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Der heiße Wüstenwind war zur Ruhe gegangen und die Sonne hatte das letzte Achtel ihres Tagesbogens erreicht; es gab keinen Flugsand mehr in der Luft und wir konnten den leuchtenden Ball sich im Niedersenken deutlich vergrößern sehen. Welche Scene werden seine Strahlen wohl morgen um dieselbe Zeit bescheinen? So fragten sich wohl die meisten von uns, als wir zunächst still auf unseren Plätzen saßen, denn so wenig Angst wir vor den Comantschen hatten, es wußte doch jeder, daß die besten und vorsichtigsten Berechnungen des Menschen durch einen Zufall, der sich ganz unerwartet einstellt, zu Schanden gemacht werden können.
Es war natürlich, daß ich Winnetou zunächst erzählte, was ich seit meiner Ankunft beim Rendezvous in der Sierra Madre erlebt hatte. Da die Erlebnisse meiner Begleiter hierin mit eingeschlossen waren, brauchte der Apatsche, um eine klare Anschauung zu erhalten, nach diesen nicht zu fragen. Als ich geendet hatte, rekapitulirte er das Gehörte in den Worten:
»Wir haben jetzt nur an das zu denken, was den Ort angeht, an welchem wir uns befinden; alles Übrige können wir später besprechen. Also Vupa Umugi hat hundertfünfzig Krieger am Saskuan-kui bei sich?«
»Hundertvierundfünfzig waren es. Davon gehen die sechs Comantschen ab, die wir am Altschese-tschi überwunden haben.«
»Nale-Masiuv will mit hundert Mann zu ihm stoßen?«
»Von diesen sind bei dem Kampfe gegen das Militär viele getötet oder kampfunfähig gemacht worden; aber er hat heimgesandt, um noch hundert holen zu lassen.«
»Wieviel Krieger hat Schiba-bigk gebracht?«
»Zwanzig.«
»So werden wir ungefähr dreihundert Feinde gegen uns haben. Mein Bruder hat eben so viele Apatschen draußen vor unserem Kaktusfelde; wir sind ihnen also gewachsen.«
»Gewachsen? bloß gewachsen?« fiel da Old Wabble ein. »Ich meine sogar, daß wir ihnen überlegen sind, weit, weit überlegen! Ich habe die Krieger der Apatschen gesehen, wie gut bewaffnet und disciplinirt sie sind. Zweihundert von ihnen würden dreihundert Comantschen besiegen. Dazu kommen wir Weißen. Winnetou, Old Shatterhand und Old Surehand nehmen eine ganze Menge von Feinden auf sich. Von mir, dem Fox, Parker und Hawley will ich gar nicht reden. Die Kerls sollen nur kommen! Wir schießen sie alle über den Haufen, und ich gebe mein Wort, daß keiner von ihnen sein Wigwam wiedersehen wird!«
Winnetou zeigte ihm sein ernstestes Gesicht und antwortete:
»Mein alter Bruder ist, wie ich weiß, ein unerbittlicher Feind aller roten Männer; er hält sie für Diebe, Räuber und Mörder, ohne zu bedenken, daß sie nur zu den Waffen greifen, um ihr gutes Eigentum zu verteidigen, oder das zu rächen, was an ihnen verbrochen worden ist. Old Wabble hat noch nie einem roten Manne, der in seine Hände fiel, Gnade gegeben; er ist auf der ganzen Savanne als Indianertöter bekannt; aber wenn er sich bei Old Shatterhand und Winnetou befindet, muß er diese Gesinnung ändern, sonst sind wir gezwungen, uns von ihm zu trennen. Wir sind Freunde aller roten und weißen Männer, und wenn wir einen Feind vor uns haben, mag er weiß oder rot aussehen, so besiegen wir ihn wo möglich, ohne daß wir sein Blut vergießen. Old Wabble nennt sich einen Christen; er wird Winnetou einen Heiden nennen; aber wie kommt es doch, daß dieser Christ so gern Blut vergießt, während der Heide das zu vermeiden sucht?«
Daß der sonst so wortkarge Apatsche sich herbeiließ, so viele Worte zu machen, war ein Beweis, daß ihm der Alte sympathischer war, als der Inhalt dieser Worte eigentlich vermuten ließ. Old Wabble senkte den Kopf, hob ihn aber nach einer Weile wieder und verteidigte sich:
»Die Roten, mit denen ich bisher zusammengetroffen bin, sind alle, alle Schufte gewesen.«
»Das bezweifle ich. Und wenn es wahr sein sollte, wer hat sie denn zu Schuften gemacht?«
»Ich nicht!«
»Du nicht?«
»Nein.«
»Sie sind es durch die Bleichgesichter geworden. Und ist Old Wabble nicht auch ein Weißer?«
»Der bin ich, ja. Und ich denke sogar, ich bin einer, der sich schon sehen lassen kann!«
»Und Winnetou denkt, es wäre besser, die Roten, von denen du redest, hätten dich nicht gesehen! Du sagtest, daß alle Comantschen niedergeschossen werden sollen; ich aber sage dir, daß wir, wenn es möglich ist, keinen einzigen von ihnen töten werden. Ist mein Bruder Old Shatterhand einverstanden?«
»Vollständig,« antwortete ich ihm. »Du weißt, daß du mich da gar nicht erst zu fragen brauchst.«
Der alte Wabble machte ein sehr verlegenes Gesicht, versuchte aber doch, sich zu verteidigen: »Aber sie wollen doch Bloody-Fox überfallen, dem wir helfen müssen! Wir wollen ihn und uns verteidigen, und das kann doch wohl nur durch Gegenwehr geschehen; th'is clear!«
»Es giebt Gegenwehr verschiedener Art, Mr. Cutter,« antwortete ich. »Laßt Winnetou sprechen; dann werdet Ihr hören, daß wir keineswegs die Comantschen nur allein dadurch, daß wir sie niederschießen, von der Ausführung ihres Vorhabens abhalten können. Es giebt noch andere Mittel.«
»Ja, jedenfalls wieder Eure berühmte List!«
Er sagte das in einem Tone, der meinen Beifall nicht haben konnte; ich brauchte ihn aber nicht zurückzuweisen, denn Parker that dies, indem er einfiel:
»Wird es nicht besser sein, wenn Ihr schweigt, alter Wabble? Ihr seht, daß ich auch still bin. Wenn Mr. Shatterhand und Winnetou miteinander sprechen, ist es gar nicht nötig, daß andere, ohne gefragt zu werden, ihre Meinungen dazugeben. Ihr habt ja mehr als zehnmal versprochen, nur das zu thun, was Mr. Shatterhand will. Wenn Ihr dieses Versprechen nicht halten wollt, so thun wir das, was schon oft gesagt worden ist: wir gehen fort und lassen Euch sitzen!«
Dieses »Sitzen lassen«, von mir nur einmal ausgesprochen, war zur stehenden Redensart geworden, über welche sich Old Wabble ungeheuer ärgern konnte. Er fuhr auch jetzt auf: »Haltet Euern Schnabel! Wer hat Euch um Eure Meinung gefragt? Wenn ich nicht reden darf, so habt Ihr erst recht zu schweigen! Wie könnt Ihr mich einen Querkopf nennen? Kehrt doch erst vor Eurer eigenen Thür! Ich habe mir noch von niemandem einen Elk schenken lassen und dann gesagt, daß ich ihn selbst geschossen habe!«
»Und ich habe noch nie das große Wort geführt und trotzdem solche Dummheiten gemacht, wie Ihr zum Beispiele am Saskuan-kui, wo Ihr mit – – –«
»Still!« fiel ich ein, »wir haben weit Wichtigeres zu thun, als solche Grillenduells auszukämpfen. Wir sind vorhin dabei unterbrochen worden, daß wir genau so viel Krieger wie die Comantschen haben und ihnen also gewachsen sind. Ich gebe gerne zu, daß Old Wabble recht hatte, als er sagte, daß wir ihnen nicht nur gewachsen, sondern sogar überlegen seien. Das gedenke ich freilich nicht, so wie er, dadurch zu begründen, daß wir große, unüberwindliche Helden sind, gegen die ein roter Krieger als nichts zu achten ist. Der Grund liegt vielmehr in dem Umstande, daß wir unsere dreihundert Apatschen beisammen haben, während die Comantschen in einzelnen Abteilungen kommen und dabei auch noch die weiße Kavallerie gegen sich haben werden.«
»Da hat mein Bruder recht, wie immer,« stimmte Winnetou bei. »Zunächst wird Schiba-bigk mit einer Schar nahen, um dies Haus und seine Bewohner zu überfallen und die Stangen in den Sand der Wüste zu stecken. Nach ihm kommt Vupa Umugi, um diese Stangen falsch zu stecken und die weißen Soldaten dem Tode des Verschmachtens zuzuführen. Nach diesen weißen Reitern folgt der Häuptling Nale-Masiuv mit seinen Leuten, um den Bleichgesichtern den Rückzug abzuschneiden und sie vollends einzuschließen. Das sind drei verschiedene Trupps, die wir einzeln angreifen werden und vielleicht ohne alles Blutvergießen besiegen können. Old Shatterhand wird diesen meinen Worten seine Beistimmung erteilen.«
»Die gebe ich allerdings,« sagte ich. »Ich glaube nicht, daß Schiba-bigk, der zuerst kommt, mehr als fünfzig Krieger bei sich haben wird. Wenn wir sie mit unsern dreihundert einschließen, werden sie einsehen, daß es am besten für sie sei, sich ohne Gegenwehr zu ergeben.«
Der alte Wabble konnte trotz der vorhin erhaltenen Zurechtweisung nicht schweigen; er entgegnete:
»Sollte er wirklich nur fünfzig mitbekommen, da wir doch dreihundert haben?«
»Ihr vergeßt, daß die Comantschen gar nicht wissen, daß wir da sind. Sie glauben doch, es nur mit den Bewohnern der Oase zu thun zu haben.«
»Hm, ja, mag sein! Aber das Einschließen ist nicht so leicht, wie man es denkt.«
»In diesem Falle ist es sogar sehr leicht. Wir brauchen sie nur an ein Kaktusfeld zu drängen; da können sie nicht hinein. Wir haben dann nicht nötig, einen ganzen Kreis um sie herum zu bilden, sondern es genügt ein halber. Hinter sich den undurchdringlichen Kaktus und vor sich dreihundert Feinde; da müßten die Fünfzig wahnsinnig sein, wenn sie glaubten, sich heiler Haut durchschlagen zu können.«
»Wenn sie es aber doch glauben?«
»So werde ich mit ihnen sprechen.«
»Sprechen? Hm! Ob sie darauf hören?«
»Was das betrifft, so giebt es Einen unter ihnen, der sicher auf mich hören wird.«
»Wer ist das, Sir?«
»Schiba-bigk, der junge Häuptling. Er hat uns sein Leben zu verdanken, ist hier der Gast unseres Fox gewesen und hat damals sein Wort gegeben, daß er die Oase nicht verraten wolle. Das ist mehr als genug, ihn meinen Worten geneigt zu machen.«
»Bin neugierig, ob Ihr Euch da nicht irren werdet. Ihr seht ja, wie er sein Wort gehalten hat. Verspricht, die Oase nicht zu verraten, und bringt doch volle dreihundert Comantschen hergeschleppt! Hoffentlich brauchen wir nicht lange zu warten, bis er kommt.«
»Er wird morgen abend hier sein.«
»Hier an der Oase schon?«
»Ja. ich glaube nicht, daß diese Berechnung täuscht.«
»Und da wollen wir ihn einschließen?«
»Ja.«
»Des Nachts?«
»Vielleicht schon am Tage. Je eher er kommt, desto eher wird er umzingelt.«
»Da müssen wir aber wissen, wann er kommt; es ist also nötig, ihm Kundschafter entgegen zu senden.«
»Das würde ein großer Fehler sein.«
»Wieso?«
»Weil er die Spuren dieser Späher entdecken und infolgedessen Argwohn schöpfen würde.«
»Hm! Also keine Kundschafter! Wie aber wollen wir erfahren, ob und wann diese – –«
»Mein alter Bruder kann getrost annehmen, daß Old Shatterhand weiß, was er sagt und thut,« schnitt ihm Winnetou die Rede ab. »Die Comantschen würden die Fährte der Späher sehen; darum dürfen wir keine aussenden. Schiba-bigk ist hier gewesen und von hier aus direkt nach dem Gutesnontin-khai geritten, wo er sich jetzt befindet, um Pfähle zu schneiden. Er wird ganz genau auf demselben Wege wiederkommen. Wir reiten ihm seitwärts dieses Weges entgegen und werden ihn sehen, ohne daß er uns bemerkt. Wenn er vorüber ist, kehren wir um, ihm nach, und treiben ihn gegen ein Kaktusfeld, durch welches er und seine Schar nicht reiten kann; dann haben wir ihn. Ich errate, daß mein Bruder Shatterhand dies sagen wollte?«
»Ja, genau dies war meine Absicht und mein Plan,« antwortete ich dem scharfsinnigen Freunde.
Da ergriff Bloody-Fox, der bisher geschwiegen hatte, obgleich die Angelegenheit ihn selbstverständlich am meisten interessieren mußte, zum erstenmale das Wort:
»Mein berühmter Bruder Winnetou mag mir eine Frage gestatten. Schiba-bigk wird sehr vorsichtig nahen, um nicht vor der Zeit bemerkt zu werden. Und wenn wir uns seitwärts aufstellen, ihn zu erwarten, dürfen wir uns seinem Wege doch nicht so weit nähern, daß er uns sieht. Ist es da nicht möglich, daß er vorüberkommt, ohne daß unsere Augen auf ihn und seine Comantschen fallen?«
»Nein.«
»Was Winnetou, der große Häuptling der Apatschen, sagt, ist nicht anzufechten; aber in der Wüste giebt es keinen Weg, den man sieht; es giebt nur eine Richtung, von welcher man leicht rechts oder links abweichen kann. Ist es da nicht möglich, daß Schiba-bigk auch abweicht und grad deshalb auf uns trifft?«
»Nein. Mein Bruder Fox mag sich an Old Shatterhand wenden, um zu erfahren, warum ich nein sage!«
Da Fox mich infolge dieser Worte fragend anblickte und die andern dies auch thaten, erklärte ich:
»Ein Weißer könnte aus der geraden Richtung weichen, ein Roter aber nicht. Ein Roter hat den untrüglichen Ortssinn des Vogels, der meilenweit gerade nach seinem Neste fliegt, obwohl es in der Luft, genau so wie hier im Sande, keine vorgezeichneten Wege giebt. Und sodann ist zu bedenken, daß die erste Schar der Comantschen, welche kommt, die Aufgabe hat, den Weg nach der Oase durch Stangen zu bezeichnen. Das Feststecken der Stangen ist eine Arbeit, die uns die Ankunft Schiba-bigks so kenntlich machen muß, daß wir sie gar nicht übersehen können. Er wird und muß in unsere Hände geraten. Wir schaffen ihn und seine Leute dann nicht etwa hierher, denn er darf den neuen Weg durch den Kaktus nicht kennen lernen, sondern sie werden draußen in der Wüste zusammengebunden und gut bewacht, bis alles vorüber ist.«
»Und was wird aus den Stangen? Es wurde vorhin gesagt, daß wir sie entfernen und in falscher Richtung wieder feststecken werden?«
»Das werden wir allerdings thun, um Vupa Umugi irre zu führen.«
»Wohin?«
»Hm! Irgendwo hin, wo wir ihn leicht einschließen und fassen können. Die Kaktusstrecken haben sich, seit ich zum letztenmal hier war, so verändert, daß ich im voraus nichts sagen kann.«
»Darf ich da einen Vorschlag machen?«
»Warum nicht?«
»Es giebt einen guten Tagesritt südöstlich von hier eine Kaktuswildnis von außerordentlich großer Ausdehnung, in welche ein offener, nach und nach immer schmaler werdender Sandstreifen hineinführt.«
»Wie tief hinein?«
»Wenn man langsam reitet, kann man fast zwei Stunden zubringen, ehe man an das Ende des Streifens kommt.«
»Sind die Kaktus alt oder frisch?«
»Beides durcheinander; aber dicht sind sie, sehr dicht.«
»Da wäre dies freilich ein Ort, wie wir ihn für unsern Zweck gar nicht besser wünschen können. Hält mein Bruder Winnetou ihn für ebenso passend?«
Der Häuptling der Apatschen nickte zustimmend und antwortete in seiner ruhigen, bestimmten Weise:
»Wir werden die Comantschen in diesen Kaktus treiben.«
»So sind wir fertig mit dem, was zunächst und für heut und morgen zu besprechen war; das weitere muß sich nach den Ereignissen richten. Die Sonne hat den Horizont erreicht; wir wollen Menschen und Tieren die Ruhe geben, welche sie brauchen, um morgen kräftig und ausdauernd zu sein.«
Es wurde mir beigestimmt. Wir versorgten unsre Pferde mit allem, was die Oase für sie bieten konnte, und Winnetou begab sich hinaus zu seinen Apatschen, um ihnen die Lagerbefehle zu erteilen und ihnen den Weg durch den Kaktus nach der Oase zu zeigen, denn sie mußten ihre Pferde tränken und sich selbst auch mit Wasser versorgen; dann legten wir uns auf die Maisstrohlager, welche Mutter Sanna inzwischen für uns bereitet hatte.
Aber die meisten von uns kamen nicht sofort zum Schlafen. Ich lag neben Winnetou und hörte seinen leisen Bericht über das, was er seit unsrer Trennung erlebt hatte. Dabei hörte ich, daß Old Wabble und Parker sich noch eine ganze Weile, auch mit unterdrückten Stimmen, miteinander zankten. Durch die offenen Fenster des Hauses schallten die Stimmen des Negers und seiner Mutter, welche außerordentlich glücklich waren, einander wieder zu besitzen, und vom Wasser her waren die Schritte der Apatschen und ihrer Pferde noch stundenlang zu vernehmen. So ein Lagerabend hat einen ganz eigenartigen Reiz, den nur derjenige kennt, der ihn selbst empfunden hat.
Als ich am Morgen erwachte, stand Winnetou schon munter am See, um seinen Oberkörper mit dem Wasser eines gefüllten, großen Kürbis zu baden. Sanna lief leise, aber geschäftig hin und her, dafür besorgt, daß die Gäste ein gutes, reichliches Frühstück finden möchten. Die andern schliefen noch, wachten aber auch bald auf. Dann kamen die Apatschen wieder mit ihren Pferden, die sich für den ganzen Tag jetzt satt zu trinken hatten. Ein leichter Rauch, den wir fern draußen vor dem Kaktusfelde sahen, sagte uns, daß die Roten sich mit Hilfe trockener Kakteen einige Feuer angezündet hatten, um an denselben ihr Essen zu bereiten. Als wir gefrühstückt hatten, ritten wir hinaus zu ihnen; sie hatten nun auch gegessen und waren zum Aufbruche bereit. Eine Abteilung von ihnen, bei welcher Bloody-Fox blieb, wurde zum Schutze der Oase zurückgelassen; dann ritten wir fort.
Gestern waren wir aus Südwesten gekommen, heut hatten wir grad westlich zu reiten, denn dort lag der Gutesnontin-khai. Die Linie, auf welcher die Comantschen zu erwarten waren, mußten wir uns natürlich denken; wir hielten uns parallel mit ihr, und zwar so, daß wir zunächst ungefähr eine halbe englische Meile von ihr entfernt waren, denn jetzt konnten die Feinde noch nicht kommen; später aber mußten wir uns vorsichtshalber weiter von ihr entfernen, wenn nämlich die Luft so rein und durchsichtig blieb, wie sie jetzt war. Man konnte außerordentlich weit sehen. Trotzdem befanden wir uns im Vorteile vor den Comantschen, weil ich ein Fernrohr hatte und Winnetou auch eins besaß.
Wer aber glaubte, wir hätten uns in einem Trupp zusammengehalten, der wäre in einem großen Irrtum befangen. Dies zu thun, wäre der größte Fehler gewesen, den man sich hätte denken können. Die erwähnte gedachte Linie lag nördlich, also rechts von uns. Es war nicht ganz unrichtig, was Old Wabble gestern abend gesagt hatte, daß nämlich die Comantschen zufällig von dieser Linie abweichen könnten, und wenn es auch nur wenig wäre. Darum mußte sich, als der Vormittag ziemlich vergangen war, unsre Schar weiter südlich halten, während nur einige der erfahrensten Leute mehr rechts ritten. Die der gedachten Linie am nächsten Befindlichen waren Winnetou, Old Surehand und ich, und auch wir ritten nicht neben, sondern so weit entfernt voneinander, daß wir unsre Zurufe grad noch hören konnten. Durch dieses Arrangement war dafür gesorgt, daß die Comantschen uns unmöglich entdecken konnten, außer in dem fast unwahrscheinlichen Falle, daß sie von ihrem Wege sehr weit südlich abgewichen wären. Aber selbst in diesem Falle durften wir hoffen, sie zu umzingeln und keinen von ihnen entkommen zu lassen. Das letztere war für alle Fälle die Hauptsache, denn gelang es auch nur einem einzigen, uns zu entschlüpfen, so war es natürlich seine erste und einzige Aufgabe, zurückzureiten und Vupa Umugi, dem großen Donner, Mitteilung von unsrer Anwesenheit zu machen.
Es wurde Mittag und noch hatten wir nichts gesehen. Da, es mochte wohl fast ein Uhr sein, stieß Winnetou, der in diesem Augenblicke sein Fernrohr an das Auge gesetzt hatte, einen lauten Ruf aus und winkte Old Surehand und mich zu sich heran. Als wir ihn erreichten, streckte er die Hand nach Norden aus und sagte:
»Ganz da draußen am Horizonte hält ein Reiter, den man nicht mit dem bloßen Auge erkennen kann.«
»Ist es ein Indianer?« fragte Old Surehand.
»Das ist nicht zu unterscheiden; mein Bruder mag das Rohr nehmen und dahin sehen, wohin ich zeige.«
Er gab ihm das Perspektiv, und ich setzte das meinige an, um es in dieselbe Richtung zu halten.
»Ja, es ist ein Reiter,« bestätigte Old Surehand; »aber man kann nicht erkennen, ob ein roter oder weißer.«
»Es ist ein roter,« warf ich ein.
»Erkennt Ihr das, Sir? Dann ist Euer Rohr viel besser als dasjenige Winnetous.«
»Ich erkenne es nicht; aber dennoch behaupte ich sogar, daß es ein Comantsche ist.«
»Uff!« rief Winnetou verwundert, der sein Rohr wieder genommen hatte und durch dasselbe blickte.
»Und zwar ein Comantsche von Schiba-bigks Schar; vielleicht ist es dieser selbst.«
»Uff, uff! Warum denkt dies mein Bruder?«
»Er ist nicht allein. Mein Bruder Winnetou mag sein Rohr dahin richten, woher dieser Reiter gekommen sein muß, also ein wenig mehr nach links. Dort sind noch mehr Reiter zu sehen und dabei kleinere Punkte, welche Fußgänger bedeuten, die von ihren Pferden gestiegen sind.«
»Uff, uff, es ist richtig! Ich sehe größere Punkte; das sind Reiter; und kleinere Punkte, welche sich hin und her bewegen; das sind Männer zu Fuße.«
»Weiß mein roter Bruder, warum diese kleineren Punkte nicht geradeaus gehen, sondern sich immer hin und her bewegen?«
»Nun, da mein Bruder Shatterhand mich darauf aufmerksam gemacht hat, weiß ich es. Es sind die Männer, welche die Pfähle einzustecken haben. Um das thun zu können, sind sie von ihren Pferden gestiegen.«
»Ganz richtig! Ihr wißt, Mr. Surehand, daß es unter diesen Comantschen nur einen giebt, der den Weg kennt?«
»Ja, nämlich Schiba-bigk,« antwortete der Gefragte.
»Er ist also nicht nur der Anführer, sondern überhaupt der Führer. Wo aber pflegt sich so ein Führer aufzuhalten, hinten oder vorn, Sir?«
»Natürlich ist er stets voran.«
»Well! Darum nehme ich an, daß der erste, den wir gesehen haben und der an der Spitze der andern hält, der junge Häuptling Schiba-bigk ist. Er reitet voran und bleibt von Zeit zu Zeit, bis ein Pfahl festgesteckt ist, an der Spitze des Zuges halten. Schau! Winnetou wird durch sein Rohr bemerken, daß die Fußgänger jetzt ihre Pferde wieder besteigen. Es ist ein Pfahl eingesteckt worden, und nun reiten die Indsmen weiter.«
Es war so, wie ich sagte; wir sahen, daß die Comantschen sich von der Stelle, wo sie sich jetzt befunden hatten, im Galoppe entfernten. Sie wurden dabei kleiner und immer kleiner, bis wir sie nicht mehr sahen; sie waren genau in der Richtung nach der Oase verschwunden.
»Habt Ihr sie zählen können, Sir?« fragte mich Old Surehand.
»Nicht genau, aber ich denke, daß ich gestern recht gehabt habe; es werden nicht mehr als fünfzig sein.«
»Was thun wir nun?«
»Wir reiten der Sicherheit wegen noch ein Stück so weiter, wie wir bisher geritten sind; dann wenden wir uns nach Norden, um auf ihre Spur zu kommen. Haben wir diese, so befinden wir uns in ihrem Rücken und folgen ihnen so lange, bis wir eine passende Stelle oder Gelegenheit finden, sie einzuschließen.«
Dies wurde ausgeführt. Wir vereinigten uns mit unserm Trupp, sagten, daß wir die Gesuchten gesehen hätten, und folgten unsrer bisherigen Richtung noch einige Minuten lang; nachher bogen wir rechts ab und erreichten nach zehn Minuten die Fährte der Comantschen. Diese war eine sehr deutliche und ausgesprochene; ein Blinder hätte sie zwar nicht sehen können, aber fühlen müssen. Sie bestand nicht nur aus den Eindrücken der Pferdehufe und Menschenfüße, sondern außerdem aus einer Menge von Strichen, welche tief im Sande fortliefen. Die zu transportierenden Stangen waren nämlich mit einem Ende an den Sattel befestigt und schleiften mit dem andern Ende hinterher. In dieser Weise pflegen die Indianer auch ihre Zeltstangen von einem Orte zum andern zu schaffen, und dadurch waren hier im tiefen, leichten Sande die Striche und Linien entstanden. Da sie ineinander liefen, waren sie nicht zu zählen, aber es war doch zu sehen, daß eine ganz bedeutende Menge von Pfählen mitgeschleppt wurde.
Wir folgten der Fährte so lange rasch, bis wir die Comantschen durch die Fernrohre erkennen konnten; dann mußten wir, um nicht selbst gesehen zu werden, die Schritte unsrer Pferde mäßigen. Indem wir von da an stets in gleicher Entfernung mit ihnen blieben, war es uns leicht, zu bemerken, wie schnell sie vorwärts kamen und wie lange sie brauchen würden, um in die Nähe der Oase zu kommen. Die Entfernung von einer Stange bis zur andern mochte vielleicht einen Kilometer betragen, und wenn die Roten ihre Arbeit in der bisherigen Weise fortsetzten, mußten sie bis zum Abende ihr Ziel beinahe erreicht haben. Sehr wahrscheinlich war es die Absicht Schiba-bigks, des Nachts dann über die Bewohner der Oase herzufallen. Daß er schon am Tage auf Bloody-Fox treffen könne, mußte zwar auch in seiner Berechnung liegen, konnte ihn aber nicht irre machen, weil er jedenfalls glaubte, daß es diesem einen Bleichgesichte unmöglich sei, gegen fünfzig rote Krieger aufzukommen.
Während wir der Fährte folgten, ritt ich zwischen Winnetou und Old Surehand; beide waren still. Desto lauter ging es unmittelbar hinter uns her, wo Old Wabble zwischen Parker und Hawley ritt. Dem alten Cowboy war es geradezu unmöglich, in einer solchen Lage ruhig zu sein. Er erging sich in allerlei Berechnungen und Vermutungen, die ihm von den beiden andern widerlegt wurden, doch fiel es ihm gar nicht ein, ihre Widersprüche als begründet gelten zu lassen.
»Und Ihr könnt sagen, was Ihr wollt,« hörte ich ihn sagen, »ich meine, daß wir die Halunken vielleicht gar nicht bekommen, wenn wir es nicht klüger anfangen als bisher.«
»Warum denn, alter Wabble?« fragte Parker. »Ich denke, die drei da vor uns wissen ganz genau, was sie thun.«
»Meint Ihr? Wirklich? Warum lungern wir da so langsam und ohne zuzugreifen hinter den Roten her?«
»Weil die Gentlemen höchst wahrscheinlich warten wollen, bis es Abend geworden ist.«
»Das ist ja noch viel, viel schöner! jetzt sehen uns die lndsmen nicht, und am Abende sehen wir sie nicht; da werden wir sie wohl überhaupt niemals zu sehen bekommen!«
»Hört, Mr. Wabble, unsre Anführer sind keine Kinder, sondern Männer, welche genau wissen, was sie zu thun haben!«
»O! hm! Wenn ich als Anführer da vorn ritte und etwas zu sagen hätte, da wüßte ich etwas Besseres.«
»Was?«
»Ich würde kurzen Prozeß machen.«
»Wieso?«
»Ich würde befehlen, den Pferden die Zügel schießen zu lassen und die Roten einfach über den Haufen zu reiten.«
»Das, alter Wabble, würde wohl das allerdümmste sein, was Ihr anordnen könntet.«
»Unsinn! Warum?«
»Weil die Comantschen uns natürlich kommen hören oder kommen sehen und schnell ausreißen würden.«
»Was schadete das? Wir würden sie natürlich einholen und gefangen nehmen.«
»Das ist leicht gesagt. Wenn sie sich auf der Flucht zerstreuten, könnte uns leicht einer von ihnen entgehen. Und das darf nicht sein. Habe ich da nicht recht, Mr. Shatterhand?«
Ich drehte mich zu dem Fragenden und antwortete ihm:
»Ja. Laßt Mr. Cutter reden! Er kennt die Absichten Winnetous nicht, und so ist es ihm nicht übel zu nehmen, daß er unser Verhalten für fehlerhaft hält.«
Der Alte sah mich fragend an. Er hätte wohl gern gewußt, was ich meinte, getraute sich aber nicht, zu fragen; darum erklärte ich ihm freiwillig:
»Winnetou weiß nämlich, daß ungefähr eine Reitstunde von hier eine Thalmulde liegt, durch welche der gerade Weg nach der Oase des Bloody-Fox führt. Sie ist ziemlich lang und ziemlich tief, so daß derjenige, der sich in ihr befindet, nicht sehen kann, was außerhalb auf der höher liegenden Fläche der Wüste vorgeht. Bis in diese Thalsenkung wollen wir die Comantschen kommen lassen; nicht weiter.«
Da fiel der Apatsche ein:
»Mein Bruder will mir einen Ruhm geben, der mir nicht gebührt, denn dieser Plan ist von ihm; er hat schon gestern abend, bevor wir einschliefen, von ihm gesprochen.«
»Nein, du sprachst davon,« entgegnete ich.
»Ich wollte sprechen; du kamst mir aber zuvor.«
»So ist es hier wieder so gewesen, wie stets und immer, daß nämlich mein Bruder Winnetou genau so denkt wie ich.«
»Ja, meine Gedanken sind die deinigen, und deine sind die meinigen, denn wir haben gegenseitig unser Blut getrunken und besitzen nicht zwei Herzen, sondern ein einziges. Was wir beide dachten, das soll geschehen: Wir werden die Comantschen in einer Stunde in dem Thale des Sandes gefangen nehmen.«
»Ohne daß einer von ihnen vorher sprechen darf?«
Als ich diese Frage aussprach, sah Winnetou mich fragend an, doch nur einen kurzen Augenblick; dann erkundigte er sich:
»Will mein Bruder den jungen Häuptling ausfragen?«
»Ja.«
»Glaubst du, daß er dir sagen wird, was du wissen willst?«
»Ja.«
»Schiba-bigk ist zwar jung, aber dennoch klug. Ich weiß, daß Old Shatterhand seine Fragen und Worte so zu setzen versteht, daß er selbst einen sehr listigen Mann auszuhorchen vermag. Schiba-bigk weiß dies auch und wird schweigen.«
»Er wird sprechen, denn er wird glauben, daß ich nicht als Feind zu ihm komme, sondern ihm ganz zufällig begegne. Ich werde ihm nämlich nicht nachreiten, sondern mich von euch trennen und einen Bogen reiten, so daß ich also nicht von dieser Seite, sondern von der uns jetzt entgegengesetzten das Thal des Sandes erreiche, und das muß ihn auf die Vermutung bringen, daß ich von Bloody-Fox, von der Oase komme. Er wird also meinen, daß ich seine Spur nicht gesehen und keine Ahnung von seinen Absichten habe. Er wird glauben, mich leicht gefangen nehmen zu können und mich also für unschädlich halten, und das wird ihm zwar den Mund nicht öffnen, ihn aber nicht scharf auf die Worte achten lassen, mit denen ich aus ihm herauslocken will, was mir zu wissen nötig ist. Sieht das mein roter Bruder ein?«
»Ich sehe es ein; aber warum willst du dich in Gefahr begeben, um heut etwas zu erfahren, was du morgen ganz ohne alle Gefahren hören und entdecken wirst?«
»Weil ich vermute, daß es mir heut mehr Nutzen bringt als morgen. Und Gefahr? Winnetou weiß, daß, ehe ich mich in eine Gefahr begebe, ich sie vorher genau berechne.«
»Howgh! Aber hast du daran gedacht, daß die Comantschen, wenn sie uns sehen, dich als Geisel betrachten werden?«
»Auch das habe ich überlegt, doch kenne ich einen Schild, mit dem ich jeden Schuß und Stich von mir abzuwehren vermag.«
»Welchen Schild?«
»Schiba-bigk.«
»Uff, uff! Ich erkenne, daß ich meinen weißen Bruder nicht zu warnen brauchte; er mag getrost ausführen, was er sich vorgenommen hat.«
»So gilt es also nur noch, zu sagen, wie ich euch kommen zu sehen wünsche. Das Thal des Sandes geht lang von West nach Ost. Ihr bildet vier Abteilungen, die sich voneinander trennen, sobald ihr seht, daß die Comantschen im Eingange der Bodensenkung verschwunden sind. Mit dem ersten Viertel deiner Krieger reitest du im Galoppe einen Bogen bis zum östlichen Ausgange des Thales; Old Surehand reitet mit dem zweiten Viertel nach der südlichen, und Entschar-Ko mit dem dritten Viertel nach der nördlichen Seite desselben.
»Wenn dann Old Wabble mit den übrigen seinen Weg fortsetzt und am Eingange der Bodenmulde halten bleibt, in der sich die Feinde befinden, so sind dieselben von allen Seiten eingeschlossen. Natürlich dürft ihr euch nicht sehen oder hören lassen. Ich weiß, daß der starke Knall meines Bärentöters durch das ganze Thal ertönen und von euch allen gehört werden wird. Sobald ich diesen Schuß abfeure, kommt ihr von allen Seiten herbei, und ich bin überzeugt, daß uns dann kein Comantsche entkommen kann. Hat dieser Plan die Billigung meines roten Bruders?«
»Er hat sie,« antwortete er kurz.
Old Surehand aber war nicht so schnell einverstanden. Er sagte:
»Euren Plan in allen Ehren, Sir, aber ich glaube doch, daß er ein wenig verwegen ist!«
»Gar nicht!«
»O, gewiß. Was kann der kühnste Mann einer abgeschossenen Kugel gegenüber thun?«
»Ihr ausweichen.«
»Sir, das ist leichter gesagt als gethan. Glaubt mir, daß ich Euch alles zutraue; aber ich habe Euch so lieb gewonnen, und ich wüßte nicht, was – –«
Da fiel ihm der Apatsche schnell in die Rede:
»Winnetou hat ihn noch viel mehr lieb und läßt ihn dennoch fort; mein Bruder Surehand mag also keine Sorge haben; es giebt vier scharfe Augen, die über Old Shatterhand wachen werden, nämlich die seinigen und die meinigen.«
»Und die meinigen auch!« fügte Old Wabble, sich in die Brust werfend, schnell hinzu. »Er hat mir ein Kommando anvertraut und soll erfahren, daß er sich nicht in mir täuschen wird. Wehe dem roten Halunken, der es wagen sollte, ihm auch nur ein Haar krümmen zu wollen; meine Kugel würde ihn sofort fressen; th'is clear!«
Auf diese eifrige Versicherung war ein kleiner Dämpfer nötig. Ich warnte ihn also:
»Nicht so hitzig, Mr. Cutter! Wenn ich Euch heute wieder einmal Vertrauen schenke, geschieht es in der Absicht, zu erfahren, daß Ihr nicht immer selbständig handelt, sondern im stande seid, eine Euch erteilte Weisung genau zu befolgen. Geschieht das Gegenteil, so könnt Ihr sicher sein, daß ich Euch nie wieder einen Auftrag geben werde. Ihr reitet mit Eurer Abteilung ganz ruhig weiter, bis ihr den Eingang zum Thale erreicht habt. Dort bleibt ihr versteckt halten und habt gar nichts zu thun, als auf den Schuß zu warten. Hört Ihr den, so kommt Ihr im Galopp ins Thal geritten und haltet vor den Comantschen eure Pferde an. Das ist alles, was von Euch verlangt wird, alles.«
»Well! Deutlich genug gesprochen! Werde ganz genau so exerzieren, wie Ihr es vorgeschrieben habt. Will nicht wieder sagen lassen, daß Old Wabble Jugendstreiche verübt.«
»Recht so! Und nun muß ich mich von Euch trennen, wenn ich die hintere Seite des Thales zur rechten Zeit erreichen will. Macht Eure Sache gut!«
Diese Aufforderung galt natürlich nur dem Alten; die andern drei zu ermahnen, war natürlich nicht nötig. Ich bog von der Fährte, welcher wir folgten, rechts ab und ritt im Galopp einen Bogen, dessen Sehne eben diese Fährte war, und hielt mich dabei so weit von ihr fern, daß die Comantschen mich nicht sehen konnten. Als ich nach einer halben Stunde das Pferd wendete, sah ich das östliche Ende der Thalmulde vor mir; ich ritt jetzt also, grad umgekehrt gegen vorher, nach Westen, während die Comantschen und hinter ihnen unsere Apatschen ostwärts auf mich zukamen.
Ich kann nicht sagen, daß ich irgend welche Besorgnis hegte; ich war nur gespannt darauf, wie Schiba-bigk sich bei meinem Anblicke verhalten würde. Es stellte sich heraus, daß die Zeit gut berechnet war, denn als ich ungefähr die Hälfte des Thales durchritten hatte, sah ich die Roten kommen. Die Bodensenkung war gar nicht tief, und ihre Wände stiegen ganz allmählich empor, aber dennoch konnte man von da aus, wo ich mich befand, keinen Blick hinaus auf die Ebene des Llano werfen.
Die Roten hatten es nicht für nötig gehalten, hier in dem Thale auch einen Pfahl zu stecken; sie brauchten sich also nicht aufzuhalten und kamen in scharfem Trabe auf mich zugeritten. Wie stutzten sie, als sie mich erblickten! Ich hielt mein Pferd natürlich an, als ob mir diese Begegnung ganz unerwartet sei, und nahm meinen Stutzen zur Hand. Sie griffen auch zu den Waffen und machten Miene, mich zu umringen. Da legte ich das Gewehr an und drohte ihnen entgegen.
»Halt! Wer mir in den Rücken will, der erhält eine Kugel. Welche roten Krieger können hier – – –,«
Ich hielt mitten in der Rede inne und richtete, treu meiner Rolle, den Blick erstaunt auf den Häuptling.
»Uff, uff! Old Shatterhand!« rief er überrascht, indem er sein Pferd parierte.
»Ist's möglich?« ließ ich mich hören. »Schiba-bigk, der junge, tapfere Häuptling der Comantschen!«
»Ich bin es,« antwortete er. »Ist Old Shatterhand von dem Geiste der Savanne durch die Luft in diese Gegend getragen worden? Die Krieger der Comantschen glaubten ihn weit im Westen von hier.«
Ich sah es ihm an, daß er nicht wußte, welchen Ton er gegen mich anschlagen sollte. Wir waren Freunde gewesen; ich hatte das volle Recht, auch heut noch Freundschaft von ihm zu verlangen, und doch war er jetzt gezwungen, mein Feind zu sein.
»Wer hat meinem jungen, roten Bruder gesagt, daß ich im Westen sei?« entgegnete ich.
Er öffnete schon den Mund, wahrscheinlich um zu sagen, daß er es von Vupa Umugi erfahren habe, besann sich aber eines Bessern und antwortete:
»Ein weißer Jäger sagte es, der Old Shatterhand gegen Untergang der Sonne getroffen haben wollte.«
Das war eine Lüge. Die Blicke seiner Krieger waren finster und feindselig auf mich gerichtet. Ich that, als ob ich dies gar nicht bemerkte und keinen von ihnen am »blauen Wasser« gesehen hätte, sondern stieg ruhig und mit scheinbarer Unbefangenheit vom Pferde, setzte mich nieder und sagte:
»Ich habe mit Schiba-bigk, dem jungen Häuptlinge der Comantschen, die Pfeife des Friedens und der Freundschaft geraucht; mein Herz ist entzückt, ihn nach so langer Zeit und so unverhofft wiederzusehen; wenn Freunde und Brüder einander begegnen, so begrüßen sie sich nach der Sitte, von welcher kein Krieger abweichen darf. Mein junger Bruder mag aus dem Sattel kommen und sich zu mir setzen, damit ich mit ihm sprechen kann!«
Die Blicke seiner Leute wurden drohender; sie waren bereit, über mich herzufallen, doch hielt er sie durch eine gebieterische Handbewegung zurück. Ich sah es seinem Gesichte an, daß ihm ein Gedanke gekommen war, jedenfalls der Gedanke, den ich beabsichtigte. Ich hatte gesagt, daß ich mit ihm zu sprechen wünsche, und er ging bereitwillig darauf ein, um mich auszufragen; er hegte also ganz dieselbe Absicht mir gegenüber, die ich ihm gegenüber auch hatte.
»Old Shatterhand hat Recht,« sagte er. »Häuptlinge müssen sich als berühmte Krieger begrüßen.«
Bei diesen Worten stieg er ab und setzte sich mir gegenüber nieder. Als seine Leute das sahen, verließen sie auch die Pferde und wollten einen Kreis um uns bilden. Dabei wären mir mehrere von ihnen in den Rücken gekommen, was ich verhindern mußte. Darum sagte ich, daß alle es hörten:
»Giebt es unter den Söhnen der Comantschen welche, die so feig sind, daß sie sich nicht getrauen, Old Shatterhand in das Angesicht zu schauen? Ich glaube nicht. Auch bin ich nicht gern so unhöflich, einem tapferen Krieger den Rücken zuzuwenden.«
Das half; sie setzten sich so, daß ich sie alle im Auge hatte. Sie sahen von einem sofortigen Angriffe ab, weil sie mich allein sahen und mich also sicher zu haben glaubten. Ich knüpfte die Friedenspfeife, welche ich am Halse hängen hatte, von der Schnur, that als ob ich sie stopfen wollte, und sagte:
»Mein junger Bruder Schiba-bigk mag den Gruß des Calumets mit mir rauchen, damit er erfahre, daß Old Shatterhand noch sein Freund wie früher ist.«
Da hob er zurückweisend die Hand und antwortete:
»Schiba-bigk war einst stolz darauf, einen so berühmten Bruder zu besitzen, jetzt aber möchte er wissen, ob Old Shatterhand wirklich noch sein Freund ist.«
»Zweifelst Du daran?« fragte ich, scheinbar erstaunt.
»Ich zweifle.«
»Warum?«
»Weil ich erfahren habe, daß Old Shatterhand ein Feind der Comantschen geworden sei.«
»Wer das sagte, der war entweder ein Lügner, oder er irrte sich!«
»Der es sagte, brachte Beweise, denen ich Glauben schenken mußte!«
»Will mein junger Bruder mir diese Beweise mitteilen?«
»Ich will es. Ist Old Shatterhand nicht an dem Wasser gewesen, welches Saskuan-kui genannt wird?«
»Ja.«
»Was wolltest du da?«
»Nichts. Mein Weg führte mich da vorüber. Ich wollte da lagern und am Morgen weiterreiten.«
»So hast du dort auch nichts gethan?«
»Doch.«
»Was?«
»Ich sah rote Männer da, welche einen weißen Krieger gefangen hatten; den habe ich befreit.«
»Was für Krieger waren das?«
»Ich erfuhr nachher von dem Bleichgesichte, daß sie Comantschen vom Stamme der Naiini seien.«
»Welches Recht hattest du, dieses Bleichgesicht zu befreien?«
»Er hatte den Comantschen nichts gethan. Ebenso würde ich einen Comantschen befreien, wenn er unschuldig in die Hände der Bleichgesichter gefallen wäre. Old Shatterhand ist aller Guten Freund und aller Bösen Feind; er fragt nicht nach der Farbe des Hilfsbedürftigen.«
»Du hast dir aber dadurch die Feindschaft und Rache der Comantschen zugezogen!«
»Nein.«
»Ja.«
»Nein, denn ich habe am andern Morgen mit Vupa Umugi, ihrem Häuptlinge, gesprochen und ein Bündnis geschlossen. Er war mein Gefangener und ich gab ihn frei.«
»Wußtest du, was die Comantschen dort an dem Saskuankui wollten?«
»Wie sollte ich das wissen? Ich habe sie nicht gefragt. Sie werden wahrscheinlich dort gewesen sein, um Fische zu fangen.«
»Weißt du, wo sie sich jetzt befinden?«
»Ich vermute es.«
»Wo?«
»Sie werden westwärts nach dem Mistake-Cañon gezogen sein, um den dortigen Comantschen beizustehen, die, wie ich hörte, von weißen Reitern bedroht werden.«
»Uff!« rief er aus, indem sein Gesicht ein überlegenes Lächeln zeigte. Seine Leute warfen sich Blicke zu, die mir sagten, daß ich in diesem Augenblicke mir auf meine Klugheit gar nichts einzubilden hätte. Dann fuhr er fort.
»Waren noch andere Männer bei dir?«
»Einige Bleichgesichter.«
»Wohin seid ihr vom Saskuan-kui aus geritten?«
»Nach Westen.«
»Und doch befindest du dich jetzt so weit östlich von dem blauen Wasser! Wie kommt das?«
»Ich hörte von der Feindschaft zwischen den weißen Soldaten und den Kriegern der Comantschen. Als Weißer hätte ich den Soldaten helfen müssen; da ich aber ein Freund der roten Männer bin, suchte ich dies dadurch zu umgehen, daß ich mich ostwärts wandte.«
»Wieder nach dem blauen Wasser?«
Es war für ihn natürlich sehr wichtig, zu erfahren, ob ich wieder dort gewesen sei. Ich antwortete:
»Weshalb hätte ich dorthin zurückkehren sollen? Ich bin nach dem Llano geritten, um meinen jungen Bruder Bloody-Fox zu besuchen, den du auch kennst, denn du bist damals sein Gast gewesen und hast die Pfeife des Friedens und der Freundschaft mit ihm geraucht.«
»Hast du die Bleichgesichter mit zu ihm genommen, die bei dir waren?«
»Das fragst du, der doch weiß, daß wir Bloody-Fox versprochen haben, sein Geheimnis nicht zu verraten? Kann ich da fremde Männer zu ihm bringen?«
»Wo sind sie jetzt?«
»Als ich mich von ihnen trennte, wollten sie nach dem großen Flusse und EI Paso hinüber.«
»Hast du Bloody-Fox getroffen?«
»Ja.«
»Wo befindet er sich jetzt?«
»In seinem Hause.«
»Du bist so schnell von ihm fort. Hat er seinen berühmten Bruder Old Shatterhand nicht bei sich behalten wollen?«
»Doch. Ich kehre zu ihm zurück.«
»Warum verließest du ihn heut? Wohin wolltest du jetzt reiten?«
»Muß ich dir das erst sagen? Weißt du nicht mehr, daß es seine Aufgabe ist, den Llano von den Geiern zu befreien?«
»Da hilfst du ihm?«
»Ja, heut ganz genau noch so wie damals, als du bei uns warst. Doch, nun habe ich alle deine Fragen beantwortet, und du weißt, was du wissen wolltest; jetzt wollen wir das Calumet sprechen lassen.«
»Warte noch!«
Ich hatte mich scheinbar wie ein Knabe ausfragen lassen; er war auch ganz stolz darauf, mich so ausgehorcht zu haben; das sah ich den triumphierenden Blicken an, die er auf seine Begleiter warf. Er glaubte wahrscheinlich in diesem Augenblicke, mir wirklich gewachsen zu sein, denn sein »Warte noch!« klang außerordentlich gebieterisch, und es war ein Ton mich still belustigender Überlegenheit, in welchem er fortfuhr:
»Es sind Sonnen und Monde vergangen, seit wir uns damals von einander trennten, und während so langer Zeit verändern sich die Menschen; aus Klugen werden Kinder, und Kinder werden stark und weise. Old Shatterhand ist auch ein Kind geworden.«
»Ich? Wieso?«
»Du hast dich von mir ausfragen lassen wie ein Knabe, der noch kein Hirn besitzt, oder wie ein altes Weib, dessen Hirn vertrocknet ist. Deine Augen sind dunkel geworden und deine Ohren taub. Du ahnst nicht, wer wir sind und was wir wollen.«
»Uff, uff! Ist das die Rede eines jungen Mannes, mit dem ich einst die Pfeife des Friedens rauchte?«
»Es ist die Rede eines jungen Mannes, aus dem ein großer und berühmter Krieger geworden ist. Das Calumet gilt nichts mehr, denn du bist nicht mehr mein Freund, sondern mein Feind, den ich töten muß.«
»Beweise es, daß ich dein Feind geworden bin!«
»Du hast unsern Gefangenen befreit!«
»War er der deinige?«
»Ja.«
»Nein. Ich befreite ihn aus den Händen der Naiini-Comantschen; du aber gehörst zu einem andern Stamme.«
»Die Naiini sind meine Brüder; ihr Feind ist auch mein Feind. Kennst du sie nicht, die hier vor dir sitzen?«
»Gehören diese Krieger nicht zu deinem Stamme?«
»Nur zwanzig von ihnen. Die übrigen dreißig sind Naiini, die du am blauen Wasser gesehen hast. Wir haben die Beile des Krieges gegen alle Bleichgesichter ausgegraben, und du bist ein Bleichgesicht. Weißt du, was deiner wartet?«
»Ich weiß es.«
»So sage es!«
»Ich werde wahrscheinlich mein Pferd wieder besteigen und ruhig weiterreiten.«
»Uff! Es ist wirklich wahr, daß Old Shatterhand ein Kind geworden ist. Du wirst unser Gefangener sein und am Marterpfahle sterben.«
»Ich werde weder euer Gefangener sein, noch sterben, wenn und wie es euch, sondern dem großen Manitou gefällt.«
Die Ruhe und Unbefangenheit, mit welcher ich dies sagte, war ihm und seinen Leuten unerklärlich. Ich regte mich nicht; ich machte keine Bewegung, weder der Flucht, noch der Verteidigung; das hielt ihre Hände von den Waffen ab. Sie bemerkten freilich nicht, daß ich einen jeden von ihnen scharf und genau im Auge hatte.
Es war ein fast geringschätziges oder gar mitleidiges Lächeln, mit dem der Häuptling mich fragte:
»Glaubst du etwa, uns widerstehen zu können?«
»Ja, das glaube ich.«
»Uff! Du hast wirklich den Verstand verloren. Siehst du denn nicht, daß du fünfmal zehn tapfere Krieger gegen dich hast?«
»Hat Old Shatterhand jemals seine Feinde gezählt?«
»So rechnest du auf dein Zaubergewehr?«
Im Nu hatte ich den Henrystutzen in der Hand, sprang auf, stellte mich hinter mein Pferd, welches meinen Körper deckte, und rief:
»Ja, darauf verlasse ich mich. Wer von euch nach irgend einer Waffe greift, bekommt augenblicklich eine Kugel! Ihr wißt, daß ich mit diesem Gewehre unaufhörlich schießen kann!«
Das war so rasch geschehen, daß sie, als ich diese Worte gesprochen hatte, noch saßen wie zuvor. Einer langte hinter sich, wo seine Flinte lag; als er aber meinen Lauf sofort auf sich gerichtet sah, zog er den Arm zurück. Die Angst vor der ›Zauberflinte‹ war noch ganz ebenso stark wie früher. Ich wußte, was nun kommen würde, nämlich ein Angriff, einstweilen noch mit Worten. Das hatte ich beabsichtigt, denn dabei hoffte ich, das zu erfahren, was ich wissen wollte. Keiner getraute sich, der erste mit der Hand an der Waffe zu sein; darum stand zu erwarten, daß man mich durch Worte, durch Drohungen bewegen werde, mich freiwillig zu ergeben.
Man denke ja nicht, daß allzuviel Verwegenheit zu meinem Verhalten gehörte. Ich kannte die Roten und die Furcht vor meinem Stutzen, und ich hatte, natürlich von ihnen unbemerkt, den mir gegenüberliegenden niedrigen Rand der Thalmulde gemustert, wohin ich Old Surehand mit seinen Apatschen bestellt hatte. Von dort drohten über siebzig Gewehrmündungen herab, allerdings nur für mich sichtbar, der ich davon wußte. Die Besitzer dieser Gewehre lagen tief im Sande eingewühlt und konnten also nicht gesehen werden. Auf der Höhe hinter mir lag jedenfalls die Abteilung Entschar-Ko's ganz ebenso bereit; links hinten hielt Winnetou, und von rechts her mußte Old Wabble bei dem ersten Schusse erscheinen. Da war es gar nicht schwer, so zuversichtlich zu sein, wie ich mich zeigte.
Was ich erwartet hatte, das geschah: der junge Häuptling versuchte es zunächst mit der Überredung.
»Pshaw!« rief er mit einem Lachen aus, welches freilich etwas gezwungen klang. »Wir wissen, daß deine Flinte unaufhörlich schießt, aber fünfzigmal kannst du doch nicht auf einmal schießen. Du wirst zwei oder drei oder vier treffen; dann aber haben wir dich ergriffen!«
»Versucht es doch!«
»Wir brauchen auch das nicht zu thun. Wir sind viel mächtiger und zahlreicher, als du denkst.«
»Pshaw!« lächelte ich höhnisch, um ihn zu den gewünschten Mitteilungen zu verleiten. »Euch fünfzig fürchte ich nicht: Kommt doch heran!«
»Wir können warten; aber sobald du schießest, werden wir uns wehren.«
Ach, jetzt war also schon nicht mehr vom Angreifen, sondern nur noch vom Wehren die Rede!
»Wenn ich mich entferne und auf jeden schieße, der mir folgt, wird keiner von euch es wagen, mich zu halten!«
»Du wirst trotzdem nicht entkommen. Wir sind nicht allein, sondern nur der Vortrab eines ganzen Heeres.«
»Pshaw! Lüge!«
»Es ist keine Lüge, sondern Wahrheit!« versicherte er eifrig. »Wohin wolltest du fliehen?«
»Zu Bloody-Fox.«
»Den wollen wir ja überfallen; da gerietest auch du in unsre Hände!«
»So reite ich nach Westen!«
»Dorthin giebt es nur einen Weg. Du müßtest nach dem Suks-ma-lestavi flüchten.«
»Das werde ich.«
»Da würdest du auf Vupa Umugi stoßen, welcher dorthin gezogen kommt.«
»Ich weiß es; aber er kommt erst in drei Tagen.«
»Nichts kannst du wissen! Er wird schon morgen abend dort eintreffen.«
»Da ist es dunkel, und es wird mir leicht gelingen, mich vorüberzuschleichen.«
»So wirst du von Nale-Masiuv gefangen, der nur einen halben Tag später kommt.«
»Pshaw!«
»Lache nicht! Es ist auch jenseits der Wüste eine weite Ebene, in welcher du gesehen werden mußt. Wie kannst du so vielen Kriegern entgehen? Wenn dein Verstand noch nicht geschwunden ist, wirst du dich uns ergeben.«
»Old Shatterhand? Sich ergeben? Wem? Einem Knaben, wie du bist? Bist du überhaupt ein Knabe? Bist du nicht ein kleines, wimmerndes Mädchen, welches noch auf den Rücken der Mutter gehört, nicht aber unter erwachsene Männer, welche sich Krieger nennen?«
Einen Indsman ein altes Weib zu heißen, ist eine sehr große Beleidigung; noch größer aber ist die, ihn ein kleines Mädchen zu nennen. Schiba-bigk sprang wütend von seinem Sitze auf und schrie mich an, freilich ohne nach seinem Gewehre oder seinem Messer zu greifen:
»Hund, soll ich dich töten? Ich brauche nur ein Wort zu sagen, so fallen fünfzig Krieger über dich her!«
»Und ich brauche nur ein Zeichen zu geben, so seid ihr in zwei Minuten tot, wenn ihr euch mir nicht ergebt!«
Bei diesen Worten zog ich den Hahn der Büchse auf.
»So gieb doch dieses Zeichen!« höhnte er.
»Sag das nicht noch einmal, sonst thue ich es!«
»Thue es doch, thue es! Wir wollen sehen, wer dir zu Hilfe kommen kann, uns zu töten oder zu fangen!«
»Sofort sollst du es sehen. Paß auf!«
Mein Schuß krachte. Da kamen von der gegenüberliegenden Höhe über siebzig Apatschen unter Kriegsgeheul herabgesprungen; sie hatten ihre Pferde droben zurückgelassen. Hinter mir wurde das Geheul erwidert; von links her kam Winnetou mit seiner Abteilung und von rechts her Old Wabble mit der seinigen gesprengt. Die Comantschen waren starr, ganz bewegungslos vor Schreck.
»Entwaffnet sie; bindet sie!« rief Winnetou.
Sie lagen, noch ehe sie an Gegenwehr dachten, am Boden und jeder wurde von fünf, sechs Apatschen niedergehalten, um gebunden zu werden. Kaum zwei Minuten nach der letzten höhnischen Aufforderung Schiba-bigks waren sie alle gefesselt, ohne daß auch nur einer der Apatschen die geringste Verletzung davongetragen hatte. Nun ließen sie allerdings ihre Stimmen hören und versuchten, sich unter dem Drucke der unzerreißlichen Riemen aufzubäumen, vergeblich.
»Nun, Sir, habe ich meine Sache gut gemacht?« fragte mich Old Wabble, indem er zu mir trat.
»Ja,« antwortete ich. »Aber viel dürft Ihr Euch ja nicht darüber einbilden, denn es war kinderleicht.«
»Ja, wenn man einmal denkt, ganz fehlerlos gehandelt zu haben, dann war es kinderleicht; th'is clear!«
Er wendete sich mißmutig ab.
Das Thal war jetzt voller Pferde und Menschen; die ersteren wurden angehobbelt, und die letzteren lagerten sich. Die Gefangenen schob man so zusammen, daß sie eng nebeneinander lagen. Ihren jungen Häuptling aber ließ ich so weit von ihnen entfernen, daß sie nicht hören konnten, was ich mit ihm sprach. Es geschah das aus Rücksicht für ihn, denn ich wollte ihn nicht unglücklich machen. Wären die Demütigungen, die ihm bevorstanden, an ihre Ohren gekommen, so hätte er auf seine Häuptlingswürde für immer verzichten müssen. Ich wußte, daß seine gegenwärtige Niederlage überhaupt schon schlimme Folgen nach sich ziehen werde, selbst wenn ihm bei uns nichts Schlimmes weiter geschah.
Nach den unter ›Gentlemen‹ herrschenden Regeln wäre es freilich sehr unedel gewesen, ihm die Beleidigungen zurückzugeben; ich hätte stolz darüber schweigen müssen; hier aber war es etwas ganz andres. Es galt, dem Seelenleben eines jungen, hoffnungsvollen Indianers eine Richtung zu geben, die es ihm ermöglichte, seinen einstigen Untergebenen etwas weit Besseres als ein roher, blutdürstiger Kriegshäuptling zu werden. Ich setzte mich neben ihn und winkte diejenigen fort, welche sich uns nähern wollten; ich hielt es für besser, allein mit ihm zu sein. Er wendete das Gesicht von mir weg und schloß die Augen.
»Nun,« fragte ich, »wird mein junger Bruder auch jetzt noch behaupten, daß er ein großer, ein so berühmter Krieger sei?«
Er antwortete nicht, aber er schien den milden Ton, in welchem ich dies sagte, nicht erwartet zu haben, denn seine finsteren Züge erhellten sich ein wenig.
»Oder ist Schiba-bigk immer noch der Ansicht, daß man Old Shatterhand zu den alten Weibern rechnen müsse?«
Er regte sich nicht und sagte nichts. Ich fuhr fort:
»Der Vater meines jungen Freundes hat Tevua-Schohe geheißen, das ist Feuerstern; ich bin sein Freund und Bruder gewesen, und er war der einzige Krieger der Comantschen, den ich liebte.«
Jetzt öffnete er die Lider halb und warf einen forschenden Blick in mein Gesicht, sagte aber noch immer nichts.
»Feuerstern starb unter den Händen weißer Mörder, und mein Herz wurde krank, als ich es hörte. Wir haben ihn an den Mördern gerächt, und die Liebe, die ich für ihn hegte, ist auf seinen Sohn übergegangen.«
Er schlug die Augen auf, drehte den Kopf herum und richtete den Blick voll auf mich, verharrte aber auch jetzt noch in seinem Schweigen. Ich sprach weiter:
»Old Shatterhand hatte einen Namen, der an allen Lagerfeuern ertönte, und Schiba-bigk war ein Knabe, den niemand kannte. Dennoch nahm er sich seiner an, denn er wünschte, der junge Sohn der Comantschen möchte ein Mann werden, wie sein Vater war, mild und treu im Herzen, hell und klar im Kopfe und stark in der Faust. Ich geleitete dich damals durch den öden Llano estacado; ich half dir gegen deine Feinde; ich führte dich nach der Wohnung des Bloody-Fox und war dein Lehrer in all' den Tagen, die wir dort verlebten. Wenn ich zu dir sprach, so erschien dir meine Stimme wie die Stimme des toten Vaters, und wenn ich deine Hand in die meinige nahm, so glänzte Wonne auf deinem Gesichte, als ob meine Hand diejenige deiner Mutter sei. Damals hattest du mich lieb.«
»Uff, uff!« sagte er jetzt leise, und seine Augen schimmerten feucht.
»Da füllte ich mein Calumet und rauchte die Pfeife des Friedens und der Brüderschaft mit dir; ich war der ältere, und du warst der jüngere Bruder, denn wir hatten miteinander einen Vater, den guten Manitou, von dem ich dir erzählte. Ich ließ dich in mein Herz und in meinen Glauben blicken und glaubte, ein Maiskorn in das deinige gepflanzt zu haben, welches sich nach und nach zu einer großen, reichen Ernte vermehren würde, denn dein Herz war ein fruchtbarer Boden und verhieß tausendfältige Frucht.«
»Uff, uff, uff!« wiederholte er, abermals ganz leise und gepreßt, als ob er sich Mühe gebe, die Thränen zu unterdrücken.
»Was ist aus diesem Maiskorne geworden? Es hat keinen Tau und keine Sonne gefunden und ist elend vertrocknet und verdorrt.«
»Aga, aga, nein, nein!« versicherte er, endlich ein Wort sprechend, wobei ihm aber das Gewissen oder die Scham das Gesicht von mir wieder wegdrehte.
»Uweh uweh, ja ja,« behauptete ich; »es ist so, wie ich sage. Was ist aus meinem jungen Freund und Bruder geworden? Ein undankbarer Gegner, ein Feind, der mich verhöhnt und mir nach dem Leben trachtet. Das ist traurig, sehr traurig bei einem jungen Krieger, der nur das strenge Gesetz der Prairie kennt; noch viel, viel trauriger aber ist es von einem Jünglinge, der einen Christen lieb gehabt und durch ihn den großen, guten Manitou kennen gelernt hat. Als du vorhin Old Shatterhand beschimpftest und verhöhntest, konntest du mich nicht beleidigen; aber es hat meinem Herzen sehr wehe gethan, daß du meine Lehren vergessen hast und geworden bist wie einer, dem ich meine Hand nie wieder reichen kann. Wer ist schuld daran?«
»Nale-Masiuv und die andern Häuptlinge,« antwortete er, sich mir wieder zuwendend. »Ich erzählte ihnen alles, was ich von dir gehört hatte; da lachten sie über mich und sagten, Old Shatterhand habe den Verstand verloren und sei ein priest geworden.«
»Mein junger Bruder, ich wollte, ich wäre ein priest und könnte der deinige sein! Du hast dich also Old Shatterhands geschämt?«
»Uweh uweh, ja ja,« nickte er.
»So sollte ich mich jetzt nun deiner schämen; ich thue es aber nicht, sondern traure um dich. Eure Häuptlinge und Medizinmänner und diejenigen, welche nach dem Willen des großen, guten Manitou handeln, sind an ihren Thaten zu erkennen und von einander zu unterscheiden. Was hättet Ihr mit mir gethan, wenn ich in eure Hände gefallen wäre?«
»Wir hätten dich an den Marterpfahl gebunden.«
»Und doch habe ich euch nichts Übles zugefügt. Ihr aber habt mir nach dem Leben getrachtet. Was denkst du wohl, was nun mit euch und dir geschehen wird, da wir euch ergriffen haben?«
Er bäumte sich in den Fesseln halb empor, sah mir starr in das Gesicht und fragte hastig:
»Sag du es selbst, wie ihr euch rächen werdet!«
»Rächen? Ein Christ rächt sich nie in seinem Leben, denn er weiß, daß der große und gerechte Manitou alle Thaten der Menschen so vergelten wird, wie sie es verdienen. Du wirst einige Tage unser Gefangener sein und dann die Freiheit zurückerhalten.«
»Ihr werdet mich nicht töten, nicht vorher martern?«
»Nein.«
»Mich peinigen und verwunden?«
»Nein. Wir verzeihen dir.«
Er sank unter einem langgedehnten Seufzer wieder zurück, fragte aber hierauf schnell und mit blitzendem Auge:
»Glaubt Old Shatterhand etwa, daß ich aus Angst vor den Schmerzen so gefragt habe?«
»Nein. Ich weiß, daß du die Schmerzen verachtest, die man deinem Körper zufügen würde. Es waren Schmerzen der Seele, welche dir geboten, diese Frage auszusprechen. Ist es so oder nicht?«
»Old Shatterhand hat recht.«
»Und noch eines will ich meinem jungen Freunde sagen; ich weiß freilich nicht, ob du mich verstehen wirst. Du glaubtest vorhin, mich recht klug ausgefragt zu haben; aber ich wußte bereits alles, denn ich habe die Naiini am blauen Wasser und die Roten Nale-Masiuvs belauscht, und in den Antworten, die ich dir erteilte, waren, ohne daß du es ahntest, Fragen verborgen, die du mir alle ohne dein Wissen beantwortet hast. Nicht du hast mich, sondern ich habe dich ausgefragt. Du warest so stolz und deiner Sache sicher, und doch hast du mir verraten, daß Vupa Umugi morgen abend und Nale-Masiuv einen halben Tag später nach dem Suksma-lestavi kommen wird. Wie ist das zu erklären?«
Ich weiß es nicht; ich wollte nichts verraten.«
»Aber ich weiß es. Du hattest dich zwar Old Shatterhands und seiner Lehre geschämt, aber beide wohnten, ohne daß du es dachtest, noch in deinem Herzen. Als ich dann vor dir stand, in deinen Augen als Besiegter und doch eigentlich als Sieger, empörte sich dein Herz gegen dich selbst und hieß dich Dinge sagen, die du verschweigen solltest. Hast du das verstanden?«
»Nicht ganz, aber ich werde darüber nachdenken. Was wird mit mir geschehen, wenn die andern Häuptlinge erfahren, daß ich alles verraten habe!«
»Du hast nichts verraten, sondern ich habe das alles vorher gewußt. Ich lag nahe am Beratungsfeuer, als Vupa Umugi mit den alten Kriegern den Überfall des Bloody-Fox besprach, und ich war dabei, als die zwei Boten Nale-Masiuvs kamen und den Wächtern am Flusse ihre Botschaft anvertrauten. Ich habe auch die Späher belauscht, welche Vupa Umugi nach dem ›Kleinen Walde‹ schickte. Ja, Winnetou hat schon längst gewußt, daß Bloody-Fox von euch überfallen werden soll, und ist schleunigst nach dem Llano geritten, um ihm beizustehen.«
»Uff, uff, Winnetou! Darum sehe ich ihn hier mit so vielen Kriegern der Apatschen!«
»Damit du dir keine Vorwürfe machst, will ich dir sogar anvertrauen, daß wir wissen, daß die weißen Soldaten nach dem Llano gelockt und durch die Pfähle, welche ihr heute gesteckt habt, in den Tod geführt werden sollen. Du hattest die Stangen zu stecken; dann kommt Vupa Umugi mit seinen hundertfünfzig Kriegern; hierauf folgen die Soldaten, und endlich soll Nale-Masiuv erscheinen, der nach seinen Wigwams um neue hundert Mann gesendet hat.«
»Uff! uff! Entweder seid ihr viel, viel klügere Männer als wir, oder Manitou hat euch lieber als uns und steht euch gegen uns bei!«
»Manitou hat alle Menschen gleich lieb, die roten wie die weißen; aber wer ihm gehorcht und nach seinem Willen handelt, den beschützt er in jeder Gefahr und giebt ihm Weisheit und Verstand, alle Feinde zu überwinden. Wir werden sämtliche Krieger der Comantschen gefangen nehmen.«
»Ich glaube es; ich glaube es; ich höre es dir an! Was werdet ihr dann mit den vielen Gefangenen thun?«
»Wir werden sie zum Guten ermahnen und ihnen dann die Freiheit wiedergeben.«
»Obgleich sie eure Feinde sind?«
»Der Christ kann Feinde haben, ist aber niemals selbst ein Feind. Seine Rache besteht in der Verzeihung.«
Er wendete den Kopf wie unter einer innern Qual hin und her und meinte, tief und schwer atmend:
»So können nur die Bleichgesichter sein; ein roter Krieger aber kann und darf das nicht!«
»Du irrst. Grad der tapferste und berühmteste unter den roten Kriegern ist genau so, wie du es jetzt von mir hörtest.«
»Wen meinst du?«
»Wen anders doch als Winnetou!«
»Den Häuptling unserer ärgsten Feinde, der Apatschen!«
»Warum nennt ihr sie eure Feinde? Haben sie euch angegriffen, oder seid ihr es, von denen das Beil des Krieges ausgegraben worden ist? Ihr waret stets die ersten, die zum Angriffe schritten, und doch sagte Winnetou erst gestern abend, daß womöglich das Blut keines einzigen Comantschen vergossen werden solle! Die roten Männer und Völker müssen untergehen, weil sie nicht aufhören, sich untereinander selbst zu zerfleischen; ihr Manitou ist ein Manitou des Blutes und der Rache, der ihnen selbst in den ewigen Jagdgründen keinen Frieden, sondern Schlachten und Kämpfe ohne Ende bietet. Unser Manitou aber hat uns ein großes Gebot gegeben, welches alle, die an ihn glauben, schon hier auf Erden glücklich und nach dem Tode ewig selig macht.«
»Will Old Shatterhand mir dieses Gebot sagen?«
»Es lautet: wir sollen ihn allein verehren und alle Menschen lieben wie uns selbst, mögen sie nun unsre Freunde oder unsre Feinde sein.«
»Auch unsre Feinde?« fragte er, indem er mich mit weit offenen, erstaunten Augen ansah.
»Ja, auch die Feinde.«
»Wie uns selbst?«
»Wie uns selbst.«
»So soll ich einen Apatschen, der mir nach dem Leben trachtet, so lieben, wie ich meinen Vater liebte und wie ich mich selbst liebe?«
»Ja. Es giebt eine einzige große Liebe, welche, wenn sie wahr ist, nicht in einzelne größere und kleinere Teile zerfallen kann.«
»Dann sind es nur die Bleichgesichter, die sie haben; einem roten Krieger aber ist es niemals möglich, seinen Feind oder gar mehrere zu lieben.«
»Denke an Winnetou! Wir waren Todfeinde und sind Brüder geworden, die allezeit bereit sind, ihr Leben für einander zu lassen. Ihr seid seine Feinde, und doch verzeiht er es euch, daß ihr ihm und den Seinen nach dem Leben trachtet. Er giebt euch, seinen grimmigen Feinden, die Freiheit zurück, obwohl er weiß, daß ihr ihn trotzdem nicht weniger hassen werdet. Wie oft war ich dabei, wenn er Feinde besiegte, die ihn töten wollten; ihr Leben lag in seiner Hand; er konnte es ihnen nehmen; er hat es ihnen aber stets geschenkt. Darum ist er geehrt und berühmt, so weit man seinen Namen kennt, und darum kann ich behaupten, daß es auch einem roten Krieger sehr wohl möglich ist, seinem Feinde zu verzeihen und ihm Wohlthat und Liebe zu erweisen. Ich wollte, mein junger Bruder könnte sein wie Winnetou!«
Er hielt die gefesselten Hände an die Stirne, schwieg eine ganze, ganze Weile und bat mich dann:
»Old Shatterhand mag gehen, und mich allein lassen! Ich will mit mir selbst sprechen; ich will mich fragen, ob ich so sein kann, wie Winnetou, der große Häuptling der Apatschen.«
Ich folgte seiner Aufforderung und ging, wohl wissend, daß ich ihn in innerer Pein zurückließ. Warum hatte ich ihm nur Winnetou, einen Menschen, einen Indianer, zur Nachahmung genannt? Gab es nicht höhere Vorbilder? Warum hatte ich nicht das höchste, das heiligste erwähnt? Weil es ihm in dieser Kürze unverständlich, unbegreiflich gewesen wäre; war ihm doch schon Winnetou zu viel, obgleich er diesen vor sich sah und hundert Züge des Edelmutes und der Liebe aus seinem Leben kannte! Man muß auch mit der Darreichung geistiger Nahrung vorsichtig sein. Jedenfalls hatte ich das verschwundene »Maiskorn« wieder aus der unfruchtbaren Tiefe emporgeholt, und die Folge zeigte, daß es von heute an zu keimen begann.
Ich sah Winnetou mit Entschar-Ko und den Weißen beratend beisammensitzen und ging zu ihnen. Dabei bemerkte ich wohl, daß Winnetou sich schweigend dabei verhielt oder verhalten hatte, denn wenn ich mich bei ihm befand, war es nicht seine Art und Weise, andern Leuten vor mir seine Ansicht darzulegen.
»Gut, daß Ihr kommt, Mr. Shatterhand,« sagte Old Wabble. »Wir müssen doch besprechen, was geschehen soll.«
»Habt ihr es nicht schon besprochen, Sir?« fragte ich.
»Wir haben freilich hin und her geredet, doch will es uns nicht gelingen, einig zu werden.«
»Das ist doch seltsam! Nach allem, was wir jetzt wissen, kann es doch gar keinen Zweifel darüber geben, was wir thun müssen.«
»So? Sonderbar, daß es bei Euch nie einen Zweifel giebt. Ob aber Winnetou mit Euch einverstanden ist?«
Da erklärte der Apatsche in seiner bekannten Weise:
»Der Plan meines Bruders Shatterhand ist gut. Wir werden ihn ausführen.«
»Schön! Aber erst müssen wir ihn hören, denn was man nicht weiß, das kann man auch nicht wissen; th'is clear! Also sprecht, Mr. Shatterhand! Wann soll von hier aufgebrochen werden?«
»Sogleich,« antwortete ich.
»Wohin? Nach der Oase?«
»Ja, aber nicht alle; wir werden uns teilen.«
»Ah! Wieso?«
»Es gilt, die bereits eingesetzten Stangen, welche den richtigen Weg nach der Oase verraten, schleunigst zu entfernen und in der Richtung nach der Gegend in den Sand zu stecken, von welcher Bloody-Fox sprach.«
»Wer soll das thun? Ich möchte mit.«
»Das geht nicht an; es darf das natürlich nur von Indianern geschehen.«
»Warum? Ich sehe keinen Grund dazu.«
»Das ist auch gar nicht nötig, Sir, wenn nur ich ihn kenne. Diejenigen, welche diese Aufgabe lösen, werden natürlich zahlreiche Spuren zurücklassen, und das müssen Indianerspuren sein, damit Vupa Umugi sie für die Spuren seiner Comantschen hält, wenn er kommt.«
»Ah, brillant! Das leuchtet mir ein.«
»Es dürfen nicht weniger und nicht mehr Leute sein, als wir hier Comantschen festgenommen haben. Darum wird Winnetou mit fünfzig Apatschen und den hier noch vorrätigen Stangen sofort von hier nach dem Gutesnontin-khai aufbrechen, um die Arbeit auszuführen.«
Kaum hatte ich dies gesagt, so stand der Häuptling auch schon auf und fragte mich:
»Hat mein Bruder für mich noch etwas hinzuzufügen? Ich will fort.«
»Nur eine Bemerkung – Da du das Kaktusfeld nicht kennst, nach welchem wir die Comantschen locken wollen, so wirst du die Stangen in südöstlicher Richtung aufstellen müssen. Ich sende dir dann Bloody-Fox zu, der dich genauer führen wird. Das ist alles, was ich dir zu sagen habe.«
Eine längere, eingehendere Besprechung war zwischen uns beiden nicht nötig. Schon fünf Minuten später galoppierte er mit fünfzig Apatschen aus dem Thale hinaus, den ›hundert Bäumen‹ zu.
»Das ist ein Kerl!« bewunderte ihn der alte Wabble. »Der bedarf keiner stundenlangen Instruktion, um zu wissen, wie er etwas anzufassen hat! Welche Anweisung werdet Ihr denn uns erteilen, Mr. Shatterhand?«
»Gar keine. Wir reiten direkt nach der Oase.«
»Und dann?«
»Dann bleibt ihr zur Bewachung der Gefangenen so lange dort, bis ihr Nachricht von mir bekommt.«
»Von Euch? Ihr werdet also nicht bleiben?«
»Nein. Ich muß auch nach den ›hundert Bäumen‹, um die Ankunft der Comantschen dort zu beobachten.«
»Allein?«
»Mr. Surehand wird mich begleiten.«
»Könnte ich denn nicht mit? Ich verspreche Euch, ganz gewiß keinen Bock oder Pudel zu schießen!«
Ich hatte keine Lust, ihn mitzunehmen, seiner bekannten Voreiligkeit wegen, aber er gab so lange gute Worte, bis ich endlich beistimmte:
»Nun wohl, so reitet mit! Aber wenn ein einziger Fehler vorkommt, sind wir geschiedene Leute. Was werdet Ihr inzwischen mit Euren gewaltigen mexikanischen Sporen machen?«
»Mit meinen Sporen? Soll ich die vielleicht nicht an den Füßen behalten, Sir?«
»Nein.«
»Warum?«
»Weil wir auch indianische Fußeindrücke machen müssen, um nicht den Argwohn der Comantschen zu erregen! Wir werden also unsere Stiefel mit Mokassins vertauschen.«
»Woher welche nehmen?«
»Von den Gefangenen; die werden schon die Güte haben, uns auszuhelfen.«
»Hm! Wird sehr schwer fallen! Ja, Ihr mit Euern Parketfüßchen findet jedenfalls passende; aber seht da meine Ständer an!«
Er hatte allerdings Füße, die selbst für seine sehr hoch aufgeschossene Gestalt zu lang waren, und die riesige Bekleidung derselben gehörte zu der Art, von welcher man zu sagen pflegt, »mit drei Schritten über die Rheinbrücke in Mainz«.
Es war Zeit zum Aufbruche; ich ließ also die Comantschen aufsitzen und mit Riemen an die Pferde festbinden; sie ließen das geschehen, denn sie sahen ein, daß eine Weigerung die größte Dummheit gewesen wäre. Ihren jungen Anführer aber wollte ich nicht in derselben Weise behandeln; darum sagte ich zu ihm:
»Ich habe meinem roten Bruder Schiba-bigk mein Herz geschenkt, und es würde mir wehe thun, ihn ebenso fesseln zu müssen wie seine Leute. Wenn ich ihm erlaube, frei mit uns zu reiten, wird er da zu entfliehen versuchen?«
»Ich bin in deiner Hand,« antwortete er.
»Das ist keine Antwort, wie ich sie haben will.«
»Ist es nicht genug, wenn ich sage, daß ich in deiner Hand bin?«
»Nein. Daß du mein Gefangener bist, das weiß ich, ohne daß du es mit Worten zuzugeben brauchst. Ich will aber wissen, ob du, wenn ich dich nicht binden lasse, einen Versuch machen wirst, dich der Gefangenschaft zu entziehen.«
»Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten!«
»Ich weiß es.«
»Ihr werdet die Krieger der Comantschen alle ergreifen; aber wenn es mir gelänge, zu entkommen und sie zu warnen, würde kein einziger von ihnen in eure Gewalt geraten.«
»Das ist deine Ansicht, die meinige aber nicht.«
»Es ist meine Pflicht, die Flucht zu versuchen.«
»Diese Worte überzeugen Mich, daß du nicht nur ein wakkerer Krieger, sondern auch ein aufrichtiger, ehrlicher Mann bist. Dennoch werde ich dich nicht mit Riemen quälen.«
»Uff!« rief er erstaunt aus.
»Ja; ich werde dich nicht binden lassen.«
»Da entfliehe ich!«
»Pshaw! Selbst wenn wir zwei allein wären, würdest du nicht entwischen; du siehst, wieviel Reiter ich bei mir habe. Übrigens werde ich ein Mittel anwenden, welches dich fester als alle Fesseln bei uns halten wird.«
»Welches?«
»Ich nehme dir die Medizin ab.«
»Uff, uff!« rief er.
»Ja, das thue ich. Beim ersten Versuche, zu entfliehen, werden alle Gewehre auf dich gerichtet sein, und würdest du, was aber gar nicht möglich ist, von keiner Kugel getroffen, so hättest du im nächsten Augenblicke über zweihundert Verfolger hinter dir. Und sollte dich keiner von ihnen fangen, was wieder gar nicht zu denken ist, so würde ich deine Medizin vernichten und mit ihr deine Seele.«
Er senkte den Kopf und ließ ein ergebungsvolles »Uff« hören; er that auch keinen Griff, es zu verhindern, als ich ihm die Medizin abnahm und an meinen Hals hing. Er gab sich die allergrößte Mühe, seine Gedanken zu verbergen, konnte mich aber nicht täuschen. Es hatte, allerdings nur für einen ganz kurzen Moment, ein Licht in seinem Auge aufgeblitzt, welches mir sagte, daß er alles wagen und selbst den Verlust der Medizin daran setzen werde, die Freiheit zu erlangen.
Ich hatte also wohl Grund, ihn fesseln zu lassen, that dies aber nicht, denn ich wollte wissen, weshalb er, entgegengesetzt allen indianischen Anschauungen, selbst auf die Medizin verzichtete, um frei werden zu können. Sollten meine einstigen Lehren doch so tief in ihm gehaftet haben, daß sie im stande gewesen waren, seine heidnischen Ansichten über die ›ewigen Jagdgründe‹ ins Wanken zu bringen? Denn wenn die ›Medizin‹ ihre Macht über ihn verloren hatte, so konnte er unmöglich mehr an eine derartige Fortdauer nach dem Tode glauben; das stand fest. Also ließ ich ihn, um ihn in dieser Beziehung auf die Probe zu stellen, nicht binden, sorgte aber anderweit dafür, daß die Flucht nicht gelingen konnte.
Die beste Art und Weise, etwas, was andere thun wollen, zu verhindern oder unschädlich zu machen, ist die, es selbst herbeizuführen; dann hat man es in der Gewalt und kann zur rechten Zeit seine Gegenmaßregeln treffen. Also mußte ich, um des jungen Häuptlings sicher zu sein, ihm an irgend einem Augenblicke die Flucht so leicht wie möglich machen. Ging er auf diese Finte ein, so konnte ich ihn schnell fassen, grad so, wie die Katze die Maus, mit der sie spielt.
Als wir aufgebrochen waren, ritt ich zunächst allein hinterher, um, ohne daß der Häuptling es bemerkte, meinen Lasso so in fertigen Rollen um die Schulter zu legen, daß es nur eines schnellen Griffes bedurfte, ihn wurfgerecht in die Hand zu bekommen. Dann ritt ich als Führer voran und rief ihn an meine Seite. Ich unterhielt mich in der Weise mit ihm, als ob ich ihn gar nicht beaufsichtigte, und blieb dann, als es zu dunkeln begann, mit ihm weiter und weiter zurück, bis wir uns anstatt an der Spitze des Zuges schließlich am Ende desselben befanden. Die Dämmerung verdichtete sich schnell zum vollständigen Abenddunkel. Schiba-bigk ritt mir zur rechten Seite. Ich that so, als ob mir am Sattelzeuge etwas in Unordnung geraten sei, hielt das Pferd an und beugte Mich, ohne abzusteigen, an der linken Seite nieder. Wir waren die letzten im Zuge; ich drehte ihm den Rücken zu: Wenn er jetzt nicht floh, so hatte er überhaupt die Absicht gar nicht, uns zu entwischen. Ich griff gespannt mit der rechten Hand nach dem Lasso. Richtig! Ein Knirschen des Sandes, wie unter den Hufen eines Pferdes, welches auf den Hinterbeinen herumgeworfen wird – schnell erhob ich mich wieder im Sattel und drehte mich um: Da hinten flog er in Carriere auf dem Wege zurück, den wir gekommen waren, doch in demselben Augenblicke hatte ich mein Pferd gewendet und flog hinter ihm her. Mein Rappe hatte nicht ohne Grund den Namen Hatatitla, was so viel wie ›Blitz‹ bedeutet. Er war dem Pferde Schiba-bigks überhaupt und ganz besonders auch in Beziehung auf die Schnelligkeit weit überlegen. Es war noch nicht eine einzige Minute vergangen, so war ich dem Flüchtlinge so nahe, daß mein Lasso ihn erreichen mußte.
»Halt an!« rief ich ihm zu.
»Uff, uff!« antwortete er in schrillem Tone, was so viel bedeuten sollte, nein, das fällt mir gar nicht ein.
Da flog mein Lasso nach vorn; die Schlinge senkte sich auf ihn nieder und faßte ihn bei den beiden Armen, die sie ihm an den Leib zog. Ich hielt meinen Rappen an, und der Ruck, den der Lasso dadurch erhielt, riß den Indianer vom Pferde. Ich sprang ab und kniete bei ihm nieder. Er lag bewegungslos.
»Ist mein junger Bruder noch am Leben?« fragte ich, denn es war leicht möglich, daß er den Hals gebrochen hatte. Solche Unfälle kommen bei dem Fangen mit dem Lasso häufig vor.
Er antwortete nicht.
»Wenn Schiba-bigk nicht redet, werde ich ihn wie eine Leiche auf das Pferd schnallen. Wenn ihm dann die Glieder schmerzen, hat er es sich selbst zuzuschreiben,« warnte ich.
»Ich lebe,« antwortete er jetzt.
»Hast du Schaden genommen?«
»Nein.«
»So rufe dein Pferd herbei!«
Es war, als er aus dem Sattel gerissen wurde, noch eine Strecke weit fortgelaufen. Er stieß einen scharfen Pfiff aus, und es kam.
»Jetzt werde ich meinem jungen Bruder die Hände binden; er selbst ist schuld daran, daß ich das thun muß.«
Er lag noch am Boden. Die Schlinge des Lasso hielt ihm die Arme am Leibe fest. Ich half ihm beim Aufstehen, band ihm die Hände zusammen und befahl ihm, aufzusteigen. Als er das gethan hatte, zog ich ihm unter dem Bauche des Pferdes einen Riemen von einem Fuße zum andern und band dann seine Zügel mit den meinigen zusammen. Dadurch bekam ich sein Pferd in meine Gewalt, und er konnte nicht herunter. Nachdem ich mir den zusammengeschlungenen Lasso wieder über die Schulter gehängt hatte, stieg ich auf und ritt mit dem Gefangenen im Galoppe zurück, unserer Truppe nach.
Diese war halten geblieben, weil man bemerkt hatte, daß wir fehlten. Old Surehand, Wabble, Parker, Hawley und Entschar-Ko kamen uns entgegen.
»Gott sei Dank, da seid Ihr ja!« rief der alte König der Cowboys aus. »Wo habt Ihr denn gesteckt, Mr. Shatterhand?«
»Wir haben einen kleinen Aus- oder Rückflug unternommen,« antwortete ich.
»Der Rote wollte wohl echappieren?«
»Ja.«
»Da habt Ihr es! Sage ich nicht, daß diese Kerls alle nichts taugen? Solche Kerls darf man nicht mit Handschuhen anfassen, wie das so Eure Mode ist. Hoffentlich ist er nun gebunden?«
»Ganz nach Eurem Wunsche, Mr. Cutter.«
»Warum sagt Ihr das so ironisch, Sir?«
»Weil er schon vorher gefesselt war.«
»Das ist mir neu. Habe nichts davon gesehen.«
»Ob mit Riemen gefesselt oder durch meine Augen bewacht, das ist ganz dasselbe.«
»So? Na, wenn Eure Augen Riemen sind, so laßt sie nicht zu lang herunterhängen; die Pferde könnten sie Euch wegtreten; th'is clear!«
Ich hätte ruhig hinterherreiten können, denn eine Wiederholung des Fluchtversuches war nun vollständig ausgeschlossen; dennoch begab ich mich wieder an die Spitze, denn ohne meine Führung hätten die andern den Weg verfehlt. Auch Schiba-bigk hätte, selbst wenn er nicht in unsere Hände gefallen wäre, die Oase nicht überfallen können, weil es ihm unmöglich gewesen wäre, den neuen Durchgang durch den Kaktus zu finden. Er kannte nur den alten, und der war, wie schon erwähnt, von Bloody-Fox zugepflanzt worden.
Es war nach sechs Uhr dunkel geworden. Ungefähr anderthalb Stunden später kamen wir im Lager der Apatschen an, bei denen sich der Fuchs befand. Er war natürlich sehr begierig, zu erfahren, welchen Erfolg wir gehabt hätten, fügte aber der Frage, welche er daraufhin aussprach, gleich die Antwort hinzu:
»Uff! Da sehe ich, daß es gar keiner Erkundigung bedarf. Das sind ja eine ganze Menge Comantschen, die Ihr mitbringt. Ihr seid also mit Ihnen zusammengetroffen und habt sie gebeten, mitzukommen. Ist Schiba-bigk dabei?«
»Yes,« antwortete Old Wabble. »Werden doch die Roten nicht ohne ihren Anführer bringen!«
»Sind welche erschossen oder verwundet worden? Haben sie sich gewehrt?«
»Ist ihnen nicht eingefallen. Es hat keiner ein Löchlein in die Haut bekommen. Das ging so sauber zu wie in der Knabenschule, wenn Tintenklexe ausradiert werden. Will es Euch erzählen, wenn es Euch Vergnügen macht. Fürs Erste aber wollen wir hinein zum Wasser, um die Pferde trinken zu lassen. Das ist das Notwendigste, was geschehen muß.«
Er hatte Recht. Ich stieg ab und band Schiba-bigk los.
»Wenn mein roter Bruder sich eingebildet hat, Bloody-Fox überfallen zu können, so hat er sich in einem großen Irrtume befunden; die Gegend ist ganz anders geworden, als sie damals war. Weil du der Flucht verdächtig bist, wirst du den richtigen Weg nicht sehen dürfen.«
Ich nahm ihn vom Pferde, verband ihm die Augen und ergriff ihn beim Arme, um ihn durch den Kaktus nach der Hütte zu führen. Die Weißen und Entschar-Ko folgten uns. Die Gefangenen waren den Apatschen sogleich zur Bewachung übergeben worden; ihre Pferde wurden auch hereingebracht, um getränkt zu werden.
Eigentlich hatte ich die Absicht gehabt, nicht nur den feindlichen Comantschen, sondern auch den Apatschen den Zutritt zu dem Innern der Oase zu verwehren; es war immer am besten, gar keinen von ihnen diese Örtlichkeit kennen lernen zu lassen; aber dies hatte sich durch das unvermeidliche Tränken der Pferde als hinfällig erwiesen. Wenn über dreihundert Pferde und ebenso viele Menschen mit Wasser zu versehen waren, konnte der Quell unmöglich verborgen bleiben.
Während die andern sich draußen an den Tischen niedersetzten, führte ich Schiba-bigk in das Innere des Hauses, wo ich ihn anband.
»Mein Bruder hat es nur sich selbst zuzuschreiben, daß ich dies thue,« sagte ich. »Hätte er mir sein Wort gegeben, nicht zu entweichen, so dürfte er jetzt frei hier herumgehen.«
»Dieses Wort darf ich nicht geben,« antwortete er, »ich bin ein Häuptling der Comantschen, und da unsre Krieger sich in Gefahr befinden, habe ich die Pflicht, zu fliehen, sobald es möglich ist.«
»Diese Möglichkeit wird nicht eintreten!«
»Vorhin war sie da!«
»Nein!«
»Wenn das Pferd meines weißen Bruders nicht schneller gewesen wäre als das meinige, wäre ich entkommen.«
»Hast du das wirklich geglaubt?«
»Ja.«
»So habe ich dich für scharfsinniger gehalten, als du bist. Wir befanden uns erst dem Zuge voran. Warum blieb ich dann mit dir zurück?«
»Weil du glaubtest, mich sicher zu haben.«
»Nein, ganz im Gegenteile, weil ich wußte, daß du fliehen wolltest. Und weshalb hielt ich an, um nach meinem Sattelzeuge zu sehen?«
»Weil etwas daran zerrissen oder verschoben war.«
»Auch nicht, sondern um dir Gelegenheit zu geben, die Flucht zu ergreifen.«
»Uff!« rief er verwundert. »Old Shatterhand wollte mich an der Flucht verhindern und hat mir doch die Gelegenheit dazu gegeben!«
»Das begreifest du nicht?«
»Wer kann das begreifen!«
»Jeder Mensch, welcher gelernt hat, nachzudenken. Grad weil ich die Flucht verhindern wollte, habe ich dir die Gelegenheit dazu gegeben. Wärest du in einem Augenblicke geflohen, an welchem ich nicht darauf vorbereitet war, so hättest du, weil es dunkel war, trotz der Schnelligkeit meines Pferdes entkommen können; ich mußte also vorbereitet sein, und das konnte nur dadurch geschehen, daß ich selbst den geeigneten Augenblick herbeiführte; dann war ich um so schneller hinter dir her.«
»Uff, uff!«
»Siehst du es jetzt ein?«
»Ich sehe ein, daß es wahr ist, was alle roten und weißen Krieger wissen: Old Shatterhand ist nicht zu überlisten, sondern er überlistet sie alle.«
»Hm, dich heut zu überlisten, dazu gehörte gar nicht viel. Du bist ein Häuptling, aber doch noch fast ein Knabe; wenn du das wenigstens mir gegenüber beherzigen willst, so kann es dir nur zum Vorteile sein. Sei froh, daß mein Pferd schneller war als das deinige, und ich infolge dessen nur den Lasso angewendet habe! Hätte ich dich nicht so rasch einholen können, so wäre ich gezwungen gewesen, dich zu erschießen.«
»Schiba-bigk hat keine Angst vor dem Tode!«
»Das weiß ich; aber deine Flucht hatte doch nur den Zweck, die Comantschen zu benachrichtigen. Hättest du das thun können, wenn du erschossen worden wärest?«
»Uff, nein!«
»Du mußt also einsehen, daß du auch in dieser Beziehung unüberlegt gehandelt hast. Und wie konntest du vergessen, daß ich deine Medizin besitze!«
»Ich vergaß es nicht.«
»Und wolltest dennoch fort? Sonderbar! Mochte dir die Flucht gelingen oder nicht, so wäre deine Seele für immer verloren gewesen.«
»Nein!«
»Doch! Wer seine Medizin verliert, der kann sich eine andere suchen und dadurch seine Seele retten. Wer sich aber seine Medizin abnehmen läßt und sie wird vernichtet, dessen Seele ist auch vernichtet und wird nie in die ewigen Jagdgründe gelangen.«
»Old Shatterhand sagt da Etwas, was er selbst nicht glaubt!«
Ich sah trotz des schwachen Scheines der in der Stube brennenden, selbstgefertigten Talgkerze, daß sein Gesicht einen selbstbewußten, ja, ich möchte sagen, einen überlegenen Ausdruck annahm. Über das, was er jetzt dachte, hätte ein Deutscher sich wahrscheinlich ausgedrückt: jetzt habe ich Old Shatterhand im Sacke! Ich antwortete:
»Ob ich es glaube oder nicht, das ist Nebensache; aber Ihr glaubt es. Wenn ein roter Krieger einem Feind die Medizin abnimmt und sie aufbewahrt, so muß die Seele desselben ihn in den ewigen Jagdgründen bedienen, außer der große Geist offenbart ihm den Weg, sich eine neue Medizin zu erwerben. Wird aber die Medizin nicht aufbewahrt, sondern vernichtet, so ist mit ihr die Seele vernichtet für alle Ewigkeit. Das ist doch euer Glaube!«
»Aber nicht der meinige!«
»Nicht?« fragte ich scheinbar überrascht.
»Nein. Auch ich habe es geglaubt, aber nur so lange, bis mein großer Bruder Old Shatterhand mir von dem großen Manitou erzählte, der alle Menschen erschaffen hat, der allen gleiche Liebe gibt und zu dem alle Seelen zurückkehren werden. Kein Mensch kann einem andern seine Seele nehmen. Es wird nach dem Tode keine Herrscher und keine Diener, weder Sieger noch Besiegte geben. Vor dem Stuhle des großen, guten Manitou werden alle Seelen gleich sein; es wird ewige Liebe und ewiger Friede herrschen und weder Kampf noch Jagd und Blutvergießen geben. Wo sollen da die Jagdgründe liegen, von denen unsere Medizinmänner sprechen?«
Er hatte das in einem Eifer, der sich von Wort zu Wort steigerte, gesagt. Ich freute mich auf's herzlichste darüber. Das war es ja, was ich hatte erfahren wollen! Der Same, den ich damals in sein Herz gesäet hatte, war also doch aufgegangen und hatte unter der starren Rinde feste Wurzeln geschlagen.
»Ja, wenn du so denkst, dann hat ja keine Medizin mehr Wert für dich,« sagte ich, scheinbar absichtslos.
»Sie ist das Zeichen, daß ich Krieger bin, weiter nichts.«
»Dann hat es auch keinen Zweck, daß ich sie behalte. Hier hast du sie zurück.«
Ich nahm sie von meinem Halse und gab sie ihm. Er hing sie sich um und antwortete: »Sie hat mit meiner Seele nichts zu thun, aber sie ist das Zeichen des Kriegerranges, und darum danke ich dir, daß du sie mir wiedergiebst!«
»Hast du schon mit andern roten Kriegern darüber gesprochen, daß die Seele und die Medizin zwei Dinge sind, die einander nichts angehen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil sie es nicht glauben würden.«
»Aber du hast es doch mir geglaubt!«
»Mein Mund ist nicht der deinige, und wenn ich ganz dasselbe sage, was du gesagt hast, so ist es doch nicht dasselbe. Wird Old Shatterhand heut hier bleiben?«
Ich durfte ihm keine Auskunft erteilen und antwortete darum, über seine Frage weggehend:
»Mag ich hier sein oder nicht, es wird dir an nichts fehlen. Da du fliehen willst, muß ich dich noch als Feind betrachten; aber du sollst dich wenigstens zwischen diesen vier Wänden frei bewegen dürfen.«
»So willst du mich losbinden?«
»Bob, der Neger, wird dies später thun.«
»Der Nigger? Soll ein Nigger mich berühren? Weißt du nicht, daß kein roter Krieger mit einem Nigger etwas zu thun haben mag?«
»Und weißt du nicht, daß der große Manitou alle Menschen erschaffen hat und alle gleich sehr liebt, mögen sie nun eine schwarze, rote oder weiße Haut besitzen?«
Er blickte verlegen vor sich nieder.
»Und was hast du gegen unsern Bob?« fuhr ich fort. »Er war dabei, als wir dich damals retteten. Du bist ihm nicht weniger Dank schuldig als uns. Er ist ein besserer Mensch, als du gewesen bist. Er hat niemals einem Menschen Freundschaft vorgelogen; du aber hast Bloody-Fox dein Leben zu verdanken und mit ihm die Pfeife des Friedens und der Freundschaft geraucht und bist trotzdem jetzt hierher gekommen, ihn aus seinem Home zu vertreiben und zu töten. Sag mir da einmal aufrichtig, wer steht höher, er oder du?«
Er antwortete nicht.
»Du schweigst; das ist genug. Denke über dich nach! Damit du das ungestört thun kannst, werde ich jetzt gehen.«
Meine Worte klangen vielleicht streng; aber sie waren gut gemeint, und ich hoffte, daß sie den beabsichtigten Eindruck machen würden. Ich ging hinaus und winkte den Neger zu mir. Ich kannte ihn und wußte, daß er seiner Aufgabe gewachsen sei; ich mußte ihm die Sache nur richtig plausibel machen. Der Gefangene war streng zu bewachen, sollte aber nicht gequält werden.
»Komm einmal her, Bob,« sagte ich. »Ich habe dir etwas mitzuteilen.«
»Schön! Massa Shatterhand Masser Bob was mittheilen.«
»Es ist sehr wichtig!«
»Wichtig? Oh, oh! Masser Bob sein ein sehr tüchtig Gentleman, wenn wichtig Sache mitgeteilt bekommen!«
Er verdrehte vor Stolz die Augen so, daß nur das Weiße zu sehen war.
»Ich weiß, daß du ein sehr starker und tapferer Mann bist. Nicht, alter Bob?«
»Oh, ja, oh! Bob sein sehr stark und tapfer!«
»Aber auch listig?«
»Sehr listig, sehr! Listig wie – wie – – wie –«
Er sann nach; es schien ihm kein genug augenfälliges Beispiel von List einfallen zu wollen; dann schlug er froh die Hände zusammen, denn er hatte eins gefunden, und fuhr fort: »Listig wie Fliege, grad wie Fliege!«
»Fliege? Hältst du die Fliege für ein so außerordentlich listiges Geschöpf?«
»Yes! Oh, oh, Fliege sehr listig, sehr! Setzen sich immer nur auf Nasenspitze.«
»Und das ist List?«
»Sehr viel List, denn Nasenspitze sein ganz vorn, und Fliege da kann gleich schnell wieder fortfliegen.«
»Schön, das imponiert mir allerdings. Also, ich brauche deine Stärke, deine Tapferkeit und deinen Muth. Hast Du gesehen, daß ich Schiba-bigk in die Stube geschafft habe?«
»Yes, Masser Bob haben lauschen durch Thür und sehen, daß junger Häuptling liegen auf Diele und sein mit Riemen fest angebunden.«
»Richtig! Er will fliehen; darum muß er streng bewacht werden. Das sollst du thun.«
»Well! Masser Bob sich setzen zu ihm ganze Nacht und ganzen Tag und ihn nicht lassen aus allen zwei Augen!«
»Das wird nicht gerade nötig sein. Du wirst ihn nachher, wenn ich fort bin, losbinden; er soll frei in der Stube umhergehen können; aber heraus darf er nicht.«
»O no, darf nicht heraus! Aber wenn dennoch will heraus, was Masser Bob dann thun?«
»Du lässest ihn auf keinen Fall heraus.«
»Nein, gar nicht! Sobald er steckt Nase heraus, Masser Bob ihm geben einen Hieb darauf.«
»Das darfst du nicht thun. Schläge sind für einen roten Krieger die größte Beleidigung.«
Da kratzte er sich verlegen hinter dem Ohr und sagte:
»Oh, hm, oh! Das bös, sehr bös! Masser Bob ihn nicht lassen heraus und doch nicht dürfen schlagen! Masser Bob ihn müssen losbinden und doch ihn festhalten!«
»Ja,« lächelte ich, »es ist eine sehr schwierige Angelegenheit; aber du bist der richtige Mann dazu. Du bist schlauer und listiger als der Fuchs; du bist so listig wie eine Fliege auf der Nasenspitze und wirst keinen Fehler machen. Dir vertraue ich diesen wichtigen Gefangenen an. Er wird losgebunden und bekommt zu essen und zu trinken, darf aber nicht zur Thür heraus, auch nicht etwa zu einem Fenster; aber schlagen darfst du ihn nicht.«
»Auch nicht erschießen?«
»Das nun gar nicht! Du mußt dich da ganz auf deine große, anerkannte Pfiffigkeit verlassen.«
Er sann nach und antwortete dann auf diese Schmeichelei mit einem unendlich glückseligen Lächeln:
»Oh, ah, oh, Masser Bob sein pfiffig. Bob weiß jetzt, wie machen. Soll Bob es sagen?«
»Nein, ich brauche es jetzt nicht zu wissen; aber ich bin Überzeugt, daß ich mit dir zufrieden sein kann, wenn ich zurückkehre.«
»Zufrieden, sehr zufrieden! Masser Bob haben einen Gedanken, der sehr pfiffig, sehr. Schiba-bigk drinstecken, losbinden und doch nicht heraus können; ihn auch nicht schlagen oder schießen. Das machen Masser Bob sehr schlau. Massa Shatterhand werden sehen!«
»Gut, lieber Bob. Es soll mich sehr freuen, wenn ich dich bei meiner Rückkehr loben kann.«
Ich wußte gar wohl, weshalb ich grad ihm die Beaufsichtigung dieses Gefangenen übergab; den Apatschen mochte ich diesen nicht anvertrauen. Und ebensogut wußte ich, warum ich den ›Gedanken‹ nicht wissen wollte, der dem Neger gekommen war; ich wollte nichts mit einer Verantwortung zu thun haben, die es nach den Anschauungen der Bleichgesichter vielleicht nicht gab, welche aber nach indianischen Begriffen sehr groß sein konnte. That der Schwarze ohne mein Wissen mit dem Gefangenen etwas, was das Ehrgefühl Schiba-bigks verletzte, so durfte dieser nicht denselben Maßstab daran legen, als wenn es mit meiner Genehmigung oder gar in meinem Auftrage geschah.
Ich ging nun zunächst zu Bloody-Fox, um mit ihm über seine Aufgabe zu sprechen. Er stand mit Old Surehand zusammen und empfing mich mit den Worten:
»Ich habe gehört, daß ich zu Winnetou reiten soll, um ihn und seine Apatschen in die rechte Richtung zu bringen. Wann soll ich fort von hier?«
»Noch heute abend; so bald wie möglich.«
»Und wo werde ich ihn treffen?«
»Das ist nicht genau zu sagen, läßt sich aber ungefähr berechnen. Er ist auf der Spur Schiba-bigks zurück, welche ganz genau westlich bis zu den ›hundert Bäumen‹ geht. Da er die Pfähle zu entfernen und mitzuschleppen hat, mit welchen der junge Häuptling den Weg nach hier bezeichnete, so wird er länger zubringen, als wenn er ohne Aufenthalt reiten könnte – –«
»Er kann diese Arbeit auch während des größten Teiles der Nacht thun, denn die Sichel des Mondes wird in kurzer Zeit erscheinen,« unterbrach er mich.
»Allerdings, und darum denke ich, daß er wahrscheinlich gegen Mittag bei den ›hundert Bäumen‹ ankommen wird.«
»Dort hat er die Pferde zu tränken und wenigstens eine Weile ausruhen zu lassen.«
»Ganz recht; aber sehr lange wird er sich nicht dort verweilen; ich kenne ihn. Die Hauptsache ist, daß die Tiere Wasser bekommen; was ihre Müdigkeit betrifft, so wird er darauf weniger Rücksicht nehmen, weil er weiß, daß er sie dann unterwegs nach Belieben schonen kann, denn es steht da ganz in seinem Belieben, anzuhalten und auszuruhen, wann und wo es ihm gefällt. Ich habe ihm gesagt, daß er von den ›hundert Bäumen‹ an sich genau nach Südosten halten soll. Nehmen wir an, daß er von Kilometer zu Kilometer einen Pfahl anbringt und sich damit nicht allzusehr beeilt, so läßt sich nicht schwer berechnen, an welchem Punkte er von hier aus zu treffen sein wird.«
»Well; da weiß ich nun, woran ich bin. Habt Ihr sonst noch eine Bemerkung, Mr. Shatterhand?«
»Ja. Vupa Umugi wird hinter ihm herkommen und darf nur auf indianische Spuren treffen.«
»So muß ich also meine Stiefel ausziehen und Mokassins anlegen. Ich habe stets mehrere Paare hier, weil ich in dieser Abgeschiedenheit gezwungen bin, auf Vorrat zu sehen.«
»Ah, wenn ich auch ein Paar haben könnte!«
»Und ich auch,« fiel Old Surehand ein. »Wir müßten uns sonst von den gefangenen Comantschen welche nehmen und was diese an den Füßen gehabt haben, hm!«
»Da kann ich wahrscheinlich Rat schaffen, denn ich habe mehrere Größen, weil Bob oft auch welche trägt. Wartet einige Augenblicke; ich werde sie holen.«
Er ging in das Haus und brachte die indianischen Schuhe; eine Probe ergab, daß sowohl für Old Surehand wie auch für mich passende vorhanden waren. Wir zogen sie an und übergaben Bob unsere Stiefel, um sie bis zu unserer Rückkehr aufzubewahren.
Anders stand es mit Old Wabble, für dessen Meterfüße Fox nichts Geeignetes besaß. Wir schickten ihn mit Entschar-Ko hinaus zu den Comantschen; vielleicht gab es unter diesen einen, der ähnlich ausgebildete Gehwerkzeuge besaß.
»Um in Beziehung auf Winnetou die Hauptsache nicht zu vergessen: er muß Wasser haben,« fuhr ich in dem unterbrochenen Gespräche fort. »Glücklicherweise sind Schläuche hier.«
»Ja,« nickte Fox. »Ich werde sie sogleich füllen. Aber allein kann ich mich nicht mit ihnen schleppen; darf ich einige Apatschen mitnehmen?«
»Natürlich! Doch nicht zu viele, sonst sieht Vupa Umugi, daß er einer größeren Schar von Reitern folgt, als Schiba-bigk bei sich gehabt hat. Hierbei komme ich auf eine Idee, welche mich sehr wahrscheinlich vor einem Unterlassungsfehler bewahrt oder, wenn das nicht, uns den Fang der Comantschen erleichtert. Ich wollte erst nur mit Euch, Mr. Surehand, und mit Old Wabble reiten, denke aber jetzt, daß es besser ist, wenn wir so fünfzig oder sechzig Apatschen mitnehmen.«
»Auf einen Kundschaftsritt?« verwunderte sich Old Surehand. »Da pflegt man doch so wenig zahlreich wie möglich zu sein!«
»Allerdings; aber vielleicht wird aus dem beabsichtigten Späherritte etwas ganz anderes. Soweit wir jetzt den Plan der Comantschen kennen, kommt zunächst Vupa Umugi mit seiner Schar bei den ›hundert Bäumen‹ an. Das wird, wie ich erlauscht habe, morgen abend sein. Er wird dort während der Nacht bleiben und dann längs der Pfähle weiterreiten. Er lockt die weiße Kavallerie hinter sich her. Wann diese folgt, das weiß man nicht, läßt sich aber vermuten, da ich aus Schiba-bigk herausgelockt habe, daß Nale-Masiuv einen halben Tag später als Vupa Umugi kommen wird, und die Weißen sind doch vor Nale-Masiuv zu erwarten, welcher die Aufgabe hat, sie vor sich herzutreiben.«
»Das Militär wird also wahrscheinlich übermorgen vormittag bei den ›hundert Bäumen‹ ankommen.«
»Das denke ich auch. Sind diese Weißen dann fort, hinter Vupa Umugi her, wird Nale-Masiuv erscheinen und ihnen folgen. Unsere bisherige Absicht war nun, diese einzelnen Trupps ziehen zu lassen und in der ihnen gelegten Falle einzuschließen – –«
»Und das ist das Beste, ja das Einzige, was wir thun können,« fiel Bloody-Fox ein.
»Leider nicht. Ich wundere mich jetzt außerordentlich darüber, daß es keinem von uns eingefallen ist, welchen großen Fehler wir dadurch begehen würden.«
»Fehler? Wieso?«
»Bedenkt doch, daß es zwei verschiedene Indianertrupps sind, welche wir im Kaktus einschließen wollen!«
»Nun? Was ist da zu bedenken?«
»Daß sich die Weißen zwischen ihnen befinden.«
»Ah! Hm!«
»Ahnt Ihr jetzt, was ich meine?«
»Well, es ist wahr!« rief Old Surehand aus. »Das ist ein Fehler in unserm Plane, ein so großer, daß ich kaum begreifen kann, wie wir ihn machen konnten!«
»Wir müßten die Weißen mit den Roten einschließen!«
»Und hätten dadurch das Spiel verloren!«
»Wenn auch das nicht, Mr. Surehand, aber es würde für uns weit schwerer sein, es zu gewinnen. Die Comantschen würden sich der Kavallerie bemächtigen und dadurch zu einem Trumpfe gelangen, der nicht leicht zu überbieten ist. Darum werden wir drei nicht allein reiten, sondern eine Abteilung unserer Apatschen mitnehmen. Den Zweck werdet Ihr erraten.«
»Sehr leicht. Es gilt Nale-Masiuv?«
»Ja. Wir lassen ihn gar nicht in die Falle gehen, sondern nehmen ihn schon bei den ›hundert Bäumen‹ gefangen.«
»Ein vortrefflicher Gedanke, Sir!«
»Ja, vortrefflich, ganz vortrefflich, wenn er nicht zu kühn ist,« bemerkte Bloody-Fox.
»Zu kühn? Inwiefern?« fragte ich.
»Spracht Ihr nicht davon, nur fünfzig oder sechzig Apatschen mitzunehmen?«
»Ja.«
»Wird diese Zahl genügen?«
»Ich denke es.«
»Und ich bezweifle es. Verzeiht, daß ich so aufrichtig bin, dies zu sagen!«
»Pshaw! Es ist ja grad notwendig, daß ein jeder ehrlich seine Meinung sagt.«
»So erlaube ich mir, daran zu erinnern, daß Nale-Masiuv wahrscheinlich über hundertfünfzig Krieger bei sich haben wird.«
»Das ist allerdings anzunehmen.«
»Und die wollt Ihr mit fünfzig bis sechzig Apatschen fangen?«
»Nein. Das wäre freilich ein mehr als kühnes, es wäre ein lächerliches, ein höchst leichtsinniges Unternehmen. Ich werde viel, viel mehr Leute bei mir haben.«
»Woher sollen die kommen?«
»Aber Fox, Fox! Ist das so schwer zu begreifen?«
»Hm! Helft mir auf die Sprünge, Sir. Ich weiß wirklich nicht, woher Euch weitere Kräfte kommen sollen!«
»Und die Kavallerie?«
Er sah mir überrascht in das Gesicht, schlug sich mit der Hand an die Stirn und rief. »So ein Esel! Das ist ja die reine Blindheit, mit der ich geschlagen war! Natürlich werden die weißen Reiter Euch beistehen, ganz natürlich! So dumm, wie in diesem Augenblicke, bin ich noch nie gewesen!«
»Ihr habt dabei den Trost, daß auch ich erst vor einigen Minuten auf diesen Gedanken gekommen bin. Und er lag doch so nahe, daß jedes Kind ihn fassen konnte. Ich werde Entschar-Ko sagen, daß – – ah, da kommt er ja!«
Der Unteranführer der Apatschen kam mit Old Wabble zurück; ich schickte ihn wieder hinaus, diejenigen Krieger auszuwählen, welche uns begleiten sollten. Der alte König der Cowboys stand in einer so eigentümlichen Haltung vor uns, daß ich ihn unwillkürlich fragte:
»Was habt Ihr, Sir? Seid Ihr unwohl?«
»Yes, sehr, außerordentlich unwohl!« nickte er.
»Wo liegt das Leiden?«
»Tief, sehr tief!«
Er zeigte dabei mit dem Finger nach unten.
»Ach! In den Füßen wohl?«
»Yes!«
»Die Mokassins – –?«
»Mag der Teufel holen!« platzte er zornig heraus.
»Habt Ihr welche gefunden?«
»Und was für welche!«
»Groß genug?«
»Und wie groß! So groß, daß man sich ordentlich schämen muß, sie anzuziehen! Dieser Rote, dem wir sie abgenommen hatten, besitzt keine menschlichen Füße, sondern wahre Bärentatzen!«
»Nun, was weiter?«
»Was weiter? Das fragt Ihr noch?«
»Natürlich!«
»Da ist gar nichts Natürliches dabei! Es ist ganz selbstverständlich, daß ich wütend sein muß!«
»Aber warum wütend?«
»Thunder-storm, seht Ihr das wirklich noch nicht ein? Ich bin wütend und ganz außer mir, weil diese kolossalen Schuhe mir noch immer nicht passen. Sie sind noch zu klein!«
»Das ist freilich sehr bedauerlich!«
»Aber nicht für Euch, sondern für mich, Sir!« fuhr er mich zornig an.
»Das bezweifle ich gar nicht, Mr. Cutter,« lachte ich.
»Ja, lacht nur zu! Ihr würdet aber nicht lachen, wenn Ihr das niederträchtige Gefühl hättet, welches ich empfinde!«
»Wirklich? Seid Ihr auch einmal gefühlvoll?«
»Und wie! Seht Ihr denn nicht, wie krumm und trostlos ich dastehe? Meine Zehen sind so rund gebogen, daß man sie für Nullen halten könnte.«
»So macht sie gerade!«
»Geht nicht! Die Mokassins sind zu kurz. Wißt Ihr vielleicht ein Mittel gegen meine Qualen?«
»Ja.«
»Welches? Ich kann doch die Schuhe nicht länger machen!«
»Nein; aber Löcher könnt Ihr hineinschneiden.«
»Ah – – Löcher – –?«
»Ja.«
»Vortrefflicher Gedanke, ganz vortrefflicher! Old Shatterhand ist doch der pfiffigste Kopf, der jemals zwischen zwei Schultern gesessen hat! Löcher hineinschneiden! Das werde ich gleich thun, sofort. Die Zehen werden zwar ein wenig herausgucken, aber das schadet nichts; ich gönne ihnen die Freude, auch einmal das liebe Tageslicht zu sehen.«
Er zog das Messer und setzte sich nieder, um die vorgeschlagene Operation augenblicklich auszuführen.
Als wir uns dann von Fox, Parker und Hawley verabschiedet hatten und mit unsern Pferden hinaus zu den Apatschen kamen, standen sechzig von ihnen bereit, uns zu begleiten.
»Hat mein weißer Bruder mir noch einen Befehl zu erteilen?« fragte mich Entschar-Ko.
»Du wirst dafür sorgen, daß an dem Wege, der nach der Oase führt, sich stets einige Wachen befinden. Ich habe Schiba-bigk dem Neger Bob übergeben, der ihn nicht aus dem Hause lassen soll. Er sinnt auf Flucht. Der Schwarze wird ihn nicht aus den Augen lassen. Auf keinen Fall kann der junge Häuptling durch den dichten Kaktus entkommen; er muß den einzigen Weg wählen, der hindurchführt, und dabei auf diese Wächter treffen.«
»Was sollen wir thun, wenn er kommt?«
»Ihn festhalten.«
»Ich meine, wenn er sich wehrt?«
»Da muß natürlich Gewalt angewendet werden. Ich will ihn so viel wie möglich schonen, aber entkommen darf er auf keinen Fall. Wenn es nicht anders geht, muß er das Leben lassen. Ebenso streng hast du darauf zu sehen, daß keiner von seinen Comantschen entweicht.«
Nun war weiter nichts zu sagen, und wir ritten fort, als eben die dünne Sichel des Mondes am Horizonte erschien.
Ein nächtlicher Ritt durch die im Mondenscheine sich dehnende Wüste! Wie gern gönnte ich meinen lieben Lesern die hehren Empfindungen, welche die Menschenbrust dabei höher und höher schwellen lassen! Nur muß das Herz frei von Sorge und von allem sein, was es beklemmen und beengen kann.
Ich habe zuweilen geträumt, ich könne fliegen; der Körper ist vorhanden, hat aber weder Umfang noch Gewicht und scheint sich in eine durchaus rein geistige Potenz verwandelt zu haben, die frei in alle Richtungen streben kann, ohne durch den hindernislosen Raum gestört zu werden. So bin ich geschwebt hoch über der Erde hin, weit über sie hinaus, von Mond zu Mond, von Stern zu Stern, aus einer Unendlichkeit in die andre, von unaussprechlicher Wonne erfüllt. Das war aber nicht eine Wonne des Stolzes darüber, daß ich selbst es war, der den Raum besiegte, sondern die demütige und vertrauensvolle Seligkeit, daß allmächtige Liebe mich trug und immer weiter und weiter führte. Dann lag ich nach dem Erwachen noch lange geschlossenen Auges da, um mich langsam zu besinnen, daß es nur ein Traum gewesen und ich ein ohnmächtiger Knecht der Zeit und des Raumes sei.
Nicht so wie in einem solchen Traume, aber ähnlich ist es, wenn man auf leichtfüßigem Pferde oder Dromedar über die Wüste fliegt. Man kennt nichts Störendes, nichts Hemmendes, denn das einzige Hindernis, welches es giebt, ist der Boden, der hinter einem verschwindet und mehr einen Halt als eine Hemmung bietet. Das Auge haftet nicht auf ihm, sondern auf dem Horizonte, der sich wie eine sichtbare aber nicht zu greifende Ewigkeit immer von neuem gebiert; es richtet sich nach oben, wo zwischen den strahlenden Lichtern des Himmels immer andre und andre, immer mehr und mehr Lichter erscheinen, bis der Blick sie nicht mehr zu fassen vermag. Und wenn der Sehnerv an dieser Anfangs- und Endlosigkeit ermüdet, und die staunend erhobene Wimper sich niedersenkt, so währt die Unendlichkeit im eigenen Innern fort, und es entstehen Gedanken, die nicht auszudenken sind; es steigen Ahnungen auf, die man vergeblich in Worte fassen möchte, und es wallen und wallen Gefühle und Empfindungen empor, die man aber nicht einzeln zu fühlen und zu empfinden vermag, weil sie eine einzige, endlose Woge bilden, auf und mit welcher man weiter und weiter schwebt; immer tiefer und tiefer hinein in ein andächtiges Staunen und ein beglückendes Vertrauen auf die unfaßbare und doch allgegenwärtige Liebe, welche der Mensch trotz des Wörterreichtums aller seiner Sprachen und Zungen nur durch die eine Silbe anzustammeln vermag: – – Gott – – Gott – –Gott – –!
Könnte mir jemand eine Feder geben, aus welcher die richtigen Worte flössen, den Eindruck zu beschreiben, den ein solcher nächtlicher Wüstenritt auf ein gläubiges Menschenherz hervorbringt! Es senkt sich von den leuchtenden Sternen des Firmamentes eine große, himmlische Bestätigung nieder auf das Gemüt: Du hast das rechte Teil erwählet, und das soll nicht von dir genommen werden! Der aber, der seinen Gott verloren hat, der reitet durch Sand und Sand und wieder Sand; er sieht nichts als Sand; er hört ihn stunden- und stundenlang von den Hufen des Pferdes rieseln, und wie die traurige Öde sich vor ihm immer und immer erneut und ihm nichts bringt und bietet als Sand und wieder Sand, so giebt es in den verlorenen Tiefen seines Innern auch nur eine unsagbar elende Wüste, einen trostlosen, toten Sand, der keinem Hälmchen, keinem Würzelchen Leben bieten kann. Für solch einen Unglücklichen kann man nichts thun, als nur beten.
Wirklich? Kann man wirklich gar nichts, gar nichts für ihn thun, als nur beten?
Ich war, ohne daß ich darauf achtete, lange, lange Zeit vorangeritten, mich nur und ganz der stillen, wortlosen Anbetung hingebend, die mir die Hände gefaltet und die Zügel aus ihnen hatte sinken lassen. Da wurde ich aus ihr aufgestört; die Stimme des alten Wabble erklang neben mir:
»Sir, was treibt Ihr da? Ich glaube gar, Ihr betet?«
Die Worte klangen ironisch; ich antwortete nicht.
»Nehmt die Zügel auf!« fuhr er fort. »Wenn Euer Pferd bei diesem Galoppe stolpert, könnt Ihr den Hals brechen!«
Ich hatte das Gefühl eines durstig Trinkenden, dem man den Becher von den Lippen reißt, um ihm Aloe hineinzuschütten.
»Was geht Euch mein Hals an!« antwortete ich kurz und ärgerlich.
»Eigentlich nichts; das ist richtig; aber da wir hier zusammengehören, kann es mir nicht gleichgültig sein, ob Ihr im nächsten Augenblicke ein ganzes oder ein zerbrochenes Genick haben werdet.«
»Habt keine Sorge um mich; ich breche es nicht!«
»Sah aber ganz so aus. Wenn man so fesch und schlank dahinfliegt, legt man dem Pferde doch nicht die Zügel auf den Hals!«
»Wollt Ihr mich das Reiten lehren?«
»Fällt mir nicht ein; habe ja gesehen, daß ihr keinen Lehrer braucht. Was ich aber noch nicht gesehen habe, das ist ein Reiter, der mit gefalteten Händen reitet, als ob er in einem Bet- und Lamentierstuhle ritte. Das waret nämlich jetzt Ihr, Mr. Shatterhand.«
»Bet- und Lamentierstuhl? Wie kommt Ihr zu dieser Zusammenstellung?«
»Ist meine Ansicht, Sir.«
»So ist Beten und Lamentieren bei Euch dasselbe?«
»Yes.«
»Hört, das ist ein dummer Scherz!«
»Scherz? Es ist mein Ernst!«
»Unmöglich! Welcher Mensch kann das Gebet als Lamentation bezeichnen!«
»Ich!«
Da zog es mein Gesicht mit einem Rucke nach ihm hin. Ich fragte:
»Ihr habt doch oft und viel gebetet?«
»Nein.«
»Dann aber doch zuweilen?«
»Auch nicht.«
»Wohl gar nie?«
»Nie!« nickte er, und das klang fast wie ein Stolz in seinem Tone.
»Herrgott, das glaube ich nicht!«
»Glaubt's, oder glaubt es nicht; mir gleich; aber ich betete noch nie.«
»Aber doch in Eurer Jugend, als Kind?«
»Auch nicht.«
»Hattet ihr denn keinen Vater, der von Gott zu Euch redete?«
»Nein.«
»Keine Mutter, die Euch die Hände faltete?«
»Nein.«
»Keine Schwester, die Euch ein kurzes Kindergebet lehrte?«
»Auch nicht.«
»Wie traurig, wie unendlich traurig! Es giebt auf dieser Gotteswelt einen Menschen, der über neunzig Jahre alt geworden ist und in dieser langen, langen Zeit noch nicht ein einziges Mal gebetet hat! Tausend Menschen könnten mir dies beteuern, ich würde es nicht glauben, ja, ich würde und könnte es nicht glauben, Sir.«
»Da ich selbst es sage, könnt Ihr es ruhig glauben.«
»Ruhig? Ich bin aber nicht ruhig dabei, ganz und gar nicht!«
»Wüßte keinen Grund für Euch, Euch durch eine so klare und einfache Sache, die mir sehr gleichgültig ist, in Eurer Ruhe stören zu lassen!«
»Gleichgültig? Ist Euch das wirklich so gleichgültig, Mr. Cutter?«
»Vollständig!«
»Entsetzlich!«
»Pshaw! Habe nicht geahnt, daß Ihr ein solcher Betbruder seid!«
»Betbruder? Der bin ich nicht, wenn Ihr nämlich dieses Wort in dem Sinne meint, wie es von den Gottlosen genommen wird.«
»Ich meine es so, ganz genau so. Ob ich aber gottlos bin? Hm!«
»Das seid Ihr; los von Gott nämlich!«
»Hört, treibt's nicht zu arg, Mr. Shatterhand! Ich bin ein Gentleman, kein Lump. Ich habe stets gethan, was ich für richtig hielt, und möchte den sehen, der mich im Ernst als gottlos bezeichnet!«
»So seht mich an!«
»Also ist's wirklich Euer Ernst?«
»Mein völliger. Ihr habt stets gethan, was Ihr für richtig hieltet, seid also stets Euer eigener Gesetzgeber gewesen. Sollte es kein Gesetz geben, welches über Euerm Eigenwillen steht?«
»Hm! Die Gesetze der Vereinigten Staaten, nach denen ich mich richte.«
»Weiter keine?«
»Nein.«
»Giebt es nicht ethische, religiöse, göttliche Gesetze?«
»Für mich nicht. Ich bin geboren; das ist ein Fact. Ich bin geboren, wie ich bin; das ist ein zweites Fact. Ich kann nicht anders sein, als ich bin; das ist ein drittes Fact. Ich trage also nicht die geringste Schuld an dem, was ich bin und was ich thue; das ist das Hauptfact. Alles Andere ist Unsinn und Albernheit.«
»Hört, Mr. Cutter, Eure Logik hinkt auf allen Beinen!«
»Laßt sie hinken, Sir! Ich bin in das Leben hereingehinkt, ohne um Erlaubnis gefragt zu werden, und der Teufel soll mich holen, wenn ich nun meinerseits beim Hinaushinken irgend wen um Erlaubnis frage! Ich brauche dazu weder Religion noch Gott.«
Es war entsetzlich. Die Haare wollten sich mir bei diesen Worten sträuben, und ich hatte ein Gefühl, als ob mir jemand mit einem Eisstücke über den Rücken führe. Vor nur wenigen Minuten hatte ich mir den Ritt eines ungläubigen Menschen durch die Wüste gedacht, und jetzt war der Gedanke zur Wahrheit geworden! Dieser Greis, der nicht daran dachte, in welcher Nähe sich das Grab vor ihm befand, sprach Worte aus, welche für meine Ohren eine Lästerung enthielten, die mich schaudern machte!
»So glaubt Ihr nicht an Gott?« fragte ich mit beinahe bebender Stimme.
»Nein.«
»An den Heiland?«
»Nein.«
»An ein Leben nach dem Tode?«
»Nein.«
»An eine Seligkeit, eine Verdammnis, welche ewig währt?«
»Fällt mir nicht ein! Was kann mir so ein Glaube nützen?«
Sollte ich über diese Worte traurig sein oder empört? Ich wußte es nicht; aber es kam etwas über mich, was mich zwang, ihm von meinem Pferde hinüber den Arm auf die Schulter zu legen und zu sagen:
»Hört, Mr. Cutter, ich habe Euch eine Teilnahme geschenkt, wie ich sie nicht jedem schenke; jetzt aber graut mir vor Euch! Dennoch will ich zu Euch halten und mich bemühen, Euch zu beweisen, daß Ihr Euch auf einem schrecklichen Irrwege befindet.«
»Was soll das heißen? ihr wollt mich belehren?«
»Ja.«
»In dem, was Ihr Religion nennt?«
»Ja.«
»Danke, danke sehr! Das müßte ich mir verbitten! Schon der Versuch würde mich beleidigen. Ihr habt vorhin gehört, was und wie ich denke. Mit Worten und Lehren darf mir keiner kommen; da bin ich zu alt und zu klug dazu. Ich habe Euch ein Fact nach dem andern genannt. Redensarten gelten bei mir nichts und wenn sie noch so schön klingen. Bei mir gilt das Fact als Beweis, sonst nichts.«
»Habt Ihr Religionsunterricht genossen?«
»Nein.«
»So könnt Ihr auch kein Urteil über den – –«
»Schweigt, oder bringt einen Fact!« unterbrach er mich.
»Hört mich nur einige Minuten an, Mr. Cutter! Ich bin überzeugt, daß Ihr meine Worte – –«
»Keine Worte! Einen Fact will ich haben!« fiel er mir wieder in die Rede.
»Ich werde ja gar nicht viele Worte machen, ich will nur eine Frage aussprechen, welche – –«
»Unsinn! Eine Frage ist kein Fact!«
Da lief mir denn doch die Galle über; ich hielt mein Pferd mit einem Rucke an, fiel ihm in die Zügel, daß er auch halten mußte, und ließ meinen Zorn, den ich nicht beherrschen konnte, reden:
»Fact, Fact und wieder Fact! Ihr habt vorhin allerdings ein Fact nach dem andern gebracht und scheint stolz auf die falsche Logik zu sein, mit welcher Ihr sie verbindet. Ihr sagt, daß Ihr weder Gott noch Glauben braucht; ich aber sage Euch und bitte Euch, meine Worte wohl zu merken: Es wird Euch, wie die heilige Schrift sagt, schwer werden, gegen den Stachel zu lecken, und ich sehe es kommen, daß der Herrgott Euch einen Fact entgegenschleudern wird, an welchem Ihr zerschellen müßt wie ein dünnes Kanoe am Felsenrande, wenn Ihr nicht zu der einzigen Rettung greift, die im Gebete liegt. Möge der, an den Ihr niemals glaubtet und zu dem Ihr niemals betetet, Euch dann gnädig und barmherzig sein!«
Ich erschrak jetzt fast selbst über den Ton, in welchem meine Worte weit hinaus in die Wüste klangen. Es konnte hier in dieser weiten Ebene kein Echo geben; dennoch war es mir, als ob sie schmetternd zu uns zurückgeworfen würden, wohl eine Folge meiner Erregung. Er aber ließ ein kurzes Lachen hören und antwortete:
»Ihr habt eine wunderbare Begabung zum Hirten, der seine Schäflein weidet, Sir, doch bitte ich Euch, mich nicht als Schaf zu betrachten! Old Wabble wird niemals ein frommes Lämmlein sein; th'is clear!«
Wie oft hatte mir dieses th'is clear heimlich Spaß gemacht; jetzt widerte und ekelte es mich an, und ich fühlte, daß auch er selbst sich um meine ganze Zuneigung gebracht hatte. Ich antwortete kalt:
»Lämmlein oder nicht; aber ich will nicht wünschen, daß einmal ein Augenblick kommt, an welchem Ihr Euch so rettungslos verloren seht, daß Ihr mich knieend bittet, Euer Hirt zu sein!«
»Würdet Ihr dann mein kniefälliges Flehen erhören und mich auf grüne Weide führen, mein frommer Sir?«
»Ja, das würde ich, und wenn ich mein Leben daran setzen müßte. Jetzt aber kommt weiter! Wir sind fertig!«
Old Surehand und infolgedessen die Apatschen waren nämlich auch halten geblieben. Wir trieben unsre Pferde wieder an. Old Wabble blieb hinter mir zurück, während Old Surehand sich an seiner Stelle an meiner Seite hielt, zunächst ohne ein Wort zu mir zu reden.
Ich war tief, tief – – was denn? Verstimmt? Nein, das war das richtige Wort nicht. Ich war traurig, traurig wie noch selten; ich fühlte ein unendliches, heiliges Mitleid mit dem Alten, trotz des Hohnes, den ich von ihm geerntet hatte. Keinen Vater, keine Mutter, keinen Bruder, keine Schwester! Keinen Unterricht, niemals, aber auch nicht ein einziges, allereinziges Mal gebetet! Das war der berühmte king of the cowboys! Meine Drohung war mir ganz absichtslos über die Lippen geflossen; ich hatte grad so und nicht anders sprechen müssen. War ich das Werkzeug eines höheren Willens? Als später diese Drohung fast wörtlich in Erfüllung ging, war es mir, als ob ich es sei, der durch diese Prophezeiung den schrecklichen Tod des Alten heraufbeschworen habe, und es dauerte lange, ehe die Vorwürfe, die ich mir darüber machte, zum Schweigen kamen.
Old Surehand ritt schweigend neben mir. Er hatte alles gehört und schien darüber nachzudenken. Erst nach längerer Zeit unterbrach er das Schweigen, indem er mir die Frage vorlegte:
»Darf ich Euch stören, Sir? Ich sehe, daß Ihr in Euch versunken seid.«
»Es ist mir ganz lieb, aus diesen Gedanken geweckt zu werden.«
»Ihr wißt, daß ich viel von Euch habe sprechen hören; dabei wurde stets auch das erwähnt, daß Ihr fromm seid.«
»Hat man unter fromm dabei verstanden, daß ich das, was ich denke und glaube, stets im Munde führe?«
»Nein, es war vielmehr das Gegenteil der Fall.«
»Hat man sich lustig über diese sogenannte Frömmigkeit gemacht?«
»Nie. Ihr pflegt ja Eure religiösen Ansichten mehr in Thaten als in Worten auszusprechen, und das imponiert. Ich habe Euch dann auch genau so gefunden. Ihr habt von Religion kein Wort zu mir gesprochen.«
»Ist auch nicht nötig!«
»Vielleicht doch!«
»Wieso?«
»Weil – – – hm! Sagt einmal, Sir, Euer Leben ist wohl, ich meine nämlich Euer inneres, stets ein sehr ruhiges und gleichmäßig verlaufendes gewesen? Ihr habt als Kind gehört, daß es einen Gott gebe, und an ihn geglaubt; dieser Glaube ist nie angetastet worden und lebt nun als schöner Kinderglaube noch in Eurem Herzen? Das denke ich und werde mich nicht irren.«
»Ihr irrt.«
»Wirklich?«
»Ja, Ihr irrt. Es giebt keinen Sieg ohne vorhergehenden Kampf. Mein inneres Leben ist fast nicht weniger ereignisvoll gewesen wie mein äußeres. Der Strom auch des Seelenlebens fließt nicht immer gleichmäßig zwischen seinen Ufern; er hat seine Wellen und Wogen, seine Klippen und Versandungen, seine Wassermängel und Überschwemmungen.«
»Also Ihr habt auch gekämpft?«
»Oft bis zur Anstrengung der letzten Kraft! Aber es ist mir mit diesem Kampfe stets heiliger Ernst gewesen. Es giebt Millionen Menschen, welche durch das Leben gehen, ohne nach Klarheit zu ringen; ob Gott oder nicht, das ist ihnen gleich; es ist das ein Leichtsinn, über den man weinen könnte. Mir aber ist der höchste, ja der einzige Zweck meines Daseins der gewesen, zur Erkenntnis zu gelangen. Ja, ich habe das unendliche Glück gehabt, gläubige Eltern zu besitzen. Ich war der Liebling meiner Großmutter, welche im Alter von sechsundneunzig Jahren starb; sie lebte in Gott, leitete mich zu ihm und hielt mich bei ihm fest. Das war ein wunderbarer, seliger Kinderglaube, voll hingebender Liebe und Vertrauen. Ich habe als Knabe des Abends und des Morgens und auch noch viel außerdem dem lieben Gott alle meine kleinen Wünsche und Bitten vorgetragen. Ich erinnere mich, daß einst ein Schwesterchen schlimmes Zahnweh hatte; kein Mittel half; da tröstete ich sie: ›Paulinchen, ich gehe jetzt hinaus in die Schlafstube und sag's dem lieben Gott; paß auf, da hört's gleich auf! Werdet Ihr mich auslachen, Sir, wenn ich Euch versichere, daß es wirklich aufgehört hat?«
»Fällt mir nicht ein! Wehe dem Menschen, der über so etwas zu lachen vermag!«
»Ich könnte Euch viel erzählen, von höchst sonderbaren Wünschen, die ich da dem lieben Gott vorgetragen habe; er hat seine Engel, und wenn es Menschen sind, auch solche Bitten zu erfüllen. Später als Schüler begann ich nachzudenken. Ich bekam ungläubige Lehrer, welche ihre Verneinung in einen anziehenden Nimbus zu hüllen wußten. Ich studierte hebräisch, aramäisch, griechisch, um die heilige Schrift im Urtexte zu lesen. Der Kinderglaube verschwand; der Zweifel begann, sobald die gelehrte Wortklauberei anfing; der Unglaube wuchs von Tag zu Tag, von Nacht zu Nacht, denn ich opferte meine Nächte dem frevelnden Beginnen, die Wahrheit durch meine eigene Klugheit zu erfassen. Welche Thorheit! Aber Gott war barmherzig gegen den Thoren und führte ihn auch auf dem Wege des Studiums zu der Erkenntnis, daß jener fromme Kinderglaube der allein richtige sei. Meine nachherigen Reisen brachten mich mit den Bekennern aller möglichen Anbetungsformen in Berührung. Ich besaß nicht jenes Christentum, welches sich über allen Andersgläubigen erhaben dünkt, sondern ich prüfte auch hier; ich studierte den Kuran, die Veda, Zarathustra und Cong-fu-tse. Diese Lehren konnten mich nicht ins Wanken bringen wie früher die Werke unserer ›großen Philosophen‹, welche noch heut in meiner Bibliothek ›glänzen‹, weil ich sie außerordentlich schone, indem ich sie fast nie in die Hand nehme. Mein Kinderglaube ist also durch zahlreiche Prüfungen gegangen; er hat sich in ihnen voll bewährt und wohnt mir darum doppelt unerschütterlich im Herzen.«
»Glaubt Ihr, ihm auch ferner treu zu bleiben?«
»Bis in den Tod und darüber hinaus!«
Es lag ein tiefer, dringlicher Ernst in der Weise, wie er fragte. Ich begann zu ahnen, daß dieser gewaltige Jäger auch in seinem Innern jage – – nach der Wahrheit, die er vielleicht noch nicht kennen gelernt hatte oder die ihm wieder entrissen worden war. Da hielt er mir die Hand herüber und bat:
»Gebt mir einmal Eure Hand, Sir, und versprecht mir bei Eurer Seligkeit und bei dem Andenken jener alten Großmutter, die Euch heut noch teuer ist, mir genau nur so zu antworten, wie Ihr wirklich denkt!«
»Hier meine Hand; ich verspreche es. Es bedarf gar nicht des Hinweises auf meine Seligkeit und des Andenkens an jene alte, liebe Frau, die ich einst wiedersehen werde.«
»Giebt – – es – – einen – – Gott?«
Er zog diese vier Worte weit auseinander und betonte jedes einzelne von ihnen. Ja, es war ihm Ernst, wahrer Ernst.
Er hatte gerungen und gekämpft, mit heißer Anstrengung, war aber noch nicht zum Siege gelangt.
»Ja,« antwortete ich mit derselben Betonung.
»Ihr glaubt, Eure Großmutter wiederzusehen; es giebt also ein Leben nach dem Tode?«
»Ja!«
»Beweise!«
»Ich beweise es Euch, indem ich zwei Koryphäen vorführe, deren Kompetenz über allen Zweifel erhaben ist.«
»Wer sind diese Personen?«
»Eine sehr, sehr hochstehende und eine ganz gewöhnliche.«
»Nun also, wer?«
»Gott selbst und ich.«
Er senkte den Kopf und schwieg lange, lange Zeit.
»Beleidigt Euch die Zusammenstellung des allerhöchsten Wesens mit einem Sterblichen, der an Eurer Seite reitet?« fragte ich endlich, da er noch immer nichts sagte.
»Nein, denn ich weiß, wie Ihr es meint. Also Gott?«
»Ja. Er spricht in seinen Worten und in seinen Werken. Wer beiden die Ohren und die Augen willig öffnet, der wird und muß zu der Erkenntnis gelangen, die ich jetzt ausgesprochen habe.«
»Und Ihr?«
»Es ist die Stimme meines Herzens.«
»Ihr sagt das so ruhig und einfach, und doch ist es etwas so Großes um diese Stimme. Wollte doch Gott auch mein Herz reden lassen!«
»Bittet Gott darum; er wird sie erklingen lassen!«
»Sie war früher lebendig; dann ist sie gestorben!«
Das klang so sehnsüchtig, so traurig.
»Ihr waret einst auch gläubig, Mr. Surehand?«
»Ja.«
»Und habt den Glauben verloren?«
»Vollständig. Wer giebt ihn mir zurück!«
»Derjenige, welcher die Gefühle des Herzens wie Wasserbäche lenkt, und derjenige, welcher sagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben! Ihr ringt und strebt nach dieser Wahrheit, Sir; kein Nachdenken und kein Studieren kann sie Euch bringen; aber seid getrost, Sir, sie wird Euch ganz unerwartet und plötzlich aufgehen, wie einst den Weisen im Morgenlande jener Stern, der sie nach Bethlehem führte. Euer Bethlehem liegt gar nicht weit von heut und hier; ich ahne es!«
Er hielt mir die Hand abermals herüber und bat:
»Helft mir dazu, Mr. Shatterhand!«
»Ich bin zu schwach dazu; die wahre Hilfe liegt bei Gott. Es müssen schlimme Mächte gewesen sein, die Euch das raubten, was jedem Menschen das Höchste und das Heiligste sein soll.«
»Ja; es waren Ereignisse, die mir alles nahmen, auch den Glauben. Ein Gott, der die Liebe, die Güte, die Gerechtigkeit ist, kann das nicht zugeben; wenn es trotzdem geschieht, so giebt es keinen Gott.«
»Dieser Schluß ist ein Trugschluß, Sir.«
»Nein!«
»Doch! Ihr spracht nur von Güte, Liebe und Gerechtigkeit; wollt Ihr nicht auch an die Allweisheit denken? Ich weiß nicht, was geschehen ist, und will auch nicht darnach fragen; aber sagt mir nur das Eine, Mr. Surehand: Seid Ihr etwa ein Gott?«
»Nein.«
»Ihr scheint Euch aber für einen zu halten!«
»Wie so?«
»Weil Ihr Euch unterfangen habt, mit Gott zu rechten und zu hadern; das kann nur unter Gleichstehenden geschehen.«
»Uff!« ließ er sich leise hören. Die Richtigkeit meiner Logik schien ihm einzuleuchten.
»Ja,« fuhr ich fort, »ich klage Euch an, Euch überhoben zu haben, indem Ihr den Herrgott und sein Walten vor Euern Richterstuhl gezogen habt, Ihr, die Handvoll Staub, den allmächtigen Schöpfer und Erhalter aller Himmel, Erden und Sterne! Bedenkt doch, was das ist: der Wahnsinn einer Insektenlarve, die den Adler aus dem Äther zur Rechenschaft herunter vor ihr winziges Löchlein fordert! Und dieser Vergleich bezeichnet den Abstand zwischen Gott und Euch noch immer nicht treffend genug! Sind Euch die Bücher des Allmächtigen aufgeschlagen, daß Ihr seine Ratschlüsse kritisieren dürft? Ist es seinem Willen nicht möglich, das, was Euch bedrückt, in Wohlthat zu verwandeln? Kann er nicht jene Ereignisse, welche Euern schwachen, kurzsichtigen Augen als Unglück erschienen, zu einem Ende führen, welches Euch vor seiner Allweisheit in den Staub sinken läßt? Darf das Kind, wenn es die Rute des Vaters fühlt, zu ihm sagen: Komm her und rechtfertige dich vor mir?«
»Ich – – hatte – – diese Rute – – nicht verdient,« antwortete er zögernd wie einer, der nur etwas sagen will.
»Nicht verdient! Seid Ihr der Mann, darüber zu entscheiden? Glaubt Ihr, der einzige Mensch zu sein, welcher meint, es sei ihm unrecht geschehen? Haben nicht Tausende und Abertausende mehr, viel mehr gelitten als Ihr? Denkt Ihr etwa, daß zum Beispiel mein Himmel stets nur voller Geigen gehangen habe? Was heißt, nicht verdient? Ich wurde als ein krankes, schwaches Kind geboren, welches noch im Alter von sechs Jahren auf dem Boden rutschte, ohne stehen oder gar laufen zu können. Hatte ich das verdient? Seht Old Shatterhand jetzt an! Ist dieses Kind in ihm noch zu erkennen? Bin ich nicht vielmehr ein lebendes Beispiel jener Weisheit, mit welcher Ihr gehadert habt? Ich bin dreimal blind gewesen und mußte dreimal operiert werden. Hatte ich das verdient? Wer aber kann sich, von Winnetou abgesehen, heut rühmen, die scharfen Augen Old Shatterhands zu besitzen? Ich habe nie gemurrt und geknurrt wie Ihr, sondern getrost meinen Herrgott über mir walten lassen, und wie hat er alles, alles so herrlich hinausgeführt! Ich habe als armer Schüler und später als Student wochenlang nur trockenes Brot und Salz gehabt, weil ich keinen Menschen hatte, der mir half, und zu stolz zum Betteln war. Ich mußte mich durch Privatunterricht ernähren, und während andere Studenten das Geld ihrer Väter mit ihrer Gesundheit und dadurch oft auch ihre ganze Zukunft verjubelten, hielt ich im Winter mein Buch zum Dachfenster meines Bodenstübchens hinaus, um meine Lektion im Mondenschein zu absolvieren, weil ich kein Geld zu Licht und Feuerung hatte. Hatte ich das verdient? Und doch bin ich niemals irgend jemandem einen Pfennig schuldig gewesen und habe nur zwei Gläubiger gehabt; die waren Gott und ich: Gott, der mir ein Pfund verliehen hatte, um es auszubilden, und ich, der ich die strenge Forderung an mich stellte, keine Stunde meines Lebens vergehen zu lassen, ohne mir sagen zu können, daß sie pflichtgetreu ausgenützt worden sei und mir Früchte getragen habe. Gott war gütig mit mir; ich aber habe nie einen so strengen Gebieter gehabt, wie ich mir selbst einer gewesen bin. Und dann später in den langen Jahren meiner Reisen, Wanderungen und Jagdfahrten habe ich mich wie oft, wie oft in Lagen befunden, in denen ich auch fragen konnte: Habe ich das verdient? Aber der Ausgang ist stets so gut und glücklich gewesen, daß ich in Dankbarkeit die Hände falten und sagen mußte- Nein, das habe ich nicht verdient!«
Ich machte eine Pause. Old Surehand sah still vor sich nieder und sagte kein Wort; darum fuhr ich lebhaft fort:
»Ihr werdet Euch darüber wundern, daß ich in solchem Eifer gesprochen habe; aber wenn ich jemanden von verdient oder nicht verdient reden und über sein Schicksal murren höre, so treibt es mich, ihm gegenüber dem, was er von sich denkt, zu sagen, was ich von mir halte: Ich habe vor Gott weder Rechte noch Verdienste, sondern nur Pflichten gegen ihn; ich muß ihm täglich dafür danken, daß er mich erschaffen hat, um mich in diesem irdischen Leben für ein höheres vorzubereiten.«
»Könnte ich das auch!« seufzte er jetzt. »Ihr habt Euch durchgerungen und seid innerlich gefestigt. Mich aber treibt das Schicksal von Ort zu Ort; so habe ich auch innerlich den haltenden Anker verloren und die Heimat und bin ruhelos geworden.«
»Ihr werdet die Ruhe da finden, wo sie allein zu suchen ist; der Kirchenvater Augustinus von Tagaste mag es Euch zeigen; er sagt: Des Menschen Herz ist ruhelos, bis es ruhet in Gott! Und von dem Weltheilande sagt eines unsrer schönsten Kirchenlieder:
»Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen,
Wenn ich in deiner Liebe ruh!
Ich traure nicht; was kann mich quälen?
Mein Licht, mein Trost, mein Heil bist du.«
»Die Ruhe, welche Ihr sucht, bleibt Euch unauffindbar außer in Gott und in der heiligen Religion. Und wenn Old Wabble vorhin in seiner sündigen Vermessenheit sagte, daß er beide nicht einmal zum Sterben brauche, so hoffe ich, daß Ihr ihn Euch nicht als Muster, sondern als abschreckendes Beispiel gelten laßt!«
»Keine Sorge, Mr. Shatterhand! Ich bin nicht ein Leugner und Verächter Gottes, sondern ich habe ihn verloren, und ringe darnach, ihn wiederzufinden.«
»Er wird Euch entgegenkommen und sich finden lassen.«
»Das hoffe ich von ganzem Herzen. Und nun laßt uns von diesem Thema abbrechen, sonst wird es mir zu viel auf einmal! Ihr seid vorhin streng mit mir verfahren, als Ihr mich an meine Nichtigkeit erinnertet; aber ich bin Euch dankbar dafür. Es ist mir, als ob ich Euch die Hände dankbar küssen müßte, denn es regt sich seit einer Viertelstunde etwas in meinem Herzen, was mich gemahnt wie eine Verheißung, daß mein Hoffen sich erfüllen werde. Ihr habt ein Licht entzündet, welches ich jetzt zwar in weiter, weiter Ferne sehe; aber rührt jetzt nicht daran, damit es nicht wieder verlösche: ich hege die Zuversicht, daß es mir immer näher kommen wird!«
Diese Worte machten mich glücklich. Sollte ich wirklich die Freude erleben, eine Seele durch meinen Fingerzeig zurechtgewiesen zu haben? Und zwar die Seele eines Mannes wie Old Surehand war! Es mußten außerordentliche und sehr traurige Verhältnisse gewesen sein, die ihn um seinen Glauben gebracht hatten. Er hielt sie geheim und sprach nicht von ihnen. Diese Verschwiegenheit war nicht etwa die Folge eines Mißtrauens gegen mich; er wollte nicht an den Wunden rühren, die wahrscheinlich noch heut in ihm bluteten. Hätte er doch gesprochen! Ich war, freilich ohne daß ich es wußte oder auch nur ahnte, in der Lage, ihm das Herz zu erleichtern und ihn auf die Spur zu bringen, nach welcher er lange, lange Zeit gesucht hatte, ohne sie entdecken zu können.
Unser Ritt nahm einen so ruhigen, ungestörten Verlauf, daß nichts über denselben zu sagen ist. Gegen Morgen hielten wir an, um unsre Pferde ausruhen zu lassen, und am späten Vormittage sahen wir links von uns die erste Stange und kamen auf die Fährte Winnetous und seiner Apatschen, zu denen Bloody-Fox nun sicher schon gestoßen war. Einen Kilometer von dieser Stelle entfernt steckte die zweite Stange, und indem wir diesen Pfählen folgten, gelangten wir sehr bald an unser Ziel.
Dieses, von den Apatschen, wie schon erwähnt, Gutesnontin-khai und von den Comantschen Suks-ma-lestavi genannt, was beides ›hundert Bäume‹ bedeutet, lag am Rande der Wüste und war folgendermaßen beschaffen:
Die Grenze zwischen dem Llano und der westlich von ihm liegenden grünen Ebene verlief nicht in gerader Linie; sie war stellenweise sehr deutlich ausgesprochen, sonst aber kaum zu erkennen und bildete Aus- und Einbuchtungen, die bald nur klein und bald von großer Ausdehnung waren. Mit einer solchen kleinen Bucht hatte man es in Beziehung auf die ›hundert Bäume‹ zu thun. Sie besaß die Gestalt eines Hufeisens, dessen ziemlich hoher Rand sich wie eine Böschung allmählich abwärts senkte. Im Hintergrunde entsprang ein Wasser, welches sich zunächst in einem Becken von vielleicht zwanzig Fuß Durchmesser sammelte und dann ostwärts abfloß, um nach und nach im Sande zu versiechen. Infolge der Feuchtigkeit gab es hier ein saftiges Gras, welches unsern Pferden sehr zu gute kam. Die Hufeisengestalt hob sich besonders dadurch von der Umgegend ab, daß die erwähnte Böschung bis hinauf auf ihre Höhe mit ziemlich dichtem Gebüsch bewachsen war, über welches dünnes Stangenholz zahlreich emporragte. Dieses Letztere hatte das Material zu den Pfählen geliefert, mit denen Schiba-bigk, allerdings vergeblich, bemüht gewesen war, den ihm nachfolgenden Comantschen den Weg nach der Oase des Llano zu bezeichnen. Man sah deutlich, wo er die Stangen abgeschnitten hatte, und überall lagen die Äste und Zweige zerstreut, welche unter den Messern seiner Leute gefallen waren.
Wir stiegen an der Quelle ab, um zunächst selbst zu trinken und dann auch die Pferde trinken zu lassen; sie thaten das in vollen Zügen und durften sich dann zerstreuen, um zu weiden. Dann lagerten wir am Wasser, und ich schickte vorsichtshalber einen Apatschen hinauf auf die Höhe, um westwärts Ausguck zu halten, damit wir nicht etwa von Vupa-Umugi überrascht würden.
Wir wollten hier nur für einige Stunden ausruhen; länger durften wir nicht verweilen. Als diese Zeit vergangen war, durften die Pferde nochmals trinken, und dann stiegen wir wieder auf, um uns nach dem Orte zu begeben, an welchem wir beabsichtigten, die Nacht zu verbringen.
Dieser lag ungefähr zwei englische Meilen nordwärts von den ›hundert Bäumen‹ und bildete mitten in der Ebene eine Vertiefung, welche dem ›Thale des Sandes‹ ähnelte, in dem wir Schiba-bigk mit seinen Leuten gefangen genommen hatten.
An diesem Orte gab es Sand und nichts als Sand, keinen einzigen Grashalm, und schon darum konnten die Comantschen kaum auf den Gedanken kommen, daß es irgend jemandem einfallen werde, dort eine ganze Nacht und vielleicht auch noch länger zuzubringen. Und außerdem gewährte diese Vertiefung auch noch deshalb ein fast ganz sicheres Versteck, weil ein Feind, wenn er sich nicht bis ganz an ihren Rand näherte, unmöglich sehen konnte, daß wir uns da befanden. Es gab überhaupt keinen Grund, der einen Comantschen veranlassen mochte, hierher zu kommen. In dieser Bodensenkung angelangt, hobbelten wir unsre Pferde an und legten uns in den tiefen, weichen Sand.
Natürlich stellten wir einen Posten aus, welcher oben auf der Höhe lag, um nach Vupa Umugi und seiner Schar auszuschauen.
Nach dem, was ich von Schiba-bigk erfahren hatte, war die Ankunft dieser Roten für heut abend zu erwarten. Ich wünschte sehr, daß sie nicht später kommen möchten, denn der Aufenthalt in unserm wasserlosen, traurigen Lagerorte war keineswegs ein angenehmer zu nennen.
Glücklicherweise erfüllte sich dieser Wunsch noch eher, als ich dachte, denn die Sonne hatte den Horizont noch lange nicht erreicht, als der erwähnte Posten von oben herunterrief.-
»Uff! Naiini peniyil – – die Comantschen kommen!«
Ich nahm mein Fernrohr und stieg mit Old Surehand hinauf. Trotzdem die Entfernung so groß war, daß wir nicht gesehen werden konnten, machten wir unsere Beobachtung nicht stehend, sondern liegend. Ja, sie kamen, und zwar in einer Weise, welche uns sagte, daß sie sich sehr sicher fühlten. Sie ritten nämlich nicht nach ihrer sonstigen Weise, besonders wenn sie sich auf dem Kriegspfade befinden, im sogenannten Gänsemarsche, sondern einzeln und in Trupps ganz nach Belieben neben- und hintereinander.
»Die wissen ganz genau, daß der Weg frei ist, und sind vollständig überzeugt, kein feindliches Wesen vor sich zu haben. Sie haben nicht einmal Kundschafter vorausgesendet,« sagte Old Surehand. »Eigentlich ist das sehr unvorsichtig von ihnen.«
»Das meine ich auch,« antwortete ich. »Ich an Vupa Umugis Stelle hätte Späher vorausgeschickt, um die ›hundert Bäume‹ und ihre Umgebung absuchen zu lassen.«
»Gut, daß er das nicht thut; denn diese Kundschaftet würden wahrscheinlich unsre Fährte entdecken, die hierher führt.«
»Freilich! Ich habe mich eben auf seine Sorglosigkeit verlassen, sonst wären wir nicht direkt von dort nach hier geritten.«
»Man kann es von hier aus nicht deutlich sehen, ob es so ist, aber hoffentlich haben sie die gerade Richtung nach den ›hundert Bäumen‹. Sie brauchten gar nicht sehr weit nördlich abzuweichen, um uns hier zu finden.«
»Das thun sie sicher nicht!«
»Aber möglich ist es doch.«
»Kaum!«
»Ihr meint, daß sie die Spur von Schiba-bigk noch sehen können, und derselben folgen?«
»Nein. Sie sehen jetzt wahrscheinlich schon das Gebüsch vor sich am Horizonte. Und selbst wenn das nicht der Fall wäre, so würden sie sich auf ihre Pferde verlassen, welche die Feuchtigkeit der ›hundert Bäume‹ schon in den Nüstern haben und sich sicher von ihr führen lassen.«
Die roten Reiter hatten, von uns aus gesehen, die scheinbare Größe kleiner Hunde, die ganz genau nach Osten liefen und, immer kleiner und kleiner werdend, endlich in dieser Richtung unsern Augen entschwanden.
Nun war es allerdings eine für uns sehr wichtige Frage, ob sie unsre Spuren finden würden. Eigentlich mußten sie sie sehen; es kam nur darauf an, ob sie sie beachteten. In diesem Falle nahm ich an, daß sie sie für die Spuren Schiba-bigks halten würden, und grad darum hatten wir unsre Stiefel gegen indianische Mokassins vertauscht.
Faßten sie Verdacht, so kamen sie ganz sicher sofort her zu uns geritten. Wir schauten also in großer Erwartung nach Süden aus, woher sie in diesem Falle kommen mußten; aber es verging eine Stunde und noch mehr, ohne daß sich jemand sehen ließ, und als dann die Sonne sank und die kurze Dämmerung anbrach, durften wir uns sagen, daß wir keine Entdeckung zu befürchten hätten. Wir verließen also den hohen Rand der Vertiefung und stiegen wieder hinunter zu unsern Leuten. Dort empfing uns Old Wabble mit den Worten:
»Also sie sind da. Eigentlich sollte man sich den Spaß machen, sie während der Nacht zu überrumpeln und niederzuschießen.«
»Das nennt Ihr einen Spaß?« fragte ich.
»Warum nicht? Haltet Ihr es für etwas Trauriges, seine Feinde zu besiegen?«
»Nein; aber ebensowenig halte ich es für einen Spaß, anderthalb hundert Menschen umzubringen. Ihr kennt ja meine Meinung in dieser Beziehung. Wir lassen sie, so wie es ausgemacht worden ist, ruhig weiterziehen und schließen sie später ein. Da werden sie ohne alles Blutvergießen unser.«
»Weiterziehen, ja! Wenn sie das aber morgen früh nicht thun, sondern den ganzen Tag hier bleiben? Wo bekommen wir da das notwendige Wasser für uns und die Pferde her?«
»Sie bleiben nicht; darauf könnt Ihr Euch verlassen. Es kann ihnen gar nicht einfallen, einen ganzen Tag zu verlieren. Und selbst wenn ihnen ein solcher Zeitverlust gleichgültig wäre, müßten sie schon morgen früh die ›hundert Bäume‹ verlassen, um dem Militär Platz zu machen.«
»Ob dieses aber kommen wird?«
»Das werden wir sehr bald erfahren.«
»Von wem?«
»Von den Comantschen.«
»Wollt Ihr sie belauschen?«
»Ja.«
»Herrlich, herrlich! Da gehe ich mit!«
»Ist nicht nötig!«
»Wenn auch nicht nötig, aber ich gehe doch mit!«
»In einer Lage, wie die unsrige ist, hat man nur das Nötige zu thun und alles andre zu unterlassen. Man begiebt sich sonst in Gefahren, die man leicht vermeiden kann.«
»Ist es keine Gefahr, wenn Ihr lauschen geht?«
»Unter Umständen allerdings.«
»Und ist es da nicht geraten für Euch, jemand mitzunehmen, der Euch helfen kann?«
»Helfen? Hm! Wolltet etwa Ihr mir helfen?«
»Yes.«
»Danke! Ich verlasse mich viel lieber auf mich als auf Euch, Mr. Cutter.«
»So wollt Ihr wirklich allein gehen?«
»Nein. Mr. Surehand wird mich begleiten.«
»Aber warum denn nicht ich?«
»Weil ich so will. Damit mag diese Angelegenheit abgethan sein.«
»Also habt Ihr zu ihm mehr Vertrauen als zu mir?«
»Ob dies der Fall ist oder nicht, das ist gleichgültig; ich nehme ihn mit, und Ihr bleibt hier!«
Ich sah es ihm an, daß er eine zornige Entgegnung auf den Lippen hatte; er beherrschte sich aber und schwieg. Er mit seiner Unvorsichtigkeit wäre der letzte gewesen, den ich mit zu den Comantschen hätte nehmen mögen!
Da ich annahm, daß diese morgen früh zeitig aufbrechen würden, war vorauszusehen, daß sie sich heut zeitig schlafen legten. Also durfte ich nicht lange warten, falls ich sie belauschen und wirklich etwas erfahren wollte. Darum ließ ich nach dem Einbruche der völligen Dunkelheit nicht mehr als eine Stunde vergehen, um mich mit Old Surehand auf den Weg zu machen. Später, wenn der Mond aufging, war es schwerer als jetzt, unentdeckt zu bleiben.
Wir benutzten unsere eigene Fährte als Weg und wendeten uns, bei den ›hundert Bäumen‹ angekommen, zunächst nach der Höhe der Hufeisenbucht, um, wie die Vorsicht es erforderte, nachzuforschen, ob dort Wachen standen. Es dauerte sehr lange, ehe wir den ganzen Halbkreis abgesucht hatten, ohne einen Comantschen zu entdecken. Vupa Umugi hatte hier oben keine Posten ausgestellt; er mußte seiner Sache außerordentlich sicher sein.
Unten am Wasser brannten mehrere kleine Feuer, die durch die abgeschnittenen Äste und Zweige unterhalten wurden, die wir hatten herumliegen sehen. An der Quelle schien der Häuptling mit seinen hervorragendsten Kriegern zu sitzen; die andern hatten sich zu beiden Seiten des Wasserlaufes gelagert, wie weit hinaus, das konnten wir nicht sehen. Auch die Pferde sahen wir nicht; es war jetzt noch zu dunkel dazu. Ob da unten, nach dem Llano hin, Posten standen, das entging unsern Augen ebenso, konnte uns aber gleichgültig sein, weil wir nach dieser Seite hin nicht kamen.
Es war unsre Aufgabe, uns dem Häuptlinge möglichst weit zu nähern, um ihn günstigen Falles sprechen zu hören. Wir machten uns also in das Gesträuch und krochen, Old Surehand hinter mir her, zwischen den Büschen die Böschung hinab. Dies war nicht sehr leicht, weil sich unter unsern Füßen jeden Augenblick ein Teil des sehr lockeren Bodens lösen und durch das beim Hinabrollen verursachte Geräusch uns verraten konnte. Die Indianer verhielten sich so ruhig, daß ein solches Geräusch unbedingt gehört werden mußte. Ich setzte also bei jedem Schritte den Fuß erst tastend voran, um die betreffende Stelle durch das Gefühl zu untersuchen. Es ging also langsam, sehr langsam, und es war während dieses Hinabsteigens gewiß eine Stunde vergangen, als wir endlich hinter einem dichten Strauche lagen, welcher dem Quell so nahe stand, daß wir die daran lagernden Roten sprechen hören konnten – -wenn sie überhaupt sprachen.
Sie sprachen aber nicht. Sie saßen stumm und bewegungslos bei einander und sahen in die glimmende Helle des kleinen Feuers, an welchem, wie der noch bemerkbare Geruch uns zeigte, Fleisch gebraten worden war. Wir warteten eine Viertelstunde und noch eine; es blieb so still wie bisher, und man hätte meinen können, es mit leblosen Figuren zu thun zu haben, wenn nicht einer der Indsmen den Arm zuweilen bewegt hätte, um einen Zweig in das Feuer zu legen. Schon stieß Old Surehand mich an, ein fühlbares Fragezeichen, ob es nicht besser sei, wieder zu gehen, da ertönte draußen außerhalb des Lagers plötzlich ein lauter Ruf, dem mehrere andre Rufe folgten. Da draußen standen also doch Posten, und diese schienen etwas Auffälliges bemerkt zu haben, denn die Rufe mehrten sich und wurden so dringend, daß sie das ganze Lager alarmierten. Vupa Umugi sprang auf, und die bei ihm Sitzenden thaten ebenso. Der Lärm wurde größer, und das Rufen war bald hier und bald dort zu hören. Es klang genau so, als ob jemand gejagt werde, den man fangen wolle. Es bemächtigte sich meiner eine Besorgnis, die ich nicht von mir weisen konnte, obwohl ich es gern wollte.
»Was mag das sein?« fragte mich Old Surehand leise.
»Es klingt, als ob ein Mensch hin und her getrieben würde,« antwortete ich ebenso flüsternd.
»Ja, es ist jemand, der gefangen werden soll; ich irre mich nicht; man kann es deutlich hören. Wer aber mag es sein? Sollte – – – –?«
Er sprach die Frage nicht aus.
»Was wolltet Ihr sagen?« fragte ich.
»Nichts, Sir. Es wäre wirklich zu toll von ihm!«
»Von wem?«
»Von – – doch nein, es ist nicht möglich!«
»Es ist möglich. Ich weiß, wen Ihr meint.«
»Nun, wen?«
»Old Wabble.«
»Teufel! Auch Ihr denkt es?«
»Es ist ihm zuzutrauen.«
»Ja, er ist auf das Anschleichen geradezu versessen, und da er vorhin gar so gern mit wollte, so – – horcht!«
Es war ein Ruf, der linker Hand draußen erscholl:
»Sus taka – – ein Mann!«
Und gleich darauf hörten wir von rechts, jenseits des Gebüsches her, rufen:
»Sus kava – – ein Pferd!«
Dann wurde es still; aber wir bemerkten, mehr mit den Ohren als mit den Augen, eine Bewegung, welche sich uns näherte. Es wurde von links und dann auch von rechts her jemand oder etwas gebracht. Wer oder was mochte es sein?
Um dies zu erfahren, brauchten wir gar nicht lange zu warten. Die Befürchtung, welche wir ausgesprochen hatten, erfüllte sich zu unserm Schrecken. Eine Anzahl von Comantschen brachten – – Old Wabble geführt; er war entwaffnet und mit Riemen streng gefesselt. Und einige Augenblicke später wurde auch sein Pferd gebracht. Er war uns also gefolgt, und zwar zu Pferde. Welch ein Unsinn! Daß ihm solche Eigenmächtigkeiten zuzutrauen waren, das wußte ich aus Erfahrung; daß er sich aber vornehmen werde, zu Pferde anzuschleichen, eine solche Dummheit hätte ich ihm denn doch nicht zugetraut.
Er brachte uns durch diese Albernheit nicht nur in große Verlegenheit, sondern in die augenscheinlichste Gefahr. Die Comantschen mußten sich doch sagen, daß er nicht allein hier sein könne, sondern Gefährten bei sich haben müsse. Die Sorge um uns selbst erforderte eigentlich, daß wir uns sofort entfernten; aber konnten oder durften wir das? Mußten wir nicht vielmehr bleiben, um zu erfahren, was geschah? Der Alte war trotz seiner großen Unvorsichtigkeit ein pfiffiger Kerl; vielleicht kam er auf eine Aussage, weiche den Verdacht der Roten ablenkte.
»Uff, Old Wabble!« rief Vupa Umugi aus, als er den Alten erblickte. »Wo habt ihr ihn ergriffen?«
Der Rote, an den diese Frage gerichtet war, antwortete:
»Er lag mit dem Bauche im Grase und schlich durch dasselbe wie ein Coyote, der auf Raub ausgeht. Und unsre Pferde wurden unruhig, denn sie rochen das seinige, welches er da draußen jenseits unsrer Posten angepflockt hatte.«
»Hat er sich gewehrt?«
»Pshaw! Er wollte fliehen, und wir jagten ihn wie einen räudigen Hund hin und her; als wir ihn dann ergriffen, wagte er nicht, sich zu verteidigen.«
»Habt ihr noch andre Weiße gesehen?«
»Nein.«
»So geht und sucht nach Spuren von ihnen. Dieses alte Bleichgesicht kann sich nicht ganz allein hier am Rande des Llano estacado befinden.«
Der Krieger ging, um in diesem Sinne nachzuforschen, und der Häuptling setzte sich mit seinen Leuten so ruhig nieder, als ob nicht das geringste vorgekommen wäre. Er sah Old Wabble, der, von zwei Roten gehalten, vor ihm stand, mit drohendem Blicke an, zog sein Messer, stieß es vor sich in die Erde und sagte dann zu ihm.
»Hier steckt das Messer des Verhöres, Es kann dich töten, dir aber auch das Leben lassen. Du hast das in deiner Hand. Wenn du die Wahrheit sagst, wirst du dich retten.«
Das Auge des king of the cowboys schweifte herüber in das Gebüsch; es suchte nach uns, aber glücklicherweise nur mit einem kurzen Blicke. Hätte er sich in dieser Beziehung nicht beherrscht, so hätte er uns sehr leicht verraten können.
»Wo hast du deine Begleiter?« fragte der Häuptling.
»Ich habe keine,« antwortete der Alte.
»Du bist allein?«
»Ja.«
»Das ist eine Lüge!«
»Es ist die Wahrheit!«
»Wir werden sie suchen und finden.«
»Ihr werdet niemand finden.«
»Wenn es sich herausstellt, daß du lügest, wirst du schuld sein an dem harten Tode, den ihr erleiden werdet.«
»So laß nur suchen; ich habe nichts dagegen!«
»So sage mir, was du hier am Rande des Llano estacado zu schaffen hast! Wirst du etwa die Ausrede machen, daß du hierhergekommen seist, um zu jagen?«
»Nein, so dumm ist Old Wabble nicht. Aber dennoch möchte ich es sagen, denn es ist wirklich wahr.«
»Was könntest du jagen wollen? Es giebt hier kein Wild.«
»Es giebt welches, und zwar viel.«
»Welcher Art?« lachte Vupa Umugi verächtlich.
»Rotwild.«
»Uff!«
»Ja, Rotwild, nämlich Indianer. Ich kam hierher, um euch zu jagen.«
Er war sehr kühn. Wahrscheinlich verließ er sich auf uns. Er schien überzeugt zu sein, daß wir in der Nähe steckten und ihn hörten. Und sehr wahrscheinlich nahm er es als ganz selbstverständlich an, daß wir ihn nicht in seiner jetzigen unglücklichen Lage stecken lassen würden. Es war aber vorauszusehen, daß er sich in dieser Beziehung täuschte. Hatte er sich, was ganz wörtlich zu nehmen war, »hineingeritten«, so mochte er nun zunächst selbst sehen, wo er blieb; wir mußten vor allen Dingen für uns selbst sorgen und darauf bedacht sein, nicht auch ergriffen zu werden. Wir durften nicht, um ihn zu befreien, unser Leben wagen und dabei das Gelingen unsres ganzen schönen Planes so leichtsinnig, wie er es gethan hatte, in die Schanze schlagen.
Die mutige Antwort des Alten hatte den Häuptling frappiert; man sah es ihm an. Er zog die Brauen finster zusammen und sagte in drohendem Tone:
»Old Wabble mag sich ja hüten, meinen Zorn zu erwecken!«
»Wozu diese Drohung? Du hast ja gesagt, daß ich die Wahrheit sagen soll.«
»Ja; aber du sprichst sie nicht!«
»Beweise das!«
»Hund, wie kannst du, der du unser Gefangener bist, Beweise von mir verlangen! Deine eigene Rede ist der Beweis, der dich überführt. Du sagst, du seist gekommen, uns zu jagen. Kann ein einzelner Mann zehnmal fünfzehn rote Krieger jagen?«
»Nein.«
»Und doch behauptest du, allein hier zu sein!«
»Das ist auch wahr; ich bin nur als Kundschafter hier; die andern kommen nach. Und ich warne euch! Wenn ihr mir etwas thut, werden sie mich blutig an euch rächen.«
»Pshaw! Wer sind die Leute, mit denen du es wagst, uns zu drohen?«
»Ich sollte es eigentlich nicht sagen, denn ihr habt keine Ahnung davon, daß sie euch auf den Fersen sind; aber es macht mir Spaß, euch schon jetzt die Augen zu öffnen, was kein Fehler von mir ist, weil es ganz unmöglich ist, daß ihr ihnen entgehen könnt.«
Er zog sein altes, faltenreiches Gesicht in eine triumphierende Miene und fuhr fort:
»Kennst du den Häuptling Nale-Masiuv?«
»Natürlich kenne ich ihn.«
»Er hat es gewagt, weiße Reiter anzugreifen und ist geschlagen worden.«
»Uff!« antwortete Vupa Umugi, mehr nicht.
»Er ist dann so unvorsichtig gewesen, Boten zu euch zu senden. Das Militär hat die Fährte derselben entdeckt und ist ihr gefolgt.«
»Uff!«
»Die Soldaten sind durch die Fährte zum ›blauen Wasser‹ geführt worden, wo euer Lager war. Ihr hattet dasselbe schon verlassen; da sind sie hinter euch her, und mich haben sie vorangesandt, um als Kundschafter zu entdecken, wo ihr heut Lager macht. Ihr habt mich zwar gefangen, werdet mich aber wieder freigeben müssen, denn sie kommen mir nach und werden euch bis auf den letzten Mann vernichten!«
»Gott sei Dank!« rief ich in meinem Innern aus; denn dies war die beste, ja die einzige Ausrede, die er machen konnte. Nur auf diese Weise war es möglich, ihren Verdacht von uns abzulenken und sie glauben zu lassen, daß er wirklich allein gekommen war. Ja, er war ein alter, pfiffiger Kerl, was aber den Zorn, den ich gegen ihn hegte, nicht im mindesten abschwächen konnte.
Vupa Umugi machte eine wegwerfende Handbewegung und sagte:
»Old Wabble mag ja nicht zu viel und zu früh triumphieren. Er wird der ›Indianertöter‹ genannt, und wir alle wissen ganz genau, daß noch nie ein roter Krieger vor seiner Kugel oder seinem Messer Gnade gefunden hat. Wir sind sehr froh, ihn erwischt zu haben, und werden uns sehr hüten, ihn freizugeben; er wird vielmehr ganz sicher am Marterpfahle sterben und mit den größten, ausgesuchtesten Schmerzen alle die Morde büßen, die er begangen hat!«
»Das sagst du jetzt; es wird aber ganz anders kommen,« entgegnete Cutter im Tone der Überlegenheit.
»Hund, sei nicht so keck!« fuhr ihn der Häuptling an. »Glaubst du wirklich, uns etwas für uns Neues gesagt zu haben? Wir wissen längst, daß die weißen Soldaten mit Nale Masiuv gekämpft haben. Sie sind Sieger geblieben, aber für kurze Zeit, denn er hat heimgesandt und noch weitere hundert Krieger kommen lassen.«
»Ah!« rief Old Wabble aus, indem er sich enttäuscht stellte.
»Ja,« fuhr der Häuptling fort, nun seinerseits triumphierend. »Und ebenso genau wissen wir, daß diese weißen Hunde hinter uns her sind. Wir selbst haben das ja so gewollt, denn wir haben sie uns nachgelockt, um sie zu verderben.«
»Du machst da einen großen Mund und sagst das nur, um mir Angst zu machen, was dir aber nicht gelingen wird.«
»Schweig! Was ich sage, das ist wahr! Ihr wollt uns vernichten, werdet aber selbst bis auf den letzten Mann getötet werden!«
»Pshaw!«
»Schweig! Ich sage dir, daß wir euch eine Falle gestellt haben, aus welcher kein Entkommen ist.«
»Ja, vielleicht, wenn wir so dumm sind, hineinzulaufen.«
»Du bist ja schon hineingelaufen; du befindest dich ja schon drin!«
»Um so aufmerksamer und vorsichtiger werden die weißen Soldaten sein.«
»Sie laufen auch hinein; sie können gar nicht anders.«
»Oh!«
Dieser wegwerfende Ausdruck des Unglaubens machte den Häuptling noch zorniger; er fuhr den Alten an:
»Wenn du noch ein einziges solches Wort sagst, werde ich dir den Mund stopfen lassen. Wir sind nur darum von dem ›blauen Wasser‹ hierher geritten, damit die Soldaten uns folgen sollen. Wir werden auch dieses Lager verlassen, um sie in die Wüste zu führen, wo sie elend umkommen müssen.«
»Umkommen? Sie werden kämpfen und euch besiegen!«
»Es wird zu gar keinem Kampfe kommen. Wir locken sie tief in den Sand hinein, wo es kein Wasser giebt; dort werden sie verschmachten, ohne daß ihnen ihre Waffen etwas nützen.«
»Sie werden sich hüten, sich von euch irreleiten zu lassen.«
»Sie werden es thun; ich weiß das genau. Denkst du, daß wir keine Augen und keine Ohren haben? Sie lagern in dieser Nacht nur einige kurze Reitstunden hinter uns und werden einige Zeit nach Tagesanbruch hier ankommen. Da sind wir schon fort, und sie werden uns folgen. Hinter ihnen aber kommt dann Nale-Masiuv mit viel mehr als hundert Kriegern. Dadurch geraten sie zwischen ihn und uns, zwischen den Hunger, den Durst und unsre Gewehre und werden auf das elendeste umkommen müssen.«
»Thunder-storm!« rief Old Wabble in einem Tone aus, als ob er sehr erschrocken sei.
»Ja, da fährt dir das Entsetzen in die Glieder!« lachte der Häuptling grimmig. »Du mußt einsehen, daß ihr verloren seid. Aber ich habe noch ein andres Wort mit dir zu sprechen. Wo sind die Bleichgesichter, die sich am ›blauen Wasser‹ bei dir befanden?«
»Bleichgesichter? Wen meinst du da?«
»Old Shatterhand.«
»Ah, den!«
»Ja, den. Auch Old Surehand, den ihr uns entrissen habt, und die andern alle.«
»Wo die sind, weiß ich nicht.«
»Lüge nicht!«
»Ich lüge nicht. Wie kann ich wissen, wo sie sind?«
»Sie waren doch bei dir!«
»Ja, an diesem einen Tage; dann haben wir uns von einander getrennt.«
»Das machst du mich nicht glauben. Du willst mir verschweigen, daß sie sich bei den Soldaten befinden!«
»Bei den Soldaten? Fällt ihnen nicht ein. Old Shatterhand ist nicht der Mann, sich zu solchen Leuten zu gesellen und seine Selbständigkeit dadurch einzubüßen. Oder glaubst du vielleicht, daß er sich dazu erniedrigt, ihren Spion zu machen?«
»Old Shatterhand ist stolz,« gab der Häuptling zu.
»Nicht bloß das. Er ist ein Freund sowohl der Weißen als auch der Roten. Wird er sich da wohl in den Streit mengen, der zwischen ihnen ausgebrochen ist?«
»Uff, das klingt wahr.«
»Und hat er nicht am ›blauen Wasser‹ Frieden mit dir geschlossen?«
»Auch das ist richtig. Aber wo befindet er sich?«
»Er ritt den Rio Pecos hinab, um in den Wohnungen der Mescalero-Apatschen mit Winnetou zusammenzutreffen.«
»Ritt er allein?«
»Nein, die andern alle begleiteten ihn.«
»Warum du nicht auch?«
»Weil ich zu den Soldaten wollte, deren Scout ich jetzt bin.«
»Solltest du wirklich so allein geritten sein? Das glaube ich nicht. Deine letzteren Worte erregen meinen Verdacht aufs neue. Old Shatterhand ist bei euch!«
»Nein!«
»Ich bin überzeugt davon!«
»Ich habe Vupa Umugi für weit klüger gehalten, als er sich jetzt zeigt. Sieht er denn nicht ein, daß er sich mit seinem Mißtrauen eine große Blöße giebt?«
»Nein.«
»Das bedaure ich. Ist Old Shatterhand während eines Kriegszuges nicht mehr wert als hundert Krieger? Und ist Old Surehand ihm in dieser Beziehung nicht gleich? Wenn sich so berühmte Männer bei uns befänden, würde ich es dir da nicht sagen, um dir Angst zu machen, dich an mir zu vergreifen?«
»Uff!« nickte der Häuptling zustimmend.
»Es würde für mich ein großer Vorteil sein, wenn ich dir mit diesen beiden Bleichgesichtern drohen könnte. Wenn ich das nicht thue, mußt du einsehen, daß sie wirklich nicht mit bei uns sind.«
»Uff!« erklang es abermals bejahend.
»Also, wollte ich eine Lüge erfinden, so würde ich doch lieber sagen, daß diese beiden kommen werden, um mich zu retten, als daß ich dies verneine. Wenn Vupa Umugi das nicht einsieht, steht es schlimm um seinen Verstand.«
»Was geht dich mein Verstand an, Hund! Ich weiß nun, woran ich bin, und es wird darauf ankommen, ob meine Krieger, welche jetzt die ganze Gegend nach Gefährten von dir absuchen, jemand finden oder nicht. Auf alle Fälle aber bist du verloren. Denke nicht, daß wir dich sofort töten! So leicht kommt der ›Indianermörder‹ nicht davon. Wir nehmen dich mit, denn unser ganzes Volk soll dich sterben sehen und über deine Qualen jubeln. Auch sollst du bei uns sein, um mit eigenen Augen dich zu überzeugen, daß ich die Wahrheit sagte, als ich behauptete, daß die bleichen Soldaten in der Wüste elend umkommen werden. Nun, was ist's, was hast du zu melden?«
Er richtete diese Frage an einen Roten, der jetzt herbeigeritten kam und vom Pferde sprang. Dieser antwortete:
»Wir haben die ganze Gegend umkreist und abgesucht, doch niemand gefunden. Dieses Bleichgesicht hat sich also ganz allein in unsre Nähe gewagt.«
»Er wird das Wagnis mit dem Leben bezahlen. Bindet ihm nun auch die Füße, und fesselt ihn so eng, daß er sich nicht bewegen kann! Fünf Krieger mögen ihn bewachen und mit ihren Köpfen für ihn haften. Auch mögen Wachen den Rand da oben hinter uns besetzen, damit wir uns keiner Unvorsichtigkeit schuldig machen!«
Diese Unvorsichtigkeit hatte er freilich schon begangen und uns dadurch die heimliche Annäherung bedeutend erleichtert. Nun galt es, uns sehr schnell zu entfernen und ja nicht zu warten, bis die Posten sich da oben aufstellten, sonst liefen wir Gefahr, von ihnen entdeckt zu werden. Wir krochen also schleunigst, doch möglichst leise, die Böschung hinauf, wobei wir uns freilich nicht so viel Zeit nehmen konnten, wie vorhin beim Abwärtssteigen.
Oben angekommen, eilten wir zunächst mit schnellen Schritten so weit fort, daß wir fern genug waren, um nicht gesehen und gehört zu werden; dann konnten wir diese Eile mäßigen.
»Jetzt, Sir, was sagt Ihr dazu?« fragte mich Old Surehand.
»Fatal, ja weit, weit mehr als fatal!« antwortete ich.
»Das ist ein sehr böser Streich, den uns der Alte da wieder gespielt hat.«
»Glücklicherweise für ihn böser als für uns.«
»Ja. Nachdem das Unglück einmal fertig war, hat er sich gar nicht übel benommen.«
»Es ist schade, jammerschade um ihn! Er ist sonst ein ganz tüchtiger Kerl, und wenn er nicht die Angewohnheit hätte, so sinnlos selbständig zu handeln, wäre er sehr gut zu brauchen. So aber muß man mit ihm vorsichtiger als mit irgend einem Greenhorn sein. Er ist ein Mensch, der am besten für sich allein bleibt, denn jeder Gesellschaft, der er sich anschließt, muß er gefährlich werden.«
»Er verläßt sich natürlich auf unsre Hilfe.« »Selbstverständlich. Wir sollen ihn herausholen.«
»Wird das gehen?«
»Ja. Wir dürfen ihn nicht verlassen.«
»So wollt Ihr ihn noch im Laufe dieser Nacht befreien?«
»Nein, das ist unmöglich.«
»Hm! Ich denke, Euch ist auch das nicht zu schwer.«
»Dank für dieses Vertrauen! Wenn ich von einer Unmöglichkeit sprach, so habe ich nicht die Befreiung an sich selbst gemeint. Warum sollten wir ihn nicht noch in dieser Nacht losmachen können, Ihr und ich? Ich glaube, wir haben noch ganz andre Dinge fertig gebracht. Das Leben wäre freilich dabei zu riskieren, doch bin ich überzeugt, daß es gelingen würde. Aber die Roten würden erfahren, daß wir hier sind, und das dürfen sie nicht. Sollen wir unser ganzes schönes, wohlüberlegtes Unternehmen eines Mannes wegen in Frage stellen, der es wiederholt gefährdet, indem er immer und immer neue Dummheiten begeht?«
»Nein.«
»Es handelt sich jetzt nicht um sein Leben; das haben wir gehört. Er ist freilich nicht grad auf Rosen gebettet; das hat er sich aber selbst zuzuschreiben und mag als wohlverdiente Strafe gelten. Die Roten mögen ihn mitnehmen; wir können das nicht ändern. Später, wenn sie in der Falle stecken, werden sie ihn freigeben müssen.«
»Wenn sie ihn nicht als Geisel betrachten.«
»Pshaw! Darauf gehen wir natürlich nicht ein.«
»Es ist mir völlig unbegreiflich, daß ein Mann, noch dazu von seinem Alter, fortgesetzt derartige Streiche auszuführen vermag. Gute Lehren hat er genug bekommen.«
»Die haften nicht, weil es bei ihm geradezu an der Möglichkeit fehlt, sich unterzuordnen.«
»Uns nachzukommen, um sich auch anzuschleichen! Und gar zu Pferde! Das kann man nicht anders als verrückt nennen! Meint Ihr nicht auch, Sir?«
»Ja; aber wie bei jedem Unglücke ein Glück zu sein pflegt, so auch hier, denn wir können sehr froh sein, daß er das Pferd bei sich hatte.«
»Warum?«
»Weil die Comantschen sicherlich danach gesucht und nicht eher geruht hätten, als bis sie wußten, woran sie waren.«
»Ah! Da hätten sie uns entdeckt!«
»Gewiß. So unbegreiflich es mir ist, daß jemand auf den verrückten Gedanken kommen kann, sich im Sattel anzuschleichen, so zufrieden bin ich jetzt damit, daß es geschehen ist. Der Häuptling ist beruhigt und wird nicht suchen lassen.«
»Hm! Wollen es hoffen!«
»Ich bin überzeugt davon. Selbst wenn sein Mißtrauen zurückkehren sollte, hat er keine Zeit, lange Forschungen anzustellen. Wir haben ja gehört, daß die Kavallerie zeitig kommen wird. Da muß er fort sein.«
»Das ist glücklicherweise wahr, und wir können sagen, daß wenigstens wir beide unsre Zwecke erreicht haben. Erst hatte es gar nicht den Anschein, als ob wir etwas hören und erfahren würden, und erst das Erscheinen des alten Wabble öffnete dem Häuptlinge den Mund. Also haben wir Cutter es zu verdanken, daß wir etwas erlauschten. Wir könnten das für ihn als Milderungsgrund gelten lassen, wenn wir geneigt sein sollten, ihm zu verzeihen.«
»Danke! Ich habe ihm schon oft genug verziehen; das hört nun auf. Hier giebt es keinen Milderungsgrund. Wo es sich wieder und immer wieder um die Freiheit und das Leben handelt, wäre es der reine Selbstmord, wenn man sich nicht gegen derartige Gefahren schützte. Und der einzige Schutz, den es hier giebt, besteht darin, daß man die Wiederholung solcher Streiche unmöglich macht.«
»Aber wodurch?«
»Dadurch, daß man sich von dem alten Wabble trennt. Ich verzichte auf seine Gesellschaft. Wenn er die Freiheit wieder hat, mag er reiten, wohin er will. Ich habe mich freilich erst gefreut, ihn kennen zu lernen; er hat mir aber diese Freude ganz gehörig vergällt. Jetzt ist es wahrlich kein Vergnügen mehr, ihn bei sich zu haben und Dummheit über Dummheit begehen zu sehen. Da ist mir denn doch der unerfahrenste Neuling lieber. Ein Greenhorn fügt sich und folgt dem erfahrenen Westmann in der Überzeugung eben seiner Unerfahrenheit; hier aber giebt es einen alten Horseman, der stolz darauf ist, einst der ›König der Cowboys‹ geheißen zu haben, und in diesem Stolze es unter seiner Würde hält, sich einem andern Willen als dem seinen unterzuordnen. Ein guter Cowboy mag ein braver Hirt und Reiter, vielleicht auch ein leidlicher Schütze sein; zu einem tüchtigen Westmann aber gehört mehr, weit mehr!«
Ich war in Eifer geraten und hätte wohl noch weiter räsonniert, wenn wir nicht jetzt unser Lager erreicht hätten.
Als die Apatschen erfuhren, daß Old Wabble von den Comantschen gefangen worden sei, sagte derjenige von ihnen, welcher der älteste war und also für die andern das Wort zu führen hatte:
»Das alte Bleichhaar ritt fort, ohne uns zu fragen. Konnten wir ihn halten?«
»Nein,« antwortete ich. »Er hätte auf keinen Fall auf euch gehört. Aber warum stieg er zu Pferde, anstatt zu Fuße zu gehen? Wißt ihr das?«
»Wir wissen das, denn er sagte es uns. Es war das Einzige, was er sagte. Er bediente sich der Schnelligkeit wegen des Pferdes; er wollte eher bei den Comantschen sein und dann auch eher als ihr zurückkehren.«
»Um sich dann gegen uns zu brüsten! Nun hat er ja allen Grund gefunden, seinen Ruhm auszuposaunen. Sorge dafür, daß die Wachen aufmerksam sind! Wir wollen uns jetzt schlafen legen, denn wir müssen mit der Sonne wieder munter sein.«
Mit dem Schlaf hatte es so seine Wege, denn der Ärger über Cutter hielt mir noch lange Zeit die Augen wach, und als ich bei Sonnenaufgang geweckt wurde, hatte ich noch nicht ausgeschlafen.
Jetzt galt es, den Abzug der Comantschen zu beobachten. Wir sahen zwar den dunkeln Streifen, den die ›hundert Bäume‹ am südlichen Horizonte bildeten, sie selbst aber konnten wir nicht erkennen. Darum nahm ich das Fernrohr und verließ mit Old Surehand den Lagerplatz, um die große Entfernung zu verringern. Auf halbem Wege setzten wir uns nieder und warteten. Es dauerte gar nicht lange, so tauchten ihre Gestalten hinter den Büschen auf. Sie ritten fort, und zwar in derselben Weise, wie sie gekommen waren, nämlich nicht im Gänsemarsche. Sie thaten das, um eine recht breite, sichtbare Fährte zu machen und dadurch den Truppen die Verfolgung zu erleichtern. Als Wegweiser ließen sie sich, wie wir es ja beabsichtigten, die Pfähle dienen, von denen sie glaubten, daß sie von Schiba-bigk angebracht worden seien; sie ahnten nicht, welche Veränderung inzwischen mit denselben vorgegangen war.
Als sie fern im Südosten verschwunden waren, warteten wir in großer Spannung wohl über eine Stunde lang. Da tauchten im Westen sechs Reiter auf, deren Weg sichtlich nach den ›hundert Bäumen‹ führte.
»Das sind Dragoner,« meinte Old Surehand.
»Ja,« stimmte ich bei. »Es sind die Eclaireurs, welche der Kommandant vorausgesandt hat, die Comantschen auszumachen.«
»Da ist er vorsichtiger als Vupa Umugi gestern, der gleich mit seiner ganzen Truppe kam, ohne jemand vorauszuschicken.«
»Der war seiner Sache sicher, während der Kommandant nicht weiß, ob die Comantschen noch da sind oder nicht. Übrigens ist das Voraussenden von Eclaireurs eine so streng geforderte militärische Gepflogenheit, daß sich dieser Offizier der größten Unterlassungssünde schuldig machen würde, wenn er es unterließ, diese Vorsichtsmaßregel anzuwenden.«
»Was thun wir jetzt? Reiten wir hin?«
»Nein.«
»Warum nicht? Es würde doch das kürzeste sein, diesen Vorposten zu sagen, daß die Roten fort sind. Da brauchten sie nicht erst lange nach ihnen zu suchen.«
»Das ist richtig; aber ich möchte mir gern einen Spaß machen.«
»Welchen?«
»Der Kommandant hat mich, als ich ihn jenseits des Mistake-Cañon in seinem Lager traf, nicht für voll angesehen und wie einen Neuling behandelt.«
»Dummkopf!«
»Hm! Er konnte nicht gut anders, weil ich mich für einen Gräbersucher ausgab.«
»Gräbersucher? Was ist das, Sir?«
»Ich gab vor, nach der Abstammung der Indianer zu forschen, und für einen solchen Gelehrten sind Ausgrabungen, besonders alter Gräber, von großer Bedeutung, Mr. Surehand.«
»Ah, so! Und da hat er Euch geglaubt?«
»Ja.«
»Dann ist er eben das, was ich sagte, nämlich ein Dummkopf.«
»Mag sein; aber selbst Parker und die Männer, die bei ihm waren, haben es geglaubt und sich von mir täuschen lassen.«
»Das ist aber doch kaum möglich! Wer Euch sieht, Euer Äußeres betrachtet, Euer ganzes Wesen beurteilt, muß doch unbedingt darauf kommen, daß Ihr nichts andres seid – –«
»Als ein Westmann?« unterbrach ich ihn.
»Yes.«
»Ich verstellte mich damals, und mein Anzug sah auch ganz anders aus als jetzt. Es war wirklich nicht allzu schwer, mich für ein Greenhorn zu halten. Daß man dies that, hat mir großen Spaß gemacht, und ich möchte jetzt gern sehen, was der Kommandant für ein Gesicht macht, wenn er mich so unerwartet hier am öden, wüsten Llano estacado wiederfindet.«
»Also ein wenig Theater spielen?«
»Ja.«
»So wollt Ihr erst ohne unsre Apatschen zu ihm?«
»Ja.«
»Auch ohne mich?«
»Ihr könnt mit.«
»Recht so! Möchte auch wissen, was er sagt, wenn er erfährt, daß der vermeintliche Gräberforscher kein andrer als Old Shatterhand ist. Er wird ein ungeheuer kluges Gesicht dabei machen.«
Wir sahen durch das Fernrohr, daß die sechs Reiter sich zerstreuten, um in dieser Weise die ›hundert Bäume‹ zu erreichen; das war sehr pfiffig von ihnen, aber, natürlich ohne daß sie es wußten, nicht nötig, weil die Comantschen sich entfernt hatten.
Als sie verschwunden waren, dauerte es nur zehn Minuten, da sahen wir wieder einen von ihnen, der im gestreckten Galoppe zurückritt, um dem Kommandanten zu melden, daß er nachkommen könne, weil die ›hundert Bäume‹ von den Feinden verlassen worden seien. Eine kleine Stunde später sahen wir dann die Dragoner kommen, und wir kehrten in unser Lager zurück, um unsre Pferde zu holen und den Apatschen die Weisung zu erteilen, daß sie nach einer Stunde nachkommen sollten.
Wir ritten erst schnell und dann, als wir von den ›hundert Bäumen‹ aus gesehen werden konnten, langsamer, so langsam wie Leute, die nichts zu versäumen haben, weil der Zweck ihres Rittes kein wichtiger ist. Als wir uns dem Gebüsch auf ungefähr tausend Schritte genähert hatten, sahen wir einige Wachen stehen. Die andern konnten wir nicht sehen, weil sie im Innern der Einbuchtung lagerten. Wir wurden von diesen Posten bemerkt; sie meldeten uns, und nun kamen viele der Soldaten hinter dem Gesträuch hervor, um uns zu betrachten. Da wir nur zwei Personen und noch dazu keine Indianer waren, wurde unserm Kommen mit Ruhe entgegengesehen.
»Halt!« rief uns der äußerste Posten an. »Woher?«
»Daher,« antwortete ich, indem ich nach rückwärts zeigte.
»Wohin?«
»Da hin!«
Dabei deutete ich nach dem Lager.
»Was wollt ihr dort?«
»Ausruhen.«
»Wer seid Ihr?«
»Das geht Euch zunächst nichts an; es ist das Sache Euers Offiziers!«
»Oho! Ich habe Euch auszufragen, und Ihr habt mir zu antworten!«
»Wenn es uns beliebt, ja; da es uns aber nicht beliebt, werden wir eben nicht antworten.«
»Da schieße ich!«
»Versucht es doch! Ehe Ihr Euern Schießprügel anlegt, seid Ihr eine Leiche.«
Bei diesen Worten richtete ich den Stutzen auf ihn und fuhr fort:
»Wir haben hier nämlich ganz dasselbe Recht wie Ihr. Wir können auch fragen: Wer seid Ihr? Woher kommt Ihr? Was wollt Ihr hier? Und wer ist der Offizier, der Euch befehligt?«
»Was? Ihr bedroht einen militärischen Posten mit dem Gewehre?«
»Gewiß. Ihr seht es doch!«
»Da geht's um Euer Leben! Wißt Ihr das?«
»Unsinn! Unsre Kugeln treffen ebenso sicher wie die eurigen. Und nun laßt uns in Ruhe! Wir wollen nach dem Wasser.«
Wir bogen um das Gebüsch und ritten nach dem Quell, an welchem das Offizierszelt bereits errichtet war. Der Posten hinderte uns nicht, aber die Soldaten, die meine Antworten gehört hatten, liefen uns voran, um dem Kommandanten zu sagen, wie wir uns verhalten hätten und was für renitente Kerls wir seien. Er stand vor dem Zelte, hörte ihren Bericht und sah uns mit drohend gefalteter Stirn entgegen. Da, als wir ihm nahe genug gekommen waren, erkannte er mich und rief aus:
»Good lack! Das ist ja der Gräbersucher! Nun, dem sind solche Dummheiten wohl zuzutrauen. Der versteht das nicht. Was weiß der vom Kriegszustande und von den Pflichten, die ein Posten hat, wenn ihm nicht Gehorsam geleistet wird!«
Während er das sagte, hatten wir ihn erreicht und stiegen von den Pferden.
»Good morning, Sir!« grüßte ich unbefangen. »Erlaubt uns, hier Platz zu nehmen! Wir brauchen Wasser für uns und für die Pferde.«
Er lachte laut auf und wendete sich zu seinen Offizieren, welche in sein Gelächter einstimmten:
»Seht diesen Mann, Mesch'schurs! Wahrscheinlich kennt Ihr ihn noch. Der Kerl ist ein Original und hat Raupen im Kopfe, die ihresgleichen suchen. Natürlich hat er keine Ahnung davon, daß unsre Posten ihn eigentlich niederschießen mußten. Gegen solche Dummheit kämpfen selbst Götter vergebens. Wollen ihm also sein bißchen Leben schenken. Er hat einen Kameraden gefunden, der sehr wahrscheinlich ganz gleichwertig mit ihm ist. Solche Leute können wir ruhig hier aufnehmen, ohne befürchten zu müssen, daß sie uns schaden.«
Und uns das Gesicht wieder zukehrend, sagte er zu uns:
»Ja, ihr mögt hier bleiben und soviel Wasser trinken, wie ihr wollt; ich weiß, daß euch das sehr nötig ist, weil euer Gehirn doch sehr wahrscheinlich aus weiter nichts als Wasser besteht.«
Wir gaben unsre Pferde frei und setzten uns neben dem Quell nieder. Ich nahm den ledernen Trinkbecher vom Gürtel, schöpfte bedächtig, trank sehr langsam und antwortete erst dann:
»Wasser im Gehirn? Hm! Habt Ihr nicht auch getrunken, Sir?«
»Natürlich, ja. Was wollt Ihr damit sagen?«
»Daß Euch das Wasser auch nötig gewesen ist.«
»Und – –?«
»Und daß daraus auf Euer Gehirn wohl ebenso zu schließen ist wie auf das unsrige.«
»All thunders! Ihr wollt mich beleidigen?«
»Nein.«
»Aber das war doch eine Beleidigung!«
»Wüßte nicht! Ich glaubte nur, gegen Euch genau so höflich sein zu müssen, wie Ihr gegen uns.«
»Da hat man es! Der Mann weiß nicht, was er spricht. Er zieht im Lande herum, um alte Gräber aufzumachen und nach verfaulten Knochen zu suchen. Da weiß man ja, daß man auf das, was er sagt, nicht viel oder auch gar nichts zu geben hat.«
Um diesen Worten eine Illustration zu geben, tippte er sich mit der Spitze des Zeigefingers an die Stirn und fragte mich dann:
»Habt Ihr viel solche Gräber gefunden, Sir?«
»Kein einziges,« antwortete ich.
»Das läßt sich denken. Wer Indianergräber suchen will, der darf nicht nach dem wilden Llano estacado gehen!«
»Llano estacado?« fragte ich, scheinbar verblüfft.
»Ja!«
»Wo liegt denn der?«
»Das wißt Ihr nicht?«
»Ich weiß nur, daß das eine sehr traurige Gegend sein soll.«
»O sancta simplicitas! So wißt Ihr also nicht, wo Ihr seid?«
»In der Prairie, an diesem schönen Wasser hier.«
»Und wo wollt Ihr von hier aus hin?«
»Dahin.«
Ich deutete bei diesen Worten nach Osten.
»Dahin? Da kommt Ihr ja in den Estacado!«
»Wie – –? Was – –?«
»Ja, in den Estacado!« lachte er.
»Wirklich?«
»Ja. Ihr könnt Gott danken, daß Ihr uns hier getroffen habt. Ihr habt ja gar keine Ahnung, daß Ihr Euch hier am Rande der Wüste befindet. Wenn Ihr weiter reitet, müßt Ihr elend umkommen!«
»Hm! Da werden wir umkehren.«
»Ja, das müßt Ihr, Sir, sonst fressen Euch die Geier.«
»Und wahrscheinlich würden wir im Llano auch auf keine Gräber treffen?«
»Wenigstens nicht auf solche, wie Ihr sucht. ihr wollt ein Gelehrter sein und wißt doch nicht, daß all Euer Forschen vergeblich ist!«
»Vergeblich? Warum?«
»Ihr habt doch gesagt, daß Ihr alte Reste ausgraben wollt, um zu erfahren, woher die Rothäute stammen?« »Allerdings.«
»Es können Euch also nur alte, uralte Gräber von Nutzen sein?«
»Ja.«
»Und doch reitet Ihr in der Prairie und überhaupt im fernen Westen herum, wo es zwar Gräber giebt, die aber neu sind!«
»Hm!« brummte ich nachdenklich.
»Ihr müßt doch da nachgraben, wo Indianerstämme gewohnt haben, die längst untergegangen sind. Ist das nicht richtig?«
»Eigentlich, ja.«
»So macht Euch also aus dem Westen fort! Die Gräber, die ihr sucht, liegen nicht westlich, sondern östlich von dem Missisippi. Den guten Rat gebe ich Euch. Ihr seht, wie es um Eure Gelehrsamkeit steht, wenn Euch erst Andere die richtigen Wege zeigen müssen!«
»Well! So gehen wir also wieder über den Missisippi hinüber.«
»Das rate ich Euch. Dort giebt es auch nicht die vielen Gefahren, denen Ihr Euch hier so überflüssiger Weise auszusetzen habt.«
»Gefahren? Nicht daß ich wüßte!«
»Was? Ihr wißt nichts von Gefahren?«
»Woher soll das unsereiner wissen?«
»Die Indianer!«
»O, die thun mir nichts!«
»Nichts? Welch ein Leichtsinn! Oder welch eine Unwissenheit! Ihr scheint nicht zu ahnen, daß grad jetzt die Comantschen die Beile des Krieges ausgegraben haben. Sie morden alles, Rot und Weiß!«
»Mich nicht!«
»Warum grad Euch nicht?«
»Weil wir ihnen nichts gethan haben.«
»Hört, da ist die Einfalt denn doch zu groß! Diese Roten verschonen keinen Menschen, den sie treffen, keinen einzigen.«
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Da fuhr er mich zornig an:
»Es ist so, wie ich sage. Und Ihr habt es mir großen Dank zu wissen, daß ich Euch warne. Wohin seid Ihr denn eigentlich geritten, nachdem Ihr da oben unser Lager verlassen hattet?«
»Immer ostwärts.«
»Und dann?«
»Dann an den See, den die Indianer das ›blaue Wasser‹ nennen.«
»An das ›blaue Wasser‹?« rief er erstaunt, ja fast erschrocken aus. »Grad dort hat ja eine ganz bedeutende Comantschenschar gelagert!«
»So?« fragte ich, mich ganz ahnungslos stellend.
»So – oo – oo?« ahmte er meine Stimme nach. »Haben sie Euch denn nicht gesehen und ertappt?«
»Gesehen? Vielleicht! Ertappt? Nein! Wir haben uns sogar den Spaß gemacht, im See zu schwimmen.«
»Und seid nicht erwischt worden?«
»Nein. Wenn ich mir die Sache richtig überlege, so denke ich, daß wir jetzt nicht hier säßen, wenn wir von ihnen erwischt worden wären.«
Da lachte er wieder laut auf und rief:
»Das ist freilich richtig, außerordentlich richtig! Sie hätten Euch getötet und skalpiert!«
»Sir, das ist nicht so leicht, wie Ihr zu denken scheint!«
»Wie so?«
»Wir hätten uns gewehrt.«
»Gegen hundertfünfzig Rote?«
»Ja.«
»Mit den Sonntagsflinten, die Ihr hier habt?«
»Ja.«
Ich sagte das so ernst und überzeugungsvoll, daß sich abermals ein schallendes Gelächter erhob. Old Surehand gab sich alle Mühe, seine Gesichtszüge zu beherrschen; dennoch sah ich es ihm an, wie sehr er sich innerlich belustigte. Als sich das Gelächter gelegt hatte, fuhr der Kommandant fort:
»Das ist denn doch zu toll! Also Ihr hättet Euch gewehrt? Wirklich?«
»Natürlich!«
»Da sage ich Euch, daß dieser Gedanke der reine Wahnsinn ist. Ihr wäret sofort von anderthalbhundert Kugeln durchlöchert worden.«
»Oh! Hm!«
»Glaubt's oder glaubt es nicht! Was ich Euch sage, ist richtig. Wie lange seid Ihr denn eigentlich an dem ›blauen Wasser‹ geblieben?«
»Einen Tag!«
»Und wohin seid Ihr dann geritten?«
»Immer wieder nach Osten.«
»Also über die Ebene?«
»Ja.«
»Gerade hierher?«
»Ja.«
»Das ist wirklich ein Wunder, ein himmelblaues Wunder! Ich sehe doch, daß Ihr ohne allen Schaden und ganz heil hier angekommen seid!«
»Ja, heil und gesund sind wir. Was sollte uns fehlen?«
»Was Euch fehlen sollte? Es ist großartig, wirklich großartig! Die Comantschen sind nämlich auch vom ›blauen Wasser‹ hierher geritten.«
»Wirklich?«
»Ja, wirklich!« antwortete er, beinahe wütend über meine Unbefangenheit. »Haben Euch diese Halunken denn nicht gesehen?«
»Das weiß ich nicht; sie müssen es wissen.«
»Ja, sie müssen es wissen!« lachte er grimmig. »Und ich weiß es auch. Sie haben Euch nicht gesehen, sonst lebtet ihr nicht mehr. So etwas ist wirklich kaum zu glauben. Da reiten diese beiden Männer immer dahin, wo die Comantschen sind; sie trollen ihnen immer im Wege und vor den Augen hin und her und werden doch nicht ertappt. Einem tüchtigen Westmann oder Soldaten könnte das nicht passieren. So ein Glück! Und dabei ahnen diese Leute nicht einmal, in welcher Gefahr sie sich befunden haben. Es ist doch wahr, was das alte Sprichwort sagt: Die Dummen haben Glück!«
»Hört, Sir, nennt uns nicht dumm! In meiner Heimat giebt es ein Sprichwort, welches das viel anständiger ausdrückt.«
»Welches?«
»Man pflegt zu sagen: Die dümmsten Bauern ernten die größten Kartoffeln.«
Als ich das so ruhig lächelnd sagte, schien er endlich doch aufmerksam zu werden. Er betrachtete mich mit einem langen, forschenden Blicke und sagte dann:
»Hört, Ihr wollt doch nicht etwa so thun, als ob Ihr etwas hinter den Ohren hättet? Bildet Euch ja nicht ein, klüger zu sein als wir!«
»Keine Sorge, Sir! Wir haben ganz und gar nicht die Absicht, zwischen uns und Euch einen Vergleich anzustellen. Das wäre Thorheit.«
»Denke es auch!« nickte er befriedigt, ohne den eigentlichen Sinn meiner Worte zu verstehen. »Ich habe nicht nötig, aufrichtig mit Euch zu sein; aber Ihr thut mir in Eurer Dummheit so leid, daß ich Euch sagen will, wie die Verhältnisse stehen. Wir haben nämlich die Comantschen angegriffen und besiegt; sie sind vor uns nach dem ›blauen Wasser‹ geflohen, und wir sind ihnen nach. Von dort sind sie wieder geflohen, hierher, und nun hetzen und jagen wir sie in den öden Llano estacado hinein, wo sie entweder vor Durst sterben oder von unsern Kugeln gefressen werden, wenn sie sich uns nicht ergeben. Das ist es, was ich Euch mitteilen will und wovon Ihr keine Ahnung gehabt habt.«
»Keine Ahnung? Glaubt Ihr denn wirklich, daß wir so ganz und gar nichts davon wissen?« fragte ich, jetzt in ganz anderm Tone.
»Was könntet Ihr wissen!« antwortete er verächtlich.
»Zunächst wissen wir, daß Ihr, wenn es genau nach Eurem Plane geht, die Comantschen auf keinen Fall bekommen werdet.«
»Ah?« fragte er ironisch.
»Ja! Ich füge sogar hinzu, daß nicht sie es sind, sondern Ihr es seid, welchen das Los bevorsteht, im wüsten Llano zu verschmachten.«
»Wirklich? Wie klug Ihr plötzlich seid! Warum werden wir verschmachten?«
»Giebt's im Llano Wasser?«
»Nein.«
»Habt Ihr Schläuche?«
»Nein.«
»Könnt Ihr also Wasser mitnehmen?«
»Zum Teufel, nein! Fragt doch nicht so dumm!«
»Meine Frage ist gar nicht dumm! In der Wüste braucht man Wasser, und das bißchen Wasser, was man im Gehirn hat, wie Ihr vorhin sagtet, reicht noch lange nicht aus, Pferd und Reiter vor dem Verschmachten zu retten. Wißt Ihr, wie weit Ihr hinein in die Wüste müßt, um die Comantschen zu treffen? Wißt Ihr, wie lange Eure Pferde in der Glut des Llano dursten können?«
»Wir wissen, daß wir gar nicht weit hinein müssen, denn die Roten haben auch kein Wasser.«
»Wißt Ihr das genau?«
»Sehr genau!«
»So thut Ihr mir jetzt ebenso sehr leid, wie Euch vorhin meine Dummheit erbarmt hat. Die Comantschen wissen nämlich einen Ort im Llano estacado, an welchem es genug Wasser für sie giebt.«
»Ah! Es giebt einen solchen Ort?«
»Ja.«
»Unmöglich!«
»Warum unmöglich? Habt Ihr noch nie gehört, daß es in Wüsten Oasen giebt?«
»Aber nicht im Llano estacado.«
»Gerad da giebt es ein Wasser, welches tausend Pferde nicht auszutrinken vermögen!«
»Unsinn! Ihr habt nicht einmal geahnt, daß Ihr Euch jetzt am Rande des Llano befindet; was wollt Ihr da von diesem Wasser wissen!«
»Redet doch Ihr nicht von Ahnen und Wissen! Ihr selbst ahnt ja gar nicht, was wir beide wissen, ich und mein Kamerad hier neben mir.«
»Zwei Gräbersucher! Was wißt Ihr denn, he?«
»Daß Ihr Euch mit allem, was Ihr denkt und beabsichtigt, in einem ungeheuren Irrtum befindet und Euerm sichern Untergange entgegenreiten würdet, wenn es nicht einige Männer gäbe, welche sich vorgenommen haben, Euch zu retten.«
»Unserm sichern Untergange? Das ist toll. Aber Euch sind solche Reden zuzutrauen. Wer sind denn diese braven Männer, Sir?«
»Es sind drei, nämlich Winnetou, Old Surehand und Old Shatterhand.«
Da zog er die Brauen hoch empor und fragte:
»Winnetou, der Apatschenhäuptling?«
»Ja,«
»Old Shatterhand, sein Freund, der weiße Jäger?«
»Ja.«
»Und Old Surehand, von welchem man so viel erzählen hört?«
»Ja, diese drei.«
»Die wollen sich unser annehmen?«
»Sie müssen es, wenn sie nicht ruhig zusehen wollen, daß Ihr in die Falle geht, welche die Comantschen Euch gestellt haben.«
»Eine Falle? Uns gestellt? Sprecht Ihr im Fieber?«
»Ich habe meine Gedanken sehr beisammen, Sir.«
»Das scheint nicht so; ich glaube vielmehr, Ihr leidet an Hallucinationen.«
»Wenn jemand in irgend welcher Sinnestäuschung befangen ist, so sind nicht wir es, sondern Ihr seid es. Kennt Ihr den Anführer der Comantschen, mit denen Ihr gekämpft habt?«
»Wir wissen nicht, wie er heißt. Wir haben keinen Scout, der das erfahren konnte.«
»Dieser Häuptling heißt Nale-Masiuv, was so viel wie ›Vier Finger‹ bedeutet. Und wie heißt der Häuptling derjenigen Comantschen, welche am ›blauen Wasser‹ lagerten?«
»Das war eben jener Nale-Masiuv, wenn Ihr seinen Namen richtig genannt habt.«
»Nein; das war Vupa Umugi, was ›großer Donner‹ heißt.«
»Also ein andrer?«
»Ja.«
»Es kann kein andrer, sondern es muß derselbe gewesen sein, denn wir haben ihn bis an das ›blaue Wasser‹ vor uns hergetrieben, Sir.«
»Ah! Sind das die Hallucinationen, von denen Ihr redetet! Ihr seid so freundlich gewesen, uns vorhin den Stand der Dinge klarzulegen, ohne daß Ihr es für nötig hieltet. Dafür wollen wir nun Euch, ohne daß es notwendig ist, sagen, wie die Verhältnisse liegen. Nale-Masiuv hat sich nämlich mit Vupa Umugi verbündet, Euch zu verderben. Er ist nicht nach dem ›blauen Wasser‹, sondern er hat heimgeschickt, um schnell noch hundert Krieger kommen zu lassen. Während Ihr glaubtet, ihn zu verfolgen, blieb er in Eurem Rücken und verfolgte Euch. Ihr wurdet nach dem ›blauen Wasser‹ gelockt, wo Vupa Umugi auf Euch wartete und Euch, als Ihr kamt, sogleich Platz machte. Vupa Umugi, der Häuptling der Naiini, wendete sich hierher nach dem Orte, wo wir uns jetzt befinden und den die Comantschen Suks-ma-lestavi, ›hundert Bäume‹, nennen. Er kam gestern abend hier an. Ihr seid ihm nachgeritten und er ging, ehe Ihr hier erschient, in die Wüste, um Euch hinter sich herzuziehen. Während Ihr glaubt, ihn zu verfolgen und ihn vernichten zu können, lockt er Euch in eine Falle. Er reitet mit seinen Naiini voran und hinter Euch kommt Nale-Masiuv mit weit über hundert Kriegern. Ihr befindet Euch zwischen diesen beiden feindlichen Trupps. So stehen die Verhältnisse, Sir, so und nicht anders.«
Seine Offiziere blickten fragend von mir zu ihm hinüber und wieder von ihm zu mir herüber. Er selbst starrte mich staunend an, als ob ich etwas für ihn Unbegreifliches sei, und fragte mich.
»Aber, Sir, was sind das für Phantastereien?«
»Meine Phantasie ist hierbei gar nicht thätig; ich spreche von Dingen, welche wirklich sind.«
»Ihr kennt die Namen alle; woher wißt Ihr sie?«
»Ich spreche die Sprache der Comantschen.«
»Ihr, der Gräbersucher?«
»Gräbersucher, pshaw! Wollt Ihr denn noch immer nicht einsehen, daß Ihr Euch auch in Beziehung auf mich in einem großen Irrtum befunden habt?«
»Irrtum? Seid Ihr denn nicht der, für den ich Euch gehalten habe, Sir?«
»Nein.«
»Wer denn?«
»Jetzt zeigt es sich, wer Wasser im Gehirn hat, Ihr oder ich. Habt Ihr es denn wirklich für möglich gehalten, daß ein Gelehrter, also ein studierter Mann, sich als Dummkopf im wilden Westen nur zu dem Zwecke herumtreibt, um Gräber zu entdecken?«
»All devils!«
»Und daß er den Indianern nur immer so im Wege herumkrabbelt, ohne von ihnen entdeckt zu werden?«
»Ich bin erstaunt, Sir!«
»Erstaunt über Euch, aber nicht über mich! Ich habe Euch vorhin die Namen dreier Männer genannt, von denen Ihr wohl oft gehört haben werdet. Ist Euch vielleicht zufälligerweise bekannt, was für ein Pferd Winnetou gewöhnlich reitet?«
»Einen Rapphengst, welcher ›Wind‹ heißen soll.«
»Ja, Wind. Der Apatschenname dafür ist Iltschi. Habt Ihr auch von dem Pferde Old Shatterhands gehört?«
»Ja, auch ein Rapphengst, ›Blitz‹ genannt.«
»Richtig! Das Apatschenwort dafür ist Hatatitla. Jetzt paßt einmal auf mein Pferd dort auf!«
Mein Rappe hatte sich grasend wohl über siebzig Schritte von mir entfernt. Ich drehte mich nach ihm um und rief den Namen Hatatitla; er kam sofort herbeigesprungen und rieb sein Maul liebkosend an meiner Schulter.
»Zounds!« rief der Kommandant aus. »Sollte –?«
»Ja, sollte – – – –!« lachte ich. »Ihr seid Kavallerist und habt diesen Hengst schon einmal gesehen. Ihr hieltet ihn für einen Kutschengaul. Betrachtet ihn jetzt genauer! Habt Ihr schon einmal ein so edles Pferd gesehen? Kann ein ›Gräbersucher‹ ein so unvergleichliches Tier besitzen?«
Er drückte und drückte, um etwas zu sagen, brachte aber vor Verlegenheit lange nichts heraus, bis er endlich rief:
»Wo habe ich nur meine Augen gehabt!«
»Ja, wo habt Ihr sie gehabt, und zwar nicht nur in Beziehung auf das Pferd, sondern auch in Hinsicht auf den Reiter! Wißt Ihr, wie Winnetou bewaffnet ist?«
»Mit seiner berühmten Silberbüchse.«
»Und Old Shatterhand?«
»Mit dem Bärentöter und dem Henrystutzen.«
»Habt Ihr denn nicht schon in Euerm Lager jenseits des Mistake-Cañon gesehen, daß ich zwei Gewehre habe?«
»Ja, aber sie waren, wenigstens das eine, eingewickelt.«
»Nun, jetzt sind sie nicht verhüllt. Da, seht sie an!«
Ich hielt sie ihm hin. Seine Offiziere richteten ihre Blicke auch höchst neugierig auf die Gewehre.
»Alle Wetter, Sir,« stieß er hervor, »sollte diese starke, schwere Rifle der Bärentöter sein?«
»Sie ist es.«
»Und dieses Gewehr mit dem sonderbaren Schlosse?«
»Der Henrystutzen! ja, der ist es.«
»So wäret – – wäret Ihr – – – –«
Er sprach die Frage nicht ganz aus und stotterte beinahe vor Verlegenheit.
»Old Shatterhand?« fiel ich ein, »der bin ich allerdings.«
»Und Euer Gefährte hier?«
»Heißt Old Surehand.«
Die Offiziere wiederholten in größter Überraschung diese beiden Namen, welche augenblicklich von Mund zu Mund durchs ganze Lager gingen. Der Kommandant war aufgesprungen, ließ seinen Blick zwischen uns beiden hin und her gleiten und fragte in einem Tone, als ob er sich nur im halben Wachen befinde:
»Old Shatterhand und Old Surehand! Ist's zu glauben!«
»Ihr glaubt es nicht?« fragte ich.
»O doch; aber – – aber – –«
Er wurde unterbrochen, denn draußen, wo die Posten standen, erscholl jetzt der laute Ruf-
»Indsmen kommen, Indsmen!«
»Woher?« fragte der Kommandant mit schallender Stimme.
»Von dort, aus Norden,« lautete die Antwort, wobei die Posten nach der angegebenen Richtung deuteten. Der Offizier wollte den Alarmbefehl erteilen; ich hinderte ihn daran:
»Seid ruhig, Sir! Es hat nichts zu bedeuten. Wenn Ihr noch nicht glaubt, daß wir diejenigen sind, für die wir uns jetzt ausgegeben haben, so kommen jetzt Zeugen, welche bestätigen werden, daß wir die Wahrheit sagen.«
»Meint Ihr die Roten?«
»Ja.«
»Aber das sind ja Feinde! Ich muß sofort – –«
»Nichts müßt Ihr, nichts. Sie sind Freunde; sie sind sogar Eure Retter. Es sind Apatschen, welche ich hergebracht habe, um Euch gegen die Comantschen beizustehen.«
»Apatschen? Da bringt Ihr mich in eine Lage, Sir, welche für mich ungeheuer bedenklich ist; Rote sind Rote; es ist keinem zu trauen, und noch weiß ich nicht, ob Ihr wirklich Old Shatterhand seid.«
»Well, so trefft die Maßregeln, welche Ihr für notwendig haltet; nur hütet Euch vor Feindseligkeiten. Ich werde Euch alles erklären, vorher aber den Apatschen einen Wink geben, sich dem Lager nicht auf Schußweite zu nähern, bis Ihr Vertrauen gewonnen habt.«
»Ich will gehen und es ihnen sagen,« erbat sich Old Surehand.
»Ja, thut das, Sir! Sagt ihnen auch, daß sich einige von ihnen hinauf auf die Höhe an das Gebüsch postieren sollen!«
»Da hinauf? Warum?« fragte der Kommandant, noch immer mißtrauisch. »Warum Posten in meinem Rücken?«
»Um nach Nale-Masiuv auszuschauen. Ich habe Euch ja gesagt, daß er hinter Euch her ist. Er kann jeden Augenblick kommen.«
»Ich könnte doch Posten von meinen Leuten aufstellen!«
»Meine Apatschen haben schärfere Augen.«
»Alle Wetter! Wenn Ihr – – – wenn Ihr – –!«
»Nur heraus damit, Sir! Ihr wollt sagen: Wenn Ihr Feinde und Betrüger wäret?«
»Ja,« gestand er zu.
»Glaubt Ihr wirklich, daß zwei Weiße so kühn und zugleich so schlecht sein könnten, solche Absichten zu hegen?«
»Hm! Ich weiß nicht, ob die Roten, die da kommen, wirklich Apatschen sind.«
»So versteht Ihr es nicht, Apatschen von Comantschen zu unterscheiden?«
»Nein.«
»Und da führt Ihr Krieg mit Indianern? Da könnt Ihr ja die allergrößten Fehler begehen! Übrigens seht, da draußen kommen sie! Es sind fünfzig Mann. Ihr habt, wie ich schätze, gegen hundert gut geschulte Kavalleristen bei Euch. Könnt Ihr Euch da vor den Roten fürchten?«
»Nein. Ich will Euch trauen, Sir. Nur müssen die Indsmen dem Lager fern bleiben, bis ich ihnen erlaube, herbeizukommen. Das zu verlangen, gebietet mir meine Pflicht.«
»Das sehe ich ein. Und Ihr seht jetzt, daß Ihr ruhig sein könnt. Mr. Surehand hat sie erreicht; sie bleiben halten und sitzen ab. Nur drei von ihnen reiten fort, hinauf zur Höhe; das sind die Wachen, die für unsre Sicherheit sorgen sollen.«
»Schön! Ich bin zufrieden, Sir. Dennoch darf ich das nicht unterlassen, was zu thun mir die Sorge für unsre Sicherheit gebietet.«
Er erteilte einige Befehle, infolge deren seine Truppen mit schußbereiten Gewehren eine solche Aufstellung nahmen, daß sie einen Angriff der Apatschen, falls diese einen solchen beabsichtigen sollten, leicht abschlagen konnten.
»Das darf Euch nicht erzürnen,« entschuldigte er sich.
»Fällt mir nicht ein, es Euch zu verdenken!« antwortete ich. »Wenn Ihr mich bis zu Ende angehört habt, werdet Ihr Vertrauen haben. Da kommt Mr. Surehand zurück. Setzen wir uns wieder zusammen nieder! Ich will Euch erzählen und dadurch die Beweise beibringen, daß ich vorhin die Wahrheit gesagt habe und Ihr ohne uns verloren wäret.«
Wir nahmen am Wasser wieder so bei einander Platz, wie wir vorhin gesessen hatten, und ich teilte ihm soviel mit, wie er wissen mußte. Es lag ja doch in unsrem persönlichen Interesse, das zu übergehen, was nicht wichtig für ihn war. Meine Erzählung machte einen ganz bedeutenden Eindruck auf ihn und seine Offiziere. Sein Gesicht wurde immer ernster, seine Miene immer bedenklicher, und als ich geendet hatte, blieb er noch eine ganze Weile unbeweglich und sinnend sitzen, ohne ein Wort zu sagen. Auch seine Offiziere waren nun überzeugt, daß sie ohne unsre Dazwischenkunft in eine enge Falle gegangen wären. Endlich hob er den gesenkten Blick zu mir empor und sagte:
»Vor allen Dingen eine Frage, Mr. Shatterhand: Wollt Ihr mir verzeihen, daß ich so – – so – – gegen Euch gewesen bin?«
»Gern! Ihr glaubt also nun, daß ich Old Shatterhand bin?«
»Ich würde ein Idiot sein, wenn ich es nicht glaubte!«
»Ebenso überzeugt könnt Ihr davon sein, daß Eure Lage genau so ist, wie ich sie Euch beschrieben habe, Sir.«
»Einer solchen Versicherung bedarf es gar nicht mehr. Wie ein Westmann, wie Ihr seid, doch selbst dem tüchtigsten Offizier überlegen ist! Wir können beim besten Willen, bei aller List und Tapferkeit nichts thun, wenn wir nicht Führer bei uns haben, welche nicht nur die Gegenden, sondern auch die Roten und ihre Sprachen und Gewohnheiten genau kennen. Ihr habt die Comantschen belauscht und darum alle ihre Pläne erfahren. Konnten wir das?«
»Nein.«
»Nein, wir konnten es nicht und wären ganz ahnungslos in eine Mühle geraten, die uns wahrscheinlich alle zermalmt hätte. Dafür werden diese Hunde von Comantschen aber ganz gehörig bluten müssen. Unsrem Kreuzfeuer soll keiner von ihnen entkommen!«
»Halt, Sir! Das ist ein Punkt, über den wir uns zu einigen haben, ehe ich Euch die Hilfe fest zusage, die ich Euch versprochen habe.«
»Warum?«
»Ich bin kein Mörder!«
»Ich auch nicht!«
»Ihr wollt aber morden!«
»Morden? Nein. Ich bin ausgesandt worden, gegen die Indsmen zu kämpfen, bis ich sie besiege, bis sie sich ergeben.«
»Und wenn sie sich ohne Kampf ergeben?«
»Auch dann muß Strafe sein.«
»Wie meint Ihr das?«
»Ich werde den zehnten oder zwanzigsten Mann, meinetwegen auch den dreißigsten, erschießen lassen.«
»So versucht, ob Ihr das fertig bringt! Auf unsre Hilfe aber müßt Ihr dann verzichten.«
»Was fällt Euch ein? Euch kann ich ja ganz und gar nicht entbehren; Euch brauche ich erst recht!«
»Das denke ich auch, und darum meine ich, daß das Schicksal der Roten nicht in Euern, sondern in unsern Händen liegt.«
»Ganz in Euern?«
»Ja.«
»Das wohl nicht, Mr. Shatterhand.«
»Doch!«
»Nein. Ich bin so gerecht, alles, was Ihr gethan habt und noch thun wollt, anzuerkennen, und darf wohl verlangen, daß Ihr die Rechte, die ich habe, ebenso anerkennt.«
»Ganz gewiß, wenn Ihr nämlich welche habt. Aber wollt Ihr mir nicht sagen, welche Rechte Ihr da zu haben glaubt?«
»Ihr und ich, wir sind Verbündete, gegen die Comantschen; wenn wir siegen, müssen wir beide gleich berechtigt sein, zu bestimmen, was mit den Roten geschehen soll. Ihr werdet doch zugeben, daß es ohne Strafe unmöglich abgehen kann!«
»Nein, das gebe ich nicht zu.«
»Dann sind wir eben verschiedener Meinung; doch hoffe ich, daß wir uns einigen werden. Wenn Ihr etwas nachgebt und ich etwas nachgebe, treffen wir in der Mitte zusammen, und jeder kann sagen, daß es halbwegs nach seinem Willen gegangen sei.«
»Für mich giebt es hier keine Mitte. Wenn die Comantschen sich wehren, werden wir allerdings unsre Waffen brauchen; wenn sie sich aber ergeben, darf keinem von ihnen ein Leid geschehen. Das ist meine Ansicht, von der ich auf keinen Fall abweiche.«
»Aber, Sir, Strafe muß doch sein!«
»Wofür?«
»Dafür, daß sie sich empört haben.«
»Was nennt Ihr Empörung? Wenn jemand sein gutes Recht verteidigt? Wenn ein Indianer sich nicht gewaltsam von seinem Wohnsitze vertreiben lassen will? Wenn er von der Regierung verlangt, die Versprechungen zu halten, mit denen man ihn gewissenlos übervorteilt hat?«
»Hm! Ich überzeuge mich da, daß das, was man von Euch sagt, wahr ist, Mr. Shatterhand.«
»Was?«
»Daß Ihr es stets mehr mit den Roten als mit den Weißen haltet.«
»Ich halte es mit jedem guten Menschen und bin Gegner jedes schlechten.«
»Aber die Roten sind doch schlecht!«
»Pshaw! Streiten wir uns nicht darüber! Ihr seid Yankee und außerdem Offizier; ich kann und werde Euch nicht zu meiner Ansicht bekehren. Es handelt sich hier auch nicht um diese, sondern um eine ganz andre Ansicht, die sehr falsch ist.«
»Also wahrscheinlich um eine Ansicht von mir?«
»Ja.«
»Welche?«
»Daß Ihr über das Schicksal der Comantschen, wenn sie sich ergeben, mit zu bestimmen habt.«
»Und diese Ansicht soll falsch sein?«
»Ja, sehr.«
»Wieso?«
»Weil Ihr nicht Sieger sein werdet.«
»Ah! Nicht? Wer denn?«
»Wir.«
»Donner! Ihr werdet mir da wieder einmal unbegreiflich.«
»Und doch ist die Sache sehr klar. Ihr habt doch zugegeben, daß Ihr im Begriff standet, in eine böse Falle zu geraten.«
»Das gebe ich auch jetzt noch zu.«
»Auch daß wir Euch gerettet haben?«
»Ja.«
»Gut! Damit ist unser ganzes Verhältnis vollständig klargestellt, und wir haben nichts hinzuzufügen. Wir haben Euch vom Tode errettet, und Ihr seid uns dafür Dank schuldig.«
»Dank schuldig; zum Teufel, ja! Aber was hat das denn mit der Bestrafung der Comantschen zu thun?«
»Das, daß Euch diese Bestrafung gar nichts angeht.«
»Wollt Ihr mir das erklären?«
»Einer Erklärung bedarf das eigentlich gar nicht. Wir sind eine Anzahl weißer Jäger, die es mit einer ganzen Schar von Comantschen aufnehmen, und haben dreihundert Apatschen bei uns, die viel besser diszipliniert und bewaffnet als die Comantschen sind. Außerdem haben wir die Örtlichkeit für uns, andre Vorteile gar nicht mitgerechnet. Glaubt Ihr, daß wir die Comantschen besiegen werden?«
»Ja.«
»Auch ohne Eure Hilfe?«
»Na, hm – – – hm – – –!«
Er wiegte den Kopf bedenklich hin und her.
»Sagt getrost ja! Wir brauchen Euch wirklich nicht dazu. Ich gebe Euch mein Wort, daß uns nicht ein einziger der Comantschen entgehen wird, auch wenn wir auf Eure Hilfe ganz und gar verzichten. Und darum meine ich, daß das Schicksal der Besiegten ganz allein von unserm Willen und nicht im mindesten von dem Eurigen abzuhängen hat.«
»Wollt ihr damit vielleicht sagen, daß Ihr uns nicht braucht?«
»Das habe ich ja schon gesagt.«
»Thunder! Das ist aufrichtig, sehr aufrichtig, Sir!«
»Aufrichtigkeit ist eine Tugend, deren sich jeder Gentleman stets zu befleißigen hat.«
»Ihr gebt uns also den Abschied? Ihr schickt uns fort?«
»Nein. Ich sage zwar, daß wir Euch nicht brauchen; aber ich gebe zu, daß uns die Ausführung unsres Planes erleichtert würde, wenn wir dabei auf Eure Hilfe rechnen könnten.«
»Gut; aber wer mit hilft, der will auch mit richten!«
»Dann danken wir! Wenn Ihr uns helft, soll es aus Dankbarkeit geschehen, nicht aber in der Absicht, ein ganz unnützes Blutbad anzurichten. Wir haben keine Zeit, die Comantschen können jeden Augenblick kommen. Entscheidet Euch! Entweder ja oder nein!«
»Was geschieht im Falle des ja?«
»Da ziehen wir uns von hier zurück, lassen die Comantschen herkommen und schließen sie, sobald sie sich gelagert haben, ein.«
»Und da meint Ihr, daß sie sich ergeben werden?«
»Ja.«
»Ohne Widerstand?«
»Ja.«
»Unmöglich!«
»Laßt das meine Sorge sein! Wir nehmen sie gefangen und reiten dann hinter Vupa Umugi her, um die Falle in seinem Rücken zuzumachen.«
»Well! Und was geschieht in dem Falle, daß ich nein sage?«
»Da werde ich Euch bitten, Euer Lager hier jetzt schnell aufzuheben und Euch zu entfernen, bis Nale-Masiuv hier gewesen und dem Häuptling Vupa Umugi nachgeritten ist.«
»Dann können wir wieder her?«
»Ja.«
»Und haben nichts als das Nachsehen?«
»Nichts weiter.«
»Hört, Mr. Shatterhand, Ihr seid ein eigentümlicher Mann. Ihr stellt Eure Bedingungen so kurz, so deutlich und bestimmt, daß man sich fast vorkommt wie ein Schulknabe, der gar keine Ansicht und gar keinen Willen hat!«
»Ich habe allerdings keinen Grund, viele Worte zu machen. Wir haben Euch vom Tode errettet und stehen im Begriffe, dreihundert Comantschen zu fangen. Wir bringen das ohne alle Unterstützung fertig; wolltet Ihr aber aus Dankbarkeit uns dabei behilflich sein, so würden wir das annehmen, doch unter der Bedingung, daß Ihr keine Forderungen stellt.«
»Aber unsre Pflicht! Wir sollen die aufrührerischen Comantschen bestrafen!«
»Thut das fernerhin, doch nicht in diesem Falle! Diese Comantschen gehören uns, nicht Euch. Und Ihr würdet ihnen gehören, ihnen verfallen sein, wenn wir nicht gewesen wären!«
»Aber wie soll ich es verantworten, wenn ich sie mit fangen helfe und dann ohne Strafe entkommen lasse?«
»Vor der Menschlichkeit, vor meinem und vor Eurem Herzen ist das sehr leicht zu verantworten; andre Autoritäten gehen mich nichts an. Übrigens ist Euch hier kein Haar gekrümmt worden, und so bin ich überzeugt, daß die Euch vorgesetzte Behörde wohl kein Blutbad verlangen wird. Also, entscheidet Euch!«
»Hm! Man kann gegen Euch wirklich nicht aufkommen. Gebt mir fünf Minuten Zeit, mit meinen Offizieren zu reden!«
»Die sollt Ihr haben, aber länger nicht. Durch Euer Zögern wird leicht alles auf das Spiel gesetzt.«
Ich stand auf und entfernte mich für die angegebene kurze Zeit. Als ich dann zurückkehrte, erhielt ich von ihm den Bescheid:
»Was wollen wir machen, Sir? Ihr sollt Euern Willen haben. Es würde ja geradezu erbärmlich sein, uns von Euch retten zu lassen und dann fortzureiten, ohne Euch unterstützt zu haben. Also wir bleiben da und helfen Euch.«
»Und das Schicksal der Comantschen ist unsre Sache?«
»Yes.«
»Dann sind wir einig, und ich freue mich, in Euch einen so tüchtigen, humanen Bundesgenossen gefunden zu haben.«
»Well! So sagt uns also nun, was geschehen soll?«
»Laßt Eure Pferde tüchtig trinken und brecht Euer Zelt ab! Dann reitet Ihr fort, Vupa Umugi nach. Die Stangen zeigen Euch den Weg.«
»Ihr bleibt hier?«
»Nur bis wir die Comantschen kommen sehen.«
»Und wie weit entfernen wir uns?«
»Etwas über Gesichtsweite, weiter nicht. Wenn Ihr diese Büsche hier nicht mehr erkennen könnt, haltet Ihr an. Wir kommen schnell nach.«
»Warum reitet Ihr nicht mit uns?«
»Weil ich Nale-Masiuv kommen sehen will, und weil unsre Apatschen auch hier an das Wasser müssen, ehe sie die trockene Wüste unter die Hufe ihrer Pferde nehmen können.«
»Well, so mag es losgehen!«
Er gab die nötigen Befehle und ritt nach Verlauf einer halben Stunde mit seinen Dragonern fort. Nun konnten unsre Apatschen heran, um ihre Pferde zu tränken und ihre Schläuche zu füllen. Während das geschah, stieg ich auf die Höhe, um mit Hilfe meines Fernrohrs nach den Feinden auszuschauen. Da sie jedenfalls auf der Fährte der Dragoner kamen, kannte ich den Punkt des Horizontes ganz genau, an welchem sie erscheinen mußten. Dabei war ich überzeugt, daß ich nicht lange auf sie zu warten hatte, denn sie nahmen jedenfalls an, daß sich das Militär nur kurze Zeit bei den ›hundert Bäumen‹ aufgehalten habe und den Comantschen Vupa Umugis schnell gefolgt sei, um ihnen stets auf den Fersen zu bleiben.
Diese Voraussetzung erwies sich als ganz richtig, denn ich befand mich noch gar nicht lange auf meinem Posten, Old Surehand neben mir, als ich ganz draußen am westlichen Horizont einen dunklen Punkt erscheinen sah, welcher sich scheinbar sehr langsam auf uns zu bewegte.
»Sie kommen,« sagte ich zu Old Surehand.
»Schon?«
»Habt Ihr sie für später erwartet?«
»Das nicht. Leiht mir einmal Euer Rohr!«
Ich gab es ihm. Als er einige Sekunden lang hindurchgesehen hatte, fragte er:
»Ihr meint den dunkeln Punkt, gerade im Westen von uns?«
»Ja.«
»Er teilt sich jetzt.«
»So?«
»Ja. Es werden sechs, acht kleinere Punkte daraus, welche sich im Halbkreise immer mehr voneinander entfernen.«
»So sind es Kundschaften«
»Sicher! Sie können natürlich nicht in gerader Richtung nach hier reiten, weil sie von den Truppen gesehen würden, falls diese sich noch hier befänden. Meint Ihr nicht, daß es so ist?«
»Gewiß ist es so. Die Roten werden sich teilen. Nicht?«
»Ja; es scheint so; vier reiten nach rechts und vier nach links.«
»Sie umreiten die ›hundert Bäume‹, um nicht von hinten, sondern von beiden Seiten hierher zu kommen, bis sie die Ebene erreichen und hinter das Gebüsch sehen können. Das ist die einzige Art, ohne Gefahr, selbst entdeckt zu werden, zu erfahren, ob die Dragoner noch da sind. Gebt mir das Glas!«
Als ich noch einmal hindurchblickte, sah ich die beiden Abteilungen der Kundschafter; sie hegten jedenfalls die Absicht, die ich ausgesprochen hatte. Sie waren noch sofern, daß man sie nur durch das Fernrohr erkennen konnte. Bis in Augenweite durften wir sie nicht herankommen lassen, sonst wurden wir grad so von ihnen gesehen, wie sie von uns gesehen wurden. Wir stiegen also schnell nach dem Wasser hinab, und ich erteilte den Apatschen den Befehl, aufzubrechen. Nur eine Minute später jagten wir davon, der großen Fährte nach, welche längs der eingesteckten Pfähle nach Südosten führte. Nach kaum zehn Minuten kamen wir bei den Dragonern an, welche, bei ihren Pferden lagernd, auf uns gewartet hatten.
Von der Stelle aus, an welcher wir uns jetzt befanden, konnten wir die ›hundert Bäume‹ mit bloßen Augen nicht erkennen; aber die Probe überzeugte mich, daß das Fernrohr bis hin trug, so daß ich die Comantschen sehen mußte, sobald sie angekommen waren.
Ich hatte nicht lange zu warten, so bemerkte ich wirklich die Kundschafter, welche sich dem Wasser langsam und äußerst vorsichtig von beiden Seiten näherten. Sobald sie sahen, daß niemand dort war, ritten sie schnell hin. Sie durchsuchten die Büsche, und als sie keinen Feind dort fanden, lagerten sich sieben von ihnen, während der achte zurückritt. Er hatte Nale-Masiuv zu melden, daß er kommen könne.
Von jetzt an verging ein volle Stunde, bis ich sah, daß sich die Lagerstelle wieder belebte. Die Comantschen waren angekommen. Als ich das Old Surehand mitteilte, sagte er:
»Nun beginnt der erste Akt des Schauspieles, welches wir beabsichtigen, die Gefangennahme von Nale-Masiuv. Ich denke, daß wir nicht lange warten dürfen. Meint Ihr nicht?«
»Ja. Sie bleiben jedenfalls nur so lange dort, wie nötig ist, den Menschen und Pferden Wasser zu geben. Also fort!«
»Wir alle auf einmal?«
»Nein. Wir müssen sie umzingeln, erst von weitem, ohne daß sie uns sehen. Dann ziehen wir plötzlich den Kreis schnell und eng zusammen. Diejenigen von uns, welche am weitesten zu reiten haben, müssen da natürlich eher fort als die andern.«
»Wer ist das?«
»Das seid Ihr mit den Apatschen, welche ich unter Euern Befehl stelle, Mr. Surehand.«
»Das freut mich ungemein. Danke, Sir!«
»Ihr reitet außerhalb der Sichtweite um die ›hundert Bäume‹ herum und besetzt die Höhe derselben rund am Rande des Gebüsches, so daß Ihr mit den fünfzig Apatschen einen Halbkreis bildet. Eure Leute steigen von den Pferden und legen sich so zwischen die Büsche, daß sie das unten am Wasser befindliche Lager mit ihren Gewehren bestreichen können.«
»Wir sollen schießen?«
»Nur dann, wenn die Comantschen sich wehren oder mit Gewalt durch Eure Linie dringen wollen. Wie lange denkt Ihr, daß Ihr braucht, um hinter ihren Rücken zu kommen?«
»Ihr werdet da möglichst genaue Zeit wissen wollen, um Euch nach mir richten zu können?«
»Allerdings.«
»So will ich sagen, daß Ihr von jetzt an genau in einer halben Stunde kommen könnt. Habt Ihr noch eine Verhaltungsmaßregel?«
»Ich muß mich auf Euren Scharfsinn verlassen und kann mich nur im allgemeinen dahin aussprechen, daß wir nur dann zu den Waffen greifen, wenn es nötig ist. Ich werde mit den Dragonern so geritten kommen, daß wir einen Bogen bilden, dessen beide Enden sich eng an Euern Halbkreis schließen. Dann haben wir die Comantschen in unsrer Mitte. Sie werden zunächst nur uns sehen und nach rückwärts fliehen wollen, wo Ihr seid. Um ihnen zu zeigen, daß sie auch dort eingeschlossen sind, laßt Ihr Eure Apatschen ihr Kriegsgeheul anstimmen, sobald wir mit Euch Fühlung gewonnen haben.«
»Dann warten wir?«
»Ja.«
»Worauf?«
»Auf das Resultat, welches meine Unterredung mit Nale-Masiuv haben wird.«
»Ah! Ihr wollt mit ihm verhandeln?«
»Natürlich! Auf welche andre Weise könnte ich ihn bewegen, sich uns freiwillig zu ergeben?«
»Das ist ein Wagnis für Euch, Sir!«
»Habt keine Angst um mich!«
»Nale-Masiuv ist als ein pfiffiger, hinterlistiger Mensch bekannt. Schenkt ihm ja nicht zu viel Vertrauen, Mr. Shatterhand!«
»Mit Hinterlist bringt er es bei mir zu nichts, sondern er schadet sich nur selber; darauf könnt Ihr Euch verlassen.«
»Schön! Also, mag's beginnen. Lebt einstweilen wohl!«
Er ging zu den Apatschen, gab ihnen einige kurze Anweisungen und ritt dann mit ihnen fort. Ich wendete mich an den Kommandanten, indem ich ihn fragte:
»Wer soll jetzt Eure Leute befehligen, Sir? Der Tanz beginnt.«
»Natürlich ich!«
»Gut; aber schießt mir keine Böcke!«
»Habe mich freilich von den Roten übertölpeln lassen; jetzt aber könnt Ihr überzeugt sein, daß es keine Böcke giebt.«
»So hört, was ich Euch sage! Wir reiten im Galopp direkt auf die ›hundert Bäume‹ zu und bilden gleich von hier aus einen Halbkreis, dessen Enden die äußersten Büsche berühren.«
»Ich verstehe. Hinter diesen Büschen stecken die Apatschen?«
»Ja. Eure Leute haben sich mit diesen rechts und links eng zusammenzuschließen.«
»Und wenn das geschehen ist, was dann?«
»Unser nächster Zweck ist nur der, die Comantschen zu umzingeln. Auf ihr Verhalten kommt es an, was dann geschieht. Schießen sie, so schießen wir auch; verhalten sie sich aber abwartend, so lassen wir die Waffen ruhen. In diesem letzteren Falle werde ich ein Gespräch mit ihrem Häuptlinge herbeiführen, von dessen Resultate das weitere abhängig ist.«
»Werde ich bei diesem Gespräche mit anwesend sein?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Es giebt keinen Grund dazu.«
»Grund genug! Als Kommandant der anwesenden Truppen bin ich doch wohl die Persönlichkeit, auf welche Nale-Masiuv vor allen Dingen zu hören hat.«
»Er wird ganz und gar nicht auf Euch hören.«
»Auf wen sonst?«
»Auf mich.«
»Hm! Ich weiß, daß Ihr ein tüchtiger Mann seid, Mr. Shatterhand, aber täuscht Ihr Euch hier nicht?«
»Nein.«
»Aber bedenkt den Unterschied.«
»Welchen?«
»Ihr habt nur fünfzig Apatschen; ich habe hundert Dragoner!«
»In einem Kampfe mit Indianern sind fünfzig Apatschen wenigstens ebenso viel wert wie hundert Soldaten.«
»Wenn Ihr es sagt, so mag das richtig sein. Aber bei so einer Unterredung gilt es vor allen Dingen, Eindruck zu machen!«
»Freilich wohl!«
»Nun, da seid Ihr doch nur Westmann; ich aber bin Truppenkommandant, Mr. Shatterhand!«
»Ah, so!« lachte ich ihm freundlich in das Gesicht.
»Ja. Schon die Uniform macht Eindruck!«
»Schon diese? Was noch?«
»Der Ton, in dem unsereiner gewohnt ist, zu sprechen.«
»Ihr wollt mit Nale-Masiuv reden?«
»Ja.«
»Sprecht Ihr die Sprache der Comantschen?«
»Nein.«
»Wie wollt Ihr Euch da ihm verständlich machen?«
»Durch Euch als Dolmetscher.«
»So! Also Ihr seid der Kommandant, der zu bestimmen hat, und ich bin nur Euer Werkzeug, Euer Dolmetscher! Hört, Verehrtester, da beurteilt Ihr Old Shatterhand sehr falsch. Als Dolmetscher muß ich mit Nale-Masiuv reden; wozu brauche ich da Euch? Was hilft Euch Euer ›Ton‹, wenn ich die Worte übersetzen muß? Und Eure Uniform? Ich sage Euch, daß Nale- Masiuv vor meinem ledernen Jagdrocke und meinem Stutzen hundertmal mehr Respekt hat als vor Eurer Uniform und vor Eurem Säbel. Streiten wir uns nicht um Rangunterschied! Ich sage Euch, was geschehen soll, und Ihr kommandiert in diesem Sinne Eure Untergebenen; ich aber bin Euch nicht subordiniert. Habt Ihr auch an die Gefahr gedacht, der Ihr Euch aussetzen würdet, wenn Ihr mit dem Comantschen verhandeln wolltet?«
»Gefahr?«
»Ja.«
»Welche Gefahr könnte es dabei geben? Die Person des Unterhändlers, des Parlamentärs gilt doch für heilig!«
»Diesem Indianer nicht. Er ist ein heimtückischer Mensch.«
»Gegen solche Leute kann man sich vorsehen!«
»In welcher Weise?«
»Hm!«
»Er erscheint, und Ihr erscheint, beide ohne Waffen. Ihr setzt Euch einander gegenüber und beginnt, zu verhandeln. Plötzlich zieht der Kerl ein verborgenes Messer und sticht Euch nieder.«
»Das darf er doch nicht.«
»Er fragt viel danach, ob er darf! Er will den Anführer töten, um dann über die dadurch verwirrten Gegner herzufallen.«
»Danke, danke sehr!«
»Wollt Ihr noch mit Nale-Masiuv sprechen, Sir?«
»Ich möchte wohl, will Euch aber nicht vorgreifen. Ihr habt recht. Da ich die Sprache nicht verstehe, würde ich die Verständigung zwischen uns und ihm nur erschweren. Es ist also besser, ich überlasse es Euch.«
»Recht so! Also, brechen wir auf.«
»Sogleich; will nur meine Offiziere erst verständigen.«
Dieser Herr Kommandant befand sich wirklich in dem Glauben, den Comantschen mit seiner Uniform zu imponieren. Und gar der ›Ton‹! Er hatte keine Ahnung von dem Tone, in dem man mit feindlichen Indianern zu reden hat. Wer während einer so wichtigen Verhandlung so einen Häuptling wie Nale-Masiuv wie einen Rekruten ›antönen‹ will, der ist verloren. Glücklicherweise verfehlte mein Hinweis auf die Hinterlist des Roten ihre Wirkung nicht. Hinterrücks sich erstechen lassen, dazu hatte der Offizier denn doch keine Lust, und darum gab er zu, es sei besser, daß er mir die Unterredung überlasse.
Es war jetzt hohe Zeit, uns auf den Weg zu machen, denn Old Surehand war mit seinen Apatschen unsern Augen schon entschwunden. Die Dragoner formierten eine Linie, welche sich während des Rittes zu einem Halbkreise auszubilden hatte; ich plazierte mich voran, und dann ging es im Galopp vorwärts, auf der großen, ausgetretenen Fährte zurück und auf die ›hundert Bäume‹ zu.
Es galt, so schnell zu sein, daß die Roten vollständig überrascht wurden und keine Zeit zur Überlegung fanden. Wir flogen wie ein Sturm über die Ebene, still und lautlos; nur der Hufschlag der Pferde war zu hören. Der Boden verschwand, sozusagen, hinter uns; unsre Linie rundete sich; die beiden Spitzen griffen schneller aus als die Mitte; wir näherten uns dem Lager mit rapider Schnelligkeit. Dort sah man uns, ohne zunächst zu erkennen, wer wir waren; als dann die Comantschen sahen, daß sie es mit Bleichgesichtern zu thun hatten, stießen sie ein markdurchdringendes Geheul aus, griffen zu den Waffen und rannten nach ihren Pferden – – zu spät, denn unser Halbring hatte sich bereits geschlossen. Nun wollten sie sich nach rückwärts wenden, da aber erscholl weithin und über das ganze Lager und in die Wüste hinaus der Kriegsruf der Apatschen. Er klingt wie ein mit der höchsten Kopfstimme ausgestoßenes, langgezogenes Hiiiiiiiiii, bei welchem man mit der Hand auf den Mund tremuliert. Als die Comantschen diesen Ruf hörten, wichen sie schnell von den Büschen zurück, denn sie erkannten, daß sie auch auf dieser Seite eingeschlossen seien.
Wir hielten außer Schußweite von ihnen und sahen, welch eine Verwirrung sich ihrer bemächtigt hatte. Sie liefen hin und her; laute Rufe ertönten; da sie aber sahen, daß ihnen von keiner Seite etwas geschah, wurden sie ruhiger und hielten in einem engen Trupp am Wasser beisammen. Da stieg ich vom Pferde und ging langsam auf das Lager zu. Sie sahen mich kommen und waren jedenfalls sehr neugierig auf das, was ich beabsichtigte. Ich näherte mich ihnen bis auf eine Entfernung von zweihundert Schritten und rief ihnen zu:
»Die Krieger der Comantschen mögen mich hören! Hier steht Old Shatterhand, der weiße Jäger, der mit Nale-Masiuv sprechen will. Wenn der Häuptling der Comantschen Mut besitzt, mag er sich mir zeigen!«
Es entstand eine augenblickliche Bewegung unter ihnen, und trotz der Entfernung und trotzdem sie leise sprachen, war es mir, als ob ich halb unterdrückte Ausrufe des Schreckens hörte. Nach einer Weile trat einer hervor, welcher mehrere Federn im Schopfe trug; er schwang den Tomahawk und rief mir zu:
»Hier steht Nale-Masiuv, der Häuptling der Comantschen. Wenn Old Shatterhand seinen Skalp geben will, mag er herkommen; ich werde mir ihn nehmen!«
»Sollen das die Worte eines tapfern Häuptlings sein?« antwortete ich. »Ist Nale-Masiuv so feig, daß ihm ein Skalp, den er haben will, entgegengebracht werden muß? Wer Mut besitzt, der holt sich ihn!«
»So komme Old Shatterhand her, um zu erfahren, ob er den meinigen bekommen kann!«
»Old Shatterhand geht nicht auf Skalpe aus; er ist ein Freund der roten Männer und wünscht, sie vor dem Tode zu bewahren. Die Krieger der Comantschen sind ringsum eingeschlossen; ihr Leben gleicht der Wolle der wilden Rebe, die jeder Windhauch mit sich nimmt; aber Old Shatterhand möchte sie retten. Nale-Masiuv mag zu mir kommen, um sich mit mir zu beraten.«
»Nale-Masiuv hat keine Zeit!« erscholl es zurück.
»Wenn er keine Zeit zur Beratung hat, so wird er Zeit haben, zu sterben. Ich gebe ihm eine Frist von fünf Minuten; hat er da noch nicht zugesagt, so werden unsre Gewehre sprechen. Howgh!«
Mit diesem indianischen Worte der Bekräftigung drückte ich aus, daß ich fest entschlossen sei, meine Drohung auszuführen und daß mich nichts daran hindern könne. Der Häuptling trat zu seinen Leuten zurück und verhandelte mit ihnen. Als die fünf Minuten verflossen waren, rief ich ihnen zu:
»Die Frist ist vorüber. Was hat Nale-Masiuv beschlossen?«
Er kam wieder einige Schritte vorwärts und fragte:
»Meint Old Shatterhand es ehrlich mit dieser Unterredung?«
»Old Shatterhand handelt stets ehrlich!«
»Wo soll sie stattfinden?«
»Grad in der Mitte zwischen uns und euch.«
»Wer soll daran teilnehmen?«
»Nur du und ich.«
»Und jeder kehrt frei zu den Seinen zurück?«
»Ja.«
»Bis wir zurückgekehrt sind, dürfen die Krieger keiner Partei eine Feindseligkeit begehen?«
»Das versteht sich von selbst.«
»Und wir haben keine Waffen bei uns.«
»Keine!«
»So mag Old Shatterhand gehen und alle seine Waffen ablegen; ich werde gleich kommen.«
Ich kehrte nach unsrer Linie zurück und legte alles, was ich an Waffen besaß, bei meinem Pferde nieder. Als ich mich dann umdrehte, sah ich Nale-Masiuv schon kommen, mit langen, eiligen Schritten, gar nicht so langsam und würdevoll, wie es ihm als Häuptling ziemte. Das fiel mir auf. Er wollte sichtlich eher am Platze sein als ich. Warum? Es mußte das unbedingt einen Grund haben. Während ich ihm gemessenen Schrittes entgegenging, beobachtete ich ihn scharfen Auges. An einer Stelle, welche die angegebene Mitte sein konnte, blieb er stehen und setzte sich nieder. Dabei hielt er die rechte Hand länger hinter sich, als notwendig war, um sich beim Niederlassen zu stützen. Hatte das einen Grund? Und wenn es einen hatte, welcher konnte es sein? Hatte er etwas hinter sich gelegt, was ich nicht sehen sollte? War er darum so rasch und eher als ich gekommen, um diesen Gegenstand verbergen zu können? Mußte diese Frage mit ja beantwortet werden, so konnte dieser Gegenstand nichts andres als eine Waffe sein.
Jetzt hatte ich ihn erreicht und stand nur noch drei Schritte von ihm entfernt. Sollte ich diese drei Schritte auch noch thun, um zu sehen, was er hinter seinem Rücken hatte? Nein; das wäre Old Shatterhands nicht würdig gewesen. Ich setzte mich langsam nieder. Dann bohrten sich unsre Augen förmlich ineinander; jeder wollte seinen Gegner taxieren, und zwar richtig taxieren.
Nale-Masiuv war ein lang und schmal gebauter, aber starkknochiger und sehnenkräftiger Mann im Alter von vielleicht fünfzig Jahren. Seine Backenknochen traten weit hervor; seine scharfe Adlernase und die dünnen, zusammengekniffenen Lippen ließen in Verbindung mit den kleinen, wimperlosen Augen auf festen Willen, Thatkraft, Falschheit und Verschlagenheit schließen. Er betrachtete mich langsam vom Kopfe bis zu den Füßen herab, öffnete dann den Gürtel und das Jagdhemde und sagte:
»Old Shatterhand mag hersehen!«
»Warum?« fragte ich.
»Um sich zu überzeugen, daß ich keine Waffe habe.«
Nun war ich grad im Gegenteile vollständig überzeugt, daß er hinter sich ein Messer oder etwas Ähnliches liegen oder in die Erde gesteckt hatte.
»Warum sagt Nale-Masiuv diese Worte?« antwortete ich. »Sie sind überflüssig.«
»Nein. Du sollst sehen, daß ich ehrlich bin.«
»Nale-Masiuv ist ein Häuptling der Comantschen, und Old Shatterhand ist nicht nur ein weißer Jäger, sondern er wurde zum Häuptlinge der Mescalero-Apatschen ernannt. Die Worte von Häuptlingen müssen wie Schwüre gelten. Ich habe versprochen, keine Waffe mitzubringen, und so habe ich keine mit; das brauche ich dir nicht erst zu zeigen und zu beweisen.«
Indem ich dies sagte, bog ich das rechte Bein ein und legte den Fuß unter das linke, um schnell aufspringen zu können. Er achtete darauf nicht. Er fühlte gar wohl den Stich, den ich ihm mit meinen Worten versetzt hatte, und antwortete:
»Old Shatterhand spricht sehr stolz. Es wird die Zeit kommen, in welcher er demütiger redet!«
»Wann wird das sein?«
»Wenn wir ihn gefangen genommen haben.«
»Da kann Nale-Masiuv warten, bis er gestorben ist. Du wirst mein Gefangener, aber ich werde nicht der deinige sein.«
»Uff! Wie könnte Nale-Masiuv gefangen werden?«
»Du bist es schon!«
»Jetzt?«
»Ja.«
»Old Shatterhand führt Behauptungen im Munde, ohne sie beweisen zu können!«
»Der Beweis liegt vor deinen Augen. Sieh dich um!«
»Pshaw! Ich sehe Bleichgesichter!« sagte er mit einer unendlich wegwerfenden Handbewegung.
»Diese Bleichgesichter sind geübte Soldaten, denen deine Krieger nicht widerstehen können!«
»Sie sind Hunde, denen wir die Felle lebendig über die Ohren ziehen werden. Kein solches Bleichgesicht ist im stande, es mit einem Roten aufnehmen zu können.«
»So sag einmal, ob die Apatschen rote Krieger sind!«
»Sie sind es.«
»So magst du erfahren, daß der hintere Teil Eures Lagers von Apatschen eingeschlossen ist.«
»Old Shatterhand lügt!«
»Ich lüge nie, und du weißt gar wohl, daß ich auch jetzt die Wahrheit sage. Oder willst du behaupten, das Kriegsgeschrei der Apatschen nicht gehört zu haben? Bist du taub?«
»Wie groß ist ihre Zahl?«
Ich war natürlich nicht so aufrichtig, ihm zu sagen, daß es nur fünfzig waren; ich antwortete:
»So groß, daß sie allein genügen, euch zu vernichten.«
»Sie mögen sich zeigen!«
»Du wirst sie sehen, sobald es mir beliebt.«
»Von welchem Stamme sind sie?«
»Vom Stamme der Mescaleros, zu welchem ich und Winnetou gehören.«
Bei diesem Namen hob er schnell den Kopf und fragte:
»Wo ist Winnetou?«
»Im Llano estacado.«
»Er mag sich sehen lassen, wenn ich es glauben soll!«
»Du wirst ihn zu sehen bekommen. Er reitet mit fünfzig Apatschen vor Vupa Umugi her.«
»Uff, uff!«
»Um die Pfähle in die Erde zu stecken, welche in das Verderben führen.«
»Uff, uff!« rief er wieder aus.
»Winnetou verrichtet diese Arbeit an Stelle des jungen Häuptlings Schiba-bigk, der sie nicht thun kann, weil wir ihn gefangen genommen haben. Nun führt Winnetou mit seinen Pfählen die Comantschen so in die Irre, wie Schibabigk die weißen Reiter in den Tod des Verschmachtens führen sollte.«
Jedes Wort, welches ich sagte, war ein Schlag für Nale-Masiuv. Er versuchte, sich zu beherrschen, konnte aber die Aufregung, in welcher er sich befand, nicht ganz verbergen. Seine Stimme zitterte, als er in scheinbar leichtem Tone sagte:
»Ich verstehe nicht, was Old Shatterhand spricht; er mag doch deutlicher reden!«
»Du weißt gar wohl, was ich meine.«
»Nein.«
»Lüge nicht! Glaubst du, Old Shatterhand täuschen zu können? Das würde dir nicht gelingen, selbst wenn in deinem Kopfe die Klugheit sämtlicher Comantschenhäuptlinge wohnte, was allerdings ganz und gar wenig ist! Von dir kommt doch der Plan, den Ihr hier ausführen wollt.«
»Welcher Plan?«
»Die weißen Reiter durch falsch gesteckte Pfähle in die Irre zu führen.«
»Old Shatterhand scheint zu träumen!«
»Leugne nicht! Du lügst; ich aber rede in aller Aufrichtigkeit mit dir. Als du geschlagen worden warst, sandtest du nach hundert neuen Kriegern heim. Zugleich schicktest du zwei Boten nach dem ›blauen Wasser‹ zu Vupa Umugi, die ihm deinen Plan mitteilen sollten. Ich habe sie belauscht, ehe sie über den Rio Pecos gingen.«
»Uff! Ich werde sie aus der Reihe der Krieger stoßen!«
»Thue das! So unvorsichtige und schwatzhafte Leute sind nicht wert, Krieger zu heißen. Ich habe auch Vupa Umugi selbst belauscht und alles erfahren, ohne daß er es ahnte.«
Er sagte nichts dazu; aber sein Auge war durchdringend und forschend auf mich gerichtet; dabei schien es hinter den Lidern zu zittern wie vor einer zurückgehaltenen Angst. Ich fuhr fort:
»Ich habe auch die sechs Kundschafter belauscht, welche Vupa Umugi nach Osten sandte. Sie haben im Altschesetschi sterben müssen.«
»Uff! Darum sind sie nicht zurückgekehrt und darum haben wir sie hier nicht getroffen!«
»Es wird dir noch manches andre Licht aufgehen. Winnetou ist sofort und schleunigst nach dem Llano estacado geritten, um den Bloody-Fox zu warnen, und hat vorher nach so viel Kriegern der Apatschen gesandt, wie nötig waren, euern Anschlag zu vereiteln. Mit diesen Apatschen bin ich euch vorausgeeilt und habe Schiba-bigk mit seinen fünfzig Kriegern gefangen, als sie die Pfähle einsteckten, mit deren Hilfe ihm Vupa Umugi folgen sollte.«
»Sagst du die Wahrheit?« stieß er mühsam hervor.
»Ich sage sie. Dann haben wir, so wie ihr es den weißen Reitern machen wolltet, für euch die Pfähle falsch gesteckt. Das hat Winnetou mit fünfzig Apatschen besorgt, deren Spuren Vupa Umugi für die Fährte der Comantschen halten Sollte, die bei Schiba-bigk waren.«
»Uff! Das hat euch der böse Manitou eingegeben!«
»Der gute Manitou. Der böse ist euer Ratgeber, nicht der unsrige. Nun reitet Vupa Umugi hinter den Apatschen her und glaubt, Schiba-bigk vor sich zu haben. Er wird in eine wasserlose Wüste kommen und so vom Kaktus eingeschlossen sein, daß er sich ergeben muß, wenn er nicht verschmachten will.«
»Old Shatterhand ist das böseste, das allerschlimmste der Bleichgesichter!« zischte er mich wütend an.
»Das glaubst du selbst ja nicht. Du weißt, daß ich es gut mit allen roten Männern meine. Ich will auch jetzt alles zum Guten führen und euch zum Frieden mit euern Feinden bringen.«
»Wir wollen keinen Frieden!«
»So erntet ihr Blut; ganz wie ihr wollt! Als heut die weißen Reiter kamen, habe ich sie gewarnt und ihnen gesagt, daß du mit deinen Kriegern ihnen folgest. Da haben sie sich mit meinen Apatschen vereinigt und euch hier aufgelauert. Nun seid ihr so umzingelt, daß keiner von euch entkommen kann!«
»Wir werden kämpfen!«
»Versucht es doch!«
»Es ist kein Versuch, sondern es wird gelingen!«
»Pshaw! Hundert Schüsse von den Bleichgesichtern, die du hier siehst; dazu meine Zauberflinte und das Gewehr Old Surehands, der niemals fehlt!«
»Old Surehand ist da?«
»Ja.«
»Wo?«
»Er befindet sich da oben bei den Apatschen, deren Kugeln auch unter euch wüten werden. Es ist ganz unmöglich, daß ihr uns entkommen könnt!«
»Du täuschest mich, um mich zur Ergebung zu bewegen!«
»Ich sage die Wahrheit.«
»Schiba-bigk ist nicht gefangen!«
»Er ist gefangen; ich beweise dir das, indem ich sage, daß er dreißig Naiini und zwanzig Comantschen seines Stammes bei sich hatte.«
»Und Vupa Umugi geht nicht in die Irre!«
»Er ist auf dem Wege zur Falle, in der wir ihn gefangen nehmen wollen. Ich will dir sogar sagen, daß ich, während er am ›blauen Wasser‹ lagerte, nach dem Kaam-kulano geritten bin, wo sein Stamm wohnt. Von da habe ich alle seine Medizinen mitgebracht.«
»Uff! Die hast du gestohlen?«
»Ich habe sie von den Lanzen genommen, welche vor seinem Zelte steckten.«
»So ist er verloren, verloren!«
»Das ist er allerdings, wenn er nicht Frieden macht. Und das wird er schon deshalb thun, um wieder zu seinen Medizinen zu gelangen, den qualvollen Tod des Verschmachtens gar nicht gerechnet.«
Nale-Masiuv senkte den Kopf und sagte nichts.
»Du wirst nun einsehen,« fuhr ich fort, »daß du weder auf Schiba-bigk noch auf Vupa Umugi rechnen kannst. Es bleibt auch dir nichts übrig, als dich zu ergeben.«
Er schwieg eine ganze, lange Weile. Was dachte er? Was ging in ihm vor? Er machte ein sehr, sehr niedergeschlagenes Gesicht; aber grad weil er dies so zeigte, traute ich ihm nicht. Da blickte er wieder auf und fragte:
»Was geschieht mit Schiba-bigk und seinen Leuten?«
»Wir werden sie freigeben, weil noch kein Blut zwischen uns geflossen ist.«
»Was werdet ihr mit Vupa Umugi thun?«
»Auch er wird mit seinen Kriegern frei, wenn er so klug ist, sich nicht zu wehren.«
»Und was hätte ich mit meinen Kriegern zu erwarten, wenn wir uns euch jetzt überlieferten?«
»Auch die Freiheit.«
»Wann?«
»Sobald wir darüber beschlossen haben.«
»Und die Beute?«
»Wir Weißen trachten nicht nach Beute; aber die Apatschen werden eure Pferde verlangen.«
»Wirst du sie ihnen geben?«
»Ja.«
»Sie gehören aber doch uns!«
»Ihr habt den Kampf begonnen und müßt die Folgen tragen. Die Gerechtigkeit verlangt eine Entschädigung für die, welche ihr angegriffen habt und töten wolltet. Ihr müßt froh sein, wenn ihr mit dem Leben davonkommt!«
»Aber wir brauchen unsre Pferde!«
»Zu Raubzügen, ja. Wenn ihr keine habt, müßt ihr Ruhe halten.«
»Wir sind stets Freunde der Ruhe und des Friedens gewesen!«
»Sprich nicht so lächerlich! Stets sind es die Comantschen gewesen, welche den Unfrieden angestiftet und den Kampf begonnen haben; das weißt du ebenso gut, wie ich es weiß.«
»Die Waffen aber wird man uns wohl lassen?« erkundigte er sich weiter.
»Das weiß ich nicht.«
»Du mußt es wissen!«
Bei diesen Worten blitzten seine Augen für eine Sekunde auf, und er griff mit der rechten Hand langsam hinter sich. Ich wußte, daß jetzt höchst wahrscheinlich ein Angriff auf mich erfolgen werde, antwortete aber trotzdem ganz ruhig und gelassen:
»Ich kann es jetzt nicht wissen, weil ich mit Winnetou und Old Surehand darüber beraten muß.«
»Wirst du vorschlagen, daß wir sie behalten dürfen, oder nicht?«
»Die Pfeile, Bogen und Messer, auch die Tomahawks mögt ihr behalten. Ihr braucht sie zur Jagd, um euch zu ernähren.«
»Aber die Gewehre?«
»Die werden wir euch wohl nehmen, denn die sind es, ohne welche ihr nicht Krieg führen könnt. Habt ihr keine Gewehre mehr, so müßt ihr endlich Frieden halten.«
Ich hätte anders antworten, ihm das erwartete Versprechen machen können, vielleicht hätte er da jetzt auf seinen heimtückischen Angriff verzichtet; aber einesteils widerstrebte es mir, diesem Manne auch nur die kleinste Konzession zu machen, und andernteils glaubte ich, ihn grad durch seine Hinterlist um so leichter und schneller in meine Gewalt zu bekommen.
»Frieden halten?« fragte er. »Das wollen wir nicht; wir wollen den Kampf. Da hast du ihn!«
Er sagte die vier letzten Worte mit erhobener Stimme. Seine Augen glühten auf; sein Oberkörper bog sich blitzschnell zu mir herüber, und in der Rechten blitzte sein Messer. Sonderbar! Messer! Also ganz so, wie ich zu dem Kommandanten gesagt hatte! Ich war auf meiner Hut gewesen. Kam er mir schnell, so kam ich ihm noch schneller. Ein rascher Griff mit meiner linken Hand, und ich hatte seine rechte Faust mit dem Messer gefaßt. Dann versetzte ich ihm, indem ich mich aufrichtete, mit der Rechten zwei solche Schläge gegen die Schläfe, daß er wie eine leblose Puppe zusammensank.
Das Messer in der Hand, sprang ich vollends auf und rief den mit Spannung uns beobachtenden Comantschen zu:
»Das ist Verrat. Nale-Masiuv wollte mich erstechen. Hier habt ihr sein Messer!«
Ich schleuderte es weit fort, in der Richtung nach ihnen hin; dann faßte ich den betäubten Häuptling beim Gürtel, hob ihn auf, warf ihn mir über die Schulter und rannte mit ihm fort, unsrer Aufstellung zu.
Was gab es da für ein Brüllen und Heulen hinter mir! Die Comantschen kamen gerannt, mich zu verfolgen. Da krachten oben von der Höhe mehrere blinde Schüsse herab. Old Surehand hatte den Befehl dazu gegeben, um die Comantschen zu erschrecken. Er erreichte seinen Zweck; sie gaben es auf, mir nachzuspringen, aber ihr Brüllen und Wehklagen dauerte fort.
Der Häuptling wurde gebunden; dann nahm ich den Stutzen in die Hand und ging wieder auf das Wasser zu. In Sprechweite angekommen, machte ich den Comantschen ein Zeichen zum Schweigen; sie gehorchten, und ich rief ihnen zu:
»Die Krieger der Comantschen mögen aufmerksam hören, was Old Shatterhand sagt! Sie wissen, daß ihr Häuptling ein Messer mit zur Beratung genommen hat, obgleich bestimmt war, daß wir ohne Waffen zu kommen hatten. Nale-Masiuv wollte mich erstechen, worauf seine Leute auf uns eindringen sollten. Ich war vorsichtig und vereitelte es; die Faust Old Shatterhands hat ihn zu Boden geschmettert; aber er ist nicht tot, sondern nur besinnungslos. Sobald er wieder zu sich kommt, werde ich weiter mit ihm sprechen. Bis dahin wird euch nichts geschehen, wenn ihr euch ruhig verhaltet. Versucht ihr aber, zu entfliehen, oder hören wir von euch einen einzigen Schuß, so werdet ihr sofort Hunderte von Kugeln bekommen. Ich habe gesprochen. Howgh!«
Diese Drohung machte den gewünschten Eindruck. Die Comantschen bildeten einen engen, vielbewegten Haufen, blieben aber sonst ruhig. Als ich zurückkam und bei Nale-Masiuv niederkniete, um ihn zu untersuchen, sagte der Kommandant zu mir:
»Wollte er Euch wirklich erstechen?«
»Ja.«
»Und Ihr trautet ihm?«
»Nein; ich ahnte sofort, daß er ein Messer hinter sich liegen hatte.«
»Wie gut, daß ich nicht an Eurer Stelle war!«
»Das denke ich auch.«
»Ich besitze Eure scharfen Augen nicht. Mich hätte er sehr wahrscheinlich erstochen.«
»Hm! Wer weiß, ob er das für der Mühe wert gehalten hätte, Sir.«
»Für der Mühe wert? Soll das heißen, daß ich keinen Messerstich oder keinen Schuß Pulver wert bin?«
»Ich wollte damit nur sagen, daß so ein Roter einen so kühnen und gewagten Streich nur dann ausführt, wenn es sich darum handelt, einen Mann aus dem Wege zu bringen, der ihm ungewöhnlich gefährlich ist.«
»Ah so! Was thun wir nun mit dem Verräter, dem Halunken? Ich schlage vor – – hm, hm!«
»Was?«
»Daß wir ihn schimpflich aufknüpfen. Ein Kerl, der bei einer solchen Beratung sein Versprechen bricht, muß baumeln, unbedingt baumeln!«
»Wenn auch das nicht, aber ich werde nun kurzen Prozeß mit ihm machen. Es ist gut, daß er seine Medizin nicht im Lager gelassen, sondern um den Hals hängen hat.«
»Warum?«
»Das wird ihn gefügiger machen. Warten wir, bis er aufwacht, was gar nicht lange dauern wird.«
»Hm! Da kann ich Euch inzwischen eine Frage vortragen.«
»Welche?«
»Während Ihr mit diesem Kerl verhandeltet, habe ich mir das, was wir miteinander besprochen haben, noch einmal reiflich überlegt.«
»Und Euch wohl anders besonnen?«
»Ja.«
»Inwiefern?«
»Es widerspricht aller militärischen Tradition und Gepflogenheit, solche rote Strolche zu besiegen, ohne sie zu bestrafen. Glaubt Ihr wirklich, mit den Comantschen ohne mich fertig zu werden?«
»Ja; ich brauche Euch nicht dazu.«
»So möchte ich lieber nicht mit in den Llano gehen. Wie tief müßt Ihr in denselben eindringen?«
»Zwei starke Tagemärsche.«
»Alle Wetter! Das ist weit. So viel Proviant haben wir nicht bei uns. Nehmt Ihr es mir übel, wenn – – – –«
Er schämte sich doch einigermaßen, die Frage vollends auszusprechen. Mir war es, offen gestanden, gar nicht unlieb, wenn ich ihn und seine Leute los wurde. Was brauchten sie von der Oase und andern Geheimnissen zu erfahren! Darum antwortete ich bereitwillig:
»Wenn Ihr zurückkehrt? O, ich habe gar nichts dagegen.«
»Wirklich nicht?«
»Nein, nicht das Geringste.«
»Das ist mir lieb, sehr lieb; hierher an den Llano habe ich mich verlocken lassen. Meine eigentliche Aufgabe liegt oben in der Ebene jenseits des Mistake-Cañon. Mit diesem Nale-Masiuv bin ich nur deshalb zusammengeraten, weil er mir in den Weg lief. Ich werde zurückkehren und hier nur So lange warten, bis Ihr mit diesen Comantschen fertig seid.«
»Da werdet Ihr nicht ohne Gewinn zurückkehren.«
»Wieso?«
»Ihr sollt Beute haben. Was thue ich mit diesen Roten? Soll ich sie mit im Llano herumschleppen, sie tränken und ernähren, sie als Gefangene bewachen? Das kann ich mir leichter machen. Ich überlasse sie Euch.«
»Mir? Oh!«
»Ja. Nur müßt Ihr mir versprechen, daß Ihr ihnen das Leben schenkt.«
»Ich gebe Euch mein Wort darauf.«
»Und Eure Hand.«
»Ja. Hier ist sie. Topp!«
»Well! So nehmt die Kerls mit, bis über den Rio Pecos hinüber, damit sie nicht hierher zurückkommen und mir Dummheiten machen können. Dort nehmt Ihr ihnen die Pferde und die Waffen ab und laßt sie laufen.«
»Und was wir ihnen abnehmen, das sollen wir behalten, Sir?«
»Natürlich.«
»Da nehme ich sie noch weiter mit, noch viel weiter, damit sie Euch nicht hier genieren. Sie sind ja weiter von oben her. Nicht?«
»Ja. Also wir sind einig?«
»Vollständig einig. Hier gebe ich Euch nochmals meine Hand darauf, daß ich ihnen nichts thue, ihnen nicht an das Leben gehe. Seid Ihr nun zufrieden?«
»Vollständig.«
»Und ich bin es auch. Aber seht, der Kerl bewegt sich! Er macht die Augen auf. Das war auch so ein Hieb, wie ihn nur Old Shatterhand zu geben versteht. Möchte keinen haben!«
Der Häuptling kam zu sich zurück. Zunächst schien er nicht zu wissen, was mit ihm geschehen war; dann besann er sich.
»Siehst du wohl, daß ich Wort gehalten habe?« sagte ich zu ihm. »Du bist jetzt mein Gefangener.«
Bei diesen Worten nahm ich ihm die Medizin vom Halse und zog ein Streichholz aus der Tasche. Er rief ängstlich aus:
»Was willst du mit meiner Medizin thun?«
»Ich verbrenne sie.«
»Uff, uff! Soll meine Seele verloren sein?«
»Ja; du hast es verdient. Du hattest dein Wort gebrochen und wolltest mich töten. Dafür wirst du dreifache Strafe leiden. Du wirst aufgehängt; ich nehme dir die Skalplocke vom Kopfe und verbrenne deine Medizin.«
Das Hängen ist für einen Indianer die allerschimpflichste Todesart. Lieber, viel lieber stirbt er eines langsamen, schmerzvollen, dabei aber rühmlichen Martertodes. Und meine beiden andern Drohungen waren die größten, die es geben kann. Die Skalplocke rauben, ohne die man nicht jenseits leben kann, und die Medizin verbrennen; damit vernichtete ich ihn und seine Seele für jetzt und für alle Ewigkeiten! Er versuchte, die starken Banden zu sprengen, und schrie voller Angst:
»Das thust du nicht; das wirst du nicht thun!«
»Ich werde es!«
Ich strich das Hölzchen an und hielt die kleine Flamme desselben an den Medizinbeutel, der sofort zu rauchen begann.
»Halt, halt!« brüllte er. »Verschone mich! Nimm mir mein Leben, nur laß mir die Seele! Was muß ich thun? Was muß ich thun, um dich dahin zu bringen, daß du mir diese Bitte erfüllst?«
Ich nahm das Hölzchen weg und antwortete:
»Es giebt nur einen einzigen Weg, dich und deine Seele zu retten, einen einzigen.«
»Welchen? Sag es schnell!«
Die Augen traten ihm vor Angst und Entsetzen aus ihren Höhlen, denn ich hatte bereits ein zweites Hölzchen in der Hand.
»Gebiete deinen Leuten, daß sie sich gefangen geben und alle ihre Waffen ausliefern!«
»Das kann ich nicht!«
»So stirb und sei vernichtet!«
Das Hölzchen flammte auf, und der Beutel begann, wieder zu rauchen. Da zeterte der Häuptling, daß man es weithin hörte:
»Halt, halt ein! Ich thue es! Ich werde diesen Befehl erteilen!«
»Gut! Aber versuche ja nicht, Zeit zu gewinnen oder mich zu täuschen! Ich gebe dir mein festes, unverbrüchliches Wort, daß ich, wenn du dich nur einen Augenblick sträubst, den Befehl zu geben, dann auf keine weitere Bitte hören und die Medizin verbrennen werde. Ich habe gesprochen und halte mein Wort!«
»Ich werde es thun, sicher und gewiß. Mag der ganze Stamm gefangen sein; meine Medizin aber muß gerettet werden. Was habt Ihr beschlossen, das mit den Gefangenen geschehen soll?«
»Sie werden freigelassen, du auch.«
»Und wir behalten unsre Medizinen?«
»Ja.«
»So mag Senanda-khasi herkommen, welcher der zweite Häuptling ist! Ihm werde ich den Befehl geben, und er wird ihn ausführen.«
»Gewiß?«
»Ja, er muß gehorchen.«
Ich ging wieder bis auf Sprachweite auf das Lager zu und rief zu den Roten hinüber:
»Der Häuptling Nale-Masiuv will, daß der Unterhäuptling Senanda-khasi zu ihm komme, aber ohne lange zu zögern!«
Ich ging zurück. Als wir sahen, daß der Genannte dem Rufe folgte und wirklich kam, sagte der Kommandant zu mir:
»Welche Macht habt Ihr über diese Menschen, Sir! Ich wäre nicht auf den Gedanken gekommen, die Medizin anzubrennen.«
»Das ist es eben, was ich Euch gesagt habe: Man muß die Gebräuche und Anschauungen der Roten kennen; dann ist man gegen vieles gewappnet, dem Nichtkenner wehrlos verfallen.«
Senanda-khasi ging, ohne uns anzusehen, zu dem Häuptling hin und setzte sich neben ihm nieder. Ihre Unterredung wurde leise geführt, doch war sie außerordentlich erregt; das sahen wir. Dann stand der Unterhäuptling auf, wendete sich an mich und sagte:
»Old Shatterhand hat uns alle für diesesmal mit einem einzigen Schlage seiner Faust und dann durch seine List besiegt; aber es wird ein besserer Tag kommen, an welchem der große Manitou uns günstiger ist. Wir sind bereit, uns gefangen zu geben und Euch die Waffen auszuliefern. Wohin sollen wir sie legen?«
»Es mögen je zehn und zehn kommen und sie nebst aller Munition hier neben dem Häuptling niederlegen. Aber merke dir: Wer eine einzige Waffe verheimlicht, der wird erschossen!«
Er ging, und bald darauf kamen die Comantschen in einzelnen Gruppen zu zehn Personen, um Gewehre, Messer, Tomahawks, Pfeile, Bogen, Lanzen, Pulver und Kugeln mit finstern Mienen abzuliefern. Als dies geschehen war, sagte ich zum Kommandanten:
»Ich übergebe Euch die Gefangenen. Es ist nun Eure Sache, dafür zu sorgen, daß Ihr sie sicher habt. Laßt keinen entkommen!«
»Sorgt Euch nicht, Sir! Bin froh, daß ich sie habe. Werde sie zunächst in unsre Mitte nehmen und mit ihren eigenen Riemen binden.«
Während er dies durch seine Soldaten ausführen ließ, ging ich wieder eine Strecke vor, legte beide Hände als Schallrohr an den Mund und rief zu Old Surehand empor:
»Sis inteh peniyil – – die Apatschen mögen kommen!«
Dieser Ruf wurde verstanden, und einige Minuten darauf kam er an ihrer Spitze im Galoppe heruntergeritten. Ich ging ihm entgegen. Er sprang vom Pferde und fragte:
»Wir sahen, daß Euch der Häuptling erstechen wollte; Ihr habt es ihm aber gut gegeben. Was ist nun die Folge? Da liegen ja alle Waffen, und die Indsmen sind von den Dragonern eingeschlossen! Sie haben sich ergeben müssen?«
»Ja.«
»Wie habt Ihr das angefangen, Sir?«
»Ich drohte, die Medizin Nale-Masiuvs zu verbrennen.«
»Recht so! Dumme Kerls, so abergläubisch zu sein! Was werden wir aber mit ihnen anfangen? Es ist so unbequem, sie mitzuschleppen. Auch werden sie die Oase kennen lernen.«
»Nein. Der Kommandant ist auf den guten Gedanken gekommen, nicht mit uns zu reiten, sondern umzukehren. Dem habe ich sie übergeben. Er bekommt dafür ihre Pferde und ihre Waffen und läßt sie erst jenseits des Rio Pecos frei.«
»Well! Das ist das Allerbeste, was geschehen kann. Wir reiten also ohne die Dragoner hinter Vupa Umugi her?«
»Ja.«
»Wann?«
»Wir haben hier nichts mehr zu thun. Unsre Pferde haben getrunken, und die Schläuche sind gefüllt. Wir können sogleich fort.«
»Da wollen wir uns auch nicht lange verweilen. Je eher wir den Naiini auf die Hacken kommen, desto besser ist's.«
»Ja. Wollen nur erst zärtlichen Abschied von dem lieben Kommandanten nehmen!«
Ich stieg auf das Pferd und ritt mit Old Surehand zu ihm hin.
»Wollt Ihr schon fort, Mesch'schurs?« fragte er. »Es thut mir wirklich leid, daß wir nicht länger bei einander bleiben können!«
»Uns ebenso,« antwortete ich. »Wir hätten Euch gern noch länger Gelegenheit gegeben, so ›dumme‹ Gräbersucher kennen zu lernen.«
»Oh – – ah – –!« dehnte er verlegen.
»Vielleicht wißt Ihr nun, welches Kleidungsstück mehr zu bedeuten hat, der Jagdrock eines Westmannes oder die Uniform eines Dragoneroffiziers. Nehmt das zu Herzen, und lebt wohl!«
»Lebt – – wohl!« echote er, noch verlegener als vorher.
Wir setzten uns an die Spitze unsrer Apatschen und ritten fort. Schon nach wenigen Minuten konnten wir, zurückblickend, die ›hundert Bäume‹ nicht mehr sehen. Wir kamen von Stange zu Stange, indem wir der breit und tief ausgetretenen Fährte der Naiini-Comantschen folgten. Je weiter wir vorwärts kamen, desto sicherer und enger schlossen wir die Kaktusfalle, in welche wir sie trieben. – – –«