Karl May
Durch das Land der Skipetaren
Karl May

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Ein Hekim

Da der Schmerz meines Fußes wuchs, so ließ ich die Pferde in Galopp setzen, um baldigst am Ziel anzukommen. Als wir uns kurz vor Radowitsch wieder dem Fluß näherten, sah ich ein winziges Häuschen, vor welchem ein alter Mann saß, der uns mit einer auffallenden Aufmerksamkeit betrachtete. Es lag eine Art von Zweifel in seinen Mienen.

Ohne eigentlich einen klaren Grund zu haben, hielt ich an und grüßte ihn. Er stand auf und dankte mir ehrerbietig, vermuthlich wegen meines grünen Turbans.

»Kennst Du uns etwa, Väterchen?« fragte ich ihn.

»O nein. Ich habe Euch noch niemals gesehen,« antwortete er.

»Du schautest uns aber doch so seltsam an; hattest Du einen Grund dazu?«

»Ich hielt Euch für böse Skipetaren.«

»Sehen wir denn wie Skipetaren aus?«

»Gewiß nicht; aber dieses schwarze Pferd machte mich irre. Wenn der Reiter desselben von größerer Gestalt wäre, so würde ich, trotzdem Ihr nicht so gekleidet seid, doch denken, ich hätte diese Skipetaren vor mir.«

»Welche meinst Du denn?«

»Verzeihe, Herr! Ich soll ja nicht davon sprechen.«

»So, so! Nun, ich versichere Dir, daß es keinem braven Menschen einen Schaden machen wird, wenn Du es uns sagst.«

»Vielleicht doch. Wenn Du es weiter erzählst, könnten die Skipetaren es erfahren und die braven Leute noch weiter verfolgen.«

»Ich sage es Niemand. Halef, gib dem alten Vater ein Bakschisch!«

Der Hadschi zog den Beutel und warf ihm Etwas in den Schooß. Der Alte rieb sich die eingefallene Wange und entschied sodann:

»Herr, Du bist ein Nachkomme des Propheten; ich möchte Dir gern zu Diensten sein, aber ich darf es nicht. Mein Gewissen verbietet es mir, denn ich habe versprochen, zu schweigen. Nimm Dein Geld also wieder.«

»Du sollst es dennoch behalten, denn ich sehe, daß Du arm bist. Du hast also, wie es scheint, Skipetaren erwartet, welche hier vorüberkommen werden?«

»So ist es, Herr.«

»Wie viele Skipetaren werden kommen?«

»Vier. Der Eine von ihnen, der lange Stiefel an den Füßen und einen großen, dunklen Bart im Gesicht trägt, soll einen arabischen Rappen reiten. Ist dieser Hengst nicht vielleicht ein Araber?«

»Jawohl.«

»Das dachte ich mir und habe Euch deßhalb beinahe mit jenen Mördern verwechselt.«

»Wer hat Dir denn gesagt, daß Skipetaren kommen wollen?«

»Hm! Das darf ich nicht verrathen.«

»Du bist ein sehr verschwiegener Mann.«

»Ich würde vielleicht nicht so verschwiegen sein; aber Ihr habt Etwas bei Euch, was mir verdächtig vorkommt.«

»So? Und was ist denn das?«

»Die beiden langen Stiefel, welche da hinter dem Sattel angeschnallt sind. Der Rappe ist da, die Stiefel sehe ich auch. Nun fehlt nur noch derjenige, der auf dem Rappen sitzen und die Stiefel an den Beinen haben soll. Wärest Du nicht ein gesegneter Abkömmling des Propheten, den – – ah, dort kommt er ja wieder!«

Ein junger Mann kam über die Brache herüber, grad auf das Häuschen zu.

»Wer ist das?« fragte ich.

»Mein Sohn, welcher den Wegweiser – – o Allah, davon sollte ich ja nicht sprechen!«

Ich begann zu ahnen, um was es sich handelte. Jedenfalls hatte der Mübarek mit seinen drei Begleitern hier angehalten, um den jungen Mann als Wegweiser nach einem Ort mitzunehmen, zu welchem sie den Weg nicht genau kannten. Da sie annahmen, daß wir hier vorüberkommen und uns erkundigen würden, falls wir den Aladschy entwischten, so hatten sie dem Vater und dem Sohn irgend eine Lüge aufgebunden und wahrscheinlich uns für Skipetaren ausgegeben. Ich hoffte, daß der Sohn gesprächiger sein werde, als sein Vater.

Als er näher herbei gekommen war, sah ich, daß er ein sehr verdrießliches Gesicht machte. Er grüßte uns kaum und wollte in die Hütte treten. Der Alte aber ergriff ihn beim Gewand und fragte:

»Nun, warum sagst Du nichts? Hast Du nicht das schöne Bakschisch erhalten?«

»Ja, Bakschisch! Etwas ganz Anderes habe ich bekommen, aber kein Bakschisch,« antwortete der Sohn, welcher sehr erzürnt zu sein schien. »Die Menschen werden immer schlechter. Sogar den Heiligen darf man nicht mehr trauen.«

»Du meinst wohl den alten Mübarek?« fragte ich ihn.

»Wie kommst Du auf den? Bist Du etwa ein guter Freund von ihm?«

»O, ich bin grad das Gegentheil. Wir sind die Skipetaren, vor denen er Euch gewarnt hat.«

»Allah, Allah!« rief der Alte erschrocken. »Habe ich es doch geahnt! Herr, ich hoffe, daß Du uns verschonen wirst. Wir sind blutarme Leute. Mein Sohn ist Küfedschi und flicht die Weiden, welche meine Enkel grad jetzt dort am Fluß schneiden. Ich aber bin zu gar nichts nütze; ich kann nicht einmal Ruthen schälen, denn die Gicht hat mir die Finger krumm gezogen, wie Du hier sehen kannst.«

Er streckte mir die Hände entgegen.

»Sei ruhig!« antwortete ich. »Hast Du schon einmal einen Skipetaren gesehen, welcher das Turbantuch des Propheten trägt?«

»Nein, niemals.«

»Unter den Skipetaren gibt es keinen Einzigen, welcher vom Propheten stammt; also kann ich doch kein Räuber sein.«

»Du hast aber doch soeben gesagt, daß Ihr diejenigen Skipetaren seid, vor denen wir gewarnt worden sind.«

»Wir sind diejenigen, ja; aber daß wir Skipetaren seien, das ist eine Lüge.«

»Wo ist denn der Reiter, der auf den Rappen gehört?«

»Der bin ich. Wir haben die Pferde gewechselt, und ich legte eine andere Kleidung an, um von denjenigen Leuten, welche ich fangen will, nicht sogleich erkannt zu werden. – Du aber scheinst schlechte Erfahrungen mit dem Mübarek gemacht zu haben?«

Der Sohn, an welchen diese Frage gerichtet war, antwortete, aber zu seinem Vater gewendet:

»Jawohl, aber nicht bloß ich, sondern auch der Badschanak. Hast Du Dir ihre Pferde angesehen?«

»Wie konnte ich? Ich befand mich doch noch auf dem Lager, und es war noch nicht vollständig Tag. Der Nebel lag noch dick um die Hütte. Was ist es mit dem Güweji

»Bestohlen haben sie ihn!«

»O Allah! Diesen armen Menschen, der noch dazu erst vor Kurzem seine Frau, Deine Schwester und meine Tochter, verloren hat. Was haben sie ihm genommen?«

»Das beste von seinen zwei Pferden.«

»O Himmel! Warum haben sie ihm das gethan! Sie konnten sich ein anderes Pferd von einem reichen Mann stehlen, das wäre Allah wohlgefälliger gewesen. Und der Mübarek war dabei? Seit wann sind die heiligen Einsiedler Pferdediebe geworden?«

»Es gibt keine Heiligen mehr wie früher. Es ist Alles List, Trug und Täuschung. Mir kann der frömmste Marabut oder der vornehmste Scherif kommen, ich traue ihm nicht mehr.«

Bei dem Wort Scherif warf er mir einen bezeichnenden, höchst mißtrauischen Blick zu. Ich wußte nun, was er erfahren hatte, und konnte mir auch denken, was gesprochen worden war. Darum sagte ich zu ihm:

»Du hast Recht; es gibt viel Betrug und Hinterlist in dieser Welt. Ich aber will ehrlich und aufrichtig mit Dir sein. Ich bin weder ein Skipetar noch ein Scherif, sondern ich bin ein Franke, der gar kein Recht hat, den grünen Turban zu tragen. Sieh' einmal her!«

Ich nahm den Turban ab und zeigte ihm mein volles Haar.

»Herr,« rief er erschrocken, »wie kühn bist Du! Du wagst ja das Leben!«

»O, so sehr schlimm ist es nicht. In Mekka freilich wäre es gefährlicher als hier, wo es so viele Christen gibt.«

»Also bist Du gar kein Moslem, sondern ein Christ?«

»Ich bin ein Christ.«

»Und trägst das Hamaïl am Hals, den in Mekka geschriebenen und nur dort zu erlangenden Kuran!«

»Ich habe ihn von dort.«

»Und bist dennoch ein Christ? Das kann ich nicht glauben!«

»Ich werde es Dir gleich beweisen, indem ich Dir erkläre, daß Euer Muhamed tief unter Christus, dem Sohn Gottes, knieen muß, um ihn anzubeten. Würde ein Moslem diese Worte sagen?«

»Nein, niemals. Du sagst einen Frevel gegen unseren Glauben, aber Du hast damit bewiesen, daß Du ein Christ, ein Franke bist. Vielleicht bist Du derjenige, welcher Manach el Barscha in den Arm geschossen hat.«

»Wann soll das geschehen sein?«

»Gestern Abend bei der Hütte des Mübarek.«

»Das bin ich allerdings gewesen. Also diesen Mann habe ich getroffen? Es war dunkel, so daß ich die Personen nicht erkennen konnte. Also Du weißt auch davon?«

»Sie sprachen ja immerwährend davon. So seid Ihr denn wohl die Fremden, welche den Mübarek und die andern Drei gefangen genommen hatten?«

»Ja, die sind wir.«

»Herr, so verzeihe, daß ich Dich beleidigte. Freilich habe ich nur Böses über Dich vernommen; aber das Böse, welches schlechte Menschen über Andere sagen, verwandelt sich in Gutes. Ihr seid die Feinde dieser Diebe und Betrüger, und darum seid Ihr gute Menschen.«

»Also hast Du nun Vertrauen zu uns?«

»Ja, Herr.«

»So erzähle uns, wie Du mit diesen Menschen zusammengekommen bist.«

»Gern, Herr. Steige herab, und setze Dich auf die Bank. Der Vater wird Dir Platz machen, während ich erzähle.«

»Ich danke Dir. Er mag ruhig sitzen bleiben. Sein Haar ist grau; ich aber bin noch jung. Auch habe ich einen kranken Fuß, so daß ich lieber im Sattel sitzen bleibe. Erzähle uns nun.«

»Es war heute in der Frühe; ich war eben aufgestanden, um mein Tagewerk zu beginnen. Der Nebel war noch so dick, daß man kaum einige Schritte weit sehen konnte. Da hörte ich Reiter kommen, welche vor meiner Hütte hielten und mich riefen.«

»Kannten sie Dich denn?«

»Der Mübarek kannte mich. Als ich in das Freie trat, sah ich vier Reiter, welche ein Packpferd bei sich hatten. Der Eine war der Mübarek; in dem einen Andern erkannte ich erst später, als es heller geworden war und wir uns bereits unterwegs befanden, Manach el Barscha, den früheren Steuereinnehmer von Uskub. Sie wollten nach Taschköj reisen und fragten mich, ob ich den Weg dorthin genau kenne. Ich bejahte es, und nun baten sie mich, sie dorthin zu führen, und versprachen mir dafür ein Bakschisch, welches wenigstens dreißig Piaster betragen sollte. Herr, ich bin ein armer Mann, und dreißig Piaster verdiene ich mir sonst in einem ganzen Monat kaum. Auch kannte ich den alten Mübarek und hielt ihn für einen Heiligen. Darum war ich mit Freuden bereit, ihnen als Führer zu dienen.«

»Sagten sie, weßhalb sie nach Taschköj wollten?«

»Nein, aber das sagten sie, daß sie von vier Skipetaren verfolgt würden, die ja nicht erfahren dürften, wohin ich sie habe führen müssen.«

»Das war eine Lüge.«

»Später habe ich das freilich eingesehen.«

»Wo liegt dieses Taschköj?«

Der Name bedeutet Felsen- oder Steindorf. Darum nahm ich an, daß der Ort wohl oben in den Bergen liegen müsse. Der Korbmacher antwortete:

»Es liegt fast grad im Norden von hier. Es führt nicht einmal von Radowitsch aus eine Straße dorthin, und man muß den Wald und die Berge genau kennen, um sich nicht zu verirren. Das Dorf ist klein und arm und liegt in der Richtung, in welcher man dann nach der Bregalnitza gegen Sbiganzy hin bergabwärts steigt.«

Sbiganzy! Das war ja der Ort, welchen ich von Radowitsch aus nordwärts aufsuchen sollte, um bei dem Fleischer Tschurak nach der Derekuliba zu fragen und dort das Nähere über den Schut zu hören. Wollte etwa der Mübarek auch dorthin reisen? Vielleicht fand man da die ganze saubere Gesellschaft beisammen.

»Und noch bevor Ihr von hier aufbracht,« fragte ich weiter, »sagten sie Dir, daß Du nichts verrathen solltest?«

»Ja. Der Mübarek erzählte mir, daß er unterwegs von vier Skipetaren überfallen worden, ihnen aber entronnen sei. Sie hätten eine Blutrache gegen ihn und seine Begleiter und würden ihm wahrscheinlich folgen. Er müsse nach Norden, wolle aber nicht über Radowitsch, weil er dort gesehen werde und die Skipetaren also Auskunft erhalten könnten, wohin er sich gewendet habe. Er beschrieb Euch sehr genau, wie ich nun sehe, nur daß Du jetzt andere Kleider trägst und nicht auf dem Rappen sitzest. Wenn Ihr hier vorüberkommen und nach ihm fragen würdet, sollten wir Euch keine Auskunft ertheilen. Für diese Verschwiegenheit gab er uns seinen Segen. Dann brachen wir auf. Als es heller wurde, erkannte ich in dem Packpferd das Roß meines Badschanak, glaubte aber, mich zu irren; darum sagte ich nichts.«

»Sahen die Pferde dieser Leute nicht sehr angestrengt aus?«

»Allerdings! Hier vor dem Hause schwitzten sie, und der Schaum troff ihnen von den Mäulern.«

»Das läßt sich denken. Wenn sie so zeitig hier angekommen sind, müssen sie sehr schnell geritten sein, was bei Nacht und bei dieser Art von Weg eine ziemliche Anstrengung bedeutet. Erzähle weiter!«

»Sie ritten Alle; ich aber war zu Fuß. Doch blieb ich ihnen immer voran. Da hörte ich denn Manches von dem Gespräch, welches sie halblaut führten. Zuerst vernahm ich, daß sie erst nur vier Pferde gehabt hatten. Jeder hatte ein Stück Gepäck bei sich gehabt. Dann aber, als sie nahe an den Weiler kamen, weißt Du, wo die Straße über die Brücke geht, waren sie auf zwei Reiter getroffen; diese hatten ihnen gesagt, daß mein Schwager zwei Pferde hinter seinem Hause habe, und unter dem Vordach hänge auch ein Packsattel.«

Ich begann zu ahnen, wer dieser Schwager sei, und sagte:

»Ich bin auch durch diesen Weiler gekommen und habe dort nur ein einziges Haus mit einem Vordach gesehen. Unter demselben hing ein Reitsattel, wenn ich mich recht erinnere. Es war ein Einkehrhaus und lag rechts von der Brücke.«

»Das ist's, das ist's!«

»Also dieser Wirth ist Dein Schwager?«

»Ja, er ist der Mann meiner Schwester, welche vor Kurzem gestorben ist.«

»Ich bin bei ihm eingekehrt.«

»So hast Du ihn gesehen, mit ihm gesprochen?«

»Ja. Also diesen armen Mann haben sie bestohlen! Es befand sich, als ich dort war, ein Pferd hinter dem Hause.«

»Das ist das andere. Er hatte deren zwei. Auch zwei Sättel besaß er, einen zum Reiten und einen zum Gepäck.«

»Haben sie nichts von den beiden Reitern gesagt, mit welchen sie zusammengetroffen waren?«

»Ja, doch ich konnte nicht klug daraus werden. Sie sprachen immer von zwei Schecken; das sind aber doch nicht Menschen, sondern Pferde!«

»In diesem Falle sind beide gemeint, Menschen und Pferde.«

»Diese Schecken sollten Jemanden überfallen und tödten.«

»Nämlich uns.«

»Euch, Herr? Warum?«

»Aus Rache. Diese Schecken sind nämlich zwei berüchtigte Skipetaren, die nur von Raub leben. Man hat ihnen diesen Beinamen gegeben, weil sie scheckige Pferde reiten.«

»So also ist's, so! Und diese Skipetaren haben Euch nicht aufgelauert?«

»O doch!«

»Aber Ihr befindet Euch ja hier! – Ihr seid ihnen entkommen?«

»Durch eine List, nämlich dadurch, daß ich mich verkleidet habe. Ich traf sie bei Deinem Bruder und war mehrere Stunden bei ihnen. Jetzt aber werden sie wissen, daß ich sie getäuscht habe, und nach uns suchen.«

»Vielleicht kommen sie auch hierher?«

»Das ist möglich.«

»Wenn sie sich nach Euch erkundigen, soll ich ihnen Auskunft geben?«

»Ich will Dich nicht zu einer Lüge verleiten. Sage ihnen immerhin, daß wir hier gewesen sind und dann nach Radowitz ritten. Aber von dem, was wir jetzt sprechen, brauchst Du ihnen nichts zu sagen.«

»Nein, Herr, sie erfahren kein Wort.«

»So erzähle weiter.«

»Ich erlauschte also, daß sie meinem Bruder das Pferd und den Sattel genommen und darauf ihr Gepäck geladen hatten. Ausführliches konnte ich freilich nicht erlauschen, denn sie redeten nicht laut, und sodann gab es doch auch längere Pausen, in denen ich nicht horchen konnte. Aber ich hörte doch so viel, daß ich daraus schließen konnte, der Mübarek müsse ein großer Dieb und Räuber gewesen sein. Das Beste von dem, was er sich zusammengeraubt hat, befand sich auf dem Packpferde. Das andere, was werthloser war und viel Platz wegnahm, hatte er mit seiner Hütte verbrannt. Am meisten freuten sich die Flüchtigen darüber, daß die Schecken so schön bei der Hand gewesen. Sie halten ihre Verfolger, also Euch, wie ich nun weiß, für verloren.«

»Da irren sie sich glücklicher Weise gewaltig. Sie werden uns nicht los, denn wir bleiben ihnen auf den Fersen.«

»O, wenn ich da mit Euch könnte!«

»Warum?« fragte ich.

»Weil sie meinen Schwager bestohlen und mich um mein Bakschisch betrogen haben.«

»Ah, das ist stark! Du bist bis nach Taschköj mit ihnen gegangen?«

»Noch eine ganze Strecke weiter.«

»Wie weit ist es bis dorthin?«

»Wir haben fünf volle Stunden gebraucht.«

»Und wohin gingen sie dann?«

»Sie wollten hinab nach dem Thal der Bregalnitza. Weiter erfuhr ich nichts.«

»So kann ich mir denken, wohin sie wollten. Bist Du denn nicht darauf bestanden, Deinen Lohn zu erhalten?«

»Natürlich! Sie waren so klug gewesen, mich weiter als Taschköj mitzunehmen, denn dort hätte ich vielleicht Hülfe gefunden und sie zwingen lassen können, mich zu bezahlen. Mitten im Walde dann hielten sie an, um mir zu sagen, daß sie meiner nicht mehr bedürften. Ich bat sie um das Bakschisch; sie aber lachten mich aus.

Ich wurde nun zornig und verlangte das Pferd meines Bruders zurück. Da sprangen sie von den Pferden. Zwei warfen mich nieder und hielten mich, und der Dritte schlug mich mit der Peitsche. Ich mußte es dulden, denn ich war zu schwach gegen sie. Herr, es hat mich noch kein Mensch geschlagen. Nun bin ich zwölf Stunden angestrengt gelaufen. Mein Rücken ist wund von den Hieben. Ich habe einen Tag Arbeit versäumt, und meine Zunge ist heiß vor Hunger. Statt dreißig Piaster mit nach Hause zu bringen, besitze ich nun nicht die kleinste Münze. Was soll ich essen? Was soll ich dem Vater und den Kindern geben, wenn ich nichts habe? Wäre ich daheim geblieben, so hätte ich nach Radowitsch gehen können, um einige Körbe zu verkaufen. Dafür konnten wir satt werden.«

»Tröste Dich!« bat sein Vater. »Ich habe von diesem Scherif, der leider kein Scherif ist, fünf Piaster geschenkt erhalten. Da kannst Du nach Radowitsch gehen und Brod kaufen.«

»Herr, ich danke Dir!« sagte der Korbmacher. »Ich habe Dich für einen bösen Menschen gehalten, Du aber bist gut gegen uns. Ich wünsche, ich könnte Dir einen Dienst erweisen.«

Bevor ich antworten konnte, ergriff Halef das Wort. Er hatte sich im Sattel umgedreht und schnallte an meinen langen Stiefeln herum, welche so rund und glatt aussahen, als ob ich meine Beine drin stecken hätte.

Während unseres Gespräches waren die Kinder des Korbmachers herbei gekommen, mit Weidenruthen beladen, welche sie geschnitten hatten.

»Habt Ihr Hunger, Ihr kleines Völkchen?« fragte er sie.

Die Größeren nickten, die Kleinste aber fing zu weinen an. Es ist in der Türkei ebenso, wie bei uns. Wenn man so ein Dirndl von zwei Jahren nach seinem Appetit fragt, so sind gleich Thränen zu sehen.

»Nun, da hole einmal einen Korb heraus!« befahl der kleine Hadschi dem Vater dieser hungrigen Schaar. »Aber nicht zu klein darf er sein.«

»Wozu?« erkundigte sich der Mann.

»Ich will diese ewig langen Stiefel ausschütten.«

Der Korbmacher brachte ein Geflecht, welches schon Etwas zu fassen vermochte, und hielt es empor. Nun schüttete der Hadschi aus beiden Stiefeln eine ganze Menge von Früchten, Fleisch- und Backwaaren in diesen Korb, so daß derselbe ganz voll wurde.

»So!« sagte er. »Nun laß Deine Kinder essen, und Allah möge es Euch segnen!«

»Herr!« rief der Korbmacher, ihm die Hand küssend, »das Alles soll unser sein?«

»Freilich!«

»Das können wir ja in einer ganzen Woche nicht aufessen!«

»Das hat Euch auch Niemand befohlen. Verfahrt also hübsch genügsam, und verzehrt den Korb nicht mit.«

»Herr, ich danke Dir! Dein Herz ist der Güte voll, und Dein Mund trieft von Munterkeit.«

»Das will ich nicht grad sagen. Allzu lustig bin ich nicht gestimmt, sondern das Herz blutet mir, wenn ich jetzt diese leeren Stiefel betrachte. In jedem derselben steckte auch ein gebratenes Huhn, so braun und knusperig, wie es nur im dritten Paradies gebacken wird. Meine ganze Seele hängt an solchen Hühnern. Daß ich von ihnen scheiden muß, erfüllt mein Gemüth mit Traurigkeit und mein Auge mit Thränen. Da diese Hennen aber nun einmal ihr Leben haben lassen müssen, um verspeist zu werden, so ist es schließlich ganz gleich, in wessen Magen sie begraben werden. Also verzehrt sie mit Bedacht und andächtigem Behagen und hebt mir die Knochen auf, bis ich wiederkomme!«

Er sprach das so ernst und würdevoll, daß wir Alle lachen mußten.

»Aber, Halef, wie kommst Du denn auf den sonderbaren Gedanken, Dich mit einem solchen Proviant zu versehen und meine Stiefel als Magazin zu benutzen?«

»Ich selbst kam nicht auf diesen schönen Gedanken. Als ich den Wirth bezahlen wollte, wie Du mich beauftragt hattest, so sagte er, daß er uns schuldig sei, nicht aber wir ihm. Für den Dienst nämlich, den wir seinem Bruder Ibarek erwiesen hätten. Hier ist wieder einmal zu sehen, daß Allah jede gute That doppelt lohnt, denn wir haben bei Ibarek auch nichts zu bezahlen gebraucht.«

»Weiter doch!«

»Ja, weiter! Vorsichtiger Weise hatte ich auch ein Wörtchen fallen lassen, daß Brathuhn meine Lieblingsspeise sei – –«

»Schlingel Du!«

»Verzeihe, Sihdi! Man hat den Mund nicht zum Schweigen, sondern zum Sprechen erhalten. Das Ohr des Wirths war offen gewesen, und sein Gedächtniß hatte das Brathuhn aufbewahrt. Als ich unsere Sachen zusammenpackte, brachte er mir die beiden Hühner und wünschte mir, daß ihr Genuß uns das Leben verlängern möge. Da erklärte ich ihm, daß der Mensch noch länger lebe, wenn er zu dem Huhn noch andere passende Sachen speise.«

»Halef, wenn das wahr wäre, verdientest Du die Peitsche!«

»Ich verdiene Deinen Dank, Sihdi, weiter nichts. Wenn Du mir diesen widmest, bin ich ebenso zufrieden, wie ich es war, als der Wirth mir dann die Zuspeisen brachte, welche Du hier in diesem Korb in holder Eintracht versammelt siehst.«

»Du hättest nichts nehmen sollen!«

»Verzeihe, Sihdi! Wenn ich nichts genommen hätte, so könnten wir jetzt auch nichts geben.«

»Wir könnten trotzdem geben!«

»Aber nichts, was den Hunger dieser kleinen Menschen augenblicklich stillen kann. Übrigens habe ich mich geweigert, bis es mir endlich fast an das Leben ging. Ich sagte, daß ich dazu Deiner Erlaubniß bedürfe und also nichts nehmen könne, weil Du nicht anwesend seiest. Ich brachte alle Einwürfe vor, welche sich sämmtliche Khalifen aussinnen könnten, aber der Wirth bestand auf seinem Willen. Er erklärte, daß er es nicht mir, sondern Dir schenke. Das erweichte mein gutes Herz, ich gab nach. Um aber ganz sicher zu gehen, hielt ich mich fern davon. Die Gabe war für Dich bestimmt, und da der Wirth sie Dir nicht selbst überreichen konnte, so stellte ich ihm die Stiefel als Deine Stellvertreter und Bevollmächtigte hin und ging von dannen. Als ich sie dann zu meiner Freude wiedersah, waren sie dick und fett geworden von den Erzeugnissen der lieben Thierwelt und des holden Pflanzenreiches. Ich aber übermittelte dem Wirth Deinen Dank in einer wohlgesetzten Rede, stopfte die Stiefel oben zu und schnallte sie hinter dem Sattel fest. Habe ich da gesündigt, so bitte ich um eine gnädige Beurtheilung meines Fehltrittes.«

Man konnte diesem lieben Menschen gar nicht gram sein. Ich war überzeugt, daß es ihm gar nicht eingefallen war, durch irgend ein Wort den Wirth zu dieser Gabe zu veranlassen. Halef hätte so Etwas nie vermocht, denn er besaß ein außerordentlich empfindliches Ehrgefühl. Aber er häkelte gern ein wenig mit mir, und es machte ihm großes Vergnügen, wenn ich so that, als ob ich mich von ihm herausfordern ließe.

»Ich werde Dir später Deine Strafe dictiren,« drohte ich ihm. »Wenigstens wirst Du für lange Zeit auf Dein Lieblingsgericht verzichten müssen. Deinetwegen soll nicht so bald wieder eine unschuldige Henne von ihren Küchlein scheiden müssen.«

»So nehme ich auch mit einem jungen Hähnchen fürlieb, Sihdi, und es soll mir so gut schmecken, wie diese Äpfel da den Kleinen munden.«

Die Kinder hatten sich um den Korb versammelt und zuerst nach den Äpfeln gegriffen. Es war eine Lust, zu sehen, wie eifrig die kleinen Mäuler arbeiteten. Dem Alten standen vor Freude die Thränen in den Augen. Sein Sohn hatte ihm ein Stück Fleisch in die Hand gedrückt, aber er aß nicht; er vergaß sich selbst aus Freude darüber, daß die Enkel nun befriedigt waren.

Der Korbmacher reichte einem Jeden von uns die Hand und sagte zu mir:

»Herr, ich wiederhole es, daß es mir große Freude machen würde, wenn ich Dir einen Dienst erweisen könnte. Ist das nicht vielleicht möglich?«

»Ja, es gibt einen Dienst, um den ich Dich sogar bitten möchte.«

»Sage ihn mir!«

»Du sollst auch uns nach Taschköj führen.«

»Wie gern, wie gern! Wann denn, Herr?«

»Das weiß ich noch nicht. Komm morgen früh nach Radowitsch; da werde ich es Dir sagen können.«

»Wo treffe ich Dich?«

»Hm, auch das weiß ich noch nicht. Kannst Du mir nicht einen Konak angeben, wo es sich gut wohnen läßt?«

»Am besten wohnst Du in der Lokanda babi humajun. Ich kenne den Wirth und werde Dich hinführen.«

»Das kann ich nicht zugeben; Du bist ermüdet.«

»O, bis Radowitsch gehe ich leicht. Wir sind in einer Viertelstunde dort. Ich muß Dich dem Wirth empfehlen; ich arbeite zuweilen dort, und er hält auf mich, obgleich ich nur ein armer Mann bin. Morgen früh werde ich Dich dann besuchen, um zu erfahren, wann Du nach Taschköj reisen willst.«

»Das wird von meinem Fuß abhängen, den ich mir verletzt habe. Gibt es in der Stadt einen guten Arzt, dem man sich anvertrauen kann?«

»Wenn Du einen Dscherrah meinst, so gibt es Einen, der weit und breit berühmt ist und alle Schäden an Menschen und an Thieren heilt. Er kann sogar das Impfen der Tschitschek, was sonst Keiner versteht.«

»Da ist er allerdings ein Wunder von einem Arzt! Aber wir müssen nun auch von dem Bakschisch sprechen, welches Du Dir ausbedingst.«

»Wofür denn, Herr?«

»Dafür, daß Du uns nach Taschköj führst.«

»Herr, da nehme ich nichts!«

»Und ich mag es nicht umsonst.«

»Ihr habt uns bereits reich beschenkt.«

»Das war Geschenk; das Andere aber wirst Du Dir verdienen. Beides ist nicht zu verwechseln.«

»Aber ich kann doch kein Geld von Dir verlangen; ich müßte mich ja schämen.«

»Nun gut, so mag es nicht Lohn, sondern nur Bakschisch sein. Ich werde es Deinem Vater geben.«

Ich ließ mir von Halef meine Brieftasche und meinen Beutel reichen und winkte den Alten heran. Als er fünfzig Piaster in seinen gekrümmten Fingern sah, wollte er außer sich gerathen vor Freude und mir das Geld größtentheils zurückgeben.

»Ich nehme keinen Piaster wieder,« sagte ich mit Entschiedenheit.

»So weiß ich nicht, wie ich Dir danken soll,« erwiederte er. »Möge es dem Hekim gelingen, Dir Deinen Fuß recht bald wieder gesund zu machen!«

»Das wollen wir hoffen. Aber sage, Küfedschi, wie heißt denn dieser so berühmte Arzt?«

»Sein Name ist Tschefatasch.«

»O wehe! Wenn seine Kuren seinem Namen angemessen sind, so danke ich für seinen Beistand.«

Tschefatasch heißt nämlich auf deutsch ›Marterstein‹.

»Du brauchst keine Sorge zu haben,« tröstete mich der Korbmacher. »Er wird Dir ja nicht seinen Namen, sondern ein Pflaster auf den Fuß legen. Und das versteht er auf das Vortrefflichste.«

»So komm jetzt, wenn Du mit uns gehen willst!«

Er steckte sich einen Imbiß ein, um ihn unterwegs zu verzehren, und dann brachen wir auf. Wir erreichten die Stadt nach einer Viertelstunde. Unser Führer brachte uns durch einen offenen Basar in eine Gasse und durch einen Thorweg in einen sehr geräumigen und auch sauber gehaltenen Hof. Halef begab sich mit ihm zu dem Wirth. Ich selbst blieb noch im Sattel, um mir den Fuß nicht durch unnöthiges Gehen anzustrengen.

Nach kurzer Zeit brachten beide den Wirth herbei, welcher mir unter vielen Höflichkeiten und Entschuldigungen erklärte, daß er leider für mich nur ein winziges Stübchen habe, welches an den allgemeinen Gastraum stoße. Es sei hier gar nicht gebräuchlich, daß Einkehrende ein besonderes Zimmer verlangen; es sei in der ganzen Stadt kein solches vorhanden, und auch das seinige müsse für mich erst gereinigt und hergerichtet werden, weßhalb ich zunächst mich nach der Gaststube bemühen möge.

Ich war ganz zufrieden damit und stieg ab. O weh! Der Fuß war angeschwollen. Ich konnte nur mit Schmerz auftreten und mußte mich fest auf Osco stützen.

Als wir in die Stube kamen, befand sich Niemand darin. Ich setzte mich in die hinterste Ecke, neben die Thüre, welche in das für mich bestimmte Stübchen führte. Halef, Osco und Omar gingen in den Hof zurück, um zunächst für die Pferde zu sorgen.

Ich hatte unterwegs gar nicht daran gedacht, meine Verkleidung abzulegen. In Mitte einer fanatischen Bevölkerung wäre das höchst gefährlich gewesen; hier aber hatte es nicht so viel zu bedeuten.

Der Korbmacher erbot sich, mir den Arzt zu holen, und ich stimmte zu. Er war soeben hinaus, als ein Gast eintrat. Ich saß mit dem Rücken nach der Thüre und drehte mich halb um, um den Mann anzusehen. Es war kein Anderer als – – der Bokadschi Toma, der Botenmann, welcher uns den beiden Scheckigen verrathen hatte.

»Na, laß Dich nur nicht vor dem Hadschi sehen!« dachte ich und drehte mich wieder um, da ich mit ihm nichts zu thun haben mochte. Er war aber nicht gleichen Sinnes. Vielleicht hatte er Lust, sich ein wenig zu unterhalten. Ich war der Einzige, den er hier fand, und so schritt er einige Male hin und her, blieb dann seitwärts von mir stehen und fragte:

»Bist Du hier fremd?«

Ich that, ob als ich die Frage gar nicht gehört hätte.

»Bist Du hier fremd?« wiederholte er mit erhobener Stimme.

»Ja,« antwortete ich jetzt.

»Schläfst Du heute hier?«

»Ich weiß es noch nicht.«

»Wo bist Du her?«

»Aus Stambul.«

»Ah, aus der Hauptstadt, dem Wangenglanz des Welten-Antlitzes! Da bist Du ein sehr glücklicher Mensch, in der Nähe des Padischah zu wohnen.«

»Seine Nähe beglückt nur die Guten.«

»Meinst Du, daß es dort viele Böse gibt?«

»Wie überall.«

»Was bist Du denn?«

»Ein Schreiber.«

»Also ein Gelehrter. Mit solchen Leuten spreche ich gern.«

»Aber ich nicht mit Andern.«

»Allah! Bist Du abstoßend! Schon wollte ich Dich fragen, ob es mir nicht erlaubt sei, mich neben Dich zu setzen.«

»Es ist erlaubt, wird Dir aber keine Freude machen.«

»Warum nicht?«

»Mein Gesicht gefällt nicht einem Jeden.«

»So will ich sehen, ob es mir gefällt.«

Er setzte sich an meinen Tisch auf die Bank gegenüber und schaute mich dann an.

Das Gesicht, welches er schnitt, ist gar nicht zu beschreiben. Ich hatte noch den Turban auf dem Kopf und die Brille auf der Nase; das machte ihn irre, obgleich mein Gesicht nicht im Geringsten verändert worden war. Sein Mund that sich auf, seine Brauen zogen sich in Form zweier spitzer Winkel empor, und seine Augen ruhten auf mir mit einem Ausdruck, daß ich mich anstrengen mußte, nicht laut aufzulachen.

»Herr – Effendi – wer – wer bist Du?« fragte er.

»Ich sagte es Dir bereits.«

»Hast Du die Wahrheit gesagt?«

»Willst Du es wagen, mich der Lüge zu zeihen?«

»Nein, um Allah's willen, nein, denn ich weiß, daß Du – daß – –«

Er konnte vor Angst und Zweifel nicht weiter sprechen.

»Was denn? Was weißt Du von mir?«

»Nichts, gar nichts, als daß Du ein Schreiber bist und in Stambul wohnst.«

»Was redest denn Du so verwirrtes Zeug?«

»Verwirrt? Ach, Herr, es ist auch gar kein Wunder, denn Du scheinst derjenige zu sein, von dem ich denke, daß er derjenige ist, von dem derjenige – o Allah! Du hast ganz Recht. Ich bin völlig irre geworden, denn diese Ähnlichkeit ist auch gar zu groß.«

»Wem bin ich denn so ähnlich?«

»Einem todten Effendi.«

»Ah! Wann ist er gestorben?«

»Heute – unterwegs.«

»Das ist traurig, wenn der Gläubige auf der Reise von hinnen geht. Da können die Seinen ihm nicht in der letzten Stunde die Sure des Todes vorbeten. Woran ist er denn gestorben?«

»Er wurde ermordet.«

»Schauderhaft! Hast Du seine Leiche gesehen?«

»Nein, Herr.«

»So haben Dir andere Leute von seinem Tod berichtet?«

»So ist es.«

»Wer hat ihn denn ermordet?«

»Das weiß man nicht. Er lag mitten im Wald zwischen hier und Ostromdscha.«

»Durch diesen Wald bin ich ja auch vorhin gekommen. Warum habe ich da nichts von dem Mord vernommen? Hat man ihn denn berauben wollen?«

»Nein. Es soll aus Rache geschehen sein.«

»Wohl eine Blutrache?«

»Eine andere. Dieser unvorsichtige Mann hat in Ostromdscha eine förmliche Revolution hervorgebracht, die Leute gegen einander gehetzt und sogar dann des Abends noch die Wohnung eines frommen Mannes angezündet.«

»Das ist freilich ein Verbrechen, welches Allah niemals vergeben kann.«

»O, dieser Mann glaubte nicht an Allah. Er war ein Giaur, ein Christ, welcher Schweinefleisch ißt.«

»So wird sich ihm die Hölle öffnen.«

»Aus Rache hat man ihm aufgelauert und ihn umgebracht.«

»Ist er allein gewesen?«

»Nein. Noch Drei waren bei ihm.«

»Wo sind denn diese?«

»Verschwunden. Man glaubt, daß auch sie ermordet wurden.«

»Wohin ist denn seine Leiche geschafft worden?«

»Das weiß ich nicht.«

»Sonderbar! Und diesem Ungläubigen sehe ich ähnlich?«

»Du hast ganz genau seine Gestalt und sein Gesicht, nur daß Dein Haar und Bart kürzer und viel heller ist, als bei ihm.«

»So besteht zwischen ihm, dem Giaur, und mir, dem Scherif, doch wenigstens ein Unterschied, dessen sich mein Herz erfreut. Wer aber bist denn Du?«

»Ein Bakadschi aus Ostromdscha.«

»So mußt Du das Alles freilich sehr genau wissen. Aber – hm, ich hörte heute unterwegs, daß es zwei Räuber geben soll, zwei Skipetaren, welche man die Scheckigen nennt. Hast Du schon einmal von ihnen gehört?«

»Ja; denn wir Botenleute erfahren Alles.«

»Und kennst Du sie?«

»Nein, Herr. Wie kann ein ehrlicher Mann Räuber kennen! Was ist's mit ihnen?«

»Sie sind heute morgen in der Nähe von Ostromdscha gesehen worden.«

»So sei Allah dieser Gegend gnädig!«

»Auch ein Bakadschi war bei ihnen. Er soll, meine ich, Toma heißen.«

Der Botenmann zuckte vor Schreck, ich aber fragte ruhig:

»Kennst Du ihn vielleicht?«

»Sehr gut. Er ist ein – ein Kamerad von mir.«

»So magst Du ihn warnen, wenn Du ihm begegnest. Dieser Mann wird von der Polizei gesucht.«

»Allah, w' Allah! Weßhalb?«

»Weil er an dem Mord mitschuldig ist, denn er hat diesen Christ verrathen – an die beiden Aladschy, die Mörder. Er hat ihnen die Zeit gesagt, in welcher die Fremden Ostromdscha verlassen wollten.«

»Ist – ist das wahr?« stotterte er.

»Der Ermordete hat es selbst gesagt.«

»Kann denn ein Todter reden?«

»Er ist nicht todt, er ist nicht ermordet. Es weiß gar Niemand, daß er ermordet werden sollte, als Du allein, Toma.«

Der Bote schnellte von seinem Sitz empor.

»Du kennst mich?« rief er bestürzt.

»Ja wohl, und diese dort kennen Dich auch.«

Ich nahm die Brille und das Turbantuch ab und deutete nach der Thüre, zu welcher eben Osco, Omar und Halef hereintraten. Der Mann war für einige Augenblicke starr vor Schreck, denn jetzt erkannte er mich. Dann aber rief er:

»Ich muß fort, schnell fort! Ich habe noch dringende Geschäfte.«

Er sprang zu der Thüre, aber Halef hatte ihn schon beim Kragen.

»Warum willst Du uns so schnell verlassen, lieber Freund?« fragte er in freundlichem Ton.

»Weil ich noch viel zu besorgen habe.«

»Ich denke, Du besorgst nur herwärts. Also nimmst Du auch von hier Sachen mit nach Ostromdscha?«

»Jawohl, ja; halte mich nicht auf.«

»Du könntest auch von mir Etwas mitnehmen.«

»An wen?«

»Das schreibe ich Dir auf.«

»Was ist es?«

»Ein Gruß, nur ein Gruß.«

»Den werde ich sehr gern ausrichten; nun aber laß mich fort!«

»Das geht nicht. Du mußt noch warten, da ich Dir ja den Gruß aufschreiben will und die Adresse dazu.«

»Dauert es lange?«

»Gar nicht lange. Ich mache bei solchen Freundschaftsbriefen nicht viel Umstände. Ich brauche weder Papier, noch Tinte, denn ich schreibe da gleich auf ungegerbtes Pergament. Und der Botenlohn kommt auch gleich dazu. Ich habe den Bleistift draußen im Stall. Du wirst Dich mit mir hinausbemühen müssen, lieber Toma. Also komm!«

Der Bote sah den Kleinen forschend an. Er traute dem Landfrieden nicht; aber Halef sprach ja so außerordentlich freundlich. Er folgte ihm also hinaus, und Omar und Osco gingen lächelnd hinterdrein.

Von meinem Platz aus konnte ich durch das offene, scheibenlose Fenster fast den ganzen Hof überblicken. Ich sah die Vier über denselben hinübergehen und dann hinter einer Thüre, jedenfalls der Stallthüre, verschwinden, welche dann zugemacht wurde.

Nach einer kleinen Weile hörte ich von Weitem jene Laute, welche man heut zu Tage nur noch in China und in der Türkei zu hören bekommt, jene unbeschreiblichen Töne, welche die Folge des innigen Verkehres einer Peitsche mit einer Menschenhaut zu sein pflegen.

Dann wurde die Thüre wieder geöffnet, und der Bote trat heraus. Seine Haltung war nicht sehr imponirend, und sein Antlitz schien einen gestörten Seelenfrieden verwinden zu wollen. Sein Gang glich beinahe demjenigen eines Orang-Utang, der sich ohne Hülfe eines Stockes auf den Beinen bewegen muß: die Kniee nach vorn gebeugt, die Brust zusammen gedrückt und der Kopf hintenüber gelegt.

Er war auch offenbar gar nicht neugierig, welchen Eindruck sein dramatischer Abgang machte; denn er sah sich gar nicht um, sondern er that das, was der drastische Berliner mit den Worten bezeichnet: ›er jondelte sich um die Ecke‹.

Die drei Exekutoren suchten mich sofort wieder auf.

»Den hatte sein Kismet hergeführt!« sagte Halef, sich den dünnen Bart streichend und dabei ein überaus zufriedenes Lächeln zeigend. »Was sagte denn der Kerl, als er Dich erblickte, Sihdi?«

Ich erzählte es.

»Ah, ein so frecher Bursche! Nun, er mag die dreißig aufrichtigen Grüße, welche ich ihm aufgetragen habe, mit nach Ostromdscha nehmen und sie dort austheilen, an wen er will.«

»Wehrte er sich nicht?«

»Er hatte nicht übel Lust dazu, aber ich sagte ihm sehr theilnahmsvoll, wenn er sich wehre, bekomme er fünfzig; lege er sich aber freiwillig auf den Boden nieder, so erhalte er nur dreißig. Er war so klug, das Letztere zu wählen. Aber ich habe dafür gesorgt, daß die dreißig Grüße sein Gemüth ebenso ergriffen haben, wie fünfzig es gethan hätten. Bist Du einverstanden, Effendi?«

»Dieses Mal, ja.«

»Wenn das Kismet mir doch öfters diese Freude machen wollte, wenn es sich um solche Schurken handelt! Es gibt noch einige Andere, denen ich von Herzen gern die Wahl zwischen dreißig oder fünfzig lassen möchte. Hoffentlich begegne ich dem Einen oder Andern von ihnen zu guter Stunde. Wie aber steht es mit Deinem Fuß, Sihdi?«

»Nicht zum Besten. Omar mag sehen, ob hier in der Stadt vielleicht Altschy zu bekommen ist und mir ungefähr fünf Eultschk davon bringen. Du aber holst ein Gefäß mit Wasser, in welches ich den Fuß stellen kann, und ziehst mir nachher den Strumpf herab.«

Jetzt kam auch der Korbflechter zurück und theilte mir mit, daß er lange gesucht habe, bis er den Doctor ›Marterstein‹ endlich fand. Dieser Herr sei eben außerordentlich beschäftigt, werde aber gleich kommen.

Ich dankte ihm für seine Mühe, schenkte ihm eine kleine Quantität Tabak und ließ ihn dann nach Hause gehen.

Halef brachte das Wasser. Als ich nun den angeschwollenen Fuß untersuchte, fand ich, daß eine Verrenkung vorhanden war, glücklicher Weise aber nur eine unvollkommene. Ich hätte mir das Gelenk auch wohl selbst einrichten können, aber ich wollte doch lieber den Arzt dabei haben. Ein Fehler hätte mich auf lange Zeit hier festhalten können. Einstweilen steckte ich den Fuß in das kalte Wasser.

Endlich kam der Arzt. Aber ich hätte ihn viel eher für einen chinesischen Briefträger als für einen europäischen Äsculap gehalten.

Er war von kleiner Statur und außerordentlich dick. Seine Wangen glänzten wie hübsche Weihnachtsäpfel. Seine kleinen, etwas schief liegenden Äuglein verriethen, daß die Wiege seines Geschlechtes von der Stange eines mongolischen Zeltes herabgehangen habe. Auf dem glatt geschorenen Haupt saß – weit nach hinten geschoben, so daß die Stirn frei wurde – ein alter, abgegriffener Fez, welcher an Stelle der Troddel mit einem Bündel rother, blauer und gelber Cigarrenbändchen geschmückt war. Sein kurzer Kaftan reichte ihm nur bis an das Knie, schien aber aus einer einzigen, ungeheuren Tasche zu bestehen; denn er war an allen Seiten, oben und unten, rechts und links, hinten und vorn, weit aufgebauscht. Er enthielt jedenfalls die wandernde Apotheke des Arztes.

Zum Überfluß hing diesem Heilkünstler noch ein ziemlich großer, viereckiger Korb an einem Riemen von der Schulter herab, jedenfalls das Etui seiner kostbaren Instrumente.

Er hatte dicke wollene Strümpfe mit doppelten Filzsohlen an, und mit diesen steckten die Füße dann in Pantoffeln, welche mit großen Zwecken beschlagen waren und zu derjenigen Sorte zu gehören schienen, die man sehr drastisch mit den Worten bezeichnet: »in zwei Schritten über den Rhein hinüber«.

Als er eintrat, schnallte er diese Pantoffeln von den Füßen und kam in den Strümpfen auf mich zu, eine Höflichkeit, die bei ihm chronisch geworden zu sein schien.

Da ich den Fuß im Wasserbad hatte, wußte er natürlich gleich, daß ich es sei, der seiner Hülfe bedürfe. Er machte mir eine Verneigung, bei welcher ihm der Korb nach vorn rutschte und es schien, als ob der Riemen ihn erwürgen wollte. Ich erwiederte diesen Gruß nach bestem Wissen und Können.

Jetzt nahm er den Korb herab, setzte ihn auf den Boden nieder und fragte:

»Sprichst Du gern viel?«

»Nein,« antwortete ich kurz.

»Ich auch nicht. Also kurze Fragen, kurze Antworten und schnell fertig!«

Eine solche Energie hatte ich dem Dicken gar nicht zugetraut. Mit ihr konnte er in Radowitsch freilich imponiren und gute Geschäfte machen.

Er stellte sich breitbeinig vor mich hin, betrachtete mich von oben bis unten und examinirte dann:

»Du bist doch der mit dem Fuß?«

»Nein, der mit zwei Füßen!«

»Was! Alle beide gebrochen?«

Er hatte meine Ironie nicht verstanden.

»Nur einen, den linken.«

»Doppelbruch?«

O wehe! Er sprach von Doppelbruch! Warum nicht gleich Decimalbruch! Übrigens war das seine Sache. Von mir konnte er nicht verlangen, zu wissen, wie es mit der Verletzung stand.

»Nur Verrenkung,« antwortete ich.

»Zunge heraus!«

Das war noch hübscher! Aber ich that ihm den Gefallen und zeigte sie ihm. Er betrachtete sie, befühlte sie, schob die Spitze hin und her, auf und ab und meinte dann kopfschüttelnd:

»Gefährliche Verrenkung!«

»Nein, nur unvollständig!«

»Still! Ich sehe es an der Zunge! Seit wann verrenkt?«

»Drei Stunden, höchstens vier.«

»Schon viel zu lange! Kann leicht Blutvergiftung eintreten!«

Fast hätte ich ihm in das Gesicht gelacht; aber ich beherrschte mich und wunderte mich nur darüber, daß das Wort ›Blutvergiftung‹ sich auch schon im Türkischen eingebürgert habe.

»Schmerz?« fragte er weiter.

»Zum Aushalten.«

»Appetit?«

»Stark und vielseitig.«

»Sehr gut, ganz gut! Werden's überstehen. Den Fuß zeigen!«

Er kauerte sich nieder. Da ihm das nicht recht bequem war, setzte er sich ganz neben das Wassergefäß, und ich legte ihm zutraulich den triefenden Fuß in den Schooß.

Er betastete ihn erst leise und dann stärker mit den Fingerspitzen, nickte endlich und fragte mich:

»Schreist Du leicht?«

»Nein.«

»Sehr gut!«

Ein schneller Griff, ein kräftiger Ruck, ein leichtes Knirschen im Gelenk – dann sah er mich blinzelnd an und fragte:

»Nun, wie war's?«

»Allerliebst.«

»So sind wir fertig!«

»Ganz?«

»Nein. Nun noch verbinden.«

Als Chirurg war er jedenfalls ein ganz tüchtiges Kerlchen. Wer weiß, wie ein Anderer mich gequält hätte, nur um die Sache gefährlicher erscheinen zu lassen und ein besseres Honorar zu verdienen.

»Womit verbinden?« fragte ich.

»Mit Schienen. Wo ist Holz?«

»Mag ich nicht!«

»Warum nicht?«

»Taugt nichts.«

»Taugt nichts? Willst Du etwa silberne oder goldene Schienen mit Brillanten besetzt?«

»Nein, ich will einen Gypsverband.«

»Gyps? Bist Du toll? Mit Gyps schmiert man Wände und Mauern an, aber keine Beine!«

Hier lag seine schwache Seite. Ich befand mich eben in der Türkei.

»Und mit Gyps macht man auch prachtvolle Verbände,« behauptete ich.

»Möchte ich sehen!«

»Kannst's sehen. Habe nach Gyps geschickt.«

»Wie willst Du das machen?«

»Warte es ab!«

»Wenn Du aber keinen Gyps bekommst?«

»So mache ich den Verband aus Tschirisch

»Tschirisch!« schrie er auf. »Willst Du mir Etwas aufbinden?« »Nein.«

»Das bilde Dir auch nicht ein!«

»O, wenn ich nur wollte!« lachte ich.

»Was! Ich bin ein Gelehrter!«

»Ich auch.«

»Was hast Du studirt?«

»Alles!« antwortete ich kurz genug.

»Und ich noch dreimal mehr! Ich kenne sogar das erste Dispensatorium von Sabur Ibn Saheli!«

»Und ich habe das ganze Bahr el Dschewahir von Abd al Medschid im Kopf!«

»Ich habe es nicht bloß im Kopf, sondern im ganzen Leib und in allen Gliedern. Ein Verband von Gyps oder gar Kleister! Gyps ist Mehl, und Kleister ist weich und flüssig. Ein Verband muß aber fest sein.«

»Gyps und Kleister werden fest. Du wirst Dich wundern. Überhaupt darf der Verband jetzt noch gar nicht angelegt werden. Erst muß ich Umschläge machen, bis die Geschwulst sich gesetzt hat und die Schmerzen sich gemildert haben. Verstanden?«

»Allah! Du redest ja wie ein Arzt!«

»Ich verstehe es auch!«

»Nun, so renke Dir Deine Knochen selber ein, wenn Du sie Dir ausgerenkt hast. Warum ließest Du mich holen?«

»Um Dir meine Zunge zu zeigen.«

»Da ist eine Rinderzunge größer und imponirender. Das merke Dir! Mein Besuch kostet zehn Piaster. Du bist ein Fremder und zahlst also doppelt. Verstanden?«

»Hier hast Du zwanzig Piaster. Komme mir aber ja nicht wieder!«

»Fällt mir gar nicht ein! Ich habe an diesem einen Mal genug.«

Er warf das Geld in einen Schlitz seines Kaftans, hing sich den Korb wieder über die Schulter und ging an die Thüre. Dort fuhr er in die Pantoffeln und wollte eben, ohne mich eines Abschiedsgrußes zu würdigen, zur Thüre hinaus, als Omar eintrat, mit einem Gefäß in der Hand.

Der Arzt blieb stehen, betrachtete den Inhalt des Gefäßes und fragte:

»Was hast Du da?«

»Altschy – Gyps.«

»Ah, das ist also der Gyps, aus welchem die Schienen gemacht werden sollen? So ein Delilik, so ein Medschnuniet; das ist doch so im höchsten Grade maskara, daß nur ein Übergeschnappter daran denken kann!«

Noch hatte Omar die Thüre offen, unter deren Öffnung er stand. Jetzt zog er sie hinter sich zu, daß der Arzt ja nicht hinaus könne, setzte das Gefäß auf den Boden nieder, faßte den dicken Mediziner hüben und drüben bei den Armen und fragte:

»Du, Molch, wer bist Du denn eigentlich?«

»Ich bin der Arzt, verstanden!«

»Na, Du magst auch ein schöner Pflasterstreicher sein! Was hast Du denn da von Verrücktheit, Unsinn und Lächerlichkeit zu reden? Unser Effendi hat den Gyps verlangt; er braucht ihn und er weiß stets, was er thut. Tausend solche Wänste wie Du haben nicht so viel Klugheit in ihren leeren Köpfen, wie bei ihm an der Spitze eines seiner Haare klebt. Wenn Du ihn mit solchen Worten beleidigst, so kannst Du sehr leicht in den Quark zu sitzen kommen! Dir sieht man es ja gleich an, daß die Dummheit Deine Mutter ist!«

Das war dem Mann der Wissenschaft wohl noch nie passirt. Er riß sich von Omar los, trat einige Schritte zurück, holte tief Athem und platzte los, als ob seine Lunge mit Pulver geladen gewesen sei:

»Soll ich Dir etwa hier mit meiner Boneta das – das lose Maul stopfen? Hier hast Du sie, Du Sohn eines Affen, Du Enkel und Urenkel eines Pavian!«

Er riß sich die Mütze vom Kopf, ballte sie zusammen und warf sie Omar in das Gesicht. Dieser ergriff sie, langte mit der anderen Hand in sein Gefäß, füllte sie mit Gypsmehl und sagte:

»Da hast Du den Deckel Deines durchlöcherten Verstandes wieder!«

Und er warf ihm die mit Gyps gefüllte Mütze in das vor Zorn hochrothe Angesicht. Der Gyps flog aus dem Fez heraus, und im nächsten Augenblick sah der Arzt aus, wie ein aus weißem Pfefferkuchen gekneteter Weihnachtsmann. Das Gypsmehl war ihm in die Augen gerathen. Er wischte und wischte, stampfte dabei mit den Füßen, verlor die Pantoffeln, schrie, wie wenn er am Spieß steckte, und riß endlich, als er wieder sehen konnte, den Riemen seines Korbes über den Kopf von der Achsel herab und wollte den Korb Omar an den Kopf werfen. Dieser aber war darauf vorbereitet und fing den Korb auf; dabei öffnete sich der Deckel, und der ganze Inhalt kollerte zu Boden: Zangen, Scheeren, Spateln, Pincetten, Schachteln und allerlei anderes Zeug, dabei natürlich das Hauptinstrument, dessen sich ein orientalischer Arzt bedient, die Klystierspritze.

Der gewandte Araber bückte sich schnell und begann den Doctor mit diesen Gegenständen zu bombardiren. Dieser konnte in seiner Wuth zu keinem andern Entschlusse kommen, als das Recht der Vergeltung zu üben. Er hob die einzelnen Gegenstände, welche von seinem Körper zur Erde fielen, wieder auf und schleuderte sie mit aller Gewalt auf Omar zurück, indem er sie mit den Geschossen von Schimpfwörtern begleitete, in denen er Virtuose zu sein schien und welche gar nicht wiedergegeben werden können.

Dieses Bombardement machte einen so komischen Anblick, daß wir Andern unwillkürlich in ein schallendes Gelächter ausbrachen. Dieses wurde draußen im Hof vernommen und lockte den Wirth nebst dessen Leuten herbei, welche angesichts des sonderbaren Zweikampfes in unser Gelächter einstimmten.

Nun kam Halef auf den Gedanken, seinem Freund und Gefährten zu Hülfe zu kommen.

»Sihdi, tu' den Fuß aus dem Wasser!« sagte er. Bei diesen Worten hatte er auch schon mein Bein erfaßt und hob es empor. Er ergriff das Gefäß und eilte damit nach der Thüre, um dem Arzt die Flucht abzuschneiden. Dann raffte er die Klystierspritze vom Boden auf und begann den Dicken so eifrig und sicher zielend anzupusten, daß derselbe in wenigen Augenblicken triefte, wie ein begossener Pudel.

»Schön, herrlich, prächtig!« rief Omar. »Jetzt soll er auch den ganzen Gyps zu kosten bekommen. Spritze nur wacker, Halef!«

Er ergriff das Gefäß und schüttete das Gypsmehl über sein Opfer aus, während Halef für die nöthige Bewässerung sorgte.

Ich wollte Einhalt thun, kam aber vor Lachen gar nicht dazu, denn der Arzt bot einen Anblick, der nicht anders als ›schauderhaft-schön‹ zu bezeichnen war. Selbst der galligste Melancholikus hätte hier in die Lustigkeit einstimmen müssen. Die Zuschauer schüttelten sich vor Lachen.

Am meisten lachte der Wirth. Er war nicht groß, hatte schmale Schultern, ein ansehnliches, spitzes Bäuchlein und ein Paar dünne Beinchen, welche den Leib nur mit Mühe zu tragen vermochten. Sein Stumpfnäschen und sein breiter Mund mit den weißen Zähnen paßten ungemein zu dem lustigen Gebaren. Er hatte die Hände gefaltet und unter den wackelnden Bauch gelegt, um denselben zu stützen. Die Thränen standen ihm in den Augen. Er krähte förmlich vor Entzücken, rief aber ein über das andere Mal:

»Hai, wai, tenim, wüdschudüm, karnim, midim, dschyjerim, dallakim, böbrekim, wai hazmim, sindirmim – o wehe, o wehe, mein Leib, mein Leib, mein Bauch, mein Magen, meine Leber, meine Milz, meine Nieren! O wehe, meine Verdauung, meine Verdauung! Patlamarim, patlamarim – ich zerplatze, ich zerknalle!«

Er sah auch ganz so aus, als ob seine Haut die erschütterten Körpertheile nicht mehr zusammenhalten könne.

Der Jünger Äskulap's hatte sich in die Ecke geflüchtet. Dort stand er und hielt die Ärmel seines Kaftans vor das Gesicht; aber unter diesen Ärmeln heraus schrie, zeterte und schimpfte er mit unversieglicher Kraft. Als die Spritze nicht mehr ziehen wollte, nahm Halef das Gefäß und schüttete ihm den ganzen Inhalt desselben über den Kopf mit den Worten:

»So muß es einem Jeden ergehen, der unsern Effendi einen Übergeschnappten nennt. Osco, hole wieder Wasser herein, daß der Sihdi seinen Fuß kühlen kann. Diesen klugen Mann des Pflasters, der Salben und der hölzernen Beinschienen aber wollen wir hier auf diesen Stuhl setzen, um ihm das Antlitz abzuputzen. Halte still, Freundchen, sonst schabe ich Dir Dein Näschen mit herunter!«

Er hatte den Doctor auf den Stuhl gezogen, dann hob er ein hölzernes Spatel vom Boden auf und begann ihm den Gyps aus dem Gesicht zu barbiren. Was er herunterbrachte, strich er ihm in die Ohren, und dabei verfuhr er sehr gemächlich.

Der Barbirte ließ es sich gefallen, schimpfte dabei aber immer weiter. Je mehr seine Zunge von dieser Anstrengung ermüdete, desto gröber wurden die Brocken, die sie über die Lippen stieß. Er brachte die ungeheuerlichsten Beleidigungen zum Vorschein und schien dennoch der Ansicht zu sein, damit noch nicht genug zu thun.

Der Gyps erhärtet bekanntlich sehr schnell; schon nach einigen Minuten wird er zur steinharten Masse. Hier ging dies um so schneller, je rascher die Kleider die Feuchtigkeit aufsaugten. Erst als der Überzug vollständig weiß aussah und fest geworden war, hielt Halef mit dem Schaben inne.

»So!« sagte er. »Ich habe Dich gereinigt, denn man soll selbst dem Feind nur Gutes erweisen. Aber mehr kannst Du nicht verlangen. Deine Sachen magst Du Dir selbst zusammenlesen, um sie in den Korb zu thun. Stehe auf! Die Kur ist beendet.«

Der Dicke wollte sich von dem Stuhl erheben, fand aber, daß sein Gewand so steif geworden war, daß es ihn hinderte. Das war auch ein Grund gewesen, daß ich dem Übermuth nicht Einhalt gethan hatte. Die Möglichkeit, den Gyps zum Verbande zu verwenden, wurde ihm dadurch ad oculos demonstrirt.

»Ich kann nicht aufstehen, ich kann nicht aufstehen!« rief er, indem er alle zehn Finger weit aus einander spreizte. »Mein Kaftan ist wie Glas, mein Kaftan zerbricht!«

Halef faßte den Fez bei der Cigarrenbändertroddel, nahm ihm denselben vom Haupt, auf welches er ihn vorhin wieder gestülpt hatte, hielt ihm die Mütze vor die Augen und sagte:

»Siehe, das ist die würdige Bedeckung Deines gelehrten Hauptes. Wie gefällt sie Dir?«

Der Fez bildete jetzt ein hartes, weißes, glockenförmiges Ding, welches genau die Form des Schädels angenommen hatte. Es war zu spaßhaft!

»Meine Mütze, meine Mütze!« rief der Dicke. »Sie hat seit meiner Jugend auf meinem Haupt gesessen, und nun wird die Ehre ihres Alters und die Würdigkeit ihrer hohen Tage von Euch Müflüslar entweiht! Gib sie her!«

Er wollte nach ihr greifen. Als er den Arm erhob, begann der Gyps seines Ärmels zu brechen.

»O jazik, o jazik, – o wehe, o wehe!« schrie er. »Da geht das Heil meines Armes und die Gediegenheit meiner Extremitäten verloren! Was soll ich thun! Ich muß fort. Meine Patienten warten auf mich.«

Er wollte sich erheben; aber als der Kaftan abermals zu prasseln begann, sank er schnell wieder zurück.

»Habt Ihr es gesehen? Habt Ihr es gehört?« fragte er in weinerlichem Ton. »Die Umrisse meiner Gestalt und die Linien meines Körperbaues bröckeln ab. Ich fühle, daß auch mein Inneres in Brocken zerfällt. Die Zierlichkeit des Ebenmaßes ist verschwunden, und die weiche Rundung der Taille hat sich in schauerliche Falten gelegt. Ihr habt mich zu einer Gestalt ohne Ansehen und zu einem Mann ohne Lieblichkeit gemacht. Die Bewunderung meiner Beschauer wird sich in Lachen und das Wohlgefallen ihrer Blicke in Spott verwandeln. Auf der Gasse wird man mit den Fingern auf mich zeigen, und im Gemach meiner Theuersten wird die Zärtlichkeit über den Verlust meiner Vorzüge klagen. Ich bin ein geschlagener Mann und kann mich nur gleich hinaus auf das Mezarlyk schaffen lassen, wo die Sakym söjüd ihre Thränen weint. O Allah, Allah, Allah!«

Sein Zorn hatte sich in Wehmuth verwandelt. Der Verlust seiner Eleganz ging ihm nahe. Schon wollte man ihm durch erneutes Lachen antworten, da gebot ich durch eine Armbewegung Schweigen und antwortete ihm:

»Jammere nicht, Hekim! Deine Trauer wird sich in Freude verwandeln, denn Du hast hier Gelegenheit gefunden, eine für Dich hochwichtige Erfahrung zu machen.«

»Ja, diese Erfahrung habe ich gemacht; aber wichtig ist sie nicht für mich. Ich habe erfahren, daß man sich nicht mit Leuten abgeben soll, welche keine Bildung besitzen.«

»Meinst Du etwa, daß sie bei Dir zu finden sei, Hekim?«

»Ja, denn ich bin der Mann, der die kranken Leiber heilt und die müden Herzen erfrischt. Das ist die wahre Bildung.«

»Du bist der Mann, der dem Patienten sagt, daß seine Zunge nicht so imponirend sei, wie diejenige eines Rindes. Wenn Du das Bildung nennst, so bist Du freilich ein hochgebildeter Gelehrter. Wie Du übrigens meiner Zunge ansehen willst, ob die Verrenkung meines Fußes gefährlich sei oder nicht, das begreife ich nicht.«

»Du wirst in Deinem Leben noch sehr wenig begriffen haben. Das sehe ich Dir an. Jedenfalls begreifst Du auch nicht, daß Ihr mich in eine Lage gebracht habt, welche meiner Ehre schadet und mein Ansehen im Lande begräbt.«

»Nein, das begreife ich allerdings nicht.«

»So ist Deine Klugheit so kurz wie eine Kan sudschuki, Deine Dummheit aber so lang wie die Mötewazilar, die man um die Erde zieht. Und dennoch rümpfst Du die Nase und sitzest da mit einem Gesicht und führst Reden, als ob Du ein Müderris aller möglichen Weisheiten seiest.«

»Dir gegenüber bin ich auch ein Professor gewesen, denn ich habe Dir praktischen Unterricht in der Lehre des Verbandes gegeben.«

»Davon habe ich freilich kein einziges Wort vernommen.«

»Ich sprach von einem praktischen Unterricht; da war vom Sprechen keine Rede. Was Du jetzt gelernt hast, das kann Dich zum berühmtesten Hekim aller Länder machen, welche der Padischah beherrscht.«

»Willst Du mich auch noch verspotten? Wenn Du wirklich so weise bist, wie Du behauptest, so gib mir einen guten Rath, wie ich aus der Schale des Gypses herauskommen kann.«

»Davon nachher! Du hast mich ausgelacht, als ich Dir sagte, daß man aus Gyps einen Verband herstellen könne, und doch ist derselbe der allerbeste, den es gibt. Du ließest mich nicht zu Wort kommen, darum bist Du durch die That belehrt worden. Greif' Deinen Kaftan an! Vorher war er weich, jetzt ist er hart und fest wie Stein, so hart, wie ein Verband sein muß, wenn er dem Glied Halt verleihen soll. Merkst Du noch nichts?«

Er zog die Brauen empor und blickte mich nachdenklich an. Ich fuhr fort:

»Wenn Du ein gebrochenes Bein schienest, so werden die Schienen das Glied sehr belästigen, weil sie sich nicht der Form desselben anbequemen. So ein Verband taugt nichts.«

»Aber es gibt keinen andern Verband. Die größten Ärzte des Reiches haben sich ihre Köpfe vergebens zerbrochen, um einen Verband zu finden, welcher fest ist und doch sich an die Form des Gliedes schmiegt. Ich selbst besitze ein Buch, dessen Titel lautet: Schifa kemik kyryklarin. Da ist zu lesen, daß man diese Brüche nur mit Schienen behandeln kann.«

»Wer ist denn der Verfasser des Buches?«

»Der berühmte Arzt Kari Asfan Zulaphar.«

»Nun, der hat vor fast zweihundert Jahren gelebt. Damals mag er Recht gehabt haben, jetzt aber würde man ihn auslachen.«

»O, ich lache ihn nicht aus.«

»So passen Deine Kenntnisse und Ansichten nur für jene Zeit, nicht aber für die heutige. Es gibt jetzt noch ganz andere Verbände. Hast Du vorhin den Fez betrachtet, welcher jetzt wieder Dein Haupt beschützt?«

»Warum soll ich ihn nicht angesehen haben? Diese kleine giftige Kröte hat ihn mir ja nahe genug an die Nase gehalten.«

»So sage, welche Form er angenommen hat.«

»Diejenige meines Kopfes.«

»Und zwar ganz genau. So ist es auch mit einem jeden anderen Glied. Wenn ich den Arm gebrochen habe und mir ihn einrichten lasse, so umwickle ich ihn zunächst mit einem dünnen Zeugstoff. Diesen tränke ich sodann mit Gyps, den ich in Wasser aufgelöst habe, mache darüber noch mehrere Umwickelungen, deren jede ich abermals mit Gyps tränke. Wenn dieser dann trocken und hart geworden ist, so habe ich einen Verband, welcher sehr fest ist und genau auf die Form des Armes paßt.«

»Ah – oh – aah!« stieß er hervor, erst mich eine Weile anstarrend und sodann sich an Halef wendend: »Gib mir rasch noch einmal meine Mütze herab!«

Der Hadschi that ihm den Gefallen und hielt sie ihm vor die Augen, indem er sie nach allen Seiten drehte.

»Noch besser ist's,« fuhr ich fort, »wenn man das Zeug gleich mit dem nassen Gyps tränkt und es erst dann um das Glied windet. Und damit es dann, wenn der Gyps erhärtet ist, das kranke Glied nicht drückt, so bringt man zuvor eine Lage Pambuk an. Dann ruht das Glied weich in dem festen und ganz genauen Verband.«

Wieder sah er mich an und rief endlich aus:

»Allah, Allah! Nazik idschad bulma, azametli keschf! – Allah, Allah, köstliche Entdeckung, herrliche Erfindung! Ich laufe, ich eile; das muß ich mir aufschreiben!«

Er sprang auf, ohne auf die Steifheit seines Kaftans zu achten, und sprang zu der Thüre.

»Warte, warte! Nimm Deinen Korb der Werkzeuge mit!« rief Halef. »Und setze zuvor Deine Mütze auf!«

Der Arzt blieb stehen. Er bot einen köstlichen Anblick. Der Gyps brach kreuz und quer und bröckelte von ihm herab. Der Kaftan wollte nicht aus den Brüchen und Falten, nicht aus der Haltung, die er während des Sitzens eingenommen hatte. Der hintere untere Theil starrte nach vorn und hinderte am Gehen. Da kehrte der Dicke dem kleinen Hadschi den Rücken zu, hielt ihm die Arme nach hinten hin und sagte:

»Zieh' an den Ärmeln! Ich muß heraus!«

Halef faßte an und hielt ihn fest. Der Äsculap zog und zog und drängte und schoß endlich mit solcher Gewalt aus dem gegypsten Kleidungsstück heraus, daß er an die Thüre flog und, da er sie schon aufgeklinkt gehabt hatte, durch sie hinaus in den Hof schoß.

»Tekrar gelirim, tekrar gelirim, schimdi tekrar gelirim – ich komme wieder, ich komme wieder, ich komme gleich wieder!« schrie er, indem er zu Boden stürzte, sich schnell wieder aufraffte und dann forteilte.

Die Begeisterung für den Verband hatte ihn ergriffen. Er mußte nach Hause, um sich meine Anweisung zu notiren. Daß er die Pantoffeln, den Kaftan, den Fez sammt dem Instrumentenkorb zurückgelassen hatte und nun barhäuptig durch die Straßen rannte, das focht ihn nicht an.

Er war jedenfalls mit Leib und Seele bei seinem Beruf, hatte aber leider weiter nichts lernen können, als was Andere wußten, die – – nichts wußten.

Nun galt es, die Stube zu säubern. Der steife Kaftan ward über die Stuhllehne gehängt, und man sammelte die Instrumente. Dann wurde mir mein Stübchen hergerichtet. Osco hatte mir längst wieder Wasser gebracht, und ich bemerkte zu meiner Freude, daß die Geschwulst sich minderte. Schmerz fühlte ich gar nicht mehr. Später ließ ich mich in meine Kammer tragen und auf das bereitete Lager betten. Ich machte Umschläge und wollte dann am Abend den Verband anlegen. Dazu war nun allerdings Watte, Gaze und wieder Gyps zu holen.

Als ich ungefähr drei Stunden gelegen hatte, hörte ich durch die Thüre die Stimme des Arztes.

»Wo ist der Effendi?«

»Da in der kleinen Stube,« vernahm ich Halef's Antwort.

»Melde mich an!«

Halef öffnete die Thüre, und der Arzt kam herein, aber wie!

Er war wie ein Bräutigam gekleidet. Ein blauseidener Kaftan umhüllte den Leib bis herab zu den Füßen, welche in feinen Saffianpantoffeln steckten, und das Haupt war geschmückt mit einem blau und weiß gestreiften Turban, an welchem eine Granatagraffe glänzte. Seine Miene war feierlich, und sein Gang überaus würdevoll. Unter der Thüre blieb er stehen, kreuzte die Arme über der Brust, verneigte sich tief und sagte:

»Effendim, japarim ziaret schükürün ittibarün – mein Effendi, ich mache Dir die Visite des Dankes und der Hochachtung. Girisch bana ruchsat wer – erlaube mir, einzutreten!«

Ich neigte feierlich mein Haupt und antwortete:

»Jaklaschdyr, chosch sen – tritt näher, Du bist willkommen!«

Er machte drei kleine Schritte, räusperte sich und hob an:

»Effendim, Dein Kopf ist die Wiege des Menschenverstandes, und Dein Gehirn beherbergt das Wissen aller Völker. Dein Geist ist scharf wie die Schneide eines Rasirmessers und Dein Nachdenken so spitz wie die Nadel, mit welcher man einen bösen Schwären öffnet. Darum hattest Du das Kismet, die große Frage zu lösen, wie die Brüche, Verstauchungen und Verrenkungen zu behandeln sind. Dein Mirafet hat alle Sphären durchmessen und alle Gebiete der Wissenschaft durchforscht, bis es auf den schwefelsauren Kalk gekommen ist, welcher von unwissenden Barbaren Gyps genannt wird. Du hast Wasser dazu gethan und ihn umgerührt, damit er seines Krystalles beraubt werde und auf Leinwand gestrichen werden kann, die man um die Gelenke, Knochen und Röhren wickelt, um denselben Halt zu geben, wenn sie dessen bedürfen. Dadurch wirst Du im Laufe der Zeit Millionen von Beinen und Armen vor Verkrümmung und Verunstaltung bewahren, und die Professoren der Zukunft werden Piaster sammeln, um Dir ein Denkmal zu erbauen, auf welchem Dein Kopf in Stein ausgehauen oder Deine Gestalt in Erz gegossen ist. Auf der Platte des Denkmals wird Dein Name in goldener Schrift glänzen. Bis dahin aber soll er in meinem Buche der Notizen stehen, und ich bitte Dich, ihn mir zu nennen, damit ich ihn aufschreiben kann.«

Er hatte das feierlich, im Deputationston gesprochen. Leider bestand die Deputation nur aus ihm allein.

»Ich danke Dir!« erwiderte ich ihm. »Die Wahrheitsliebe gebietet mir, Dir mitzutheilen, daß nicht ich es bin, der die große Erfindung gemacht hat. In meinem Vaterland ist sie so verbreitet, daß alle Ärzte und Laien sie kennen. Willst Du Dir den Namen des Erfinders aufschreiben, so sollst Du ihn erfahren. Der gelehrte Mann, dem so viele Leute ihre Wohlgestalt zu verdanken haben werden, hieß Mathysen und war ein berühmter Dscherrah im Lande Filemenk. Ich habe Deinen Dank nicht verdient, aber es freut mich sehr, daß die Erfindung Dir gefällt, und ich hoffe, daß Du sie fleißig in Anwendung bringen wirst.«

»Daß ich fest entschlossen bin, sie in Anwendung zu bringen, werde ich Dir beweisen. Aber den Dank darfst Du nicht ablehnen. Wenn Du auch nicht der Erfinder selbst bist, so hast Du doch diese unvergleichliche Wohlthat hier eingeführt. Ich werde des heutigen Tages nicht vergessen und habe zu meiner Freude gesehen, daß mein Kaftan noch vorhanden ist. Er soll von nun an meine Mostra sein, und ich werde ihn neben der Thüre meines Hauses aufhängen, damit Alle, die gebrochene Glieder haben, zu ihrer Beruhigung sehen, daß ich sie mit schwefelsaurem Kalk einwickele. Ich habe bereits versucht, wie es zu machen ist, und bitte Dich, mein Werk in Augenschein zu nehmen, um mir mein Imtihan zu geben. Willst Du das?«

»Sehr gern!« antwortete ich.

Er trat an die Fensteröffnung und klatschte in die Hände. Die Thüre zur großen Stube ward geöffnet, und ich hörte schwere Tritte.

»Hier herein!« gebot er.

Zunächst erschienen zwei Männer, welche einen großen Kübel trugen, der bis an den Rand mit flüssigem Gyps gefüllt war. Der Eine hatte einen Vorrath von Watte, welcher ausgereicht hätte, zehn Personen einzuwickeln, und der Andere hielt einen Pack Kattun in der Hand. Sie legten ihre Lasten ab und entfernten sich.

Als dadurch Platz entstanden war, kamen abermals zwei Männer herein, welche eine Bahre trugen. Darauf lag ein bärtiger Mensch, dessen Leib bis an den Hals zugedeckt war. Sie setzten die Bahre nieder und gingen dann hinaus.

»Hier sollst Du die ersten Verbände sehen, welche ich anlegte,« begann der Arzt. »Ich habe mir das Material gekauft und diesen Ischdschi kommen lassen, um mir als Kalyb zu dienen. Er bekommt für den Tag zehn Piaster und die Kost. Erlaube, daß ich das Tuch wegnehme, und betrachte Dir den Patienten.«

Er entfernte die Hülle. Als mein Blick auf das Modell fiel, mußte ich an mich halten, um nicht herauszuplatzen. O Allah, sah der Mensch aus! Der Dicke hatte sich alle möglichen Brüche und Luxationen gedacht und den armen Kerl entsprechend eingegypst. Aber wie!

Die Achseln, die Ober- und Unterarme, die Ober- und Unterschenkel, sogar die Hüften steckten in Gypsüberzügen, die sicher eine Hand breit dick waren. Auch der Brustkasten war mit einem Panzer versehen, durch welchen eine Pistolenkugel nur schwer hätte dringen können.

Der Mann lag da wie ein wirklicher Patient, welcher dem Tode nahe ist. Er konnte sich nicht bewegen; ja, er konnte kaum Athem holen. Und das Alles für ungefähr achtzehn Groschen pro Tag. Pro Tag! Da war ja das Heitere bei der Sache. Also Tage lang sollte er die Verbände tragen, und wozu?

»Wie lange willst Du dieses Experiment währen lassen?« fragte ich.

»So lange, bis er es nicht mehr aushalten kann. Ich will die Wirkung studiren, welche der schwefelsaure Kalkverband auf die verschiedenen Körpertheile hat.«

»An einem Gesunden? Die einzige Wirkung wird die sein, daß er es nicht lange aushalten kann. Was ist denn mit seiner Brust geschehen?«

»Er hat fünf Rippen gebrochen, rechts zwei und links drei.«

»Und mit den Achseln?«

»Die Schlüsselbeine sind entzwei.«

»Und wie steht's mit den Hüftgelenken?«

»Er hat sich beide Kugeln ausgefallen. Nun aber fehlt noch eins: nämlich der Unterkiefer hat sich ausgehakt, und nun ist ein Aghyz atschylysü eingetreten. Wie man das mit Gyps verbindet, weiß ich nicht und werde das nun nach Deiner Anweisung thun.«

»O Hekim, das wird ja nie verbunden!«

»Nicht? Warum?«

»Hat man die Verrenkung des Unterkiefers eingerichtet, so ist die Sperre vollständig beseitigt und es bedarf des Gypses nicht.«

»Gut! Wenn es Dir beliebt, so wollen wir annehmen, daß ihm der Mund wieder zugefallen ist.«

»Sei so gut und mache auch seine Rippen frei! Er schnappt ganz angstvoll nach Luft.«

»Wie Du willst; ich werde mir von dem Wirth das Werkzeug holen.«

Sehr neugierig war ich, was er bringen werde. Bei seiner Rückkehr war ich eben beschäftigt, einen Umschlag um den Fuß zu legen, und sah erst empor, als ich Hammerschläge hörte.

»Um Gottes willen, was machst Du denn? Was hast Du in den Händen?«

Ich konnte es nämlich nicht sehen, weil er mir den Rücken zukehrte.

»Tschekidsch ile kalemkiarlyk – Hammer und Meißel,« antwortete er unbefangen.

»Da wirst Du ihm in Wirklichkeit die Rippen zerschlagen oder ihm den Meißel in die Brust treiben.«

»Ja, was nimmt man denn?«

»Schere, Messer oder eine passende Säge, je nach der Stelle und Stärke des Verbandes.«

»Die Knochensäge befindet sich in meinem Korb, und ich werde sie holen.«

»Bringe meinen kleinen Gefährten mit herein. Der mag Dir helfen, da ich es nicht kann.«

Als Halef kam, genügten einige Winke, und er machte sich über die Gypskrusten her, obgleich der Arzt dagegen protestirte. Es war eine harte Arbeit, und es dauerte so lange, bis das ›Modell‹ von allen Verbänden befreit war, daß inzwischen Licht angezündet werden mußte, denn es war Nacht geworden. Der arme Kerl, welchem der Arzt nebst allen möglichen Brüchen und Verrenkungen auch noch die Mundklemme hatte aufzwingen wollen, hatte nicht ein einziges Wort gesprochen. Als aber der letzte Verband entfernt war, sagte er zu mir:

»Ich danke Dir, Herr!«

Ein Sprung, und er war hinaus.

»Halt!« schrie der Dicke ihm nach. »Ich brauche Dich ja noch! Es geht wieder los!«

Aber dieser Ruf blieb vergeblich.

»Da läuft er hin! Was thue ich nun mit dem schönen Gyps, mit der Watte und dem Baumwollenstoff?«

»Laß ihn laufen!« antwortete ich. »Was hast Du denn gedacht? Mit dem Inhalt dieses Kübels kannst Du zwei Häuser angypsen. Einen kleinen Theil davon kann ich brauchen, und ich glaube, daß es nun Zeit sein wird, mich zu verbinden.«

»Schön, schön, Effendim! Ich werde gleich beginnen.«

»Langsam, langsam! Verfahre genau nach meiner Anweisung!«

Der Mann war Feuer und Flamme. Während des Verbindens erzählte er mir von den unglaublichen Kuren, die er schon ausgeführt hatte. Als wir fertig waren, meinte er:

»Ja, das ist freilich etwas ganz Anderes! Ich werde nun den Versuchs-Patienten wieder holen und ihn dann morgen Dir herschaffen lassen.«

»Und wann willst Du ihn verbinden?«

»Heute Abend noch.«

»O Allah! Da soll er bis morgen liegen? Du wirst ihn tödten. Wenn Du Dich an ihm üben willst, so darfst Du es nicht an allen Gliedern zugleich thun, sondern nur an einem einzigen, und sodann mußt Du den Verband auch sofort wieder abnehmen, wenn er erstarrt ist. Merke Dir übrigens auch, daß man in den Verband Fenster schneiden kann.«

»Wozu?«

»Zur Besichtigung und Behandlung einzelner Stellen. Du hast keinen Lehrer, der Dich darinnen unterrichtet, und auch kein Buch zum Studium. Du mußt also selbst nachdenken und Versuche machen.«

»Effendim, bleibe da und gib mir Unterricht! Alle Ärzte dieser Gegend werden Deine Schüler sein.«

»Ja, und wir Andern geben uns als Modelle dazu her!« lachte Halef. »Das fehlte noch! Du hast genug gelernt an diesem Nachmittag; nun sieh' zu, wie Du Dir weiter hilfst.«

»Wenn Ihr keine Zeit dazu habt, so muß ich auf den Unterricht verzichten. Und es ist wahr, ich habe heute sehr viel gelernt und weiß gar nicht, wie ich dankbar sein soll. Geld wirst Du nicht nehmen. So will ich Dir ein Fikri geben, Effendim; Du wirst Dich darüber freuen.«

»Was ist es denn?«

»Mehrere Gläser mit Spiritus und allen Arten von Baghyrsak kurtlari, an denen ich sehr große Freude habe. Dir aber gönne ich sie von Herzen.«

»Ich danke Dir! Die Gläser würden mir während der Reise nur unbequem werden.«

»Das thut mir leid; aber Du sollst dennoch sehen, daß ich Dir dankbar bin. Ich gebe Dir das Liebste, was ich besitze: ein Kemik schaschi. Ich habe die Knochen selbst abgeschabt, gekocht, gewässert und gebleicht.«

»Auch dafür muß ich leider danken.«

»Willst Du mich beleidigen?«

»Gewiß nicht. Du siehst ein, daß ich kein Skelett zu mir auf das Pferd nehmen kann.«

»Das ist freilich wahr. So erlaube mir wenigstens, daß ich Dir die Hand recht herzlich drücke.«

Der Hekim war, wie die meisten dicken Leute, im Grund ein ganz gemüthlicher Mann. Er besaß Lernbegierde und Dankbarkeit und hatte sich seit dem Nachmittag sehr geändert. Er fühlte sich ganz glücklich, als ich ihn einlud, unser Abendmahl mit uns einzunehmen, und verabschiedete sich nach demselben mit einer Herzlichkeit, als ob wir alte, gute Freunde gewesen.

Seine Träger hatten so lange warten müssen und schleppten dann ihre Lasten wieder fort. Anstatt des ›Modelles‹ aber lag der Instrumentenkorb und der steife Kaftan, den er als Firmenschild benutzen wollte, auf der Bahre.

Der übrige Theil des Abends verlief unter Gesprächen darüber, was wir am nächsten Tag beginnen sollten. Ich war entschlossen, trotz meines Fußes abzureisen, denn wir durften den vier Männern, welchen wir folgten, keinen so bedeutenden Vorsprung lassen, daß wir ihre Spur verlieren konnten.

Auf dem Zettel, welchen Hamd el Amasat geschrieben hatte und der mir in Edreneh in die Hände gekommen war, stand zu lesen:

»In pripeh beste la karanorman chan ali sa panajir menelikde – sehr schnell Nachricht in Karanorman-Khan, aber nach dem Jahrmarkt in Menelik!«

Menelik lag nun hinter uns, und wir waren dem Bruder Hamd el Amasat's bis heute gefolgt, ohne noch eine Ahnung zu haben, wo eigentlich dieses Karanorman liege. Jedenfalls war dieser Ort sein Ziel, und wahrscheinlich trafen die Beiden dort zusammen. Sie hatten Schlimmes vor, was wir verhüten wollten. Aus diesem Grund hatten wir den Ritt unternommen. Wenn wir ihnen einen größeren Vorsprung gestatteten, so konnte sehr leicht unser Zweck verfehlt werden. Darum mußten wir morgen unbedingt weiter reiten.

Halef betrachtete mich als Patienten und verlangte, daß ich mich schonen sollte. Osco und Omar aber waren ganz mit mir einverstanden. Letzterer ließ den Rachespruch der Wüste hören:

»Ed dem b' ed dem – Blut um Blut! Ich habe geschworen, den Tod meines Vaters zu rächen, und ich muß mein Wort halten. Wenn Ihr morgen nicht mitreitet, so reite ich allein. Ich habe keine Ruhe, bis mein Messer dem Mörder im Herzen sitzt.«

Das klang wild und unmenschlich. Als Christ hing ich an der lieblichen Lehre: ›Liebet Eure Feinde‹, aber wenn ich mich jenes Augenblicks erinnerte, an welchem sein Vater, unser Führer, unter der entsetzlichen Salzkruste des Schotts versank, so war es mir doch, als ob diese That gesühnt werden müsse. Ob freilich auf Omar's Weise, das konnte nur der Moment ergeben. Jedenfalls war ich gesonnen, keinen nackten, barbarischen Mord zu dulden.

Ich hätte wohl weit in den Morgen hinein geschlafen, wenn ich nicht geweckt worden wäre. Der Korbflechter stand draußen und wollte mit mir sprechen. Ich empfing ihn beinahe zornig über die Störung, aber als ich seinen Schwager, den Gastwirth des Weilers, hinter ihm eintreten sah, ahnte ich, daß ein triftiger Grund vorläge, mich aus dem Schlaf zu wecken, und zeigte ein freundlicheres Gesicht.

»Herr,« sagte der Wirth des Weilers, »ich glaubte nicht, daß ich Dich bald wiedersehen würde. Verzeihe, daß wir Dir die Ruhe rauben; aber ich muß Dir Wichtiges mittheilen; es handelt sich um Euer Leben.«

»Abermals! Hoffentlich ist es nicht so schlimm, wie Du meinst.«

»Es wäre so schlimm, wenn ich Dich nicht warnen könnte. Die beiden Aladschy sind hier bei meinem Bruder gewesen.«

»Ah! Wann?«

»Als der Tag graute,« antwortete der Korbflechter, an welchen ich die letztere Frage gerichtet hatte. »Wir waren sehr bald erwacht, denn die Freude über Deine Geschenke ließ uns nicht schlafen. Sogar die Kinder waren schon aufgestanden. Ich war hinunter an den Fluß gegangen, um nach den Gedsche oltalari zu sehen, welche ich gestern Abend noch gelegt hatte. Als ich zurückkam, hielten zwei Reiter auf scheckigen Pferden vor der Thüre, wo sie mit den Kindern sprachen. Mein Vater befand sich noch auf dem Lager. Als sie mich kommen sahen, fragten sie mich, ob gestern nicht vier Reiter vorübergekommen seien, von denen der Eine den Turban der Schirfa und eine farbige Brille getragen habe; unter den Pferden sei ein schwarzer, arabischer Hengst gewesen.«

»Was hast Du geantwortet?« fragte ich mit Spannung.

»Ich dachte mir gleich, daß es die Aladschy seien, von denen wir gesprochen hatten, und verschwieg ihnen die Wahrheit.«

»Hm! Das wird Dir schlecht bekommen sein.«

»Ahnst Du es?«

»Deine Kinder werden es wohl bereits verrathen gehabt haben.«

»So ist es allerdings. Sie schlugen mit den Peitschen auf mich ein und drohten mir, mich zu tödten, wenn ich nicht die Wahrheit sagen würde.«

»So ist es ganz recht, daß Du ihnen die Wahrheit gestanden hast.«

»Weißt Du denn, daß ich es gethan habe?«

»Ich sehe es Deinem unsicheren Blick an. Du befürchtest, einen Fehler gemacht zu haben, und hast deßhalb kein ruhiges Gewissen.«

»Effendi, Dein Blick sagt Dir freilich das Richtige. Ich hätte mich ihren Schlägen wohl entziehen können, aber dann wären sie wahrscheinlich grausam gegen den Vater und die Kinder gewesen. Und weil die Letzteren doch schon geplaudert hatten, so gestand ich, daß Du da gewesen seiest.«

»Aber doch wohl weiter nichts?«

»Ich wollte nur das sagen, aber sie hatten die Kleinen schon vollständig ausgefragt und von ihnen erfahren, daß Ihr die Stiefel ausgeschüttet und dem Großvater Geld gegeben hättet, und daß ich Euch heut nach Taschköj führen solle, wo ich vorher mit den bösen Männern gewesen sei.«

»Da hast Du es freilich eingestehen müssen.«

»Ja, ich konnte nicht anders. Du wirst es mir verzeihen.«

»Ich kann Dir nicht darüber zürnen; ich hätte mich hüten sollen, vor den Kindern davon zu sprechen. Hatten die Räuber Gewehre?«

»Ja, und sie selbst sahen aus, als ob es ihnen schlecht ergangen. Der Eine trug ein Pflaster auf der Oberlippe, und die Nase hatte die Farbe einer Pflaume.«

»Das ist Bybar gewesen, dem ich mit einem Hieb die Lippe aufgerissen hatte. Aber er trug doch einen Bart?«

»So hat er sich denselben abgeschnitten, um den Riß zusammen zu pflastern. Mein Bruder wird das wissen. Er redete auch gar nicht, sondern der Andere sprach. Dieser saß so schlecht im Sattel, wie wenn er das Kreuz gebrochen habe.«

»Ich schleuderte ihn gegen einen Baum, und das wird er noch spüren. Was thaten sie dann?«

»Sie gaben mir noch einige Hiebe und ritten dann nach Radowitsch zu.«

»Das glaube ich nicht. Ich meine, daß sie nach dem Wald geritten sind, durch welchen Du uns zu führen hast. Sie werden uns dort überfallen wollen. Ohne Zweifel kennen sie die Gegend.«

»Du hast ganz recht gerathen, Effendi. Auch ich hatte denselben Gedanken und schlich ihnen nach. Bald bogen sie wirklich rechts ein, nach den Bergen zu.«

»Nun stecken sie dort und warten auf uns. Vor allen Dingen muß ich wissen, wie weit Deine Geständnisse gegangen sind. Du hast also eingeräumt, daß ich in Radowitsch bin; hast Du aber auch von meinem kranken Fuß gesprochen, und daß ich vielleicht in Radowitsch bleiben müsse?«

»Nein, kein Wort.«

»So werden sie uns heute erwarten. Fragten sie nicht, wann wir aufbrechen würden?«

»Ja, und ich sagte, daß ich dies erst noch erfahren müsse. Dann schworen sie, daß sie mich ermorden und meine Hütte niederbrennen würden, wenn ich sie verrathen würde. Dabei sagten sie mir, daß sie die Aladschy seien, von denen ich wohl gehört habe, und sie würden ihre Drohung sicher wahr machen.«

»Und dennoch sagst Du es mir?«

»Das ist meine Pflicht und meine Dankbarkeit, Effendi. Vielleicht kannst Du es so einrichten, daß sie glauben, ich sei verschwiegen gewesen.«

»Das wird sich leicht ermöglichen lassen. Natürlich bin ich Dir dankbar für Deine Warnung, ohne welche es uns schlecht ergehen könnte.«

»Ja, Herr, Du wärst verloren gewesen,« fiel sein Bruder ein. »Ich habe es mit diesen meinen Ohren gehört.«

»So sind sie also wieder zu Dir gekommen?«

»Natürlich! Aber Freude habe ich nicht darüber gehabt, denn ich hatte an ihrem ersten Besuch genug.«

»Das war gestern Nachmittags? Oder hattest Du sie schon früher gesehen?«

»Gehört hatte ich von ihnen, aber sie noch nicht gesehen. Sie kamen schon am Morgen zu mir, verlangten Raki und setzten sich an den Tisch vor dem Hause, nachdem sie die Pferde hinter dasselbe gebracht hatten, und blieben da sitzen.«

»Ahntest Du, wer sie seien?«

»Ja. Ihre Pferde waren scheckig, und ihre riesigen Gestalten paßten genau zu der Beschreibung, welche man mir von ihnen gemacht hatte. Ich war ergrimmt gegen sie, denn ich hielt sie für die Diebe meines Pferdes und Packsattels.«

»Du wußtest also schon, daß Beides verschwunden war?«

»Natürlich! Ich sah es gleich, nachdem ich aufgestanden war.«

»Konntest Du nicht meinen, daß das Pferd fortgelaufen sei?«

»O, das hatte es noch nie gethan, und dann wäre ja der Sattel noch dagewesen.«

»Sehr richtig, denn der Sattel läuft nicht mit dem Pferd davon.«

»Ich erzählte ihnen von dem Diebstahl, und sie mochten wohl bemerken, daß sich mein Verdacht gegen sie richtete, denn sie wurden bösartig gegen mich und zwangen mich schließlich, in der Stube zu bleiben.«

»Und Du ließest es Dir gefallen?«

»Was sollte ich dagegen thun?«

»Die Hülfe der Nachbarn anrufen.«

»Ich konnte ja nicht fort, sie zu holen, und selbst wenn dies möglich gewesen wäre, so hätte ich es dennoch nicht gethan. Zu wem die Aladschy kommen, der thut am besten, ihnen zu gehorchen; denn wenn er auch für den Augenblick einen Vortheil über sie erränge, so würden sie sich doch später an ihm rächen. Ich blieb also ruhig in der Stube. Nicht einmal die Kinder durfte ich holen, was nachher Du selbst gethan hast, Effendi.«

»Kehrte denn in dieser Zeit Niemand bei Dir ein? Ich denke, die Ankunft eines Gastes hätte sie vielleicht vertrieben.«

»Haben sie sich durch Deine Ankunft vertreiben lassen, Effendi?«

»Freilich nicht.«

»Es ging Niemand vorüber, und nur ein Einziger kam und hielt bei mir an, nämlich – –«

»Der Bakadschi Toma aus Ostromdscha,« fiel ich ihm in's Wort. »Dieser wußte, daß die Aladschy auf ihn warteten. Übrigens hatten sie sich schon in der vorhergehenden Nacht in der Nähe befunden und auch gewußt, daß Du zwei Pferde besaßest. Sie sind die eigentlichen Urheber des Diebstahles.«

»Das habe ich nun von meinem Bruder erfahren.«

»Hielt Toma nur kurze Zeit bei ihnen an?«

»O nein! Er stieg von seinem Maulthier, setzte sich zu ihnen, und sie saßen wohl eine Stunde lang beisammen.«

»Du konntest nicht hören, was sie sagten?«

»Von der Stube aus nicht; aber ich hielt sie für die Diebe meines Pferdes, und ich vermuthete Schlimmes von ihnen, weil ich das Haus nicht verlassen durfte. Darum nahm ich mir vor, zu horchen. Du wirst gesehen haben, daß in meiner Stube eine Leiter unter das Dach führt, wo das Maisstroh liegt. Ich stieg hinauf und von da aus konnte ich leise durch die Luke auf das Vordach gelangen. Ich hörte jedes Wort und vernahm, was in Ostromdscha geschehen war. Der Bote erzählte es ausführlich und sagte, daß Ihr um Mittag aufbrechen, also ungefähr nicht ganz zwei Stunden später an meinem Hause vorüberkommen müßtet. Ferner hörte ich, daß er schon am vorigen Abend mit ihnen gesprochen hatte.«

»Ah! Jetzt erst ist es mir erklärlich,« erwiderte ich, »wie der Mübarek gar so schnell die Aladschy finden und auf mich hetzen konnte.«

»Es scheint, daß er sie schon vor Eurer Ankunft bestellt hatte, um irgend einen Streich auszuführen. Ihr habt ihn dabei gestört, und so hat er ihre Anwesenheit zur Rache gegen Euch benutzen wollen.«

»Was hörtest Du noch?«

»Daß der Mübarek mit den drei Anderen entkommen sei, und daß Ihr sterben müßtet. Er bezeichnete sogar den Platz, an welchem Ihr überfallen werden solltet, nämlich nicht weit hinter der einzigen scharfen Biegung, welche der Weg im Wald macht.«

»Dort hat allerdings der Kampf zwischen ihnen und mir Statt gefunden.«

»Und Du hast sie besiegt, wie mein Bruder mir erzählte. Effendi, Allah ist mit Dir gewesen, sonst wärst Du ihnen unterlegen!«

»Gewiß! Weiter!«

»Der Bote sagte ihnen, daß sie sich ja nicht auf ihre Flinten oder Pistolen verlassen sollten, denn Ihr wäret kugelfest. Da lachten sie aus vollem Hals. Als er ihnen aber auf's Genaueste erzählte, was geschehen war, da wurden sie nachdenklich und meinten endlich, daß Ihr wirklich kugelfest seid.«

»Nun, was sagst Du dazu?« fragte ich.

»Effendi, es gibt zweierlei Zauberei. Bei der einen bedient man sich der Hülfe Allah's und bei der Anderen der Hülfe des Teufels. Ihr habt die Magie gelernt, aber die gute, bei welcher Allah Euch hilft.«

Da antwortete ich ihm:

»Meinst Du denn wirklich, daß der Allmächtige von einem seiner schwachen Geschöpfe durch Worte, Zeichen oder Ceremonien gezwungen werden könne, ihm zu Willen zu sein?«

»Hm! Nein, denn dann wäre dieser Mensch ja mächtiger als Allah selbst. Aber, Herr, ich erschrecke. So zaubert Ihr also mit Hülfe des Teufels?«

»O nein! Wir zaubern gar nicht, wir verstehen nicht mehr als andere Menschen.«

»Aber Ihr seid ja kugelfest!«

»Wir würden uns allerdings sehr freuen, wenn das wirklich wahr wäre. Leider aber würde eine Kugel ein ebenso großes Loch durch unsere Haut machen, wie durch diejenige anderer Leute.«

»Das kann ich nicht glauben. Du hast ja die Kugeln mit der Hand aufgefangen.«

»Auch das war nur Schein. Ich habe mir bereits Vorwürfe gemacht, jene Leute in ihrem Aberglauben bestärkt zu haben. Vielleicht kann ich das durch Dich wieder gut machen. Wenn Du nach Ostromdscha kommst, so wirst Du von uns sprechen hören. Sage den Leuten, wie es geschehen ist. Ich hatte gehört, daß wir überfallen oder aus dem Hinterhalte erschossen werden sollten, und da kam mir der Gedanke, die Meinung zu verbreiten, daß wir kugelfest seien, weil man dann wahrscheinlich nicht auf uns schießen würde. Wie ich das angefangen habe, sollst Du erfahren.«

Nun erklärte ich ihm Alles. Sein Gesicht wurde länger und länger. Dann erholte er sich von seinem Erstaunen, hörte mir bis zum Ende zu und sagte lachend:

»Das freut mich außerordentlich, Herr, daß Du mir diese Geschichte erzählt hast. Ich werde in Ostromdscha eine große Rolle spielen, indem ich die Leute auslachen und ihnen den Sachverhalt erklären kann. O, wenn ich es ihnen zeigen könnte!«

»Das kannst Du. Ich habe noch mehrere Kugeln. Wenn Du mir versprichst, vorsichtig zu sein und sie ja nicht mit anderen zu verwechseln, so will ich sie Dir schenken.«

»Gib sie mir; Du machst mich ganz entzückt vor Freude. Aber weißt Du, daß ich nun noch größeren Respekt vor Euch habe, als vorher?«

»Warum?«

»Weil es etwas ganz Anderes ist, sich durch Klugheit zu schützen, als durch Zauberei. Jetzt meine auch ich, daß die Magie aus nichts als nur aus solchen Kunststücken besteht. Deinen Zweck hast Du erreicht, denn die Aladschy beschlossen, daß sie nicht auf Euch schießen, sondern Euch mit den Beilen und Messern angreifen wollten. Der Bote beschrieb Euch so genau, daß keine Irrung möglich war, und dann entfernte er sich. Nur eine Viertelstunde später kamst Du.«

»Wen glaubtest Du, zu sehen?«

»Einen Scherif. Ich konnte nicht ahnen, daß Du der fremde Effendi seiest, welcher ermordet werden solle.«

»Hast Du auch unsere Unterredung belauscht?«

»Nein, denn Deine Person schien mir nicht wichtig zu sein. Du kamst dann herein und warst freundlich mit mir und den Kindern. Du heiltest sogar mein Töchterchen von den Schmerzen ihres Zahnes. Ich wußte zwar nicht, was sie mit Dir beabsichtigten; aber Du warst freundlich mit uns gewesen, und so warnte ich Dich.«

»Mit eigener Gefahr!«

»Die war nicht groß. Ich riskirte nur einige Peitschenhiebe. Als sie mit Dir fortritten, wurde es mir doch bange um Dich; sie hatten sich gar so eigenartige Blicke zugeworfen. Darum winkte ich Dir noch einmal zu, als Du Dich auf der Brücke umdrehtest.«

»Ich verstand, daß Du mich zur Vorsicht mahnen wolltest. Was thatest Du hierauf?«

»Ich suchte die Nachbarn auf, erzählte ihnen den Vorgang, und forderte sie auf, mit mir in den Wald zu gehen, um Dich aus der Hand der Räuber zu befreien und auch die vier Fremden zu retten, welche überfallen werden sollten.«

»Da machten sie aber nicht mit,« ergänzte ich seine Erzählung. »Sie fürchteten sich vor der Rache der Aladschy und blieben hinter ihren vier Pfählen furchtsam stecken. Ja, das kann ich mir denken. Die Furcht ist die größte Feindin dessen, der sich eben fürchtet. Anderwärts wären die Aladschy nicht weit gekommen; man hätte sie baldigst dingfest gemacht.«

»Meinst Du, in Deinem Vaterland?«

»Ja, gewiß.«

»So ist dort Jedermann ein Held?«

»Nein, aber es ist dort unmöglich, daß ein Skipetar die Leute in Angst und Schreck versetzen kann. Wir haben nicht strengere, sondern viel mildere Gesetze als Ihr, aber sie werden so gehandhabt, wie es geboten ist. Darum hat Niemand Furcht vor der Rache eines Menschen, denn die Polizei ist stark genug, jeden guten und ehrlichen Menschen zu schützen. Wer schützt aber Euch?«

»Niemand, Herr. Die Furcht ist unser einziger Schutz. Wer es zum Beispiel wagen wollte, den Aladschy zu widerstehen, wenn sie zu ihm kommen und ihm ihre Befehle ertheilen, der wäre ihrem Grimm verfallen, und kein Kasa oder Mewlewit vermöchte ihn zu schützen. Darum durfte ich mich nicht darüber wundern, daß meine Nachbarn nichts mit der Sache zu thun haben wollten.«

»Es sind ihrer wohl nur Wenige?«

»Ja, und überdies herrscht die Meinung, daß jeder der zwei Aladschy leicht zehn Mann auf sich nehme.«

»Hm! So nehme ich leicht zwanzig auf mich, denn ich habe sie überwältigt.«

»Nur mit Allah's Hülfe, Effendi! Diese Räuber sind gar fürchterlich. Dennoch nahm ich mir vor, die Fremden zu warnen. Darum setzte ich mich vor mein Haus auf eine der Bänke und wartete auf sie.«

»Hast Du sie gesehen?«

»Nein. Es war unter den Kindern ein Streit entstanden; sie weinten, und ich ging hinein, um die Uneinigkeit zu schlichten. Während dieser Zeit müssen die Fremden vorübergekommen sein. Später sah ich zu meinem Schreck die Aladschy zurückkehren.«

»Mit ihren Pferden?«

»Freilich, Effendi.«

»So haben sie dieselben also bald gefunden. Waren sie guter Laune?«

»Wie kannst Du so fragen? Ich mußte mit ihnen in die Stube, und es war, als ob mit ihnen tausend Scheïtans eingetreten seien. Es ist mir schlimm ergangen. Aber was ich aus ihren Reden entnahm, das machte mir heimliche Freude. Ich erfuhr, daß der alberne Scherif sie bezwungen habe.«

»Sie ahnten also nicht, daß der Scherif der Anführer derjenigen gewesen war, denen sie auflauern wollten?«

»Diesen Gedanken hatten sie nicht. Aber später, als sie ruhiger geworden und wieder beim Raki saßen, zog der Eine einen Zettel hervor, den sie lasen. Ich hörte, daß er an einem Baum gesteckt hatte. Sie konnten aber nicht klug daraus werden und wußten nur, daß drei Reiter vorübergekommen waren, welche sich genau nach diesem Zettel gerichtet hatten.«

»Hielten sie diese Drei für die Erwarteten?«

»Nein; es fehlte ja die Hauptperson. Sie glaubten, Ihr würdet noch vorüber kommen. Obgleich der Bote ihnen gesagt hatte, daß Ihr gewarnt worden, wollten sie es doch mit Euch aufnehmen. Sie befanden sich in einem Zustand der Wuth, in welchem es für sie gar kein Bedenken gab. Ihre Gewehre waren ihnen zerbrochen worden. Sie hatten die Stücke bei sich. Ich habe dieselben alle auf meinem Rücken fühlen müssen. Die Kinder weinten laut darüber und erhielten auch Fußtritte und Schläge. Der Eine konnte den Körper nicht aufrecht halten; Du hattest ihn an den Stamm eines Baumes geworfen. Er zog sich aus, und ich mußte ihm mehrere Stunden lang das Rückgrat mit Raki und Butter abwechselnd einreiben. Der Andere blutete immerfort. Du hattest ihm von unten herauf einen Hieb versetzt und ihm dabei die Oberlippe zerrissen; er sagte, mit dem Daumen Deiner Faust. Die Nase stand ihm empor und war geschwollen; sie war rund und birnenförmig wie ein Wespennest. Er rieb sie mit Raki ein. Später, als die beiden Andern kamen, schnitt der Eine von ihnen ihm den Bart ab und ging, um aus dem nahen Wald Harz zu holen, von welchem mit Butter ein Pflaster gemacht wurde, das er auf die Lippe legte.«

»Zwei Andere kamen? Wer waren diese?«

»O, das waren erst die richtigen Galgengesichter. Du hättest sie nur sehen sollen! Sie hatten die vorige Nacht in Dabila bei dem Wirth Ibarek geschlafen und – –«

»Ah, ich kenne sie. Es waren Brüder. Hast Du das nicht bemerkt?«

»Ja, ich hörte bald, daß sie ebenso Brüder seien, wie die Aladschy. Sie kannten sowohl diese als auch Euch.«

»Und hatten sie gewußt, daß sie die Aladschy treffen würden?«

»Nein. Beide Brüderpaare waren über den Zufall erstaunt; aber ihre Freude war größer als ihr Erstaunen, da sie hörten, daß der gleiche Zweck sie hierher geführt habe – die Rache an Euch.«

»Das glaube ich. Nun wird erzählt worden sein!«

»Viel, sehr viel: von Edreneh, von Menlik, wo Ihr so schnell entkommen waret, obgleich Ihr dort unschädlich gemacht werden solltet. Ihr waret ihnen dadurch nun doppelt gefährlich geworden, daß Ihr vom Taubenschlag aus die Unterredung belauscht hattet, denn Ihr wußtet nun, daß diejenigen, die Ihr verfolgtet, in der Ruine von Ostromdscha zu suchen seien. Und noch gefährlicher war es, daß der Bruder des Wirthes zu Ismilan Euch für rechtmäßige Besitzer der Koptscha gehalten und in Folge dessen gesagt hatte, daß Ihr nach Sbiganzy gehen solltet.«

»Ja, da hat er freilich eine große Dummheit begangen. Aber es wird uns nun wohl schwer oder ganz unmöglich werden, von diesem Vortheil Gebrauch zu machen.«

»Das ist wahr. Als die Aladschy hörten, daß Ihr von der Derekulibe bei Sbiganzy wüßtet, geriethen sie außer sich und sagten, dies müsse auf alle Fälle verhütet werden, und sollten sie Euch gleich hier auf offener Straße angreifen.«

»So waren sie also selbst jetzt noch immer der Meinung, daß wir noch nicht vorüber gekommen seien?«

»Ja. Sie hatten sich so gesetzt, daß kein Mensch vorüber konnte, ohne von ihnen gesehen zu werden. Die beiden Andern wollten ihnen beistehen. Sie waren nun Vier gegen Vier, und die Aladschy erklärten, daß sie jetzt so muthig seien, um es mit einem ganzen Heere aufzunehmen. Dieser Irrthum dauerte freilich nur so lange, bis Toma, der Bote, von Radowitsch zurück kam.«

»Ah, der hat ihnen den Staar gestochen!«

»Sie riefen ihn herein. Als er sie erblickte, schrie er auf über das Aussehen des Einen. Sie sagten ihm, die Vier seien noch nicht vorüber; er aber antwortete, daß er Euch in Radowitsch gesehen und sogar eine gute Tracht Peitschenhiebe von Euch bekommen habe. Nun war das Erstaunen groß. Weder verstand er sie, noch vermochten sie ihn zu begreifen. Endlich fragte er, ob sie denn nicht den Scherif gesehen hätten, der jedenfalls den Rappen geritten hätte. Das seiest Du gewesen, denn Du hättest Dich verkleidet gehabt.«

»Schade, daß ich nicht dabei sein konnte! Ich hätte die Gesichter sehen mögen.«

»Ja, Effendi, es war spaßhaft, aber auch entsetzlich. So ein Fluchen und Lästern habe ich noch nie in meinem Leben gehört. Was in der Stube nicht niet- und nagelfest war, wurde zerbrochen. Sie haben gewüthet und gewüstet, wie die Teufel. So Etwas war ihnen noch nie passirt. Sie hatten dem albernen Scherif einen Streich spielen wollen, und nun waren sie von ihm genarrt worden. Sie vermochten gar nicht, sich zu besänftigen, und glichen wild gewordenen Stieren, vor denen nichts hilft, als nur die Flucht allein.«

»Das glaube ich sehr gern. Was meinte denn der Bote?«

»Ihm war himmelangst. Er hatte Dir selbst erzählt, daß Du ermordet worden seist, und sich dadurch verrathen. Du wußtest übrigens bereits, daß er mit den Aladschy im Bund sei, und nun befürchtete er, daß Ihr nach Ostromdscha zurückkehren würdet, um ihn dem Gericht zu übergeben.«

»Da mag er ruhig sein. Wir wollen ihn seinem bösen Gewissen überlassen.«

»O, das wird ihn nicht sehr peinigen. Es verursacht ihm jedenfalls weniger Schmerzen, als die Peitschenhiebe, welche er bekommen hat.«

»Erzählte er dies?«

»Ja, und er war voll Wuth über den kleinen Hadschi. Besonders ärgerte es ihn, daß er sich selbst die dreißig Hiebe auswählen mußte. Er sagte, sie seien mindestens soviel werth gewesen, wie sonst hundert. Das Gewand klebte ihm auf dem wunden Rücken, und er bat die Aladschy inständigst, Euch doch zu tödten, erstens aus Rache und zweitens, damit er nicht von Euch angezeigt werden könne.«

»Versprachen sie ihm das?«

»Sie schwuren es ihm zu und wollten gleich nach Radowitsch aufbrechen; aber er sagte ihnen, da Ihr dort übernachten würdet, so hätten sie Zeit bis zum Anbruch des Morgens. Sie sollten also schlafen, um sich zu erholen und morgen frisch zu sein. Dabei machte er sie darauf aufmerksam, daß sie bei meinem Bruder wohl Näheres erfahren könnten, denn er habe zufälliger Weise in Radowitsch gehört, daß dieser die vier Fremden nach der Locanda babi humajuni geführt habe.«

»Dieser Vorschlag wurde natürlich befolgt?«

»Ja. Mir war dies freilich höchst unlieb, denn sie beschlossen, die Nacht bei mir zu bleiben, und ich war Gefangener in meinem eignen Hause. Sie trauten mir nicht, und ich durfte nicht vor die Thüre treten. Die Aladschy hatten in der letzten Nacht nicht geschlafen und sollten der Ruhe pflegen, während die Anderen abwechselnd wachten.«

»Und Toma, der Bote?«

»Er ritt nach Hause, aber er will morgen schon wieder nach Radowitsch kommen, um zu erfahren, ob die Scheckigen Euch eingeholt und ermordet haben.«

»Bei wem will er das erfragen?«

»Das weiß ich nicht. Sie nannten den Namen, indem sie die Köpfe zusammensteckten, so leise, daß ich ihn nicht hören konnte. Als der Bote fort war, kauften die Aladschy den beiden Andern die Gewehre nebst Munition ab. Du hattest die ihrigen zerbrochen und ihnen auch die Pulverbeutel genommen. So wüthend sie über Dich waren, sie lachten Dich doch aus, daß Du ihnen das Geld gelassen hattest.«

»Ich bin zu ehrlich gewesen. Sollten sie mir wieder in die Hände fallen, so werde ich mich nicht zum zweiten Male auslachen lassen.«

»Was aber wollten die beiden Andern thun? Sie sind doch heute nicht mitgeritten.«

»Sie kehren nach Menlik zurück und haben ihren Auftrag den Aladschy übergeben. Sie sollen nämlich einen gewissen Barud el – el – el – wie war doch der Name!«

»Barud el Amasat.«

»Ja, so lautete er. Also diesem sollen sie melden, daß sein Sohn gestorben sei; ferner, daß Ihr die Koptscha habt, und endlich, daß Ihr Euch bei einem Fleischer in Sbiganzy nach der Derekulibe erkundigen könnt.«

»Nun, vielleicht gelingt es uns, den Boten zuvorzukommen.«

»Effendi, hüte Dich! Sie reiten auch nach Sbiganzy und kennen den nächsten Weg über Taschköj dahin sehr genau. Willst Du ihnen zuvorkommen, so mußt Du unbedingt diesen Weg einschlagen, und sie im Wald umreiten. Du weißt aber nicht, wo sie sind. Im Gegentheil, sie werden Euch auflauern und überfallen.«

»Darauf sind wir vorbereitet. Wenn man eine Gefahr genau kennt, so ist sie nur halb so groß. Hätte ich nicht einen kranken Fuß, so würde ich trotzdem diesen Weg einschlagen. Ich würde ihre Fährte lesen und immer ganz genau wissen, woran ich bin. Dazu aber ist nöthig, daß ich oft absteige, und das kann ich heute nicht. Auch darf ich es aus demselben Grund nicht zu einem Kampf kommen lassen. Im Wald kämpft man nicht zu Pferde, und zu Fuß würde ich eine traurige Rolle spielen. Wir werden also einen anderen Weg nehmen.«

»Welcher aber länger ist.«

»Das thut nichts.«

»So wirst Du ihnen nicht zuvorkommen, Effendi.«

»Wahrscheinlich doch. Wir werden von hier nach Karbinzy reiten und von da vielleicht direkt oder über Warzy nach Sbiganzy, je nach den Umständen.«

»Das ist aber ein schlimmer Weg, Herr.«

»Eigentlich nicht. Wenn wir von hier nach Istib und von da über Karaorman nach Warzy reiten, so haben wir stets Straße; aber da machen wir einen Winkel, welcher viel Zeit erfordert. Lieber reite ich direkt nach Karbinzy, obwohl das ein böser Ritt werden wird, denn ich glaube nicht, daß es einen gebahnten Pfad dorthin gibt.«

»Den gibt es freilich nur stellenweise,« bestätigte der Korbmacher. »Aber wenn ich Dich führen darf, so verspreche ich Dir einen leidlichen Ritt.«

»Kennst Du die Gegend?«

»Sehr genau. Führen soll ich Dich nun einmal, und da ist es mir sehr gleichgültig, ob wir nach Taschköj oder nach Karbinzy gehen. Auch die Entfernung ist ziemlich dieselbe. Ich kann es so einrichten, daß wir den ungebahnten Wald vermeiden und meist über freie Strecken kommen. Bergauf und bergab wird aber sehr oft mit einander wechseln.«

»Nun, das ist auszuhalten.«

»Wann reitest Du, Effendi? Kann ich zuvor erst noch einmal heim?«

»Ja; aber in einer halben Stunde solltest Du wieder hier sein. Könntest Du Dir nicht ein Pferd borgen?«

»O, der Wirth hier gibt mir sofort eins.«

»So sprich mit ihm; ich bezahle es.«

»Du kannst auch das meinige bekommen, welches draußen steht,« erklärte sein Bruder.

»Nein, das brauchst Du selbst; Dein Weg nach Hause ist weit.«

»Ja, und ich wüßte auch nicht, ob es Schritt halten könnte, denn es ist sehr alt. Diese Schufte haben mir das gute Pferd genommen. Ich werde es nie wieder sehen und habe auch kein Geld, mir ein anderes zu kaufen, obgleich ich es so nothwendig brauche.«

»Wie viel war es denn werth?« fragte ich ihn.

»Unter Verwandten hundertfünfzig Piaster.«

»Ich will es Dir abkaufen.«

»Abkaufen?« fragte er verwundert. »Effendi, ist das Dein Ernst?«

»Warum denn nicht?«

»Weil ich das Pferd nicht habe.«

»Das thut nichts. Ich werde es mir holen.«

»Wo denn?«

»Bei den Dieben. Wenn ich sie ereile, werde ich ihnen auch nebenbei Dein Pferd abnehmen.«

»Und wenn es Dir nicht gelingt?«

»Das ist meine Sorge. Kurz und gut, ich kaufe es Dir ab, wenn Du überhaupt auf diesen Handel eingehen willst.«

»Mit Freuden, denn ich bekäme das Thier doch niemals wieder. Aber, Effendi, nimm es mir nicht übel! Du willst das Pferd gewiß erst dann bezahlen, wenn Du es wirklich hast?«

»O nein! Wer weiß, wie lange ich diesen Halunken nachreiten muß und wann ich sie treffe! Wie wollte ich Dir dann das Geld zustellen? Ich gebe Dir die zweihundert Piaster sofort.«

»Hundertfünfzig habe ich gesagt.«

»Nein, zweihundert!«

»So hast Du mich falsch verstanden.«

»Das ist mein Fehler. Ich habe zweihundert Piaster gedacht und Dir erklärt, daß ich es dafür kaufe. Willst Du?«

»Aber es ist zu viel.«

»Und als Kujruk paraji gebe ich Dir noch fünfzig Piaster für Deine Kinder mit. Hier hast Du also zweihundertfünfzig!«

Das ergab in Summa kaum fünfzig Mark für das beste Pferd dieses Mannes. Aber in jenen Gegenden hat man für Pferde gewöhnlichen Schlages ganz andere Preise als bei uns daheim. Auf dem Lande besitzt selbst der Arme ein Pferd, denn billige, oft kostenlose Weide gibt es überall. Daß der Korbflechter kein Pferd besaß, war ein sicheres Zeichen seiner großen Armuth.

Trotz der Geringfügigkeit der Summe stiftete ich mit ihr doch eine große Freude. Der Verlust, welchen der brave Mann erlitten hatte, war mehr als ersetzt. Und mir that ich doch keinen Schaden, denn ich bezahlte das Pferd ja von dem Geld derjenigen, die es gestohlen hatten. Jetzt bedauerte ich, nicht auch die Beutel der beiden Aladschy zu mir gesteckt zu haben. Ich hätte mit dem Inhalt derselben armen und braven Leuten Gutes erweisen können.

Wir frühstückten und rüsteten uns dann zum Aufbruch. Dabei kam ich wegen meines Fußes in Verlegenheit. Was sollte ich anziehen? Eben dachte ich über diese Frage nach, da trat der Arzt herein.

»Effendim,« sagte er, »ich komme, um Dir meinen Morgenbesuch zu machen und Dich zu fragen, wie Du geruht hast.«

Er war ganz so gekleidet, wie gestern Abend, und hatte ein Päckchen in der Hand.

»Ich danke Dir,« antwortete ich. »Meine Ruhe war eine sanfte, und ich wünsche, daß die Deinige ebenso gewesen sei.«

»Allah hat Dir Deinen Wunsch nicht erfüllt, denn ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Ich hatte den Kopf so voll des schwefelsauren Kalkes, daß es mir unmöglich war, zu schlafen. Und als ich doch einmal einschlummerte, da träumte mir, das Weltmeer sei voll von Gyps und Wasser, der Himmel aber sei lauter Kattun und werde in das Gypsmeer getaucht und dann unaufhörlich um mich herumgewickelt. Dieser entsetzliche Verband hüllte mich endlich so vollständig ein, daß mir der Athem ausging. Ich schrie vor Angst laut auf und – erwachte. Aber ich hatte mich so sehr gegen das Verbinden gewehrt, daß ich von dem Schlafkissen herab und bis in die Mitte der Stube hinüber gerollt war.«

»So hast Du nun wohl eine Ahnung, wie es gestern Deinem ›Modell‹ zu Muthe war?«

»Gefallen wird es ihm nicht haben, dennoch liegt er wieder seit einer Stunde bei mir. Er hat den linken Oberschenkel und zwei Finger der rechten Hand gebrochen. Er ist sehr schön verbunden, raucht Tschibuk und trinkt Scherbet von Apfelsinen dazu.«

»Kam er denn freiwillig?«

»Nein, ich selbst habe ihn holen müssen.«

»Und wie steht es mit Deinem Gypskaftan?«

»Der hängt bereits neben der Hausthüre an einer Eisenstange, und viel Volk steht vor dem Hause. Ich habe einen Jüngling hingestellt, welcher dem Publikum die wichtige Bedeutung des Kaftans erklären muß, und dann darf ein Jeder unentgeltlich eintreten, um den Finger- und Schenkel-Verband meines Modells zu betrachten. Es werden nicht viele Tage vergehen, so bin ich ein berühmter Mann, und das habe ich Dir zu danken. Wie geht es Deinem Fuß?«

»Sehr gut!«

»So empfehle ich als Dein Leibarzt die größte Ruhe des Gliedes. Draußen im Hofe werden Pferde gesattelt. Du willst doch nicht etwa abreisen?«

»Freilich will ich es.«

»Hm! Das ist unvorsichtig.«

»Ich weiß, daß ich es wagen kann.«

»Ja, Du warst schon gestern abend gewillt, heute zu reiten. Aber was willst Du während des Rittes an den Fuß ziehen?«

»Ich dachte soeben darüber nach.«

»Und ich habe während der Nacht daran gedacht. Da ist mir etwas Gutes eingefallen. Ich habe draußen auf dem Lande einen reichen Patienten, welcher von der Gicht gepeinigt wird. Seine Füße sind geschwollen, und es zwickt und kneipt ihn in allen Zehen. Für den hatte ich hier in der Stadt ein Paar schöne, weiche Nakris dschismeleri anfertigen lassen, welche ich ihm hinausschicken wollte. Ich kann ihm leicht ein anderes Paar machen lassen. Du hast weder die Bandwürmer, noch das Skelett von mir annehmen wollen, und so hoffe ich, Du wirst mich nicht schamroth machen, sondern mir erlauben, Dir mit diesen Stiefeln einen Beweis meiner Ehrerbietung und Dankbarkeit zu geben.«

Er wickelte das Päckchen auf und brachte die Stiefel zum Vorschein. Sie waren aus sehr starkem Tuch gemacht, hoch besohlt und rundum mit Leder besetzt.

»Erfreue mich, Effendi, und probiere den Linken einmal an,« bat er.

Ich that ihm recht gern den Willen. Der Stiefel paßte, und ich erklärte, daß ich das Geschenk annehmen werde. Seine Freude war groß, und er bedankte sich bei mir. Als ich ihm klar machen wollte, daß ich in seiner Schuld stehe, nicht aber er in der meinigen, eilte er zur Thüre hinaus und warf mir, ehe er dieselbe schloß, noch den Wunsch einer glücklichen Reise herein.

Als dann der Korbflechter wieder kam, sollte aufgebrochen werden, und ich fragte den Wirth nach dem Betrag unserer Rechnung.

»Nichts, Effendi,« antwortete er kurz.

»Aber wir müssen doch bezahlen!«

»Es ist bezahlt.«

»Von wem?«

»Von dem Hekim. Du hast ihm Etwas gelehrt, was ihm sehr viel Geld einbringen wird. Er läßt Dich noch unterthänigst grüßen und Dir eine fröhliche Ankunft in Deinem Vaterland wünschen.«

»Sihdi,« flüsterte Halef mir zu, »sprich nicht dagegen, sondern laß es Dir gefallen! Dieser Hekim ist ein klügerer und anständigerer Mann, als ich erst dachte. Er weiß die Freuden der Gastlichkeit zu würdigen, und dafür wird ihm im Buch des Lebens ein sanfter Tod verzeichnet sein.«

Ich kam mit Mühe in den Hof und wurde auf das Pferd gehoben. Einmal im Sattel, machte sich die Sache sehr gut. Wir trabten zum Hof hinaus, wieder einmal, ohne – bezahlt zu haben.

In einer der engen Gassen, durch welche wir ritten, sah ich eine Menge Menschen stehen. An dem Hause, vor welchem sie sich postirt hatten, hing ein weißer Gegenstand. Als wir näher kamen, erkannte ich den Kaftan, über dessen Kragen der Fez mit der Cigarrenbändertroddel gestülpt war. Der Hekim hatte also nicht im Scherz gesprochen. Da hing der Kaftan in Wirklichkeit – ein wunderbares Beispiel türkischer Reclame.

Mir kam die Sache gar nicht lächerlich vor. Und auch die Menschen, durch welche wir uns drängten, zeigten sehr ernsthafte Gesichter. Ich hielt an und schickte den Korbflechter hinein, um mich zu erkundigen, ob der Herr daheim sei. Er kehrte mit einer verneinenden Antwort zurück; der Frau Doctor konnten wir unmöglich eine Abschieds-Visite abstatten.

Als wir die engen Gassen mit ihren unansehnlichen Bazars hinter uns hatten, lenkten wir nach der Straße ein, welche nach Skopia führt. Die Entfernung bis dorthin ist ziemlich dieselbe, wie diejenige von Ostromdscha nach Radowitsch. Aber wir durchmaßen nur einen kleinen Theil derselben. So lange wir uns auf der Straße befanden, ging es im Galopp vorwärts. Dann bog der Führer rechts ab, zwischen zwei bewaldete Höhen hinein, deren Thal von einem Bach durchflossen wurde.

Dieses Thal stieg rasch und ziemlich steil auf, und dann sahen wir einen glatten, baumlosen Höhenkamm vor uns, welcher grad gegen Norden strich und dem wir im Trab folgten.

Was soll ich über die Gegend sagen? Man merkt sich bekanntlich nur diejenigen Orte gut, an denen man Etwas erlebt hat, und dies war hier nicht der Fall. Der Korbflechter führte uns durch meist unbewaldete Gebiete, denen kein landschaftliches Interesse abzugewinnen war.

In Karbinzy, einem Dorf unweit des linken Ufers der Bregalnitza, machten wir Halt und verabschiedeten uns von ihm. Er erhielt noch eine Extrabelohnung, über welche er außerordentlich erfreut war. Dann ritten wir über den Fluß, um nach Warzy zu kommen, welches am rechten Ufer liegt. Durch dieses Dorf führt der schon vor alten Zeiten bekannte und viel benutzte Reitsteg, welcher die südlich von Istib liegenden Hauptorte mit Karatowa, Kostendil, Dubnitza, Radomir und schließlich Sophia verbindet. Wir setzten noch über die kleine Sletowska und befanden uns dann in dem Dorf Sbiganzy, dem heutigen Ziel unseres Rittes.

Ungefähr Morgens neun Uhr nach unserer Zeit hatten wir Radowitsch verlassen, und um drei Uhr Nachmittags kamen wir an. Bei gewöhnlichem Schritt hätten wir das Dorf vor Nachts nicht erreicht.


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