Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Zwischen Texas, Arizona, Neu-Mexiko und dem Indianer-Territorium, oder noch anders ausgedrückt, zwischen den Ausläufern des Ozarkgebirges, der untern und der obern Sierra Guadelupe und den Gualpabergen, rings eingefaßt von den Höhen, welche den obern Lauf des Rio Pecos und die Quellen des Red River, Sabine, Trinidad, Brazos und Colorado umgrenzen, liegt eine weite, furchtbare Strecke Landes, welche die ›Sahara der Vereinigten Staaten‹ genannt werden könnte.
Wüste Strecken dürren, glühenden Sandes wechseln mit nackten, brennend heißen Felslagerungen, die nicht imstande sind, auch nur der allerdürftigsten Vegetation die kärgsten Bedingungen des kürzesten Daseins zu erfüllen. Schroff und unvermittelt folgt die kalte Nacht auf die Hitze des Tages; kein einsamer Dschebel, kein grünendes Wadi unterbricht wie in der Sahara die tote, einförmige Wüste; kein stiller Bir lockt mit der belebenden Feuchtigkeit eine kleine Oase hervor; sogar der durch den Steppencharakter vermittelte Übergang von den reich bewaldeten Berggebieten zum leblosen, sterilen Sandmeere fehlt gänzlich, und der Tod tritt dem Auge überall unverhüllt in seiner fürchterlichsten Gestalt entgegen. Nur hier und da steht – man weiß nicht, durch welche Kraft hervorgerufen und erhalten – ein einsamer, lederartiger Mezquitestrauch, gleichsam zum Hohne für den nach einem grünen Punkte sich sehnenden Blick, und ebenso erstaunt trifft man zuweilen auf eine wilde Kaktusart, die entweder nur in einzelnen Exemplaren steht oder Gruppen bildet oder auch weite, ausgedehnte Flächen eng bestandet, ohne daß man sich ihr Dasein enträtseln und erklären kann. Aber weder der Mezquite, noch der Kaktus gewährt einen erfreulichen, wohlthuenden Anblick; graubraun ist ihre Farbe und unschön ihre Gestalt; sie werden von dickem Sandstaube bedeckt, und wehe dem Pferde, dessen Reiter so unvorsichtig ist, es in eine solche Kaktuswildnis zu lenken! Es wird von den spitzen, haarscharfen und stahlharten Stacheln so an den Füßen verwundet, daß es nie wieder richtig laufen lernt; der Reiter muß das arme Tier sofort aufgeben, und wenn er es nicht tötet, so verfällt es dem elenden Schicksale, langsam umzukommen.
Trotz aller Schrecken, welche diese Wüste bietet, hat es doch der Mensch gewagt, sie zu betreten. Es führen Straßen durch sie, hinauf nach Santa Fé; und Fort Union, hinüber nach dem Paso del Norte und hinunter in die grünenden Prairien und wohlbewässerten Wälder von Texas. Aber bei diesem Worte ›Straße‹ darf man nicht an die Art von Wegebau denken, welche in civilisierten Ländern diese Bezeichnung trägt. Wohl reitet ein einsamer Jäger oder Rastreador, eine Gesellschaft kühner Wagehälse oder ein zweideutiger Pulk Indianer durch die Wüste, wohl knarrt auch ein schneckengleich langsamer Ochsenkarrenzug durch die Einöde, aber das, was wir einen Weg nennen, das giebt es nicht, nicht einmal jene viertelstundenbreit auseinander gehenden Geleise, wie man sie in den Pampas Südamerikas oder in der Lüneburger Heide und dem Sande Brandenburgs findet. Jeder reitet oder fährt seine eigene Bahn, so lange ihm der Boden noch einige wenige Merkmale bietet, an denen er erkennen kann, daß er überhaupt noch in der richtigen Richtung ist. Aber diese Merkmale hören nach und nach selbst für das geübteste Auge auf, und von da an hat man die Maßregel getroffen, diese Richtung vermittelst Pfählen zu bezeichnen, welche in gewissen Entfernungen in den Boden gesteckt werden.
Dennoch aber fordert diese Wüste ihre Opfer, welche, die Größenverhältnisse in Betracht gezogen, viel zahlreicher und auch schrecklicher sind als diejenigen, welche die Sahara Afrikas und die Schamo oder Gobi Hochasiens als furchtbaren Tribut fordern. Menschengerippe, Tierkadaver, Sattelfragmente, Wagenreste und andere schauerliche Überbleibsel liegen am und im Wege und erzählen stumme Geschichten, die zwar das Ohr nicht hören, aber das Auge desto deutlicher sehen und die Phantasie vollends ergänzen kann. Und darüber schweben hoch in den Lüften die Aasgeier, die jeder lebenden Bewegung, welche sich unten zu erkennen giebt, mit beängstigender Ausdauer folgen, als ob sie ganz genau wüßten, daß ihnen ihre sichere Beute nicht entgehen kann.
Und wie heißt diese Wüste? Die Bewohner der umliegenden Territorien geben ihr verschiedene, bald englische, bald französische oder spanische Namen; weithin aber ist sie wegen der eingerammten Pfähle, welche den Weg bezeichnen sollen, entweder als ›Llano estacado‹ oder als ›Staked-Plain‹ bekannt. – – –
So ungefähr schrieb ich in einem früheren BandeSiehe Band XXI, Seite 77 dieser Werke, in welchem die Grauenhaftigkeit des fürchterlichen Llano estacado geschildert wird. Wenn ich da sagte, daß kein Brunnen eine einsame Oase hervorrufe, so wußte ich bei meinem damaligen Ritte durch die Staked Plains von der Ausnahme nichts, die ich dann später kennen lernte. Es gab mitten in dieser Wüste doch eine Oase, und sie war der Aufenthalt derjenigen Person, von welcher mir Winnetou auf seinem Zettel mitgeteilt hatte, daß sie von den Comantschen überfallen werden solle, nämlich des Bloody-Fox.
Der ›blutige Fuchs‹. Schon dieser Name deutet auf einen ungewöhnlichen Lebenslauf. Sein jetziger Träger hatte als Kind zu einer Auswanderer-Karawane gehört, welche im Hano estacado von einer Bande von ›Stakemen‹ überfallen und ermordet worden war. Ein Farmer, Namens Helmers, fand die ausgeraubten Leichen und entdeckte noch Leben in dem Knaben, in dessen Schädel eine große Hiebwunde klaffte; er verband ihn und nahm ihn mit sich nach Helmers Home, seiner Farm. Das sorgfältig gepflegte Kind überstand die gefährliche Verletzung und wurde wieder gesund, hatte aber alles, was vor dem Überfalle geschehen war, also auch seinen Namen, vollständig vergessen. Einen Namen mußte es aber haben, und da es, als es gefunden wurde, von Blut überströmt war und dann im Wundfieber sehr oft den Namen Fox genannt hatte, so nahm Helmers an, sein Vater habe so geheißen, und entschloß sich, ihn Bloody-Fox zu nennen.
Der Knabe gedieh vortrefflich, körperlich und auch geistig, konnte aber sein Gedächtnis nie zwingen, bis vor den Überfall zurückzugehen. Er wußte ganz genau, wie der Mann, von dem er den Hieb erhalten hatte, ausgesehen hatte; er konnte sich das Gesicht desselben deutlich vergegenwärtigen; weiter aber wußte er nichts, auch das nicht, warum er so sehr oft den Namen Fox genannt hatte. Helmers freute sich über die ungewöhnliche Entwickelung seines Pfleglings und war nur in einer Beziehung nicht mit ihm zufrieden; er konnte ihn nämlich nicht an das Haus gewöhnen. Seine Besitzung lag am nördlichen Rande des Llano estacado, und kaum war der Knabe so weit, ein Pferd regieren zu können, so schweifte er reitend in der Wüste umher, anstatt sich auf den Feldern seines Pflegevaters nützlich zu machen. Daran war trotz aller Mühe und aller Ermahnungen nichts zu ändern. Als Helmers einmal ungewöhnlich zornig darüber wurde, erklärte Bloody-Fox:
»Die Meinigen sind von den ›Geiern des Llano‹ ermordet worden, und ich habe mir vorgenommen, diese Geier bis auf den letzten auszurotten. Dazu ist es notwendig, daß ich den Llano so kennen lerne, wie ich meine Taschen kenne. Soll ich das nicht dürfen, so will ich lieber nicht leben.«
Er sagte dies mit solcher Entschlossenheit, daß Helmers es für geraten hielt, nachzugeben; ja, er nahm sich ferner vor, den Knaben zu einem Manne auszubilden, der imstande sein werde, den ›Geiern Respekt einzuflößen. Infolgedessen wuchs Bloody-Fox in vollständiger Freiheit auf, konnte gehen und kommen, wann und wie er wollte, und wurde ein so kühner Reiter und waffengewandter Schütze, daß selbst Winnetou, als er ihn später kennen lernte, ihm seine Bewunderung nicht versagen konnte. Helmers war von Geburt ein Deutscher, und die Eltern von Bloody-Fox schienen auch Deutsche gewesen zu sein, denn obwohl ihm alles Frühere aus dem Gedächtnisse entschwunden war, das Englische lernte er nicht schneller als jedes andre Kind, das Deutsche aber wurde ihm so außerordentlich leicht, daß man unbedingt annehmen mußte, er habe es schon früher gesprochen.
Fragt man, was es mit den ›Stakemen‹ oder den ›Geiern des Llano estacado‹ für eine Bewandtnis habe, so ist die Antwort folgende: Es wurde bereits gesagt, daß die sogenannten Wege, welche durch die Wüste führen, von da an, wo die natürlichen Merkmale aufhören, mit Pfählen bezeichnet zu werden pflegen. Neben den ehrlichen Menschen, welche diese Wege benutzen, giebt es noch andre Leute, die moralisch Bankerott gemacht haben und die Arbeit hassen, heruntergekommene Subjekte, welche den bewohnten Osten fliehen mußten, weil sie sich fürchteten, mit dem Strafrichter in Berührung zu kommen, gewissenlose Schurken, die nichts mehr zu verlieren haben und, weil ihr eigenes Leben keinen Wert besitzt, auch das andrer Menschen für nichts achten. Sie leben von nichts als nur vom Raube, und dazu bietet ihnen der Llano, wenn nicht das ergiebigste, so doch das verschwiegenste Terrain. Sie haben ihre Schlupfwinkel am Rande der Wüste und lauern in der Nähe der Wege auf Reisende, welche durch den Llano wollen. Diesen schließen sie sich entweder als bloße Begleiter oder als Führer an und schicken ihre Verbündeten voraus, um die Pfähle entfernen und in falscher Richtung wieder einstecken zu lassen; daher der Ausdruck Stakemen. Wer dann diesen Pfählen folgt, wird vom richtigen Wege ab und in das sichere Verderben geführt; er stirbt den elenden Tod des Verschmachtens, wenn er nicht vorher schon ermordet wird, und sein Eigentum fällt den menschlichen oder vielmehr entmenschten ›Geiern des Llano‹ anheim. So kommt es, daß die Gebeine von Hunderten und Aberhunderten in der tiefsten Einsamkeit im Sonnenbrande bleichen und niemand weiß, wohin diese Unglücklichen gekommen sind.
Einer Bande solcher Stakemen war auch die Karawane, zu welcher Bloody-Fox gehört hatte, zum Opfer gefallen. Die entsetzliche Scene des Ermordens war ihm im Gedächtnis geblieben; daher der heiße Wunsch in ihm, diese Geier bis auf den letzten auszurotten, und so kühn und schwer diese Aufgabe war, er besaß alle zu ihrer Ausführung nötigen Eigenschaften.
Er durchkreuzte den Llano nach und nach in allen Richtungen; er lernte jeden Schrittbreit der Wüste kennen; er wurde mit allen ihren Gefahren vertraut und hatte, was die Aufgabe seines Vorhabens unendlich erleichterte, das Glück, tief im Innern der Einöde eine grünende Oase mit Wasser zu entdecken. Das war so viel und noch mehr wert, als ob er hundert Verbündete gewonnen hätte.
Diesen Ort hielt er geheim. Kein Mensch, selbst Helmers nicht, obgleich er diesem das Leben verdankte, erfuhr etwas davon. Er baute sich im Laufe der Zeit ein Häuschen an das Wasser und bepflanzte die Wände desselben mit dicht wuchernden Passionsblumen. Er fing wilde Mustangs und brachte sie heimlich hin, um stets frische Pferde zu haben, wenn eins müde geritten war. Das gab seinen Bewegungen eine Schnelligkeit, die er sonst nicht hätte entwickeln können; es war ihm dadurch ermöglicht, jetzt an der einen und bald darauf an der entgegengesetzten Grenze des Llano zu sein. Er schaffte Proviant und Munition nach dem Häuschen. Aber um diese Oase und die dort befindlichen Pferde während seiner Abwesenheit zu pflegen, brauchte er eine Person, der er sein Vertrauen schenken, von der er annehmen konnte, daß sie sein Geheimnis nicht verraten werde. Es gab eine alte Negerin, Namens Sanna, die ihn sehr liebte und auf seinen Vorschlag einging. Sie wohnte eine ganze Reihe von Jahren in dieser tiefen Einsamkeit, ohne sich von dem Häuschen fortzusehnen, und wurde für diese Treue auf eine Weise belohnt, die über ihre alten Tage den hellsten Sonnenschein ergoß. Sie war nämlich in Tennessee Sklavin eines Pflanzers gewesen, der ihr einziges Kind, einen Knaben, von ihr gerissen und verkauft hatte. Auch sie war später verschachert und durch verschiedene Schicksale bis an die Staked-Plains verschlagen worden; nie hatte sie ihren Sohn, ihren Bob, vergessen können; er war ihr Gedanke bei Tag und bei Nacht, und sie schwor darauf, daß sie nicht sterben werde, ohne ihn wieder gesehen zu haben. Da kamen wir an den Llano und lernten Bloody-Fox kennen. Bei uns befand sich ein Westmann, dessen unzertrennlicher Begleiter ein Neger, sein früherer Diener war. Der Schwarze hieß Bob, und es stellte sich zu unsrer freudigen Verwunderung und zum Entzücken der alten Sanna heraus, daß er der verkaufte Negerknabe aus Tennessee war. Sie blieben von da an zusammen, um sich erst mit dem Tode zu trennen.
Von dem Augenblicke an, der Sanna in sein Häuschen gebracht hatte, konnte Bloody-Fox so, wie er es wünschte, an die Verwirklichung seiner Pläne gehen. Er erschien immer seltener bei seinem Pflegevater; aber wenn er einmal kam, hatte dieser ihm stets etwas Neues zu erzählen, und dieses Neue betraf fast immer den Tod eines Stakeman. Man fand bald hier und bald dort die Leiche eines Menschen, der genau durch die Mitte der Stirn geschossen war, und wenn man den Inhalt seiner Taschen untersuchte, so entdeckte man gewiß Gegenstände, welche von einem Raube stammten und also bewiesen, daß der Tote zu den Pfahlmännern gehört habe. Solche Fälle wiederholten sich je länger desto häufiger, und das Loch in der Stirn galt bald als untrüglicher Beweis, daß man den Getroffenen für einen bestraften Pfahlmänner Geier zu halten habe. Wer aber war der geheimnisvolle Rächer? Niemand wußte es, und selbst Helmers ahnte es nicht.
Es war kein Wunder, daß bald Sage auf Sage über diesen Rächer entstand. Es gab Leute, die ihn gesehen haben wollten, pfeilschnell in der Ferne vorüberreitend, nie so nahe, daß sie ihn deutlich erkennen konnten. Heute sah ihn ein Händler am südlichsten Punkte des Llano und fand eine Stunde später einen durch die Stirn geschossenen Toten; morgen hörte ein Trupp Reisender am östlichen Rande der Plains einen Büchsenknall; ein Reiter verschwand gedankenschnell am Horizonte, und als sie an die betreffende Stelle kamen, lag ein Mensch da, tot ausgestreckt und in die Stirn getroffen. Einen Tag später kehrten bei Helmers Leute ein, welche im Llano gelagert und beim hellen Mondenschein denselben Reiter gesehen haben wollten, wie er hüben auftauchte, an ihnen vorübergaloppierte und drüben wieder verschwand. Schließlich bemächtigte sich gar der Aberglaube dieser unbegreiflichen Persönlichkeit; dieser Reiter war kein Mensch, sondern ein überirdisches Wesen, welches mit der Schnelligkeit des Blitzes von einem Ende des Llano nach dem andern flog. Wie hätte ein Sterblicher solche Schnelligkeit entwickeln und mit solcher Sicherheit den Räuber von dem ehrlichen Manne unterscheiden können! »Der Geist des Llano estacado fuhr über die Plains,« erzählte man; »der Avenging-Ghost hat wieder einen Stakeman geholt.«
Die ehrlichen Leute atmeten auf; die Stakemen hielten sich enger zusammen; sie wagten sich nicht mehr einzeln oder in kleinen Trupps in die Wüste, sondern sie führten ihre verbrecherischen Unternehmungen in größerer Gemeinschaft aus. Aber auch das bot ihnen keine Sicherheit. Sie lagerten zu zwanzig und noch mehr Personen bei einander; da fiel ein Schuß, noch einer, und zwei von ihnen waren durch die Stirn getroffen; unweit von ihnen aber erklang der Hufschlag eines davoneilenden Pferdes.
Um diese Zeit war es, daß ich, wie oben erwähnt, mit mehreren Westmännern zu Helmers kam, um durch den Estacado zu reiten und jenseits desselben mit Winnetou zusammenzutreffen. Wir erfuhren da, daß eine Auswandererkarawane vor uns sei, die auch durch die Plains wolle. Einige Personen, die wir bei Helmers sahen, erregten meinen Verdacht; ich folgte, als sie sich entfernt hatten, ihren Spuren und gewann die Überzeugung, daß die Auswanderer in die Irre geführt werden sollten. Der Scout, dem sie sich anvertrauten, war ein Pfahlmann, und seine Genossen warteten auf ihre Opfer. Wir machten uns natürlich schleunigst auf den Weg, um den Bedrohten Hilfe zu bringen.
Zu derselben Zeit traf Winnetou, der mich erwartete, auf einen Trupp Comantschen, die er damals nicht zu meiden brauchte, weil grad Friede zwischen ihnen und den Apatschen war. Von ihnen erfuhr er, daß sie ihrem Häuptlinge in den Llano entgegenritten, der durch die Plains kommen werde, aber sich in großer Gefahr befinde, weil sich eine bedeutende Anzahl von Stakemen zusammengefunden habe, die irgend einen Überfall im Sinne zu haben schienen. Das waren dieselben ›Geier‹, die ich entdeckt hatte. Da Winnetou wußte, daß ich mich unsrer Verabredung gemäß auch schon in der Nähe befinden müsse, wurde er besorgt um mich und beschloß, nicht auf mich zu warten, sondern mir auch entgegenzureiten. Er bot also den Comantschen seine Begleitung an, und sie gingen sehr gern auf seinen Vorschlag ein, weil es ihnen und ihrem gefährdeten Häuptlinge nur nützlich sein konnte, wenn sie einen Mann wie Winnetou bei sich hatten.
Infolgedessen war der sonst so öde Estacado jetzt von vier Trupps belebt, von denen drei sich in einer und derselben Richtung bewegten; die Auswanderer wurden von ihrem verräterischen Scout nach Süden in den beabsichtigten Tod geführt; ebenso südwärts folgten ihnen die Stakemen, und ich kam mit meinen Begleitern hinter diesen, um den geplanten Streich zu vereiteln. Von Westen her aber näherte sich Winnetou mit den Comantschen, welche leider zu spät kamen, denn es stellte sich heraus, daß ihr Häuptling schon von den Geiern ermordet worden war.
Da wir südlich und die Comantschen östlich ritten, und die Zeit zufälligerweise so genau stimmte, als ob wir uns verabredet hätten, mußten wir im rechten Winkel zusammentreffen, und zwar in der Nähe der Oase, von welcher wir freilich keine Ahnung hatten. Bloody-Fox wußte ebenso wie wir von der Absicht der Stakemen; er wollte die Fremden retten und ritt ihnen von seiner Wüsteninsel aus entgegen, um sie zunächst zu warnen. Unglücklicherweise traf er anstatt auf sie auf die ›Geier‹, welche sofort Jagd auf ihn machten. Infolge der Schnelligkeit seines Pferdes entkam er ihnen nordwärts und traf auf uns, denen er sich natürlich anschloß. Wir galoppierten drei Stunden lang, konnten die Auswanderer aber doch erst einholen, als es schon dunkel geworden war. Sie hatten mit ihren Wagen ein Viereck gebildet, innerhalb dessen sie lagerten; ihre Zugochsen hatten vor Durst nicht weiter gekonnt und auch sie selbst waren halb verschmachtet; ihr Scout hatte die Wasserfässer angebohrt, wie sich herausstellte; er entfloh, als wir kamen.
Inzwischen hatte Winnetou, ohne daß ich es ahnte, dieselbe Gegend erreicht und vermöge seines unvergleichlichen Spürsinnes die Stakemen entdeckt. Er schlich sich an sie, die natürlich keine Feuer brennen konnten und durften, heran, grad in dem Augenblicke, als der entflohene Scout bei ihnen eintraf, und ihnen sagte, daß wir bei den Einwanderern eingetroffen seien. Anstatt sich dies zur Warnung dienen zu lassen, freuten sie sich, durch uns noch größere Beute zu bekommen, und beschlossen, uns beim Grauen des Morgens anzugreifen. Winnetou hörte dies, schlich sich zu den Comantschen zurück und kam dann mit diesen zu uns geritten. Das war wieder so eines seiner Meisterstücke! Wie froh war ich, schon jetzt und hier mit ihm zusammenzutreffen! Seine Comantschenschar verdoppelte unsre Zahl, und er selbst wog allein mehr als sie.
Als der Morgen anbrach, lagen wir hinter den Wagen versteckt. Die Stakemen kamen; wir zählten fünfunddreißig. So zahlreich pflegten sie jetzt aus Furcht vor dem Avenging-Ghost aufzutreten. Sie ahnten nicht, daß wir von ihnen wußten, und glaubten, sehr leichtes Spiel zu haben. Unsre erste Salve traf sie auf fünfzig Schritte Entfernung und brachte geradezu Entsetzen über sie. Es gab einen wirren Knäuel vor Schreck brüllender Menschen; die Toten und Schwerverwundeten stürzten; die ledig gewordenen Pferde vermehrten die Verwirrung; dann löste sich das Chaos, und wer sich noch im Sattel halten konnte, floh in südlicher Richtung davon. Wir saßen im Nu auf unsern Pferden und jagten ihnen nach. Sie wurden alle ausgelöscht. Der letzte von ihnen erreichte die bisher so geheim gehaltene Oase des Bloody-Fox. Dort stürzte er mit seinem Pferde und brach das Genick. Er war der Anführer und nur deshalb so weit entkommen, weil er das schnellste Pferd hatte. Wir erkannten in ihm einen berüchtigten Verbrecher, welcher weit und breit unter dem Namen Stealing-Fox bekannt war, und, wunderbar! Bloody-Fox erklärte uns in größter Aufregung, dies sei ganz gewiß der Mann, der ihm damals die klaffende Kopfwunde geschlagen habe; es sei gar nicht daran zu zweifeln, denn er habe dieses Gesicht niemals vergessen können. Der Mensch hatte sich Fox genannt, allerdings nicht Stealing-Fox, und war ihr Führer gewesen. Nun ließ sich freilich sehr leicht erklären, warum der gerettete Knabe in seinen Fieberphantasien so oft den Namen Fox ausgesprochen hatte.
Kam es uns fast wie ein Wunder vor, daß Bloody-Fox so unerwartet den Mörder seiner Eltern entdeckte, so war es später wenigstens ebenso zum Verwundern, als sich herausstellte, daß unser Neger Bob der Sohn der alten Sanna sei. Und als wir dann Zeit fanden, der Örtlichkeit unsre Aufmerksamkeit zu schenken, wollte sie uns als ein drittes und viel größeres Wunder erscheinen. Es hatte zwar alte Jäger und Indianer gegeben, welche behaupteten, daß es mitten im ödesten Llano estacado ein Wasser gebe, an welchem die herrlichsten Bäume und Blumen ständen, aber es war ihnen kein Glaube geschenkt worden. Ich selbst hatte auch davon gehört, aber stets daran gezweifelt. Nun sah ich es vor Augen.
Freilich, wenn ich an die Sahara dachte, unter deren Sand- und Felsenboden in größerer oder geringerer Tiefe Wasser in Fülle vorhanden ist, wollte mir diese Oase hier im Llano gar nicht so hydropathisch unerklärlich erscheinen. Die Wüste der Plains wird von dem Rio Pecos durch eine Bergkette getrennt, welche oft einfach verstreicht, oft aber auch mehrere Höhenzüge bildet, zwischen denen lange Thäler liegen, die von engen, schluchtartigen Querthälern durchschnitten werden, deren Mund sich nach dem Llano öffnet. Von diesen Höhen kommen und in diesen Querthälern fließen verschiedene kleine Gewässer herab, an deren Ufer Sträucher und sogar Bäume ganz wohl zu existieren vermögen. Diese grünen Stellen ragen wie Halbinseln oder Vegetationszungen in das Sandmeer des Estacado hinein und bilden zwischen sich Busen, in denen Gras und Kräuter Nahrung finden. Diese Wasserläufe versiechen, sobald sie den Sand berühren; sie verdunsten nicht. Das Wasser dringt in den lockern Boden ein und muß sich da, wo es eine feste, undurchlässige Unterlage findet, sammeln. Man darf sich nur den Llano keineswegs als eine streng horizontale Ebene, sondern als eine Depression denken, an deren tiefster Stelle dieses Wasser zu Tage treten muß, und zwar hell, klar und rein, weil durch den Sand gefiltert.
Leider war das so lang bewahrte Geheimnis des Bloody-Fox nun unserm Wissen preisgegeben; es schien ihm das auch gar nicht lieb zu sein, doch ergab er sich in das Unvermeidliche und nahm uns nur später das Versprechen ab, bis auf weiteres darüber zu schweigen. Es stand zu erwarten, daß er nun für lange Zeit keine Veranlassung mehr haben werde, den Avenging-Ghost zu spielen; wir hatten unter den Stakemen aufgeräumt, und wenn es ja noch vereinzelte gab, so hörten sie gewiß von dem Tode dieser fünfunddreißig Geier und ließen ihn sich zur Warnung dienen. Die Einwanderer wurden nach der Oase geholt, wo sie einige Tage blieben und dann gekräftigt ihre Wanderung fortsetzten. Wir begleiteten sie bis an den Pecos. Sie gingen nach Arizona hinüber, wo sie immerhin von der Oase erzählen konnten; entweder hielt man für unwahr, was sie sagten, oder wenn man es ihnen glaubte, so hatte man keine Gelegenheit, es auszunutzen. Wir andern Weißen hatten viel eher Gelegenheit, nach dem Llano zu kommen, nahmen uns aber vor, gegen jedermann über Foxens grüne Wüsteninsel zu schweigen.
Anders freilich stand es mit den Comantschen, welche das Geheimnis leider nun auch kannten. Sie mußten zwar auch versprechen, nicht davon zu reden, doch waren wir überzeugt, daß sie nicht Wort halten würden. Der Ort war für ihr Volk nicht ohne Wert.
Wenn man sich von da aus, wo wir uns befanden, eine gerade Linie nach Westen gezogen denkt, stößt dieselbe jenseits des Flusses auf eine Gegend, welche einer der gefährlichsten Winkel des fernen Westens genannt werden mußte, weil sich dort die Streifgebiete der Comantschen und Apatschen berührten. Wer die Verhältnisse kennt, der weiß, daß es, so lange diese beiden Nationen überhaupt noch existieren, niemals zwischen ihnen zu einem dauernden Frieden kommen kann; die gegenseitige Erbitterung wird schon dem Kinde anerzogen und eingeprägt, und wenn ja einmal der Tomahawk des Krieges zwischen ihnen vergraben wird, so genügt doch die geringste Veranlassung, ihn wieder auszugraben. Solche Veranlassungen konnte es täglich geben, weil die Gebiete nicht nur aneinanderstießen, sondern vielfach ineinander liefen und oft noch gar nicht bestimmt waren. Der Vorwurf einer Grenzverletzung war also leicht zu haben, ganz abgesehen von den hundert andern Gründen, die es gab, wenn man den Kampf nur wünschte. Darum wurden jene Gegenden von den Westleuten gern the shears genannt, ein Ausdruck, der sehr bezeichnend war. Die beweglichen Grenzlinien öffneten und schlossen sich wie Scheren, und wer zwischen sie geriet, der konnte, besonders wenn er ein Weißer war, von großem Glücke reden, wenn er unbeschädigt davonkam.
Die häufigen Kämpfe zwischen den beiden Nationen pflegten drüben in den ›shears‹ zu entbrennen und sich dann über den Pecos herüberzuspielen; die Unterliegenden wurden gewöhnlich in den Llano getrieben. Wie vorteilhaft, wenn man da in der Sandwüste einen Punkt hatte, wo man sich sammeln und erholen konnte, während der Feind glaubte, man sei dem Tode des Verschmachtens anheimgefallen! Solch einen Punkt bot die Oase, und ihn hatten die Comantschen jetzt kennen gelernt. Würden sie, daheim angekommen, darüber schweigen? Ich konnte es mir nicht denken und machte Bloody-Fox auf die Gefahr aufmerksam, welche für ihn aus der Mitwissenschaft der Roten entsprang. Er nahm die Sache genau so ernst wie ich und sagte:
»Ihr habt recht, Sir. Ich habe mein Geheimnis so lange Zeit behütet, und nun ist es plötzlich preisgegeben. Ich bin aber selbst schuld daran.«
»Wieso?«
»Ich hätte Euch gestern diese Gegend beschreiben sollen; es wäre Euch dann wohl nicht schwer gewesen, es so einzurichten, daß die Stakemen nicht hierher fliehen konnten.«
»Das ist freilich richtig.«
»Dann hättet nur Ihr es gewußt und es gewiß keinem Menschen verraten. Nun aber, wie es jetzt steht, habe ich von drei Seiten Besuche zu erwarten.«
»Ich denke, nur von den Comantschen.«
»Auch von den Apatschen!«
»Nein. Es giebt nur einen Apatschen, der es weiß; das ist Winnetou.«
»Meint Ihr, daß er daheim nichts sagt?«
»Gewiß nicht, wenn Ihr ihn darum bittet.«
»Ich werde ihn bitten. Aber die Weißen!«
»Die verraten auch nichts; sie sind alle ohne Ausnahme schweigsame Männer.«
»Zugegeben. Sie werden nicht gegen andre reden, aber sich mein abgelegenes Home hier merken und es bald wieder aufsuchen.«
»Und daran liegt Euch nichts?«
»Nein.«
»Hm, das ist nicht sehr freundlich gesinnt!«
»Ich meine es anders. Sie könnten gern wiederkommen; aber wenn sie es thun, wird die Oase verraten. Sie oder ihre Spuren werden von andern gesehen, die ihnen dann folgen. Ist es nicht so, Sir?«
»Allerdings. Wir werden sie also bitten, nicht nur zu schweigen, sondern auch nie mehr hierher zu kommen.«
»Das wäre zu hart. Es kann ja geschehen, daß sich einer von ihnen später im Llano befindet, in Not gerät und verschmachten müßte, wenn er nicht an dieses Wasser dürfte. In einem solchen Falle muß eine Ausnahme gemacht werden. Wollt Ihr das mit ihnen besprechen, Mr. Shatterhand?«
»Gern.«
»Aber Ihr und Winnetou sollt ausgenommen sein. Ihr sollt so oft wie möglich zu mir kommen, und ihr werdet es in einer Weise thun, daß kein andrer Mensch euch folgen kann und meine Hütte entdeckt; davon bin ich bei euch beiden überzeugt.«
»Gut, wir werden Euch diesen Wunsch erfüllen. Was aber wollt Ihr thun, um Euch gegen einen Besuch der Comantschen zu bewahren oder zu beschützen?«
»Nichts. Oder soll ich aus meiner Hütte eine Festung machen?«
»Das geht nicht.«
»Oder so viel Leute hernehmen, um einen Überfall zurückschlagen zu können?«
»Auch das ist unmöglich.«
»So bleibt mir nichts übrig, als die Verhältnisse so zu lassen, wie sie sind. Die einzige Veränderung, welche eintreten wird, ist die, daß Bob hier bei seiner Mutter bleibt; ich habe also, wenn ich hier bin, einen Gehilfen, und sie wird während meiner Abwesenheit nicht mehr allein sein. Denkt Ihr, daß ich ihn behalten kann?«
»Ich rate Euch sogar dazu. Er ist ein treuer, nicht unkluger und auch tapferer Mensch. Er war mit uns bei den Sioux, und wenn sein erstes Debut auch nicht ein glänzendes zu nennen ist, so hat er uns doch sehr gute Dienste geleistet. Ich bin auch ganz dafür, daß Ihr hier keine Änderung trefft. Ein wenig Wachsamkeit der Comantschen wegen; das ist es, was ich Euch rate, weiter nichts. Vielleicht denken diese Roten nicht wie wir, daß die Stakemen eine tüchtige Lehre bekommen haben und also nicht gleich wieder etwas unternehmen werden, und scheuen sich also auch fernerhin, ihre Züge ohne Kriegszwang nach hier auszudehnen.«
»Das habe ich mir auch gesagt und beruhige mich dabei. Hoffentlich täuschen wir uns nicht.« –
Die Richtigkeit dieses Gedankens schien sich bewähren zu wollen. Ich war im Laufe der Zeit später einigemale in der Oase und erfuhr, daß Bloody-Fox von keinem Comantschen belästigt worden war. Auch kein Weißer hatte ihn seit damals wieder besucht, und so hatte es den Anschein, als ob die Entdeckung seines Geheimnisses nicht gleichbedeutend mit der Enthüllung desselben sei. Was die ›Geier‹ des Llano estacado betrifft, so war ganz so, wie wir erwartet hatten, lange Zeit von ihnen nichts mehr zu hören gewesen; dann hatte es einzelne Raubanfälle gegeben, deren Urheber ein einziger Mann gewesen und von Fox entdeckt und in der angegebenen Weise bestraft worden war. Daß er der Avenging-Ghost sei, schien außer den damaligen Zeugen niemand zu wissen; sie hatten sein Geheimnis treu bewahrt; ich war an vielen Orten Zuhörer von den phantastischsten Erzählungen über dieses Thema und hörte niemals eine Andeutung darüber machen, an welche Person sich dieses Geisterspiel eigentlich knüpfe.
Als ich Bloody-Fox kennen lernte, stand er noch in den Jünglingsjahren; man kann sich also denken, welch reiche Begabung er besaß, da er schon in einem solchen Alter Eigenschaften und Fähigkeiten zeigte, die selbst einen Mann wie Winnetou in Staunen versetzten. Was konnte und mußte aus ihm werden, wenn er sich in dieser Weise weiter entwickelte!
Es folgten einige Jahre, in denen ich nicht nach Amerika kam. Dann traf ich mich mit Winnetou in den Black-Hills und erfuhr von ihm, daß Bloody-Fox sich wohl befinde und noch keinen Besuch der Comantschen erhalten habe. Wir trennten uns droben am Couteau, um uns nach vier Monaten unten auf der Sierra Madre wieder zusammenzufinden, und man kann sich denken, was es für einen Eindruck auf mich machte, als ich dort den Zettel des Apatschen las, daß er Bloody-Fox warnen müsse, weil die Comantschen ihn überfallen wollten.
Es war ihnen während so langer Zeit nicht eingefallen, die Oase aufzusuchen; welchen Grund hatten sie, dies jetzt, und zwar in feindlicher Absicht, zu thun? Ging der Plan von ihnen aus, oder hatte Bloody-Fox durch irgend etwas ihre Rache auf sich gezogen? Es war nutzlos, diese Fragen jetzt auszusprechen; die Antwort mußte mir später ganz von selber kommen.
Wichtiger war die Frage, ob Winnetou direkt nach dem Llano estacado geritten sei oder nicht. Er hatte mir geschrieben, daß er warnen wolle, und wenn es sich nur um eine Warnung handelte, so war anzunehmen, daß er den Weg direkt genommen habe. Aber wie ich den Apatschen kannte, begnügte er sich nicht mit einer Warnung, sondern fügte derselben möglichst gleich die Rettung bei, und diese konnte nur darin bestehen, daß er mit einer hinreichenden Apatschenschar dem Bloody-Fox zu Hilfe kam. Was nun von beiden hatte er gethan? So schwer diese Frage zu sein scheint, so leicht ist sie zu beantworten. Es handelte sich einfach um die Zeit. War sie zu kurz, so ritt Winnetou direkt zu Fox; war sie aber hinreichend, um Hilfe zu holen, so ritt er nach dem Lager seines Stammes, um die nötige Anzahl Krieger zur Stelle zu bringen.
Wie aber konnte Winnetou erfahren, ob er Zeit hatte oder nicht? Ganz einfach so, wie ich. Wenn tausend andre es nicht bemerkt hätten, ihm, dem unerreichbaren Meister im Spüren, hatten die Comantschen, die wir am ›blauen Wasser‹ aufsuchten, gewiß nicht entgehen können, und wenn es ihm auch nicht möglich gewesen war, sie zu belauschen und dabei zu erfahren, daß sie auf einen Zuzug von weiteren hundert Mann unter dem Häuptling Nale-Masiuv warteten, so hatte er doch sicher aus den ihm geläufigen Anzeichen erkannt, daß sie nicht allzu eilig waren. Er hatte also sehr wahrscheinlich zunächst seinen Stamm aufgesucht.
Vielleicht war dies auch nicht nötig gewesen, sondern er hatte einen Boten gefunden, den er dorthin schicken konnte. Die Apatschen hatten auf alle Fälle erfahren, daß von den Comantschen das Beil des Krieges ausgegraben worden war, und also zu ihrer Sicherheit Späher ausgesandt. War Winnetou einem solchen begegnet, was keineswegs in das Reich der Unmöglichkeit gehörte, so hatte er ihn heimgesandt und war selbst weiter geritten, weil nur er selbst die Lage der Oase kannte.
Meine Vermutungen gingen sogar noch weiter; ich kannte eben meinen Winnetou und wußte, wie umsichtig er zu handeln pflegte. Der Tag meiner Ankunft in der Sierra Madre war ihm bekannt; ich würde seinen Zettel finden und ihm sofort folgen, das sagte er sich. Ich kannte den Weg ebenso genau wie er; es war ihm also nicht schwer, zu bestimmen, in welcher Gegend ich mich zu irgend einer angegebenen Zeit ungefähr befinden müsse. Wenn er selbst direkt nach dem Llano estacado war, so mußte er dafür sorgen, daß seine Krieger einen zuverlässigen Führer nach der Oase fanden, und dieser Führer konnte nur ich sein, In diesem Falle traf ich ganz bestimmt unterwegs einen Apatschen, welcher den Auftrag hatte, auf mich zu warten und mich zu unterrichten. Man wird bald sehen, wie richtig ich Winnetou beurteilt hatte.
Zunächst aber war es noch nicht so weit. Wir lagerten noch am Saskuan-kui und warteten auf den Anbruch des Morgens, um mit den Comantschen zu verhandeln. Old Surehand mußte ja alles, was ihm abgenommen worden war, besonders seine Waffen, wiederbekommen; dafür wollten wir Vupa Umugi, ihren gefangenen Häuptling, freigeben.
Wir waren so vorsichtig gewesen, nicht am Ufer zu bleiben, wo die Feinde uns wußten und, von den Büschen gedeckt, leicht überfallen konnten, sondern wir hatten uns ein Stück hinaus auf die Prairie gezogen, weil wir dort nicht beschlichen werden konnten. Dort wurden die Wachtablösungen bestimmt, und wer dann schlafen wollte, der konnte schlafen. Es fiel mir nicht ein, bis zum Morgen wach zu bleiben; man wußte nicht, was der nächste Tag für Anstrengungen brachte. Ich freute mich ungemein darauf, Old Surehand bei Tageslicht zu sehen; jetzt war es zu dunkel, ihn so, wie ich gern wollte, zu betrachten. Später gestand er mir, daß er ebenso neugierig auf mich gewesen war. Wir hätten viel, sehr viel miteinander reden können, waren aber beide keine übermäßig redseligen Menschenkinder und wollten schlafen. Eines jedoch mußte ich jetzt schon wissen; darum sagte ich, als er sich neben mir zur Ruhe ausstreckte:
»Erlaubt mir eine Frage, Sir, ehe Ihr die Augen schließt! Ihr habt mit Euerm Ritte in diese Gegend einen bestimmten Plan verfolgt?«
»Ja. Ich wollte zu den Mescalero-Apatschen hinunter, um vielleicht Winnetou zu treffen und mit seiner Hilfe dann vielleicht auch Euch kennen zu lernen. Es ist ja wahrhaftig eine Schande, so lange schon Westmann zu sein, ohne Winnetou und Old Shatterhand gesehen zu haben!«
»Auch wir kennen Euch noch nicht; das ist ganz dasselbe. Haben aber genug über Euch gehört, Sir. Der zweite Teil Euers Wunsches, mich zu sehen, ist eher erfüllt worden, als Ihr dachtet, und der erste Teil kann befriedigt werden, ohne daß Ihr zu den Mescaleros reitet. Ich bin nämlich auf dem Wege, Winnetou anderswo aufzusuchen.«
»Wo, Sir? Wo ist er jetzt?«
»Am Llano estacado.«
»Alle Wetter, das ist ja herrlich! Mit ihm und Euch im gefährlichen Estacado! Nehmt Ihr mich mit, Sir?«
»Sehr gern, natürlich. Wir werden Euch und Eure Hilfe sehr gut brauchen können. Werde Euch früh erzählen, warum; jetzt müssen wir notwendig schlafen, um Kräfte zu sammeln; will Euch einstweilen nur das sagen, daß es sich um einen Tanz mit den Comantschen handelt.«
»Mit diesen hier oder mit andern?«
»Mit diesen und andern, die noch zu ihnen stoßen. Ihr habt doch gehört, was von ihnen geredet wurde. Haben sie nicht von dem Ziele ihres jetzigen Zuges gesprochen?«
»Ja, aber so leise und vorsichtig, daß ich nichts verstehen konnte, Nehmt mich mit, Sir; nehmt mich mit! Ich freue mich wie ein Kind darauf, mit ihnen quitt darüber zu werden, daß ich mich wie ein Greenhorn von ihnen habe überrumpeln lassen. Was müßt Ihr von mir denken! Ich habe jahrelang gewünscht, Euch kennen zu lernen und mich Euch auf irgend eine Weise anschließen zu dürfen, und nun mir dieser Wunsch in Erfüllung geht, ist es derart geschehen, daß ich mich geradezu schämen muß; th'is clear, wie der alte Wabble sagt!«
»Vom Schämen kann keine Rede sein. Ich bin nicht nur einmal gefangen gewesen, und Winnetou ebenso. Es freut mich außerordentlich, daß es mir erlaubt gewesen ist, Euch einen kleinen Dienst zu erweisen.«
»I beg, Sir! Ein kleiner war es gar nicht; da möchte ich erst hören, was Ihr einen großen nennt! Ich würde viel, sehr viel darum geben, wenn es umgekehrt wäre, nämlich so, daß ich ihn Euch geleistet hätte. Will aber hoffen, daß ich Euch einmal so etwas Ähnliches erweisen kann.«
»Ich nehme es für genossen an und will lieber auf die Passion verzichten, Gefangener der Comantschen sein zu dürfen. Jetzt wollen wir schlafen. Good night, Sir!«
»Good night, Mr. Shatterhand! Werde wahrscheinlich besser schlafen als da drüben auf der Insel, die ich nur verlassen sollte, um zum Martertod geführt zu werden.«
Die Nacht war kühl und meine Kleidung naß, dennoch schlief ich fest bis vier Uhr, wo ich zur letzten Wache geweckt wurde. Als diese fast zu Ende war, begann der Tag zu grauen, und ich hatte bald Licht genug, meinen neuen und berühmten Bekannten zu betrachten.
Da lag er jetzt vor mir, ruhig schlafend, ein wahrer Riese von Gestalt. Seine mächtigen Glieder waren ganz in Leder gekleidet, doch so, daß die von der Sonne gebräunte Brust unbedeckt blieb. Sein langes, braunes, seidenweiches Haar lag wie ein Schleier bis auf den Gürtel herab, und selbst im Schlafe, während dessen doch sonst das geistige Leben aus den Zügen zurückgetreten zu sein pflegt, lag auf seinem Gesichte der Ausdruck jener Energie, ohne welche ein guter Westmann undenkbar ist. Grad so, wie ich ihn hier liegen sah, hatte ich ihn mir vorgestellt, allerdings, weil er mir so beschrieben worden war; denn es ist keineswegs richtig, sich jeden namhaften Westläufer als eine solche Figur vorzustellen. Wer das thut – und das geschieht allerdings sehr häufig –, der fühlt sich dann später, wenn er den Betreffenden zu sehen bekommt, meist sehr enttäuscht. Berühmte Jäger von so riesiger Gestalt habe ich nur zwei gesehen, Old Firehand und Old Surehand. Man macht ja oft die Erfahrung, daß körperliche Hünen ein wahrhaft kindliches Gemüt besitzen und aller Kampfeslust und Kampfesfertigkeit ermangeln, während dürftiger gebaute Menschen sich lieber zerreißen als in die Flucht schlagen lassen. Doch soll dies natürlich keineswegs als Regel gelten. Das Leben im wilden Westen ist der Bildung voller Körperformen nicht günstig, doch schafft es eiserne Muskeln und Sehnen wie der Stahl.
Es war Zeit, die Schläfer zu wecken; ich that es, und als Old Surehand sich aufrichtete, konnte ich erst richtig sehen, in welcher Harmonie die einzelnen Teile und Glieder seines Körpers zu einander standen.
»Good morning, Sir!« grüßte er mich, indem er seinen Blick forschend an mir niedergleiten ließ und dann wieder zu meinem Gesichte erhob. »Endlich, endlich wird mir der Wunsch erfüllt, Euch zu sehen, denn das gestern abend in der Dunkelheit war kein Sehen zu nennen. Hier meine Hand zum Morgengruß und nochmaligen Dank für das, was Ihr an mir gethan und wegen mir gewagt habt. Wollt Ihr einschlagen, Mr. Shatterhand?«
»Gern. Auch ich freue mich aufrichtig, Euch endlich kennen zu lernen. Wenn es Euch recht ist, wollen wir treu zusammenhalten; das ist der Wunsch, den ich habe.«
»Well, soll geschehen. Wenigstens was an mir liegt, werde ich mir Mühe geben, daß nichts geschieht, was uns auseinanderbringen kann.« Er dehnte und reckte sich, untersuchte die Hand- und Fußgelenke und fuhr dann fort: »Ich habe gut geschlafen, und die Folgen der Fesseln sind vollständig verschwunden. Was werden wir nun zunächst beginnen?«
»Wir nehmen den Häuptling vor, um ihm zu sagen, was wir von ihm verlangen, und schicken dann den gefangenen Indianer hinüber in das Lager.«
»Und bis er wiederkommt, wird tüchtig gefrühstückt,« fiel Old Wabble ein. »Wozu hätte ich denn das viele Fleisch mitgebracht? Wer etwas zu essen hat, der soll essen; th'is clear. Oder hat jemand etwas dagegen?«
Es fiel Keinem ein, gegen dieses Argument Widerspruch zu erheben. Old Surehand bat mich, die Verhandlung mit Vupa Umugi zu leiten; aber da es ihn selbst betraf, so war ich der Meinung, daß er dem Häuptlinge seine Bedingungen selbst vorschreiben müsse, und er that dies denn auch. Vupa-Umugi zögerte auch gar nicht, auf sie einzugehen; er sah ein, daß er gar nicht glimpflicher wegkommen könne. Dann banden wir den Comantschen, den Old Wabble gestern gefangen hatte, los; er erhielt von dem Häuptlinge die nötigen Befehle und ging dann fort, dieselben auszurichten. Hierauf hatten wir Zeit, unser Frühstück einzunehmen.
Nach ungefähr zwei Stunden sahen wir den Boten mit einigen Roten zurückkehren. Sie brachten Old Surehands Pferd, seine Waffen und alle andern Gegenstände, die ihm fehlten, auch seinen breitkrempigen Hut, der auf der Insel liegen geblieben war. Als er erklärte, daß nichts fehle, gaben wir den Häuptling frei. Eigentlich hatten wir ihm das Versprechen abverlangen wollen, fernerhin Frieden zu halten; wir sagten uns aber, daß er sein Wort doch nicht halten werde, und weil durch eine solche Forderung unsre Verhandlung mit ihm sehr in die Länge gezogen worden wäre, verzichteten wir lieber darauf, sie zu stellen. Als wir ihm die Fesseln abgenommen hatten, that er einige Schritte, um sich zu entfernen, drehte sich aber wieder um und richtete die Worte an mich. »Die Bleichgesichter haben Frieden mit uns geschlossen; ich frage sie, wie lange er währen soll.«
»So lange du willst,« antwortete ich ihm; »es steht das ganz in euerm eigenen Belieben.«
»Warum spricht Old Shatterhand nicht deutlicher? Warum sagt er nicht eine bestimmte Zeit?«
»Weil ich das nicht kann. Wir sind den roten Männern nicht feindlich gesinnt und möchten gern stets und immer Freundschaft mit ihnen halten; wir wissen aber, daß sie nicht ebenso denken wie wir und müssen es also auf sie ankommen lassen. So lange sie uns den Frieden halten, wird bei uns das Beil des Krieges auch vergraben bleiben.«
»Uff! Wie lange werden die weißen Männer in dieser Gegend verweilen?«
»Wir werden sofort aufbrechen.«
»Wohin?«
»Frag den Wind, wohin er geht! Er weht bald hierhin, bald dorthin. So ist's auch mit dem Jäger des Westens, der nie heut sagen kann, wo er sich morgen befinden wird.«
»Old Shatterhand weicht meiner Frage aus!«
»Meine Antwort ist so wie die deinige, wenn ich dich fragen würde.«
»Nein, denn ich würde dir die Wahrheit sagen.«
»Das wollen wir doch einmal versuchen. Wie lange bleiben die roten Krieger hier am blauen Wasser?«
»Noch einige Tage. Wir sind hierher gekommen, um zu fischen, und werden gehen, wenn wir dies gethan haben.«
»Wohin werdet ihr dann reiten?«
»Nach Hause zu unsern Frauen und Kindern.«
»Behauptest du, daß dies die Wahrheit sei?«
»Ja.«
»So sei klug, und thue nach deinen Worten! Jede Lüge gleicht einer Nußschale, deren Kern in der Bestrafung besteht. Du hast gesagt, daß du Old Shatterhand nicht fürchtest; du brauchst ihn auch nicht zu fürchten, außer dann, wenn du ihn zwingst, Abrechnung mit dir zu halten. Ich habe gesprochen. Howgh!«
Er machte eine stolz abwehrende Handbewegung und ging; seine Leute folgten ihm. Meine Begleiter wollten sich über sein Verhalten und seine Worte aussprechen; ich aber schnitt ihnen die Rede kurz ab:
»Mesch'schurs, schweigen wir jetzt darüber; wir können uns später besprechen; jetzt müssen wir fort.«
»Ist das so eilig, Sir?« fragte Parker.
»Ja.«
»Das denke ich nicht. Wir haben den Roten eine tüchtige Lehre gegeben, und sie werden sich hüten, uns Gelegenheit zu einer zweiten zu geben.«
»Das klingt sehr zuversichtlich, Mr. Parker. Bedenkt aber wohl, daß wir nur zwölf Personen sind und über hundertfünfzig Rote gegen uns haben!«
»Das ist richtig, aber – – Old Shatterhand, Old Surehand, Old Wabble; ich will Euch nur diese Namen nennen und von uns andern gar nicht reden. Die Comantschen werden sich hüten, uns zu belästigen.«
»Ich bin im Gegenteile überzeugt, daß sie nach Rache dürsten. Sie mögen unsre Namen fürchten; aber sie wissen ebensogut wie wir, daß im Falle eines Angriffes zwölf von ihnen auf einen von uns kommen. Sie hatten in Old Surehand einen vorzüglichen Fang gemacht, den wir ihnen wieder abgenommen haben; sie werden wütend darüber sein und danach trachten, nicht nur ihn, sondern auch uns in ihren Besitz zu bekommen. Wenn sie uns hier in der offenen Savanne überfallen, so haben wir keine Deckung; wir würden uns zwar wehren und eine große Zahl von ihnen niederstrecken, endlich aber doch unterliegen. Nein, wir müssen fort.«
»Das kann uns auch nichts nützen, denn wenn sie wirklich die Absicht haben, uns zu erwischen, so werden sie uns folgen, wenn wir fortreiten.«
»Da können wir uns zu ihrem Empfange eine geeignetere Örtlichkeit wählen, als diese hier ist. Sie werden uns allerdings folgen, schon um zu erfahren, wohin wir reiten, aber allzuweit können sie sich nicht entfernen, weil sie nach dem Llano wollen.«
Old Surehand und Old Wabble gaben mir recht; Jos Hawley hatte mich zu sehr in sein Herz geschlossen, als daß er es geäußert hätte, wenn er andrer Meinung gewesen wäre, und die andern, nun diese andern waren ganz und gar nicht zornig darüber, daß wir aus der gefährlichen Nähe der Comantschen fortwollten; sie erklärten sich vielmehr so rasch damit einverstanden, daß sich meine über sie gehegte Ansicht nur befestigte. Sie waren ganz gewöhnliche Leute, die mir nur in ihrer Gesamtheit von Nutzen sein konnten.
Wenn sie bei mir blieben, standen mir einige Gewehre mehr zur Verfügung; ich hatte aber ebenso viele Menschen mehr zu versorgen und war in meinen Bewegungen und Handlungen nicht frei. Einzeln konnte ich sie nicht verwenden; dazu waren sie zu unselbstständig und unerfahren. Wie die Angelegenheit jetzt stand, wäre es mir lieber gewesen, sie nicht bei mir zu haben. Dazu kam der Umstand, daß die Oase in dem Llano ein Geheimnis sein sollte; die Weißen, die es bis jetzt kannten, hatten es nicht verraten; war es klug, meine jetzigen Begleiter in dasselbe einzuweihen? Ich traute ihnen keine Verschwiegenheit zu. Durfte ich sie aber von mir weisen? Nein; das hätte sie gekränkt. Ich mußte versuchen, sie selbst auf den Gedanken zu bringen, sich von mir zu trennen, und dies schien, da sie keinen hervorragenden Mut und Unternehmungsgeist besaßen, gar nicht schwer zu sein.
Wir ritten also fort, mit Fleischvorrat reichlich versehen. Ich hielt mich mit Old Surehand an der Spitze, und niemand fragte mich, wohin ich mich wenden wollte. Natürlich nahm ich die Richtung nach der Furt und trieb, als wir dort angekommen waren, mein Pferd in das Wasser; die andern folgten mir. Am jenseitigen Ufer stieg ich ab, band mein Pferd an einen Baum und setzte mich nieder. Old Surehand und Old Wabble thaten sofort nach meinem Beispiele. Parker aber blieb ebenso wie die andern im Sattel sitzen und fragte:
»Ihr steigt ab, Sir? Das sieht genau so aus, als ob Ihr längere Zeit hier bleiben wolltet?«
Ich brauchte nicht zu antworten, denn Old Wabble übernahm an meiner Stelle die Erklärung:
»Allerdings bleiben wir hier, Mr. Parker. Wundert Ihr Euch etwa darüber?«
»Natürlich!«
»So könnt Ihr wohl nicht begreifen, warum wir wieder nach Westen geritten sind anstatt nach Osten, wohin wir eigentlich wollen?«
»Welch eine Frage! Ihr scheint mich für sehr dumm zu halten. Die Roten dürfen nicht wissen, daß wir ostwärts wollen, weil wir ihren Kriegsplan kennen; darum müssen wir zunächst nach der entgegengesetzten Richtung, um sie zu täuschen. Aber warum wir schon hier halten bleiben und uns sogar ganz gemächlich niedersetzen sollen, das ist mir ein Rätsel.«
»Es ist Euch jedenfalls schon manches ein Rätsel gewesen und wird es Euch auch später sein! Erst wolltet Ihr nicht vom ›blauen Wasser‹ fort, obgleich wir dort der größten Gefahr ausgesetzt waren, und nun wir uns hier hinter dem Flusse und den Büschen in der schönsten Sicherheit befinden, bleibt Ihr im Sattel kleben wie eine Fliege im Leime!«
»So wollt Ihr auf die Roten warten?«
»Yes,«
»Aber das ist doch gar nicht nötig! Wenn sie kommen, müssen wir uns wehren, und wenn wir weiter reiten, entgehen wir aller Feindseligkeit; da ist es doch entschieden besser, das letztere zu thun!«
»Damit sie unsern Spuren folgen und uns dann abends oder in der Nacht, wenn wir sie nicht sehen können, überfallen! Was Ihr doch für ein ungeheurer Pfiffikus seid! Steigt nur ab!«
Parker folgte dieser Aufforderung, ließ aber dabei ein unwilliges Brummen hören. Old Wabble ärgerte sich darüber und fuhr ihn zornig an:
»Was habt Ihr da zu brummen, Sir! Reitet getrost fort, wenn es Euch hier nicht gefällt; es wird sich niemand Mühe geben, Euch zurückzuhalten; darauf könnt Ihr Euch verlassen!«
»Habe ich etwa verlangt, daß sich jemand diese Mühe geben soll, Mr. Cutter?«
»So brummt auch nicht! Wißt Ihr, was dieses Brummen ist? Eine Beleidigung für Mr. Shatterhand, nach dessen Beispiel wir uns hier gerichtet haben! Durch dieses Brummen zeigt Ihr an, daß Ihr nicht einverstanden mit ihm seid, und Ihr wißt ja, was ich Euch gesagt habe: Wer ihn für dumm hält, den lassen wir einfach sitzen!«
»Oho! So war es ja gar nicht gemeint!«
»Jawohl war es so gemeint! Weil ihr damals Euren ersten Elk aufs Blatt getroffen habt, bildet Ihr Euch ein, daß Eure Ansichten auch stets aufs Blatt treffen. Da befindet Ihr Euch aber gewaltig im Irrtum. Da nehmt mich dagegen an! Ich bin über neunzig Jahre alt und habe Dinge erlebt und mitgemacht, die andre nie im Traume zu sehen bekommen; aber ich werde doch nicht wagen, gegen Old Shatterhand zu murren, obgleich er der reine Jüngling gegen mich ist. Wenn er so etwas thut, was ich nicht begreife, so brumme ich nicht, sondern ich frage ihn. Brummen thun überhaupt nur die Bären und die Ochsen; th'is clear.«
»Soll das etwa mir gelten, Mr. Cutter?«
»Seid Ihr ein Bär oder ein Ochse?«
»Wahrscheinlich nicht. Will es Euch auch nicht raten, mich für so eine Kreatur zu halten! Und was Eure Methode betrifft, Mr. Shatterhand zu fragen, anstatt zu brummen, so wird ihm an unnützen Fragen wohl auch nicht viel gelegen sein.«
»Old Wabble fragt nicht unnütz, das mögt Ihr Euch merken. Wenn ich eine Frage ausspreche, so betrifft sie stets einen Gegenstand, an welchem auch jeder andre Interesse haben und sich belehren kann. Das kann ich Euch gleich jetzt beweisen. Paßt einmal auf!«
Und sich an mich wendend fuhr er fort:
»Ja war mir z.B. gestern abend etwas unklar, Sir. Darf ich Euch um Auskunft bitten?«
»Gewiß.«
»Als Ihr das Feuer, an welchem der Häuptling saß, beschlichen hattet und aus dem Wasser zurückkamt, brachtet Ihr etwas mit. Ihr nahmt es mit nach unserm Lagerplatze und habt es da in die Büsche versteckt. Was war das?«
»Das Schilf, welches ich mir über den Kopf gesteckt hatte.«
»O, habe es mir gedacht! Warum warft Ihr es nicht schon vorher weg?«
»Damit die Roten es nicht finden sollten.«
»So, hm! Gab es einen Grund dazu?«
»Natürlich. Man pflegt doch nichts ohne Grund zu thun.«
»Ja, Ihr. Aber ich habe Leute gekannt, die zu allem, was sie thaten, keine Gründe sagen konnten. Solche Menschen soll es auch jetzt noch geben. Was hätte es denn geschadet, wenn das Schilf von den Roten gefunden worden wäre?«
»Sie hätten gemerkt, daß sie belauscht worden sind.«
»O? Wegen dieses kleinen Schilfbusches?«
»Ja. Wer hatte ihn abgeschnitten? Keiner von ihnen. Wo war er abgeschnitten worden? Sie hätten gesucht und die Stelle gewiß gefunden. Von da führte meine Doppelspur nach dem Gebüsche, in welchem ich mit Euch steckte; auch diesen Ort hätten sie entdeckt.«
»Aber zu spät, denn wir waren fort!«
»Hätten aber wahrscheinlich Mr. Surehand noch nicht frei. Wenn das Schilf gefunden wurde, ehe ich auf die Insel kam, so wäre es unmöglich gewesen, ihn von dort wegzuholen, denn man hätte das ganze Lager alarmiert.«
»Richtig! Das kann ich mir denken. Also das war der Grund!«
»Nicht das allein; ich habe dabei nicht nur an Mr. Surehand, sondern an die Zukunft gedacht.«
»Wieso?«
»Ihr wißt, daß ich den Häuptling belauscht und was ich da erfahren habe. Was ich hörte, ist von großer Wichtigkeit für uns. Der ganze große Vorteil, den ich daraus zu ziehen beabsichtige, würde aber total verloren gehen, wenn die Roten wüßten, daß ich gehorcht habe.«
»Ihr meint, daß sie dieses aus dem Schilfbusche zu schließen vermögen?«
»Mit Leichtigkeit.«
»Oho! Ich bin ein alter, weißhaariger und erfahrener Kerl, aber wenn ich einer dieser Comantschen wäre und den Busch gefunden hätte, so hätte ich höchstens gedacht, daß ein Fremder dagewesen sei und das Lager beobachtet habe. Ob ein Gespräch von ihm belauscht worden sei, das wüßte ich sehr wahrscheinlich nicht.«
»Gebt Euch doch nicht weniger scharfsinnig, als Ihr seid, Mr. Cutter! Ihr hättet doch gewiß darüber nachgedacht.«
»Natürlich hätte ich das; aber auf welchen Gedanken wäre ich wohl gekommen?«
»Auf den richtigen; ich bin überzeugt davon. Und hättet Ihr gestern abend das Rechte nicht getroffen, so doch heut am hellen Tage, wo man alles deutlich sehen kann, wenn der Verdacht einmal rege geworden ist. Denkt Euch an die Stelle des Indianers. Was mußte er sich fragen?«
»Zunächst, wer der Fremde gewesen ist.«
»Das wissen sie jetzt. Sie wissen genau, daß wir ihr Lager entdeckt und beobachtet haben. Aber haben wir auch gelauscht und etwas erfahren, was gesprochen worden ist? Diese Frage ist die wichtigste für sie. Da finden sie den Busch und den Ort, wo ich ihn abgeschnitten habe; sie sehen, daß ich da in das Wasser gegangen bin. Warum bin ich in das Wasser gestiegen, und wozu habe ich den Busch gebraucht? Um mich zu maskieren. Das sagen sie sich sofort, denn die Anwendung dieser Art von Maskerade ist ihnen nicht nur bekannt, sondern sie sind sogar Meister darin. Mit Schilf maskiere ich mich aber nur dann, wenn ich beabsichtige, mich im Schilfe zu verstecken. Ich habe mich also im Schilfe des Ufers befunden. Wo? Natürlich in der Nähe des Feuers, welches dem Ufer am nächsten gewesen ist – – also dasjenige, an welchem der Häuptling gesessen hat. Sie suchen; das Wasser ist durchsichtig, und so sehen sie die Stelle, wo ich mich gestern tief in den Schlamm eingegraben hatte. Von dieser Stelle war alles, was an dem Feuer gesprochen wurde, leicht zu hören; daraus folgt, daß ich es gehört haben muß. Nun weiter: Zu welcher Zeit bin ich dagewesen; was wurde da gesprochen, und was habe ich also gehört?«
»Das können sie doch unmöglich erfahren!«
»Schwer ist es, aber unmöglich nicht. Ich bin von dieser Stelle aus um den See gegangen, über denselben nach der Insel und von dieser mit Old Surehand wieder zurückgeschwommen. Wieviel Zeit habe ich ungefähr dazu gebraucht? Ihr seht, es ist gar nicht so unmöglich, zu berechnen, wann ich dagewesen bin. Was da gesprochen worden ist, darauf kann sich der Häuptling sehr wahrscheinlich besinnen. Der betreffende Zeitpunkt kann auch noch anders berechnet oder vielmehr erraten werden. Der Schein des Feuers erleuchtete die Stelle, an der ich lag; ich kann also nur an Augenblicken, an denen die Aufmerksamkeit von dort abgelenkt war, hingekommen und mich wieder entfernt haben. Welche Augenblicke waren das? Bei ein wenig Nachdenken läßt sich auch diese Frage unschwer beantworten. Es hat drei solche Augenblicke oder Gelegenheiten gegeben, nämlich als die beiden Comantschen, die wir freiließen, in dem Lager ankamen, als das Verhör mit ihnen beendet war, und als zum Essen gerufen wurde. Und grad zu und zwischen diesen Zeitpunkten hatte man sehr wichtige Gegenstände im Gespräch. Falls ich das letztere belauscht habe, muß ich über die Absichten der Comantschen gut unterrichtet sein. So und noch vieles andere hätten sie sich sagen müssen, wenn der Schilfbusch von ihnen gefunden worden wäre. Wißt Ihr nun, warum ich ihn mitgenommen und weit davon versteckt habe?«
»Well, ich weiß es jetzt, Sir. Ihr seid das, was Mr. Parker vorhin nicht gewesen ist, nämlich ein großer Pfiffikus. Ich möchte nicht zu Leuten gehören, mit denen Ihr in Feindschaft steht und die sich also vor Euch in acht zu nehmen haben. Ihr macht ja alles möglich und legt Euch alles, was Ihr thut, so sorgfältig und umsichtig zurecht, daß gar kein Mißlingen möglich ist und der Feind gar nicht begreifen kann, wie er so in die Tinte geraten konnte!«
»Dieses Lob muß ich zurückweisen, Mr. Cutter. Ich habe auch manchen großen Fehler begangen und oft selbst so tief in dem gesteckt, was Ihr Tinte zu nennen beliebt, daß es ein wahres Wunder war, herauszukommen.«
»Aber heraus seid Ihr doch, sonst säßet Ihr nicht hier; th'is clear. Wollen hoffen, daß wir jetzt nicht auch einem solchen verteufelten Tintenfasse entgegenreiten!«
»Welches Faß meint Ihr wohl mit diesem tiefschwarzen Vergleiche, Mr. Cutter?«
»Hm, der Vergleich war dumm, denn dieses Tintenfaß ist eigentlich kein Tintenfaß, sondern eine Streusandbüchse, nämlich der Llano estacado.«
»Fürchtet Ihr Euch vor ihm?«
»Fürchten? Hoffentlich ist es Euch mit diesem Worte nicht ernst, Mr. Shatterhand. Möchte wissen, wovor Old Wabble sich fürchten könnte! Höchstens vor sich selber! Aber Ihr werdet zugeben, daß zwischen einem Kanapee und einem Backofen ein großer Unterschied vorhanden ist.«
»Ich bin so geistreich, dies einzusehen.«
»Wer Gelegenheit hat, es sich in einem hübschen, kühlen Zimmer auf dem Kanapee bequem zu machen, dem fällt es doch nicht ein, in einen Backofen zu kriechen, um sich wie eine Pflaume ausdörren und abbacken zu lassen. Grad so ist das Verhältnis zwischen dem grünen Walde oder der grasigen Savanne und dem öden, glühenden Estacado. Wer im Walde oder auf der Prairie bleiben kann, der soll es sich ja nicht in den Sinn kommen lassen, die Staked Plains aufzusuchen; er wäre ein Thor, wie man sich größer keinen denken kann.«
»Schön! Aber so ein Thor wollt Ihr doch jetzt wohl sein?«
»Würde mir nicht einfallen, wenn Ihr nicht dabei wäret, Mr. Shatterhand. Wer von euch ist schon in dem Llano estacado gewesen?«
Er richtete diese Frage an seine Gefährten, und als sich herausstellte, daß keiner von ihnen die Plains durchquert hatte, lieferte er eine solche Schilderung der Wüste und erzählte so viele Unglücksfälle, daß es ihnen zu grauen begann. Ich ließ ihn gewähren, weil er mir dadurch, allerdings unbewußt, in die Hände arbeitete.
Wir hatten uns nicht direkt am Wasser gelagert, sondern hinter den Büschen, welche am Ufer standen, und ich saß so, daß ich zwischen zwei Sträuchern hindurchsehen und die Breite des Flusses, also die ganze Furt, überblicken konnte. Old Surehand saß neben mir und hatte dieselbe
Aussicht. Eben erzählte Old Wabble von einem Raubanfalle, der im Llano ausgeführt worden war, und weil eine Person dabei vorkam, die ich gekannt hatte, schenkte ich dem Alten mehr Aufmerksamkeit als dem Flusse, da stieß Old Surehand mich an, deutete durch die Büsche und sagte:
»Schaut dorthin, Sir; sie kommen!«
Old Wabble hielt in seiner Erzählung inne, und wir lugten durch das Gesträuch. Am jenseitigen Ufer erschien eine berittene Comantschenschar, die wohl aus dreißig Kriegern bestand, deren Gesichter mit den Kriegsfarben bemalt waren. Einer, wohl der Anführer, stieg ab und betrachtete den Boden, jedenfalls um zu sehen, ob wir in die Furt gegangen oder seitwärts abgeritten seien. Er sah, daß das erstere der Fall war, stieg wieder auf und ritt in das Wasser; seine Leute folgten ihm nach Indianerart, einer hinter dem andern.
»Wie unvorsichtig diese Kerls sind!« meinte Old Wabble.
»Warum unvorsichtig?« fragte Parker.
»Weil sie gleich alle in den Fluß gehen und nicht erst einen herüberschicken, um sich zu vergewissern, daß wir fort sind. Nun kommen sie uns alle vor die Gewehre. Meine Kugeln stehen ihnen zu Diensten.«
Er nahm sein Gewehr schußbereit; ich aber sagte:
»Es wird nicht geschossen, Sir. Ich habe sie hier erwartet, nicht um sie zu töten, sondern um sie von unsrer Verfolgung abzubringen. Wenn sie umkehren und von uns lassen, ist es für uns ebensogut und noch besser, als wenn wir sie erschießen. Sobald der erste von ihnen nahe genug ist, zeigen wir uns ihnen; ihr legt die Gewehre auf sie an, während ich mit ihnen rede, schießt aber erst in dem Falle, daß ich meinen Stutzen sprechen lasse.«
»Wie Ihr wollt,« brummte Old Wabble; »aber besser wäre es, wenn diese roten Hunde ausgelöscht würden, wie man ein Dutzend Kerzen ausbläst.«
Er war kein Indianerfreund, und also mit meinem humanen Verhalten nicht einverstanden. ich wartete, bis der Anführer uns auf zehn Pferdelängen nahe gekommen war; dann standen wir auf und traten hinter dem Gebüsch hervor. Alle unsre Gewehre richteten sich auf ihn und seine Leute. Sie sahen uns sofort.
»Uff, uff, uff, uff!« ertönten die Ausrufungen der Verwunderung, des Schreckens.
»Halt!« rief ich ihnen zu. »Wer einen Schritt weiter reitet oder seine Waffe erhebt, der wird erschossen!«
Sie hielten an; sie konnten das thun, weil ihre Pferde nicht schwammen, sondern festen Grund hatten.
»Uff!« rief der Anführer. »Old Shatterhand ist noch hier! Warum hat er sich versteckt und ist nicht weitergeritten, wie wir dachten?«
»Ah, habt ihr das gedacht?« fragte ich. »So habt ihr geglaubt, daß ich kein Hirn besitze und mir nicht denken könne, daß ihr uns folgen werdet!«
»Wir wollen Old Shatterhand nicht folgen.«
»Wem denn?«
»Niemandem.«
»Wohin reitet ihr?«
»Auf die Jagd.«
»Ich denke, ihr seid hier, nur um zu fischen!«
»Die meisten fischen; die übrigen jagen; wir wollen Fleisch machen, um es in unsre Wigwams zu bringen.«
»Warum wollt ihr auf dieser Seite des Flusses und nicht drüben jagen?«
»Weil wir glauben, hier mehr Wild zu finden.«
»Ja, dieses Wild sind wir.«
»Nein, dieses Wild sind die Büffel und Antilopen der Prairie und der Wasserthäler.«
»Seit wann ist es bei den roten Kriegern Sitte, sich die Gesichter mit Farben zu bemalen, wenn sie nur beabsichtigen, auf die Jagd zu gehen?«
»Seit – – seit – – seit – – –« er fand keine passende Antwort und rief mir darum zornig zu:
»Seit wann ist es bei den Kriegern der Comantschen Sitte, jedem Bleichgesichte Rechenschaft darüber zu geben, was sie thun oder nicht thun wollen?«
»Seit Old Shatterhand diese Rechenschaft verlangt! Ich habe Vupa Umugi, euerm Häuptlinge, gesagt, daß ich ein Freund der roten Männer bin, aber keine Gnade walten lasse, wenn ich angegriffen werde.«
»Wir wollen Euch nicht angreifen!«
»So kehrt sofort um!«
»Das thun wir nicht, sondern wir reiten an Euch vorüber auf die Jagd!«
»Versucht es! Es wird keiner von euch vorüber kommen, sondern der Fluß wird alle eure Leichen abwärts treiben und an das Ufer werfen.«
»Uff! Wer hat hier zu gebieten, Old Shatterhand oder die Krieger der Comantschen?«
»Old Shatterhand. Ihr seht alle unsre Gewehre auf euch gerichtet; ich darf nur wollen, so gehen sie alle los, und auch meine Zauberbüchse wird zu euch reden. Ich gebe euch die Zeit, welche wir Weißen fünf Minuten nennen; wenn ihr dann eure Pferde nicht zur Rückkehr gewendet habt, wird keiner von euch überhaupt zurückkehren können. Ich habe gesprochen!«
Ich nahm den Stutzen zur Hand, und wenn ich ihn auch nicht anlegte, was auf die Dauer von fünf Minuten ermüdet hätte, so hielt ich ihn doch so, daß seine Mündung gerade auf den Anführer gerichtet war. Er drehte sich im Sattel um und sprach einige leise Worte mit den hinter ihm im Wasser Haltenden; dann wendete er sich mir wieder zu und fragte:
»Wie lange wird Old Shatterhand hier am Flusse bleiben?«
»So lange, bis ich weiß, daß die Söhne der Comantschen nichts Böses gegen uns vorhaben.«
»Das kann er jetzt schon wissen!«
»Nein. Wir werden uns voneinander trennen und dieses Ufer weit hinauf und weit hinab besetzen; so sehen wir jeden Comantschen, der etwa herüber will. Ein Schuß genügt, um uns in kürzester Zeit zu vereinigen und euch zurückzutreiben. Wenn wir dann morgen abend überzeugt sind, daß eure Krieger nicht versucht haben, an dieses Ufer zu gelangen, werden wir überzeugt sein, daß ihr den Frieden wollt, und dann diese Gegend verlassen, in die wir nur gekommen sind, Old Surehand zu befreien.«
»Uff! Bis morgen abend; das ist lange!«
»Für uns nicht; wir haben Zeit.«
»Ihr werdet dann wirklich gehen?«
»Ihr werdet uns dann nicht mehr sehen; ich habe es gesagt, und ich halte mein Wort.«
»Und Ihr seid nur nach dem Saskuan-kui gekommen, um Old Surehand zu befreien?«
»Ja.«
»Aus keinem andern Grunde?«
»Nein; ich sage es.«
Diese Versicherung konnte ich geben, ohne mich einer Lüge schuldig zu machen. Ich hatte geradewegs nach dem Llano estacado gewollt, und dieser Weg hätte mich nicht nach dem ›blauen Wasser‹ geführt.
Er wechselte wieder einige Worte mit seinen Hintermännern und machte dann noch einen Versuch mit mir:
»Old Shatterhand droht, weil er uns nicht glaubt; wenn wir dennoch vorwärts reiten, wird er doch nicht schießen!«
»Ich werde schießen, und ich gebe dir mein Wort, du wirst der erste sein, der meine Kugel in den Kopf bekommt. Wenn du trotz dieser Versicherung es versuchen willst, so habe ich nichts dagegen. Übrigens haben wir nicht länger zu warten, denn die fünf Minuten sind bereits abgelaufen.«
»Uff! So reiten wir zurück; aber wehe Old Shatterhand und seinen Bleichgesichtern, wenn sie in der Zeit bis morgen abend es wagen sollten, nach dem ›blauen Wasser‹ zu schleichen. Auch wir werden unser Ufer besetzen und jeden von euch töten, der sich an demselben sehen läßt. Auch ich habe gesprochen. Howgh!«
Sie kehrten um und verschwanden einer nach dem andern jenseits der Furt hinter dem Gesträuch. Ich wendete mich zu Old Wabble:
»Nun, Mr. Cutter, was sagt Ihr jetzt? Ist das nicht ein prächtiger Erfolg?«
»Erfolg? Sogar prächtig? Ich glaube überhaupt an keinen Erfolg.«
»Sie sind doch fort!«
»Werden aber wiederkommen!«
»Fällt ihnen nicht ein!«
»Sie kommen wieder, sage ich Euch. Sie werden an einer andern Stelle herüberschwimmen.«
»Um sich von uns erschießen zu lassen?«
»Wollt Ihr das wirklich thun, was Ihr gesagt habt, nämlich das Ufer auf- und abwärts besetzen?«
»Nein; das war nur eine Drohung.«
»So werden sie also herüberkommen und uns folgen!«
»Ich sage Euch, daß sie drüben bleiben werden, weil sie meine Drohung für wahr halten.«
»Da wären sie dumm!«
»Dumm oder nicht; sie werden bleiben; das könnt Ihr ja ihrer Drohung entnehmen.«
»Welcher Drohung?«
»Daß auch sie ihr Ufer besetzen werden. Übrigens nehmen sie jetzt als gewiß an, daß wir nur wegen Mr. Surehand gekommen sind und also nichts weiteres gegen sie im Schilde führen. Wir sind sicher vor ihnen.«
»Aber wenn sie ihr Ufer besetzen, werden sie merken, daß das unsrige unbesetzt ist, und dann kommen sie unbedingt herüber; th'is clear!«
»Ja, sie werden es bemerken, aber nicht so schnell, wie Ihr denkt. Sie sind zur größten Vorsicht gezwungen. Herüberschwimmen können sie nicht, um sich zu überzeugen; das wäre höchst gefährlich für sie. Herübersehen? Das ist zu weit und würde auch nichts nützen, weil unsre Posten, wenn wir hier blieben, doch nicht offen zur Schau ständen, sondern so klug wären, sich zu verstecken. Dann kommt noch ein dritter Fall in Betracht. Könnt Ihr Euch den denken?«
»Ich? Hm, nein. Aber ich möchte gern wissen, ob Mr. Surehand sich diesen unbekannten Fall denken kann.«
Die Absicht des Alten bei diesen Worten war natürlich, den Scharfsinn Old Surehands auf die Probe zu Stellen, und ich nahm an, daß dieser sich nicht darauf einlassen werde; aber der riesige Jäger klopfte ihm auf die Achsel und sagte mit einem vergnügten Lächeln:
»Wollt Ihr ein Examen mit mir anstellen, alter Wabble? Das macht mir Spaß!«
»Freut mich sehr, daß es Euch nicht beleidigt, sondern im Gegenteile ergötzt. Wenn man Mr. Shatterhand so reden hört, sollte man meinen, daß er allwissend sei; ist es da ein Wunder, wenn man gern erfahren möchte, ob Old Surehand auch etwas weiß?«
»Den Gefallen kann ich Euch wohl thun, Mr. Cutter. Ich weiß auch etwas.«
»Was?«
»Der dritte Fall, den Mr. Shatterhand meint, ist folgender: Die Roten wollen sich überzeugen, ob wir dieses Ufer wirklich besetzt halten. Sehen können sie es nicht; grad herüber dürfen sie auf der Strecke nicht, auf welcher wir uns wahrscheinlich ausbreiten; also gehen sie über diese Strecke hinaus, schwimmen dort über den Fluß und schleichen sich hüben am Ufer hin, um unsre Posten zu entdecken.«
»Und wenn sie keine finden, Sir?«
»So wissen sie allerdings, daß wir fort sind und sie nur geäfft haben.«
»Dann tritt aber doch das ein, was ich meine: Sie werden uns nachreiten und des Nachts überfallen!«
»Das müssen wir allerdings gewärtig sein,« gab Old Surehand dem Alten zu.
Er hatte bewiesen, daß er Scharfsinn besaß und mich verstand und erriet; seinen letzten Worten aber konnte ich meinen Beifall nicht geben; ich widersprach also:
»Nein, das müssen wir nicht gewärtig sein, Mr. Surehand. Es ist vollständig unmöglich, daß die Roten uns bis zum Abende einholen.«
»So? Wenn Ihr es denkt und sagt, wird es wohl richtig sein.«
»Es ist richtig. Wir müssen die Zeit berechnen. Wir haben nach dem Stande der Sonne jetzt genau neun Uhr vormittags. Es vergeht eine Stunde, bis die Comantschen, welche hier waren, das Saskuan-kui erreichen. Sie haben zu berichten, zu erzählen, Vorwürfe anzuhören; dann wird Beratung gehalten, und eine solche Beratung wird nicht in kurzer Zeit beendet.«
»Ja, Sir; jetzt verstehe ich Euch. Sagen wir: Zur Berichterstattung und Beratung sind zwei Stunden nötig.«
»Gut; dann ist es zwölf Uhr. Sie kommen her – ist ein Uhr. Sie besetzen den Fluß aufwärts und abwärts – wieder eine Stunde, also zwei Uhr. Dann gehen Späher ab, um hoch oben oder tief unten den Fluß zu überschwimmen. Wie lange brauchen sie, um hüben zu sein? Doch wenigstens wieder eine Stunde – – drei Uhr. Sie schleichen sich diesseits am Ufer entlang, was sie außerordentlich vorsichtig, also sehr langsam, thun müssen. Wie lange wird es wohl währen, bis das ganze Ufer vergeblich nach uns abgesucht worden ist?«
»Gewiß drei Stunden.«
»Sagen wir nur zwei; dann ist es schon fünf Uhr. Nun wieder Beratung; es werden Leute ausgesucht, die unsrer Fährte zu folgen haben. Auch dieses kann nur sehr vorsichtig und unter großem Zeitverluste geschehen, denn die Roten haben mit der Möglichkeit zu rechnen, daß wir diese Gegend gar nicht verlassen, sondern einen Bogen geschlagen haben, um sie zu täuschen und von einer andern Seite heimlich zurückzukehren. Ich schätze, daß wenigstens wieder eine Stunde vergeht, ehe die Comantschen sich überzeugt haben, daß wir wirklich fort sind. Es ist also, wenn die eigentliche Verfolgung beginnt, schon sechs Uhr geworden; das ergiebt, wenn wir jetzt gleich fortreiten, einen Vorsprung von wenigstens neun Stunden. Ist es da möglich, daß wir eingeholt werden?«
»Pshaw! Auf keinen Fall!«
»Sie bekommen höchstens die Spuren zu sehen, die wir binnen jetzt und zwei Stunden machen; morgen erkennen sie dann gar nichts mehr und können nicht wissen, wohin wir sind. Wenn wir jetzt also zwei Stunden weit westlich reiten und sie folgen uns, werden sie annehmen, wir seien dahin zurückgekehrt, woher wir gekommen sind. Diese ihre Meinung bekommt einen weitern Anhalt dadurch, daß sie glauben, wir seien nur zu Eurer Befreiung hierher gekommen; wir haben diesen Zweck erreicht und sind wieder fort; damit werden und müssen sie sich beruhigen. Meint Ihr nicht, Mr. Surehand?«
»Eure Berechnung ist allerdings sehr richtig,« nickte er zustimmend, fügte aber doch nachdenklich hinzu: »wenn sie nicht dadurch auf den richtigen Gedanken geführt werden, daß sie das Ufer unbesetzt gefunden haben.«
»Auf welchen Gedanken?«
»Daß wir ihnen doch ein Schnippchen geschlagen haben.«
»Auf diesen Gedanken werden sie allerdings kommen; aber sie werden nicht das richtige, sondern ein falsches Schnippchen erraten. Sie werden nämlich nicht denken, daß wir wieder zurück sind, sondern überzeugt sein, daß wir den Fluß nur deshalb so schnell verlassen haben, um, während sie hier unnütz nach uns suchten, einen tüchtigen Vorsprung zu bekommen und ihrer Verfolgung zu entgehen. Ja, wenn sie ahnten, daß wir wissen, wohin sie wollen!«
»Das ahnen sie nicht. Ihr habt recht. Wenn wir jetzt aufbrechen, können wir schon nach zwei Stunden wieder umbiegen; sie werden das nicht bemerken.«
»Ich bin übrigens der Überzeugung, daß sie sich jetzt noch drüben an der Furt befinden. Wir dürfen also unsre Pferde leider nicht trinken lassen. Sie würden das sehen und daraus schließen, daß wir fort wollen. Die Tiere werden aber trotzdem bald Wasser haben, denn ich schlage nicht den Weg ein, den wir gekommen sind, sondern wir suchen das Flüßchen auf, an welchem die zwei Comantschen abwärts ritten. Warten wir nicht länger; es ist Zeit.«
Wir brachen auf und ritten den Fluß abwärts, wobei wir so viel Gebüsch wie möglich zwischen ihm und uns liegen ließen, um von etwaigen jenseitigen Spähern nicht gesehen zu werden. Als wir nach ungefähr einer Stunde die Mündung des erwähnten Flüßchens erreichten, bogen wir in das Thal desselben ein, um, nachdem wir unsre Pferde hatten trinken lassen, am Wasser aufwärts zu reiten. Unsre Richtung war also westlich, während wir nach Osten wollten.
Während dieses Rittes fand ich keine Zeit, mich mit Old Surehand allein zu unterhalten; ich wurde von andern Personen in Anspruch genommen. Die Erzählungen Old Wabbles über die Schrecken des Llano estacado hatten nämlich auf seine Zuhörer tiefen Eindruck gemacht. Kaum hatten wir die Furt verlassen, so mußte er weiter schildern. Ich machte meine Bemerkungen dazu und wurde infolgedessen gebeten, auch zu erzählen, was ich mit großem Vergnügen that. Zu meiner heimlichen Genugthuung bemerkte ich bald, daß der beabsichtigte Erfolg nicht ausblieb; die Leute wurden nachdenklich und immer nachdenklicher. So, wie ich ihn schilderte und der alte Wabble ihn vorher beschrieben hatte, hatten sie sich den Estacado doch nicht vorgestellt, und es kam ihnen höchst gefährlich vor, eine solche Gegend aufzusuchen. Das sagten sie freilich nicht, aber ich sah es ihnen an; sie warfen einander Blicke zu, die mir ihre Gedanken verrieten.
Wenn ich diese Leute los sein wollte, mußte es bald geschehen. Der beste Zeitpunkt, uns von ihnen zu trennen, war der, wenn wir nach den abgelaufenen zwei Stunden aus unsrer jetzigen Richtung abbogen. Ich fuhr also in meinen Erzählungen, die nicht etwa Übertreibungen waren, so lange fort, bis diese Zeit fast verflossen war; dann zog ich mich zurück, um ihnen Gelegenheit zu geben, ihre Meinungen ohne Zeugen auszutauschen. Diese Diplomatie führte zum gewünschten Ziele. Sie hielten sich zusammen und sprachen heimlich miteinander. Ich sah, daß einer dem andern zusprach und aufmunterte, wozu, das konnte ich mir denken.
Ich wußte, daß wir nun bald einen kleinen, schmalen Bach erreichen würden, der von links her in das Flüßchen lief. Das war die geeignete Stelle, abzubiegen, weil der Bach uns Gelegenheit bot, unsre Spuren zu verbergen. Darum hielt ich eine kurze Strecke vorher an und sagte:
»Mesch'schurs, die zwei Stunden sind vorüber, und wir haben es nun nicht mehr nötig, westwärts zu reiten. Seid Ihr auch derselben Ansicht?«
Old Surehand, Old Wabble, Parker und Hawley waren einverstanden; die übrigen wurden verlegen; sie sahen einander an; der eine stieß den andern an; dieser gab den Stoß weiter, bis der Mutigste von ihnen dieser fühlbaren Aufforderung folgte und auf die Gefahr hin, unsre Mißbilligung zu erhalten, die Unterhandlung mit der an mich gerichteten Frage begann:
»Seid Ihr schon einmal in El Paso del Norte gewesen, Sir?«
»Einige Male,« antwortete ich.
»Wie lange bringt man wohl zu, um von hier aus nach dort zu kommen?«
»Wer die Gegend genau kennt und gut beritten ist, kann in fünf bis sechs Tagen dort sein. Warum fragt Ihr mich nach diesem Orte, Mr. Wren?«
Dies war nämlich der Name des Mannes. Er antwortete:
»Das möchte ich Euch gern sagen, wenn ich wüßte, daß Ihr nicht schlecht von uns denkt.«
»Schlecht von Euch denken? Wie sollte ich das! Habt Ihr etwas Schlechtes begangen oder etwas Schlechtes vor?«
»Keine Rede davon! Wir haben allerdings etwas vor; es ist nichts Schlechtes, kann aber von Euch doch mißverstanden werden.«
»So sagt es mir! Dann wird es sich zeigen, ob ich es richtig oder falsch verstehe.«
»Ja, ich will es Euch sagen. Es ist nämlich – – hm! es ist eine – – hm, hm!«
Er fuhr sich mit der Hand an den Hals; er kratzte sich hinter dem Ohre; es wollte gar nicht so grad heraus, wie es sollte. Dann fuhr er auf einem Umwege fort:
»Ihr wißt, daß wir eigentlich nach Texas hinunter wollten; aber wir haben es uns anders überlegt.«
»So?«
»Ja, so! Als Ihr gestern abend mit Mr. Cutter vom Lagerplatze fort waret, haben wir davon gesprochen. In El Paso und jenseits des Norte ist doch mehr für uns zu finden als in Texas. Meint Ihr nicht?«
»Was ich meine, das ist Nebensache; es kommt nur darauf an, was Ihr davon denkt.«
»Richtig, sehr richtig! Wir denken eben, daß es besser ist, wenn wir nach El Paso oder überhaupt über den Rio del Norte gehen.«
»Das sagt Ihr in einem Tone, als ob es einer Entschuldigung bedürfe, Mr. Wren?«
»Allerdings. Wir sollten doch mit Euch nach dem Llano estacado.«
»Ihr solltet? Ich habe gedacht, Ihr wolltet!«
»Ja, wir wollten, haben es uns aber anders überlegt. Hoffentlich denkt ihr nicht etwa von uns, daß wir uns vor dem Llano fürchten?«
»Warum sollte ich das denken? Weil Ihr Euern Entschluß geändert habt? Ihr seid doch freie Männer und könnt also thun, was Euch beliebt.«
»Freut mich sehr, daß Ihr diese Meinung hegt. Es hätte uns sehr leid gethan, wenn Ihr uns für mutlos gehalten hättet. Also Ihr habt nichts dagegen, daß wir uns von Euch trennen?«
»Nichts, gar nichts. Aber sagt, wann diese Trennung stattfinden soll!«
»Jetzt.«
»Was? Gleich jetzt?«
»Ja.«
»Warum so plötzlich?«
»Weil wir sonst Zeit versäumen und einen großen, ganz unnötigen Umweg machen. Ihr wollt ja umkehren.«
»Ja, das ist wahr. Wenn Ihr nach dem Rio Grande del Norte wollt, müßt Ihr in dieser Richtung weiterreiten.«
»Und weil Ihr umkehren wollt, müssen wir uns hier von Euch trennen. Das muß geschehen, so leid uns diese Trennung thut. Sie wird uns nur dadurch erleichtert, daß Ihr sie uns nicht übel nehmt.«
Ȇbel nehmen? Kann mir gar nicht in den Sinn kommen.
»Ihr seid auf Euer Wohl bedacht, und das zu thun, ist jedes Menschen Recht und Pflicht.«
Old Wabble hatte mit der gleichgültigsten Miene zugehört, nicht so aber Parker und Hawley; ihre Gesichter drückten zorniges Erstaunen aus. Als ich meine letzten Worte gesagt hatte, fiel Parker eifrig ein:
»Recht und Pflicht? Das sagt Ihr so gelassen, Sir? Diese Leute haben versprochen, mit uns nach dem Llano estacado zu reiten, und ihre Pflicht ist es, ihr Wort zu halten, ebenso wie es unser Recht ist, die Ausführung ihres Versprechens zu verlangen. Sie denken gar nicht daran, nach EI Paso zu gehen. Wißt Ihr, warum sie nicht mit umkehren wollen, Mr. Shatterhand?«
»Nun?«
»Weil sie sich vor dem Llano fürchten; das ist es!«
»Fällt uns nicht ein!« rief Wren. »Von Furcht ist keine Rede.«
»Oho! Ihr sagt, Ihr hättet gestern abend davon gesprochen, nach EI Paso anstatt nach Texas zu gehen. Davon müßte ich doch etwas wissen, weil ich während der ganzen Zeit den Lagerplatz nicht verlassen habe; ich habe aber kein einziges Wort gehört.«
Jos Hawley stimmte ihm bei. Der Wortstreit ging eine Weile hin und her, bis ich den beiden Genannten einen heimlichen, nicht mißzuverstehenden Wink gab und den Abtrünnigen beipflichtete:
»Jedermann kann thun und lassen, was er will und was ihm beliebt. Wenn diese Gentlemen sich von uns trennen wollen, so haben wir kein Recht, sie daran zu hindern. Ja, wir sind sogar verpflichtet, sie darin zu unterstützen.«
»Auch noch unterstützen!« zürnte Parker. »Worin soll diese Unterstützung denn bestehen?«
»Darin, daß wir sie mit Proviant versorgen.«
»Daß wir dumm wären! Fällt uns gar nicht ein!«
Old Wabble mochte ahnen, warum ich mich in dieser Weise verhielt, denn er sagte jetzt zu Parker:
»Dumm? Wer ist dumm, Sir? Doch wohl derjenige, der nicht weiß, wer über den Proviant zu verfügen hat! Und wer hat darüber zu verfügen? Doch wohl der, der ihn gebracht hat! Und wer hat ihn gebracht? Ich! Und ich sage Euch, daß ich diesen Leuten so viel Fleisch mitgebe, wie wir entbehren können. Ob sie aus Angst oder aus einem andern Grunde von uns gehen, das ist mir gleich. Sie bekommen Fleisch, weil sie unterwegs essen müssen; th'is clear. Also wer fort will, der mag es sagen, damit man weiß, woran man ist!«
Sie wollten alle fort, Parker und Hawley ausgenommen, welche erklärten, sich zu schämen, daß sie mit solchen Memmen bisher geritten seien. Das Ende vom Liede war, daß die acht Männer einen Vorrat Fleisch bekamen und dann nach einem kurzen, nicht eben zärtlichen Abschied weiterritten. Hawley war still; Parker aber räsonnierte hinter ihnen her. Ich fragte ihn: »Ich denke, Ihr habt vorhin meinen Wink gesehen. Habt Ihr ihn auch verstanden?«
»Ja.«
»Was hatte er zu bedeuten?«
»Daß ich die Kerls ruhig laufen lassen soll.«
»Warum thut Ihr das nicht?«
»Weil ich mich über sie ärgere.«
»Euer Ärger ist überflüssig und gar nicht maßgebend. Wir andern freuen uns darüber, daß wir sie los sind. Wir werden in Lagen kommen, wo wir ganze Männer, aber keine Memmen brauchen können. Und wenn der Ausdruck Memme zu stark sein sollte, so waren sie doch auch nicht Personen, auf welche man sich verlassen kann.«
Da ging ein freundlicher Zug über sein Gesicht, und er fragte im Tone der Befriedigung:
»Und mich schickt Ihr nicht fort?«
»Nein.«
»So seid Ihr also der Ansicht, daß Ihr Euch auf mich verlassen könnt?«
»Hm! Ich bin der Ansicht, daß ich Euch wahrscheinlich als einen zuverlässigen Mann kennen lernen werde. So ist die Sache.«
»Also erst kennen lernen!« betonte Old Wabble, indem er seine Glieder lachend durcheinander schüttelte. »Gebt Euch also Mühe, Mr. Parker, daß Ihr bei dem nächsten Elk nicht daneben schießt!«
»Diese Ermahnung ist vollständig überflüssig, Mr. Cutter. Ich habe bisher noch jeden Elk getroffen.«
»Auch den ersten damals?«
»Ja.«
»Das möchte ich bezweifeln.«
»Ihr wißt es ja; ich habe es bewiesen.«
»Ja, es ist bewiesen, was Ihr damals getroffen habt, vollständig bewiesen. Wißt Ihr, was?«
»Nun, was?« fragte Parker, jetzt über das Gebaren des Alten aufmerksam werdend.
Dieser kniff sein Gesicht in noch mehr Falten, als es so schon hatte, machte das eine Auge zu, riß das andre weit auf, schlotterte mit den Armen durch die Luft und antwortete dann:
»Einen Esel habt Ihr geschossen, einen Esel! Hahahaha!«
»Wie – – wa – wa – was? Einen Esel?«
»Ja, einen Esel, oder vielmehr ein Tier, welches Ihr für einen Esel hieltet, welches aber eigentlich ein Elkkalb oder ›das junge Kind des Elkes‹ war!«
Er betonte die fünf durch Gänsefüßchen eingeschlossenen Worte besonders stark, indem er sie zugleich sehr langsam aussprach.
»Das junge Kind – – des – – des – – – alle Wetter, was wollt Ihr damit sagen?«
»Daß Ihr damals geflunkert habt. Es ist Euch gar nicht eingefallen, den Elk zu schießen; Ihr seid vielmehr vor ihm gewaltig ausgerissen!«
»Aus – – ge – – ris – – – sen – – –?!«
»Ja, ausgerissen!«
»Das ist eine Verleumdung, die – die – die –!«
»Was denn, die – die – die – – –? Seid Ihr etwa nicht in das Loch gekrochen, in welches dann das Untier den Kopf steckte und Euch so gewaltig anschnaufte, daß Euch fast der Verstand verloren ging?«
»Loch? Was – – für – – ein – – Loch?«
»Das Loch in der Steinwand, in welchem Ihr so schnell verschwandet, wie Ihr in Euerm ganzen Leben noch nie in ein Loch gekrochen waret!«
Parker holte tief, tief Atem und sagte, vor Verlegenheit fast stammelnd:
»Mr. Cutter, ich weiß nicht, was Ihr wollt. Ich verstehe Euch nicht. Ihr habt doch den Elk, den ich geschossen hatte, mit Euern eignen Augen gesehen!«
»Ja, mit meinen eignen Augen, aber den Elk, den der Häuptling der Panashts geschossen hatte!«
»Der Pa – – nashts? Der Teufel soll mich holen, wenn ich im stande bin – –«
»- einen Elk zu schießen?« fiel ihm der Alte in die Rede. »Ja, das glaube ich nicht nur, sondern ich bin sogar sehr überzeugt davon. Der Häuptling schenkte Euch den Elk dafür, daß Ihr ihn vor mir gewarnt hattet, und erlaubte Euch, zu sagen, Ihr hättet ihn geschossen. Ist es so oder nicht, Mr. Parker?«
»Wenn – – wenn – – und – – und – – und – –« stotterte der Gefragte in größter Bedrängnis.
»Antwortet mir nicht mit ›wenn‹ und ›und‹, sondern richtig, wie es sich gehört!«
»Ich antworte ja richtig, ganz richtig! Man muß Euch ein Märchen aufgebunden haben!«
»Ein Märchen? ja, es schien mir allerdings damals ein Märchen zu sein, als Ihr den Elk brachtet und behauptetet, er sei von Euch geschossen worden. So ein ausgemachtes, in Marmor gehauenes Greenhorn, wie Ihr damals waret, und ein Elk, ein so riesiger, gewaltiger Elk! Ich glaubte es aber doch, weil Ihr dann später zufällig, ganz zufällig Glück im Schießen hattet. Jetzt aber ist's mit dem Glauben vorbei, ganz und gar vorbei.«
»Ich habe ihn geschossen! Wer ist denn der Halunke, der Euch so angelogen hat?«
»Der Halunke? Angelogen? Richtig, ganz richtig! Der Halunke seid ihr, Ihr selbst, Mr. Parker.«
»Ich? Was? Ich?!«
»Ja, Ihr selbst! Oder wollt Ihr leugnen, daß Ihr es selbst erzählt und eingestanden habt?«
»Ich selbst? Wem und wo?«
»Euern Gefährten, die vorhin fortgeritten sind; droben jenseits des Mistake-Cañon im Soldatenlager.«
»Ah, die, die haben es gesagt! Schade, daß sie fort sind! Sie müßten diese Lüge eingestehen und mich um Verzeihung bitten. Wer hat es Euch denn wieder erzählt?«
»Wren, der brave Wren, der vorhin das große Wort der Feigheit so beredt führte.«
»Wann?«
»Heut nacht, als wir die Wache miteinander hatten und uns die Zeit mit Geschichten verkürzten.«
»Mit Lügen, müßt Ihr sagen!«
»Oho! Ihr glaubt, leugnen zu können, weil diese Leute fort sind. Es sind noch andre da.«
»Wer denn, wer?«
»Mr. Shatterhand und Jos Hawley hier; die haben auch dabei gesessen, als Ihr es erzähltet. Ist das wahr, oder ist es nicht wahr, Jos?«
Diese Frage an mich zu richten, das wagte der Alte nicht. Ich hätte mit einem Scherze geantwortet. Der ehrliche Hawley aber erklärte sehr ernst:
»Ja, er hat es erzählt; er hat den Elk damals nicht geschossen. Was wahr ist, das muß wahr sein.«
Da fuhr ihn Parker zornig an:
»Halte den Schnabel, alter sheeps-head! Wie kannst du behaupten, daß es wahr ist!«
»Weil du es selbst erzählt hast.«
»So ein Unsinn! Selbst erzählt! Muß es darum wahr sein, he?«
»Ich denke!«
»Da giebt es nichts zu denken, ganz und gar nichts. Man erzählt so manches, was sich ganz anders zugetragen hat.«
»Warum sollte man es anders erzählen?«
»Weil man es nicht richtig weiß, oder weil man sich einen Spaß machen will, und das war bei mir der Fall.«
»Keine Ausrede!« fiel da Old Wabble ein. »Kein Westmann wird erzählen, daß er ein Wild, noch dazu einen Riesenelk, nicht getroffen habe, wenn er ihn getroffen hat. Und Ihr seid gar über diese Selbstverleugnung noch weit hinausgegangen, indem Ihr gesagt habt, ein Roter habe ihn geschossen. Ich weiß, woran ich bin. Die Sache ist zu Ende, und wir haben jetzt an wichtigere Dinge zu denken. Wir kehren hier also um, Mr. Shatterhand?«
»Hier nicht, sondern eine Strecke weiter oben.«
»Warum noch weiter hinauf?«
»Dort giebt es ein fließendes Wasser, welches seitwärts führt. Wenn wir in demselben reiten, bleiben den Roten, falls sie ja noch vor Abend kommen sollten, unsre Spuren vollständig verborgen.«
»Wie klug! Sie werden den Spuren unsrer acht ungetreuen Kameraden folgen und denken, wir sind noch bei ihnen, während wir doch seitwärts abgewichen sind. Das ist ein so guter Gedanke, daß man ihn in einem Buche drucken lassen sollte; th'is clear!«
Es dauerte nur noch zehn Minuten, bis wir den Bach erreichten und ihm in der Weise aufwärts folgten, daß wir die Pferde in seinem Wasser waten ließen. Dabei sagte Old Wabble zu mir:
»Sir, glaubt Ihr es mir, daß ich jetzt eine Eurer Pfiffigkeiten erraten habe?«
»Welche denn?«
»Daß wir mit den acht Kerls nicht bis herauf an dieses Wasser geritten sind. Ihr hieltet wohlbedachter Weise schon weiter unten an.«
»Warum das?«
»Der Verfolger wegen. Wenn sie kommen, werden sie da, wo wir halten geblieben sind, absteigen und die Stelle untersuchen, um zu erfahren, warum wir angehalten haben. Oder nicht, Mr. Shatterhand?«
»Ja.«
»Well! Hätten wir am Bache Halt gemacht, so wäre diese Stelle von ihnen genau geprüft worden, und dabei hätten sie sehr wahrscheinlich bemerkt, daß da fünf Reiter von den dreizehn ihre Pferde in das Wasser gelenkt haben; unsre jetzige, neue Fährte wäre also entdeckt worden. Um das zu vermeiden, habt Ihr dafür gesorgt, daß die Trennung schon vorher geschah. Habe ich recht, Sir?«
»Ja, Ihr habt mich erraten, Mr. Cutter. Es kann uns nur von Nutzen sein, wenn wir uns auch fernerhin so gut verstehen.«
Das Laufen im Wasser wurde den Pferden schwer, weil die Breite und Tiefe desselben oft schnell wechselte; dennoch ließen wir wohl gegen eine Stunde vergehen, ehe wir sie heraus auf den trockenen Boden lenkten. Das thaten wir an einer felsigen Stelle, wo kein Hufstapfen zurückgelassen werden und uns verraten konnte. Damit war aber der Vorsicht volle Genüge geschehen, und wir konnten überzeugt sein, alles gethan zu haben, um eine Entdeckung zu verhüten. Das Wasser hatte uns in der verflossenen Stunde südwärts geführt; wir verließen es nun und lenkten nach Osten ein, um den Rio Pecos wieder zu erreichen. Das mußte nach meiner Berechnung an einer Stelle geschehen, welche volle zwei Stunden von der Furt entfernt lag, und es stand also, wenn nicht ein unglücklicher Zufall eingetreten war, zu erwarten, daß wir auf keinen Comantschen treffen würden.
Die beiden Wasserthäler, in denen wir uns bis jetzt aufwärts bewegt hatten, waren vielen Krümmungen gefolgt. Jetzt ritten wir abwärts, und weil wir da eine schnurgerade Linie einhalten konnten, brauchten wir natürlich viel weniger Zeit als aufwärts. Es war ungefähr halb zwei Uhr, als wir den Rio Pecos wieder erreichten. Wir suchten und fanden bald eine Stelle, deren ruhig fließendes Wasser das Hinüberschwimmen erleichterte, und dann ging es im Galoppe auf der ebenen Prairie dahin, welche zwischen dem Pecos und der früher erwähnten Hügelreihe liegt. Da dieser Höhenzug nicht parallel mit dem Flusse geht, sondern sich bald dem Flusse nähert und bald wieder von ihm entfernt, so ist die Savanne nicht von sich gleichbleibender Breite. Bald wird sie so zusammengedrängt, daß sie nur einen schmalen Streifen bildet, und bald dehnt sie sich in endlos scheinender Weite vor dem Blicke aus. Wir fegten wie im Sturme über die grasige Ebene dahin, und es war eine wahre Lust, das lange, schneeweiße Haar Old Wabbles und die fast noch längere braune Mähne Old Surehands im Winde fliegen zu sehen. Der letztere ritt einen mexikanischen Fuchs spanischen Blutes, welcher es zwar mit meinem Rappen nicht aufnehmen konnte und, der Schwere seines Reiters angemessen, stark gebaut war, aber den langen Galopp doch spielend überwand.
Old Surehand und Old Wabble, zwei solche Reiter an meiner Seite! Ich warf, einen Jauchzer ausstoßend, den Hut hoch in die Luft und fing ihn im jagen wieder auf.
»Ihr scheint recht guter Laune zu sein,« meinte Old Surehand lächelnd.
»Ja,« antwortete ich. »Und sie wird noch besser werden, wenn erst Winnetou bei uns ist. Sein schwarzer Schopf ist köstlich. Dann fliegen drei Mähnen um mich her.«
»Wann werden wir ihn treffen?«
»Das ist noch ungewiß. Er ist, wie ich Euch schon sagte, nach dem Llano estacado voran. Ich vermute, daß wir noch heut auf einen Boten von ihm stoßen werden.«
»Wo? Ist der Ort bestimmt?«
»Nein, aber die Linie. Ich sprach ja nur von einer Vermutung. Ihr werdet das Nähere erfahren, wenn wir lagern. Winnetou weiß, daß ich in gerader Linie vom Mistake-Cañon nach der Llano-Oase reite. Wenn er einen Boten zurückgelassen hat, wird dieser auf irgend einem Punkte dieser Linie auf mich warten.«
»Befinden wir uns jetzt auf ihr?«
»Noch nicht. Ich mußte, um Euch herauszuholen, von ihr nach dem Saskuan-kui abweichen. Jetzt nähern wir uns ihr wieder, und in einer Stunde erreichen wir sie. Leider müssen wir wieder langsam reiten, denn Parker und Jos Hawley kommen uns nicht nach. Gegen Abend kommen wir an einen Ort, den die Apatschen Altschese-tschi nennen; das wäre für den Boten die richtige Stelle, mich zu erwarten. Er kann sich da verbergen.«
»Es giebt dort Büsche und Bäume?«
»Ja.«
»Dachte es mir!«
»Warum?«
»Weil die beiden Apatschenworte Altschese-tschi soviel wie kleiner Wald bedeuten.«
»Das wißt Ihr? Ihr seid also dieser Sprache mächtig?«
»Leidlich.«
»Das ist sehr vorteilhaft für uns. Aber ich denke, Ihr seid noch nie in einem Apatschengebiete gewesen!«
»Allerdings nicht. Meine bisherigen Jagdreviere lagen mehr im Norden. Aber ich bin mit Kennern der Apatschendialekte lange zusammen gewesen und habe von ihnen gelernt, was ich brauche. Ich freue mich außerordentlich darauf, mit Winnetou in seiner Muttersprache reden zu können. Kennt er mich dem Namen nach?«
»Sehr gut. Ich will Euch verraten, daß er eine hohe Meinung von Euch hat.«
»Danke, Sir!«
»Wir sind miteinander weit herumgekommen, bis an die Nordgrenze der Vereinigten Staaten hinauf, und es ist eigentlich zu verwundern, daß wir mit Euch kein einziges Mal zusammengetroffen sind.«
»Mir ist das sehr erklärlich, und auch Ihr werdet Euch nicht mehr darüber wundern, wenn Ihr später erfahret, wie und wo ich lebe und mich bewege.«
»Ist das ein Geheimnis?«
»Ja und nein, wie man es nimmt. Ich pflege nicht darüber zu sprechen, weil ich nicht zu denjenigen Leuten gehöre, die gern und viel überflüssige Worte machen.«
Er wendete sich halb ab, und es flog wie ein dunkler Schatten über sein bisher so heiteres Gesicht. War es dennoch ein Geheimnis, welches jetzt berührt worden war? Es wollte mir vorkommen, als ob diese Berührung ihm wehe thue. Wir schwiegen beide. Vielleicht hatte dieser körperlich und geistig seltene Mann auch ein seltsames Schicksal hinter sich. Giebt es doch nie einen Westmann, dessen Lebenslauf ein gewöhnlicher gewesen ist!
Nach der angegebenen Zeit von einer Stunde war der grüne Vegetationsstreifen des Rio Pecos längst nicht mehr hinter uns zu sehen; vor uns lag die Prairie meilen- und aber meilenweit; es gab rings keinen Punkt, an welchem das Auge den Halt zu einer Berechnung finden konnte, und dennoch wußte ich, daß ich mich nun auf der vorhin erwähnten Linie befand. Das war der Örtlichkeitssinn oder vielmehr der Ortsinstinkt, der dem Wandertiere eigen ist und ohne den auch der Westläufer in hundert und wieder hundert Gefahren gerät. Wer ihn nicht besitzt, der wird entweder zu Grunde gehen oder ein Jäger niedrigster Klasse bleiben. Wir hatten nur eine kleine Wendung zu machen, um von unsrer bisherigen Tour auf diese Linie einzubiegen.
Es war jetzt drei Uhr nachmittags, und wenn jemand behauptet hätte, daß es den Comantschen möglich sei, unsre Fährte aufzufinden und uns gar nachzukommen, den hätte ich für irrsinnig gehalten. Sie konnten jetzt erst auf dem jenseitigen, rechten Ufer des Rio Pecos angekommen sein, um nach unsern Wachen oder Posten zu suchen, die aber gar nicht dastanden und nicht dagestanden hatten.
Old Surehand schien durch den letzten Teil unsres kurzen Gespräches nach innen gekehrt worden zu sein, denn er hatte sein Pferd angetrieben und ritt, den Kopf nachdenklich niedergesenkt, allein voran. Da parierte er plötzlich sein Pferd, stieg ab und untersuchte den Boden. Als wir ihn erreichten und ich seinen Augen folgte, sah ich, daß er eine Fährte entdeckt hatte, und stieg auch ab. Old Wabble folgte unsrem Beispiele, untersuchte das niedergetretene kurze Gras und sagte:
»Das sind Pferde gewesen, Mesch'schurs, sechs an der Zahl und Indianern angehörig. Die Kerls sind hintereinander geritten, aber diese meine alten Augen zählen die sechs doch ganz genau heraus. Sie sind ostwärts geritten und vor zwei Stunden hier vorübergekommen.«
Old Surehand warf mir einen Blick zu, in welchem deutlich die Bewunderung für den Alten lag, und ich gab diesen Blick zurück, denn ich hätte die Fährte wohl kaum so gut oder wenigstens nicht deutlicher zu lesen vermocht. Hier auf der offenen Savanne zeigte sich der Alte als einstiger König der Cowboys, als der Fachmann, der nicht zu täuschen war. Er hatte unsre Blicke nicht gesehen, und weil niemand sogleich antwortete, fragte er:
»Seid Ihr etwa andrer Meinung, Gents?«
»Nein,« antwortete ich. »Ihr habt ganz richtig gesehen.«
»So viel die Spur besagt, ja, Sir. Das Weitere aber muß ich Euch überlassen, weil ich die Gegend und die Roten, die sich hier herumtreiben, nicht kenne.«
»Es kann sich nur um Apatschen oder Comantschen handeln.«
»Welcher der beiden Nationen werden diese Leute hier wohl angehören?«
»Ihr fragt so bestimmt, Mr. Cutter, als ob es kinderleicht sei, darauf Antwort zu geben!«
»Weil ich annehme, daß Old Shatterhand sich den Kopf nicht zu zerbrechen braucht, um die richtige Auskunft zu finden.«
»Danke Euch für das Kompliment! Man muß nachdenken, wenn man sich auch nicht gerade den Kopf zu zerbrechen hat. Die Comantschen sind ausgezogen und befinden sich in der Nähe, da seitwärts hinter uns. Die Apatschen wissen, daß die Comantschen das Kriegsbeil ausgegraben haben; sie sehen sich zur Vorsicht gezwungen und senden also Späher aus.«
»Das ist sehr richtig, Sir; aber damit sind wir nicht weiter als vorher; th'is clear.«
»Wartet nur! Die Spur geht ostwärts; sie weist also nach dem Llano estacado. Wer aber von beiden ist es, der den Llano jetzt im Auge hat?«
»Die Comantschen.«
»Richtig! Ich bin überzeugt, daß nur ein einziger Apatsche von der Absicht der Comantschen auf den Llano weiß; das ist Winnetou. Seine Mescaleros werden durch ihn selbst oder durch einen Boten von ihm erst davon benachrichtigt. Sie können noch nicht hier sein und also auch keine Späher nach dem Llano vorausgesandt haben. Dazu kommt, daß ihre Wohnsitze von hier im Süden liegen. Wenn sie Kundschafter oder Boten direkt nach dem Llano schickten, so würde der Weg derselben nicht so weit nach Norden führen.«
»Ihr meint also, daß wir es mit Comantschen zu thun haben, Mr. Shatterhand?«
»Ja.«
»So wissen wir, woran wir sind und – –«
»Halt!« unterbrach ich ihn. »Was ich sage, ist mehr Vermutung als Überzeugung. Wir müssen Gewißheit haben. Die Sache ist so wichtig für mich, daß es uns auf eine kleine Zeitversäumnis nicht ankommen darf. Getraut Ihr Euch, diese Spur schnellreitend gut im Auge behalten zu können?«
»Welche Frage! Haltet Ihr mich für blind?«
»So steigt auf, und galoppiert fünf Minuten lang auf ihr zurück! Ich möchte gern die Richtung wissen, ob sie gerade verläuft oder auf dieser immerhin langen Strecke irgend eine Biegung macht.«
»Well, soll gleich geschehen!«
Er schwang sich auf das Pferd und jagte auf der Fährte zurück, der Richtung zu, aus welcher die sechs Reiter gekommen waren. Seine Figur wurde schnell kleiner und immer kleiner, bis sie, obgleich das Terrain vollständig eben war, unsern Augen ganz entschwand. Dann tauchte er als ein sich bewegender Punkt wieder auf, der sich immer mehr vergrößerte, bis er endlich in Lebensgröße wieder bei uns hielt.
»Nun?« fragte ich ihn.
»Sie geht wie eine Schnur immer geradeaus.«
»Das sagt mir genug. Wißt Ihr, wohin man kommt, wenn man dieser geraden Linie folgt?«
»Nach dem ›blauen Wasser‹, vermute ich.«
»Ja, nach dem Saskuan-kui. Der Häuptling Vupa Umugi hat diese sechs Leute als Späher ausgesandt. Wir müssen ihnen schleunigst nach.«
»Warum so schnell? Sie einholen?«
»Ja.«
»Das ist ein Fehler, Sir! Nehmt es mir nicht übel, aber es ist gewiß ein Fehler!«
»Warum?«
»Ihr seid doch kein Indianermörder!«
»Allerdings nicht.«
»Und wollt ihnen dennoch nach? Das widerspricht sich ja. Seht Ihr das nicht ein?«
»Worin liegt der Widerspruch?«
»Ihr wollt kein Mörder sein und wäret doch gezwungen, diese sechs Roten auszulöschen, wenn wir sie einholten. Sie dürfen nicht wissen, daß wir in dieser Gegend sind, was doch verraten würde, wenn auch nur einer von ihnen entkäme. Unsre Force liegt doch darin, daß Vupa Umugi die Überzeugung hegt, wir seien nach Westen geritten!«
»Ihr habt recht und doch nicht recht, Mr. Cutter. Es kommt auf die Umstände an, ob wir uns diesen Kundschaftern zeigen werden oder nicht. Ihr Weg führt genau nach dem Altschese-tschi, dem ›Kleinen Walde‹, wo ich, wie ich schon vorhin sagte, einen Boten Winnetous vermute. Kommen sie dort vorüber, ohne ihn zu entdecken, so ist es gut; wenn sie ihn aber bemerken, ihn selbst oder eine Spur von ihm, so greifen sie ihn an. Ein Mann gegen sechs Männer; Ihr könnt Euch den Ausgang denken. In diesem Falle ist er entweder tot oder gefangen. Findet das letztere statt, so müssen wir ihn losmachen, schon aus reiner Freundschaft für die Apatschen, und sodann auch wegen Winnetous Botschaft, die ich unbedingt hören muß, wenn es nur möglich ist. Da darf es mir auf das Leben von sechs feindlichen Comantschen nicht ankommen. Also vorwärts jetzt, Mesch'schurs!«
Wir stiegen wieder auf und jagten so schnell weiter, wie die Pferde Parkers und Jos Hawleys zu laufen vermochten.
Die Kundschafter befanden sich zwei Stunden vor uns; aber sie waren langsam geritten. Wenn sie diese Gangart beibehalten hatten und noch beibehielten, so war es möglich, daß wir sie noch vor dem Altschese-tschi einholten.
Leider aber zeigte es sich, daß die Pferde der beiden Genannten nicht mit den unsern fortkommen konnten; ich bestimmte also, daß Parker und Hawley unsrer Spur möglichst schnell folgen sollten, und ritt mit Old Surehand und dem alten Wabble voran. Von Zeit zu Zeit hielt einer von uns an, um aus den Spuren das Tempo der Reiter zu ersehen, und holte dann die andern beiden wieder ein. Da stellte sich denn bald heraus, daß die Comantschen später viel schneller geritten waren, und so schwand meine Hoffnung mehr und mehr, sie noch zur rechten Zeit ein- oder gar zu überholen, was durch einen Halbkreisritt ganz wohl möglich gewesen wäre.
Es verging eine Stunde und dann die zweite. Wir mußten die Pferde zuweilen verschnaufen lassen, indem wir langsamer ritten. Nach wieder einer halben Stunde tauchte vor uns ein dunkler Punkt am Horizonte auf. Ich deutete mit der Hand auf ihn und sagte:
»Das ist der ›Kleine Wald‹, das Ziel unsers Parforcerittes. Wollten wir geradeaus reiten, würden wir in einer Viertelstunde dort sein.«
»Das dürfen wir aber nicht,« warnte Old Wabble.
»Nein, denn die Comantschen sind wahrscheinlich nicht weiter geritten, sondern drin geblieben.«
»Wir müssen aber hin! Wie fangen wir das an?«
»Es ist ein Glück, daß ich die Örtlichkeit genau kenne. Kommt rechts nach Süd! Wir müssen einen Bogen reiten.«
Indem wir dies thaten, fragte Old Wabble weiter:
»Meint Ihr, daß wir auf diese Weise hinankommen, ohne gesehen zu werden?«
»Ja. Ihr müßt wissen, daß von den ostwärts liegenden Höhen ein Wasser kommt, welches auf der Ebene versiecht, aber später da, wo sich der Boden tiefer senkt, als ein kleiner Weiher wieder zu Tage tritt. Dieser Weiher hat einen Durchmesser von nur vielleicht fünfzig Schritten, hat aber doch einem Wäldchen das Leben gegeben, dessen Durchmesser wenigstens zehnmal größer ist. Das ist Altschese-tschi, der ›kleine Wald‹, dessen westliche und östliche Seite ziemlich licht ist, während er an den beiden andern Seiten so dicht steht, daß man, besonders auf der südlichen, kaum durchzudringen vermag. So war es, als ich mich vor drei Jahren zum letztenmale hier befand, und so wird es wohl auch heute noch sein.«
»Hm!« brummte der Alte. »In drei Jahren kann sich viel verändern, was hier, wo es sich um unser Leben handeln kann, außerordentlich wichtig ist!«
»Wenn eine Veränderung eintrat, so besteht sie wohl nur darin, daß der Wald dichter geworden ist, was uns nicht anders als lieb sein kann. Weil die südliche Seite die bewachsenste ist, so reiten wir in einem Bogen nach ihr. In dem dortigen Gestrüpp nimmt kein Mensch seinen Aufenthalt, und darum glaube ich, daß wir uns da am besten annähern können, ohne gesehen zu werden. Wenn wir nicht die Nacht abwarten wollen, so weiß ich keine andre Weise, das Wäldchen zu erreichen.«
»Well, so müssen wir es eben versuchen und uns darauf gefaßt machen, bei unsrer holdseligen Ankunft einige weniger holdselige Kugeln zwischen die Rippen oder gar in die Köpfe zu bekommen. Ein Wagehals, der etwas wagen will, der wagt etwas; th'is clear!«
Old Surehand verhielt sich noch immer schweigend, doch las ich auf seinem Gesichte jene unbedenkliche Entschlossenheit, die vor keiner Gefahr zurückschreckt, wenn nur einigermaßen Aussicht vorhanden ist, sie glücklich zu bestehen. Er kam mir immer mehr wie ein Mann vor, der lieber handelt als spricht, und später zeigte es sich, wie vortrefflich er in dieser Beziehung zu Winnetou paßte.
Wir waren also nach rechts abgewichen und hielten uns, indem wir einen Halbkreis ritten, immer so weit von dem Walde entfernt, daß er in gleicher scheinbarer Größe vor uns liegen blieb. Als wir uns dann genau südlich von ihm befanden, hielt ich an und nahm mein Fernrohr, welches mir im fernen Westen schon oftmals große Dienste geleistet und sogar das Leben gerettet hatte, aus der Satteltasche, um den Rand des Gehölzes sorgfältig abzusuchen. Ich konnte nichts Verdächtiges bemerken.
»Seht Ihr etwas, Sir?« fragte Old Wabble.
»Nein. Ich kann kein lebendes Wesen, weder Mensch noch Tier, entdecken.«
»Sieht man uns von dort?«
»Sonderbare Frage, Sir! Würdet Ihr von hier aus einen dort befindlichen Menschen sehen?«
»Nein.«
»Also werden auch wir mit unbewaffnetem Auge nicht zu erkennen sein, und ich glaube nicht, daß die Roten mit Fernrohren versehen sind.«
»Wird keinem Indsman einfallen, ein solches Ding bei sich zu führen!«
»O doch! Winnetou hat stets ein Rohr, und zwar ein ganz ausgezeichnetes, mit. Ich bin der Ansicht, daß wir nun stracks vorwärts reiten. Nicht?«
»Wenn Ihr nicht anders wollt, dann los! Unvorsichtig aber ist's und bleibt's!«
Da ließ sich Old Surehand zum erstenmale wieder hören, indem er in ungeduldigem und verweisendem Tone ausrief:
»Was unvorsichtig! Wenn es keine andre Wahl giebt als das Wasser, so stürzt man sich eben hinein und lernt sofort das Schwimmen. Wenn Ihr Euch fürchtet, alter Wabble, so bleibt hier halten, bis Ihr angewachsen seid; wir aber nehmen das Wäldchen jetzt im Sturme. Go on, Mr. Shatterhand, go on!«
Er schoß auf seinem Pferde davon, und ich folgte ihm mit gleicher Schnelligkeit. Old Wabble blieb natürlich nicht zurück; er kam hinter mir hergeflogen und wetterte dabei ganz aufgebracht:
»Ich mich fürchten! Was bilden sich diese beiden jungen Menschen ein! Old Wabble kannte schon keine Furcht, als er noch nicht geboren war, viel weniger dann später. Die jetzige Jugend ist doch zuweilen mit ganz abnormen und unbegreiflichen Ideen behaftet; th'is clear!«
Es war von ihm ein kühnes Beginnen, uns beide als ›die jetzige Jugend‹ zu bezeichnen; ich mußte trotz des Ernstes unsrer Lage laut darüber lachen. Er hörte das und rief, noch mehr erzürnt:
»Was lacht Ihr, Sir! Lacht dann, wenn Ihr mit heiler Haut da vorn im Walde sitzt, nicht eher!«
»Schweigt, Sir!« antwortete ich zurück. »Wenn Euch die Roten nicht sehen, so müssen sie Euch doch hören, wenn Ihr in dieser Weise brüllt!«
»Gut, ich werde schweigen; aber ich lege Euch meine Leiche auf's Gewissen. Seht, wie Ihr sie wieder herunter bringt!«
Wir trieben unsre Pferde so an, daß es schien, als ob der ›Kleine Wald‹ auf uns zugeflogen käme. Der Grasboden war weich, der Hufschlag also kaum zu hören. Dabei hielten wir die Augen scharf auf unser Ziel gerichtet, um eine etwaige Gefahr rechtzeitig zu bemerken. Es war aber keine vorhanden, und wir erreichten ganz glücklich den Waldesrand. Dort sprangen wir ab, nahmen die Gewehre schußbereit in die Hände und lauschten. Es regte sich nichts. Wir versuchten, das Gebüsch mit unsern Blicken zu durchdringen; es war auch nichts zu sehen. Da flüsterte uns Old Surehand zu:
»Haltet mein Pferd! Ich komme bald wieder.«
»Wo wollt Ihr hin?«
»Spüren. Habt keine Sorge! Ich verstehe mich darauf.«
Es wäre eine Beleidigung gewesen, wenn ich ihm meine Begleitung angeboten oder gar ihn zurückgehalten hätte; ich ließ ihn also gehen. Es dauerte ziemlich lange, ehe er wieder kam, um uns zu melden:
»Wir haben ungeheuer Glück gehabt, daß wir nicht bemerkt worden sind. Die Comantschen befinden sich im Walde.«
»Habt Ihr sie gesehen?« fragte ich leise.
»Nein; aber wir wissen doch, daß ihre Fährte nach dem Walde geht, und ich habe mich jetzt überzeugt, daß sie nicht wieder herausführt; sie sind also noch drin. Das bloß war es, was ich einstweilen wissen wollte. Wir müssen sie beschleichen.«
»Well,« nickte Old Wabble. »Das können nur zwei thun, denn der dritte muß hier bei den Pferden bleiben. Wer wird das sein, Mr. Shatterhand?«
»Ihr selbst,« antwortete Old Surehand, obgleich der Alte mich gefragt hatte.
»Fällt mir nicht ein! Unthätig hier bleiben! Ich krieche mit im Walde herum, denn ich habe Euch zu beweisen, daß ich keine Furcht besitze.«
»Das wissen wir schon, also ist dieser Beweis ganz überflüssig. Ich brauche Euch wohl nicht zu sagen, wie ich Euch kenne und schätze, und darum werdet Ihr es nicht übelnehmen, wenn ich Euch daran erinnere, daß das ›Herumkriechen im Walde‹ nicht gerade Eure starke Seite ist. Ihr seid auf der offenen Savanne besser daheim. Bleibt also bei den Pferden!«
»Ganz wie Ihr wollt,« antwortete der Alte mit einer Bewegung der Ungeduld. »Es ist hier nicht der Ort und die Zeit, uns zu streiten; ich will mich also als der Verständige fügen. Macht euch also auf die Suche; aber wenn ihr dann als Leichen wiederkommt, so will ich keine Vorwürfe hören!«
Er nahm die Pferde an den Zügeln fest und winkte uns fort. Old Surehand sah mich fragend an; ich antwortete:
»Uns zu trennen, ist hier zu gefährlich; es ist noch heller Tag; wir können leicht bemerkt werden, und da muß einer dem andern schnell zu Hilfe kommen können.«
»Richtig, Sir! Aber wohin wenden wir uns?«
»Habt Ihr vorhin, als Ihr fort waret, nicht eine Stelle bemerkt, wo das Eindringen nicht zu beschwerlich und geräuschvoll ist?«
»Ich glaube, eine zu kennen. Kommt!«
Er führte mich um einige Buschecken und deutete dann nach dem Strauchwerke, welches hier weniger dicht als anderwärts stand. Ich nickte, legte mich nieder und kroch hinein; er folgte mir. Wir hatten unsre Gewehre natürlich bei Old Wabble gelassen-, meine beiden Revolver und das Messer reichten für alle Fälle hin.
Wir hatten, wie gesagt, noch hellen Tag; die Roten konnten also jede größere Bewegung des Gesträuches sehen; das erschwerte unsre Aufgabe in einer Weise, daß wir nur höchst langsam vorwärts rückten. In einer halben Stunde hatten wir ein Drittel unsres Weges zurückgelegt; dann aber wurde es besser. Wir mußten nach der Mitte des Wäldchens, wo das Wasser lag, an welchem sich die Comantschen jedenfalls befanden. Nach abermals einer Viertelstunde hörte ich vor uns ein Pferd schnauben; auch Old Surehand hatte es gehört, denn er stieß mich an, um mich darauf aufmerksam zu machen. Hatte das Tier nur zufällig geschnaubt oder wollte es dadurch nach Art der indianischen Pferde seinen Besitzer vor uns warnen? In diesem Falle war die Gefahr für uns doppelt groß.
Ich muß sagen, daß ich mich nicht nur über Old Surehand freute, sondern daß ich ihn sogar bewunderte. Erst war er hinter mir geblieben, nun drang er neben mir vorwärts, und zwar mit einer Ausdauer, Umsichtigkeit und Geschicklichkeit, wie ich sie kaum jemals bei einem Weißen gesehen hatte. Jede Lücke wurde benutzt und jedes Hindernis entweder vermieden oder vollständig geräuschlos beseitigt; wenn die Gewandtheit der Hände nicht ausreichend war, mußte das Messer nachhelfen, und wenn ein Zweig oder gar ein stärkerer Ast bewegt werden mußte, geschah es mit einer so gleichmäßigen Langsamkeit, daß ein andrer als ich es gar nicht bemerken konnte. Es war für einen Westmann wirklich eine Freude, ihm zuzusehen.
So kamen wir langsam, aber sicher weiter und weiter, bis wir Stimmen hörten, welche miteinander sprachen; die Worte konnten wir nicht verstehen, weil wir noch zu weit entfernt waren. Je weiter wir uns aber näherten, desto deutlicher hörten wir sie, bis wir endlich diejenigen sahen, welche sich miteinander unterhielten. Es war freilich nicht das, was man eigentlich eine Unterhaltung nennt, sondern man konnte es viel richtiger als die Sitzung eines Prairiegerichtes bezeichnen.
Wir waren hinter einem nicht allzu dichten Gestrüpp angekommen, durch welches wir leidlich sehen konnten. Vor uns lag das Wasser; rechts waren sechs Pferde angebunden, während links ein einzelnes angehobbelt stand; dieses letztere war ein Apatschenpferd, während die ersteren den Comantschen gehörten, denen wir gefolgt waren. Von diesen sechs Roten lebten nur noch drei, welche zwischen uns und dem Wasser saßen; die blutigen Leichen ihrer drei Kameraden lagen nicht weit von ihnen. Vor ihnen stand ein einzelner Baum, an dessen Stamm ein Apatsche aufrecht angebunden war. Da er uns den Rücken zukehrte, konnten wir sein Gesicht nicht sehen; er mußte verwundet sein, denn seine Füße standen in einer Blutlache, doch schien der Blutverlust ihn nicht sehr geschwächt zu haben, denn eben, als wir die Gruppe zu Gesicht bekamen, hörten wir ihn mit kräftiger Stimme sagen: »Die Hunde der Comantschen werden mich töten, aber ihren Zweck doch nicht erreichen. Pesch endatseh lacht über sie. Sie waren ihrer sechs; er hat drei von ihnen getötet, ehe sie ihn überwältigen konnten; er wird sterben mit dem Gesang des Todes auf den Lippen und ohne mit der Wimper zu zucken, und die Seelen dieser drei werden ihn in den ewigen Jagdgründen bedienen müssen.«
›Langes Messer‹! Den kannte ich sehr gut. Er war ein sehr verwegener und listiger Krieger, der bei dem Stamme der Mescaleros in Ansehen stand und schon oft als Unteranführer thätig gewesen war. Wenn es sich um einen gefährlichen Kundschafterdienst gehandelt hatte, zu dessen Ausführung Mut und Verschlagenheit gehörte, war die Wahl gewöhnlich auf ihn gefallen.
Jedenfalls hatte er hier im Altschese-tschi gesteckt, um auf mich zu warten, und ich hatte mich also nicht geirrt, als ich annahm, Winnetou werde auf Kundschafter seines Stammes getroffen und direkt nach dem Llano estacado geritten sein und für mich einen Boten zurückgelassen haben.
Einer der Comantschen machte eine sehr verächtliche Handbewegung und antwortete:
»Langes Messer stinkt wie ein Stück verfaulten Fleisches. Seine Seele wird weggeworfen werden und in den ewigen Jagdgründen keinen Diener haben, denn wir werden ihm den Skalp nehmen, ehe wir ihn unter großen Qualen in den Tod senden, Er hat drei von uns töten können, weil er sich feig versteckte, als wir kamen. Hätte er sich offen gezeigt, so wäre nur sein Blut, aber kein einziger Tropfen von dem unsrigen geflossen.«
»Ja, die Hunde der Comantschen hätten es gewagt, mit mir zu kämpfen, weil sie zwölf Arme gegen mich hatten, während ich allein war. Hätten sie nicht so viel gezählt, so wären sie vor mir ausgerissen wie Coyoten, welche zwar heulen, aber nicht beißen. Wenn Ihr mich nach den ewigen Jagdgründen sendet, so werde ich dort nur Apatschen, aber keinen einzigen Comantschen finden, weil nur die Seelen tapferer Männer, aber keine Feiglinge hinkommen. Was ihr seid, das werde ich euch zeigen; seht her zu mir!«
Er spuckte dreimal kräftig aus. Der Comantsche sagte in demselben verächtlichen Tone wie vorher:
»Das gilt nicht uns, sondern dir selbst. Du machst große Worte, um die Kleinheit deines Mutes zu verbergen. Die Angst vor dem Tode steht dir im Gesicht geschrieben. Du weißt, daß wir dir die Haut und das Fleisch in Stücken von dem Leibe schneiden werden, und deine stolze Rede soll nur das Angstgewimmer verdecken, welches du in deinem Innern hörst. Wir sind aber bereit, gnädig zu verfahren und dich schnell und ohne Qualen sterben zu lassen, wenn du uns die Wahrheit sagest und die Fragen beantwortest, welche ich dir jetzt vorlegen werde.«
Langes Messer warf den Kopf stolz empor, sagte aber, scheinbar einverstanden:
»Der Comantsche mag sprechen.«
»Sind eure Krieger gegen die Comantschen ausgezogen?«
»Nein.«
»Ist das die Wahrheit?«
»Ja.«
»Ich glaube es nicht.«
»Du kannst es glauben. Oder meinst du, daß es dem starken Löwen einfallen werde, gegen eine kranke Ratte in den Kampf zu ziehen?«
»Uff! Wenn du so fortfährst, uns zu beleidigen, hast du keine Gnade von uns zu erwarten! Wo befinden sich die Mescalero-Apatschen jetzt?«
»Daheim in ihren Wohnungen.«
»Wo ist Winnetou, ihr Häuptling?«
»Er ist weit oben im Norden bei den Indianern, die sich Schlangen nennen.«
Er sagte das, um sie glauben zu lassen, daß ihr berühmter Gegner jetzt nicht zu fürchten sei.
»Auch das ist eine Lüge. Winnetou ist da.«
»Nein.«
»Wir haben Old Shatterhand gesehen, und wo dieser ist, da weilt auch Winnetou nicht fern.«
Ich sah, daß Langes Messer einen Ausruf der Freude unterdrückte; er zwang sich sichtlich zur Ruhe und Gelassenheit und sagte im Tone der Überzeugung:
»Der Comantsche lügt; er will mich betrügen. Old Shatterhand ist weder auf der Ebene, noch in den Bergen; er ist über das ›Große Wasser‹ in seine Heimat zurückgekehrt und wird erst nach zwei oder drei Wintern wiederkommen. Er hat das selbst gesagt.«
»Ich lüge nicht!«
»Du lügst! Ich glaube dir nicht!«
»Und ich lüge nicht!« brüllte ihn der Comantsche zornig an. »Wir haben ihn gesehen.«
»Wo?«
»In unserm Lager. Er kam, uns zu beschleichen; wir haben ihn aber ergriffen und gefangen genommen und er wird den Tod am Marterpfahle sterben.«
»Old Shatterhand? Den Tod am Marterpfahle?« lachte der Apatsche höhnisch. »Alle, alle Krieger der Comantschen zusammengenommen sind nicht imstande, diesen einen weißen Jäger an den Marterpfahl zu bringen. Selbst wenn sie ihn ergriffen hätten, würde er trotz aller Fesseln plötzlich verschwinden wie der Adler, den zehnmal tausend Sperlinge nicht halten können. Aber er ist gar nicht gefangen; er befindet sich jetzt gar nicht in diesem Lande, sondern da, wo er geboren ist.«
Es war jedenfalls seine Absicht, den Comantschen vor Ärger zum Sprechen zu bringen; er erreichte seine Absicht auch wirklich, denn der Gegner rief wütend:
»Wir haben ihn! Die Krieger der Comantschen sind keine Sperlinge, sondern Adler, die diesen Sperling zerreißen oder auffressen werden! Ich sage die Wahrheit; du aber lügst. Wie kannst du behaupten, daß eure Leute daheim seien! Sie befinden sich unterwegs, sonst hätten sie nicht einen Kundschafter ausgesandt!«
»Haben sie das gethan?«
»Ja.«
»Wann?«
»Jetzt.«
»Was wißt ihr von einem Kundschafter! Pshaw!«
»Wir wissen es. Du bist's ja selbst!«
»Ich? Wer macht euch weis, daß Langes Messer als Späher ausgeritten sei?«
»Niemand macht es uns weis; es ist so.«
»Dann sind die Söhne der Comantschen blind. Trage ich etwa die Farben des Krieges im Gesicht?«
»Du hast es aus Klugheit unterlassen, dich anzumalen!«
»Wo wohnen die Comantschen und wo die Mescalero-Apatschen? Im Norden und im Süden. Wo befinde ich mich jetzt? Weit im Osten. Würde ich so weit östlich reiten, wenn ich als Kundschafter gen Norden zu euch soll?«
»Ihr werdet erfahren haben, wohin wir ziehen wollen!«
»Uff, uff, uff! Merkst du nicht, daß du dich jetzt verraten hast? Also die Hunde der Comantschen sind aus ihren Höhlen gebrochen, nicht um gegen die Apatschen zu ziehen, sondern um nach Osten zu reiten! jetzt weiß ich, was und wohin ihr wollt!«
Der Comantsche sah ein, daß er sich hatte überlisten lassen, und fuhr, zornig über sich selbst, den Gefangenen an:
»Schweig, Kröte! Ich kann das sagen, was ich gesagt habe, denn ich weiß, daß du es nicht weiter plaudern wirst. Wir nehmen dich mit, und du wirst zu gleicher Zeit mit Old Shatterhand am Marterpfahle sterben.«
»Dann werde ich noch sehr lange leben, denn daß ihr dieses berühmte Bleichgesicht gefangen habt, ist eine Lüge.«
»Es ist wahr. Wir haben ihn!«
»Pshaw!«
»Und wir haben ihn nicht allein, sondern noch mehrere Bleichgesichter, die auch sterben müssen.«
»Nenne sie!«
»Old Wabble, den greisen Indianertöter.«
»Uff!«
»Ferner Old Surehand, das riesige Bleichgesicht.«
»Uff, uff! Weiter!«
»Weiter? Genügt das nicht?«
»Ja, das genügt. Wenn ihr diese drei großen Jäger wirklich ergriffen habt und mich in euer Lager schafft, werde ich nicht sterben, sondern wir werden uns frei machen und unter den Söhnen der Comantschen sein wie Büffelstiere, die in ein Rudel feiger Wölfe brechen. Old Shatterhand wurde noch nie besiegt; er ist ein«
»Er war schon oft gefangen!« fiel ihm der Comantsche höchst zornig in die Rede.
»Aber er hat sich stets wieder befreit! Old Surehand ist ein Jäger, welcher mit einem Griffe seiner Fäuste sechs Comantschen erwürgt, mit jeder drei. Es giebt für – – –«
»Schweig von diesem Hunde!« unterbrach ihn der andre abermals. »Er hat noch nie einen Comantschen besiegt!«
»Weil noch kein Comantsche ihm begegnet ist! Und Old Wabble, der wie ein Sturm über die Savanne fegt, so daß niemand ihn einholen kann, wird Euch – – –«
»Wird sterben, wird sterben!« schrie der Comantsche, ihm zum drittenmal in die Rede fallend. »Vielleicht wird er auch nicht sterben, denn dieses alte Bleichgesicht ist ein furchtbarer Köter, den man eigentlich nicht töten, sondern mit Prügeln fortjagen sollte. Dieser Feigling – – –«
Er hielt mitten in der Rede inne; jetzt war er es, welcher unterbrochen wurde, aber nicht etwa von dem Apatschen, mit dem er sprach, sondern von einer ganz andern Seite. Wir hatten unsre Augen natürlich auf ihn gerichtet gehabt; als er sich jetzt plötzlich unterbrach und sichtlich erschrocken zur Seite sah, wendeten wir unsre Blicke auch dorthin und hörten zugleich die Worte erklingen:
»Was bin ich? Ein Feigling, ein Köter? Hund, roter! Ich werde dir zeigen, ob ich feig bin oder nicht. Wer von euch nur ein Glied bewegt und nach seiner Waffe greift, der bekommt meine Kugel in den Kopf! Hände in die Höhe!«
Es war der alte Wabble. Er hatte sich nicht durch das dichte Gebüsch gedrängt, sondern er kam ganz gemütlich durch die westliche, schmale Lücke des Waldes, durch welche auch die Comantschen an das Wasser gekommen waren. Sein Gewehr an der Wange und den Zeigefinger an dem Drücker, war er hinter dem nächsten Busche hervorgetreten und kam langsamen Schrittes näher.
»Hände in die Höhe!« wiederholte er, da die Roten seinem Befehle nicht gleich Folge leisteten.
Dieser Ruf ist ein alter Brauch im wilden Westen. Wer die beiden Hände in die Höhe hält, kann nicht nach den Waffen greifen und sich verteidigen. »Hände in die Höhe!« Wer mit diesen Worten überfallen und angerufen wird und nicht sofort gehorcht, dessen Leben ist keinen halben Penny wert. Das wissen auch die Indianer. Darum hoben die drei Comantschen jetzt bei der Wiederholung des Befehles ihre Arme empor.
»So, jetzt habe ich euch, ihr roten Schufte!« lachte er. »Wer auch nur eine Hand sinken läßt, der bekommt die Kugel; ich scherze nicht. Also ich bin ein Feigling! So, so! Und mich habt ihr gefangen! Und Old Shatterhand und Old Surehand auch! Ist das wahr, du Schurke?«
Der Rote antwortete nicht.
»Aha! Der Atem ist dir ausgegangen! Aber wartet nur, wir werden euch gleich wieder zu Atem bringen! Muß euch doch einige gute Freunde zeigen, sehr bekannte Männer, über welche ihr euch außerordentlich freuen werdet, wenn ihr sie zu sehen bekommt. Wo stecken sie nur?«
Er meinte natürlich uns, Old Surehand und mich. Sein Gewehr immer noch auf die Comantschen gerichtet, suchte er mit den Augen in dem östlichen Gebüsch, in welchem er uns vermutete und wo wir auch wirklich steckten. Es war kein Wunder, daß die Roten ihre Arme gehorsam emporhielten, denn er bot einen Anblick, welcher ganz geeignet war, Respekt einzuflößen. Seine Erscheinung war ja überhaupt eine außerordentliche, und es kam dazu, daß er mit vier Gewehren bewaffnet war, denn er hatte das seinige in den Händen, und auf dem Rücken trug er Old Surehands Büchse, meinen Bärentöter und den Henrystutzen. Sie wagten gewiß nicht, ihm Widerstand zu leisten.
Dennoch war ich keineswegs mit seinem plötzlichen und unerwarteten Erscheinen einverstanden. Er hatte draußen bei den Pferden zu bleiben und nicht herein an das Wasser zu kommen. Ich nahm mir vor, ihn zur Rede zu stellen, obgleich er seine Sache gar nicht übel gemacht hatte. Jetzt wollte er uns zu sich haben; ich gab Old Surehand also einen Wink; wir standen auf und drangen durch das Gezweig hinaus in das Freie, Als er uns sah, rief er den Comantschen zu:
»Das sind die Männer, die ich euch zeigen will, ihr Schurken. Kennt ihr sie?«
»Old Shatterhand!« rief Langes Messer jubelnd aus.
»Old Surehand!« schrie der Comantsche erschrocken.
Ich wendete mich an den letzteren:
»Ja, wir sind es, von denen du sagst, sie wären eure Gefangenen. Mr. Cutter, nehmt ihnen die Waffen!«
Ich zog den Revolver und hielt ihnen denselben entgegen; sie wagten nicht, sich zu bewegen.
»Bindet den Apatschen los, Mr. Cutter!«
Er that es. Kaum fühlte Langes Messer sich wieder im Besitze seiner Glieder, so bückte er sich, raffte einen Tomahawk auf und – – zwei schnelle Hiebe, und zwei Comantschen sanken mit zerschmetterten Schädeln aus ihrer sitzenden Stellung hintenüber. Ich faßte ihn beim Arme und rief:
»Was thut mein roter Bruder! Ich wollte mit diesen Kriegern der Comantschen sprechen und – –«
Er hörte mich nicht weiter an, sondern riß sich los und schlug so schnell, daß ich es nicht zu verhindern vermochte, den dritten auch noch nieder. Dann antwortete er mir:
»Mein berühmter, weißer Bruder mag mir verzeihen, daß ich anders handle, als er wünscht. Ich weiß, daß er nicht gern Blut vergießt; darum habe ich es vergossen.«
»Es sollte aber nicht vergossen werden!«
Er deutete nach seiner rechten Brust und fragte:
»Fließt das meinige nicht auch? Ist das Kriegsbeil ausgegraben, so gilt Leben für Leben, Blut für Blut!«
»So töte meinetwegen die, welche du besiegtest; diese drei aber gehörten nicht dir, sondern uns. Seit wann haben die tapfern Krieger der Apatschen ihren Stolz verloren, daß sie Feinde umbringen, die von andern Leuten überwunden worden sind? Schmückt ihr euch jetzt, seit ich nicht bei euch gewesen bin, mit Heldenthaten, die ihr gar nicht vollbracht habt?«
Er blickte beschämt vor sich nieder und entschuldigte sich:
»Einer von diesen drei hat mich verwundet. Durfte er leben bleiben? Was wollte Old Shatterhand mit diesen Hunden machen, wenn sie am Leben blieben? Wollte er sie mit sich nehmen? Das wäre eine Last gewesen, die ihm sicherlich geschadet hätte. Oder hatte er die Absicht, sie frei zu lassen? Dann wären sie zu den Ihrigen geritten und hätten verraten, was sie gesehen haben.«
»Ja hast du recht; aber du weißt, daß Old Shatterhand schon seit langer Zeit ein Häuptling der Apatschen ist. Darf ein Krieger dieses Stammes in seiner Gegenwart thun, was ihm augenblicklich einfällt? Wozu sind die Häuptlinge da, wenn jeder Krieger in ihrem Beisein thun kann, was ihm beliebt? Was wird Winnetou, der größte und berühmteste Häuptling der Apatschen, sagen, wenn ich es ihm erzähle?«
Da beugte sich der stolze Mann vor mir und bat:
»Ich habe unrecht gehandelt. Wird Old Shatterhand mir die Schnelligkeit der That verzeihen?«
»Es ist geschehen und nicht zu ändern; ich verzeihe dir, obgleich du uns wahrscheinlich großen Schaden bereitet hast.«
»Schaden? Wie kann mein weißer Häuptling von Schaden reden?«
»Ich wollte mit diesen Leuten sprechen und hätte von ihnen gewiß erfahren, was ich wissen will.«
»Sie hätten nichts gesagt.
»Sie hätten gesprochen. Hält mein roter Bruder mich für so unklug, daß ich ihnen gesagt hätte, was ich wissen will? Weiß er nicht, daß die Rede und die Frage eines listigen Mannes wie eine Schlinge ist, in welcher selbst ein Kluger gefangen werden kann?«
»Ich weiß es; aber Old Shatterhand braucht diese Hunde der Comantschen nicht zu fragen.«
»Nun allerdings nicht, denn sie sind tot!«
»Auch wenn sie noch am Leben wären. Ich weiß alles; ich habe es erfahren.«
»Von wem?«
»Von ihnen.«
»Hast du mit ihnen gesprochen?«
»Nein.«
»Sie also belauscht?«
»Ja.«
»Gut, wollen sehen, ob du mich wirklich befriedigen kannst. Jetzt zeig deine Wunde her. Ist sie tief?«
»Ich weiß es nicht. Tödlich kann sie nicht sein.«
Er hatte recht; sie war nicht einmal schwer. Das Messer war ihm von der Seite her nur in den rechten Brustmuskel gedrungen und an einer Rippe abgeglitten. Für einen Indianer war dies nur eine leichte Verwundung, obgleich er dem Wundfieber wohl nicht entgehen konnte. Während ich ihn verband, kamen Parker und Jos Hawley uns nach und wunderten sich nicht wenig über das, was sie sahen.
»Da seht ihr, Mesch'schurs, wie schnell wir mit den Halunken fertig geworden sind,« sagte Old Wabble zu ihnen. »Als ich kam, waren leider drei schon tot. Ich hätte alle sechs auf mich genommen. Wie schön diese Kerls die Hände in die Höhe heben konnten!«
»Und wie schön Ihr dabei in die Käse fliegen konntet, Mr. Cutter!« fügte ich hinzu,
»In die Käse?« fragte er erstaunt.
»Ja.«
»Wieso?«
»Wenn sie nun die Hände nicht in die Höhe gehoben hätten?«
»So hätte ich sie erschossen.«
»Wie viele?«
»Alle drei natürlich; th'is clear!«
»Einen, ja; dann aber hätten Euch die andern beim Leder gehabt.«
»Hätten es versuchen sollen!«
»Warum nicht? Wie hättet Ihr Euch wehren wollen mit einem abgeschossenen Gewehre in der Hand und drei andern auf dem Rücken? Bei dieser Balgerei hättet Ihr gewiß den kürzern gezogen.«
»Abwarten, abwarten, Sir!«
»Und wie nun, wenn Ihr alle sechs anstatt nur drei gefunden hättet, als Ihr kamt?«
»Ich stand ja vorher hinter dem Busch und sah die Sache an. Und wenn sie es alle sechs gewesen wären, ich hätte es ganz ebenso gemacht.«
»Und wäret ausgelöscht worden!«
»Pshaw! Man ist doch kein Kind. Denkt doch an Euch, Sir! Ihr seid ja schon oft in der Lage gewesen, es mit noch mehr als sechs Roten aufnehmen zu müssen.«
»Dann war die Lage anders als hier; ich bin noch mehr gefürchtet als Ihr und habe den Henrystutzen, den die Roten für eine Zauberflinte halten.«
»Hm, ja! Aber es ist dennoch kein Fehler, den ich begangen habe, denn es konnte mir nichts geschehen.«
»Ah, wohl weil ich mit Mr. Surehand in der Nähe war?«
»Ja,«
»Da irrt Ihr Euch. Wenn die Roten nicht so erschrocken, sondern geistesgegenwärtig gewesen wären, hättet Ihr eine Kugel oder einen Messerstich gehabt, ohne daß es uns möglich gewesen wäre, es schnell zu verhindern. Und selbst wenn Ihr in Allem recht hättet, so doch darin nicht, daß ihr gegen meine Weisung gehandelt habt. Es war bestimmt, daß Ihr draußen bei den Pferden bleiben solltet.«
»Sir, die Zeit wurde mir zu lang.«
»Das ist noch lange kein Grund, Dummheiten zu machen!«
»Dummheiten? Ich muß bitten, Mr. Shatterhand! Old Wabble pflegt keine Dummheiten zu machen!«
»Pshaw! Ihr habt unbedingt auf dem Posten zu bleiben, der Euch einmal anvertraut worden ist. Was soll daraus werden, wenn jeder von der Stelle, die er einzunehmen hat, fortlaufen kann! Wie ist es da möglich, sich mit Euch an irgend einem gefährlichen Unternehmen zu beteiligen? Ihr wißt, daß das, was wir vorhaben, mit großen Gefahren verbunden ist. Da muß man gegenseitig felsenfestes Vertrauen zu einander haben können. Ist das nicht der Fall, so reite ich weiter und lasse Euch sitzen!«
»Bravo, bravo!« rief Parker.
Da fuhr Old Wabble ihn zornig an:
»Was habt Ihr da zu johlen? Ich verbitte mir solches Geschrei ein für allemal!«
»Das glaube ich!« antwortete Parker. »Ich soll es mir gefallen lassen, wenn zu mir vom ›Sitzenlassen‹ gesprochen wird, Ihr aber wollt es nicht hören, alter Wabble! Wir sind nicht dabei gewesen. Was habt Ihr denn für einen Pudel geschossen?«
»Keinen! Aber wenn Ihr nicht sofort den Schnabel haltet, so schieße ich nachträglich einen, und zwar einen ganz gehörigen, und der seid Ihr; th'is clear!«
Er wendete sich wütend ab.
Ich sorgte zunächst für unsre Sicherheit, indem ich die Pferde holen ließ und dann Posten ausstellte. Hawley war der erste; er hatte um das Wäldchen zu patrouillieren und alles Auffällige zu melden. Dann wurden die Comantschen untersucht. Sie waren tot und wurden einstweilen auf die Seite geschafft. Dann setzten wir uns zusammen, um unsre Lage zu besprechen. Der Abend dunkelte herein; aber es war nicht geraten, ein Feuer anzubrennen. Der Schein desselben hätte zwar draußen nicht gesehen werden können, denn der ›kleine Wald‹ war dicht genug; aber die Comantschen, welche später dieses Weges kamen, sollten keine Spur unsres Lagers finden.
Hauptsache war natürlich das, was Pesch-endatseh, das Lange Messer, mir zu sagen hatte. Als ich ihn fragte, ob er Winnetou getroffen habe, antwortete er:
»Ja. Die Krieger der Apatschen hörten, daß die Comantschen die Kriegsbeile ausgegraben hätten, und sandten sogleich Späher aus, um zu erkunden, gegen wen der Angriff gerichtet sei. Ich gehörte zu diesen Spähern und hatte noch einen Krieger bei mir. Wir ritten am Wasser des Pecos empor, wo die Comantschen zu vermuten waren, und trafen sie am Saskuan-kui, welches wir Apatschen Doklis-to, das ›blaue Wasser‹, nennen. Wir konnten sie nicht beobachten und noch viel weniger belauschen, denn sie streiften jagend in der Gegend umher, um Fleisch zu machen.«
»Aber des Abends pflegt man doch nicht zu jagen!«
»Old Shatterhand hat recht, und wir wußten das auch. Wir ließen unsre Pferde zurück und schlichen uns zu Fuße nach dem blauen Wasser, wo wir ankamen, als es dunkel war.«
»Habt ihr etwas gehört?«
»Nein. Wir gaben uns große Mühe, aber wir hatten kein Glück. Mein weißer Bruder wird mir das glauben und mir keine Vorwürfe machen. Es kann dem besten, dem kühnsten und vorsichtigsten Kundschafter geschehen, daß er trotz aller List heimkehren muß, ohne etwas erfahren zu haben.«
»Gewiß! Ich kenne dich, und es fällt mir gar nicht ein, gering von dir zu denken. Wo trafst du Winnetou?«
»Wir schlichen uns an zwei Abenden nach dem blauen Wasser. Am ersten hatten wir keinen Erfolg; am zweiten trafen wir mit Winnetou zusammen, welcher noch vor uns gekommen war und uns gebot, uns nicht länger in Gefahr zu begeben, sondern mit ihm zu kommen.«
»Ah, da hatte er ganz gewiß etwas erfahren!«
»Ja, er erfuhr etwas, worüber sich mein großer, weißer Bruder Old Shatterhand außerordentlich wundern wird.«
»Was?«
»In der großen Wüste, welche von den Bleichgesichtern der Llano estacado genannt wird, giebt es eine schöne Klaparya-Siyardestar mit vielem, hellem Wasser, an welchem die herrlichsten Bäume, Sträucher und Blumen stehen. Dabei steht ein Haus, in welchem drei Personen wohnen, nämlich ein Deklil-Inda, eine Deklil-Isoma, welche seine Mutter ist, und ein weißer Jäger; dieser ist der Herr der Gegend und wird Dil-Mejeh genannt. Winnetou hat ihn gesehen und mit ihm das Kalumet der Freundschaft geraucht.«
»Ich kenne ihn auch.«
»Uff!« rief der Rote verwundert. »Old Shatterhand hat ihn auch schon gesehen?«
»Ja.«
»Also wohl auch das Wasser und das Haus in der Wüste?«
»Ja.«
»So weiß mein berühmter, weißer Bruder also den Weg dorthin zu finden?«
»Natürlich! Ich war einigemal dort. Hat Winnetou dir das nicht gesagt?«
»Nein. Winnetou, der große Häuptling der Apatschen, liebt nicht lange Erzählungen; er sagt kein Wort mehr, als was nötig ist. Also du kennst die Gegend auch und weißt den Weg! Darum soll ich auf dich warten und dir die Botschaft des Häuptlings bringen!«
Er wunderte sich, ich ersah aus seinen Worten, wie verschwiegen Winnetou, wie stets, so auch in dieser Angelegenheit gewesen war. Er hatte nie ein Wort über die Oase im Estacado gesprochen. Der Apatsche fuhr fort:
»Es müssen einst Comantschen bei dem ›blutigen Fuchs‹ gewesen sein, wie ich aus Winnetous Worten entnahm.«
»Allerdings. Sie waren mit ihm und mit mir dort. Der junge Häuptling Schiba-bigk führte sie an.«
»Schiba-bigk? Ich höre, daß Old Shatterhand alles richtig weiß, denn dieser junge Häuptling soll die Comantschen jetzt nach der Insel in der Wüste führen.«
»Hast du vielleicht erfahren, weshalb die Comantschen ihren Kriegszug dorthin richten?«
»Winnetou hat es erlauscht. Der ›blutige Fuchs‹ ist aus der Wüste gekommen, um zu jagen, und mit einer Schar Comantschen zusammengetroffen; sie haben ihn angegriffen, um ihn zu töten; er hat sich verteidigt und mehrere von ihnen erschossen. Seine Kugeln sind ihnen gerade mitten in die Stirn gedrungen.«
»Haben sie ihn denn gekannt?«
»Einer von ihnen ist damals mit bei ihm in der Wüste gewesen und hat ihn erkannt.«
»Er ist ihnen entkommen?«
»Keine ihrer Kugeln hat ihn getroffen und keines ihrer Messer seine Haut geritzt.«
»Gott sei Dank! Nun unternehmen sie einen Rachezug, um ihn zu töten?«
»Ja, sie wollen ihn töten und sein Haus und die Bäume vernichten, daß die Insel wie eine Wüste wird. Das hat Winnetou erlauscht.«
»Aber er kann das nicht erst hier am ›blauen Wasser‹ erfahren haben, sondern er muß es schon vorher gewußt haben, denn ich habe die Nachricht davon schon oben in der Sierra Madre von ihm erhalten.«
»Es sind zwei Comantschen dort jagen gewesen und haben davon gesprochen, ohne ihn zu kennen. Er ist mit ihnen zusammengetroffen und hat sich für einen Sohn der Kiowas ausgegeben. Sie haben das geglaubt.«
»Dann sind ihre Seelen abwesend gewesen. Wer Winnetou, auch ohne ihn zu kennen, für einen Kiowa hält, der hat kein Hirn im Kopfe. Weiter!«
»Winnetou ist von der Sierra Madre sofort aufgebrochen, um den ›blutigen Fuchs‹ zu warnen. Er sah auf seinem Wege die Spuren der Comantschen und folgte ihnen bis zum ›blauen Wasser‹, wo er sie belauschte; dabei traf er uns. Der Häuptling war sehr froh darüber und gab uns seine Befehle. Er sandte den Krieger, der bei mir war, heim, um schnell dreihundert Apatschen, welche gut bewaffnet und mit genug Fleisch versehen sein sollen, nach dem Nargoleteh-tsil zu führen, wo sie auf Old Shatterhand warten sollen. Mich nahm er mit hierher nach dem ›kleinen Walde‹, wo er mich zurückließ, um Old Shatterhand zu erwarten und ihm zu sagen, daß er nach dem Nargoleteh-tsil reiten solle, um sich an die Spitze unsrer Krieger zu stellen und ihm in den Llano estacado nachzukommen.«
»Gut, gut! Habe es mir gedacht! Das ist alles, was er dir für mich aufgetragen hat?«
»Ja, alles.«
»Also nach dem Regenberge! Den kenne ich genau. Wenn man gut reitet, ist man von hier aus in einem halben Tage dort. Der Ort ist außerordentlich gut gewählt, denn dort können sich sogar mehr als dreihundert Mann so verbergen, daß kein Feind sie zu finden vermag. Wie schade, daß du die drei Comantschen hier getötet hast! Wenn sie noch lebten, würde ich gewiß einiges aus ihnen herausfragen, was uns zu wissen nützlich sein würde.«
»Was möchte Old Shatterhand wissen?«
»Wer der Anführer der Comantschen ist.«
»Schiba-bigk. Ich habe es schon gesagt.«
»Das bezweifle ich, denn er ist zu jung dazu. Am ›blauen Wasser‹ befiehlt Vupa Umugi, welcher gewiß keinem jüngern Krieger gehorchen wird, und dann kommt noch Nale-Masiuv, der gewiß auch zu stolz ist, sich Eisenherz unterzuordnen.«
»Uff! Nale-Masiuv, der an jeder Hand nur vier Finger hat? Der will auch kommen?«
»Ja, mit hundert Mann.«
»Woher weiß das Old Shatterhand?«
»Ich habe es am ›blauen Wasser‹ erlauscht.«
»Uff, uff! Old Shatterhand ist auch am ›blauen Wasser‹ gewesen, und es ist ihm gelungen, die Hunde der Comantschen zu beschleichen? Was keinem andern Krieger gelingt, das bringen zwei gewiß fertig, Winnetou und Old Shatterhand!«
»Dieses Lob verdiene ich nicht, denn die weißen Krieger, welche du hier bei mir siehst, sind auch mit dort gewesen.«
»Ja, aber wie!« fiel Old Surehand ein. »Ihr waret als freie Männer dort, und – –«
»Still!« fiel ich ihm in die Rede. »Was dort geschehen ist, kann recht gut unter uns bleiben; es braucht nicht weiter erzählt zu werden! Wie gesagt, es wäre sehr vorteilhaft für uns, zu wissen, wer der eigentliche Anführer der Comantschen ist. Von Vupa Umugi und Nale-Masiuv haben wir nichts Gutes zu erwarten. Schiba-bigk aber ist mir zu Dank verpflichtet, denn wir haben ihm damals das Leben gerettet und ihn sicher durch den Llano gebracht. Er ist zwar jünger als die beiden andern, und sie werden sich ihm wohl kaum unterordnen, aber er ist der Sohn des berühmten Tevua-schohe, welcher der oberste Kriegshäuptling sämtlicher Comantschenstämme war, und ich halte es gar nicht für so unmöglich, daß infolge des Ruhmes, den er sich erworben hatte, und der Erfolge, die man ihm verdankte, seine Stellung auf seinen Sohn übergegangen ist. Wären die drei Comantschen hier noch am Leben, so würde ich es ganz gewiß von ihnen erfahren.«
Obgleich diese Worte nicht direkt an Langes Messer gerichtet waren, antwortete er:
»Old Shatterhand hat mir verziehen, was ich that. Soll ich nicht von diesen sechs toten Comantschen erzählen?«
»Thue es. Wer gewahrte den oder die andern zuerst, du sie oder sie dich?«
»Ich sah sie eher, als sie mich. Indem ich hier auf Old Shatterhand wartete, konnten leicht Comantschen hierher kommen. Ich war also sehr vorsichtig und verbarg mein Pferd tief im Gesträuch; zugleich hütete ich mich, Spuren zu machen. Aber ich mußte doch bald hierhin und bald dorthin gehen; ich mußte auch das Pferd tränken, und das führte zu meiner Entdeckung. Ich hatte das Pferd zum Wasser gebracht, und während es trank, ging ich hinaus an den Rand des ›kleinen Waldes" um zu sehen, ob ich sicher sei. Da sah ich die sechs Hunde der Comantschen kommen und fand kaum Zeit, mein Pferd wieder in sein Versteck zu bringen; die Stapfen konnte ich nicht verwischen. Sie kamen und sahen die Spur und folgten ihr in das Gebüsch. Fliehen konnte ich nicht; sie waren mir nahe. Ich schoß den ersten nieder und erstach den zweiten und den dritten; die andern packten mich. Ich wurde verwundet, niedergerissen und gefesselt. Dann banden sie mich an den Baum. Als ihr kamt, habe ich sie erschlagen. Old Shatterhand kann sie nach nichts fragen; aber etwas habe ich von ihnen gehört, was ich ihm sagen möchte.«
»Was?«
»Sie wollen nach der Insel in der Wüste, um den ›blutigen Fuchs‹ und die alte Negerin zu fangen und nach dem großen Dorfe der Comantschen zu schaffen. Ich habe, als sie miteinander sprachen, erfahren, wo ihr Dorf jetzt liegt.«
»Das ist freilich wichtig. Wo liegt es?«
»Ich kenne den Ort nicht und habe seinen Namen nie gehört. Er wurde von ihnen Kaam-kulano genannt.«
»Du hast dich geirrt und kennst den Ort gewiß. Die Comantschen nennen den Ort allerdings so, von euch wird er Katscho-Nastla, also auch Hasenthal, geheißen.«
»Katscho-Nastla? Dieses Thal kenne ich freilich. Es liegt einen starken Tagesritt nordwärts von hier. Dorthin soll der ›blutige Fuchs‹ mit der Negerin geschafft werden, um an demselben Marterpfahle zu sterben. Der Neger ist schon dort.«
»Was?« fragte ich erschrocken. »Welcher Neger?«
»Der Sohn der alten schwarzen Frau, der mit bei dem ›blutigen Fuchs‹ in der Wüste wohnt.«
»Ah! Das ist freilich eine sehr wichtige, aber auch eine sehr unerfreuliche Nachricht. Hast du richtig gehört?«
»Mein Ohr hat sich nicht getäuscht.«
»Es kann von einem andern Neger die Rede gewesen sein!«
»Nur von dem Neger in der Wüste. Die Hunde der Comantschen nannten seinen Namen.«
»Wie hieß er? Schnell!«
»Ich habe ihn gehört, aber nicht behalten.«
»Bob?«
»Ja, Bob, Bob haben sie gesagt.«
»Wie ist er denn in ihre Hände geraten? Haben sie nicht davon gesprochen?«
»Sie sprachen davon. Er war mit dem blutigen Fuchs auf der Jagd, als dieser von den Comantschen überfallen wurde. Der Fuchs tötete mehrere von ihnen und entkam, der Neger aber fiel ihnen in die Hände und wurde nach dem Thale der Hasen geschafft. Dort hält man ihn gefangen, bis der Fuchs und die Negerin gebracht werden; dann sollen die drei den Martertod sterben.«
»So weit soll es wohl nicht kommen! Dafür werde ich sorgen. Bob muß frei werden. Ich reite sogleich hin!«
Ich sprang auf, denn ich war erregt, obgleich es sonst nicht leicht ist, mich in Aufregung zu versetzen. Die andern waren verwundert, der Apatsche jedenfalls am meisten, denn der Rote verachtet den Neger noch weit mehr, als der Weiße; er wagte es aber nicht, etwas zu sagen. Als früherem Cowboy stand dem alten Wabble ein Schwarzer fast ebenso tief wie ein Hund; es war ihm unmöglich, zu schweigen.
»Was ist's mit Euch, Sir?« fragte er. »Ich glaube gar, dieser Bob bringt Euch aus dem Häuschen!«
»Nicht er, sondern der Umstand, daß er Gefangener der Comantschen ist und umgebracht werden soll.«
»Pshaw! Ein Schwarzer, ein Nigger!«
»Nigger? Neger wollt Ihr wohl sagen, Mr. Cutter!«
»Nigger sage ich. Habe das Wort all mein Lebtage nicht anders ausgesprochen.«
»Das thut mir leid! Es scheint, Ihr rechnet die Neger nicht mit zu den Menschen.«
»In der Naturgeschichte werden sie freilich mit unter den Menschensorten aufgezählt; wissenschaftlich sind sie also welche, aber, My god, was für welche!«
»Jedenfalls ebenso gute wie alle anders gefärbten!«
»Pshaw! Ein Nigger ist ein so niedriges Geschöpf, daß es sich eigentlich gar nicht lohnt, von ihm zu sprechen!«
»Das ist Eure Ansicht, wirklich Eure Ansicht?«
»Yes!«
»Dann thut Ihr mir leid, herzlich leid, denn mit dieser Behauptung beweist Ihr, daß Ihr noch weit unter dem Nigger steht!«
»All devils! Ist das Euer Ernst, Sir?«
»Mein vollständiger Ernst!«
»Dann thut Ihr mir ebenso leid wie ich Euch! Ein farbiger Mensch ist nie ein richtiger Mensch, sonst hätte ihn Gott nicht farbig gezeichnet!«
»Mit ebenso großem Rechte könnte ein Neger sagen: Ein Weißer ist kein richtiger Mensch, sonst hätte ihn Gott nicht ohne Farbe geschaffen. Ich bin etwas weiter in der Welt herumgekommen als Ihr und habe unter den schwarzen, braunen, roten und gelben Völkern wenigstens ebenso viel gute Menschen gefunden wie bei den weißen, wenigstens, sage ich, wenigstens! Versteht Ihr mich, Mr. Cutter?«
»Was ihr gefunden habt, ist mir egal. Ich habe noch nicht einen einzigen Nigger kennen gelernt, neben dem ich mich hätte niedersetzen mögen.«
»Weil Ihr jeden Schwarzen gleich im ersten Augenblicke so behandelt habt, daß er Euch unmöglich freundlich gesinnt sein konnte. Eure Erfahrung ist also gar kein Beweis für das, was Ihr behauptet. Und was diesen Bob betrifft, so ist er ein so braver Kerl, daß ich, wenn Ihr Euch miteinander in Not befändet, sehr wahrscheinlich ihm eher beispringen würde als Euch!«
»Thunder-storm, ist das ein Kompliment! Ihr könnt außerordentlich höflich sein, Mr. Shatterhand, außerordentlich höflich; th'is clear!«
»Ich beabsichtige, aufrichtig, aber nicht höflich zu sein. Ich bin nicht höflich gegen Leute, welche ihre Nebenmenschen verachten. Wenn man Euch einmal in die Erde scharrt, wird aus Eurem weißhäutigen Leibe grad und genau so ein stinkiger Kadaver wie aus einer Negerleiche. Das werdet Ihr wohl zugeben, und nun habt die Güte und zählt mir einmal Eure sonstigen Vorzüge auf! Es sind alle, alle Menschen Gottes Geschöpfe und Gottes Kinder, und wenn Ihr Euch einbildet, daß er Euch aus einem ganz besonders kostbaren Stoffe geschaffen habe und daß Ihr sein ganz besonderer Liebling seiet, so befindet Ihr Euch in einem Irrtum, den man eigentlich gar nicht begreifen kann. Ich habe mich gefreut, Euch kennen zu lernen; soll es mit dieser Freude nun zu Ende sein?«
Es war dunkel geworden und ich konnte sein Gesicht nicht erkennen; aber meine Worte schienen ihn zu treffen; er senkte den Kopf und brummte:
»Zounds! Schade, jammerschade, daß Ihr ein Westmann geworden seid!«
»Warum?«
»Ihr wäret ein noch viel besserer Pfarrer und Kanzelredner geworden; th'is clear!«
»Westmann bin ich nur aus Gelegenheit. Vor allen Dingen bin ich Mensch, und wenn ein andrer Mensch sich in Not befindet und ich ihm helfen kann, so frage ich nicht, ob seine Haut eine grüne oder blaue Farbe hat. Diesen Bob lasse ich nicht bei den Comantschen!«
»Meinetwegen! Ich will Euch ja gar nicht hindern. Ich will Euch sogar dabei helfen; aber jetzt haben wir ganz und gar keine Zeit dazu.«
»Es muß und soll aber grad jetzt geschehen!«
»Wie? Was? Grad jetzt?«
»Ja.«
»Wir müssen doch nach dem Nargoleteh-tsil, um die Apatschen dort zu treffen!«
»Das hat noch Zeit!«
»Noch Zeit? Sir, ich begreife Euch nicht!«
»Könnt Ihr denn nicht rechnen, Mr. Cutter? Glaubt Ihr, daß die Apatschen schon dort sein können?«
»Das müßt Ihr freilich besser wissen als ich; ich denke auch weniger an sie als an die Comantschen, denen wir doch zuvorkommen müssen.«
»Auch das hat keine Eile. Von gestern abend an in drei Tagen, also bis übermorgen abend, wird Nale-Masiuv mit seinen hundert Mann nach den ›blauen Wasser‹ kommen. Denkt Ihr, daß dann gleich aufgebrochen wird?«
»Nein, denn diese Leute und ihre Pferde müssen doch erst ausruhen.«
»Wenigstens einen Tag ausruhen; wir haben also von jetzt an drei Tage Zeit; davon brauche ich nur zwei, um Bob zu befreien.«
Der Alte wollte weiter antworten; da aber kam ihm Old Surehand zuvor, indem er das Wort ergriff.
»Sagt einmal, Mr. Shatterhand, ich hörte über Euch ein Erlebnis erzählen, welches mich außerordentlich interessierte. Ihr hattet hoch droben im Nationalparke ein Zusammentreffen mit den Sioux. Ihr hattet eine Gesellschaft tapferer Kerls bei Euch und auch einen Neger, welcher Bob hieß, wenn ich mich nicht irre?«
»Allerdings.«
»War das derselbe Bob?«
»Ja.«
»Ah, da habt Ihr recht, vollständig recht! Den dürfen wir nicht stecken lassen; der muß heraus, heraus!«
»So wollt Ihr mit?«
»Natürlich! Versteht sich ganz von selbst. Wann werden wir von hier aufbrechen?«
»Bei Anbruch des Tages.«
»Ist das nicht zu spät?«
»Nein. Von hier aus bis zum Kaam-kulano ist es freilich ein sehr reichlicher Tagesritt; aber ich kenne die Gegend, und wir haben ausgezeichnete Pferde. Wir brauchen sie gar nicht sehr anzustrengen, so sind wir noch vor Abend dort, grad zur richtigen Zeit.«
»Ja, kurz vor Abend ist's stets am besten. Da hat man noch Zeit, die Örtlichkeit kennen zu lernen und die Gelegenheit zu erspähen. Dann, wenn es dunkel geworden ist, wird der Streich ausgeführt. Ich freue mich darauf; habt Ihr eine Ahnung, wie viel Menschen dort wohnen?«
»Nein. Es wird nur das Zeltdorf Vupa Umugis sein, und ich vermute, daß sich nicht sehr viele junge, rüstige Krieger dort befinden werden.«
»Also ein Kampf mit alten Weibern! Fi!«
»Hm! So leicht wird es uns doch nicht werden. Es bleibt bei jedem Zuge eine Anzahl von Kriegern zum Schutze des Lagers zurück, hier auch zur Bewachung des Gefangenen. Mit ihnen werden wir es zu thun bekommen.«
»Aber ich bezweifle, daß unsre Pferde alle den Ritt aushalten werden!«
»Alle? Wieviel Pferde meint Ihr da?«
»Nun, so viel wir haben!«
»Also zwei!«
»Zwei – –?« fragte er verwundert.
»Ja, zwei, nämlich mein Rappe und Euer Fuchs.«
»Holla! Ihr meint, wie es den Anschein hat, daß nur wir zwei den Ritt unternehmen?«
»Allerdings. Wer denn noch?«
»Ich denke, es wird sich niemand ausschließen.«
»Und ich denke, daß wir einen Ritt hin und zurück vor uns haben, den nur unsre beiden Pferde aushalten können. Von Mr. Parker und Mr. Hawley kann also überhaupt keine Rede sein; ihre Pferde sind jetzt schon müde und würden unterwegs zusammenbrechen.«
Parker sagte nichts; er sah wohl ein, daß ich recht hatte.
Jos aber fühlte eine große Zuneigung zu mir; es schien ihm schwer, sich von mir zu trennen.
»Ist es denn nicht möglich, daß ich mit kann?« fragte er. »Ihr wißt doch, wie gern ich bei Euch bin, Sir!«
»Ich weiß es, aber es ist nicht möglich, Mr. Hawley. Das Pferd kann nicht so, wie Ihr wollt.«
»So wird mir Old Wabble das seinige borgen.«
»Was fällt Euch ein?« rief der Alte aus. »Ich reite ja selber mit!«
»Ihr?« fragte ich.
»Ja, ich!«
»Ich denke, Ihr bleibt bei den andern!«
»Warum? Mein Pferd ist gut. Oder meint Ihr, daß es den Ritt nicht aushalten kann?«
»Es würde ihn wahrscheinlich aushalten; aber es wird sich sträuben und nicht fortzubringen sein.«
»Sträuben? Sonderbar! Möchte das Pferd kennen lernen, das sich sträubt, Old Wabble dahin zu tragen, wohin er will!«
»Diesesmal doch!«
»Warum grad diesesmal?«
»Weil es sich um einen Nigger handelt.«
»Ah! Meint Ihr es so! Nun, da wird es wohl nicht auf das Pferd, sondern auf mich ankommen!«
»Oder auf mich, Mr. Cutter! Ich habe nicht die Absicht, Euch wegen eines Schwarzen zu belästigen.«
»Pshaw, es ist keine Belästigung; ich thue es gern!«
»Vorhin klang es anders!«
»Ja, vorhin! Soll ich aufrichtig sein, Mr. Shatterhand?«
»Nun?«
»Es war von Euch gar nicht fein und geschmackvoll gesagt, nämlich das von dem stinkigen Kadaver vorhin, aber es hat bei mir Eingang gefunden, und ich denke, daß Ihr nicht so unrecht habt. Ich will meine Dummheit gut machen, indem ich Euerm Bob mit heraushelfe, und bitte Euch daher, mich mitzunehmen! Wollt ihr, Sir?«
»Hm! Wenn Ihr in dieser Weise sprecht, so möchte ich wohl, aber es geht dennoch nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil auf Euch kein Verlaß ist.«
»Oho! Das hat mir noch niemand gesagt!«
»So sage ich es Euch zum erstenmal. Ihr habt es heut bewiesen, daß ich recht habe. Wißt Ihr, was wir vorhaben? Wir wollen einen Gefangenen mitten aus einem Indianerdorfe herausholen. Schon das ist genug! Aber wir haben keine Zeit, eine passende und leichte Gelegenheit abzuwarten, denn der Streich muß in kürzester Zeit ausgeführt werden. Da handelt es sich doppelt um Leben und Tod!«
»Das weiß ich.«
»Schön! Da werdet Ihr also einsehen, daß ich Euch nicht mitnehmen kann.«
»Ich fürchte den Tod nicht!«
»Das weiß ich; aber ich befürchte, daß wir, wenn wir Euch mitnehmen, in den Tod reiten. Den Tod nicht fürchten und dem Tode aus Unvorsichtigkeit in die Arme laufen, das ist zweierlei. Man kann sich nicht auf Euch verlassen.«
»Weil ich nicht draußen bei den Pferden geblieben bin? Sir, das war das letztemal, daß so etwas vorgekommen ist. Glaubt es mir. Gebt mir die Hand und nehmt mich mit!«
Was wollte ich machen! Er bat so dringend. Sollte ich ihn, den alten, erfahrenen, neunzigjährigen Westmann wie ein Greenhorn zurückweisen? Ich brachte es nicht fertig, sondern ich gab ihm die Hand und sagte:
»Nun gut, so kommt mit! Aber ich hoffe, daß Euch der jugendliche Übermut nicht wieder mit dem Verstande durchgeht!«
»Well! Das soll ein Wort sein! Ihr werdet mir Eure Zufriedenheit nicht versagen. Was wird aber mit den andern? Bleiben die hier?«
»Nein, sie reiten fort.«
»Wohin?«
»Nach dem Nargoletch-tsil, wo wir mit den Apatschen zusammentreffen werden. ›Langes Messer‹ kennt doch wohl den Weg dorthin?«
Der Rote, an den ich diese Frage richtete, antwortete:
»Ich kenne ihn genau. Wann sollen wir reiten?«
»Morgen früh, sobald wir auch aufbrechen.«
»Sollen wir die toten Hunde der Comantschen hier so liegen lassen?«
»Nein, sie müssen spurlos verschwinden. Auch begraben darf man sie nicht hier. Die Comantschen kommen, wenn sie nach der Wüste reiten, durch dieses Wäldchen und würden die Gräber entdecken.«
»Darf ein gewöhnlicher Krieger der Apatschen Old Shatterhand einen Vorschlag machen?«
»Warum nicht?«
»Wir binden die Leichen auf ihre Pferde und nehmen sie mit nach dem Nargoleteh-tsil, wo wir sie begraben.«
»Ja, das ist das Beste, was geschehen kann. Nehmt sie mit.«
»Wem gehören ihre Pferde, Waffen und Sachen?«
»Dir. Wir mögen nichts, außer wenn Mr. Parker und Mr. Hawley ihre Pferde umtauschen wollen, mögen sie die zwei nehmen, die ihnen gefallen.«
»So mag es sein. Die Skalpe aber nehme ich mir auch; sie hätten mir den meinigen ebenso genommen. Howgh!«
So war die Sache abgemacht; wir aßen und legten uns dann schlafen. Vorher erboten sich Parker, Hawley und der Indianer, die Wachen für die ganze Nacht zu übernehmen, weil wir andern für morgen einen so anstrengenden Ritt vorhatten. Natürlich gingen wir darauf ein. –
Der Hase des Westens, und besonders der texanische, ist etwas größer als unser deutscher Lampe und hat auch viel größere Ohren. Damals war er in Menge vorhanden, denn es gab noch Büffel und andres Wild genug, so daß der Westmann nur dann eine Kugel an ein Häslein verschwendete, wenn es gar nichts andres gab. Nirgends aber war Lampe so zahlreich anzutreffen, als an einem Quellflüßchen des Buffalo-Spring, der eigentlich selbst auch nur eine Quelle war. Dieses Flüßchen entsprang an dem Hinterteile einer Felsenmulde, welche, weil sie die Gestalt einer Pfanne hatte und von den erwähnten Nagern stark bevölkert war, von den weißen Jägern Hare-pan, Hasenpfanne, genannt wurde. Auf der Sohle dieses Thales stand fast während des ganzen Jahres ein üppig grünes, fettes Gras, und die schräg ansteigenden Wände waren mit Gebüsch bestanden, aus welchem hier und da die Krone eines Baumes ragte. Das war das Kaam-kulano, das Hasenthal, in welchem gegenwärtig die Comantschen Vupa Umugis ihre Zelte aufgeschlagen hatten.
Es war am nächsten Tage, ungefähr zwei Stunden vor der Dämmerung, als wir in die Nähe dieses Thales gelangten. Die Gegend war zwar keine Einöde, aber auch nicht übermäßig grün, und da wir nun auf Begegnungen gefaßt sein mußten und doch keine Deckung hatten, so mußten wir suchen, uns welche zu verschaffen. Wir konnten sie nur da finden, wo es Büsche gab, und das war am Flüßchen der Fall. Wir erreichten dasselbe an einer Stelle, welche höchstens den vierten Teil einer Wegstunde vom Ausgange der Thalmulde entfernt war. Es war gewiß eine Kühnheit von uns, uns am hellen Tage so nahe heran zu wagen; aber wir hatten keine andre Wahl, da uns die Zeit so karg zugemessen war. Wir mußten noch vor Nacht erfahren, wie es im Thale stand.
Wir waren so glücklich, am Wasser eine Stelle zu finden, wo uns das Gesträuch ein Versteck bot, wie wir es uns gar nicht besser wünschen konnten. Da stiegen wir ab und erlaubten den ziemlich ermüdeten Pferden, zu trinken und dann zu grasen. Für uns hatten wir einen Vorrat von Dürrfleisch mitgebracht, der mehrere Tage reichte. Da nur ich einmal hier gewesen war, so bat ich Old Surehand und den alten Wabble, das Versteck ja nicht zu verlassen, sondern auf mich zu warten, und ging rekognoszieren.
Ich vergegenwärtigte mir die Gegend, wie ich sie bei meinem Hiersein kennen gelernt hatte, und machte mir dann meinen Plan. Da, wo das Wasser aus dem Thale trat, stiegen die Seiten desselben allmählich und weit ausgebaucht rechts und links empor, und das Gebüsch folgte ihnen bis zur Höhe, ein Umstand, der für mich sehr günstig war. Das Gesträuch ging dann wie eine Kranzeinfassung oben rund um den Rand der Thalmulde herum und bot mir reichlich Gelegenheit, mich zu verbergen, sobald dies nötig war. Dabei gab es freilich eine nicht zu unterschätzende Schwierigkeit: ich durfte keine Spuren machen oder nur so undeutliche, daß nicht zu ersehen war, ob sie von meinem Stiefel oder einem indianischen Mokassin stammten. Sonst war die ganze Gegend vollständig baum- und strauchlos, so daß man jeden größeren Gegenstand weithin bemerken konnte.
Indem ich vorsichtig vorwärts ging, warf ich fleißig Blicke hinaus ins Freie. Es war zu meiner Freude kein Mensch, weder Mann noch Weib oder Kind, zu sehen. Die Zeit war also vorüber, in welcher alle zurückgebliebenen Bewohner des Lagers sich für den Abend und die Nachtruhe in dem Thale zu versammeln hatten. Darauf wird bei Abwesenheit der Krieger streng gehalten.
Als ich die Öffnung des Thales erreicht hatte, wendete ich mich rechts und stieg die Lehne empor. War der Eingang bewacht? Ich blickte hinab und sah keinen Menschen. Das Lager befand sich wahrscheinlich in der Mitte des eine halbe Stunde langen Thales, denn der hintere Teil war jedenfalls für die Pferde reserviert. Ich ging weiter. Die Zeit schien ungemein glücklich gewählt zu sein, denn es gab keinen Menschen hier oben und auch keine neue Spur, welche gesagt hätte, daß in den letzten Stunden jemand dagewesen sei.
Bald sah ich die ersten Zelte, und als ich noch eine Strecke weiter gegangen war, sah ich das ganze Lager unten liegen. Es bestand aus lauter leinenen Sommer- und nicht aus ledernen Winterzelten. Ich nahm mir nicht die Zeit, sie zu zählen, aber es waren weit über hundert Stück. Belebt waren die Plätze vor und zwischen den Zelten von lauter Knaben, Frauen und Mädchen. Männer sah ich nur wenige, und die schienen alt zu sein. Sollten die hundertvierundfünfzig Mann, welche Vupa Umugi bei sich hatte, alle seine Krieger sein, so daß keiner hier zurückgeblieben war? Das konnte ich mir nicht denken, denn es wäre eine große Unvorsichtigkeit gewesen. Ohne allen Schutz konnte er das Lager unmöglich gelassen haben. Hinter demselben sah ich, wie ich gedacht hatte, eine Anzahl Pferde weiden.
Ich ging noch weiter, um eine Stelle zu finden, die mir eine bessere Aussicht bot. Es galt ja, an irgend einem Anzeichen das Zelt zu erkennen, in welchem Bob steckte. Jedenfalls lagen Wächter vor demselben. Und richtig! am Eingange des hintersten Zeltes lagen zwei Krieger. Das war sehr wahrscheinlich das gesuchte. Nicht weit davon stand ein andres Zelt, welches größer als die übrigen war. Vor demselben waren zwei Stangen eingerammt, an welchen verschiedene, sonderbar gestaltete Gegenstände hingen. Waren das Medizinen? War es das Häuptlingszelt? Wahrscheinlich! jeder Krieger hat nur eine Medizin; verliert er sie, so hat er die Ehre verloren, bis er diejenige eines Feindes erobert, indem er ihn tötet. Stirbt er, so bekommt er seine Medizin mit in das Grab. Aber es giebt auch einzelne Stämme, bei denen die Medizinen von den Nachkommen aufbewahrt werden. Sie bilden ein heiliges, kostbares Andenken an die Vorfahren, und wer sie verliert, ist in den Augen der andern vollständig zu Grunde gerichtet. Es kam mir ein Gedanke. Sollten das die Medizinen von den Ahnen des Häuptlings Vupa Umugi sein? Dann mußte ich sie haben, unbedingt haben. Sie konnten mir bei dem Kampfe zwischen den Apatschen und Comantschen die unschätzbarsten Dienste leisten.
Als ich noch ein wenig weiter ging, sah ich plötzlich eine Fußspur, höchst wahrscheinlich die Spur eines Weibes, welches hier am Abhange heraufgeklettert war. Sie durfte mich nicht sehen; ich mußte zurück. Eben wollte ich mich umdrehen, da raschelte es im Gebüsch, und sie stand vor mir. Schon hob ich den Arm, um sie zu fassen, da ließ ich ihn wieder sinken, nicht weil sie nur ein Weib war, denn in solchen Lagen ist jedes Auge, welches einen sieht, unschädlich zu machen, sondern des Ausdruckes wegen, welcher bei meinem Anblicke in ihr Gesicht trat.
Sie war alt. Ihre ungewöhnlich hohe und breitschulterige Gestalt war nur mit einem blauen, hemdähnlichen Gewande bekleidet. Von dem unbedeckten Kopfe hing das graue Haar in ungekämmten, wirren Strähnen nieder. Ihr Gesicht war tief gebräunt, doch hätte ich es an einem andern Orte wohl nicht für das einer Indianerin gehalten. Sie hatte kaukasische Züge, und es war mir sogar, als ob ich ähnliche schon einmal, und zwar vor kurzer Zeit, gesehen hätte. Das Gesicht war tief durchfurcht und schrecklich eingefallen, und die Augen, diese Augen! Was hatten sie nur für einen Blick! So starre und dabei flackernde, wilde und dabei trostlose Augen hatte ich in Irrenhäusern gesehen. Ja, das war es, dieses Weib war wahnsinnig, unbedingt wahnsinnig. Erst stierte sie mich zornig forschend an; dann bekamen die Augen einen milden Glanz; die farblosen Lippen lächelten; die skelettartigen Finger krümmten sich, um mir zu winken, und dann hörte ich die leisen, hastigen Worte:
»Komm her, komm her! Ich muß dich fragen!«
Ich trat die drei Schritte, welche uns trennten, zu ihr hin. Sie ergriff meinen Arm, grub ihre Finger in den Ärmel ein und fragte:
»Du bist ein Bleichgesicht?«
»Ja,« antwortete ich ebenso leise. »Wer bist denn du?«
»Ich bin Tibo-wete-elen,« raunte sie mir zu.
Wete heißt Frau; aber was Tibo und elen bedeuten sollten, das wußte ich nicht; in allen Dialekten, die ich kannte, kamen diese beiden Worte nicht vor.
»Hast du einen Mann?« fragte ich.
»Ja. Er heißt Tibo-taka.«
Wieder dieses unbekannte Tibo! Taka heißt Mann.
»Wo ist er?« erkundigte ich mich.
Da hielt sie den Mund ganz nahe an mein Ohr und flüsterte mir zu:
»Er holt den blutigen Fuchs. Er muß mit in die Wüste, denn er ist der Medizinmann des Stammes.«
Ja, sie war wahnsinnig, sonst hätte sie das einem Fremden, einem Weißen nicht gesagt. Dann faßte sie mich an den beiden Armen und fragte mit dem Ausdrucke der größten Spannung:
»Hast du meinen Wawa Derrick gekannt?«
Wawa heißt Bruder. Und Derrick? Sollte sie den englischen Namen Dietrich meinen? Aber der Bruder dieser Indianerin kann doch unmöglich Derrick, Dietrich heißen? Wahrscheinlich war mir das Wort, welches sie meinte, auch unbekannt.
»Nein,« antwortete ich.
»Du bist ein Bleichgesicht und hast ihn nicht gekannt? Besinne dich! Du mußt ihn gekannt haben. Ich will es dir zeigen. Besinne dich!«
Sie brach einen dünnen Zweig vom Busche, bog ihn rund zusammen; verwand die beiden Enden, setzte sich ihn auf den Kopf und flüsterte mit seligem Lächeln:
»Das ist mein Myrtle-wreath, mein Myrtle-wreath! Gefällt er dir? Gefällt er dir?«
Höchst sonderbar! Dieses Comantschenweib bediente sich des englischen Wortes Myrtle-wreath! Myrtenkranz! Welche Indianerin kennt dieses Wort? Keine! Ich faßte nun sie am Arme und fragte:
»Bist du vielleicht eine Weiße? Sage es mir!«
Da ließ sie ein eigentümliches, unbeschreibliches Kichern hören und antwortete mir:
»Du hältst mich für eine Weiße, weil ich schön bin, sehr schön, und einen Myrtle-wreath trage? Blicke mir nicht in die Augen, sonst wird die Sehnsucht dich verbrennen, wie sie mich verbrennt! Hast du meinen Wawa Derrick gekannt? Soll ich dir das Zelt zeigen, in dem ich wohne?«
»Zeige es mir!«
»Komm, tritt weiter vor an den Rand! Aber laß dich ja nicht sehen, sonst mußt du dein Leben geben! Unsre Krieger töten jedes Bleichgesicht. Ich aber freue mich, daß ich dich gesehen habe, und werde kein Wort davon sagen, denn du wirst thun, um was ich dich bitte.«
»Ich thue es. Was wünschest du?«
Sie nahm den Zweig vom Kopfe, gab ihn mir und sagte:
»Wenn du meinen Bruder Wawa Derrick siehst, so gieb ihm diesen Myrtle-wreath! Willst du?«
»Ja. Aber wo ist dein Wawa Derrick?«
»Ja – – in – – in – – – ich weiß es nicht mehr; ich habe es vergessen; du wirst ihn aber finden. Nicht?«
»Ja,« antwortete ich, um sie zu erfreuen. »Was soll ich ihm dazu sagen?«
»Du sagst, daß – – daß – – daß – – du brauchst nichts zu sagen. Wenn er den Myrtle-wreath erblickt, weiß er ganz genau, was ich meine. Und nun schau hier hinab! Siehst du in der zweiten Reihe das Zelt mit dem Zeichen des Medizinmannes?«
»Ich sehe es.«
»Da wohne ich mit Tibo-taka und heiße Tibo-wete-elen. Wirst du das merken können? Vergiß es nicht!«
»Ich vergesse es nicht. Wer wohnt in dem großen Zelte mit den beiden Stangen?«
»Da wohnt Vupa-Umugi, der unser Häuptling ist.«
»Er ist fort. Wer ist jetzt drin?«
»Nur sein Weib und seine Tochter.«
»Weiter niemand? Auch des Nachts?«
»Auch des Nachts weiter niemand.«
»Und wer wohnt da in dem letzten Zelte, vor welchem die beiden Krieger liegen?«
»Da wohnt der Neger, der getötet wird, wenn der blutige Fuchs gekommen ist.«
»Wird er sehr streng bewacht?«
»Sehr! Von zwei Kriegern, stets!« sagte sie wichtig.
»Habt Ihr jetzt viele solche Krieger hier?«
»Nur die beiden, die du siehst. Viele sind mit dem Häuptling in die Wüste, und die andern gingen auf die Jagd, um Fleisch zu holen; sie kommen morgen oder in zwei Tagen wieder. Du wirst den Myrtle-wreath nicht verlieren, sondern gut bewahren?«
»Sorge dich nicht; ich halte ihn fest.«
»Und ihn meinem Wawa Derrick geben?«
»Sobald ich ihn finde, ja,«
»Du wirst ihn finden und – – –« sie sah vor sich nieder, als ob sie in ihrem Innern nach etwas suche, ergriff dann meine Hand und fuhr fort: »Und wirst ihm noch etwas bringen, was ich dir jetzt gebe?«
»Ich gebe es ihm.«
Da legte sie schnell die Arme um meinen Hals, küßte mich so rasch, daß ich es gar nicht hätte abwehren können, wenn mein Herz es zugegeben hätte, es ihr zu verwehren, trat dann zurück und bat:
»Nun muß ich gehen; gehe du auch! Aber sage keinem Menschen etwas davon, daß du mich getroffen hast! Von mir wird es auch niemand erfahren.«
»Wirst du wirklich schweigen?«
»Ich schwöre es! Und du?«
»Darf ich wirklich nicht davon sprechen?«
»Zu keinem, keinem Menschen, außer zu meinem Wawa Derrick; der muß es wissen. Gieb mir deine Hand darauf!«
»Hier ist sie.«
Ich gab sie ihr; sie drückte sie mir; dann stieg sie den Berg hinab, doch nicht weit, dann drehte sie sich noch einmal um, legte den Finger zum Zeichen des Schweigens an den Mund und wiederholte:
»Zu keinem einzigen Menschen! Und verlier ja nicht meinen Myrtle-wreath!«
Dann verschwand sie im Gebüsch. Ich stand noch eine ganze Weile auf derselben Stelle; dann ging ich langsam fort. Welch eine Begegnung! Mir war ganz sonderbar zu Mute. Wer war dieses Weib? War sie wirklich eine Indianerin? Aber konnte es denn möglich sein, daß sie eine Weiße war? Um diese Fragen beantworten zu können, hätte ich sie mehr als dieses eine Mal sehen und sprechen müssen. Sie war eine Wahnsinnige; aber sie hatte dennoch einen tiefen, seelischen Eindruck auf mich gemacht. Sie war ein Rätsel, ein unergründliches, tief tragisches Rätsel, unergründlich, weil ich keine Zeit hatte, es zu lösen. Der Wawa Derrick existierte jedenfalls nicht nur in ihrer Phantasie, sondern in Wirklichkeit, aber wo? Und wer war er? Ein Indianer? Wahrscheinlich, denn der Ausdruck Wawa deutete darauf. Und der Myrtle-wreath, was war es mit dem? War er vielleicht die Ursache ihres Wahnsinnes? Oder hatte sie in dem Augenblicke, als sie wahnsinnig wurde, den Myrtenkranz getragen? Entsetzlicher Gedanke! War das der Fall, so war sie eine Weiße und keine Indianerin. Vielleicht gab es eine Lösung. Wahrscheinlich traf ich während des Kampfes mit dem Medizinmanne zusammen; da sollte er mir Rede und Antwort stehen!
Unter diesen Gedanken ging ich zurück, versäumte dabei aber nicht die Vorsicht, die auf diesem Wege nötig war. Was sollte ich meinen Gefährten sagen? Durfte ich von dieser geheimnisvollen Tibo-wete-elen sprechen? Ich hatte ihr mein Wort gegeben, zu schweigen; mußte ich es halten, ihr, einer Wahnsinnigen? Es war wohl keine Sünde, wenn ich es brach; aber erstens ist es überhaupt häßlich und unmoralisch, ein Versprechen nicht zu erfüllen, und zweitens war ich genug unter wilden Völkern gewesen, denen der Wahnsinn heilig ist, um mich derselben Meinung zuzuneigen. Dieses Weib hatte auf mich den Eindruck einer Ausgesonderten gemacht, und es war, als ob sich in meinem Innern um ihre Erscheinung etwas Aureolenartiges zusammenziehen wolle. Nein, sie war kein gewöhnliches Weib; der Wahnsinn erhöhte meine Pflicht, anstatt sie aufzuheben; ich mußte mein Versprechen halten!
Mit diesem Vorsatze kehrte ich zu unsrem Verstecke zurück, welches ich glücklich und unbemerkt erreichte, grad als es zu dunkeln begann; so lange war ich fort gewesen.
»Endlich, endlich!« wurde ich von Old Wabble empfangen, während Old Surehand still blieb. »Fast hätte ich Angst um Euch bekommen.«
»Es ist nicht die geringste Ursache zur Sorge vorhanden,« antwortete ich.
»Nicht? So steht wohl alles gut?«
»Alles.«
»Ist der Nigger da?«
»Der Neger, wollt Ihr wohl sagen! Ja.«
»Aber streng bewacht?«
»Es giebt heut im ganzen Lager nur zwei Krieger, die ihn am Tage und des Nachts bewachen; die andern sind fort, um Fleisch zu machen. Da ermüdet die Aufmerksamkeit, und wir werden es verhältnismäßig leicht haben, wie ich vermute.«
»Wie werden wir es anfangen?«
»Laßt mich nachdenken!«
Das sagte ich nicht, weil ich des Ueberlegens bedurft hätte, denn mein Plan war schon fertig, sondern weil ich keine Lust zum Sprechen hatte. Die Indianerin lag mir noch zu sehr im Sinn. Und grad jetzt fiel mein Auge auf Old Surehand, dessen männlich Schönes, ernstes Gesicht beim letzten Tagesschimmer eine ganz eigenartige Beleuchtung zeigte, einen wehmütig rührenden Ausdruck annahm. War es wirklich so, oder täuschte ich mich? Das war ja die Ähnlichkeit, die ich vorhin, als ich das Weib erblickte, herausgefühlt hatte, ohne sie näher bestimmen zu können! Das war dasselbe Gesicht, dieselbe Stirn, derselbe Mund, nur jünger, voller, männlich anstatt weiblich, nicht von jener erschütternden Tragik, aber elegisch ernst und wehmutsvoll. Ich war überrascht, wirklich überrascht; aber im nächsten Augenblicke sagte ich mir, daß ich mich täuschen müsse. Ich stand noch unter dem Eindrucke der Begegnung auf der Höhe des Kaam-kulano und sah Dinge, die gar nicht vorhanden waren. Weg mit der Täuschung!
Es dunkelte schnell; bald konnte ich das Gesicht Old Surehands nicht mehr sehen. Hätte ich es doch nicht für Täuschung gehalten und ihm von der Indianerin erzählt! Sie wäre viel, viel eher aus der Nacht des Wahnsinnes errettet worden! Doch habe ich mir keine Vorwürfe zu machen, denn ich wollte gerecht und wahr gegen sie sein und meinem Versprechen treu bleiben. Ihm aber wäre die Last, an der er so schwer trug, auch viel eher vorn Herzen genommen worden!
Wir saßen lange still und ohne Worte, bis Old Wabble die Geduld verlor und mich fragte:
»Nun, Sir, wie lange habt Ihr denn eigentlich noch nachzudenken? Wollt Ihr mir nicht erlauben, Euch dabei zu helfen?«
Da hielt Old Surehand es für nötig, sein Schweigen zu brechen, um ihn zu vermahnen:
»Bei Old Shatterhand bedarf es Eurer Hilfe nicht, alter Wabble; er wird ohne Euch fertig.«
»Aber wann! Der Abend vergeht, und wir haben doch keine Zeit zu verlieren.«
»Habt nur Geduld!« bat ich ihn. »Wir können nicht eher etwas thun, als bis die Roten schlafen.«
»Aber dann? Wie fangen wir es an?«
»Ich weiß, wo das Zelt steht, in dem Bob steckt. Wir schleichen uns hin, schlagen die Wächter nieder –
»Tot?« unterbrach er mich.
»Nein. Es genügt, sie zu betäuben.«
»So übernehmt das selbst! Ich bringe es nicht fertig. Aber Ihr thut, als ob man es nur so zu sagen brauche: Wir schleichen uns hin, schlagen die Wächter nieder – – –«
»Und holen ihn heraus – – – fertig!«
»Fertig! Weiter nichts?«
»O doch!«
»Was?«
»Dann gehen wir zum Häuptlingszelt und nehmen die Medizinen, die dort an den Stangen hängen.«
»Medizinen?«
»Ja, die Medizinen seiner Vorfahren.«
»Thunder-storm! Wenn er das erfährt, wird erverrückt. Da geht ihm ja die Ehre verloren und mit ihr alles, was er hat und was er ist!«
»Nein.«
»Nicht? Ich denke doch auch, die Gebräuche und Gewohnheiten der Roten zu kennen. Wer solche Medizinen verliert, der ist moralisch tot.«
»Allerdings; aber er soll sie nicht verlieren.«
»Was? Nicht?«
»Wenigstens nicht für lange Zeit.«
»Ihr wollt sie ihm wiedergeben?«
»Ja.«
»Sir, das ist widersinnig!«
»Nein!«
»Doch! Wenn Ihr sie ihm wiedergeben wollt, so laßt sie doch lieber gleich hängen!«
»Ich habe meine Absicht dabei.«
»Welche? Bin wirklich neugierig, sie zu hören!«
»Ich will Blutvergießen vermeiden.«
»Mit den Medizinen?«
»Ja.«
»Sonderbarer Kauz, der Ihr seid! Wenn Ihr mir die Sache nicht erklärt, so begreife ich sie nicht.«
»Was wird wohl geschehen, wenn der Häuptling erfährt, daß ich seine Medizinen habe?«
»Er wird einen heillosen Schreck bekommen; th'is clear!«
»Und alles in Bewegung setzen, um wieder in ihren Besitz zu gelangen. Nicht?«
»Das versteht sich ganz von selbst. Es wird kein Opfer geben, welches ihm zu schwer und zu groß ist, wenn es nur gebracht werden kann.«
»Das Opfer, welches ich von ihm verlange, ist gar nicht zu groß. Er soll mit den Apatschen Frieden schließen, ohne gekämpft zu haben, und Bloody-Fox in Ruhe lassen.«
»Mr. Shatterhand, Ihr seid kein sonderbarer Kauz, sondern ein tüchtiger Kerl, ein sehr tüchtiger Kerl; das muß ich sagen! Er wird darauf eingehen.«
»Das denke ich auch.«
»Ja, er wird es thun, leider, leider wird er es thun!«
»Warum leider?«
»Weil ich dadurch um mein Vergnügen komme, um mein ganzes, großes, schönes Vergnügen. Ich hatte mich so darauf gefreut!«
»Worauf?«
»Auf die Lehre, welche die Roten erhalten sollten. Ihr seid zwar andrer Meinung, aber ich sage Euch wieder und immer wieder, daß man gar nicht genug Indsmen auslöschen kann. Dieses Ungeziefer muß weg von dieser Welt.«
»Da spricht wieder einmal der Cowboy aus Euch, und zwar in einer Weise, die mich zornig machen kann!«
»Den Zorn, den schenke ich Euch. Wenn Ihr Cowboy gewesen wäret wie ich, so wüßtet Ihr, daß jeder Rote ein geborener Pferdedieb ist. Haben mir die Halunken zu schaffen gemacht!«
»Wie es scheint, hat Euch das nichts geschadet. Ihr seid trotzdem gesund geblieben und alt geworden.«
»Ja, der Ärger ist mir außerordentlich gut bekommen; das gebe ich zu. Aber trotzdem hasse ich sie, und ich freute mich darauf, möglichst viele von ihnen wegputzen zu können. Doch bin ich gerecht genug, zuzugeben, daß Euer Gedanke großartig ist. Wenn er gelingt, komme ich, wie gesagt, um alle meine Freude. Eine kleine Hoffnung giebt es aber doch für mich dabei.«
»Welche?«
»Daß die andern Häuptlinge nicht mit darauf eingehen.«
»Es ist freilich möglich, daß sie sich weigern, besonders Nale-Masiuv.«
»Der vielleicht, möglich. Ich habe da mehr an Schiba-bigk, den jungen Häuptling, gedacht.«
»Warum?«
»Eben weil er jung ist. Da giebt es größere Rivalität. Sein Vater war der erste Häuptling der Comantschen; der möchte auch er gern sein; Vupa Umugi muß also fortgeräumt werden, und dazu kann es keinen bessern Grund geben als den Umstand, daß er seine Medizinen alle verloren hat.«
»Ihr legt Euch das recht hübsch zurecht, werdet Euch aber wohl irren. Ich habe Euch schon gesagt, daß Schiba-bigk mir zu Dank verpflichtet ist. Wenn ich ernstlich mit ihm spreche, wird er ganz gewiß auf meinen Wunsch eingehen.«
»Ernstlich sprechen? Wollt Ihr drohen?«
»Unter Umständen, ja.«
»Womit?«
»Erstens mit unsern Apatschen.«
»Das wiegt nicht schwer genug; er wird mit seinen Comantschen antworten.«
»So schicke ich andre Truppen ins Feld, moralische.«
»Moralische? Mr. Shatterhand, denkt Ihr denn im Ernste, daß ein Roter auf Moral etwas giebt?«
»Ja.«
»Da irrt Ihr Euch gewaltig!«
»Pshaw! Ich habe ihm das Leben gerettet und mit ihm nicht nur die Pfeife des Friedens, sondern sogar das Calumet der Freundschaft geraucht. Ist das etwa nichts, Mr. Cutter?«
»Das Calumet der Freundschaft? Das ist viel, sogar sehr viel. Auf die Friedensraucherei ist nichts zu geben, denn das ist eben alles Rauch; aber wenn zwei Freundschaft miteinander geraucht haben, so dürfen sie nie einander mit den Waffen in der Hand gegenübertreten; th'is clear!«
»Also! Wenn Schiba-bigk nicht auf meinen Vorschlag eingehen will, bin ich Mann genug, dies in der Weise in die Öffentlichkeit zu bringen, daß in jedem Indianerzelte und an jedem Lagerfeuer davon gesprochen wird. Was dann die Folge ist, könnt Ihr Euch denken!«
»Hm, ja. Er hat Old Shatterhand die Freundschaft und die Treue gebrochen, er, der junge Indsman, dem erfahrenen und berühmten Westläufer, der ihm das Leben rettete und sein Vertrauen schenkte!«
»Weiter!«
»Es wird kein Weißer und auch kein Roter mit ihm das Calumet mehr rauchen.«
»Das ist ganz gewiß. Darum wird er, wenn nicht aus Freundschaft und Treue, so doch aus Klugheit auf den Kampf mit uns verzichten. Davon bin ich vollständig überzeugt. Ihr nicht auch, Mr. Cutter?«
»Well, will es zugeben. Meine Hoffnung scheint also ganz zu Schanden zu werden. Doch nein, Sir; eine bleibt mir doch!«
»Welche?«
»Die, daß es uns nicht gelingt, die Medizinen in unsern Besitz zu bekommen.«
»Auch da muß ich Euch enttäuschen; ich bekomme sie.«
»Sir, seid nicht so zuversichtlich! Man kann nie wissen, was geschieht und welche Hindernisse eintreten.«
»Hier giebt es keine Hindernisse. Ich kenne die Lage. Es ist nur ein Fall möglich, in welchem ich auf die Medizinen allerdings verzichten müßte, mein sehr, sehr werter Mr. Cutter.«
»Warum betont Ihr da meinen Namen so?«
»Weil Ihr es seid, um den es sich handelt.«
»Wieso?«
»Ihr müßtet wieder so eine Eigenmächtigkeit begehen wie gestern. Da könnte es fehlschlagen, sonst aber nicht.«
»Da kann ich Euch beruhigen. Ich werde mich ganz genau so verhalten, wie Ihr es mir vorschreibt.«
»Wirklich? Ich frage noch einmal: wirklich?«
»Ja. Es kann mir nicht einfallen, mich noch einmal vor allen Kameraden so bekanzelrednern zu lassen wie gestern; th'is clear.«
»So bin ich zufrieden gestellt und meiner Sache sicher.«
»Well. Aber wißt Ihr, Ihr seid ein so äußerst umsichtiger und pfiffiger Westmann, und habt doch an einen Punkt nicht gedacht, der von größter Wichtigkeit ist.«
»Ihr jedenfalls auch nicht, sonst hättet Ihr gewiß davon gesprochen.«
»Er ist mir allerdings erst in diesem Augenblicke eingefallen.«
»Was ist es?«
»Das Pferd.«
»Welches Pferd?«
»Welches Euer Nigger, wollte sagen Neger, reiten soll. Er kann doch nicht laufen, während wir reiten!«
»Und Ihr denkt, daß ich das vergessen habe?«
»Yes.«
»Hm! Dann wäre ich allerdings nicht wert, ein Westmann genannt zu werden.«
»Also doch?«
»Ja.«
»Wir hätten doch eins mitnehmen sollen.«
»Nein. Wir hatten keins, welches den schnellen Ritt hierher und wieder zurück ausgehalten hätte. Wir nehmen eins von hier.«
»Von den Roten?«
»Selbstverständlich. Oder giebt es hier einen Tattersall, wo man sich Pferde leihen kann?«
»Ihr werdet spitz, Mr. Shatterhand. Also ein Pferd stehlen, hm! Es ist dunkel. Wenn wir nun eins erwischen, welches nichts taugt und nicht mit unsern Pferden fortkommt!«
»Keine Sorge! Ich habe schon eins ausgewählt.«
»Ah, wirklich?«
»Ja. Es war eins abseits angepflockt, in der Nähe des Häuptlingszeltes, also wahrscheinlich Vupa Umugi gehörig, ein sehr schönes, wertvolles Tier, welches er nicht mitgenommen hat, um es beim Kampfe keiner Verwundung oder gar dem Tode auszusetzen. Das nehmen wir.«
»Wird es der Neger reiten können?«
»Ich reite es. Er setzt sich auf das meinige.«
»Well! So habe ich nur noch ein Bedenken.«
»Immer noch etwas?«
»Ja, das letzte. Man kann bei solchen Gelegenheiten nicht vorsichtig genug sein; es ist da alles zu bedenken. Gesetzt auch, Ihr schlagt die Wächter nieder, wir holen Bob heraus und bekommen die Medizinen, das alles, ohne daß es jemand merkt. Das Pferd aber wird Lärm machen. Ich kenne das.«
»Ich auch.«
»Es hat noch keinen Weißen getragen und wird Euch nicht aufsteigen lassen.«
»Es muß.«
»Und wenn Ihr oben sitzt, wird es Euch nicht gehorchen.«
»Es muß!«
»Oho! Seid Ihr Eurer Sache wirklich so sicher?«
»Ja.«
»All devils! Dann seid Ihr ein Reiter, mit dem sich nur noch ein einziger vergleichen kann!«
»Wer?«
»Das ist – – das ist – – – hm, nehmt es mir nicht übel, aber das ist der alte Wabble!«
»Ah, Ihr selbst also!« lachte ich.
»Ja, ich selbst! Das klingt stark, nicht wahr? Ist aber so! Wißt Ihr, wie man mich zu nennen pflegt?«
»Den König der Cowboys.«
»Wißt Ihr auch, was das zu bedeuten hat? Daß es kein Pferd giebt, welches nicht genau so muß, wie ich will! Könnt Ihr das auch von Euch sagen?«
»Was helfen Worte und Prahlereien!«
»Well, Ihr habt recht! Die That ist der Mann. Ich habe davon gehört und es auch gesehen, daß Ihr ein guter Reiter seid, aber es gehört doch – – –«
»Gesehen? Gesehen habt Ihr noch nichts,« fiel ich ihm in die Rede.
»Nichts? Ich dächte doch, ich hätte in den letzten Tagen genug Gelegenheit dazu gehabt!«
»Da ritt ich mein eigenes Pferd. Heut wird es anders.«
»So, so! Da will ich nur hoffen, daß Ihr uns nicht in Grund und Boden reitet!«
»Habt keine Sorge! Wenn ich aufsteige, seid Ihr gar nicht mehr da.«
»Nicht? Wo denn?«
»Es giebt nur zwei erwachsene Krieger im Lager, und die werde ich betäuben; aber sie können inzwischen wieder aufwachen, und weil es mit dem Pferde nicht ohne Lärm abgeht, wird das ganze Lager in Alarm versetzt werden. Man wird zu Pferde steigen, uns zu verfolgen, auch die jüngeren Burschen, und wenn wir uns vor solchen Verfolgern auch nicht fürchten, so kann doch die dümmste Kugel den klügsten Menschen treffen. Daher halte ich es für geraten, uns nicht hier aufzuhalten, sondern nach vollbrachter That augenblicklich fortzureiten.«
»Dieser Meinung bin ich auch.«
»Wir machen es also folgendermaßen: Wenn wir den Neger und die Medizinen haben, so macht Ihr Euch schnell aus dem Thale heraus; Ihr, Mr, Cutter, führt Bob und Mr. Surehand trägt die Medizinen. Hier angekommen, steigt Ihr auf und reitet weiter.«
»Bob auf Eurem Pferde?«
»Ja.«
»Wird es ihn in den Sattel lassen? Ich weiß, daß der Rappe keinen Fremden trägt, wenn Ihr nicht wollt.«
»Bob und der Rappe kennen sich von früher her.«
»Schön! Aber Ihr?«
»Ich warte so lange, bis ich denke, daß Ihr in Sicherheit seid; dann steige ich auf und komme nach.«
»Heavens! Ich warne Euch noch einmal! Denkt Euch doch nur in die Situation! Ihr seid mitten in einem feindlichen Indianerlager. Ihr wollt ein Pferd besteigen, welches Euch nicht hinauf läßt, und seid Ihr mit Lebensgefahr hinaufgekommen, so bockt und wabbelt es, um Euch wieder abzuwerfen. Diese Zeit, die das kostet, und dieser Skandal, der dabei entsteht! Die Roten wachen auf und kommen in Scharen herbei, junge Kerls zwar nur, aber bewaffnet! Ihr werdet vom Pferde geschossen, weil es nicht von der Stelle zu bringen ist!«
»Ich wiederhole: es muß!«
»Well, es muß also, und es wird also, aber wie! Es springt kreuz und quer; es gerät unter die andern Pferde, die einen Heidenlärm vollführen und um sich schlagen und beißen; es rennt gegen die Zelte; es läuft nicht vorwärts, sondern seitwärts den Berg hinan; es kollert wieder herunter und bricht sich und Euch den Hals; es – – –«
»Macht ein Ende, macht ein Ende, Sir!« fiel ich ihm in die Lamentation. »Ich gebe Euch mein Wort, daß von allem, was Ihr jetzt so reizend geschildert habt, nichts, gar nichts geschehen wird.«
»Schön, Ihr wollt es nicht anders; aber ich sehe das Unheil kommen. Glücklicherweise habe ich meinen Hals nicht unter Eurem Kopfe, und wenn es Euch glückt, nur mit einigen Rippen- und Beinbrüchen und etlichen Verrenkungen davon zu kommen, so will ich es loben. Wem nicht zu raten ist, dem soll man nicht helfen, weil ihm nicht geholfen werden kann; th'is clear!«
»Ich brauche keine Hilfe und bitte, sobald Ihr fort seid, nur um das Eine, daß Ihr ganz genau denselben Weg reitet, auf dem wir gekommen sind, damit ich Euch nicht verfehle.«
Da meinte Old Surehand in seinem so ruhigen und bestimmten Tone:
»Ist Old Wabble so besorgt um Euch, so bin ich es um so weniger, Mr. Shatterhand. Die Sache ist gefährlich, höchst gefährlich; aber ich weiß, daß ihr nichts unternehmt, wovon Ihr nicht überzeugt seid, daß Ihr es ausführen könnt. Es wird also klappen. Doch möchte ich, wenn Ihr nichts dagegen habt, Euch einen Vorschlag machen.«
»Ich werde Euch dankbar dafür sein, statt etwas dagegen zu haben.«
»Wie lang ist das Thal von einem Ende bis zum andern?«
»Eine halbe Wegsstunde.«
»Und von hier bis zum Anfang?«
»Eine kleine Viertelstunde.«
»Die Pferde befinden sich wahrscheinlich ganz hinten?«
»Ja.«
»Das giebt beinahe drei Viertelstunden zu laufen, wenn wir fertig sind. Ist das nicht zu weit?«
»Hm! Wir könnten den Weg abkürzen, wenn wir die Pferde bis zum Eingange des Thales mitnähmen.«
»Das ist es, was ich Euch vorschlagen wollte.«
»Danke, Sir! Bin einverstanden. Es wird schon über zehn Uhr sein. Die Roten gehen zeitig schlafen, zumal wenn die erwachsenen Männer nicht da sind. Denkt Ihr, daß wir aufbrechen können?«
»Es wird die rechte Zeit sein, da wir nun einmal nicht bis nach Mitternacht warten können.«
»So wollen wir!«
Wir warfen die Gewehre über, nahmen die Pferde an den Zügeln und gingen. Als wir das Thal erreichten, schlich ich eine Strecke hinein, um zu sehen, ob wir es wagen könnten, die Pferde allein zu lassen. Es befand sich kein Mensch hier, und hinten war kein Feuer zu sehen. Die Roten schliefen. Wir banden also die Pferde an und begannen dann das Unternehmen, dessen für mich wahrscheinlichen Ausgang Old Wabble mir in so tragischer Weise geschildert hatte.
Die Sterne lieferten uns grad so viel Licht, wie wir brauchten, nicht weniger und nicht mehr. Wir hielten uns an den linken Rand der Thalsohle, den ich auf meiner Rekognoszierung von der rechten Höhe überblickt hatte; ich kannte ihn also besser als den gegenüberliegenden. Das führte uns so weit an den Zelten vorüber, daß wir von dort, wenn ja jemand noch wach und im Freien sein sollte, nicht gesehen werden konnten. Als wir sie passiert hatten, legten wir uns nieder, um nun rechts hinüber nach dem letzten zu kriechen, in welchem Bob steckte. Dieses Kriechen wurde uns dadurch erschwert, daß wir die Gewehre mit hatten. Es wäre doch zu gewagt gewesen, sie bei den Pferden zu lassen, und hier konnten wir leicht in die Lage kommen, sie zu unsrer Verteidigung zu gebrauchen.
Old Surehand kroch voran; ich hatte ihm das Zelt gezeigt und ließ ihn gewähren; er schien es als Ehrensache aufzufassen, der erste zu sein, und von ihm war kein Fehler zu besorgen. In der Nähe des Zeltes angekommen, wartete er, bis ich ihn erreicht hatte, und flüsterte mir zu:
»Seht Ihr die beiden Wächter, Sir? Da liegen sie vor dem Eingange und schlafen. Soll ich helfen? Ich denke aber, daß Eure Faust geübter ist als die meinige.«
»Überlaßt sie mir! Ihr werdet zwei dumpfe Schläge hören; dann kommt Ihr nach.«
Ich schob mich leise, leise hin. Sie regten sich nicht; sie schliefen wirklich. Es war so viel Zwischenraum zwischen ihnen, daß ich mir das zu nutze machte. Als ich mich dann aufrichtete, lag der eine griffbequem rechts und der andere links von mir. Ich nahm den ersten beim Halse und gab ihm den Hieb an die Schläfe. Es ging ein kurzes Zittern durch seinen Körper; dann streckte er sich und blieb lautlos liegen; er war abgefertigt. Grad so erging es auch dem zweiten. Dann kam Old Surehand und nach ihm Cutter.
»Setzt Euch her, jeder zu einem von ihnen!« flüsterte ich. »Sorgt dafür, daß sie uns nicht schaden können, bis ich wiederkomme!«
»Sie sind ja betäubt,« meinte Old Wabble.
»Aber wie lange? Ich kenne ihre Schädel nicht und könnte zu leicht geschlagen haben. Wenn einer erwacht, bedroht Ihr ihn mit dem Messer.«
Ich hob den Thürvorhang auf und kroch in das Zelt. Es war das laute, ruhige Atmen eines Schläfers zu hören.
»Bob!« versuchte ich, ihn zu wecken.
Er hörte es nicht. Ich nahm eines seiner Beine und schüttelte es.
»Bob!«
Da bewegte er sich.
»Bob, bist du es?«
»Was – wer – wo – –« antwortete er schlaftrunken.
»Sei munter und vernünftig und höre, was ich dir sage! Bist du allein, Bob?«
»Ja, Bob sein da, ganz allein. Wer kommen jetzt zu Masser Bob? Wer sprechen mit ihm?«
Der gute Neger hatte nämlich die Eigentümlichkeit, sich selbst Masser zu nennen, während er zu jedem, den er über sich stehend schätzte, Massa sagte.
»Ich will es dir sagen, wenn du leise, ganz leise redest. Ich komme, um dich zu befreien.«
»Oh – oh – – oh! Bob befreien! Masser Bob sollen frei sein, ganz wieder frei?«
»Ja, ganz frei.«
»Wer sein das, der Masser Bob freimachen?«
»Du wirst dich freuen, sehr freuen, wenn du hörst, wer ich bin. Aber du darfst nicht vor Freude laut werden!«
»Bob werden leise sprechen, ganz leise, so leise, daß gar niemand kann hören.«
»Gut, rate einmal!«
»Bob nicht hören Stimme. Sein Massa Bloody-Fox?«
»Nein.«
»Dann nur können sein Massa Shatterhand!«
»Ja, der bin ich.«
»Oh – oh – oh – – – ooooooooh!« stöhnte er entzückt, wobei ich seine Zähne knirschen hörte. Er biß sie zusammen, um nicht vor Entzücken laut zu schreien; dafür aber strampelte er so mit den zusammengebundenen Füßen, daß ich zur Seite weichen mußte, um nicht einen Stoß zu bekommen, der einem Ochsen Ehre gemacht hätte, denn Bob war ein außerordentlich kräftiger Kerl, vor dessen Stößen und Hieben man sich in acht zu nehmen hatte.
»Also still! Deine Freude kannst du äußern, wenn wir glücklich von hier fort sind. Deine Füße sind gebunden. Wo bist du sonst noch gefesselt?«
»Hände hüben und drüben an Zeltpfahl gebunden und um Leib einen Riemen, der tief in Erde gepflockt.«
»Wie hat man dich behandelt?«
»Mit sehr große Kraft. Viel Hiebe bekommen.«
»Wie stand es mit dem Essen?«
»Bob haben stets Hunger.«
»Das wird anders werden. Halte still! Ich werde dich losmachen. Die Riemen können wir draußen brauchen.«
»Sein noch viel mehr Riemen da; hängen oben an Pfahl.«
»Gut, die sollen deine Wächter fühlen. Ich habe den Rappen mit; den wirst du reiten. Du wirst doch noch mit ihm auskommen?«
»Rappen Hatatitla? Oh, Bob und Rappen sein sehr gut Freund. Reiten gut aufeinander, kommen nicht auseinander!«
»Schön! jetzt wollen wir schnell machen und nicht mehr reden. Später wirst du mir erzählen, wie du in die Gefangenschaft geraten bist.«
Als ich ihn losgebunden hatte, stand er auf, reckte und streckte die Glieder und stöhnte vor Freude.
»Wo sind die Riemen, von denen du sprachst? Gieb sie mir!«
Er langte sie mir herab, und dann verließen wir das Zelt. Er erkannte meine beiden Gefährten gleich als Weiße, die zu mir gehören mußten. Als er die beiden Wächter liegen sah, sagte er:
»Das sein rote Indsmenhunde, die immerfort schlagen und treten mit Füßen Masser Bob. Massa Shatterhand sie wohl schlagen mit Faust an Schädel?«
»Ja. Jetzt werden wir sie binden.«
»Oh – – oh – –! Massa erlauben, daß Bob sie binden. Riemen müssen gehen durch Fleisch bis auf Knochen!«
Er fesselte sie, und zwar so, daß sie vor Schmerzen erwachten. Wir rissen ihnen einige Fetzen von den Indianerhemden und stopften sie ihnen als Knebel in den Mund, daß sie nicht laut werden konnten. Dann schleiften wir sie in das innere des Zeltes und banden sie so fest an, daß sie von selbst gewiß nicht loskommen konnten.
Dieser Teil unsrer Aufgabe war glücklich gelöst. Nun galt es den Medizinen. Bob und Old Wabble mußten warten, und ich schlich mich mit Old Surehand nach dem Zelte des Häuptlings. Dort regte sich kein Hauch und kein Mensch, und es wurde uns leicht, die Stangen geräuschlos aus der Erde zu drehen. Als wir zu den zwei Genannten zurückgekehrt waren, knüpften wir die Medizinen von den Stangen los und banden sie mit einem Riemen zusammen.
»Fertig, wenigstens wir!« sagte nun Old Wabble. »Nun aber kommt das Schwierigste für Euch, Mr. Shatterhand. Es ist mir wirklich bange. Habt Ihr weit von hier zum Pferde?«
»Nein. Es liegt jenseits des Häuptlingszeltes im Grase, wie ich sah, als wir die Stangen holten.«
»Wollen wir einmal hin?«
»Ihr möchtet versuchen, wie es sich verhält?«
»Yes.«
»So kommt! Ihr sollt den Willen haben, denn es kann uns nun kaum etwas geschehen. Aber nicht zu nahe hinan, sonst wird es zu laut!«
Wir schlichen uns lautlos hin. Wir hatten wohl noch zwanzig Schritte zu thun, so hob es den Kopf und schnaubte; wieder drei Schritte, da sprang es auf, zerrte am Lasso und arbeitete mit den Beinen.
»Kommt wieder fort!« sagte ich. »Es fängt sonst gar an, zu wiehern. Dieses Tier hat gute Schule.«
»Der Teufel hole die Schule, wenn man dabei, falls man ein Weißer ist, den Hals und die Knochen bricht! Wollt Ihr es wirklich noch mit dieser Bestie versuchen?«
»Ja.«
»In dieser Dunkelheit!«
»Soll ich etwa hier warten, bis es Tag geworden ist?«
»Macht keinen Witz; die Sache ist sehr ernst! Es wird mir wirklich himmelangst um Euch. Ich gebe Euch den guten Rat, Euch doch lieber – –«
Er hätte mir wirklich den jedenfalls ganz unnützen guten Rat gegeben, wenn er nicht von Old Surehand unterbrochen worden wäre:
»Keine Redensarten, Sir! Wir müssen fort. Nehmt Bob da bei der Hand, um ihn zu führen; ich habe die Medizinen zu tragen. Vorwärts jetzt!«
»Meinetwegen; ich gehe ja schon und will den Neger führen; aber neugierig bin ich, wie das enden wird! Ich wasche meine Hände in Unschuld, weil man sie hier in nichts weiter waschen kann; th'is clear!«
Sie verschwanden im Dunkel der Nacht, und ich konnte nun an den Hauptteil meiner Aufgabe gehen, denn die Entführung des Pferdes war allerdings weit schwieriger als die Befreiung des Negers und die uns so leicht gewordene Entwendung der Medizinen des Häuptlings. Es fiel mir natürlich gar nicht ein, mich in der Weise, wie Old Wabble es sich dachte, in den Besitz des Pferdes zu setzen; das wäre unter den gegenwärtigen Verhältnissen und zumal bei Nacht mit großer Lebensgefahr für mich verbunden gewesen. Das edle Pferd war indianisch geschult, vielleicht sogar dressiert; es scheute vor jedem Weißen, und wenn ich auch gar nicht daran zweifelte, daß es mir gelingen werde, durch einen kühnen Sprung auf seinen Rücken zu kommen, so doch erst nach langer und energischer Gegenwehr des Tieres, welche jedenfalls mit Stampfen, Schnauben, Wiehern, Ausschlagen, also mit großem Lärm verbunden war. Und hatte ich das fertig gebracht, so gab es weder Sattel noch Zaum, sogar nicht einmal einen einfachen Kopfriemen, denn das Pferd war an einem Lasso an die Erde gepflockt, dessen andres Ende man ihm einfach um den Hals gebunden hatte. Ich war also einzig und allein nur auf den Schenkeldruck angewiesen; das Tier ging unbedingt erst mit mir durch, und ich konnte es erst nach und nach in meine Gewalt bekommen. Dabei aber mußte allerdings das in Erfüllung gehen, was Old Wabble befürchtete: es rannte mit mir unter die andern Pferde und gegen die Zelte; es schoß mit mir regellos hin und her, den Berg hinauf und wieder herunter; es kam zum Stürzen, und ich konnte dabei Hals und Beine brechen, wie man sich auszudrücken pflegt.
Nein, die Sache mußte anders angefangen werden. Glücklicherweise wußte ich ganz genau, wie man so ein indianisches Pferd zu behandeln hat; ich hatte das bei Winnetou gelernt. Es durfte mich nicht für einen Weißen, sondern es mußte mich für einen Indianer halten, worauf ich ihm die Augen zu verbinden hatte.
Als ich bei der Wahnsinnigen oben auf der Höhe gewesen war, hatte ich gesehen, daß am diesseitigen Thalrande eine Menge wilde Mugwartpflanzen standen, und sogleich daran gedacht, den Duft dieser Gewächse zu benutzen, um das Pferd zu täuschen. Dem scharfsinnigen Westmanne muß eben alles dienlich sein; sein Leben kann unter Umständen am Dasein eines kleinen Pflänzchens hängen. Sodann hatte ich vorhin einige Decken vor dem Häuptlingszelte bemerkt, welche die Frau, wahrscheinlich eines Reinigungszweckes wegen, dort im Grase ausgebreitet hatte, lange, breite Decken, in die man den ganzen Körper hüllt, wenn es sehr kalt ist oder regnet. Das kam mir auch gut zu statten. Mehr brauchte ich nicht.
Ich ging also zunächst zu den Mugwartpflanzen, legte mich hinein und wälzte mich tüchtig in denselben hin und her, worauf ich mir mit den sehr kräftig riechenden Spitzen die Hände und das Gesicht einrieb. Nun konnte das Pferd nicht durch den Geruch unterscheiden, daß ich ein Weißer war. Hierauf schlich ich mich dorthin, wo die Decken lagen, und schnitt mir von der einen einen Streifen ab, mit welchem ich dem Tiere die Augen verbinden konnte. In die andre wickelte ich mich genau so ein, wie es die Indianer thun; vorher nahm ich den Hut ab und knöpfte ihn unter dem Jagdrocke fest, weil er das Pferd mißtrauisch machen konnte. Dann ging ich langsam, sehr langsam auf das Tier zu. Es hatte sich wieder niedergelegt, wendete mir den Kopf neugierig zu, sog die Luft prüfend in die Nüstern und – -blieb liegen. Es hielt mich für einen Roten. Damit hatte ich schon halb gewonnen.
»Omi enokh, omi enokh – sei gut, sei gut!« sagte ich in der Mundart der Comantschen leise und liebkosend, indem ich mich niederbückte und es streichelte. Es ließ sich diese Zärtlichkeit gefallen, und ich fuhr mit derselben fort, bis ich annehmen durfte, daß meine Gefährten bei unsern Pferden angekommen seien. Da pflockte ich den Lasso los und schnitt ihn in mehrere Stücke, aus denen ich eine Art Kopfgestell zusammenknotete, welches sich das Pferd ruhig anlegen ließ. Zwei längere Stücke band ich als Zügel rechts und links an den Nasenriemen und war dann mit den Vorbereitungen fertig. Hierauf stellte ich mich mit ausgespreizten Beinen über den Leib des Pferdes und forderte es auf:
»Naba, naba – – steh auf, steh auf!«
Es gehorchte augenblicklich; ich saß oben und lenkte es einigemale versuchsweise hin und her; es ließ sich willig lenken, ohne daß ich der Schenkel dazu bedurfte. Ich hatte gewonnen, wenigstens einstweilen, denn später war, wenn es mich als Weißen erkannte, jedenfalls ein Kampf zu erwarten. Um aus der Nähe der Zelte zu kommen, ritt ich hinüber nach dem Rande des Thales und an demselben hin, bis ich das Lager hinter mir hatte; da ließ ich das Tier traben, bis ich zu der Stelle kam, wo wir unsre Pferde gelassen hatten; sie waren fort. Nun stieß ich einen schrillen Schrei aus, mit welchem die Roten ihre Pferde in Galopp setzen; es gehorchte auch diesesmal, und wir flogen zunächst ein Stück am Bache hin und dann rechts von demselben ab in die offene Prairie hinaus.
Das Pferd war ausgezeichnet. Ich bemerkte nach einem halbstündigen Galoppe noch nicht das geringste Zeichen der Anstrengung an ihm; der Atem ging unhörbar. Da hörte ich vor mir einen langgezogenen Schrei. Das war einer von meinen Gefährten, welche wissen wollten, ob ich käme; sie waren in Sorge um mich. Ich antwortete durch einen gleichen Schrei, und da sie hierauf halten blieben, um auf mich zu warten, hatte ich sie schnell eingeholt.
»All devils, ein Roter!« rief Old Wabble aus, als er mich erblickte. »Der verfolgt Old Shatterhand und hat ihn verloren. Machen wir ihn kalt!«
Ich sah, daß er das Gewehr vom Rücken riß, und warnte ihn:
»Nicht schießen, Sir! Ich möchte gern noch einige Zeit leben bleiben.«
»Zounds! Das ist ja Old Shatterhands Stimme!«
»Natürlich, meine eigne; eine andre habe ich nicht.«
»Er ist's; er ist's; wahrhaftig, er ist's! Aber, Sir, seht Ihr, daß ich ganz starr bin?«
»Friert Euch so?«
»Unsinn! Starr vor Verwunderung bin ich!«
»Worüber?«
»Daß Ihr so hübsch dahergeritten kommt, so einig mit dem Gaule, als ob Ihr schon tausend Säcke Hafer miteinander gefressen hättet. Das ist doch nicht das Pferd, welches ihr stehlen wolltet, Sir!«
»Es ist's; seht her!«
»Hm, ja! Bei meiner Seele, es ist's! Da ist ein Wunder geschehen, sonst hättet Ihr es nicht so schnell bezwingen können.«
»Es hat gar keines Zwanges bedurft.«
»Was? Nicht? Gar nicht?«
»Nein. Es hat mich ohne allen Widerstand hierher getragen.«
»Unmöglich! Ich bin ein zu guter Kenner, als daß Ihr mir so etwas weismachen könnt.«
»Ich mache Euch gar nichts weis, gar nichts. Wenn ich es hätte zwingen müssen, würde es sich jetzt ganz anders verhalten, und einen andern Gang, ein andres Aussehen haben.«
»Es ist zu dunkel, es sehen zu können. Schwitzt, schäumt und geifert es nicht?«
»Nichts von alledem.«
»Unglaublich! Könnt Ihr vielleicht hexen? Ich muß mich doch einmal selbst überzeugen.«
Er lenkte sein Pferd zu mir heran und streckte die Hand aus, das meinige anzufühlen. Es schnaubte scheu und stieg vorn hoch empor.
»Laßt das sein, Sir!« bat ich. »Es kann die Weißen nicht leiden.«
»Ihr seid doch auch einer!«
»Ja; aber es hält mich für einen Roten.«
»Ah! Also darum die Maskerade mit der Decke?«
»Ja.«
»Wie pfiffig! Man kann wirklich noch viel, sehr viel von Euch lernen. Aber der Geruch, der Geruch! Ein Indianer riecht doch wie – – wie – – hm, wie sage ich doch nur gleich? Er riecht nach Schmutz, nach Herberge, nach – -nach – – na, mit einem Worte, er riecht eben wild! Ein Weißer hat diese sonderbare Ausdünstung nicht.«
»Der riecht wohl civilisiert anstatt wild?« fragte ich lachend.
»Ja, civilisiert; so ist es. Wenn Ihr Euch auch maskiert habt, so mußte das Pferd doch am Geruche merken, daß Ihr kein Indsman seid.«
»Ich habe eben den Geruch verändert.«
»Unsinn!«
»Ja! Es giebt ein sehr probates Mittel, mit welchem man selbst so ein Pferd irre machen kann.«
»Was ist das?«
»Mein Geheimnis.«
»Ihr wollt es nicht sagen?«
»Nein, wenigstens jetzt nicht; vielleicht teile ich es Euch später einmal mit. Wer ein wenig nachdenkt, der findet es auch, ohne daß man es ihm sagt.«
»So! Habt Ihr es auch nur durch Euer Nachdenken?«
»Niemand hat es mir gesagt, ich bin selbst darauf gekommen; es ist meine eigene Erfindung.«
»So habt Ihr es vorhin erst erfunden?«
»Nein, schon längst. Es ist heute nicht das erste Mal, daß ich ein Indianerpferd damit täusche. In einigen Stunden ist dieser Geruch verschwunden, und wenn ich dann die Decke ablege und den Hut aufsetze, wird der Gaul die Täuschung erkennen und sich wehren. Dann wird es bei Tage und in der offenen Prairie den Kampf geben, den ich jetzt umgangen habe, weil ich allerdings das Leben riskiert hätte.«
»Well, ich muß Euch glauben, bin aber wirklich begierig, zu sehen, wie Ihr das Pferd bewältigen werdet.«
»Sehr leicht. Nur Raum brauche ich dazu, nur Raum, und den habe ich dann im höchsten Maße. Jetzt aber wollen wir nicht reden, sondern reiten, daß wir die Gegend des Kaamkulano bald möglichst weit hinter uns legen. Laßt mich voran, daß mein Pferd nicht durch Euch scheu gemacht wird!«
Um an ihre Spitze zu kommen, ritt ich an ihnen vorüber, dabei sagte Bob:
»Warum Massa Shatterhand nicht mit seinem Masser Bob reden? Masser Bob will sagen Dank!«
»Ist nicht nötig, lieber Bob.«
»Und will erzählen, wie rote Indsmen nehmen Masser Bob gefangen.«
»Später. Jetzt haben wir keine Zeit dazu. Die Hauptsache ist, daß du mit meinem Rappen gut auskommst.«
»Oh – – oh – – oh – –, Rappe sein sehr gutes Pferd, und Bob sein sehr vortrefflicher Reiter. Beide einander gut kennen und fahren wie Blitz über Prairie dahin!«
Ja, der gute Bob ritt jetzt bedeutend besser als damals, wo er zum erstenmal im Sattel saß. Obgleich er sich mit den Händen krampfhaft an dem Halse und der Mähne des Pferdes festgehalten hatte, war er doch stets immer weiter nach hinten gerutscht und endlich am Schwanze heruntergeglitten. Das hatte ihm den Spitznamen Sliding-Bob eingetragen, also der ›rutschende Bob‹. Später hatte er sich eingerichtet und war schließlich bei Bloody-Fox in eine gute Schule gekommen. Jetzt ritt er so, daß er nicht hinter uns zurückblieb, was aber freilich mehr dem Pferde als dem Reiter zuzuschreiben war.
Von dem Augenblicke, an welchem ich das ›Hasenthal‹ verlassen hatte, war für uns nichts mehr zu fürchten gewesen, denn bei der Güte unsrer Pferde konnten wir nicht eingeholt werden, und die etwaigen Verfolger wären junge Menschen gewesen, aus denen wir uns nicht viel gemacht hätten. Dennoch ritten wir mehrere Stunden lang ununterbrochen fort und hielten dann an, weil unser Ritt ein noch sehr weiter war. Wir hatten von da an, wo wir hielten, noch einen vollen Tagesritt bis zum Nargoleteh-tsil, wo wir mit den Apatschen zusammentreffen wollten.
Wir pflockten unsre Pferde an, aber so lang an die Lassos, daß sie Platz zum Grasen hatten. Das meinige mußte ich abseits befestigen, weil es nicht in der Nähe der andern sein wollte; es schlug und biß nach ihnen.
Als wir uns dann zu einander gesetzt hatten, fragte Bob:
»Nun haben Zeit, und nun dürfen Masser Bob wohl erzählen, wie Indsmen ihn gefangen nahmen?«
»Ja, erzähle es«, antwortete ich, denn er hätte uns doch keine Ruhe gelassen. »Ich habe mich sehr darüber gewundert, daß Bloody-Fox dich im Stiche gelassen hat.«
»Haben Fox mich im Stiche lassen?«
»Natürlich!«
»Und Massa Shatterhand sich darüber wundern?«
»Sogar sehr!«
»Masser Bob sich nicht wundern.«
»Das verstehst du nicht. Ihr seid auf die Jagd geritten?«
»Ja, auf Jagd.«
»Also beisammen gewesen?«
»Beisammen,« nickte er.
»Du wurdest gefangen, und er entkam?«
»Ja.«
»So mußte er den Roten nachfolgen und alles thun, um dich zu retten. Hat er das versucht?«
»Nein.«
»Das ist ein Beweis, daß er euch nicht gefolgt ist. Wieviel Rote waren es, die euch überfielen?«
»Zehn und noch zehn und wieder noch einmal zehn. Vielleicht auch mehr. Bob nicht haben gut zählen.«
»Also ungefähr dreißig. Wie ich Bloody-Fox kenne, ist er nicht der Mann, der sich scheut, hinter dreißig Roten herzureiten. Er mußte unbedingt zu erfahren suchen, was sie mit dir angefangen hatten oder noch thun wollten.«
»Vielleicht haben Massa Fox es doch thun!« »Nein. Er hat das Anschleichen gelernt, und wenn es ihm unmöglich war, dich zu befreien, so war er der Mann, der es fertig brachte, dir ein Zeichen zu geben. Hast du so etwas gesehen oder gehört?«
»Masser Bob nichts hören und nichts sehen.«
»So hat er dich also im Stich gelassen, und das ist es, worüber ich mich wundere, falls er überhaupt gewußt hat, daß du in ihre Gefangenschaft geraten warest.«
»Massa Fox das vielleicht nicht wissen.«
»Nicht? Hat er es nicht gesehen?«
»Nein.«
»Aber ihr waret ja beieinander!«
»Er nicht bei Masser Bob und ich nicht bei Massa Fox, als rote Indsmen kamen.«
»Oh, das ist etwas Andres! Ihr hattet euch also getrennt?«
»Ja. Wir waren daheim fort, weil nur noch wenig Fleisch haben. Mutter Sanna allein zu Hause bleiben und wir aus Llano estacado heraus, um jagen und Fleisch holen. Wir lange kein Wild finden, bis weit, weit fort an Regenberg kommen.«
»Ah, am Nargoleteh-tsil seid ihr gewesen? Dahin wollen wir ja heut!«
»Nargoleteh-tsil; das sein richtig.«
»Dort habt ihr gejagt?«
»Ja; haben schießen zwei Bisons; geben Fleisch, große Menge Fleisch. Schneiden Fleisch in Stücke und hängen auf Riemen, die mitgebracht. Haben auch mitgebracht Packpferde, um Fleisch tragen heim. Als fertig waren mit Aufhängen, gehen fort, um suchen wieder Büffelspuren, Massa Fox links und Masser Bob rechts.«
»Das war nicht klug. Entweder durftet ihr euch nicht trennen oder einer von euch, also jedenfalls du, mußte bei den Pferden und bei dem Fleische bleiben.«
»Vielleicht das richtig sein; Massa Shatterhand es ja gut verstehen, besser noch als Bloody-Fox und viel, viel besser als Masser Bob. Bob reiten weit, sehr weit und nicht finden Spur von Büffel, kehren endlich um, weil anfangen zu regnen. Da kommen Comantschen und ihn umringen. Er sich wehren, sie aber doch nehmen fangen Masser Bob. Sie ihn fragen, was hier wollen und was hier thun; er nichts sagen. Sie nun schlagen Masser Bob, er aber doch nichts verraten. Da sie reiten auf seiner Spur nach Regenberg, schicken Späher voraus. Späher kommen wieder und reden leise, was haben gesehen am Regenberg. Dann reiten fort, schnell; drei reiten langsam nach mit Masser Bob. Alsbald sind an Regenberg, Masser Bob hören schießen. Dann hinkommen. Comantschen sind im Lager und beim Fleisch von Bloody-Fox, er aber nicht da; an Erde aber liegen tote Indsmen, erschossen von Fox und er fort.«
»So also ist es gewesen, so! Er war eher zurückgekehrt als du, und sie haben ihn überfallen. Er hat einige von ihnen erschossen und ist entflohen.«
»Ja, war fort, ganz fort. Mehrere ihm nach; aber später wiederkommen und ihn nicht haben funden.«
»Was thaten die Roten dann?«
»Sie binden Masser Bob auf Pferd, laden Fleisch auf Pferde und reiten fort.«
»Wohin?«
»Reiten fast zwei Tage bis Bob war fangen in Zelt. Sie ihm sagen, daß wollen holen auch Bloody-Fox, und wenn ihn bringen, dann Massa Fox und Masser Bob sollen sterben an Marterpfahl.«
»Hm! Hatte es sehr geregnet?«
»Sehr! Regen gehen Masser Bob bis auf Haut.«
»Da ist mir alles erklärlich. Zu welcher Tageszeit ist es gewesen, Bob?«
»Als Masser Bob umkehren, es bald Abend sein. Und als kommen an Regenberg mit Indsmen, es schon anfangen, sehr dunkel werden.«
»Fox ist jedenfalls zurückgekehrt, hat sich aber nicht ganz bis zu dem betreffenden Platze wagen wollen. Und wenn er es gewagt und also gemerkt hat, daß sie fort waren, hat er ihnen doch nicht folgen können, weil er im Dunkel ihre Spuren nicht sehen konnte. Früh aber war die Fährte verschwunden, denn das niedergetretene Gras hatte sich infolge des Regens bis dahin aufgerichtet. Er wußte nichts davon, daß die Roten dich getroffen und festgenommen hatten. Er glaubte, du habest dich verirrt und suchte dich. Er wartete vielleicht, als er dich nicht fand, den ganzen Tag auf deine Rückkehr. Als du nicht kamst, nahm er an, daß du möglicherweise die Roten gesehen habest.«
»Ja, das er wohl denken.«
»Du konntest ja zurückgekommen sein, als sie ihn schon überfallen hatten; sie bemerkten dich nicht; du sahst, daß er fort war, und rittest auch fort.«
»Ja, heim zu Mutter Sanna!«
»Das konnte er dir schon zutrauen, und da er den Roten nicht folgen konnte, weil er nicht wußte, wohin sie waren, blieb ihm nichts andres möglich, als auch heimzukehren, um zu sehen, ob du dort angekommen seist.«
»Aber als Massa Bloody-Fox sehen, daß Masser Bob nicht da bei Mutter Sanna?«
»So ist er wahrscheinlich wieder fort, um abermals nach dir zu suchen. Wer weiß, wo und wie lange er sich herumgetrieben hat, ohne dich zu finden!«
»Nun aber er mich wiedersehen, oh – oh oh! Denn Massa Shatterhand bringen doch Masser Bob jetzt wieder zu Mutter Sanna und Massa Fox?«
»Ja, wir bringen dich hin. Die Roten sind aufgebrochen, um euer Haus zu überfallen und Bloody-Fox zu fangen und zu töten.«
»Das sie sollen nicht wagen! Masser Bob sie erschlagen und erschießen alle, alle, alle! Niemand von ihnen leben bleiben, kein einziger!«
Er knirschte mit seinen Zähnen, und das hatte etwas zu sagen, denn er hatte ein Gebiß, welches einem Panther Ehre gemacht hätte; dann fuhr er fort:
»Ja, sie alle, alle sterben, denn sie haben schlagen Masser Bob und ihm nichts geben zu essen. Er haben viel Hunger, und sie nichts thun, als nur darüber lachen.«
»Nun, wir haben jetzt Zeit, dies nachzuholen. In meinen Satteltaschen ist Fleisch genug für dich. Geh hin und hole dir, was du essen kannst!«
»Ja, Masser Bob sich holen. Er grad großen Hunger haben, als Massa Shatterhand kommen in Zelt und ihn machen frei.«
»Nun, davon habe ich nichts gemerkt, denn ich mußte dich wecken; du schliefst sehr fest.«
»Oh – – oh – – oh – –! Masser Bob haben großen Hunger auch wenn schlafen; ihn träumen sogar von Hunger!«
Er holte sich Fleisch und aß; er holte sich wieder welches und aß; er holte sich abermals welches und aß – – aß – – aß, bis nichts mehr zu holen war. Was er im Essen leisten konnte, das wußte ich, so eine Portion wie heute aber hatte er noch nie verschlungen! Er erzählte uns dabei die Einzelnheiten seiner Gefangenschaft im Thale der Hasen; es war nichts für uns Wichtiges dabei. Wir fragten ihn nach den Beobachtungen, die er dabei gemacht hatte, bekamen aber nichts zu hören, was uns hätte von Nutzen sein können. Er war ein guter, treuer Kerl, mutig und klug in seiner Weise, aber Beobachtungen wie ein Westmann zu machen, das war ihm bei seiner geistigen Bescheidenheit nicht möglich.
Als der Morgen zu grauen begann, standen wir auf, um die Pferde zu besteigen.
»Jetzt bin ich neugierig, was Euer Pferd sagen wird,« meinte Old Wabble. »Denn mit der Maskerade hört es jetzt wohl auf?«
»Ja. Wollt Ihr meine Indianerdecke mit auf Euer Pferd nehmen, Mr. Cutter?«
»Ja, gebt sie her!«
»Jetzt noch nicht, sondern erst dann, wenn ich aufgestiegen bin.«
»Well! Sonst würde es Euch gar nicht hinauf lassen!«
»Es müßte wohl; aber ich würde dabei Zeit verlieren, und das ist nicht notwendig; ich werfe sie Euch zu.«
Ich ging zum Pferde hin, um es zu liebkosen. Es zeigte sich mißtrauisch und unruhig; es sträubte die Mähne, schnaubte und zerrte am Lasso. Der Pflanzengeruch hatte sich verloren, und das Tier wurde nur noch durch die Indianerdecke getäuscht. Ich zog den Pflock aus der Erde und steckte ihn in die Satteltasche, sprang auf, band den Lasso vom Halse des Pferdes los und wickelte ihn in Schlingen; die andern standen neugierig da, hielten sich aber fern, um nicht von dem Tiere umgerissen zu werden, wenn es plötzlich ausbrechen sollte. Es ging ein eigentümliches Zittern durch seine ganze Gestalt; ich kannte dieses Zittern; es war das Vorzeichen des nahen Kampfes. Im Nu flog die Decke herab und zu Old Wabble hinüber; ebenso schnell warf ich mir den Lasso über die Schulter; mit der einen Hand die improvisierten Zügel ergreifend, zog ich mit der andern den Hut unter dem Rocke hervor, um ihn aufzusetzen und fest anzudrücken. Da warf das Pferd den Kopf herum, einen einzigen kurzen Augenblick nur sah es mich, dann wieherte es laut und zornig auf und stieg vorn empor. Die Zügel mit beiden Händen fest anziehend, legte ich die Schenkel noch viel fester an. Es war dem Überschlagen nahe; ich drückte es nach vorn und riß es dabei mit solchem Nachdrucke seitwärts, daß es sich einmal um seine eigene Achse drehte. Dann kam es vorn nieder und schlug hinten aus – vergeblich. Es bockte, indem es den Rücken krumm bog und mit allen vieren in die Luft ging; es stand still, um mich zu betrügen, und sprang dann plötzlich mit vollständig steifen Beinen auf die Seite, damit ich auf der andern Seite herabstürzen möge – ebenso vergeblich! Es erging sich in allen den Mucken, die einem sogenannten Bucking-horse andressiert werden – ich blieb fest sitzen.
»Bravo, bravo, Sir!« rief der alte Wabble. »Ihr habt einen famosen Sitz, das muß ich sagen. Der Racker macht es Euch schwer, er hat den Teufel im Leibe!«
»O, bis jetzt ist das noch nichts,« antwortete ich. »Es kommt noch besser, wartet nur!«
Da warf sich das Pferd, als ob es meine Worte verstanden habe, nieder und wälzte sich, indem es mit den Beinen arbeitete und um sich schlug. Ich kam – und das ist dabei die Hauptsache, sonst ist man verloren – mit den Füßen auf die Erde zu stehen und sprang, so wie es sich Wälzte, bald nach rechts, bald nach links, so daß das Tier stets zwischen meinen ausgespreizten Beinen blieb. Das ist außerordentlich anstrengend; es gehört ein scharfes Auge dazu, man muß wissen, nach welcher Seite sich das Pferd im nächsten Augenblicke zu drehen beabsichtigt, und sich dabei in acht nehmen, daß man von den schlagenden Hufen nicht getroffen wird. Noch schärfer muß man erraten, wann es wieder aufspringen will, sonst wird man zur Seite geschleudert und es geht auf und davon.
Jetzt sprang es auf und nahm mich ganz regelrecht mit in die Höhe, indem ich die Zügel wieder ergriff, die ich während des Wälzens natürlich hatte fahren lassen.
»Bravo, bravo!« rief der Alte. »Thunder-storm, ist das ein Vieh! In dieser eleganten Weise macht es Euch keiner als nur Old Wabble nach!«
»Es kommt noch schlimmer, Sir!« antwortete ich, »Erst ermüde ich es hier und dann lasse ich es durchgehen. Steigt auf, um mir schnell nachzukommen!«
Während ich dies sagte, wiederholte das Pferd die schon beschriebenen Versuche, bis es sich zum zweitenmal wälzte und dann wieder aufsprang. Bis jetzt hatte die menschliche Intelligenz mit dem tierischen Willen gekämpft, nun aber sollte es rohe Kraft gegen rohe Kraft gelten, was mir stets gelungen war und mir noch von niemandem hatte nachgemacht werden können. Ich nahm das Pferd also fester in die Zügel, rückte weiter nach vorn und legte die Schenkel mit aller mir zu Gebote stehenden Kraft an. Es stand starr. Ich horchte. Kam der Ton, den ich erwartete, oder kam er nicht? Ja, er kam. Es war ein langes, tiefes, schmerzliches Stöhnen aus eingeengter Brust, das sichere Zeichen, daß der Sieg mein sein werde, wenn meine Kraft nicht ermüdete. Das Tier wollte wieder in die Höhe, vorn, hinten, mit allen vieren; es konnte nicht; ich drückte und preßte womöglich noch stärker als vorher. Nach jeder vergeblichen Anstrengung stöhnte es laut, der Atem ging keuchend. So dauerte es fünf Minuten und noch länger; der Schweiß drang ihm aus allen Poren; es schäumte und warf die weißen Flocken nach allen Seiten.
»Prächtig, prächtig!« schrie Old Wabble entzückt. »So etwas habe ich noch nie gesehen!«
Ja, prächtig! Das konnte er gut sagen. Hätte er nur an meiner Stelle gesessen! Diese Anstrengung! Die Lunge wollte mir platzen; der Schweiß drang auch mir aus allen Poren, aber ich ließ nicht nach. Da wollte das Pferd sich niederwerfen, um sich wieder zu wälzen; es konnte nicht; nun noch ein letzter, langer Schenkeldruck aus allen Leibeskräften – – die menschlichen Muskeln und Sehnen siegten; das Pferd brach zusammen.
»Grandios, grandios!« brüllte der Alte. »Das hätte ich nicht fertig gebracht. Es ist wahr, Sir, Ihr seid ein viel, viel besserer Reiter als ich.«
Old Surehand stand still und sagte nichts; aber seine Augen leuchteten.
»Schön, schön, oh schön!« schrie Bob. »Massa Shatterhand das schon oft machen mit fremden und mit wildem Pferd. Masser Bob dabei sein und es sehen!«
»Ich bin noch lange nicht fertig,« antwortete ich. »Paßt auf, jetzt geht es fort!«
Ich stand mit breiten Beinen über dem Pferde, mit gebücktem Oberkörper und die Zügel in der Hand. Es erholte sich, stand auf und nahm mich mit in die Höhe. Da stand es einige Augenblicke regungslos; dann schnellte es fort, wie plötzlich von einer gewaltigen Feder getrieben. Ich saß fest und ließ es laufen, nur dafür sorgend, daß es die Richtung nahm, in welche wir wollten. Die andern drei kamen hinter mir hergejagt. Nach einer Weile blieb es plötzlich halten und begann das Bocken und Wälzen von neuem. Es sprang auf und jagte wieder fort, hielt abermals an und that alles, um mich los zu worden. Ich ließ es gewähren, bis ich die Zeit gekommen meinte; da nahm ich es zwischen die Schenkel wie vorher; es stand unbeweglich; ich schwitzte; es stöhnte, schwitzte und schäumte, bis es zum zweitenmal zusammenbrach. Jetzt wußte ich, daß es keinen Versuch mehr machen, keinen Widerstand mehr leisten werde, und stellte mich zur Seite, als mich die drei eben einholten. Sie parierten ihre Pferde, und Old Wabble fragte:
»Ihr gebt die Zügel aus der Hand und laßt es frei liegen? Wenn es Euch nun davongeht, Sir!«
»Es bleibt, es ist besiegt, es ist mein!« antwortete ich.
»Traut der Bestie nicht! Es wäre schade, jammerschade, wenn es Euch nach dieser großen, riesenhaften Anstrengung entkäme!«
»Es läuft nicht fort.«
»Oho!«
»Paßt auf! Ich kenne die Dressur.«
Ich legte dem Pferde die Hand auf den Kopf und sagte:
»Naba, naba – steh auf, steh auf!«
Es sprang auf. Ich ging langsam fort und befahl:
»Eta, eta – komm, komm!«
Es kam hinter mir her, nach rechts und links, hin und zurück, bis ich stehen blieb, da blieb es auch stehen.
»Großartig, wirklich großartig!« rief Old Wabble. »Wenn man es nicht sähe, würde man es gar nicht glauben!«
»Ihr gebt also zu, daß ich es gebändigt habe?«
»Yes, yes und yes!«
»Ohne daß ich Arme und Beine oder sogar den Hals dabei gebrochen habe!«
»Sprecht nicht davon, Sir! Ich konnte ja nicht wissen, daß Ihr im Reiten sogar den alten Wabble übertrefft!«
»Sogar? Ihr scheint Euch für den besten Reiter des ganzen Erdballs zu halten! Ich übertreffe Euch ja, das behaupte ich auch, aber nicht aus Stolz oder Überhebung, denn ich füge sogleich hinzu: ich habe Reiter getroffen, die mich weit, weit übertroffen haben.«
»All devils! So einen Kerl möchte ich sehen!«
»Ich habe auf Pferden gesessen, die fünfzigtausend Dollars und noch mehr gekostet hätten, wenn sie überhaupt zu verkaufen gewesen wären. Nun schließt von einem solchen Tiere einmal auf seinen Reiter! Versucht doch einmal, ein zugerittenes Kirgisenpferd, einen kurdischen Streithengst oder eine nach der altparthischen Reitkunst geschulte Perserstute zu besteigen! Ihr seid nach hiesigen Begriffen ein vorzüglicher Reiter; dort aber würdet Ihr ausgelacht!«
»Kirgisisch -kurdisch-altparthisch – – –? Ich lasse mich aufhängen, wenn ich weiß, was das ist! Habt denn Ihr auf solchen Pferden gesessen?«
»Ja, und unser Bob würde an meiner Stelle sagen: Wir sind gut aufeinander geritten.«
Oh – oh – – oh!« wendete der Neger mit verlegener Miene ein. »Masser Bob nicht so sagen, denn Bob nicht mit dabei gewesen sein!«
»Hm, hm, hm!« brummte der Alte. »Da hat man sich für einen tüchtigen Kerl gehalten und ist gar keiner!«
»Bitte, so war es nicht gemeint, Mr. Cutter. Ihr seid gar wohl ein tüchtiger Reiter, nämlich in der Art der Cowboys. Ein Roter reitet anders; das gebt Ihr zu, nicht?«
»Yes.«
»Weil ich diese indianische Schule genau kenne, konnte ich das Pferd hier überwältigen, sonst nicht. Ich glaube auch nicht, daß es Euch gelungen wäre.«
»Nein, ich hätte es nicht fertig gebracht; das habe ich aber auch eingestanden!«
»Richtig! Nun denkt, daß es noch viele andre Reitervölker giebt, die Araber, Beduinen, Tuaregs, Imoscharh, Perser, Turkmanen, Kirgisen, Mongolen und so weiter, und jedes dieser Völker hat eine andere Art zu reiten. Kann sich da jemand, der eine Schule vortrefflich reitet, für überhaupt den besten Reiter halten und dann erstaunt von einem andern sagen: der kommt sogar über mich?«
»Nein, Sir! Ich höre, daß Ihr wieder einmal den Kanzelredner macht, denn was Ihr da sagt, ist ja, wie ich gern zugebe, alles sehr richtig, aber allein gegen mich gerichtet; es soll ganz einfach heißen: Brüste dich nicht, alter Wabble!«
»Freut mich, daß Ihr diesen Stich empfindet!«
»Also wirklich ein Stich! Warum aber stecht Ihr mich?«
»Nicht, weil ich denke, mehr zu sein oder mehr zu können als ihr, sondern um Euch ein wenig anschmiegender zu machen. Ihr wißt, von wegen dem ›Sitzenlassen‹. Ihr habt mir dahinten im Kaani-kulano wieder gute Lehren geben wollen, und zwar zu einer Zeit und in einer Situation, wo solche Lehren nicht nur überflüssig sind, sondern alles verderben können. Ich habe sie hingenommen, weil ich Euch augenblicklich nicht beweisen konnte, daß sie unnütz waren. Diesen Beweis habe ich jetzt erbracht. Wir sind nun einmal bei einander, und da würde es mich freuen, wenn es Euch beliebte, mir künftig etwas mehr Vertrauen zu schenken. Der Mangel an Vertrauen kann bei dem, was wir vorhaben, verhängnisvolle Folgen bringen!«
»Egad, Ihr habt recht, Mr. Shatterhand!« gab er zu. »Ich bin ein alter Querkopf geworden, weil ich noch niemals meinen Meister gefunden habe. Ihr habt mir eine Zurechtweisung erteilt, in Worten und noch vielmehr durch die That, und ich will sie mir ad notam nehmen. Macht, was Ihr wollt; ich werde nicht wieder daran mäkeln. Und wenn Ihr Euch vornehmt, dem Monde auf die eine Backe eine Ohrfeige zu geben, so bekommt er von mir auf die andre Backe auch eine; denn was Ihr für möglich haltet, das ist auch möglich; th'is clear!«
»Das habt Ihr gut gesagt!« stimmte ihm Old Surehand bei. »Ich pflege nicht viele Worte zu machen, aber was Mr. Shatterhand von mir verlangt, das thue ich, und wenn es mir noch so widersinnig vorkommen sollte. Die Kunst, mit welcher er das Pferd besiegte, war bewundernswert, doch giebt es wenigstens Einen, der das grad so fertig bringt; ich meine Winnetou; aber die Kraft, die Körperkraft, der Schenkeldruck! daß das Pferd stöhnt und schäumend und geifernd zusammenbricht! Das macht ihm niemand nach, gewiß niemand! Ich bin höher und breiter gebaut als er, aber wenn ich behauptete, ein Pferd in dieser Weise niederbringen und niederringen zu können, so würde das eine Lüge sein, eine großartige Lüge! Und wie das Pferd ihm nun nachläuft! Grad als ob er schon jahrelang sein Herr gewesen wäre!«
»Ja, Ihr werdet sehen, daß es sich nun wie ein treuer und gehorsamer Hund zu mir verhält,« sagte ich. »Es ist nicht nötig, in dieser Weise von mir zu reden, Mr. Surehand. Ein jeder thut, was er kann; der eine versteht dieses besser und der andre jenes, und wenn ein jeder das Seinige leistet, wird's ein gutes Ende geben. Jetzt wollen wir weiter!«
»Doch zunächst nach dem Altschese-tschi, wo wir gestern früh fortgeritten sind?« fragte Old Wabble.
»Nein; nach dem ›kleinen Walde‹ reiten wir nicht wieder.«
»Warum? Wenn wir nach dem Regenberge wollen, liegt das Wäldchen doch in unserm Wege!«
»Denkt an die Kundschafter, die dort getötet worden sind! Sie kehren nicht zurück. Das erregt das Mißtrauen der Comantschen. Ich bin überzeugt, daß Vupa Umugi ihnen einige Krieger nachsenden wird. Dürfen die auf unsre Fährte treffen?«
»Nein, denn sie würden uns nach dem Regenberge folgen, und alles wäre verraten. Aber Parker, Hawley und Langes Messer haben doch auch eine Fährte gemacht, die dorthin führt!«
»Das war gestern; sie ist also nicht mehr zu sehen.«
So müssen wir einen Umweg machen; aber wohin?«
»Das ist doch zu erraten!«
»Hm! Etwa zwischen dem ›kleinen Walde‹ und dem ›blauen Wasser‹ hindurch? Das geht nicht, denn da würde unsre Spur noch viel eher und viel leichter bemerkt.«
»Wir müssen noch weiter nach rechts abweichen.«
»Also wieder über den Rio Pecos hinüber?«
»Ja.«
»Das ist allerdings ein Umweg, und was für einer! Sollte er nicht zu groß sein, Sir?«
Da meinte Old Surehand kopfschüttelnd:
»Ihr seid doch unverbesserlich, alter Wabble! Soeben erst habt Ihr davon gesprochen, dem Monde eine Ohrfeige geben zu wollen, wenn es Mr. Shatterhand für möglich hält, und jetzt ist das, was er will, Euch schon wieder nicht recht!«
»Well, ich sage kein Wort mehr, kein einziges!«
»Ich stimme Mr. Shatterhand vollständig bei. Ob dieser Umweg groß ist oder nicht, wir müssen ihn machen. Merkt Ihr denn nicht, daß Mr. Shatterhand auf diese Weise zwei Fliegen mit einem Schlage treffen will?«
»Zwei Fliegen? Die erste?«
»Daß unsre Spur nicht gesehen wird.«
»Well! Und die zweite?«
»Nale-Masiuv.«
»Nale-Masiuv? Der soll eine Fliege sein? Wieso?«
»Heut ist doch der dritte Tag!«
»Ach richtig! Von dem Abende am ›blauen Wasser‹ an ist es der dritte Tag, an welchem Nale-Masiuv mit seinen hundert Roten kommen soll! Wollen wir nach ihm spüren?«
»Ja,« antwortete ich. »Es ist uns von Vorteil, zu erfahren, ob er schon da ist oder nicht.«
»Wieso, Sir?«
»Weil ich annehmen mußte, daß die Roten bald nach seiner Ankunft nach dem Llano estacado aufbrechen werden; wir können uns dann darnach richten. Wir haben uns von jetzt an also mehr nach rechts hinüber zu halten. Kommt, wir wollen fort, Mesch'schurs!«
»Mesch'schurs!« wiederholte der Neger. »Haben Massa Shatterhand auch Masser Bob mit meinen?«
»Natürlich, ja.«
»So sein Masser Bob auch mit Mesch'schurs?«
»Versteht sich, lieber Bob!«
»Oh – oh – oh – – Bob auch mit Mesch'schurs! Schwarzer Bob sein also grad so Gentleman wie weißer Gentleman! Er sich sehr darüber freuen und nun zeigen, daß er grad so tapfer und mutig, wie weiße Jäger. Leider aber er nun haben kein Gewehr, um totschießen rote Indianer!«
»Du wirst eins bekommen. Wir haben am ›kleinen Walde‹ mehrere erbeutet; davon suche ich dir eines heraus. Was dir sonst noch fehlt, ein Messer und dergleichen, das bekommst du auch.«
Als ich jetzt mein Pferd streichelte, litt es das ruhig, ohne ein Zeichen der Abneigung sehen zu lassen. ich untersuchte die Hufe; es gab sie so ruhig her wie ein Bauernpferd, welches stets im Stalle gestanden hat und mit seinem Herrn auf vertrautem Fuße steht. Als ich aufgestiegen war, blieb es stehen; kurz, es verhielt sich genau so wie ein Pferd, welches man mit dem bekannten Ausdrucke als ›militärfromm‹ bezeichnet. Es hatte mich als seinen Meister anerkannt. Old Wabble schüttelte vor Verwunderung darüber den Kopf, sagte aber nichts.
Da es auch vor den andern und ihren Pferden nicht mehr scheute, brauchte ich mich nicht mehr von ihnen abzusondern; wir konnten also zusammenhalten und thaten dies, indem bald dieser und bald jener eines seiner Erlebnisse zum besten gab. Auch Old Surehand erzählte einige seiner Abenteuer. Er hatte dabei eine eigene, kurze, prägnante Weise, welche den Gedanken, daß er nach unserm Lobe strebe, gar nicht aufkommen ließ. Das, was wir aus seinem Munde hörten, waren mehr Berichte als Erzählungen. Old Wabble fand dabei einigemal Gelegenheit, Fragen auszusprechen, bei deren Beantwortung der Erzähler eigentlich gar nicht umgehen konnte, über seine Herkunft und seine Verhältnisse Auskunft zu erteilen, und das war jedenfalls auch der Zweck des Alten; aber Old Surehand wußte sehr klug auszuweichen, und ich hörte und merkte es ihm an, daß es nicht in seiner Absicht lag, sich auch nur zu einer Andeutung bewegen zu lassen. Über sein Leben und seine Erfahrungen im wilden Westen sprach er; weiteres aber konnte der Alte nicht erfahren. Ich meinerseits hütete mich, eine Frage auszusprechen, die mich ihm hätte als neugierig erscheinen lassen können.
In dieser Weise verging der Vormittag, und ein großer Teil des Nachmittags, und es war gegen Abend, als wir den Rio Pecos an einer Stelle erreichten, welche vielleicht eine englische Meile oberhalb der Mündung des ›blauen Wassers‹ lag. Wir schwammen hinüber, denn die Umgehung des ›blauen Wassers‹ konnte nur auf der jenseitigen, der rechten Seite des Flusses geschehen.
Drüben angekommen, stießen wir auf eine Fährte, welche in der Nähe des Wassers abwärts führte.
»Hallo!« meinte Old Wabble. »Da sehen wir ja gleich, daß Nale-Masiuv mit seinen Roten schon angekommen ist!«
Old Surehand warf nur einen kurzen Blick auf die Spuren und entgegnete dann:
»Das ist er nicht gewesen.«
»Nicht? Wieso?«
»Wieviel Rote sollte er bringen?«
»Hundert.«
»Ist das die Fährte von hundert Reitern?«
»Nein; das gebe ich zu. Wenn er es nicht gewesen ist, so möchte ich wissen, wer – – – hm! Sollte es nur ein Vortrab von seiner Schar gewesen sein?«
»Möglich.«
»Da kommen die andern nach und entdecken unsre Spuren. Was ist da zu thun? Wir dürfen uns nicht verraten.«
»Was zu thun ist, mag Mr. Shatterhand bestimmen.«
Ich bog mich vom Pferde herab, um die Eindrücke der Hufe genau zu betrachten, und sagte dann:
»Das sind ungefähr zwanzig Reiter gewesen, welche sich sehr sicher gefühlt haben müssen, denn sie sind nicht im Gänsemarsche geritten. Die Spur ist wenigstens vier Stunden alt; wer hinter uns her kommt und ein gutes Auge hat, kann die unsrige also sehr leicht von ihr unterscheiden; aber der Abend ist nahe, der diese Unterscheidung unmöglich macht. Wollen ihr getrost folgen; ich muß sie besser kennen lernen.«
Wir lenkten in die Fährte ein und kamen bald an eine Stelle, wo die Reiter angehalten hatten; sie wurde an der vom Flusse abgewendeten Seite von Büschen begrenzt, in denen es eine schmale Lücke gab.
»Ja, es sind ungefähr zwanzig Reiter gewesen,« wiederholte ich; »weiter ist nichts herauszufinden.«
»Also ein Vortrab?« fragte Old Wabble.
»Das möchte ich bezweifeln.«
»Warum?«
»Weshalb sollte Nale-Masiuv seine Schar geteilt und eine Vorhut vorausgesandt haben? Das thut man nur vor dem Kampfe oder wenn man sich in einer sehr unsichern Gegend befindet. An einen Kampf war nicht zu denken, und unsicher haben sich diese Leute nicht gefühlt, sonst wären sie in ganz andrer Weise geritten. Wir haben es also nicht mit einem Vortrab zu thun, sondern mit einem ganz selbständigen Trupp. Nale-Masiuvs Leute sind es nicht gewesen.«
»Hm! Ich denke da an den jungen Häuptling Schiba-bigk, meinen Bekannten, der ja auch nach dem ›blauen Wasser‹ kommen muß, wenn er mit Vupa Umugi nach dem Llano-estacado will; er soll den Führer machen. Vielleicht ist er es gewesen.«
»Das ist sehr leicht möglich, Sir. Was thun wir nun? Folgen wir dieser Fährte?«
»Das hat keinen Zweck und würde uns nur in Gefahr bringen können.«
»Aber wir müssen doch stromabwärts gehen, um wieder an das andre Ufer zu kommen.«
»Ja, aber nicht so nahe am Wasser hin, wo wir jeden Augenblick auf Rote treffen können. Wir reiten einen Bogen, und zwar so, daß wir die Furt erst dann erreichen, wenn es dunkel ist und wir nicht gesehen werden können.«
»Das ist klug und zugleich gefährlich.«
»Wieso gefährlich?«
»Wenn noch vor der Dunkelheit Indsmen hinter uns herkommen, sehen sie die Stelle, wo wir diese Fährte verlassen haben; unsre Spur muß ihnen auffallen; sie folgen uns, und wir sind verraten.«
»Wenn wir es dumm anfangen, ja. Wir müssen eben da abweichen, wo es nicht bemerkt werden kann.«
»Wo wäre das?«
»Hier.«
»Hier? Ah!«
»Ja, hier. Meint Ihr nicht, daß diese Lücke im Gebüsch die beste Gelegenheit dazu bietet?«
»Ob Lücke oder nicht, sie werden doch bemerken, daß eine Fährte abseits führt.«
»Nein, wenn wir es richtig machen. Wir reiten nicht langsam hinein, sondern im Sprunge. Daß unsre Pferde hier zum Sprunge angesetzt haben, können sie nicht sehen, weil diese Stelle von Spuren ganz bedeckt und niedergetreten ist. Unsre Pferde fassen jenseits der Lücke wieder Fuß, wodurch allerdings Hufeindrücke erzeugt werden, die aber von hier aus nicht gesehen werden können, weil die Lücke schmal ist und die Zweige unten ineinander gehen. Wir müssen hoch springen und uns dabei hüten, Blätter abzustreifen oder gar Äste abzubrechen.«
»Well, das geht, Mr. Shatterhand! Wer springt zuerst?«
»Ich. Kommt ihr mir einzeln nach, und macht es genau wie ich!«
Ich nahm mein Pferd hoch, gab ihm die Hilfe und flog in einem weiten Bogen zwischen den Büschen hindurch, wo ich natürlich nicht halten blieb, sondern für die andern Platz machte. Sie kamen ebenso gut hinüber wie ich, und dann durchquerten wir den hier schmalen Waldessaum des Flusses, bis wir hinaus auf das offene Terrain kamen. Da ritten wir in gerader, rechtwinkelig vom Flusse wegführender Linie weiter, bis wir so weit von ihm entfernt waren, daß wir von dort aus nicht gesehen werden konnten. Von hier aus schlugen wir die parallele Richtung ein und lenkten, als wir weit genug abwärts gekommen waren, wieder nach dem Pecos zurück. An sein Ufer zurückgekehrt, mochten wir uns ungefähr eine halbe englische Meile unterhalb der Furt befinden und waren also gezwungen, uns rückwärts zu wenden. Dabei war große Vorsicht erforderlich, denn es war inzwischen dunkel geworden und die Situation überhaupt nicht ganz geheuer. Infolge des Zuzuges, den Vupa Umugi erwartete, mußte man grad an der Furt stets auf Begegnungen gefaßt sein. Wir stiegen also ab und gingen zu Fuße, indem wir die Pferde führten und uns bemühten, so wenig Geräusch wie möglich zu verursachen.
Es zeigte sich gar bald, daß diese Behutsamheit gar nicht überflüssig war, denn wir bemerkten, noch ehe wir die Furt erreicht hatten, einen brenzlichen Geruch. Es gab ein Feuer in der Nähe; wir blieben also stehen. Es galt natürlich, zu erfahren, wer das Feuer angebrannt hatte; das wollte ich mit Old Surehand thun. Wir übergaben also Old Wabble und Bob unsre Pferde und Gewehre und schlichen uns weiter. Der Geruch wurde mit jedem Schritte stärker, und als wir nur noch eine kurze Strecke bis zur Furt hatten, sahen wir das Feuer. Es brannte in der Nähe des Wassers. Wer sich dort befand, das konnten wir nicht sehen, weil Büsche dazwischen lagen.
Wir huschten mit Anwendung aller Vorsicht weiter und weiter, bis wir dieses Gebüsch erreicht hatten. Es lag ungefähr zwölf Schritte von dem Feuer entfernt, an welchem zwei Indianer einander gegenüber saßen, die Gesichter einander zugekehrt, so daß wir beide im Profile sehen konnten. Es waren Comantschen. Was wollten sie hier an der Furt? Wozu hatten sie dieses Feuer? Das waren die zwei Fragen, die wir uns natürlich vorlegen mußten. Die Beantwortung konnte uns nicht schwer fallen.
Old Surehand hatte dieselben Gedanken wie ich. Er gab ihnen Ausdruck, indem er mir zuflüsterte:
»Nale-Masiuv ist noch nicht da. Ihr habt also mit Euern 'Vermutungen recht gehabt, Sir.«
»Ja; sie warten auf ihn und haben diese Wachen hier ausgestellt, die ihn empfangen sollen.«
»Warum sie das für nötig gehalten haben?«
»Das ist sehr einfach. Nale-Masiuv ist von einem andern Stamme als Vupa Umugi und hat seine Weideplätze entfernter von hier. Darum kennt er die Furt nicht, und diese beiden sollen sie ihm zeigen, wenn er kommt.«
»Das trifft jedenfalls zu. Wie gut, daß wir erst am Abende hierherkamen!«
»Ja; am Tage hätten sie uns wahrscheinlich bemerkt, denn da waren sie jedenfalls auch schon da. Nun hat uns der Geruch ihres Feuers vor Entdeckung bewahrt.«
»Das wäre schlimm gewesen, denn wenn es auch ganz unmöglich gewesen wäre, daß sie uns hätten fassen können, so wüßten sie doch nun, daß wir noch immer hier sind, während sie das Gegenteil dachten.«
»Dieses Feuer ist allerdings ein Beweis, daß sie überzeugt sind, wir seien über alle Berge. Wenn sie uns noch hier in der Gegend glaubten, würden sie sich hüten, eins anzuzünden. Dumme Kerls, sie werden doch nie klug!«
»Sie dürfen sich nicht darüber beschweren, daß sie keine Gelegenheit gehabt hätten, gescheit zu werden. Ihr habt ihnen genug gute Lehren erteilt. Bleiben wir hier?«
»Ich möchte.«
»Ich auch. Jetzt sitzen sie zwar stumm wie Ölgötzen da, aber es ist doch möglich, daß sie miteinander reden.«
»Wenn sie das thun, werden wir etwas erfahren.«
»Wichtiges?«
»Wenn nicht grad das, so doch wenigstens etwas, was uns interessiert. Der eine rechts ist nämlich ein hervorragender Krieger.«
»Kennt Ihr ihn?«
»Ja. Als ich sie da drüben am ›blauen Wasser‹ belauschte, saß er mit bei dem Häuptlinge und nahm neben dem Alten mit am Gespräch teil. Wenn sie reden, dann doch wahrscheinlich von ihrem kriegerischen Vorhaben. Horcht!«
Der Rote, von dem wir sprachen, hatte ein Wort gesagt, aber so kurz und unterdrückt, daß es nicht zu verstehen gewesen war. Der andere antwortete, aber auch für uns unverständlich. So fielen eine Zeitlang einzelne Worte hin und her, ohne daß wir wußten, wen oder was sie betrafen. Da legten wir die Ohren auf die Erde, um besser verstehen zu können.
Kaum hatten wir das gethan, so stieß Old Surehand mich mit dem Ellbogen bedeutungsvoll an. Ich wußte sogleich, was er meinte, denn ich hatte das Geräusch, auf welches er mich aufmerksam machen wollte, auch gehört. Wir kannten es beide genau; es war das dumpfe Hufstampfen von Pferden auf weichem Grunde, wobei an eine Wurzel oder sonst etwas Festes gestoßen wird.
»Waren das etwa unsre Pferde?« fragte Old Surehand.
»Nein. Der Schall kam abwärts.«
»Da handelt es sich um Rote, die da kommen.«
»Jedenfalls.«
»Auch Comantschen, sonst würden sie sich sehr in acht nehmen und ihre Pferde besser führen.«
»Comantschen sind es; aber sie wissen nicht, daß hier auch Rote sitzen.«
»Sollten sie das Feuer nicht sehen?«
»Nein. Der Schall läßt auf eine Entfernung von wenigstens achtzig Schritten schließen, und nach oben hin stehen dichte Sträucher, welche das Feuer verdecken.«
»Aber riechen müssen sie es doch!«
»Nein, denn der Wind kommt von oben und weht den Rauch und also auch den Geruch abwärts.«
»Bin neugierig, wer es ist!«
»Ich auch. Sobald sie das Feuer entdecken, werden sie die Pferde anhalten, um abzusteigen und herbei zu schleichen. Dann erfahren wir jedenfalls etwas.«
Wir warteten. Das dumpfe Geräusch wiederholte sich noch zweimal. Die beiden Comantschen am Feuer hörten es nicht, weil sie nicht, so wie wir, mit den Ohren auf der Erde lagen. Dann war es still. Es verging eine Weile. Die Kommenden waren aufmerksam geworden und hatten sich jedenfalls leise herbei gemacht. Da raschelte es plötzlich im gegenüberliegenden Gebüsch, und ein lautes Hiiiiiiih!‹ erschallte. Die beiden Wächter sprangen erschrocken auf. Schon machten sie Miene, sich in die Sträucher zu verbergen, hinter denen wir steckten; wir sprangen auch schon auf, um schleunigst zu retirieren; da ertönte von jenseits der laute, fragende Ruf.
»Vupa, Vupa?«
Infolgedessen blieben die Wächter stehen, und der eine von ihnen antwortete:
»Umugi, Umugi!«
Sie setzten sich wieder nieder; sie waren beruhigt, denn dieser Zuruf hatte sie überzeugt, daß die, die kamen, keine Feinde waren. ›Vupa – – – Umugi‹, das war ein Erkennungszeichen, welches verabredet worden war. Man sieht, daß die Roten von den Weißen den Gebrauch des Feldgeschreis gelernt und sich angeeignet haben.
Es verging einige Zeit, dann kamen zwei Reiter von oben herab. Sie hatten ihre zurückgelassenen Pferde geholt und stiegen am Feuer ab. Wir beide hatten uns natürlich wieder niedergelegt. Die Ankömmlinge setzten sich zu den Wächtern, ohne zunächst ein Wort zu sagen; das ist so Indianersitte. Erst als ungefähr fünf Minuten vergangen waren, begann der, den ich als hervorragenden Krieger bezeichnet hatte und der die Unterhaltung führte, während sein Gefährte schwieg:
»Meine roten Brüder sind erwartet worden. Vupa Umugi harret voller Ungeduld.«
»Darf ein Krieger ungeduldig werden?« fragte einer der Gekommenen.
»Er darf es nicht zeigen; aber er darf es sein. Habe ich gesagt, daß er es gezeigt habe?«
»Das hat mein Bruder nicht gesagt.«
»Wir haben schon am Nachmittage gewartet. Nun kommt ihr als Vorhut. Wann wird Nale-Masiuv nachfolgen?«
»Er folgt heute nicht nach.«
»Uff!«
»Wir kommen nicht als Vorhut, sondern als seine Boten. Wo ist Vupa Umugi, mit dem wir sprechen sollen?«
»Er lagert am ›blauen Wasser‹.«
»Führe uns zu ihm!«
»Wir können noch warten. Meine Brüder wissen, daß ich das Ohr und das Vertrauen des Häuptlings besitze. Wenn sie nicht zornig empfangen werden wollen, mögen sie mir ihre Botschaft sagen, damit ich den Häuptling vorbereite.«
Die beiden Boten sahen einander fragend an, und dann antwortete der Sprecher:
»Ja, wir wissen, daß du der Mund und das Ohr des Häuptlings Vupa Umugi bist; darum sollst du erfahren, was du hören Willst, obgleich wir den Befehl erhielten, nur mit dem Häuptling zu sprechen. Nale-Masiuv kann mit seinen hundert Kriegern heut nicht kommen.«
»Uff! Warum?«
»Weil er von Bleichgesichtern aufgehalten wurde, mit denen er kämpfen mußte.«
»Giebt es Bleichgesichter in der Nähe?«
»In der Nähe nicht; aber jenseits des Mistake-Cañons stießen wir plötzlich auf Soldaten der Bleichgesichter, welche über uns herfielen. Es waren ihrer so viele, daß wir fliehen mußten, wobei viele unsrer Krieger verwundet oder gar getötet wurden. Die Bleichgesichter verfolgten und zerstreuten uns, und als es Abend wurde, hatten sich nur fünfzig Krieger bei dem Häuptlinge eingefunden.«
»Uff, uff, uff! Was wird Vupa Umugi sagen! Vielleicht verschiebt er den Zug nach dem Llano estacado und zieht nach dem Mistake-Cañon, um euch zu rächen!«
»Das soll er nicht! Nale-Masiuv, unser Häuptling, hat uns befohlen, ihm dies zu sagen. Die Bleichgesichter, mit denen wir kämpften, sind keine Westmänner, sondern Soldaten. Wenn wir sie besiegen, und es kommt auch nur einer nach seinem Fort zurück, so werden hundert und wieder hundert neue Soldaten gesandt, um die Gefallenen zu rächen. Ja, unsre Toten sollen gerächt werden, aber so, daß kein Soldat heimkehrt, sondern alle, alle sterben müssen.«
»Hat Nale-Masiuv einen Plan ersonnen, wie das geschehen soll?«
»Ja.«
»Kennst du ihn?«
»Ja; ich soll ihn Vupa Umugi mitteilen.«
»Darf ich ihn hören?«
»Ihr alle müßt ihn erfahren; warum sollte ich ihn dir da nicht sagen dürfen?«
»So steht mein Ohr mit Spannung offen, dich zu hören.«
»Die Soldaten der Bleichgesichter müssen nach dem öden Llano estacado gelockt werden, um dort zu verschmachten.«
»Uff, uff, uff! Das ist ein Gedanke, der den Beifall unsres Häuptlings sofort haben wird. Diese weißen Hunde müssen alle untergehen, und keiner darf zurückkehren, um erzählen zu können, was geschehen ist.«
»Mein roter Bruder hat recht. Darum darf der Zug nach dem Llano nicht verschoben werden, sondern muß schnell unternommen werden, denn wenn wir die Bleichgesichter in den Tod locken, und nicht selbst verschmachten wollen, brauchen wir das Wasser, an welchem der Bloody-Fox wohnt. Dieses müssen wir haben, ehe wir die Soldaten nach dem Llano estacado führen können.«
»Wie sollen sie dorthin gelockt werden?«
»Ist der junge Häuptling Schiba-bigk schon hier bei meinen roten Brüdern eingetroffen?«
»Er kam am Nachmittage mit zwanzig Mann.«
»Er kennt den Weg nach dem Wasser der Wüste und wird von Vupa Umugi so viele Krieger erhalten, wie nötig sind, sich in den Besitz des Wassers zu setzen und den blutigen Fuchs zu fangen. Während er das thut, wartet Vupa Umugi hier so lange, bis Nale-Masiuv kommt, um zu ihm zu stoßen.«
»Wann wird das geschehen?«
»Er hat, als wir uns nach dem Kampfe sammelten, sofort zwei Boten heimgesandt, die noch hundert Krieger holen müssen, welche im Rücken der weißen Soldaten bleiben sollen, ohne sich von ihnen sehen zu lassen, bis die Bleichgesichter sich in der Wüste befinden. Jetzt wartet er einen Tag, um die versprengten Krieger zu sammeln, und greift die Soldaten dann an; er wird aber nicht kämpfen, sondern sich zurückziehen bis hierher an das ›blaue Wasser‹, wo er seine wenigen Leute mit euern hundertfünfzig Kriegern vereinigt. Die Bleichgesichter werden folgen. Kommen sie hier an, so sind wir schon fort. Wir lassen uns stets sehen, aber sobald wir angegriffen werden sollen, weichen wir zurück, bis wir die weißen Hunde in der Wüste haben. Da sind wir ihnen voraus, und die hundert Krieger, nach denen Nale-Masiuv gesandt hat, kommen hinter ihnen her; sie werden also eingeschlossen sein. Auch wenn sie uns dann angreifen wollen, werden wir nicht kämpfen, sondern immer weiter in die Wüste zurückweichen, denn wir haben Wasser, sie aber keines; sie werden also verschmachten und sterben müssen bis auf den letzten Mann, während wir keinen der Unsrigen verlieren.«
»Uff, uff! Dieser Plan ist gut, sehr gut!«
»Denkt mein roter Bruder, daß Vupa Umugi auf denselben eingehen wird?«
»Er wird ja sagen; ich weiß es genau. Und wenn er dagegen wäre, würde ich ihn überreden. Die Versammlung der Ältesten ist ganz gewiß auf meiner Seite.«
»So wollen wir sofort nach dem ›Blauen Wasser‹, damit ich mit dem Häuptlinge sprechen kann, denn ich muß mich beeilen, Nale-Masiuv die Antwort zu bringen.«
»Mein Bruder warte noch eine kleine Weile! Der Plan ist sehr gut; er wird zum vollständigen Verderben der Bleichgesichter führen; aber er hat eine Lücke.«
»Welche?«
»Schiba-bigk, der die Wüste kennt, soll mit einer Schar vorausreiten und sich in den Besitz des Wassers setzen. Wenn wir dann kommen, wie finden wir den Ort, wo das Wasser ist?«
»Er wird zurückkehren und uns den Weg zeigen.«
»Wird er das können? Wird er Zeit dazu haben? Wird er durch nichts verhindert werden?«
»Auch daran hat Nale-Masiuv gedacht. Als die drei Häuptlinge den Zug nach dem Llano besprachen, hat Schiba-bigk gesagt, daß es an der letzten Höhe vor dem Beginne der Wüste ein Wasser gebe, welches Suks-ma-lestavi heißt. Mehrere von den Kriegern der Comantschen sind an diesem Orte gewesen; sie kennen ihn und werden ihn sehr leicht finden – –«
»Suks-ma-lestavi? Diese Stelle weiß ich auch, denn ich bin einigemale dort gewesen.«
»Das ist gut. Weil dieser Ort an dem Wege liegt, den Schiba-bigk zu nehmen hat, wird er dort die Vorbereitungen treffen, welche nötig sind, wenn wir von dort aus auf alle Fälle den Weg nach dem Wasser finden sollen. Es giebt viele Büsche und junge Bäume dort; er wird viele Stangen schneiden und sie von da aus in den Sand der Wüste bis nach dem Wasser stecken.«
»Uff! So wie es die Bleichgesichter thun, wenn sie durch die Wüste reiten und den Weg nicht verlieren wollen!«
»Ja, so! Wenn wir dann nach dem Suks-ma-lestavi kommen und Schiba-bigk uns nicht dort erwarten kann, so finden wir die Stangen, welche uns den Weg weisen.«
»Und die Bleichgesichter kommen hinter euch her und finden das Wasser dann auch!«
»Nein! Hat mein Bruder einmal von den weißen Räubern gehört, welche Stakemen genannt werden?«
»Ja.«
»Weiß mein Bruder auch, was diese Leute thun, um die Reisenden in den Tod zu führen?«
»Sie ziehen die Stangen heraus und setzen sie anders.«
»Können die roten Krieger nicht auch thun, was die Bleichgesichter machen?«
»Uff! Das ist wahr!«
»Wir ziehen hinter uns die Stangen heraus und stecken sie nach einer Richtung ein, wo es kein Wasser giebt und wo die Soldaten verschmachten müssen. Hat mein roter Bruder noch eine Frage oder ein Bedenken?«
»Nein.«
»Das ist es, was ich Vupa Umugi, dem Häuptlinge zu sagen habe. Wenn er auf diesen Plan eingeht, wird nicht nur das Wasser in der Wüste den Comantschen für immer gehören, sondern wir werden den blutigen Fuchs fangen und die weißen Soldaten verderben.«
»Er wird ganz gewiß thun, was ihm Nale-Masiuv durch dich vorschlagen läßt. Ich habe es gesagt. Howgh!«
»So wollen wir nun nach dem ›blauen Wasser‹ reiten, denn wir haben keine Zeit. Wir müssen sofort wieder zurückkehren, weil Nale-Masiuv auf uns wartet.«
»Und wir können hier das Feuer auslöschen, denn weil eure Krieger nicht kommen, brauchen wir nicht auf sie zu warten. Wir werden euch durch die Furt führen.«
Sie traten das Feuer aus und entfernten sich dann, um in den Fluß zu gehen, die beiden Boten zu Pferde, und die beiden Wächter zu Fuß.
Als sie fort waren, standen wir auf und sahen einander an, obgleich wir in der Dunkelheit unsre Gesichter nicht erkennen konnten. Das, was wir gehört hatten, war von größter Wichtigkeit.
»Da möchte man wie ein Indianer ›Uff, uff, uff!‹ ausrufen, meinte Old Surehand.
»Nun, habe ich nicht gesagt, daß wir hier etwas hören würden, Sir?«
»Und was! So ein Plan!«
»Ich bin da oben im Lager der Truppen gewesen. Also von ihnen ist Nale-Masiuv angefallen worden! Der Anführer hat mir zwar nicht gefallen; er war ein arroganter Kerl, der eigentlich eine Demütigung verdiente; aber das, was diese Roten mit ihm vorhaben, können wir unmöglich geschehen lassen.«
»Habt Ihr mit ihm gesprochen?«
»Ja.«
»Kannte er Euch?«
»Nein.«
»Und Ihr habt ihm auch nicht gesagt, wer Ihr seid?«
»Ist mir nicht eingefallen.«
»Dann will ich seine Arroganz begreifen, sonst aber möchte ich den Menschen, und wenn es ein hoher Offizier wäre, sehen, der sich gegen Old Shatterhand anmaßend benehmen dürfte, ohne ›in die Käse zu fliegen‹, wie Ihr Euch da kürzlich ausdrücktet! Was aber sagt Ihr zu dem Plane, den dieser Nale-Masiuv ausgeheckt hat?«
»Meisterhaft ist er nicht.«
»Ganz meine Meinung; aber so ein Kavallerieoffizier ist kein Westmann; ich halte es für möglich, daß er sich nach dem Llano locken läßt.«
»Und ich bin sogar überzeugt davon. Wenn ich den Plan nicht für meisterhaft halte, so will ich damit nicht etwa sagen, daß er nichts tauge; o nein, ich meine nur, daß zum Beispiele wir beide ihn ganz anders gestaltet hätten. Dennoch werden die Weißen in die Falle gehen.«
»Wenn Vupa Umugi mit Nale-Masiuv einverstanden ist!«
»Das ist er, das ist er ganz bestimmt.«
»Eigentlich sollten wir uns nach dem blauen Wasser, schleichen, um zu beobachten oder gar zu hören, was beschlossen wird. Meint Ihr nicht?«
»Dieser Gedanke liegt sehr nahe; aber wir werden ihn aus zweierlei Gründen nicht ausführen, von der Gefahr, die wir dabei laufen würden, ganz abgesehen.«
»Und diese Gründe?«
»Erstens nehme ich als für ganz sicher an, daß Vupa Umugi zustimmt, also brauchen wir nicht zu lauschen, und zweitens haben wir keine Zeit dazu. Ich bin überzeugt, daß Schiba-bigk morgen früh oder gar noch während dieser Nacht nach dem Suks-ma-lestavi aufbricht, und da wir ihm zuvorkommen müssen, haben wir keine Zeit zu verlieren. Wir müssen schnell nach dem Nargoleteh-tsil, um zu sehen, ob unsre Apatschen schon dort angekommen sind. Wenn sie da sind, lassen wir unsre Pferde nur kurze Zeit ausruhen und reiten noch vor Anbruch des Morgens nach dem Llano.«
»Ist Euch die Stelle bekannt, welche von den Comantschen Suks-ma-lestavi genannt wurde?«
»Sehr genau sogar. Ich habe da stets Lager gemacht, wenn ich den Bloody-Fox besuchte oder von ihm kam. In der Sprache der Apatschen lautet der Name Gutesnontinkhai, was ganz dasselbe, nämlich hundert Bäume, bedeutet.«
»Diesem Namen nach scheint es dort Wald zu geben?«
»Wald im eigentlichen Sinne nicht. Nur in Anbetracht der Lage am Wüstenrande ist dieser Name gerechtfertigt. Eigentliche Bäume giebt es wenig. Man findet lichtes Buschwerk und dürres, hoch aufgeschossenes Langholz, welches sich allerdings sehr gut zu den Pfählen eignet, die Schiba-bigk dort schneiden soll. Jetzt wollen wir zu den Gefährten zurück. Wir müssen über den Fluß, so lange die Furt frei und unbeobachtet ist. Kommt!«
»Das hat eine halbe Ewigkeit gedauert,« empfing uns Old Wabble, als wir bei ihm ankamen. »Hätte sich Eure Abwesenheit verlängert, so wäre ich nachgekommen.«
»Um uns in Gefahr zu bringen!« antwortete ich. »Das ist es ja, was ich Euch abgewöhnen möchte. Ich bin überzeugt, daß Euch dieser Fehler, den Ihr nicht lassen zu können scheint, noch einmal ins Verderben führt!«
»Old Wabble insVerderben? Der denkt gar nicht daran!«
Ja, er glaubte es nicht, er war trotz seines hohen Alters noch der leichtblütige, unbesorgte Cowboy von früher. Hätte er mir doch geglaubt! Die Worte, welche ich ihm gesagt hatte, waren eine Weissagung, welche leider später wörtlich in Erfüllung ging.
Wir setzten über die Furt, ritten langsam durch den schmalen Waldstreifen des Flußufers und konnten dann unsre Pferde ausgreifen lassen, weil die Sterne uns das dazu nötige Licht spendeten. Dieser günstige Umstand erlaubte mir auch, eine so schnurgerade Linie einzuhalten, daß wir, als wir den Regenberg erreichten, gewiß nicht zwei Minuten umgeritten waren. Es war um Mitternacht, als wir die nicht bedeutenden zwei Höhen des Berges vor uns auftauchen sahen.
Der Fuß des Berges war mit Gebüsch umsäumt. Als wir an demselben hinritten, hörten wir den Apatschenruf erschallen:
»Ti arku – Wer da?«
»Old Shatterhand,« antwortete ich.
»Owan ustah arhonda – kommt hierher!«
Wir lenkten hin. Es trat ein Roter auf uns zu, der ganz nahe zu mir herankam, um mich zu betrachten.
»Ja, das ist Old Shatterhand, der große Häuptling der Apatschen,« sagte er. »Wir haben an verschiedenen Seiten dieses Berges Posten ausgestellt, um auf Euch zu warten.«
»Sind die Krieger der Apatschen angekommen?«
»Ja, dreimal hundert an der Zahl.«
»Mit Proviant?«
»Fleisch und Mehl für mehrere Wochen.«
»Wer ist der Anführer?«
»Entschar-Ko, welcher der Liebling Winnetous ist, wie mein großer Bruder Old Shatterhand weiß.«
»Ist Langes Messer mit zwei Bleichgesichtern bei euch hier eingetroffen?«
»Sie sind hier angekommen und haben von den Thaten Old Shatterhands erzählt. Meine Brüder mögen mir folgen.«
Er führte uns ein Stück in das flache Thal hinein, welches sich zwischen den beiden Bergeshälften aufwärts zog, und bald langten wir im Lager der Apatschen an.
Entschar-Ko war nicht nur der Liebling Winnetous, sondern auch der meinige. Wir begrüßten uns mit großer und aufrichtiger Herzlichkeit, und er erklärte mir, daß er sich und seine Schar unter meinen Befehl stelle. Parker und Hawley kamen natürlich auch herbei, um uns die Hände zu drücken. Wir erzählten ihnen in kurzen Worten, wie uns die Befreiung Bobs gelungen war. Sie hatten Sorge um uns gehabt; um so größer war nun ihre Freude.
Eine Beratung brauchte nicht gehalten zu werden. Ich wollte nach dem Llano, das genügte. Ich teilte Entschar-Ko mit, wie die Verhältnisse lagen, und da wir schlafen mußten, übernahm er es, die notwendigen Vorbereitungen so zu treffen, daß wir nach unserm Erwachen sofort aufbrechen konnten.
Am nächsten Morgen, als die Sonne aufging, waren wir schon fern von dem Regenberge, und unser Zug bewegte sich mit hinreichender Schnelligkeit über die Ebene, die nach dem schon mehrerwähnten Höhenzuge führt, von dem hinab man nach dem Llano steigt. Zwischen seinen östlichen Ausläufern giebt es jene fließenden Wasser, welche später im Sande versickern und wahrscheinlich dann sich in dem See sammelten, an dem Bloody-Fox seine geheimnisvolle Heimstätte aufgeschlagen hatte.
Old Surehand freute sich über unsre Apatschen. Er bemerkte, daß sie fast militärisch geschult waren. Eines so vortrefflich eingerichteten Proviantwesens wie sie konnte sich wohl kein andrer Indianerstamm rühmen, und als ich ihm während des Rittes erzählte und erklärte, welche Mühe sich Winnetou gegeben und welche Umsicht er aufgewendet hatte, um aus seinen Mescaleros eine Elitetruppe zu machen, wuchs die Hochachtung, welche er bisher vor diesem Häuptlinge empfunden hatte, noch weit mehr. Es waren sogar aus Gazellenhäuten angefertigte Wasserschläuche vorhanden, damit die Krieger nicht zu dürsten brauchten.
Am Nachmittage überstiegen wir die erwähnten Höhen. Ich führte den Trupp nach einem mir bekannten Thale, in dem wir ausruhten. Es gab da ein kleines, freilich sehr dünn fließendes Wässerchen, welches aber trotzdem hinreichte, unsre Schläuche zu füllen. Dann ging es in den Llano estacado hinab, in dessen leichtem, weiß-gelbem Sand wir nordostwärts ritten. Dieses Thal lag ungefähr einen Viertelstagesritt südlich von den ›hundert Bäumen‹, wohin die Comantschen kommen wollten.
Als die Sonne sank, machten wir mitten in der Wüste Halt. Sie lag rund um uns als eine durch nichts unterbrochene Sandebene, deren Horizont, eine wie mit dem Zirkel gezogene Kreislinie – bildete ein riesengroßes, mit Gries und Zucker bestreutes, rundes Kuchenblech; eigentlich ein sehr kühner Vergleich, wenn es sich um den öden, dürren, unfruchtbaren Estacado handelt!
Wir stellten, obgleich wir gar nichts zu fürchten brauchten, Wachen aus und legten uns dann schlafen, nachdem die Pferde Wasser und Maiskolben bekommen hatten, von denen eine ansehnliche Menge mitgebracht worden war. Der Schlaf in der kühlen Wüstennacht that uns außerordentlich wohl, und wir waren zum Weitermarsche gestärkt, als wir am Morgen erwachten.
Der heutige Weg führte uns zuweilen an dürren Kaktusstrecken vorüber, vor denen wir unsre Pferde hüten mußten, damit sie sich nicht an den Füßen verwundeten. Diese Kaktusflächen treten einander oft nahe und schieben sich da oft so ineinander, daß man zu bedeutenden Wendungen und Umwegen gezwungen ist und sich nur schwer zwischen ihnen hindurchwinden kann. Wer ihre Lage, Ausdehnung und Beschaffenheit nicht kennt, der kann so in die Irre geraten, daß er sich nicht wieder herausfinden kann und, wenn er keinen Proviant und kein Wasser bei sich führt, verloren ist.
Am Nachmittage war es glühend heiß. Die Sonne brannte förmlich hernieder, und es wehte ein Backofenwind, welcher die Luft mit dichtem Sandstaub erfüllte. Ich hatte einen sehr schweren Posten, denn ich war der einzige, der den Weg kannte, und also für unser Wohlergehen verantwortlich. Der Blick konnte die dicke Atmosphäre kaum durchdringen, und obgleich ich überzeugt war, die grade Richtung eingehalten zu haben, gab es doch verschiedenes, was geeignet war, mich irre zu machen. Zwar war der Neger bei mir, aber, die geistigen Schwächen seiner Rasse überhaupt nicht gerechnet, war er stets nur mit Bloody-Fox durch die Wüste geritten, hatte sich auf diesen verlassen und konnte mir also nicht die geringste Auskunft geben. Es hatte Kaktusfelder gegeben, die jetzt verschwunden waren, und wo es keine gegeben hatte, da waren welche entstanden. Den Kompaß zu fragen, hütete ich mich. Der Ortsinstinkt des Westmanns ist sicherer als die trügerische Magnetnadel.
Ich mußte unbedingt an Ort und Stelle sein, da, wo zwischen zwei ausgedehnten Kaktusstrecken ein offener Weg nach dem ›Wüstenwasser‹ führte. Diesen Weg aber fand ich nicht. Wahrscheinlich hätte mir das Fernrohr von da aus, wo wir waren, die Bauminsel gezeigt, die sich rund um den kleinen See gebildet hatte; aber die Luft war zu sehr mit Sand geschwängert. Ich wendete mich nochmals an Bob und erfuhr nach vielem Hin- und Herfragen endlich, was er mir schon längst hätte sagen können.
Bloody-Fox hatte sich nämlich noch mehr als bisher abschließen wollen und den Weg, den ich suchte, zugepflanzt. Er hatte mit großer Mühe und mit Hilfe des Wassers, das ihm zu Gebote stand, einen so breiten Kaktuskreis um sich gezogen, daß sein Home vom Rande desselben und mit bloßem Auge nicht gesehen werden konnte. Das wäre freilich ganz unmöglich gewesen, wenn es nicht schon vorher rundum meilenweite Kaktusstrecken gegeben hätte. Er hatte nur Lücken auszufüllen gehabt und mit Bob und Sanna monatelang daran gearbeitet. Während wir früher von Westen oder von Norden her zu ihm kommen konnten, hatte er da die Lücken ausgefüllt und dafür im Osten eine neue hergestellt. Sie war sehr schmal und ging so zickzackförmig, daß sich jeder Fremde sicher gehütet hätte, ihr zu folgen. Daß sein Home von einem so ausgedehnten Kaktuswalde umgeben sein konnte, das war freilich nur durch das Vorhandensein von Wasser möglich. Uebrigens habe ich schon einmal diese wilden Kaktusfelder des Llano estacado beschriebenSiehe Winnetou Band III, pag. 88. Wir verdankten damals einem solchen Felde die Rettung vom Tode des Verschmachtens, und zufälligerweise befand sich auch ein Neger bei uns, der ebenso Bob hieß, aber mit dem jetzigen Neger Bob nicht zu verwechseln ist.
Nun wußte ich endlich, woran ich war, und wie ich zu Bloody-Fox kommen konnte. Die Apatschen durfte ich nicht mitnehmen, weil sein Home ein Geheimnis war und auch für sie wahrscheinlich bleiben sollte. Sie mußten sich also lagern; ich ließ auch alle Weißen bei ihnen und nahm nur den Neger mit, um ihm so rasch wie möglich die Gelegenheit zu geben, seine Mutter und Bloody-Fox wiederzusehen.
Wir jagten im Galopp um die gewaltige Kaktusstrecke herum, bis wir an der Ostseite derselben angekommen waren, was, da wir uns im Westen befunden hatten, beinahe eine Stunde dauerte. Wir fanden die Lücke und mußten, um ihr zu folgen, langsamer reiten, bald nach rechts, bald nach links, wie es das Zickzack mit sich brachte. Endlich erblickte ich die grünen, aber vom Sande grau belegten Wipfel der Bäume, und bald darauf das Haus, welches in ihrem Schatten lag. Vor demselben bewegte sich arbeitend eine weibliche Gestalt. Als Bob dieselbe erblickte, trieb er sein Pferd an und schrie:
»Das sein Mutter Sanna, Mutter Sanna von Masser Bob! Oh – oh – – oh! Mutter, Mutter! Sanna, Sanna! Dein Boy kommen! Bob sein da, sein wieder da!«
Sie drehte sich um, sah ihn und öffnete die Arme. So stand sie da, starr vor Freude, ohne ein Wort sagen zu können. Er hielt sein Pferd bei ihr an, sprang herab und warf die langen Arme jauchzend um sie.
Sein Schreien war gehört worden; die Thür wurde geöffnet, und heraus trat einer, dem die Wiederkehr des Negers ganz gewiß ein Rätsel war, der aber trotzdem keine Miene verzog und dessen Gesicht nicht das geringste Anzeichen von Überraschung zeigte.
Er stand still und unbeweglich vor der Thür, das dunkle Auge leuchtend auf Mutter und Sohn gerichtet. Sein langes, dichtes, blauschwarzes Haar war in einen helmartigen Schopf geordnet und hing dann noch weit auf den Rücken herab. Keine Adlerfeder, kein Abzeichen schmückte diese indianische Frisur. Man sah es ihm auch ohne dieses an, daß er kein gemeiner Indianer, kein gewöhnlicher Krieger war. Wer einen Blick auf ihn richtete, der war gewiß sofort überzeugt, einen bedeutenden Mann vor sich zu haben. Er war ganz so in Leder gekleidet wie ich. Um den Hals trug er den köstlich gestickten Medizinbeutel, die außerordentlich künstlich geschnittene Friedenspfeife und eine dreifache Kette von den Krallen und Zähnen der Grizzlybären, die er erlegt hatte. Die Züge seines ernsten, männlich schönen Gesichtes waren fast römisch zu nennen, nur daß die Backenknochen kaum merklich hervorstanden. Die Farbe seiner Haut war ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauche.
Das war Winnetou, der Häuptling der Apatschen, der herrlichste der Indianer. Sein Name lebte in jedem Zelte, in jeder Blockhütte, an jedem Lagerfeuer. Gerecht, treu und klug, tapfer bis zur Verwegenheit, aufrichtig und ohne Falsch, ein Freund und Beschützer aller Hilfsbedürftigen, mochten sie weiß oder rot von Farbe sein, aber ebenso ein Feind und strenger, unerbittlicher Gegner aller Ungerechten, so war er bekannt bei allen, die von ihm gehört oder ihn vielleicht gar gesehen hatten. Welch ein Glück, der Freund dieses Mannes zu sein!
Bob schrie immer noch auf seine Mutter ein. Sein Entzücken schien sich zu steigern anstatt sich zu vermindern. Inzwischen war ich langsam näher gekommen, und Winnetou hörte die Schritte meines Pferdes. Er drehte sich um und erblickte mich. Auch jetzt blieb sein ehernes Gesicht unbeweglich; keine Wimper zuckte. Aber sein Auge vergrößerte sich und ein leuchtender Glanz inniger Liebe strahlte mir aus demselben entgegen. Ich stieg ab, Wir schlangen die Arme fest, fest umeinander und küßten uns wie Brüder, die einander lange nicht gesehen haben. Darm hielt er meine Hände fest, trat einen halben Schritt zurück, ließ seinen Blick an mir herniederschweifen und sagte:
»Mein Bruder Shatterhand kommt wie der Tau in den Kelch der dürstenden Blume und wie der Adler, der mit mächtigen Fängen das Nest seiner jungen beschützt. Du hast droben in den Bergen der Sierra Madre meinen Zettel gefunden?«
Ich antwortete: »Mein Bruder Winnetou ist meinem Herzen ersehnt wie der Sonnenstrahl dem Kranken, und meiner Seele teuer wie das Kind der Mutter, die es geboren hat. Es sind viele Sonnen und Monde vergangen, seit mein Auge dich zum letztenmale erblickte, Ich war oben in der Sierra an der Lebenseiche und habe deine Zeilen gefunden und gelesen. Nun komme ich mit dreihundert Apatschen unter Anführung des tapfern Entschar-Ko, um sie deinem Befehle zu übergeben. Ist Bloody-Fox nicht daheim?«
»Er reitet täglich mehreremale hinaus, um die Kaktus zu umkreisen und zu sehen, ob du kommst. Auch jetzt ist er fort und – – – – sich!«
Er unterbrach seinen Satz und deutete bei dem letzten Worte dahin, woher ich gekommen war. Da kamen mehrere Reiter, Old Surehand, Old Wabble, Parker, Hawley und Entschar-Ko, der Apatsche. Ihnen voran ritt Bloody-Fox, genau so wie die mexikanischen Vaqueros ganz in Büffelkuhleder gekleidet, und zwar so, daß alle Nähte mit Fransen versehen waren. Eine rote, breite Schärpe umschlang anstatt des Gürtels seine Taille und hing mit ihren Enden an der linken Seite herab. In dieser Schärpe steckten ein Bowiemesser und zwei mit Silber ausgelegte Pistolen. Auf dem Kopfe trug er einen breitkrämpigen Sombrero; quer über die Knie hielt er eine schwere, doppelläufige Kentuckybüchse, und vorn zu beiden Seiten des Sattels waren nach mexikanischer Art Schutzleder angebracht, um die Beine bis herunter auf die Füße zu bedecken und gegen Lanzenstöße und Pfeilschüsse zu beschützen.
Er war jetzt fünfundzwanzig Jahre alt; ein voller, langer Schnurrbart beschattete seine Lippen. Der untere Teil seines Gesichtes mit den stark entwickelten Kauwerkzeugen deutete auf einen festen, unerschütterlichen Willen; seine Augen aber schauten, vielleicht nur jetzt, da er sich freute, froh und mild in die Welt wie diejenigen eines Kindes, welches kein Würmchen, keinen Schmetterling anrührt, um ihm keinen Schmerz zu bereiten. Und doch war dieser jugendliche Mann der fürchterliche Avenging-Ghost, dessen sichere Kugel jeden ›Geier‹ des Estacado grad in die Mitte der Stirn getroffen hatte!
Er sprang mitten im Trabe von seinem Pferde und reichte mir die Hand. Nachdem er mich mit aufrichtig gemeinten, herzlichen Worten begrüßt hatte, wendete er sich an Winnetou:
»Diesesmal habe ich sie gefunden, die ich suchte. Aber es sind nicht die Krieger der Apatschen allein. Ahnt Winnetou, was für berühmte Männer ihm sein Freund und Bruder Shatterhand mitgebracht hat?«
Der Häuptling antwortete mit einem leisen Schütteln seines Kopfes. Hierauf stellte Fox sie vor:
»Hier steht Old Surehand, einer der berühmtesten unter den weißen Jägern. Er ging nach dem Süden, um den Häuptling der Apatschen kennen zu lernen, und traf dabei auf Old Shatterhand.«
Jetzt endlich standen diese beiden Männer einander gegenüber! Ihre Augen waren prüfend auf einander gerichtet; dann reichte Winnetou dem Jäger die Hand und sagte:
»Wen Old Shatterhand bringt, der ist dem Häuptling der Apatschen willkommen. Ich habe viel von dir gehört; nun mag die That an die Stelle des Wortes treten wie heut die Person an die Stelle der Erzählung.«
Old Surehand erwiderte einige Worte; ich sah, daß Winnetou auf ihn einen großen, sehr großen Eindruck machte.
»Und hier,« fuhr Bloody-Fox fort, »ist Old Wabble, welcher der König der Cowboys genannt wird. Er hat Old Shatterhand und Old Surehand geholfen, Bob zu befreien.«
Es ging ein eigentümliches, ich möchte sagen, heiteres Zucken über das Gesicht Winnetous, als er dem Alten seine Hand mit den Worten bot:
»Old Wabble ist dem Häuptling der Apatschen wohlbekannt; er ist pfiffig wie ein Fuchs, reitet wie ein Teufel und raucht gern Cigaretten.«
Das Gesicht des Alten strahlte bei dem Anfange dieser Begrüßungsrede; kaum aber hörte er die letzten Worte, so verfinsterten sich seine Züge sofort und er rief aus:
»Thunder-storm, das ist freilich wahr! Aber ich habe nun seit Monaten keine einzige zwischen die Lippen gebracht. Wo soll man sie hernehmen in dieser verteufelten Gegend? Wenn das nicht bald anders wird, fahre ich vor Sehnsucht aus der Haut und wickle mir Cigarren daraus; th'is clear!«
Er war ein so leidenschaftlicher Raucher, daß er sich ohne Cigarette nicht wohl fühlte. Daher dieser Gefühlsausbruch.
Bloody-Fox stellte auch noch Parker und Hawley vor, die auch einige freundliche Worte zu hören bekamen. Er hatte einen Rundritt gemacht, um nach mir und den Apatschen auszuschauen, und war, von Norden kommend, während ich mit Bob östlich geritten war, auf sie gestoßen. Die Weißen hatten ihm sofort gesagt, wer sie waren, und er hatte sie eingeladen, schnell mit zu ihm zu kommen.
Was hätten Winnetou, Fox und ich jetzt einander zu fragen und zu erzählen gehabt! Dazu gab es aber keine Muße, denn die Comantschen nahmen zunächst unsre ganze Zeit in Anspruch. Bob und Sanna mußten unsre Pferde zur Tränke führen, und wir nahmen alle vor dem Hause Platz, um uns zu beraten. Da stand eine aus rohen Brettern zusammengefügte Tafel mit zwei Bänken, wo wir uns niedersetzen konnten.
Fox trat in das Innere seiner Wohnung, um uns zu bewirten. Aber obgleich das, was er uns vorsetzte und vorlegte, unsere Beachtung sehr verdiente, die Aufmerksamkeit derer, die noch nicht hier gewesen waren, wurde nach ganz anderen Richtungen gezogen.
Sie blickten staunend rund umher. Was war das für ein Paradies hier mitten in der glühenden Wüste! Da stand ein von der Natur gebildetes, fast kreisrundes Becken, dessen Durchmesser vielleicht achtzig Schritte betragen mochte, bis an den Rand voll von hellem, köstlichem Wasser, über dessen Oberfläche die Sonne leuchtende Brillantblitze warf. Darüber zuckten schillernde Libellen hin und her, die nach Fliegen, Mücken und anderen kleinen Insekten jagten. An dem Ufer naschten unsere Pferde wie Feinschmecker von den außerordentlich saftigen Halmen des üppigen Delicacygrases. Niedrige Palmen spiegelten sich im Wasser, welches der Wind bewegte. Über ihren Federkronen bildeten hohe Cedern und Sykomoren ein schützendes Wipfeldach. Hinter dem Häuschen lag ein großes Maisfeld, in welchem sich eine Schar von Zwergpapageien um die goldigen Körner zankte.
Das Häuschen selbst war nicht groß, aber für die Bedürfnisse des Bloody-Fox hatte es Raum genug. Aus welchem Materiale es erbaut worden war, das konnte man nicht sehen, denn alle vier Seiten wurden ebenso wie das ganze Dach vollständig eingehüllt von den dichten Ranken, Blättern und Blüten der weißen, rotfädigen Passionsblume. An mehreren in der Entwickelung vorgerückten Stellen sah man schon die gelben, süßen, dem Hühnerei gleichenden Früchte aus der Fülle der gelappten Blätter hervorleuchten. An anderen Stellen, wo die Blüten noch nicht verwelkt waren, schwirrten winzige Kolibris von Blume zu Blume. Diese Liliputer der Vogelwelt, welche fliegenden Edelsteinen glichen, hatten den Weg über den Llano herüber nach dieser herrlichen Insel gefunden.
Die Sykomoren, Cedern und Cypressen am Wasser waren alte Bäume, deren Samen, als noch kein Mensch eine Ahnung von dem Dasein dieser Wüstenoase hatte, von Vögeln hierhergetragen worden war. Weiterhin gab es Anpflanzungen von Kastanien, Mandeln, Orangen und Lorbeerbäumen; diese hatte Bloody-Fox vor Jahren gepflanzt, ebenso einen breiten, sich weit um das Wasser ziehenden Streifen schnellwachsender Sträucher und perennierender Kräuter, welche die Bestimmung hatten, den vom Winde herbeigewehten Sand von der Oase abzuhalten. Fox hatte von dem kleinen See aus Gräben nach allen Richtungen gezogen, um dieses Grün bewässern zu können. Wo die Bewässerung aufhörte, ging dieser üppige Pflanzenwuchs in an der Erde hinkriechende Kaktusarten über, welche jenen großen, schützenden Ring um die Besitzung bildeten, von dem ich bereits gesprochen habe.
Dieser schöne, von der Welt abgelegene Ort machte ganz den Eindruck der Tropen. Man hätte sich nach Südmexiko, nach dem mittleren Bolivien oder an die Urwaldränder Brasiliens versetzt fühlen können. Darum war das Staunen, mit welchem dieses kleine, mitten in der Wüste liegende Paradies betrachtet wurde, gar kein Wunder. Ich hatte zu Old Surehand und Old Wabble, zu Parker und Hawley davon gesprochen, aber daß es so sehr reizend hier sei, das hatten sie doch nicht gedacht.
Als sie ihrem Entzücken durch Worte Ausdruck gaben, fühlte Bloody-Fox sich geschmeichelt und bat sie, mit in das Haus zu kommen, er wolle es ihnen zeigen.
Wenn man durch die von den Passifloren umrahmte Thür eintrat, sah man, daß das Innere aus einem einzigen Raume bestand. Die vier Wände waren aus Schilf errichtet; als Füll- und Bindemittel hatte der feine Schlamm des Sees gedient. Die Decke bestand aus langem, geflochtenem Rohre. An drei Wänden gab es je ein kleines Fenster, dessen Öffnung von den Blumenranken freigehalten war. An der vierten Wand, von der daselbst befindlichen Thür weit fortgerückt, stand der aus Erde gebaute Herd, über dem sich der auch aus Schilf und Schlamm bestehende Rauchfang öffnete. Unter diesem hing ein eiserner Kessel.
Der Fußboden war mit enthaarten Fellen belegt. Es gab drei Bettstellen, welche aus an Pfählen befestigten Riemen bestanden, über die Bärenfelle gebreitet waren. Unter der Decke hingen Stücke geräucherten Fleisches und an den Wänden alle möglichen Waffen, die im fernen Westen zu sehen und zu haben sind. Einige Kisten dienten als Schränke oder Kommoden. Einen Tisch und mehrere Stühle, von Bloody-Fox selbst zusammengezimmert, gab es auch.
Den größten Schmuck der Stube aber bildete das zottige Fell eines weißen Büffels, an welchem der Schädel gelassen worden war, Das war die »Uniform« des Avenging-Ghost; Fox hatte es stets übergeworfen, wenn er ausgeritten war, um einen Stakeman zu bestrafen. Daher die Schilderungen von dem entsetzlichen Aussehen des »Geistes des Llano estacado«! Zu beiden Seiten dieses Büffelfelles steckten viele, viele Messer in der Wand, grausige Erinnerungszeichen, denn der Rächer hatte sie den Stakemen abgenommen, die von ihm durch einen Schuß mitten in die Stirn getötet worden waren. Unter dem Lager des Bloody-Fox gab es eine mit Fellen verdeckte Vertiefung, die in Blechkisten seine Munition enthielt.
An der nördlichen Wand des Hauses, wohin die Sonne nicht kam, hing eine Anzahl von Lederschläuchen, zur Aufnahme von Wasser bestimmt. Mit ihrem Inhalte hatte Fox schon manchen im Llano verirrten Reisenden vom Tode des Verschmachtens errettet.
So war die »Insel in der Wüste« und so war das Haus auf dieser Insel beschaffen.
Dann saßen wir draußen und aßen, mit Appetit zwar, aber schnell, um zur Beratung zu kommen. Ehe diese begann, ging Bloody-Fox in das Haus und kam mit einem kleinen Pappkarton zurück, reichte diesen dem alten Wabble hin und sagte:
»Hier, Mr. Cutter, das ist für Euch, weil ich wünsche, daß meine Gäste sich wohl bei mir fühlen mögen.«
Old Wabble nahm den leichten Karton, wog ihn in der Hand und sagte zweifelnden Tones:
»Wohl fühlen? Meint Ihr, daß dieses Dings da mein Wohlbefinden stärken werde?«
»Ich bin überzeugt davon.«
»Was ist denn drin?«
»Öffnet und seht selbst.«
»Hm! Wenn Ihr es nicht sagt, muß ich freilich aufmachen, sonst erfahre ich nicht, was es ist; th'is clear!«
Er entfernte das Papierband, nahm den Deckel ab und – -stieß einen lauten Freudenschrei aus:
»Himmel! Cigaretten, Cigaretten, es sind Cigaretten! Und zwar fünfzig Stück, volle fünfzig Stück! Und wem sollen die gehören, Mr. Fox? Etwa mir?«
»Natürlich.«
»Alle? Alle fünfzig?«
»Alle!«
»Thunder-storm! Ihr seid ein edler Jüngling, ein sehr vorzüglicher Mann! Kommt her; kommt an mein Herz; ich muß Euch einen smack, einen tüchtigen smack geben!«
Er zog den Bloody-Fox an sich und gab ihm einen »Schmatz«, daß es nur so schallte und knallte. Dann brannte er sich »eine« an und blies den Rauch mit einem Behagen von sich, welches aus jeder Falte und jedem Fältchen seines Gesichtes hervorlugte. Eigentlich hätte die Kameradschaftlichkeit ihn bewegen sollen, jedem der Anwesenden eines der kleinen Dingerchen anzubieten; er that dies aber nicht, denn er war ein zu leidenschaftlicher Raucher, als daß er ein so großes Opfer hätte bringen mögen.
Über Winnetous Gesicht glitt ein leises, nur mir verständliches Lächeln. Er hatte keine Leidenschaft und keine Angewohnheit, und es war ihm beinahe unbegreiflich, daß ein alter Westmann, welchen man gar den »König der Cowboys« nannte, sich durch eine Cigarette in solche Begeisterung versetzen ließ. – – –