das hübsche Kartenhaus!«

»Und wenn es nun kein Kartenhaus, sondern ein festes, sichres und unumstößliches Gebäude wäre?«

Letrier war wirklich betroffen von dem ernsten, zuversichtlichen Tone seines Herrn. Er blickte demselben forschend in das Gesicht und brummte:

»Hm, in der Welt ist manches Unmögliche möglich, wenigstens für unsereinen.«

»Allerdings. – Höre, Jean, was ich dir sagen werde!«

Er erzählte ihm, was er an den Brettern der Branntweinbude erlauscht hatte, und fügte die Vermutungen und Schlüsse bei, zu welchen ihn das gehörte Gespräch berechtigte. Jean staunte.

»Teufel! Diesem Frauenzimmer ist wahrhaftig so etwas zuzutrauen.«

»Sie wird es ausführen, darauf kannst du dich verlassen.«

»Und wir?«

»Sagte ich dir nicht, daß ich heut abend den ›l'Horrible‹ befehligen werde?«

»Gut! Sie wird sich aber wehren.«

»Pah! Ich bin früher ihr Vorgesetzter gewesen und werde es auch jetzt sein. Sie ist noch immer die Alte. Ein Schiff zu stehlen! Mitten aus dem Hafen von San Francisco heraus! Es ist kolossal! Aber uns kommt es vortrefflich zu statten. Welch ein Glück, daß wir sie gesehen und trotz ihrer Verkleidung erkannt haben!«

Während sie in eifrigem Gespräche bei einander saßen, wurden in der Wohnung der Frau de Voulettre Anstalten zu einer glänzenden Soiree getroffen. Die Delikatessen aller Länder, die Weine aller Zonen waren vertreten, und die Dame des Hauses, welche von ihrer Spazierfahrt schon längst zurückgekehrt war, machte sich mit den letzteren persönlich sehr viel zu schaffen. Sie öffnete eine Anzahl der Flaschen, schüttete in jede derselben ein feines, weißes Pulver und versiegelte sie dann sorgfältig wieder.

Der Abend nahte heran; es wurde dunkel, und aus den Fenstern ihrer Wohnung glänzte eine Lichtflut, welche den Schein der Straßenlaterne weit überstrahlte.

Die Gäste, auch der Kommandeur des Panzerschiffes nebst den geladenen Offizieren der andern Fahrzeuge hatten sich bei ihr eingefunden und schwelgten in den gebotenen Genüssen. Eine ganze Menge nobler Flaneurs und gewöhnlicher Leute belagerte das Portal, um einen kleinen Blick in das geschmückte Innere zu werfen oder den Geruchssinn an den ausströmenden Wohlgerüchen zu weiden.

Unter ihnen befanden sich zwei Männer in Matrosentracht. Sie standen schweigend nebeneinander und warfen höchst gleichgültige Blicke auf die andern. Ihr Augenmerk schien vorzugsweise auf eines der erleuchteten Fenster gerichtet zu sein. Lange, lange harrten sie. Da endlich wurde der Vorhang herabgelassen, der Schatten einer erhobenen Hand strich einigemal hinter demselben auf und nieder; dann verlöschte das Licht.

»Das ist das Zeichen,« flüsterte der eine.

»Komm!« antwortete der andre.

Sie schritten fort und bogen in das Gäßchen, welches am Tage Sanders und Jean betreten hatten. An der Gartenpforte stand ein Koffer, neben ihm eine männliche Gestalt. Es war hier so dunkel, daß man die Einzelheiten nicht genau zu erkennen vermochte, doch war so viel zu sehen, daß der Mann kaum die Mittelgröße erreichte und einen mächtigen, dunklen Vollbart trug. Es war die Frau von Voulettre, die sich wieder verkleidet hatte. Der Koffer enthielt ihre kostbaren nautischen Instrumente.

»Ist der Wagen bestellt?« fragte der Mann mit dem dunklen Vollbarte kurz.

»Ja,« lautete die Antwort.

»Vorwärts!«

Seine Stimme klang befehlend, als sei er das Kommandieren von Jugend auf gewöhnt. Die Männer faßten den Koffer und schritten voran. Er folgte ihnen. An der Ecke einer Straße stand ein Wagen. Der Koffer wurde auf den Bock desselben gehoben; die drei stiegen ein, und das Gefährte rollte im Trabe zur Stadt hinaus. Im Freien angekommen, hielt es an. Die Fahrgäste stiegen aus, ergriffen den Koffer wieder und wandten sich, während der Wagen zurückkehrte, dem Strande zu.

Sie hatten denselben noch nicht erreicht, so ertönte hinter einem Busche eine Stimme.

»Halt, wer da!«

»Der schwarze Kapitän.«

»Willkommen!«

Eine Schar dunkler Gesellen eilte herbei und umringte ehrfurchtsvoll den bärtigen Mann.

»Die Boote in Ordnung?« fragte er.

»Ja.«

»Die Waffen?«

»Alles recht.«

»Fehlt jemand?«

»Keiner.«

»Dann come on; ich nehme den ersten Kahn!«

Der Koffer wurde eingehoben, die mit Lappen sorgfältig umwickelten Ruder eingelegt, und die Fahrzeuge setzten sich in eine vollständig geräuschlose Bewegung.

Zunächst strebten sie grad auf die Höhe hinaus, dann legten sie scharf nach Steuerbord über und näherten sich auf diese Weise von der Seeseite aus mit außerordentlicher Vorsicht dem mitten in tiefer Dunkelheit liegenden ›l'Horrible‹, an dessen Spriet und Stern nur je eine einsame Schiffslaterne brannte.

Sie waren jetzt so nahe an das Fahrzeug herangekommen, daß man sie bei der gewöhnlichen Aufmerksamkeit ganz sicher bemerken mußte. Der, welcher sich Kapitän genannt hatte, stand aufrecht am Steuer und hielt sein scharfes Auge forschend auf die dunkle Gestalt des Schiffes gerichtet. Es war ein Moment, in dem sich alles entscheiden mußte und der seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

Da ertönte der halblaute, heisere Schrei einer Möwe.

Die Leute in den Booten atmeten auf; es war das mit dem langen Tom verabredete Zeichen, daß an Bord alles gut gehe. Einige Taue hingen am Hinterteile herab.

»Legt an, und dann hinauf!« ertönte das leise Kommando.

Einige Augenblicke später standen sämtliche Männer am Deck. Tom hatte sie erwartet.

»Wie steht es?« fragte der Bärtige.

»Gut. Ich und die Unsrigen haben die Wache. Die andern schmausen unten in der Vormarskoje oder liegen schon betrunken am Boden.«

»Hinunter! Doch schont sie. Sie werden gefesselt und in den Raum geschlossen; später müssen sie zu uns schwören. Je mehr Arme wir bekommen, desto besser für uns.«

Dieser Befehl wurde schnell und ohne allen Lärm ausgeführt. Die nichts ahnende und vom Grog berauschte Mannschaft wurde leicht überwältigt, gebunden und in dem Kielraum geborgen. Dann zog man den Koffer empor, welcher in die Kapitänskajüte getragen wurde, und löste die Boote, die man mitgebracht hatte, von den Tauen. Sie konnten schwimmen – das Schiff befand sich vollständig in der Gewalt der Korsaren.

Jetzt versammelte der Schwarzbärtige seine Leute um sich und wies jedem seine Stelle an.

»Wir stechen in See. Schmiert die Ankerwinde und die Takelrollen mit Öl, damit kein unnötiges Geräusch entsteht. Kommandieren darf ich nicht, sonst hört man mich da drüben auf dem Panzerschiffe; aber ich hoffe, daß jeder weiß, was er zu thun hat!«

Die Mannschaft verteilte sich. Der Kommandeur eilte von Ort zu Ort, um seine Befehle leise auszusprechen; der Anker hob sich, die Segel rollten empor und der günstige Wind begann, sie zu blähen. Das prachtvolle Schiff gehorchte dem Steuer; es legte sich langsam herum, teilte die widerstrebenden Wogen und schoß der offenen See entgegen.

Da erst erscholl von dem Decke des Panzerschiffes ein Schuß – ein zweiter – ein dritter. Man wußte dort, daß die Offiziere des ›l'Horrible‹ an das Land gegangen waren, hatte, allerdings zu spät, die Bewegung des Schiffes bemerkt, mußte natürlich sofort etwas Ungewöhnliches oder gar Gesetzwidriges vermuten und gab nun durch die drei Alarmschüsse das Zeichen zur allgemeinen Aufmerksamkeit.

Der neue Befehlshaber des ›l'Horrible‹ hatte sich auf das Quarterdeck begeben. Der lange Tom stand an seiner Seite.

»Horch, Tom, sie haben bemerkt, daß wir uns davonmachen!« sagte er.

Der Angeredete warf einen forschenden Blick empor zu den sich von dem Himmel hervorhebenden Segeltüchern.

»Wird ihnen nichts helfen. Sie haben die Augen zu spät aufgethan. Aber – Ihr kennt meinen Namen, Sir?«

»Ich dächte, der schwarze Kapitän müßte ihn doch kennen; bist ja mit mir genugsam herumgesegelt.«

»Der schwarze Kapitän – mit Euch? Nichts für ungut, Sir, ein tüchtiger Offizier seid Ihr, das habe ich schon in der kurzen Zeit bemerkt, aber der Schwarze, der seid Ihr nicht, den kenne ich.«

»Pah, ich werde es aber sein.«

»Wird nicht gut gehen. Die Leute wollen nur unter ihm dienen, und der Rotmalige, ich meine den Agenten, der uns angeworben hat, versprach uns ja, daß er noch lebe und heut abend am Deck sein werde.«

»Der Rotmalige? Hast du ihn wirklich nicht erkannt?«

»Erkannt –? ihn –? Habe den Kerl in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen!«

»Tausendmal schon, Tom; tausendmal, sage ich, hast du ihn oder vielmehr sie gesehen. Besinne dich!«

»Ihn –? Sie –? Donnerwetter, sie – sie –? Sollte – sollte es die Miß Admiral gewesen sein!«

»Sie war es. Und glaubst du nicht, daß sie ganz das Zeug hat, den schwarzen Kapitän zu spielen?«

Der Lange trat überrascht einige Schritte zurück.

»Alle Wetter, Sir – Miß, wollte ich sagen, das ist ja eine ganz außerordentliche Geschichte. Ich denke, Ihr seid aufgehangen worden, als die Rotjacken den ›l'Horrible‹ nahmen!«

»Nicht ganz. Aber höre. du bist an Bord der einzige, der den Kapitän wirklich kennt; du verschweigst, daß ich und der Agent einer und derselbe sind, und läßt sie dabei, daß ich der Schwarze bin. Verstehst du?«

»Vollständig!«

»Nun? Du sollst dich nicht schlecht dabei stehen.«

»Hm, mir ist es sehr egal, ob ein Sir oder eine Miß das Kommando führt, wenn es nur immer eine gute Prise giebt. Ihr könnt Euch auf mich verlassen.«

»Gut. Doch schau, die Lichter im Hafen und auf der Reede werden lebendig. Man schickt sich zur Verfolgung an. Pah, in zwei Stunden sind wir ihnen, selbst bei hellem Tage, aus den Augen.«

Er ließ alle Leinwand aufziehen, so daß das auf der Seite liegende Schiff mit verdoppelter Geschwindigkeit die Wogen teilte, und hing sich mit dem Arme in die Wantensprossen, um die lange entbehrte Genugthuung, den famosen Segler unter den Füßen zu haben, in vollen Zügen zu genießen.

Erst als der Tag zu grauen begann und seine Anwesenheit an Deck nicht mehr notwendig war, stieg er herab und schritt zur Kajüte. Dort stand sein Koffer. Eine Lampe brannte.

»Hm,« machte er, sich mit sichtlicher Befriedigung in dem netten Raume umsehend, »der Jenner ist so übel nicht, wie ich dachte; er hat sich hier ganz prächtig eingerichtet. Doch, ich muß vor allen Dingen sehen, ob mein geheimes Fach noch vorhanden ist, von dem selbst Sanders nichts wußte.«

Er schob einen Spiegel beiseite und drückte auf ein dahinter befindliches und kaum sichtbares Knöpfchen. Ein Doppelthürchen sprang auf und ließ eine Vertiefung bemerken, in welcher allerlei Papiere aufgeschichtet lagen. Er griff nach ihnen.

»Wahrhaftig alles unberührt! Das Versteck ist gut; ich werde es sofort wieder benutzen.«

Er zog einen Schlüssel hervor und öffnete den Koffer. Ein Fach desselben enthielt nichts als Geldrollen und Pakete Banknoten.

Er barg es in das Versteck, verschloß dieses dann und schob den Spiegel wieder vor. Dann entnahm er dem Koffer allerlei Wäsche und Kleidungsstücke, welche in dem Kajütenschranke Platz fanden, und zog dann dieselben kostbaren nautischen Instrumente hervor, welche Lieutenant Jenner bei der Frau de Voulettre gefunden hatte.

»Wenn dieser Lieutenant gewußt hätte, weshalb seine schöne Dame sich mit diesen ›langweiligen‹ Dingen befaßte! Bei allen Heiligen, es ist der beste Coup meines Lebens, den ich heut ausgeführt habe, und ich möchte nur wissen, was Sanders dazu sagte, wenn er hier stände und – –«

»Er sagt Bravo,« ertönte es hinter ihr, während sich eine Hand auf seine Schulter legte.

Entsetzt fuhr sie herum und starrte mit weit aufgerissenen Augen in das Gesicht des soeben Genannten.

»Sa – Sa – Sanders!« stammelte sie beinahe kreischend.

»Sanders!« nickte dieser mit ruhigem, überlegenem Lächeln.

»Nicht möglich! Sein Geist – sein – sein – –«

»Papperlapapp! Glaubt der Segelmeister des ›l'Horrible‹ an Geister?«

»Aber wie – wo – wann – wie kommst du nach Francisco und wie hier an Bord?«

»Das Wie werde ich dir später erklären; das Warum aber weißt du wohl?«

»Nichts, gar nichts weiß ich!«

»Auch von meiner Kasse weißt du nichts, die verschwunden war, als du es vorzogst, mich als elendes Wrack in New-York liegen zu lassen?«

»Nichts.«

»So! Leider bin ich in der glücklichen Lage, mit vollständigen Beweisen vor dir zu stehen. Aber zunächst wollen wir dem Augenblicke Rechnung tragen. Du hast den ›l'Horrible‹ entführt.‹,

Sie schwieg.

»Und dir dazu Leute angeworben

Sie schwieg auch jetzt.

»Denen du versprachst, daß der schwarze Kapitän die Führung übernehmen werde.«

Sie rang sichtlich noch unter dem Schrecke, den ihr sein Erscheinen verursacht hatte.

»Um dir Gelegenheit zu geben, dein Wort zu halten, bin ich schon vor euch an das Schiff geschwommen und habe mich an den Sorglienen und Puttingen versteckt, bis ich es an der Zeit fand, mich dir vorzustellen. Du bist wahrhaftig ein ganz verteufeltes Frauenzimmer, wenn auch der rote Agent ein wenig häßlicher sah, als Frau de Voulettre; und weil du deine Sache so gut gemacht hast, werde ich dir, allerdings nur für einstweilen und bis wir abgerechnet haben, deine frühere Stellung als Segelmeister wieder einräumen. Thu' also immerhin den Bart herab; er ist dir lästig und den ›Schwarzen‹ kannst du ja doch nicht imitieren.«

Er hatte in einem ruhigen, überlegenen Tone gesprochen, der ihr das Blut in die Wangen trieb und ihre Augen katzenartig erfunkeln ließ.

»Segelmeister, ich? Und wenn ich dich nun nicht kenne?« zischte sie.

»So kennt mich der lange Tom und Jean Letrier. Sie hängen beide mehr an mir, als an dem grausamen Panther, der sich Miß Admiral nannte.«

»Jean Letrier? Wo ist er?«

»Hier an Bord. Er kam mit mir und spricht oben mit dem langen Tom, um ihm zu sagen, daß ich wirklich anwesend bin.«

»Es wird dir und ihm nichts helfen,« raunte sie ihm grimmig entgegen. »Der ›l'Horrible‹ ist ein Piratenschiff und ich bin sein Kapitän. Wer ohne meine Erlaubnis seine Planken betritt, der büßt es mit dem Tode!«

Sie riß den Revolver von der Seite und schlug auf ihn an. Ein blitzschneller Schlag seines Armes schleuderte ihr die Waffe aus der Hand; dann faßte er sie bei den Schultern und drückte ihre schlanke, geschmeidige Gestalt an die Wand, als sei sie daran angenagelt.

»Miß Admiral, hör', was ich dir ein für allemal sage! Ich werde mit dir abrechnen und hätte dich trotzdem bis auf weiteres in deiner einstigen Stellung als zweiter Offizier gelassen. Doch du hast meinen Tod gewollt, und mein Leben stand in Gefahr, so lang ich dir vertraute. Ich bin Kapitän meines Schiffes, und du – du wirst unschädlich gemacht!«

Ein fürchterlicher Schlag seiner geballten Faust traf ihren Schädel, so daß sie, wie vom Blitze erschlagen, augenblicklich leblos zusammenbrach. Er fesselte sie mit denselben Stricken, mit denen ihr Koffer eingeschnürt gewesen war, und stieg dann nach oben.

Der Morgen war jetzt vollständig hereingebrochen, so daß man mit einem Blicke die Situation zu übersehen vermochte. Die Mannen hatten sich alle am Deck versammelt und einen Kreis um den langen Tom und Letrier gebildet, welche ihnen zu erzählen schienen. Da fiel der Blick des letzteren auf Sanders. Er sprang vor, schwenkte den Südwester und schrie:

»Das ist er, ihr Leute. Vivat, der schwarze Kapitän!«

Die Hüte flogen in die Luft; der Ruf wurde von jeder Kehle wiederholt.

Sanders winkte ihnen gnädig zu und trat mit stolzem Schritt in ihre Mitte. In kurzer Zeit war allen der Eid abgenommen und jeder erhielt ein hoch bemessenes Segelgeld. Die Waffen und Wachen wurden verteilt, die Schiffsordnung einstweilen mündlich bestimmt, und als das alles in Ordnung war, begab sich der Kapitän mit Letrier wieder in seine Kajüte, um nach der Miß Admiral zu sehen.

Die Besinnung war ihr wiedergekehrt, doch schloß sie sofort die Augen, als sie ihn eintreten sah. Er bog sich über sie und fragte:

»Wo ist das Geld, welches du mir raubtest?«

Ihre Lider öffneten sich; ein haßerfüllter Strahl schoß zwischen ihnen hervor auf den Fragenden.

Er wiederholte seine Frage.

»Frag', so oft du willst; eine Antwort bekommst du nicht.« erklärte sie.

»Ganz nach Belieben!« lächelte er. »Ein großer Teil ist natürlich fort; die Frau de Voulettre hat jedenfalls kostspielige Bedürfnisse gehabt; das übrige aber ist hier an Bord, ich kenne dich.«

»Suche es!«

»Das werde ich thun. Und finde ich nichts, so giebt es Mittel, dich zum Sprechen zu bringen. Jean!«

»Kapitän?«

»Das Frauenzimmer bleibt gefesselt wie bisher und erhält ihren Platz in meiner eignen Koje. Ihr Wärter bin nur ich; kein andrer hat bei ihr Zutritt, auch du nicht, und wer den kleinsten Versuch macht, mit ihr zu verkehren, bekommt die Kugel. Übrigens darf außer dir kein andrer wissen, wo sie sich befindet. – jetzt bring die frühere Mannschaft des ›l'Horrible‹ einzeln an Deck. Ich werde sehen, was aus den Leuten zu machen ist!«

Jean ging. Sanders zog seine Gefangene in die Nebenkoje und verdoppelte hier ihre Fesseln. Er wußte, daß er die Wahrheit gesagt habe: sie hatte keine Macht mehr über ihn. – – –

Sam Fire-gun hatte sich nach den abgehenden Passagierschiffen erkundigt; es ging heute keins in See, auch morgen nicht. Bei dieser Gelegenheit hörte er den Namen des ›l'Horrible‹ nennen. Er wußte, daß dies das Schiff des schwarzen Kapitäns gewesen war, und nahm an, daß dieser, also Sanders, wohl auch erfahren habe, daß der ›l'Horrible‹ hier im Hafen liege. Gewiß übte das eine Anziehungskraft auf ihn aus, und so stellte sich Sam Fire-gun so auf" daß er jeden Menschen, welcher nach diesem Schiffe ging oder von ihm kam, sehen konnte.

Es war Abend geworden; es wurde zehn Uhr und noch später. Sam Fire-gun ging immer noch am Quai auf und ab, um sich keines der abstoßenden Boote entgehen zu lassen. Diese Aufgabe war für eine einzelne Person eine schwierige, wo nicht unmögliche, und in Wirklichkeit wurde auch gar mancher Kahn vom Lande gerudert, ohne daß der aufmerksame Trapper die rechte Zeit fand, den oder die Insassen desselben zu mustern. Es herrschte ringsum tiefe Dunkelheit, welche die Straßenlaternen und Schiffslichter nur spärlich zu durchdringen vermochten, und Fire-gun stand am Ufer, um von dem anhaltenden Patrouillengang ein wenig zu verschnaufen, als grad zu seinen Füßen der Führer eines unbesetzten Bootes bei den zu dem Wasser führenden Stufen anlangte.

»Good evening, Mann, wo kommt Ihr her?« fragte er ihn.

»Von draußen.«

»Von welchem Schiff?«

»Von keinem.«

»Von keinem? Waret Ihr allein spazieren?«

»Fällt mir nicht ein!« antwortete der Schiffer, neben ihm stehen bleibend und seine vom Rudern angegriffenen Arme dehnend.

Der Trapper wurde aufmerksam.

»So habt Ihr jemand gefahren?«

»Wird wohl nicht anders sein, Master.«

»Aber bei keinem Schiffe angelegt und kommt leer zurück. Habt Ihr ihn ersäuft?«

Der Schiffer lachte.

»So ähnlich. Aber wartet noch einige Stunden mit Euren Fragen, dann will ich sie Euch beantworten.«

»Warum nicht eher?«

»Weil ich nicht darf.«

»Und warum dürft Ihr nicht?«

»Weil ich's versprochen hab'.«

Der Mann schien Wohlgefallen daran zu finden, sich nach etwas fragen zu lassen, worüber er nicht bereit war, Auskunft zu erteilen. Der Jäger aber wurde von einem unbestimmten Gefühle getrieben, weiter zu forschen:

»Und warum habt Ihr dies versprochen?«

»Weil, weil – hört, Mann, Ihr fragt verteufelt dringlich – weil sich ein jeder gern ein Trinkgeld geben läßt.«

»Ah so! Also eines Trinkgeldes wegen dürft Ihr nicht sagen, wen Ihr gefahren habt?«

»So ist's.«

»Und Ihr werdet es dennoch sagen, wenn ich Euch ein besseres Trinkgeld gebe?«

Der Schiffer warf einen ungläubigen Blick auf das zerfetzte, lederne Habit des andern.

»Ein besseres? Wird Euch schwer werden!«

»Wie viel bekamt Ihr?«

»Meinen Lohn und einen Dollar obendrein.«

»Bloß?«

»Was, bloß? Euch fallen wohl die Dollars durch den zerrissenen Jagdrock in die Tasche?«

»Dollars? Nein. Geld habe ich nicht, aber Gold.«

»Wirklich? Das ist ja noch besser als Geld!«

Der Fischer wußte aus Erfahrung, daß mancher abgerissene Mineur mehr bei sich trug, als hundert Stutzer miteinander besitzen.

»Meint Ihr? Da seht Euch einmal dies Nugget an!«

Sam Fire-gun trat unter eine Laterne und zeigte dem Fischer ein Stück Waschgold, welches er aus der Tasche gezogen hatte.

»Alle Teufel, Master, das Stück ist ja seine fünf Dollars unter Brüdern wert!« rief der Mann.

»Richtig! Und Ihr sollt es haben, wenn Ihr mir sagt, was Ihr verschweigen sollt.«

»Ist's wahr?«

»Gewiß. Also, wen habt Ihr gefahren?,‹

»Zwei Männer.«

»Ah! Wie waren sie gekleidet? Jäger?«

»Nein. Mehr wie Seeleute, ganz neues Habit.«

»Auch möglich. Wie sahen sie aus?«

Der Schiffer gab eine Beschreibung, welche ganz auf Sanders und Letrier paßte, für den Fall, daß beide ihr Äußeres verbessert hatten.

»Wo wollten sie hin?«

»Da hinaus, in die Nähe des ›l'Horrible‹, der dort auf den Ankern reitet.«

»Des ›l'Horrible‹?« Sam Fire-gun wurde aufmerksamer. »Was sprachen sie unter sich?«

»Konnte es nicht verstehen!«

»Warum?«

»Sie frugen mich, ob ich gelernt hätte, französisch zu reden, und als ich nein sagte, parlierten sie ein Mischmasch, daß mir davon die Ohren klangen.«

»Sie sind's! Wo stiegen sie aus?«

»Draußen im Wasser.«

»Unmöglich!«

»Grad so und nicht anders. Sie sagten, sie gehörten zum Schiff und wären ein wenig durchgekniffen, um sich zu Lande einen Spaß zu machen. Nun wollten sie ihre Rückkehr nicht merken lassen und sind deshalb bis an Bord geschwommen.«

»Und vorher mußtet Ihr ihnen versprechen –«

»Bis einige Stunden nichts davon zu erzählen.«

Ehe Fire-gun eine weitere Frage thun konnte, fühlte er eine Hand auf seiner Schulter.

»Mein Bruder komme mit mir!«

Winnetou war's. Er führte ihn einige Schritte abseits und fragte dann:

»Wie heißt das große Kanoe, welches da drüben im Wasser liegt?«

»›l'Horrible‹.«

»Und wie heißt das Kanoe, auf welchem der Weiße, der sich Sanders nannte, Häuptling gewesen ist?«

»l'Horrible‹. Es ist ganz dasselbe.«

»Wird der Weiße nicht hinausrudern, um sein Kanoe wieder zu besitzen?«

Sam Fire-gun stutzte und fragte:

»Wie kommt denn mein roter Bruder auf den Gedanken?«

»Winnetou verließ einmal seinen Posten, um nach dir zu sehen. Er kam mit der Fähre herüber, auf welcher weiße Männer waren, welche von dem Kanoe sprachen. Als sie die Fähre verlassen hatten, warteten sie kurze Zeit und stiegen mit andern Männern und einem Koffer in mehrere Boote.«

»Hat mein Bruder alles gehört, was sie sprachen?«

»Sie wollten auf das große Kanoe und die Männer desselben töten, weil der schwarze Häuptling kommen werde.«

»Der schwarze Kapitän?«

»Mein Bruder sagt das Wort; es ist zu schwer für die Zunge des Apatschen.«

»Und sie sind hinaus auf das Wasser?«

»Ja. Sie hatten Messer und Beile im Gürtel.«

Sam Fire-gun überlegte.

»Mein Bruder gehe zurück an seinen Posten; die Jäger müssen kommen, noch ehe der Morgen hereinbricht.«

Der Apatsche folgte der Weisung. Auch der Schiffer hatte sich mit seinem Nugget entfernt, und so blieb der Colonel allein zurück.

Sollte wirklich etwas Ungewöhnliches auf dem ›l'Horrible‹ vorgehen? Winnetou hatte sich jedenfalls nicht geirrt; aber wenn das Schiff wirklich überfallen werden sollte, wie konnten diese Leute von der Ankunft des verfolgten Sanders so genau unterrichtet sein?

Während er noch sann, ertönten draußen auf der Reede drei Schüsse nacheinander, und trotz der späten Stunde belebte sich der Quai innerhalb kurzer Zeit mit einer ganz beträchtlichen Menschenmenge, welche begierig war, die Ursache der Alarmschüsse zu erfahren. Die Dunkelheit gestattete nicht, alle im Hafen und auf der Reede liegenden Schiffe zu unterscheiden, aber die Beweglichkeit der auf ihnen herumgetragenen Laternen war ein sicheres Zeichen, daß irgend etwas Unerwartetes geschehen sei.

Ein von sechs Ruderern bemanntes und von einem Midshipman befehligtes Kriegsboot landete ganz in der Nähe des Jägers. Ein zufällig sich am Lande befindender Steuermann, dem der Midshipman Rede und Antwort zu stehen verpflichtet war, trat auf ihn zu und fragte ihn:

»Was giebt's da draußen, Sir?«

»Der ›l'Horrible‹ sticht mit vollen Segeln in See.«

»Nun, was ist's weiter?«

»Was weiter? Seine sämtlichen Offiziere befinden sich am Lande; es ist jedenfalls irgend ein Schurkenstreich geschehen, und ich habe Ordre, sie sofort zu benachrichtigen.«

»Wer hat die Schüsse abgefeuert?«

»Wir, auf dem Panzermonitor. Unser Kapitän ist bei den Herren vom ›l'Horrible‹. Good night, Sir!«

Er eilte davon, zu Frau von Voulettre.

Sam Fire-gun hatte die Worte verstanden, folgte ihm unwillkürlich und gelangte so an das von der Frau de Voulettre bewohnte Haus. Auch hier herrschte eine ganz bedeutende Aufregung. Die Herrin war seit längerer Zeit spurlos verschwunden und fast sämtliche Gäste lagen betäubt und besinnungslos im Salon infolge eines in den Wein gemischten Giftes, wie die schleunigst herbeigeholten Ärzte aussagten. Mit der Frau de Voulettre war eine wertvolle Sammlung von Seekarten und nautischen Instrumenten verschwunden.

Dies alles hörte der Trapper erzählen. Ärzte, Polizisten und Seeleute flogen aus und ein, und ein riesiges Gedränge war vor dem Hause entstanden. Jetzt befand er sich selbst in Aufregung. Er konnte sich nicht erklären, in welcher Verbindung Sanders mit dieser Frau de Voulettre stehe, aber daß der erstere mit Hilfe der letzteren den ›l'Horrible‹ entführt habe, wurde ihm zur unumstößlichen Gewißheit, obgleich es ihm unmöglich war, die Einzelheiten klar zu durchschauen.

Sollte er die Beobachtung des Apatschen der Polizei mitteilen? Das hätte zu Vernehmungen und Weitläufigkeiten geführt, die seinem Zwecke nur schaden konnten. Es gab nur einen einzigen schnellen und sicheren Weg, den die Polizei jedenfalls ganz von selbst einschlug: Der ›l'Horrible‹ mußte verfolgt werden. Sam Fire-gun beschloß, dies auch auf seine eigene Faust zu thun. Dazu gehörte aber vor allen Dingen Geld zur Miete eines Schnelldampfers, und um dies zu bekommen, mußte er das Eintreffen seiner zurückgebliebenen Leute abwarten, welche den sämtlichen im Hide-spot verborgen gewesenen Goldreichtum mit sich führten. Seine Aufgabe am Quai hatte sich erledigt; er konnte zu Winnetou zurückkehren und sah sich gezwungen, seine Ungeduld zu bemeistern.

Er fuhr nach Oakland über, suchte Winnetou auf und legte sich bei ihm nieder. Winnetou schlief; er aber wachte. Der Gedanke, daß Sanders sich auf der See vielleicht in Sicherheit befinde, während er selbst, der ihm durch die weite Savanne Schritt für Schritt und unter unsäglichen Anstrengungen und Entbehrungen bis hierher gefolgt war, an das Land gebannt blieb und ihn sich entwischen lassen mußte, folterte ihn, so daß er sich ruhelos hin und her wälzte und die Minuten zählte, die ihn noch von den Seinigen trennten.

Die Habe, welche sie mit sich führten, hatte sie aufgehalten und darum war er mit dem Apatschen ihnen vorausgeeilt, um die Verfolgten nicht aus den Augen zu verlieren. Nach seiner Berechnung konnten sie am Morgen eintreffen, und so erwartete er mit fieberhafter Ungeduld den Anbruch des Tages.

Die Sterne kehren sich nicht an die Wünsche des Menschenherzens; sie gehen ruhig ihren ihnen seit Jahrmillionen vorgeschriebenen Lauf; aber endlich gehen sie doch unter, und das siegreiche Licht des Tages wirft seine Strahlenflut über die weite Erde hin. Der Morgen war da. Sam Fire-gun beneidete den Apatschen um seinen festen, ruhigen Schlaf, und überlegte eben, ob es Zeit sei, ihn zu wecken, als Winnetou plötzlich ganz von selbst in die Höhe sprang, mit munteren, scharfen Augen um sich blickte und dann sich wieder lauschend auf die Erde legte. Dann richtete er sich wieder empor.

»Mein Bruder lege sein Ohr an den Boden!« sagte er.

Der Trapper that es und vernahm ein allerdings kaum zu empfindendes Geräusch, welches sich der Stadt näherte. Der Sohn der Savanne hatte es sogar im Schlafe gemerkt. Winnetou horchte nochmals.

»Es nahen Reiter auf müden Pferden. Vernimmt mein Bruder das Wiehern eines Tieres? Es ist das böse Pferd des fremden Mannes, der auf dem großen Wasser gefahren ist.«

Er meinte mit dieser Umschreibung den Dakotatraber, welchen der Steuermann Peter Polter ritt. Sam Fire-gun wunderte sich nicht über den außerordentlichen Scharfsinn des Indianers; er war ähnliches und noch erstaunlicheres längst von ihm gewohnt. Er sprang erwartungsvoll von der Erde auf und beobachtete die Ecke eines Gesträuches, welches die Nahenden noch verbarg.

Nach einiger Zeit kamen sie zum Vorschein. Das war ich mit dem Neffen des Colonels. Hinter uns ritt der Steuermann, welcher wie gewöhnlich außerordentlich viel mit seinem Pferde zu schaffen hatte. Dann kamen die Jäger, Dick Hammerdull, Pitt Holbers, Bill Potter und einige andre. Jeder von ihnen hatte ein oder mehrere Pferde oder Maultiere, welche schwer beladen zu sein schienen, am Leitzügel.

»Seht ihr das Nest da vorn?« rief Peter Polter. »Ich glaube, es ist endlich dieses San Francisco, welches ich von hier aus nicht kenne, weil ich es nur von der See aus gesehen habe.«

»Ob wir es sehen oder nicht, das bleibt sich gleich,« meinte Hammerdull; »aber, Pitt Holbers, altes Coon, was meinst denn du dazu?«

»Wenn du denkst, daß es Francisco ist, Dick, so habe ich nichts dagegen,« antwortete dieser in seiner gewohnten Weise. »Als uns dort am Wasser die Roten überrumpelten und in ihr Lager schleppten, hätte ich nicht gedacht, daß ich diese Gegend einmal zu sehen bekäme.«

»Ja, alte Segelstange,« bemerkte der Steuermann, »wenn damals Peter Polter aus Langendorf nicht gewesen wäre, so hätten sie Euch die Haut heruntergeschunden und Ihr lägt jetzt ohne Fell in Abrahams Schoß. Doch, schaut einmal da nach Luv hinüber! Ich lasse mich kielholen und dann mit Teer und Werg kalfatern, wenn das nicht der Colonel ist und –«

»Und Winnetou, der Apatsche,« fiel ich ein, mein Pferd zu rascherem Laufe antreibend, so daß ich bald neben den beiden Genannten hielt.

»Gott sei Dank, daß ihr endlich kommt!« rief Sam Fire-gun. »Wir haben auf euch gewartet, wie der Büffel auf den Regen.«

»Es ging nicht schneller, Onkel,« antwortete Wallerstein. »Wir sind die ganze Nacht geritten. Sieh unsre armen Tiere an; sie können kaum noch stehen.«

»Wie ist's, Colonel,« fragte ich; »habt ihr sie erreicht?«

»Nur einen Augenblick kamen wir zu spät. Sie sind entwischt.«

»Entwischt? Wann, wie und wohin?«

Sam Fire-gun erzählte das Geschehene. Ein ärgerlicher Fluch entfuhr den Lippen der Trapper.

»Wart ihr auf der Polizei?« erkundigte ich mich.

»Nein; das hätte uns nur Zeit geraubt.«

»Ganz richtig. Es giebt nur einen Weg. Wir mieten sofort einen guten Dampfer und gehen hinter ihnen her.«*

»Das war auch meine Ansicht, und darum erwartete ich euch mit Ungeduld. Wir sind ja nicht im Besitz von couranter Münze und müssen schleunigst unser Gold umsetzen.«

»Wird nicht viel helfen!« meinte der Steuermann, im höchsten Grade verdrießlich.

»Warum?«

»Ich mag keinen Dampfer; diese Art von Fahrzeugen sind die miserabelsten, die es giebt. Ein guter Segler findet stets Wind; so eine Rauchschaluppe aber braucht Kohlen und findet sie nicht überall. Dann liegt man vor Anker oder gar faul auf offener See und kann weder vor- noch rückwärts gehen.«

»So laden wir ein hinreichendes Quantum.«

»Mit Verlaub, Colonel, ein guter Jäger seid Ihr, das muß man sagen, aber zum Seemann taugt Ihr nichts. Erst müssen wir den Dampfer haben, und es fragt sich, ob gleich so ein Ding zur Hand liegt. Und, paßt auf, diese Yankees handeln und feilschen einen Tag lang mit Euch, ehe Ihr das Fahrzeug bekommt.«

»Ich gebe, was man verlangt.«

»Meinetwegen! Dann wird Proviant, Munition und Kohle geladen, um eine lange Fahrt aushalten zu können. Das Schiff wird endlich besichtigt, ob es seetüchtig ist, und darüber vergehen Stunden und Tage, so daß der ›l'Horrible‹ das Kap doupliert, ehe wir nur zum Auslaufen kommen. Der Teufel hole ihn!«

Die andern schwiegen. Sie mußten sich gestehen, daß die Worte des braven Seemannes nur zu wohl begründet seien.

»Ich kann das Gesagte wohl kaum bezweifeln,« meinte ich endlich; »aber hier halten und das Meer angucken, das führt zu nichts. Jedenfalls hat er schon genug Verfolger auf der Ferse; das ist ein Trost für uns. Und nach müssen wir auf jeden Fall.«

»Aber wohin?«

Die übrigen sahen den Steuermann fragend an.

»Das ist nicht so leicht gesagt,« entschied dieser. »War der ›l'Horrible‹ gut mit Proviant versehen, so haben sie jedenfalls die Route nach Japan oder Australien eingeschlagen.

Dahinzu ist die See frei und ein Entkommen leicht. War er aber schlecht verproviantiert, so sind sie nach dem Süden, um sich an irgend einem Orte der Westküste mit dem Nötigen zu versehen.«

Die Wahrheit dieser Ansicht leuchtete allen ein.

»So werden wir die darauf bezügliche Erkundigung einziehen. Vorwärts!« ermunterte ich die Leute.

Wir ritten durch Oakland und fuhren über. Drüben angekommen, fragte ich Sam Fire-gun:

»Kennt Ihr ein Haus, welches Nuggets kauft, Colonel?«

Dieser antwortete:

»Bellhourst und Compagnie. Habe schon früher mit diesen Leuten zu thun gehabt, die mich wohl noch kennen werden.«

»Ist's weit zu ihnen?«

»Nein. Ihre Office liegt an unsrem Wege nach dem Hafen.«

Wir erreichten das Gebäude. Der Colonel stieg ab und trat hinein. Nach einiger Zeit kam er zurück. Die ganze Gesellschaft verließ die Pferde und brachte den Goldvorrat, welcher ein bedeutender war, in das Comptoir. Er wurde untersucht und gewogen, und bald befand sich Sam Fire-gun im Besitze einer Summe, welche einen wahren Reichtum repräsentierte.

»Das wäre abgemacht,« meinte er. »Nun soll zunächst ein jeder den ihm gehörigen Anteil erhalten!«

Da trat Hammerdull hervor.

»Ob wir ihn erhalten oder nicht, das bleibt sich gleich, Colonel; aber was soll ich mit den alten Papieren thun? Ich brauche sie nicht, Ihr aber habt sie jetzt nötig. Pitt Holbers, altes Coon, was meinst du dazu?«

»Wenn du denkst, Dick, daß wir dem Colonel die Wische lassen, so habe ich nichts dagegen; ich mag sie nicht. Eine fette Bärentatze oder ein Stück saftige Büffellende ist mir lieber. Dir nicht auch, Bill Potter?«

»Bin einverstanden,« nickte dieser. »Ich esse kein Papier und mein Pferd auch nicht, hihihihi. Der Colonel wird es uns schon wiedergeben, wenn er es nicht mehr braucht.«

»Ich danke euch für euer aufopferndes Vertrauen,« antwortete der Genannte; »doch weiß man ja nicht, wie sich die Verhältnisse gestalten werden. Ich zahle euch aus, was ihr zu bekommen habt; mir bleibt mehr als genug übrig. Brauche ich dennoch mehr, so seid ihr ja immer noch da, wenigstens einige von euch, denn allen werde ich nicht zumuten, mir auf die See zu folgen.«

»Ob ihr es uns zumutet oder nicht, das bleibt sich gleich, Colonel; ich gehe mit!«

»Ich auch!« fiel Holbers ein.

»Und ich!« rief der kleine Potter.

»Und ich – und ich!« schlossen sich die übrigen an.

»Das wird sich ja entscheiden,« drängte Sam Fire-gun die treuen Leute zurück. »Jetzt laßt uns zunächst teilen!«

Gleich noch im Comptoir erhielt ein jeder das ihm Gehörige; dann verließen sie das Haus, stiegen wieder auf und ritten dem Hafen zu.

Außer den hier vor Anker liegenden Segelschiffen waren nur einige schwerfällige Schlepp- oder Güterdampfer zu sehen. Alle leichter gebauten Steamer hatten den Hafen verlassen, um die von den anwesenden Kriegsfahrzeugen auf den ›l'Horrible‹ unternommene Jagd ein Stück weit zu verfolgen. Von den letzteren war nur das Panzerschiff zurückgeblieben, dessen Befehlshaber sich noch immer betäubt am Lande befand.

Es war der rührigen Polizei bereits gelungen, einiges Licht in das Dunkel des nächtlichen Ereignisses zu bringen. Ein Bewohner des Parterre jenes Hauses, dessen erste Etage die Frau de Voulettre inne hatte, war zufälligerweise im Garten gewesen, als drei Männer mit einem Koffer denselben passiert hatten. Auch der Kutscher war ermittelt worden, welcher die drei bis vor die Stadt gefahren hatte. Der Besitzer der am weitesten abgelegenen Schifferhütte hatte sich freiwillig gemeldet, um auszusagen, daß in voriger Nacht mehrere Kähne in seiner Nähe gehalten hätten. Er hatte sie beobachtet und gegen vierzig Männer einsteigen sehen, deren Anführer, von noch zweien begleitet, mit einem Koffer eingetroffen war und auf den Zuruf der ausgestellten Wache mit ›der schwarze Kapitän‹ geantwortet hatte. Der Schiffer oder Fischer war natürlich vorsichtig genug gewesen, seine Anwesenheit nicht kund zu geben.

Diese Aussagen, verbunden mit der allgemeinen Sage, daß der Segelmeister des schwarzen Kapitäns ein Frauenzimmer gewesen sei, und endlich verschiedene in der Wohnung der Frau de Voulettre vorgefundene Papiere und sonstige Anzeichen gestatteten einen beinahe sichern Einblick in den Zusammenhang des erst so undurchsichtigen Ereignisses. Dies alles erfuhren die Jäger von der am Quai auf und ab wogenden Menschenmenge, die sich über die Nachricht, daß der einst so furchtbare Seeräuber mitten aus einem sichern und außerordentlich belebten Hafen ein wohlbesetztes Kriegsfahrzeug geraubt habe, in außerordentlicher Aufregung befand.

Der Steuermann musterte die anwesenden Schiffe.

»Nun?« fragte der Colonel ungeduldig.

»Keins, was für uns paßt; lauter Salztonnen und Heringsfässer, die in zehn Monaten kaum zwei Knoten zurücklegen. Und da draußen –«

Er hielt inne. Jedenfalls hatte er sagen wollen, daß weiter draußen auch kein passendes Fahrzeug zu bemerken sei, aber sein scharfes Auge mußte bei dem Blicke, den er hinauswarf, auf etwas gefallen sein, was ihm die begonnene Rede abschnitt.

»Da draußen – – was ist da draußen?« fragte der Colonel.

»Hm, ich will nicht Peter Polter heißen, wenn ganz da hinten nicht ein kleiner, weißer Punkt zu sehen ist, der nichts andres als ein Segel sein kann.«

»Also hier im Hafen finden wir wirklich kein passendes Fahrzeug?«

»Keins. Diese Holztröge schleichen wie die Schnecken und sind selbst für Geld nicht zu haben. Seht Ihr nicht, daß sie ihre Ladung löschen?«

»Und das da draußen?«

»Müssen es ruhig abwarten. Vielleicht geht es vorüber, vielleicht kommt es herein. Macht Euch keine Hoffnung. Auf ein Kriegsschiff kommen dreißig Kauffahrer, und diese Dinger taugen den Teufel zur Verfolgung eines Kapers, selbst wenn der Patron bereit wäre, uns das Fahrzeug zu vermieten. Der Punkt, daß es in den Grund gebohrt werden kann, wiegt schwer, macht viele Umstände und kostet ungeheures Geld.«

»Und dennoch wird's versucht; es ist das einzige, was uns übrig bleibt. Wie viel Zeit kann vergehen, ehe das Schiff einläuft?«

»Eine Stunde und noch mehr, vielleicht gar zwei oder drei, je nachdem es gebaut ist und befehligt wird.«

»So haben wir Zeit. Finden wir ein Fahrzeug, so gehen wir in See; finden wir keins, so müssen wir allerdings das Resultat der Verfolgung ruhig abwarten, ehe wir uns entschließen können über das, was ferner zu thun ist. Wären wir nur zehn Minuten eher eingetroffen, so hätten wir die Halunken festgehabt. Jetzt laßt uns vor allen Dingen unsre Pferde einstellen und ein Store aufsuchen, um unsre abgerissenen Fetzen mit etwas Besserem zu vertauschen!«

Allerdings sahen sie alle mehr Strauchdieben als ehrlichen Männern ähnlich. Sie begaben sich in ein Gasthaus, wo sie ihre Tiere versorgten und ihren eignen Durst und Hunger stillten; dann traten sie in ein Store, wo sie alles fanden, was ihnen notwendig war.

Darüber war einige Zeit vergangen, so daß sie nach dem Hafen zurückkehrten, um nach dem Segel auszuschauen, welches vorhin zu sehen gewesen war.

Der Steuermann schritt voran. Als er an eine Stelle gelangte, welche einen freien Blick auf den Hafen und die Reede bot, blieb er mit einem lauten Ausrufe der Überraschung stehen.

»Behold, welch ein Segler! Da schießt er eben in den Hafen herein wie ein – mille tonnerre, sacre bleu, heiliger Schiffsrumpf, ein Klipper mit Schonertakelage, es ist die ›Swallow‹, die ›Swallow‹, hurrrrrrjeh, juchheisassassassa!«

Er schlug vor Freude die sehnigen Hände zusammen, daß es wie ein Böllerschuß knallte, packte mit dem einen Arme Hammerdull, den Dicken, mit dein andern Pitt Holbers, den Dünnen, und tanzte mit ihnen im Kreise herum, daß die Menge aufmerksam wurde und die Gruppe der Jäger neugierig umringte.

»Ob juchheisassassassa oder nicht, das bleibt sich gleich,« brüllte der sich gegen den unfreiwilligen Tanz sträubende Hammerdull; »laß mich los, du unsinniges Seeungeheuer. Was haben wir mit deiner ›Swallow‹ zu schaffen!«

»Was ihr damit zu schaffen habt? Alles, alles sage ich,« erklärte Peter Polter, die beiden Bedrängten frei gebend. »Die ›Swallow‹ ist ein Kriegsschiff und noch dazu das einzige, welches im Segeln dem ›l'Horrible‹ überlegen ist. Und wer ist sein Kommandeur? Lieutenant Parker, den ich kenne. Ich sage euch, jetzt können uns die beiden Halunken nicht mehr entgehen; jetzt sind sie unser!«

Die Freude des Steuermannes teilte sich allerdings auch den andern mit. Es war ja gar kein Irrtum möglich, denn unter dem Spriete des nahenden schmucken Fahrzeuges breitete eine aus Holz geschnitzte blaue Schwalbe ihre spitzen, vergoldeten Flügel aus. Lieutenant Parker mußte ein kühner, außerordentlich gewandter Seemann sein und sich vollständig auf jeden einzelnen seiner gut geschulten Leute verlassen können, denn er hatte noch nicht ein einziges Reff geschlagen, obgleich er sich schon am Eingange des Hafens befand. Tief auf der Seite liegend, flog das scharf gebaute Fahrzeug unter der schweren Last seiner Segel, wie vom Dampf getrieben, herbei. Ein leichter Rauch stieg an seinem Vorderkastell empor; die üblichen Salutschüsse ertönten; vom Hafen aus wurde die Antwort. Dann hörte man die laute, klangvolle Stimme des Befehlhabers:

»Mann am Steuer, nach Back fall ab!«

Das Schiff beschrieb einen kurzen, graziösen Bogen.

»Die Reffs, Jungens. Laßt los!«

Die Leinwand ließ den Wind fahren und fiel laut schwappend an die Masten. Das Schiff stieg vorn, dann hinten in die Höhe, legte sich tief auf die andre Seite, stand wieder auf und lag dann ruhig auf den breiten Ringen, welche die hereingebrochene Flut gegen die mächtigen Quadern des Quais spülte.

»Hurra, die ›Swallow‹, hurra!« klang es aus tausend Kehlen. Man kannte das prächtige Schiff, oder hatte wenigstens von ihm gehört und wußte, daß es die Jagd aufnehmen werde, auf welche sich die Aufmerksamkeit von ganz San Francisco richtete.

Zwei Männer in Seemannsuniform drängten sich durch die Menge. Sie sahen außerordentlich erregt und angegriffen aus. Der eine trug die Attribute eines Marinelieutenants, der andre die Steuermannsabzeichnung.

Ohne erst zu fragen, sprangen sie in ein leeres Boot, lösten es von der Kette, legten die Ruder ein und schossen auf die ›Swallow‹ zu. Der Befehlshaber derselben stand am Regeling und blickte den Nahenden entgegen.

»Ahoi, Lieutenant Jenner, seid Ihr es? Wo habt Ihr den ›l'Horrible‹?« rief er herab.

»Schnell ein Tau oder das Fallreep, Sir,« antwortete dieser; »ich muß zu Euch an Bord!«

Die Treppe fiel nieder; die beiden Männer legten an und stiegen empor.

»Perkins, mein Maate,« stellte Jenner seinen Begleiter vor. »Herr, Ihr müßt mir augenblicklich Euer Schiff geben,« setzte er atemlos und in höchster Aufregung hinzu.

»Mein Schiff geben? Wieso – warum?«

»Ich muß dem ›l'Horrible‹ nach.«

»Ihr müßt – – ich verstehe Euch nicht.«

»Er ist mir gestohlen, geraubt, entführt worden.«

Parker blickte ihm in das Gesicht, wie man einen Wahnsinnigen beobachtet.

»Ihr treibt sonderbaren Scherz, Lieutenant!«

»Scherz? Der Teufel hole Euern Scherz! Mir ist es nicht wie Spaß. Vergiftet, vom Arzte gequält, von der Polizei gemartert und von der Hafenbehörde coujoniert, ist es einem nicht wie Fastnacht spielen.«

»Ihr sprecht in Rätseln.«

»Laßt Euch erzählen!«

Mit fürchterlicher Wut, die ihm die Glieder erbeben machte, trug er das Geschehene vor; er befand sich in einer Verfassung, die ihn zu der blutigsten That befähigt hätte, und schloß mit der Wiederholung:

»Wie gesagt, Ihr müßt mir Euer Schiff geben!«

»Das ist nicht möglich, Sir.«

»Was, nicht möglich,« rief Jenner mit funkelnden Augen. »Warum?«

»Die ›Swallow‹ ist mir, dem Lieutenant Parker, anvertraut; ich kann sie nur auf höhern Befehl einem andern überlassen.«

»Das ist schändlich, das ist feig, das ist –«

»Herr Lieutenant – –!«

Jenner fuhr bei dem drohenden Klange dieser Stimme zurück. Er gab sich Mühe, seine Erregung zu bemeistern. Parker fuhr in ruhigerem Tone fort:

»Ich will die Beleidigung als ungeschehen betrachten; der Zorn überlegt nicht, was er spricht. Ihr kennt die Gesetze und die Instruktion ebenso gut wie ich und wißt ganz genau, daß ich das Kommando meines Schiffes aus eignet Macht niemand anvertrauen darf. Doch will ich Euch beruhigen. Ich werde die Verfolgung des ›l'Horrible‹ schleunigst aufnehmen. Wollt Ihr mich begleiten?«

»Ob ich will? Ich muß ja mit, und wenn es durch tausend Höllen geht!«

»Gut! War der ›l'Horrible‹ wohl verproviantiert?«

»Auf höchstens noch eine Woche.«

»So ist ihm nichts andres übrig geblieben, als Acapulco anzulaufen; schon Guayaquil oder gar Lima kann er unmöglich erreichen.«

»So werden wir ihn bald haben. Ihr habt ja mir selbst den Beweis geliefert, daß die ›Swallow‹ dem ›l'Horrible‹ überlegen ist. Zieht die Anker wieder auf, Sir; vorwärts, fort, fort!«

»Nicht so hastig, Kamerad! Allzuviel Eile ist oft schlimmer als allzu langsam sein. Zunächst habe ich hier einige Geschäfte zu erledigen.«

»Geschäfte? Mein Gott, wer kann in solcher Lage an Geschäfte denken? Wir müssen augenblicklich in See stechen.«

»Nein, ich muß augenblicklich an das Land, um meine Instruktionen in Einklang mit unsrer Aufgabe zu bringen. Sodann habe ich nicht den nötigen Proviant; auch Wasser und Munition fehlt; ein Dampfer muß besorgt werden, der mich gegen die Flut aus dem Hafen bugsiert und – – wie viel Kanonen hat der ›l'Horrible‹?«

»Acht auf jeder Seite, zwei im Stern und eine Drehbasse vorn.«

»So ist er mir im Gefecht überlegen. – Forster!«

»Ay, Sir!« antwortete, näher tretend, der Steuermann, dem von seinem bisherigen Platze aus kein Wort der Unterredung entgangen war.

»Ich gehe zur Meldung an Land und werde bis auf das Quai besorgen, was wir brauchen. Schickt einen Mann dort nach dem Schlepper; er scheint Zeit zu haben und soll sich in einer Stunde vor uns legen. Länger werde ich nicht abwesend sein.«

»Well, Sir!«

»Fällt Euch vielleicht etwas ein, was -nötig wäre?«

»Wüßte nicht, Kapt'n. Weiß ganz genau, daß Ihr selbst an alles denkt!«

Parker wollte sich jetzt wieder an Jenner wenden, als einer der Leute meldete:

»Ein Boot am Fallreep, Sir!«

»Was für eins?«

»Civil, acht Personen, auch ein Indianer dabei, wie es scheint.«

Der Lieutenant trat an den Regeling und blickte hinab und fragte:

»Was soll's, Leute?«

Ich bat in unser aller Namen, an Bord kommen zu dürfen. Es wurde uns gewährt. Als wir uns an Deck befanden, erklärte ich ihm unser Anliegen. Obgleich er eigentlich keine Zeit hatte, hörte er mich ruhig an und gewährte uns dann die Bitte, die Jagd mitmachen zu dürfen. Wir waren acht Personen: der Colonel, sein Neffe, der Steuermann, Holbers, Hammerdull, Potter, Winnetou und ich.

»Laßt euch vom Maate Plätze anweisen!« sagte Parker. Ach gehe zwar jetzt von Bord, aber in einer Stunde lichten wir die Anker.«

»Nehmt mich mit,« bat Lieutenant Jenner. »Ich kann Euch bei Euren Besorgungen unterstützen und würde hier vor Ungeduld vergehen!«

»So kommt!«

Beide stiegen in dasselbe Boot, welches Jenner zum Schiff gebracht hatte, und ruderten dem Lande zu. Sie waren kaum von dem Fahrzeuge abgestoßen, als sich auf demselben eine possierlich rührende Scene abspielte.

Peter Polter war vor- und auf den Maate zugetreten.

»Forster, John Forster, alter Swalker, ich glaube gar, du bist Maate geworden!« rief er aus.

Der Angeredete sah dem schwarzgebrannten und jetzt vollbärtigen Mann verwundert in die Augen.

»John Forster –? Alter Swalker –? Du –? Der nennt mich du und weiß meinen Namen, obgleich ich ihn nicht kenne. Wer bist du, he?«

»Heigh-day, kennt der Kerl seinen alten Steuermann nicht mehr, von dem er doch so manchen guten Hieb auf die Nase bekommen hat und – was der Teufel!«

Er trat auf Perkins zu, den er erst jetzt von Angesicht zu sehen bekam.

»Da ist ja auch Master Perkins, oder wie der Mann hieß, den ich damals in Hoboken auf der ›Swallow‹ herumgeführt habe, und der mich dann zum Lohn dafür bei Mutter Thick fast unter den Tisch getrunken hat!«

Auch dieser sah ihn staunend an. Es war kein Wunder, daß sie ihn nicht erkannten. Die ganze Schiffsmannschaft stand um die Gruppe, und Peter fuhr voll Freude von einem zum andern.

»Da ist der Plowis, der Miller, der Oldstone, der krumme Baldings, der – –«

»Steuermann Polter!« rief da einer, der es endlich herausgebracht hatte, wer der riesenhafte Fremde sei.

»Polter – Polter, – Hurra, Peter Polter – juch, in die Höhe mit dem alten Kerl, hoch, hoch, hurra!«

So rief, schrie und brüllte es durcheinander; sechzig Arme streckten sich aus; er wurde gefaßt und emporgehoben.

»Hol-la, hol-la, hol-la,« begann einer mit kräftiger Baßstimme; »hol-la, hol-la,« fielen die andern im Marschtakte ein; der Zug setzte sich in Bewegung und »hol-la, hol-la«wurde der beliebte Mann mehrere Male rund um das Deck getragen.

Er fluchte, wetterte und schimpfte; er bat, ihn doch herabzulassen; es half nichts, bis endlich der Maate sich unter herzlichem Lachen in das Mittel legte und ihm zum freien Gebrauche seiner Arme und Beine verhalf.

»Steig herab vom Throne, Peter Polter, und komm vor nach dem Kastell. Du mußt erzählen, wo du herumgesegelt bist, du alter Haifisch, du!«

»Ja, ja, ich will, ich will ja erzählen; so gebt mich doch nur endlich frei, Ihr verteufelten Jungens!« rief er und schlug mit den gewaltigen Armen um Sich, daß die Leute wie schwache Kinder zur Seite flogen.

Unter lautem Lachen und jubeln ward er von der lustigen Rotte Korah, Dathan und Abiram nach dem Vorderdeck gestoßen, geschoben und gezogen und mußte dort wohl oder übel wenigstens in kurzen Umrissen seine Erlebnisse zum besten geben.

Dabei wurde natürlich der Dienst nicht im geringsten versäumt. Der Maate erfüllte den ihm gewordenen Auftrag, und die für die laufenden Arbeiten nötigen Männer sonderten sich von der fröhlichen Gruppe ab, obgleich sie gern bei dem fröhlichen »Tau« gewesen wären, welches Polter abzuwickeln hatte.

Die Jäger waren stille Zeugen dieser Scene gewesen. Sie gönnten dem braven Seemann, den alle liebgewonnen hatten, den Triumph und machten es sich auf dem Deck so bequem, wie es die ihnen ungewohnten Umstände und Verhältnisse gestatteten.

Der Indianer war noch nie auf einem Schiffe gewesen. Er hatte sich auf die Büchse gestützt und ließ sein Auge langsam und gleichgültig über die ihm fremde Umgebung gleiten. Aber wer ihn kannte, der wußte, daß diese Gleichgültigkeit ein tiefes Interesse verbergen sollte, dem selbst der kleinste Gegenstand nicht entgehen konnte.

Es war noch nicht die Hälfte der anberaumten Stunde vergangen, so wurden drüben am Quai die Proviant- und Munitionsvorräte aufgestapelt, welche der Lieutenant bestellt hatte. Sie wurden in Booten abgeholt und an Bord gewunden. Als Parker zurückkehrte, war man mit dieser Arbeit fertig und der Dampfer rauschte auch bereits heran, um die »Swallow« in das Schlepptau zu nehmen.

Jetzt war Kapitän und Mannschaft vollständig in Anspruch genommen, doch als die hohe Reede erreicht war, der Dampfer sich verabschiedet hatte und die Segel gehißt und gestellt worden waren, konnte man sich einer ungestörteren Unterhaltung hingeben.

Was die beiden Lieutenants miteinander zu besprechen hatten, war schon während ihrer Abwesenheit vom Schiffe erledigt worden. Jetzt trat Parker zum Steuer, an welchem Peter Polter neben Forster stand.

»Ihr seid Peter Polter?« fragte er ihn.

»Peter Polter aus Langendorf, Kapt'n,« salutierte der Gefragte in strammer, dienstlicher Haltung, »Hochbootsmannsmaat auf Ihrer englischen Majestät Kriegsschiffe Nelson, dann Steuermann auf dem Vereinigten-Staaten Klipper ›Swallow‹ –«

»Und jetzt Steuermann par honneur auf demselben Schiffe,« fügte der Lieutenant hinzu.

»Kapt'n.« rief Polter erfreut und schickte sich an, eine Dankesrede zu halten, der Kommandeur aber winkte ihm abwehrend zu.

»Schon gut, Steuermann! Was meint Ihr zu dem Kurs, den der ›l'Horrible‹ eingeschlagen haben wird?«

Peter Polter merkte recht gut, daß der Lieutenant diese Frage nur aussprach, um seine seemännische Umsicht einer kleinen Prüfung zu unterwerfen. Er fühlte sich vollständig in seinem Elemente und antwortete daher kurz, wie es sich einem Offizier gegenüber schickt:

»Wegen Mangel an Proviant nach Acapulco.«

»Werden wir ihn bis dahin erreichen?«

»Ja, der Wind ist günstig, und wir segeln mehr Knoten als er.«

»Wollt Ihr Euch mit Forster in das Steuer teilen?«

»Gern.«

»So seht gut nach Kompaß und Karte, damit wir strikte Richtung haben!«

Er wollte sich abwenden, wurde aber durch eine ganz unerwartete Frage Peters davon abgehalten-

»Nach Acapulco oder Guayaquil, Sir?«

»Warum Guayaquil?«

»Um ihn zu überholen und von vorn zu nehmen. Er ist uns dann Sicherer, weil er die Verfolger nur hinter sich vermuten kann.«

Parkers Augen blitzten auf.

»Steuermann, Ihr seid kein übler Maate. Ihr habt recht, und ich werde Euch ohne Zögern folgen, obgleich er auf den Gedanken kommen kann, von Acapulco aus uns auf der Sandwich-Route zu entgehen.«

»So müssen wir zwischen dem Süd- und Westkurs kreuzen, bis wir ihn haben.«

»Richtig! Legt zwei Strich nach West hinüber, Forster. Ich werde alle Tücher hissen. Meine Instruktion lautet ungesäumt nach New York zurück, und der Handel mit dem ›l'Horrible‹ kann nur als kurzes Intermezzo gelten.«

Er sprach das so gelassen, als sei der Weg um Kap Horn bis New York und die Wegnahme eines Piraten eine ganz alltägliche Kleinigkeit. Dann trat er zu der Gruppe der Jäger, welchen er sein Willkommen aussprach und dann ihre Plätze anweisen ließ. Der Indianer schien ihn sehr zu interessieren.

»Hat Winnetou nicht Sehnsucht nach der Heimat der Apatschen?« fragte er ihn.

»Die Heimat des Apatschen ist der Kampf,« lautete die stolze Antwort.

»Der Kampf zur See ist schlimmer, als der Streit zu Lande.«

»Der Häuptling des großen Kanoe wird Winnetou nicht zittern sehen!«

Parker nickte; er wußte, daß der Indianer die Wahrheit gesprochen habe.

Die Aufregung, welche der Tag mit sich gebracht hatte, legte sich allmählich, und das Leben am Bord kam gar bald wieder in das gewöhnliche, ruhige Gleis. Tag verging um Tag; einer glich so vollständig dem andern, daß die an die unbeschränkte Freiheit der Prairie gewöhnten Jäger nach und nach an der Langeweile zu leiden begannen.

Die Breite von Acapulco lag schon seit gestern hinter ihnen und Parker befahl, herumzulegen, um beide Kurse, nach Guayaquil und den Sandwichsinseln, im Auge behalten zu können.

Eine sehr stramme Brise hatte sich erhoben und die Sonne sank zwischen kleinen, aber dunklen Wölkchen im Westen.

»Werden morgen eine ganze Handvoll Wind haben, Kapt'n,« meinte Peter Polter zu Parker, als dieser auf einem Spaziergange über das Deck am Steuer vorbeikam.

»Wäre gut für uns, wenn uns dabei der Kaper in die Hände liefe. Er vermag im Sturm nicht zu manövrieren wie wir.«

»Segel in Sicht!« ertönte es da vom Masthead herab, wo einer auf dem Ausguck saß.

»Wo?«

»Nordost bei Nord.«

Im Nu war der Lieutenant oben und nahm dem Manne das Glas aus der Hand, um das gemeldete Segel zu beobachten. Dann kletterte er in sichtbarer Hast herab und trat auf das Quarterdeck, wo Jenner ihn erwartete.

»Hand an die Brassen!« ertönte sein Befehl.

»Was ist's?« fragte Jenner.

»Ist nicht genau zu sehen, jedenfalls aber ein Dreimastenschiff wie der ›l'Horrible‹. Wir sind kleiner und unter dem Blendstrahle der Sonne; er hat uns also noch nicht gesehen. Ich werde die Segel tauschen.«

»Wie?«

Parker lächelte.

»Eine kleine Einrichtung, die ganz geeignet ist, einen auf größere Entfernung hin unsichtbar zu machen. Hinauf zu den Raaen!«

Wie die Katzen waren die wohlgeschulten Matrosen sofort oben.

»Weg mit Klüver-, Stangen- und Vorstangensegel. Refft und beschlagt!«

Im Nu wurde das Kommando ausgeführt. Das Schiff lief nun mit halber Geschwindigkeit.

»Das schwarze Tuch. Gebt acht!«

Einige dunkle Segel wurden auf dem Deck parat gehalten.

»Tauscht um das Haupt-, Fock- und Bugsegel!«

In wenigen Minuten befand sich dunkle Leinwand an Stelle der lichten. Die ›Swallow‹ war jetzt für das nahende Schiff unsichtbar.

»Maate, leg um nach Südwest bei Süd!«

Die ›Swallow‹ ging jetzt langsam vor dem andern Fahrzeuge her. Ihre sämtliche Besatzung hatte sich auf dem Deck versammelt. Parker aber stieg wieder empor, um zu beobachten. Es war über eine halbe Stunde vergangen und die Dunkelheit brach herein, als er wieder herabkam. Sein Gesicht drückte innige Befriedigung aus.

»Alle Mann an Deck!«

Dieses Kommando war eigentlich gar nicht nötig; die Leute standen schon alle um ihn herum.

»Jungens, es ist der ›l'Horrible‹. Paßt auf, was ich euch sage!

Mit gespannter Erwartung drängten sie sich näher.

»Ich will den Kampf Bord gegen Bord vermeiden. Ich weiß, daß keiner von euch sich fürchtet, aber ich muß ihn unbeschädigt haben. Er hat sich außer Völkerrecht gestellt und soll als Räuber behandelt werden. Wir werden ihn mit List nehmen.«

»Ay, ay, Kapt'n, so ist's recht!«

»Wir haben Neumond und die See ist schwarz. Wir treiben bloß mit dem Hauptsegel vor ihm her; er muß uns für notleidend halten, wird beidrehen und uns als gute Prise betrachten.«

»So ist's!« klang es zustimmend.

»Ehe er uns ansegelt, setzen wir die Boote aus. Der Maate behält die ›Swallow‹ mit nur sechs Mann. Wir andern gehen fertig zum Entern in die Boote, und während er vom Back sich mit dem Schiff beschäftigt, steigen wir vom Steuer auf sein Deck. Jetzt macht euch fertig!«

Es war ein gewagter Plan, den der kühne Mann entworfen hatte, aber er traute den Umständen und seinem guten Glücke, welches ihn bisher noch nie verlassen hatte.

Während die ›Swallow‹ in langsamer Fahrt durch die Wogen strich, schoß der ›l'Horrible‹ mit seiner gewöhnlichen Geschwindigkeit vorwärts. Es war Nacht geworden, kein Segel zu erblicken gewesen und die Besatzung fühlte sich vollständig sicher. Sanders hatte soeben eine Unterredung mit seiner Gefangenen gehabt, resultatlos wie immer, und schickte sich nun an, die Ruhe zu suchen, als plötzlich aus ziemlicher Entfernung ein matter Schuß ertönte.

Schnell war er an Deck. Ein zweiter Schuß ließ sich hören; ein dritter folgte.

»Notschüsse, Kapt'n,« meinte der lange Tom, der in seiner Nähe stand.

»Wäre es hinter uns, so könnte es eine Kriegslist sein, vor uns aber ist das ganz unmöglich. Jedenfalls ist es ein verunglücktes Fahrzeug ohne Masten, sonst hätten wir vor Abend seine Segel sehen müssen. Constabel, eine Rakete und drei Schüsse!«

Die Rakete stieg empor und die Schüsse krachten. Die Notzeichen des andern Fahrzeugs wiederholten sich.

»Wir kommen näher, Tom; es wird eine Prise, nichts weiter.« Er zog das Nachtrohr an das Auge. »Schau, dort liegt es; es trägt nur ein altes Hauptsegel. Die Luft ist etwas steif, aber ich werde beidrehen, um mit ihm zu sprechen!«

Er gab die nötigen Befehle; die Segel fielen; das Schiff drehte sich herum und trieb dann in geringer Entfernung neben der ›Swallow‹ her.

»Ahoi, welch ein Schiff?« tönte es herüber.

Fast die ganze Besatzung des ›I'Horrible‹ hatte sich nach Backbord gedrängt.

»Vereinigte-Staaten-Kreuzer. Was drüben für eins?«

»Vereinigte-Staaten-Klipper ›Swallow‹ Lieutenant Parker,« ertönte es statt von drüben an der Steuerbordseite des ›l'Horrible‹.

Eine wohlgezielte Salve krachte mitten unter die Briganten hinein, und dann stürzte sich eine Schar dunkler Gestalten auf sie, die einen Überfall für unmöglich gehalten hatten und nicht einmal notdürftig bewaffnet waren. Parker hatte seinen Plan ausgeführt, die Boote ausgesetzt und war von der unbeobachteten Seite an den ›l'Horrible‹ gekommen, den er enterte.

Nur eine einzige Person hatte das Nahen der Kähne bemerkt – die Miß Admiral. Kaum hatte der Kapitän die Thür hinter ihr verschlossen, so richtete sie sich trotz ihrer Fesseln unter unsäglicher Mühe empor und trat an die Wand der Koje, in welcher sie einen langen, scharfkantigen Nagel entdeckt hatte. Schon mehrere Nächte lang hatte sie gearbeitet, um an demselben ihre Banden zu durchreiben, und heut, so weit war es bereits gediehen, mußte sie frei von ihnen sein. Schon befand sie sich in voller Thätigkeit, als die drei Schüsse ertönten; dann vernahm sie das Rauschen nahender Ruderschläge.

Was gab es? Einen Überfall? Einen Kampf? Die Rettung Notleidender? jeder dieser Fälle war geeignet, ihr Vorhaben zu unterstützen. Fünf Minuten fürchterlicher Anstrengung machten ihr die Hände frei und schon fielen die Bande auch von ihren Füßen, als droben auf dem Verdeck Revolverschüsse krachten und sich das Getrampe eines entsetzlichen Faustkampfes erhob. Sie fragte sich nicht nach der Ursache desselben; sie wußte, daß Sanders noch oben sei. Mit einem kräftigen Tritte sprengte sie die Thür zur Kajüte auf und riß von den an der Wand hängenden Waffen so viele herunter, als sie brauchte, um für alle Fälle gerüstet zu sein. Dann warf sie einen forschenden Blick durch die Steuerbordluke hinaus auf das Wasser. Drei Boote hingen an einem Tau, welches man unvorsichtigerweise bei Einbruch der Nacht nicht eingezogen hatte.

»Überfallen,« murmelte sie. »Von wem? Ha, das ist die Strafe! Der ›l'Horrible‹ ist wieder verloren, und ich werde diesen Sanders selbst an das Messer liefern. Noch sind die Gefangenen nicht übergetreten! Ich werde sie befreien und dann fliehen. Wir befinden uns unter der Breite von Acapulco. Komme ich unbemerkt in ein Boot, so bin ich in zwei Tagen am Lande!«

In einer Ecke der Kajüte stand ein kleiner Handkoffer. Sie nahm einen Teller voll Biskuits und zwei Flaschen Limonade auf, die auf dem Tische standen; dann öffnete sie das geheime Fach und entnahm ihm seinen Schatz, den sie auch im Koffer verbarg. Nun schlich sie sich nach oben bis zur Luke, um zu rekognoszieren. Die Räuber waren überfallen und auf das Hinterdeck gedrängt; sie mußten unterliegen.

Rasch tauchte sie wieder unter das Deck, begab sich nach dem Kielraum und riß -den Riegel von der Luke, die ihn verschloß.

»Seid ihr wach?« fragte sie die gefangene vorige Bemannung des ›l'Horrible‹.

»Ja, ja. Was ist oben los?«

»Die Piraten sind überfallen. Seid ihr gefesselt?«

»Nein.«

»So eilt nach oben, und thut eure Schuldigkeit! Doch, halt, wenn der schwarze Kapitän diesen Abend überlebt, so sagt ihm, die Miß Admiral läßt ihn grüßen!«

Sie sprang voraus, eilte in die Kajüte zurück, ergriff den Koffer und stieg an Deck, Sie erreichte unbemerkt den Regeling. Die eine Hand zwischen die Angriffe des Koffers steckend, wollte sie sich an dem Tau zu den Booten hinabturnen; da wurde sie gefaßt. Peter Polter hatte sie gesehen, sprang herbei und packte sie von hinten.

»Halt, Bursche!« rief er. »Wohin willst du mit diesem Koffer segeln? Bleib noch ein wenig da!«

Sie antwortete nicht, gab sich aber alle Mühe, sich ihm zu entreißen, vergeblich. Gegen seine Riesenkraft konnte sie nicht aufkommen. Er hielt sie so fest, daß sie sich nicht rühren konnte, und rief einige Kameraden herbei, von denen sie gebunden wurde. Freilich ahnten sie noch nicht, was für einen Fang sie da gemacht hatten.

Sanders war durch den Überfall in eine fürchterliche Überraschung versetzt worden, hatte sich jedoch rasch gesammelt.

»Herbei zu mir!« schrie er, zum Hauptmaste springend, um für sich und die Seinen eine feste Position zu gewinnen.

Die Untergebenen folgten seinem Rufe.

»Wer Waffen trägt, hält stand; die andern durch die Hinterluke nach den Enterbeilen!«

Es war der einzige Rettungsweg, den diese Worte vorschrieben. Während die wenigen, welche zufälligerweise mit Waffen versehen waren, sich dem andringenden Feinde entgegenwarfen, eilten die übrigen nach unten und kehrten im Handumdrehen zurück, mit Dolch und Enterbeil bewaffnet.

Obgleich der erste Angriff seine Opfer gefordert hatte, waren die Räuber der Besatzung der ›Swallow‹ an Zahl noch weit überlegen, und es entspann sich ein Kampf, der um so fürchterlicher war, als seine Einzelheiten und das Terrain nicht zu überblicken waren.

»Fackeln herbei!« brüllte Sanders.

Auch dieser Befehl wurde ausgeführt. Kaum aber verbreitete sich der Schein des Lichtes über die blutige Scene, so fuhr der Kapitän zurück, als habe er ein Gespenst erblickt. War's möglich? Grad vor ihm, den Tomahawk in der Rechten, das Skalpmesser in der Linken, stand Winnetou, der Häuptling der Apatschen, und an seiner Seite wehte das weiße, mähnenartige Haar von Sam Fire-gun.

»Die weiße Schlange wird ihr Gift hergeben!« rief der erstere, warf die im Wege Stehenden auf die Seite und faßte Sanders an der Kehle. Dieser wollte den Feind abschütteln; es gelang ihm nicht; auch der Colonel hatte ihn ergriffen; er fühlte sich emporgehoben und zu Boden geschmettert, dann vergingen ihm die Sinne.

Die Überrumpelung war über die Räuber gekommen wie ein wirrer, angstvoller Traum; die Überraschung hielt ihre Kräfte gefangen, und der Fall ihres Anführers raubte ihnen sowohl den Zusammenhalt als auch den letzten Rest von Mut.

In diesem Augenblicke öffnete sich die Luke und spie die gefangene Mannschaft des ›l'Horrible‹ aus. Der erste, den der vorderste von diesen Leuten erblickte, war Lieutenant Jenner.

»Hurra, Lieutenant Jenner, hurra, drauf auf die Halunken!« schrie er.

Ein jeder raffte von den umherliegenden Waffen auf, was ihm in die Hand kam; die Räuber gerieten zwischen zwei Treffen; sie waren verloren.

Zwei standen, Rücken an Rücken, mitten unter ihnen; wer ihnen zu nahe kam, büßte mit dem Tode. Es waren Hammerdull und Holbers. Da drehte der letztere den Kopf zur Seite, damit er von dem Gefährten verstanden werde.

»Dick, wenn du denkst, daß dort der Schuft, der Peter Wolf steht, so habe ich nichts dagegen.«

»Der Peter – verdammter Name, ich bringe ihn niemals fertig. Wo denn?«

»Dort an dem Hickorybaum, den diese wunderlichen Leute Mast nennen.«

»Ob Mast oder nicht, das bleibt sich gleich. Komm, altes Coon, wir fangen ihn lebendig!«

Noch ein andrer hatte Letrier bemerkt, nämlich Peter Polter, der Steuermann. Dieser hatte Messer, Revolver und Enterbeil zur Seite gethan und eine Handspeiche ergriffen, die ihm geläufiger war. Jeder Hieb mit derselben streckte einen Mann nieder. So hatte er sich eine Strecke in den dicht zusammengedrängten Haufen der Räuber hineingekämpft, als er Letrier erblickte. Im nächsten Augenblicke stand er vor ihm.

»Mille tonnerre, der Jean! Kennst du mich, Spitzbube?« fragte er.

Der Gefragte ließ den erhobenen Arm sinken und wurde leichenblaß, er hatte einen Gegner erkannt, dem er nicht zur Hälfte gewachsen war.

»Komm her, mein junge, ich will dir sagen, was die Glocke geschlagen hat!«

Er faßte ihn beim Schopf und bei den Hüften, riß ihn empor und schleuderte ihn mit solcher Macht an den Besan, um welchen das Handgemenge jetzt tobte, daß es laut krachte und er wie zerschmettert und zermalmt zur Erde stürzte. Die beiden Jäger kamen zu spät.

Nun endlich sahen die Piraten ein, daß nicht die leiseste Hoffnung mehr für sie vorhanden sei, und streckten die Waffen, obgleich sie auch dadurch ein Anrecht auf Gnade nicht erlangen konnten.

Ein vielstimmiges Hurra scholl über das Deck; die ›Swallow‹ antwortete mit drei Kanonenschüssen; sie hatte ihren Ruf gerechtfertigt und ihren bisherigen Ehren eine neue, größere hinzugefügt. – – –

Und jetzt, Gentlemen, machen wir einen dritten Sprung; es ist der letzte, aber dafür auch der größeste, denn er führt uns aus dem Stillen Meere nach dem Atlantischen Ocean, nämlich nach Hoboken, der Schwesterstadt von New York. Dort giebt es, grad so wie hier, auch eine liebe, gute Mutter Thick, die von den bei ihr verkehrenden Seeleuten hoch verehrt wird und das Gesicht eines jeden kennt, der einmal bei ihr gewesen ist. Die Gleichheit der Namen ist nichts Auffälliges, denn der amerikanische Seemann pflegt jede wohlbeleibte Wirtin gern ›Mutter Thick‹ zu nennen. Von dieser Hobokener Wirtin war der Steuermann Peter Polter stets ein besonderer Lieblingsgast gewesen.

An dem Tage, den ich meine, beschäftigte sich die allgemeine Unterhaltung in ihrem Lokale mit den politischen und kriegerischen Neuigkeiten des Tages. Der Aufstand der Südstaaten hatte von Tag zu Tag an Ausdehnung gewonnen, und das Glück war den Sklavenbaronen bis jetzt in auffälliger Weise treu und günstig gewesen. Nur sehr vereinzelte kleine Episoden von geringer Tragweite ließen ahnen, daß der Norden sich die Zuneigung der wetterwendischen Göttin wohl noch erobern werde, und je seltener diese Ereignisse waren, mit desto größerem Jubel wurde die Kunde von ihnen von denjenigen aufgenommen, deren Ansichten mit der ebenso humanen, wie thatkräftigen Politik des Präsidenten Abraham Lincoln übereinstimmten.

Da öffnete sich die Thür; einige Seeleute traten ein, welche sich ganz augenscheinlich in einer angenehmen Aufregung befanden.

»Holla, ihr Mannen, wollt ihr hören, was es für eine Neuigkeit giebt?« fragte einer von ihnen, indem er um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, mit der gewichtigen Faust auf den ihm am nächsten stehenden Tisch schlug, daß es krachte.

»Was ist's –? Was soll es sein –? Was giebt's –? Heraus damit; erzähle!« rief es von allen Seiten.

»Was es giebt, oder vielmehr, was es gegeben hat? Nun, was denn anders als ein Seegefecht, ein Treffen, welches seinesgleichen sucht.«

»Ein Seegefecht – ein Treffen –? Wo – wie – wann – zwischen wem?«

»Wo? – auf der Höhe von Charlestown. Wie? – verteufelt wacker. Wann? – den Tag weiß ich nicht, vor ganz kurzem jedenfalls. Und zwischen wem? – ratet einmal!«

»Zwischen uns und den Rebellen!« rief einer.

Alles lachte. Der Angekommene lachte mit und rief:

»Schau, was du für ein kluger und gescheiter junge bist, so etwas Schwieriges sofort zu erraten! Daß es zwischen uns und dem Süden sein muß, das ist ja so flüssig wie Seewasser; aber wie die Schiffe heißen, he, das wird deine Weisheit wohl nicht so schnell finden!«

»Welche sind es? Wie heißen sie, und wer hat gesiegt?« klang rund umher die stürmische Aufforderung.

»Was das Widderschiff ›Florida‹ ist – –«

»Die ›Florida‹ ist's gewesen?« unterbrach ihn Mutter Thick, indem sie sich mit ihren dicken Armen durch die Gäste Bahn brach, um in die unmittelbare Nähe des Berichterstatters zu gelangen. »Die ›Florida‹ ist das neueste, größte und stärkste Fahrzeug des Südens und soll mit seinem Teufelssporn vollständig unwiderstehlich sein. Es ist aus lauter Eisen gebaut. Wer hat es gewagt, diesen Leviathan anzugreifen?«

»Hm, wer? Ein kleiner Lieutenant mit einem ebenso kleinen Schiffe, der noch dazu nur ein Klipper ist und sich um Kap Horn herum müd gesegelt hat. Ich meine die ›Swallow‹, Lieutenant Parker.«

»Die ›Swallow‹ – Lieutenant Parker –? Unmöglich! Gegen die Florida können zehn Linienschiffe nichts ausrichten, wie soll es da einem Klipper in den Sinn kommen, ein solches Ungeheuer – –«

»Stopp!« fiel da Mutter Thick dem Sprecher in die Rede. »Sei still mit deinem Klipper, von dem du nichts verstehst. Ich kenne die ›Swallow‹ und auch den Parker, der mehr wert ist als alle deine zehn Linienschiffe zusammengenommen. Ein guter Seemann weiß, daß die Größe allein keinen Ausschlag giebt; es kommen vielmehr eine Menge andrer Umstände in Betracht, die es dem kleinen David möglich machen, den großen Goliath zu Fall zu bringen, wie es ja auch sogar in der Bibel zu lesen ist. Aber die ›Swallow‹ ist ja in den Gewässern von Kalifornien, he?«

»Gewesen – gewesen, hat aber Ordre erhalten, um das Kap nach New York zu gehen. Sie muß ein ganz vertracktes Fahrzeug sein; ihr habt ja doch alle die Geschichte von dem ›l'Horrible‹ gehört, den der schwarze Kapitän von der Reede von San Francisco weggenommen hatte und den der Parker so prachtvoll wieder holte. Beide, die ›Swallow‹ und der ›l'Horrible‹, haben von da an zusammengehalten, sind vom Süden herauf, an Brasilien vorüber und bis auf die Höhe von Charlestown gesegelt und da auf die ›Florida‹ gestoßen, die sofort die Jagd auf sie begonnen hat. Parker hat das Kommando der beiden Segler gehabt, den ›l'Horrible‹ scheinbar zur Flucht auf die hohe See hinaus dirigiert und der ›Swallow‹ die Stangen und Spieren nebst dem Segelwerke heruntergenommen, so daß es geschienen hat, als sei sie von Sturm und Wetter so fürchterlich mitgenommen, daß sie lahm gehe und der ›Florida‹ in die Hände fallen müsse.«

»Ja, ein Teufelskerl dieser Parker!« meinte Mutter Thick. »Weiter, weiter!«

»Das Widderschiff hat sich wirklich täuschen lassen und ist der ›Swallow‹ bis in die Untiefen von Blackfoll gefolgt, wo es sich festgeritten hat. Nun erst hebt Parker die Stangen und Spieren, zieht die Leinwand auf, ruft den ›l'Horrible‹ herbei und beginnt ein Bombardement auf den hilflosen Koloß, welches ihm den Rest gegeben hat. Einer der ersten Schüsse hat ihm das Steuer fortgenommen; es ist sogar zum Entern gekommen und dabei teufelsmäßig blutig hergegangen; aber die ›Florida‹ liegt auf dem Grund, und die beiden andern sind bereits unterwegs und können jeden Augenblick hier Anker werfen.«

»Beinahe unglaublich! Wo hast du es her?«

»Hab's auf der Admiralität gehört, wo man es sicher schon seit längerer Zeit wüßte, wenn die Telegraphen nicht von den Rebellen zerstört worden wären.«

»Auf der Admiralität? Dann ist's auch wahr, und ich will es dem armen Jenner vom ›l'Horrible‹ gönnen, daß es ihm auf diese Weise gelungen ist, die Scharte wegen des schwarzen Kapitäns so leidlich auszuwetzen.«

»Ja, das ist nun endlich einmal eine Kunde, die das Herz erfreut und die Seele erhebt,« meinte die Wirtin. »Hört, Jungens, ich werde euch ein Gratisfäßchen anstecken lassen; trinkt, so lange es euch schmeckt, auf das Wohl der Vereinigten Staaten, des Präsidenten, der ›Swallow‹ und – und -und – –«

»Und auf das Wohl von Mutter Thick!« rief einer, das Glas erhebend.

»Hoch, vivat Mutter Thick!« antwortete es von allen Ecken und Enden.

»Hoch, Mutter Thick, vivat, alte Schaluppe!« rief auch eine dröhnende Baßstimme unter der geöffneten Thür.

Alle wandten sich nach dem Manne um, welcher eine so außerordentlich kräftige Kehle besaß. Kaum aber hatte die Wirtin ihn erblickt, so eilte sie mit einem Ausrufe der freudigsten Überraschung auf ihn zu.

»Peter, Peter Polter, tausendmal willkommen in Hoboken! Wo kommst du denn her, alter junge? Aus dem Westen?«

»Ja, tausendmal willkommen in Hoboken,« antwortete er. »Komm, ich muß dich wieder einmal in meine Arme quetschen; gieb mir einen Kuß! Halte-là, heigh day, – heda, ihr Leute, laßt mich doch einmal hindurch. Komm her an meine Weste, mein Bijou!«

Er warf die im Wege Stehenden wie Spreu auseinander, faßte die Wirtin bei der umfangreichen Taille, hob sie trotz ihrer Schwere zu sich empor und drückte ihr einen schallenden Schmatz auf die Lippen.

Sie litt diese Liebkosung trotz der vielen Zeugen so ruhig, als sei dieselbe etwas ganz Alltägliches und Selbstverständliches, dann wiederholte sie die schon einmal ausgesprochene Frage nach dem Woher.

»Woher? Na, woher denn anders als auf der ›Swallow‹ um Kap Horn herum!«

»Auf der ›Swallow‹?« rief es aus aller Lippen.

»Ja, wenn es euch recht ist, ihr Leute.«

»So wart Ihr auch mit gegen die ›Florida‹?«

»Versteht sich! Oder meint ihr etwa, daß der Peter Polter aus Langendorf sich vor der ›Florida‹ fürchtet?«

»Erzählt, Master, erzählt! Was seid Ihr auf dem Schiffe? Ist es schon hier oder – –«

»Stopp! Euch fahren ja die Fragen aus dem Munde, wie die Jodler dem Schiffsjungen, wenn er Prügel bekommt. Ich werde euch meine Leine ganz nach der richtigen Ordnung abwickeln. Ich bin der Peter Polter aus Langendorf, Hochbootsmannsmaat auf ihrer englischen Majestät Kriegsschiff ›Nelson‹, dann Steuermann auf dem Vereinigten-Staaten-Klipper ›Swallow‹, dann deutscher Polizeilieutenant in der Prairie, nachher wieder Steuermann und zwar par honneur auf der ›Swallow‹, und bin nun jetzt – –«

»Gut, gut, Peter,« fuhr ihm Mutter Thick dazwischen, »das hat nachher auch noch Zeit; vor allen Dingen aber komme ich mit meinen Fragen; die sind notwendiger als alles andre. Du hast mir von Valparaiso aus einen Brief geschrieben, in dem so viele Namen und Geschichten und Schreibfehler vorkamen, daß ich es mir anfänglich gar nicht zurechtlegen konnte. Wie steht es mit all den Leuten, die bei dir waren? Wo sind sie jetzt? Wie war es mit dem Wallerstein, dem Heinrich Sanders und Peter Wolf? Was ist's mit dem ›l'Horrible‹ und dem schwarzen Kapitän? Ich denke, ihr suchtet ihn im Westen, und doch hörte ich, daß ihn die ›Swallow‹ zur See gefangen hat! Habt ihr den Sam Fire-gun, oder wie er hieß, getroffen und war es auch der richtige Onkel? Wie steht es mit dem deutschen Polizisten? Und in welcher Gegend habt ihr denn eigentlich – –«

»Bist du bald fertig, Alte,« rief lachend der Steuermann, »oder hast du noch genug Atem, um in dieser Weise noch einige Stunden fort zu schwadronieren? Heilige Flattuse, hat dieses Frauenzimmer ein Schnatter- und Plapperwerk! Gieb einen vollen Krug her; eher bekommst du keine Antwort! Vorher aber will ich diesen Gentlemen die Geschichte mit der ›Florida‹ erzählen. Das andre ist nicht für jedermann; das sollst du drin in der andern Stube hören.«

»Nicht einen Tropfen bekommst du, bis ich wenigstens nur ein klein wenig weiß, woran ich bin!«

»Neugierde, die du bist! So frage noch einmal, aber einzeln und kurz!«

»Der Wallerstein? wo ist er?«

»Auf der ›Swallow‹.«

»Der Polizist?«

»Auf der ›Swallow‹.«

»Der schwarze Kapitän?«

»Auf der ›Swallow‹ gefangen.«

»Der böse Jean?«

»Auch.«

»Der Onkel Sam Fire-gun?«

»Ist auch da.«

»Lieutenant Parker?«

»Natürlich auch, aber verwundet.«

»Verwundet? Mein Gott, ich hoffe doch nicht, daß –«

»Papperlapapp! Ein paar Schrammen, weiter nichts; er wird für einige Zeit Urlaub nehmen müssen. Es ging ein wenig heiß her auf der ›Florida‹, aber wir haben da drinnen in der verdammten Prairie noch ganz andre Dinge durchmachen müssen. Zum Beispiel mein Pferd, der Racker, war ein wahrer Dämon von einem satanischen Drachen und ich kann heut noch nicht sagen, ob ich mir nicht einige Schock Knochen aus dem Leibe herausgeritten habe. Doch, du wolltest ja f tagen!«

»Wo ist die ›Swallow‹?«

»Sie kreuzt bei widrigem Winde draußen vor dem Lande; der Forster steht am Steuer. Unterdessen ging der Kapt'n auf einem Dampfboote mit mir herein, um seine Meldung zu machen, während ich hier auf ihn warte.«

»Du wartest auf ihn? Hier bei mir? So wird er hier vorsprechen?«

»Versteht sich! Ein braver Seegaste kehrt zu allererst bei Mutter Thick ein, wenn er in New York vor Anker geht. Und in einer Stunde ist die ›Swallow‹ im Hafen, da kommen noch andre auch herbei, der Pitt Holbers-«

»Pitt Holb – –«

»Der Dick Hammerdull –«

»Dick Hammerd – –«

»Der Colonel Fire-gun –«

»Colonel Fire-gun –«

»Der Wallerstein, Treskow, der kleine Bill Potter, Winnetou, der Häuptling der Apatschen und –«

»Winnetou, der Häupt – –«

Die Namen blieben der guten Mutter Thick im Munde stecken, so überrascht war sie, eine so interessante Gesellschaft von Männern bei sich zu sehen. Plötzlich aber besann sie sich glücklicherweise auf ihre Pflicht als Wirtin.

»- ling der Apatschen,« fuhr sie daher in ihrem Ausrufe fort. »Aber, da stehe ich und faulenze, und in einer Stunde habe ich die Sirs zu bedienen! Ich eile, ich fliege, ich gehe, Peter, um mich auf sie vorzubereiten. Erzähle einstweilen diesen Leuten hier die Geschichte von der ›Florida‹, die ihr auf den Grund gebohrt habt!«

»Ja, das werde ich, aber sorge dafür, daß ich immer etwas im Kruge habe, denn ein Seegefecht muß auch in der Erzählung feucht gehalten werden!«

»Keine Angst, Steuermann,« wurde er von den andern getröstet; »wir werden Euch schon mit begießen helfen!«

»Schön, gut! Also hört, ihr Mannen, wie es mit der ›Florida‹ zuging: Wir hatten den Äquator und nachher die Antillen längst hinter uns, doublierten den Finger vor Florida und näherten uns dann Charlestown. Natürlich hielten wir uns so weit wie möglich in die See hinaus, denn Charlestown gehört den Südstaaten, die ihre Kaper und Kreuzer weit hinausschicken, um jeden ehrlichen Nordländer wegzufangen.«

»War der ›l'Horrible, mit?«

»Versteht sich. Er war von Anfang an uns stets in unserm Kielwasser gefolgt, weshalb wir immer nur halbe Segel nehmen durften, da wir besser fuhren. So kamen wir glücklich und ungesehen vorwärts und hatten endlich auch Charlestown hinter uns, weshalb wir wieder mehr auf das Land zuhielten.«

»Da traft ihr nun auf die ›Florida‹?«

»Wart's ab, Grünschnabel! Da stehe ich eines Morgens am Steuer – ihr müßt nämlich wissen, daß ich vom Kapt'n die Stelle eines Steuermanns par honneur bekam, wie ich euch schon vorhin sagte – und denke eben an Mutter Thick und was für Freude sie haben werde, wenn ich wieder einmal bei ihr sein darf; wir segeln ein weniges voraus, während der ›l'Horrible‹ uns mit voller Leinwand folgt, da ruft der Mann vom Ausguck:

»Rauch Nordost bei Ost!«

Ihr könnt euch denken, daß wir sofort alle Mann auf Deck waren, denn mit einem Dampfer, wenn er die feindliche Flagge trägt, ist nicht gut spaßen. Der Kapt'n ist auch sofort oben am Masthead und zieht das Rohr; dann schüttelt er den Kopf, steigt wieder herab und läßt ein Reff legen, damit der ›l'Horrible‹ in Sprachweite an uns komme. Als dies geschehen ist, ruft er hinüber:

»Dampfer gesehen, Lieutenant?«

»Ay, Sir!«

»Was wird's für einer sein?«

»Weiß nicht,« antwortete Lieutenant Jenner; »das Fahrzeug hat weder Mast noch Rumpf; es geht tief, sehr tief, Sir.«

»Wird eins von den südstaatlichen Widderschiffen sein. Wollt Ihr ihm aus dem Wege gehen?«

»Ich thue, was ihr thut.«

»Gut; sehen wir uns den Mann ein wenig an!«

»Well, Sir; aber wir sind um das Zehnfache zu schwach.«

»Schwächer, aber schneller. Wer kommandiert?«

»Ihr.«

»Danke! Wir lassen ihn heran; zieht er die feindliche Flagge, so flieht Ihr langsam vor ihm in die Lee; ich sorge dafür, daß er sich an mich hält und führe ihn auf den Sand. Dann kommt Ihr und laßt ihn Eure Kugeln schmecken!«

»Well, Well! Noch etwas?«

»Nein!«

Darauf ziehen wir die großen Segel auf, nehmen das kleine Werk samt Stangen und Spieren herab, so daß es aussieht, als hätten wir im Sturm Havarie erlitten und könnten nicht von der Stelle, und lassen den Mann auf Schußweite an uns herankommen. Er giebt das Signal zum Hissen der Flagge; wir ziehen die Sterne und Streifen, er aber läßt die südstaatlichen Fetzen sehen. Es war das neue Widderschiff ›Florida‹, mit Doppelpanzer und einem Spießhorne, mit welchem es die beste Fregatte in Grund und Boden rennen kann.«

»Und an den habt Ihr Euch gewagt?«

»Pah, ich bin der Peter Polter aus Langendorf und habe mich mit den schuftigen Ogellallahs herumgehauen. Weshalb sollte ich mich da vor so einer Blechkanne fürchten? Ein gutes Holzschiff ist besser als so ein Eisenkasten, von dem man sich nicht einmal einen elenden Zahnstocher herunterschlitzen kann. Unser Admiral Farragut sagt auch so.

Also er fordert uns auf, uns zu ergeben, wir aber lachen und schießen unter seinen Kugeln vorüber. Er wendet, um uns nachzukommen und uns den Sporen in das Holz zu rennen; ich werfe das Steuer herum und weiche ihm aus; er wendet abermals; ich halte von ihm ab; so geht es unter Wenden und Ausweichen fort, bis er in die Hitze kommt und die Klugheit vergißt. Seine Kugeln haben uns nichts gethan; sie gehen über uns hinweg; er aber ist uns unbesonnen bis in die Nähe der Küste gefolgt und läuft dort auf eine Sandbank, an der wir vorüberschlüpfen, weil wir nicht so tief in Wasser gehen.«

»Bravo, hallo; die ›Swallow‹ soll leben!«

»Ja, sie soll leben, Jungens, trinkt!«

Nachdem er selbst einen unvergleichlichen Zug gethan hatte, der den Boden des Kruges zum Vorschein brachte, fuhr er fort:

»Jetzt gehen wir an seinen Stern, und während seine Mannen sich alle im Raume unter dem Wasserspiegel befinden, schießen wir ihm das Steuer weg, so daß er vollständig verloren ist. Der ›l'Horrible‹ kommt auch herbei; die ›Florida‹ kann sich nicht verteidigen; sie scheuert sich im Sande wund; das Wasser dringt ein; wir helfen nach – dann streicht sie die Flagge. Sie muß sich ergeben; wir nehmen ihre Leute an Bord, und kaum ist dies geschehen, so legt sie sich auf die Seite: die Wogen haben sie gefressen.«

»Holla, so ist's recht. Dreimal hoch die ›Swallow‹«

»Danke euch, Jungens, aber vergeßt auch den ›l''Horrible‹ nicht; er hat das Seinige auch gethan.«

»Schön. Ein Hoch dem ›l'Horrible‹. Stoßt an!«

Die Krüge klirrten zusammen. Da ertönten draußen einige Salutschüsse, ein Zeichen, daß ein Schiff in den Hafen laufe, und gleich darauf vernahm man ein vieltöniges Stimmengewirr und ein Rennen durch die Straße, als ob ein außerordentliches Ereignis bevorstehe. Peter Polter erhob sich, trat an das Fenster und öffnete dasselbe.

»Holla, Mann, was giebt's hier zu laufen?« fragte er, indem er einen Vorübereilenden beim Arme erfaßte.

»Eine frohe Botschaft, Master: Die ›Swallow‹ läuft soeben in den Hafen, welche das famose Rencontre mit der ›Florida‹ gehabt hat. Alle Schiffe haben augenblicklich gewimpelt und geflaggt, um den tapfern Kapitän zu ehren, und jedermann eilt, die Landung zu betrachten.«

»Danke, Master!«

Er schlug das Fenster zu und bemerkte im Umdrehen, daß sämtliche Gäste auf die erhaltene Auskunft hin sofort ihre Plätze verlassen hatten und sogar das Freibier vergaßen, um der Landung des berühmten Schuners beizuwohnen.

»Immer lauft,« lachte er; »werdet nicht gar viel zu sehen bekommen. Der Kapt'n ist schon am Lande, und die vom Bord gehen, das sind keine echten Seegasten, obgleich sie mitgemacht haben, daß es gewettert hat. Ich bleib bei meiner Mutter Thick, wo ich den Mr. Parker erwarten muß.«

Es verging doch eine geraume Zeit, ehe der Genannte kam, und noch hatte er die Thür nicht verschlossen, so nahte sich ein lärmendes Rufen und jauchzen dem Hause. Eine Menge Volkes kam vom Hafen her, voran diejenigen Männer, welche von der ›Swallow‹ an das Land gegangen waren. Sie traten gleich hinter Parker in die Stube, und das Volk drängte hinter den Helden des verwegenen Seegefechtes her, daß der Raum die Gäste gar nicht zu fassen vermochte. Die resolute Wirtin, welche unterdessen mit ihren Vorbereitungen zu Ende gekommen war, wußte sich schnell zu helfen. Sie öffnete das Ehrenzimmer, schob sich mit den Erwarteten hinein und verschloß dann die Thür, die Bedienung der andern ihrem Personale überlassend.

»Welcome, Sir!« lautete ihre freudige Anrede zu Parker, der ihr als alter Bekannter freundlich die Hand reichte.

Auch die andern wurden mit einem herzlichen Handschlag begrüßt. Sie mußten Platz nehmen und brauchten bloß zuzugreifen, so umsichtig war in der kurzen Zeit für alles Wünschenswerte gesorgt worden.

»Mutter Thick, du bist doch die trefflichste Brigantine, der ich jemals in die Arme gesegelt bin!« rief der Steuermann. »In dieser armseligen Prairie gab's nichts als Fleisch, Pulver und Rothäute; auf der See ging es auch knapp her, da wir zu viel hungrige Magen geladen hatten, bei dir aber ißt und trinkt sich's wie beim großen Mogul oder wie der Kerl heißen mag, und wenn ich nur eine Woche hier vor Anker liege, so lasse ich mich hängen, wenn ich nicht einen Schmeerbauch habe, wie da dieser fette Master Hammerdull.«

»Ob fett oder nicht, das bleibt sich gleich,« meinte dieser, wacker zulangend, »wenn man nur einen guten Bissen zwischen die Zähne bekommt. Ich hab's nötiger wie ihr andern alle, denn seit ich meine alte, gute Stute in Francisco lassen mußte, bin ich vor Sehnsucht nach dem lieben Viehzeug ganz vom Fleisch gefallen. Ist's nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Wenn du denkst, Dick, daß dich die Stute dauert, so habe ich nichts dagegen. Es geht mir ja mit meinem Tier ganz ebenso. Wie ist's bei dir, Bill Potter?«

»Bei mir? Wo mein Pferd steckt, ist mir sehr gleichgültig, hihihihi; die Hauptsache ist, daß mir's bei Mutter Thick gefällt.«

»So ist's recht,« stimmte die Wirtin bei; »greift zu, so viel und lang es euch beliebt. Aber vergiß dabei auch dein Versprechen nicht, Peter!«

»Welches?«

»Daß du erzählen wolltest.«

»Ach so! Na, wenn du tüchtig einschenkst, so soll es mir auf einige Worte mehr nicht ankommen, die ich zu reden habe.«

Während er kauend von den erlebten Abenteuern berichtete, saß Winnetou an seinem Platze und sprach den ihm ungewohnten Speisen der Bleichgesichter mit höchster Mäßigkeit zu. Den Wein rührte er gar nicht an. Er wußte, daß das ›Feuerwasser‹ der schlimmste Feind seines Volkes gewesen war; darum haßte und verschmähte er es. Seine Aufmerksamkeit war auf die lebhafte Unterhaltung gerichtet, welche die andern in jenem halblauten Tone führten, der stets ein Zeichen von der Wichtigkeit des Gegenstandes ist.

»Wie war es auf der Admiralität?« fragte Sam Fire-gun den Lieutenant.

»Ganz nach Erwartung,« antwortete dieser, der den einen Arm in der Binde trug, wie auch die andern verschiedene Zeichen der Verwundung aufzuweisen hatten. »Ernennung zum Kapitän und Beurlaubung bis nach vollendeter Genesung.«

»Was wird mit der ›Swallow‹?«

»Sie hat gelitten und geht zur Reparatur in die Trockendocks.«

»Und unsre Gefangenen?«

»Auch wie ich dachte.«

»Das heißt?«

»Sie werden gehängt, wie es Korsaren nicht anders zu erwarten haben.«

»Korsaren? Sanders behauptet doch, den ›l'Horrible‹ nur deshalb genommen zu haben, um für die Südstaaten Kaperei zu treiben. Kommt er damit nicht durch?«

»Nein, denn er hat keinen Kaperbrief. Und wenn er einen hätte, so ist er eben der schwarze Kapitän, welcher wegen seines früheren Sklavenhandels und der dabei betriebenen Piraterie aufgehangen wird.«

»Und die ›Miß Admiral‹?«

»Wird auch gehängt. Auch alle Gefangenen, welche Sanders behilflich waren, den ›l'Horrible‹ zu nehmen, und dann, als wir ihn enterten, nicht getötet wurden, sondern mit dem Leben davon kamen, werden höchst wahrscheinlich denselben Tod erleiden, denn sie sind als Seeräuber zu betrachten. Sie werden mit ihrem Schicksale wohl nicht so zufrieden sein wie ihr mit der Nachricht, welche ich euch von der Admiralität bringe.«

»Also eine gute?«

»Eine sehr gute. Erstens wird die große Summe, die wir bei der ›Miß Admiral‹ fanden und mit der sie fliehen wollte, als unsre Prise betrachtet, die uns gehört. Zweitens soll eine sehr hohe Belohnung dafür ausgesetzt werden, daß wir den ›l'Horrible‹ dem schwarzen Kapitän wieder abgenommen haben. Und drittens haben wir ganz bedeutende Prisengelder für unsern Sieg über die ›Florida‹. Sie liegt zwar jetzt auf dem Grunde, wird aber später gehoben werden. Dieses Geld teilen wir unter uns, und es wird dabei auf jede Person so viel kommen, daß –«

»Auf mich nicht,« unterbrach ihn Sam Fire-gun.

»Warum nicht?«

»Weil ich natürlich kein Geld nehme, was mir nicht gehört.«

»Ihr habt es aber verdient!«

»Nein. Ich bin nur Gast auf Euerm Schiffe gewesen; die Prisengelder gehören der Bemannung.«

»Ihr waret nicht Gast, sondern Kombattant, und habt also Teil daran.«

»Mag sein; aber ich nehme nichts. Ich habe Sanders die Anweisungen wieder abgenommen, die er mir im Hide-spot stahl. Die eine hatte er zwar schon verkauft, aber nur wenig davon ausgegeben; ich bin also vollständig zufriedengestellt. Winnetou nimmt erst recht nichts, und was meine braven Trapper betrifft, so wird es ihnen auch nicht einfallen, Eure Seegasten um ihre Prisengelder zu bringen. Wir haben es im Gegenteile nur Euch und ihnen zu verdanken, daß wir wieder zu unserm Gelde gekommen sind. Sag einmal, Dick Hammerdull, willst du das Geld haben?«

»Ob ich es haben will oder nicht, das bleibt sich gleich, das ist sogar ganz egal; aber ich nehme es nicht,« antwortete der Dicke. »Was sagst denn du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?«

Der Lange erwiderte gleichmütig:

»Wenn du denkst, daß ich es nicht nehme, Dick, so habe ich nichts dagegen. Es wird's überhaupt keiner von uns nehmen. Und wenn man es uns etwa mit Gewalt aufnötigen will, so bekommt Peter Polter meinen Anteil, und wenn es auch nur wäre, um ihm Lust zu machen, wieder einmal zu uns nach dem Westen zu kommen. Ich sehe ihn gar zu gern zu Pferde sitzen.«

»Laßt mich in Ruhe mit euern Pferden!« rief da der Steuermann. »Lieber laß ich mich zerstampfen und Schiffszwieback aus mir machen, als daß ich mich noch einmal auf so eine Bestie setze, wie der Traber war, auf welchem ich dieses letzte Mal zu euch gesäuselt kam. Weiter will ich euch nichts sagen, denn was ich noch sagen könnte, mag lieber unausgesprochen bleiben, so übel ist mir dabei zu Mute gewesen!«

»Hast's auch nicht nötig, wieder den Westmann zu imitieren,« sagte Parker. »Ich habe auf der Admiralität erwähnt, was wir dir verdanken und wie brav du dich gehalten hast. Man wird bei der nächsten Vakanz an dich denken und dir einen Posten anvertrauen, auf den du stolz sein kannst.«

»Ist's wahr? Wirklich? Ihr habt bei den hohen Gentlemen an mich gedacht?«

»Ja.«

»Und man will mir einen solchen Posten geben?«

»Es wurde mir ganz bestimmt versprochen.«

»Ich danke, Sir, ich danke Euch! Ich werde also Karriere machen! Heisa hurra, hurra! Der Peter Polter – –«

»Was hast du denn so gewaltig zu schreien, alter Seelöwe?« unterbrach ihn die Wirtin, welche soeben zur Thür hereintrat.

»Das fragst du noch?« antwortete er. »Wenn ich ein Seelöwe bin, muß ich doch brüllen! Und ich habe auch allen Grund dazu. Weißt du, alte Mutter Thick, ich soll nämlich für meine großen Verdienste Admiral werden!«

»Admiral?« lachte sie, »das glaube ich wohl, denn du hast das Zeug dazu, und ich gönne es dir. Wie steht es denn aber mit deinem neuen Berufe, auf den du so stolz bist und an dem du von ganzer Seele hängst?«

»Neuer Beruf? Welcher denn?«

»Westmann, Waldläufer, Biberjäger – –«

»Schweig! Kein Wort weiter, wenn du es nicht ganz und gar mit mir verderben willst! Wenn ich mich auf ein Pferd setze, weiß ich nie, wohin es laufen wird. Stehe ich aber auf den Planken eines guten Schiffes, so kenne ich den Kurs genau und kann nicht aus dem Sattel fallen. Also Westmann hin, Westmann her; ich habe ein Haar drin gefunden und bleibe der alte Seebär, der ich stets gewesen bin!« – – –


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