Karl May
Im Reiche des silbernen Löwen IV
Karl May

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Drittes Kapitel.

Vor dem Rennen.

Am nächsten Morgen vermaß ich mit Karas Hilfe die Ruinen, so unauffällig wie möglich. Die Aufmerksamkeit der Dschamikun war derart auf den Rennplatz gerichtet, daß sie uns gar nicht beachteten. Ich fand, daß meine Vermutungen mich nicht getäuscht hatten. Die Seitenkanäle lagen genau unter den sich amphitheatralisch erhebenden einzelnen Stockwerken. Und das Alabasterzelt stand, allerdings in viel größerer Höhe, ebenso genau über der Nische des hintern Bassins.

Nachdem ich dieses festgestellt hatte, machte ich einen Spazierritt, ja, einen Spazierritt, freiwillig, ohne daß ich vom Pferde dazu gezwungen wurde. Es ging vortrefflich, rund um den See, hübsch langsam und bedächtig, bis Assil auf den Gedanken kam, doch auch mal einen Trab mit mir zu versuchen. Das schukkerte ein bißchen, und ich kam einige Male etwas schief auf die Seite; aber ich konnte mich doch unmöglich vor meinem eignen Pferde blamieren und so hielt ich es nolens volens aus. Da kam mir eine Schar von Jungens entgegen, welche, hier wie überall, den künftigen Ereignissen vorzugreifen suchten. Die kleineren saßen auf alten Ziegenböcken, die größeren auf Eseln. Laut schreiend, lachend, jubelnd kam mir diese Bande entgegen, mit allen Beinen zappelnd und mit allen Händen in der Luft. Sie füllten den ganzen Weg und Keinem fiel es ein, mir auszuweichen. Das sah Assil ebenso gut wie ich. Er wollte sie nicht über den Haufen rennen, prallte mitten im Trabe auf die Seite und stand fest. Das gab für mich zwei ganz unerwartete Stöße, die mich allerdings nicht im geringsten geniert hätten, wenn ich schon wieder bei vollen Kräften gewesen wäre. So aber war ich nicht stark genug, mich in den Bügeln zu halten. Ich verlor die Balance und wäre wohl herabgestürzt, wenn ich nicht schnell den zweiten Stoß benutzt hätte, in möglichst unlächerlicher Weise aus dem Sattel zu kommen. Ich schwang mich auf den Sattelknopf stützend, das eine Bein über das Kreuz des Pferdes auf die andere Seite herüber, um der Sache den Anschein zu geben, als ob ich absichtlich habe hinabgleiten wollen, doch hatte ich diesem Schwunge trotz meiner Entkräftung oder noch wahrscheinlicher grad wegen derselben zu viel Kraft gegeben und kam darum nicht nur ganz elegant vom Pferde herab, sondern setzte mich noch viel eleganter auf den Boden nieder.

Für einen Augenblick war ich ganz starr darüber, daß mir, mir, mir so Etwas hatte geschehen können. Auch Assil drehte den Kopf herum, hob sehr verwundert den Schweif und spielte mit den Ohren, als ob er diese ganze, kolossale Fatalität für gar nicht wahr, sondern nur für eine ausgesonnene Geschichte halte. Dann stand ich auf und gab mir Mühe, ein möglichst unbefangenes Gesicht zu machen, ungefähr so, wie ein Pudel, der beim heimlichen Milchtrinken ertappt worden ist und sich noch schnell den weißen Schnurbart abwischen will, aber doch nicht kann. Es verfing auch nicht im Geringsten.

Die Zeugen meiner »öffentlichen Sitzung« waren halten geblieben, und alle Ziegenböcke, Esel und Jungens richteten ihre Augen auf mich. Von den ersteren Kreaturen will ich nicht reden; auch die Knaben gaben sich aus Ehrfurcht vor dem »Effendi« alle Mühe, nicht laut aufzulachen, aber in ihren Gesichtern lachte es um so deutlicher; mehrere kicherten. Das war schon aufrichtiger. Der Aufrichtigste aber war ein lang aufgeschossener, wahrscheinlich etwas vorlauter »Hans in allen Gassen,« der vor Wonne von seinem Esel sprang und, mit den Armen windmühlend, in ein schallendes Gelächter ausbrach, in welches erst die nur Kichernden und dann auch alle Andern sich bewogen fühlten, einzustimmen.

»Abgerutscht, abgerutscht!« schrie der Schlingel, indem er einen Freudensprung tat und dabei in die Hände klatschte.

Er schien der Anführer und Vergnügungsdirektor dieser lustigen Erynnien zu sein, denn

»Abgerutscht, abgerutscht!« ertönte es nun aus allen Kehlen, wobei alle Beine sprangen und alle Hände klatschten.

»Herunter hat er gemußt, herunter!« jubelte er vor.

»Herunter hat er gemußt, herunter!« triumphierte der ganze Chor ihm nach.

»Und gesetzt hat er sich sogar, gesetzt, so wie ich hier!«

Er ließ sich bei diesen Worten niederplumpsen. Im nächsten Augenblicke saß die ganze Räuberbande an der Erde, und Alles schüttelte sich vor Vergnügen und schrie dazu:

»Gesetzt hat er sich sogar, gesetzt, so wie ich hier!«

Natürlich lachte ich mit. Nun aber kam es schlimmer:

»Dann stand er stolz wieder auf, mit einem solchen Gesicht!«

Bei diesen Worten krebste sich der Naseweis langsam in die Höhe und ahmte nach, wie unbefangen ich hatte erscheinen wollen, aber so übertrieben, daß es auch für mich selbst eine Wonne war, ihm zuzusehen.

»Dann stand er stolz wieder auf, mit einem solchen Gesicht!« frohlockte es in allen Tonlagen, deren eine jugendliche Kehle fähig ist. Ein Jeder erhob sich zunächst auf alle Viere, balancierte sich dann langsam und vollends in die Höhe und versuchte hierauf, das vorgezeichnete Gesicht so treffend wie möglich nachzumachen. Der Eindruck keines Lustspieles, keiner Posse kann so hinreißend sein wie die Wirkung dieser improvisierten, höchst wohlgelungenen Burleske. Was ein Anderer an meiner Stelle getan hätte, geht mich nichts an. Der Knabe war begabt, war originell. Ich fragte ihn:

»Bist du wohl im Reiten ebenso schnell wie mit dem Munde?«

»Noch schneller!« versicherte er.

»So? Dann höre, was ich dir sage, mein Junge! Ich sehe, daß Ihr Wettrennen macht. Hier fangt Ihr wieder an und reitet bis zur letzten Bucht hinunter. Wer zuerst ankommt, der erhält ein großes Pul-i-Säfid von mir. So steigt also wieder auf, und reitet los!«

Da waren sie alle im Nu auf ihren Ziegenböcken und Eseln. Ich hob die Hand, und die frohe Hetze begann. Natürlich waren die Esel den gehörnten Rennern schon sehr bald weit voraus. Das gab ein tolles Schreien und Strampeln, um doch noch nachzukommen! Ich aber stieg vergnügt wieder auf und folgte langsam hintendrein. Das Seeufer machte weiterhin eine Biegung, welche mir den Anblick der Rennenden entzog. Als ich diese Stelle erreichte und um sie gebogen war, sah ich gar nicht weit von mir das ganze »Feld« wieder eng beisammen. Man war abgestiegen und schien die Burleske hier zu wiederholen, wie ich an den Bewegungen bemerkte und an dem Gelächter, welches zu mir her scholl.

Mich nähernd, sah ich den langen Improvisatore am Boden sitzen. Er rieb sich hinten das Kreuz und machte ein unaussprechlich jämmerliches, elendes Gesicht. Um ihn herum fielen soeben alle seine Genossen nieder und riefen lachend durcheinander:

»Er wollte auf, setzte sich aber wieder nieder!«

Und einer von ihnen, der das Amt des Vorsprechers übernommen hatte, fuhr fort:

»Nun scheuert er sich da in dieser Gegend!«

Indem er dieses sagte, fuhr er sich mit beiden Händen nach dem Kreuze und begann, zu reiben. Die Andern machten es ihm schleunigst nach und wiederholten lachend:

»Nun scheuert er sich da in dieser Gegend!«

»Und schneidet dabei folgendes Gesicht!« fügte er hinzu, indem er das Minenspiel des vom Esel Gestürzten nachahmte.

»Und schneidet dabei folgendes Gesicht!« repetirte die lustige Gesamtheit, indem auf den Gesichtern aber alle möglichen Uebergangsstaffeln von der einfachen Betrübnis zur höchsten Verzweiflung zu sehen waren.

In diesem tragikomischen Augenblicke erreichte ich die jubelnden Bewunderer meiner Reiterkünste.

»Was ist denn geschehen?« fragte ich.

Sie standen höflich auf. Auch mein Kritikaster kam langsam und seufzend in die Höhe.

»Der Esel hat mich abgeworfen, Effendi,« antwortete er, fast weinend über die von dem Tiere an ihm verübte Niederträchtigkeit.

»Ohne daß dir der Weg versperrt worden ist, wie Ihr es bei mir tatet?«

»Ja, ohne!« gestand er, indem er nun wirklich und laut zu heulen begann.

»Beruhige dich, mein Junge. Das ist weiter nichts! Du bist nicht der Erste und wirst nicht der Letzte sein, der über Andere kritisiert und dann vom eigenen Esel abgeworfen wird. Damit ist das Rennen zu Ende. Aber trotzdem sollt Ihr Euer Pul-i-Säfid haben. Hier; teilt Euch drein, Jungens!«

Ich griff in die Tasche und warf das Silberstück unter sie hinein. Sie stürzten sich alle über dasselbe her, am schnellsten der soeben noch heulende Schlingel. Seine Kreuzschmerzen wurden durch den Anblick des Geldes augenblicklich kuriert. Ich aber ritt vergnügt von dannen, um, daheim angekommen, zu meinem Hadschi Halef hinaufzusteigen. Er war wach, und zwar noch munterer als gestern. Kara hatte ihm erzählt, was ich in Beziehung auf meine etwaige Beteiligung am Rennen gesagt hatte, und er war darüber so begeistert, daß er mich mit den Worten empfing:

»Hamdulillah, wir werden das Rennen gewinnen, Sihdi!«

»Wer behauptet das?« fragte ich.

»Ich, Hadschi Halef Omar, der Scheik der Hadeddihn vom großen Stamme der Schammar! Du reitest ja mit, und da werden wir auf alle Fälle siegen!«

»Nicht so laut, mein Halef, sonst wirst du ausgelacht!«

»Warum? Von wem?«

»Weil ich soeben vom Pferd gefallen bin.«

»Du? Kara Ben Nemsi Effendi, der jedes Pferd hinwirft, aber es nicht ihn?!«

»Ja, ich!«

Nun setzte ich mich nieder und erzählte. Ich war bei guter Stimmung, und so gelang mir mein Bericht derart, daß der brave Hadschi sich in ein Lachen verwickelte, aus welchem er gar nicht wieder herauskommen konnte. Sich vorzustellen, daß sein Sihdi vom Pferde »gerutscht« sei, war das Allerlustigste, was er sich nur denken konnte.

»Wieder eine Arznei!« sagte er, als er sich endlich beruhigt hatte. »Das kuriert! Alle Tage zweimal so lachen, Vormittags einmal und Nachmittags einmal, da werde ich in kürzester Zeit gesund und mache das Rennen auch noch mit! Denn, weißt du, Sihdi, der Frohsinn ist der allerbeste Arzt. Ueber ihn kommt kein Hekim und Hekimbaschi. Darauf kannst du dich verlassen!«

Nach dem Mittagsschläfchen, welches ich mir gönnte, kam ein Kalhuri-Reiter, welcher mir eine Botschaft von dem Ustad brachte. Es war eine gute. Der Schah befand sich zur Zeit nicht in Isphahan sondern auf seinem uns viel näher liegenden Schlosse Mihribani, und zwar mit fast seinem ganzen Hofstaate, ein Umstand, welcher die Abwesenheit des Ustad ganz bedeutend abkürzen konnte. Der Bote suchte dann seinen Gebieter, den Scheik der Kalhuran auf, dem er eine wichtige Mitteilung zu machen hatte. Wie ich dann erfuhr, betraf sie die Bruderhilfe von Seiten sämtlicher Kalhuran, falls die Dschamikun von irgend einer andern Seite angegriffen werden sollten. Der Ustad schien also unterwegs Beobachtungen gemacht oder Dinge erfahren zu haben, welche sich hierauf bezogen.

Später saß ich, in einem seiner Werke lesend, auf meinem platten Dache, da sah ich Schakara. Sie war drüben in den Ruinen, auf dem wüsten Vorhofe der zweistöckigen Etage, über deren schmaler Tür sich die zwei zerbrochenen Tafeln befanden. Da ich grad am Schlusse eines Kapitels angekommen war, legte ich das Buch weg, um sie zu überraschen. Sie hatte ein Gefäß in der Hand und schien Brom- oder Himbeeren zu pflücken, die es dort in Masse gab. Daß dieser Vorhof voll dorniger Sträucher und Stachelranken war, habe ich bereits gesagt.

Ich stieg also meine Stufen zum Glockenwege hinüber und ging von hier aus auf dem schmalen Ruinenfelde nach dem Turme, in welchem wir den Aschyk festgenommen hatten. Hier war eine Treppe gewesen, welche in den Vorhof, wohin ich wollte, hinuntergeführt hatte. Jetzt war sie kaum noch zu erkennen, verwittert, zerbröckelt und mit allerlei Geröll ausgefüllt, aber für bedächtige Füße doch noch gangbar. Ich glitt mehr, als ich stieg, diese Steilung hinab und wand mich zwischen den Beerenranken hindurch, um zu Schakara zu kommen. Da sah sie mich. Sie deutete nach der entgegengesetzten Seite und sagte:

»Wärest du doch von daher gekommen; da ist es viel bequemer. Da findet man sich sogar des Nachts zurecht!«

Ich sah freilich, daß von dem breiten Steinbruchwege der Zugang zu diesem Vorhofe ein viel kürzerer und leichterer war. Das hatte nichts Auffälliges. Dennoch hielt ich ihre letzten Worte fest und fragte, als ich sie erreichte:

»Des Nachts? Weißt du das so genau?«

»Wie aufmerksam du bist und Alles gleich bedenkst!« antwortete sie, indem sie das Gefäß zu Boden setzte. Es waren wirklich Hubub darin. »Ich bin allerdings schon hiergewesen, des Nachts.«

»Allein?«

»Allein und doch nicht allein. Von unsern Leuten war Niemand hier, dafür aber Andere.«

»Wer?«

»Ja, wer das wüßte! Ich wollte dir es später sagen, weil du dich schonen sollst. Aber weil du nun einmal hier bist und auch gleich fragst, will ich es dir nicht länger vorenthalten. Du weißt, daß ich mich bei den Dschamikun befinde, um zu beobachten; was, das sage ich dir schon noch. Ich gehöre nicht zu den Frauen, welche vor der Nacht erschrecken und sich fürchten, wenn es dunkel ist. Wer nur das Gute will, braucht nirgends Angst zu haben. Und ich liebe grad das Sternenfirmament und den guten Mond, der so verschwiegen tut und doch so gern erzählt, wenn man ihn nicht verachtet.«

»Ich auch.«

»Auch du? Wieder ähnlich! Das war also der Mond, mein alter lieber Freund, der kam zu mir, als ich nicht weit vom Garten saß, und zeigte mir die magische Gewalt der alten Mauern, der man kaum widerstehen kann, wenn sie in seinem Glanze wie erzittern. Ich mußte mich erheben und mit ihm hier herüber. Wie kam es doch, daß er mich grad bis dort zur Ecke führte, wo der Gedanke auf mich wartete, mich in den tiefen Schatten hinzusetzen? Der Abend war so schön. Er wartete auf seine Mitternacht. Und als sie kam, floß silbern ihr Gewand, und auf dem Haupte trug sie alle Sterne. Doch hinter ihr kroch leise es heran, verstohlen, heimlich, jeden Laut vermeidend, fast so, wie ich mir ein Gewissen denke, das sich durchs Leben nur noch schleichen kann. Es waren Menschen. Sie kamen nicht zusammen, sondern einzeln. Dort von dem breiten Pfad nach hier herüber und huschten alle nach der engen Tür, in welcher sie verschwanden. Der Letzte kam nach einer längern Pause. Sein Angesicht war schwarz; wovon, das konnte ich nicht sehen, weil ich so fern von seinem Wege saß. Er war sodann der Erste, der, wie mir schien, nach einer halben Stunde den Bau verließ und nach den Brüchen ging. Nach wieder einer Pause erblickte ich den Nächsten, der ihm folgte. Sie kamen allesamt zurück, doch ebenso vereinzelt wie vorher. Ich hatte sie gezählt und schlich dem Letzten nach. Er stieg nicht ganz hinunter. Er wandte sich zur Seite, um den Duar herum, als ob er ihn vermeiden müsse und doch hinüberwolle nach dem See. Das lenkte meinen Blick hinaus ans Wasser. Ich habe scharfe Augen, und günstig war mir meines Freundes Licht. Ich sah, daß Reiter sich von dort entfernten, genau so einzeln wie die Fremden hier.«

»Hat sich diese Beobachtung später wiederholt?« fragte ich.

»Nein. Ich sah es nur einmal.«

»Wieviel Personen waren es?«

»Sechs, mit dem Letzten.«

»Kannst du dich vielleicht auf den Tag besinnen?«

»Sehr genau. So Etwas merkt man sich. Am nächsten Montag werden es vier Wochen.«

»Sprachst du mit irgend Jemand schon davon?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Ich schwieg, weil das mit meinem Zweck zusammenhängt, doch dachte ich sehr oft darüber nach. Ich wollte an demselben Mondestag mich wieder dorthin an die Ecke setzen, um zu erfahren, ob sie kommen würden.«

»Schakara!« rief ich da aus.

»Was, Effendi? Worüber bist du so überrascht?«

»Daß du so deutlich ahnst! Daß das in dir so klar am Tage liegt, was ich aus der Verborgenheit mit aller Mühe zerre! Du sollst die Seele sein und bist sie wirklich! Dschanneh, Dschanneh, die sicherer empfindet und überzeugender das Ferne schaut, als es dem Geist, dem stolzen, möglich ist!«

»Dschanneh?« fragte sie. »Hast du dieses Wort von Marah Durimeh gehört? Es ist mein Kosename. So nannte sie mich stets, wenn sie mich zärtlich, lobend an sich zog und mir das Haar mit Mutterlippen küßte.«

»Wirklich? Wirklich? Kosename? Mein Kind, wenn Marah Durimeh in solchem Augenblick dir einen Namen gibt, so liegt in diesem Kosen tiefste Wahrheit. Man ruft dich "Schakara", damit du "dankbar" seist. Wofür? Nicht nur Dschanneh zu heißen, es wirklich auch zu sein!«

»Ich verstehe dich nicht, Effendi, und doch fühle ich, daß du nichts Falsches sagst. Ich sprach von meiner Wiederkehr nach jener Ecke dort. Ich wollte gern erfahren, ob sich in dieser Mäjmä-i-Yähud vielleicht ein –«

»Mäjmä-i-Yähud?« unterbrach ich sie schnell. »Sonderbar, höchst sonderbar! Wie kommst du auf diesen Namen für grad diese Etage?«

»Ich weiß es nicht. Ich halte sie dafür. Das kommt mir so empor und auf die Zunge!«

»Ja, ich verstehe. So muß es sein! Du ahnst und darfst nicht ahnen! Dschanneh, Dschanneh, das unbewußte Wissen! Wir gehn gleich jetzt nach dieser deiner Ecke und setzen uns dort nieder. Ich habe zu erzählen. Du wirst sie kommen sehen, am hellen Tageslicht, die Schatten alle und zuletzt die Männer, die du des Nachts damals gesehen hast.«

Wir gingen hin. Es gab jetzt nicht Mondes- sondern Sonnenschatten dort. Ein großer, niedriger Stein lag da; der diente uns als Bank. Ich begann meinen Bericht da, wo ich am Tigris die Sillan belauscht und zum ersten Male das Wort Mäjmä-i-Yähud gehört hatte, und berichtete ihr Alles, was dann geschehen war und bestimmt zu sein schien, grad mich, den Fremden, den eigentlich ganz Unbeteiligten, als den gefährlichsten Feind der Schatten heranzuziehen. Sie hörte still zu, ohne Unterbrechung, wie das so ihre liebe, verständige Weise war. Als ich geendet hatte, holte sie tief Atem und sagte:

»Effendi, liegt nicht in dem Allen ein fester, zielbewußter und sicher vorwärtsschreitender Wille? Kein Fatum, kein Kismet, sondern eine Führung, eine Oberleitung, welche zwar dich erkoren hat, ihre Absichten auszuführen, aber dir doch jeden möglichen Spielraum für deine eigenen Gefühle, Gedanken und Entschlüsse läßt? Wer hat dies angeordnet, und wer sind all die Guten, Mächtigen, die dich in jeder Not beschützen und stetig dafür sorgen, daß deine Augen immer weiter und immer klarer sehen dürfen? Du gehst den Weg, den du den deinen nennst; er ist es auch, jedoch zugleich der ihre. Weich ja nicht von ihm ab! Laß dich nicht auf die Pfade Anderer hinüberlocken! Du würdest diesen starken Schutz verlieren und nicht Gebieter, sondern Sklave sein! Das ist dieselbe Führung, die auch mich, sobald du kamst, zum hohen Hause brachte. Das sehe ich jetzt ein. Wir reichen uns die Hände, zum Heil der Dschamikun. Und nun ich dieses weiß, kann ich jetzt offen sprechen: Hast du Zeit, Effendi?«

»Für meine Seele stets. Das bist du ja – Dschanneh!«

»Wie mich das freut, daß dieser liebe Name mir auch aus deinem Brudermunde klingt! Du weißt, daß ich von Marah Durimeh beauftragt bin, im Stillen hier zu forschen. Der Ustad sollte zwar nichts davon wissen, doch aber dann das Resultat erfahren. Du ahnst es nicht, wie weit sie blickt, die hohe Frau im ärmlichen Gewande! Und ihre scheinbar schwache, kleine Hand, wie ist sie doch so mächtig, wenn es gilt, den Guten zu bewahren vor dem Bösen! Sie kennt die Schatten, kennt auch ihr Gebahren und läßt sie nicht aus ihrem scharfen Auge. Für diese Gegend hier soll ich dies Auge sein. Darum mein stilles Wandeln überall und auch mein Forschen hier in den Ruinen.«

»Sogar des Nachts! Hast du denn wirklich keine Furcht?« fragte ich.

»Furcht? Fürchtest du dich wohl, Effendi?«

»Nein.«

»So sag, warum soll die Seele Angst haben, wenn nicht einmal der Geist sich ängstiget? Kennst du denn diese beiden noch so wenig, daß du wohl ihn für riesenstark, doch aber sie für hilfsbedürftig hältst? Ich bitte dich, glaub an das Gegenteil! Denk an die Seele deines eignen Volkes! Laß alle, alle Geister Eurer Weltgeschichte sich gegen sie, die Wunderbare, wappnen, was wird sie tun? Nur lächeln? Angst aber gibt es nicht! Vor wem denn auch?! Du weißt es ja, ich wollte wiederkommen, um jene sechs Geheimen zu belauschen, was jedenfalls nicht ganz gefahrlos wäre, und doch ist mir dabei nicht eingefallen, an Furcht auch nur zu denken. Ich ging am Tag nach der erwähnten Nacht dann wieder her, die Spuren zu betrachten. Sie führten in das Allerheiligste, wo man gesessen hatte, doch jeden Falles zu Beratungszwecken.«

»Sahst du noch Weiteres?«

»Nein.«

»Wo liegt das "Allerheiligste", von dem du eben sprachst?«

»Es ist der zweite Raum durch jene schmale Tür.«

»Ich bitte dich, ihn mir zu zeigen.«

»Jetzt?«

»Ja.«

»So warte! Es ist vollständig dunkel drin; ich aber hole Licht.«

»Im Hause drüben?«

»Nein. Ich habe Kerzen hier versteckt, weil ich sie öfters brauche.«

Sie entfernte sich, kam jedoch schon nach kurzer Zeit wieder. Ihr Versteck lag also in der Nähe. Wir gingen nach der erwähnten, schmalen Tür. Von weitem sah es so aus, als ob der Gestrüpphaufen vor derselben ganz undurchdringlich sei; aber er war an der Mauer hin so vollständig niedergetreten, daß man gut passieren konnte. Und das schien gar nicht selten zu geschehen!

Als wir eingetreten waren, befanden wir uns in einem quadratischen, hohen Raume, welcher drei Türöffnungen besaß, natürlich ohne Türen. Durch die eine waren wir gekommen. Links führte die zweite in einen langen, schmalen Saal, grad vor uns die dritte in das Allerheiligste. Auch rechts war eine Tür gewesen, aber schon längst vermauert worden. Ich habe diese Etage zweistöckig genannt. Von außen schien sie es zu sein, der untere Stock ohne, der obere mit Fenstern, schmale, wagerecht liegende Lichtlöcher, wie man sie in Deutschland zuweilen an alten Scheunen sieht. Von einer Innenbeleuchtung durch die Sonne hatte da keine Rede sein können. Die Versammlungshalle, in welcher wir uns befanden, ging durch beide Stockwerke. Die Decke wurde durch eine einzige, überaus starke Mittelsäule getragen, welche aus einem großen, steinernen Wasserbottich zu steigen schien, der jetzt natürlich aber trocken war. Hatte man sich in diesem steinernen »Meer« gereinigt, wie später in dem gegossenen? Der Boden bestand aus großen Platten, die aber vor Schmutz nicht zu sehen waren.

Wir brannten eine Kerze an und gingen nach der gegenüberliegenden Tür, um in das Allerheiligste zu treten. Wie war Schakara zu diesem Worte gekommen? Kannte sie die Bibel? Diese Abteilung war kleiner und niedriger als die vordere und vollständig fensterlos. Es gab da eine schwere, schlechte Luft. Drei Wände waren kahl; die hintere nicht. Dort stand Etwas, was ich für einen Altar hielt. Ein Israelit hätte es wahrscheinlich für eine Nachbildung oder gar für das Uroriginal der Bundeslade gehalten. Und darüber zog sich, so breit wie diese Hintermauer war, eine Art von Empore hin, zu welcher früher eine Treppe geführt hatte, die aber nicht mehr existierte. Man sah die Stellen noch, wo die einzelnen Stufen an die Seitenwand gestoßen hatten. In der Mitte sahen wir dreimal drei steinerne, einst für die Priester bestimmte Sitze. Auch hier bestand der Boden aus Platten. Der auf ihnen liegende Schmutz war noch größer als draußen.

Schakara bewies mir, daß die sechs fremden Männer auf diesen Steinen gesessen hatten. Wir sahen die Stellen, wo die Talglichter, die sie mitgehabt hatten, festgetropft und dann wieder losgerissen worden waren. Der zurückgebliebene Talg war noch so sauber, daß diese fettigen Flecke nicht über vier Wochen alt sein konnten. Und als wir genauer suchten, fanden wir ähnliche, aber viel ältere Flecke in Menge. Das stimmte ganz genau mit dem, was wir wußten und was wir uns dachten.

Nun nahm ich Schakara das Licht aus der Hand, um nach weiteren Spuren zu suchen. Sie konnte hierin doch nicht die Erfahrung besitzen, die ich hatte. Ich fand nichts, als menschliche Fußstapfen. Aber endlich, als ich eben aufhören wollte und in die letzte, hintere Ecke leuchtete, sah ich einen andern Eindruck im tiefen, mehligen Staube. Das war von keinem Fuße, sondern von einer starken Stange oder etwas Aehnlichem, welche hier eingestoßen und oben an die Empore gelehnt worden war. Und gar nicht weit davon lagen zwei losgebrochene, kurze Holzästchen, die ich aufhob und aufmerksam betrachtete.

»Warum so nachdenklich, Effendi?« fragte Schakara. »Zwei Stückchen Holz, weiter nichts! Wer weiß, wie sie hierhergekommen sind!«

»Wer? Ich weiß es. Und – weiter nichts, sagst du? Es ist viel, sehr viel! Als ich diesen Raum sah, in welchem die Päderan ihre geheimen Versammlungen abhalten, dachte ich sogleich daran, in welcher Weise man sie belauschen könne, wenn sie Montag wiederkommen. Man müßte vorher da hinauf auf die Empore steigen. Das war mein Gedanke. Jetzt sehe ich, daß ich nicht der Erste bin, dem dieser Einfall gekommen ist. Sie sind schon belauscht worden.«

»Von wem?«

»Das sagen mir diese beiden Aestchen leider nicht. Man hat eine Leiter oder wenigstens eine Stange gebraucht, um die Empore zu erreichen, aber keines von beiden gehabt. Darum ist man in den Wald gegangen, um sich ein passendes Baumstämmchen zu holen. Die Aeste wurden abgeschnitten. Einige dürre Zweigreste aber blieben. Das stemmte man hier unten in den Boden und legte es oben an. Beim Hinaufklettern wurden die beiden Aestchen abgebrochen. Sie und das Loch hier verraten mir das. Wenn man in dieser Weise hinaufklettert und die Stange nach sich zieht und sie lang niederlegt, kann man fast sicher sein, nicht entdeckt zu werden.«

»Das leuchtet mir ein, Effendi. Wer mag wohl der Betreffende gewesen sein?«

»Ein Dschamiki keinesfalls, denn ein solcher hätte es nicht nötig gehabt, zu einem solchen Behelfe zu greifen.«

»Kein Dschamiki –!« sagte sie nachdenklich. »Effendi, da fällt mir Etwas ein. Ich habe eine solche ganz roh zugeschnittene Stange gesehen.«

»Wo?«

»Droben in dem Quaderturme, wo Ihr den Aschyk ergriffen habt.«

»Wann?«

»An dem Morgen, an welchem ich hier nach diesen Spuren suchte. Ich ging dann durch die obere Etage, auch in den Turm. Da sah ich ein Fichtenstämmchen liegen, ganz so, wie du es beschrieben hast. Auch die Länge stimmt. Ich dachte, ein Dschamiki sei hier gewesen; darum fiel es mir nicht auf. Am Nachmittage kam ich wieder hin; da war es weg.«

»Ah der Aschyk! Er! Er belauschte die Päderan! Also gehört er nicht zu ihnen! Falls er ein Sill ist, ist er nur ein gewöhnlicher! Hat er dem Scheik ul Islam hierüber zu berichten? Oder tut er es nur, weil er zu den Sillan gehört, die sich gegen ihren Aemir empören wollen? Es gilt, nicht allzu schnelle Schlüsse ziehen. Wir haben ja Zeit, hierüber nachzudenken. Komm!«

Wir gingen. Draußen wendeten wir uns nach der dritten Tür, die nach dem langen, schmalen Saale führte. Wir fanden nichts Auffälliges. Aber als wir an sein Ende kamen, gab es keine Wand, sondern einen Schutthaufen, der nicht ganz bis hinauf zur Decke reichte.

»Schakara!« rief ich laut und verwundert aus. »Mein Traum, mein Traum! Das ist das Geröll, ganz genau das Geröll, von welchem herunter mich der "Zauberer" beobachtete! Mich dünkt, ich müsse seinen Kopf da oben erscheinen sehen. Das ist doch sonderbar!«

»Sonderbar?« fragte sie. »Effendi, Effendi, du weißt wirklich noch gar nicht viel von deiner Seele! Und doch seid Ihr auf Euer Müdschewwedet so stolz! Suchst du nicht auch nach der Treppe, auf welcher du im Traum hinaufgestiegen bist zum Schatten an der offnen Tür?«

»Die liegt drüben auf der andern Seite, die zugemauert ist.«

»So laß dort öffnen, und ich bin überzeugt, daß sie vorhanden ist!«

»Das werde ich wohl tun, jedoch zu seiner Zeit. Jetzt möchte ich hinaus, nur wieder an die Sonne! Aber warte; da fällt mir Etwas ein. Da hinter diesem Schutt geht es ja tief hinunter in das Wasser, wo der Aschyk ist. Ich muß ein Lebenszeichen von ihm haben!«

Ich kletterte hinauf. Sie folgte mir sogleich, indem sie mein Gewand ergriff.

»Um Chodehs willen, stürze nicht hinab!« warnte sie.

»Keine Sorge! Ich bin vorsichtig!«

»Ich halte dich dennoch und lasse dich nicht los! Stürzest du, so gehe ich auch mit unter!«

»Das ist Dschanneh, Dschanneh, die Seele, die mit dem Geiste steigt und mit ihm fällt!«

Der Haufen war oben breit und fest, doch nahm ich mich in Acht. Schakara hielt mich trotzdem noch fest. Ich atmete hier eine feuchte Luft. Die Decke über mir war von Schimmel überzogen. Nun rief ich laut, wieder und wieder. Nach dem dritten Male kam Antwort, aber was für eine! Es war, als ob da unten hunderte von Stimmen zeterten und brüllten, eine Folge des vielfachen Widerhalles. Verstehen konnte ich nichts. Doch genügte es ja, zu wissen, daß er noch lebte und nicht vom Steine herabgeglitten und ertrunken war. Ich kroch also zurück und stieg hinab zum festen Boden. Da wischte Schakara sich den Schweiß von der Stirn und bat:

»Effendi, nie, nie wieder so etwas Fürchterliches! Das mußt du mir versprechen!«

»Ich denke, du hast weder Furcht noch Angst?« antwortete ich.

»Nur um mich selbst! Für Andre aber kann und muß ich zittern! Komm schnell hinaus! Ich muß dich draußen sehen!«

Sie zog mich fort und gab mich erst dann wieder los, als wir den Vorhof erreicht hatten. Sie konnte nicht anders; es lag in ihrem Wesen. Nun atmete sie auf, tief und froh, und sprach:

»Da drin sah ich nichts als den Untergang, als das Verderben! Die Zeit ist da; es kracht schon überall! Hier aber stehe ich im klaren Sonnenlicht und sehe schon von fern die Hilfe kommen. Im Osten sind bereit die Kalhuran, und dort, wo sich die höchsten Berge öffnen, erscheint die Hilfe Marah Durimehs. Ich brauche ihr das Zeichen nur zu geben, so sendet sie die kampfgewohnten Scharen, die sie bereit hält gegen unsre Feinde.«

»Sie hält Hilfe bereit?« fragte ich schnell. »Das wäre ja köstlich für uns! Sie ist also überzeugt gewesen, daß es zum Kampfe kommt?«

»Ja. Und sie hat sich vorbereitet. Ihr sollt Euch auf den Schah-in-Schah verlassen, ja. Er hat euch lieb und ist der Herrscher dieses Reiches. Aber die, welche sich seine "Hohen" nennen, verwandeln seine Liebe unterwegs in Haß und spiegeln aller Welt die große Lüge vor, er habe ihnen die Gewalt gegeben, die doch nur er allein besitzen kann. Der Ungehorsam schließt sich ihnen an und macht sie scheinbar stark, dem Herrn zu widerstehen. Wer still des Herrschers gute Wege wandelt, wird angefeindet, möglichst unterdrückt. Wer aber sich vor jenen "Großen" beugt, aus Dummheit, oder auch des Vorteils wegen, den unterstützen sie auf jede Art und Weise. Der Schah ist gütig, aber auch gerecht. Er straft nicht gleich. Doch kommt dann seine Zeit, so fällt das Wort, das wie ein Hammer schmettert. Der kluge Untertan greift ihm nicht vor. Die Trägheit nur braucht immerwährend Hilfe. Für Jeden aber, der Charakter hat, ist es wohl Mannesseligkeit, zu wissen, daß er sich füglich selber helfen könne. Effendi, komm; Charakter ist vorhanden! Wir greifen gern mit eignen Händen zu. Und wenn der Schah das sieht, wird er sich freun. Denn darin grad, daß wir es selbst vollbringen, liegt seine größte Macht: direkte Volkesliebe!«

Sie hatte sehr ernst gesprochen. Nun nahm sie das Gefäß auf und fügte mit herzlichem Lächeln hinzu:

»Diese Beeren pflückte ich für dich und den kranken Hadschi. Natursäfte! Besser als Alles, was die Kochkunst unverständig mischt!«

»Gib sie ihm alle, Schakara! Ich habe Charakter und pflücke mir jetzt selber!«

Da verwandelte sich ihr Lächeln in jenes kurze, wohlklingende Lachen, welches ich so gern von ihr hörte.

»So gehe ich voran,« sagte sie. »Hanneh weiß, daß ich komme.«

Ich blieb noch eine ganze Weile, um mir die großen, weißen Himbeeren schmecken zu lassen. Da hörte ich meinen Namen rufen. Als ich mich umdrehte, sah ich Kara Ben Halef, welcher an der schon einmal erwähnten Mauerstelle herabgeklettert und dann auf mich zugeeilt kam.

»Sihdi, ich bringe dir Besuch, sehr hohen Besuch,« sagte er.

»Wen?«

»Das darf ich dir nicht sagen.«

»Woher?«

»Auch das soll ich verschweigen. Du sollst selbst kommen und sehen.«

»Etwas Gutes?«

»Sehr, sehr!«

Da ich jetzt noch nicht klettern wollte, gingen wir zum Glockenweg hinauf. Unterwegs erzählte mir der junge Hadeddihn:

»Ich machte meinen Uebungsritt, dieses Mal nach dem Hasenpasse. Da kam mir ein Reitertrupp entgegen, bei dem sich einer der Dschamikun befand, die mit dem Ustad fortgeritten sind. Der Anführer war ein sehr vornehmer Perser. Er wußte, daß der Ustad verreist ist, und fragte nach dir; er habe dich zu besuchen. Ich kehrte selbstverständlich mit ihnen um und bin soeben angekommen. Er hat mit Schakara gesprochen und auch mit dem Pedehr. Beide beeilten sich sofort, die obere Etage des Wartturmes aufzuschließen, wo sich einige Stuben für besondere Gäste befinden. Da soll er wohnen. Jetzt ist er in der Halle.«

»Wieviel Dienerschaft?«

»Nur drei Stallburschen für die Pferde.«

»So ein vornehmer Herr? Und in dieser unsichern Gegend!«

»Für seine Sicherheit hatte er gesorgt. Es hatte ihn eine Schar von Kalhuran bis an den Paß begleitet und war dort von ihm entlassen worden. Es sind im ganzen acht Pferde, vier zum Reiten, drei für das Gepäck und ein lediges, welches wertvoll zu sein scheint, denn es ist ganz und gar in einen Anzug geschnallt, der nur die Hufe, die Nüstern und die Augen sehen läßt. Sogar der Schweif ist sorgsam eingewickelt, in einen leichten, dünnen Schleierstoff, wie vornehme Damen ihn vor dem Gesicht tragen. Ist das nicht sonderbar?«

»Hiernach scheint das Pferd allerdings von größtem Wert zu sein. Wir werden ja sehen!«

Als wir in den Hof kamen, befanden sich die Pferde schon nicht mehr da. Sie waren einstweilen in das Gewölbe gebracht worden, in dem sich die gefangenen Soldaten befunden hatten. Ich ging in die Halle. Da saß der Fremde mit dem Pedehr. Er trug einen persischen Reiseanzug. Als er mich kommen sah, sprang er auf. Er erkannte mich und ich ihn.

»Dschafar!« rief ich aus.

»Mein Retter!« klang es aus seinem Munde.

Dabei eilte er auf mich zu, schlang die Arme um mich und küßte mich fünf, sechs, acht mal, auf den Mund, auf die Stirn, auf die Wangen, wohin er nur gleich kam! Ich war damals in den Vereinigten Staaten zuweilen etwas streng gegen ihn gewesen; das schien er aber vollständig vergessen zu haben. Er strahlte förmlich vor Freude; die meinige war ebenso herzlich, aber stiller, und doch dauerte es längere Zeit, bis alles schnell fragende Hin und Her vorüber war und wir uns niedersetzten. Der Pedehr war so vernünftig, zwei Hukah's kommen zu lassen. Das Rauchen derselben und das stete Bemühen, sie nicht ausgehen zu lassen, zwang uns zum ruhigeren Gespräche. Da wir uns jetzt nicht im »wilden Westen« sondern im innersten Oriente befanden, nannten wir uns nach der Sitte dieser Gegend sofort du. Sonderbarer Weise schien er um keinen Tag gealtert zu sein, und von mir behauptete er, daß ich jetzt jünger aussehe als damals. Der persischen Anstandslehre zu gehorchen, hielt ich ihm gegenüber nicht für nötig. Man hat geduldig zu warten, bis dem Andern die ersehnte Mitteilung beliebt. Das fiel mir aber gar nicht ein. Ich fragte ihn sehr einfach, woher er wisse, daß ich mich hier bei den Dschamikun befinde. Da sah er mich kopfschüttelnd an und fragte:

»Hast du denn nicht gewußt, daß ich ein Bekannter des Ustad bin?«

»Doch!«

»Und da hast du dir nicht gedacht, daß es sein Erstes war, mich zu benachrichtigen, als du hier angekommen warst? Ich hatte erzählt, was ich dir zu verdanken habe, und wie sehr ich wünsche, dich einmal wiederzusehen! Er hat mich wiederholt über dein Befinden unterrichtet, dir aber nichts davon sagen dürfen, weil ich dich hier überraschen wollte. Nun bin ich endlich da! Und habe dich zu grüßen! Von wem?«

»Nun?« fragte ich.

»Vom Schah-in-Schah.«

»Von – dem?!« rief ich erstaunt aus.

»Da gibt es doch nichts zu verwundern! Es ist vielmehr sehr einfach! Ich erzählte ihm von dir. Und nicht nur einmal, sondern öfters. Du hieltest mich da drüben in Amerika für einen Unwissenden, einen unvorsichtigen Träumer. Aber –« fügte er mit seinem Lächeln hinzu – »diese Träumerei war Tebdil, war Haßlama, obgleich ich zugebe, daß ich die Verhältnisse allerdings nicht kannte, sondern sie erst studieren wollte und mir dabei zuviel zugetraut hatte. Meine Aufgabe war – doch davon vielleicht später! Kurz, der Schah lernte dich aus meinen Erzählungen kennen, und nicht bloß kennen, sondern mehr. Er erfuhr Alles, was ich von dir wußte. Und kürzlich stellte sich auch noch ein Anderer ein, der ihm noch mehr als ich von dir erzählen konnte. Das war ein Engländer, welcher David Lindsay heißt und –«

»Lindsay ist in Isphahan?« unterbrach ich ihn schnell.

»Nicht mehr, sondern schon wieder fort.«

»Wohin?«

»Zunächst nach Jesd hinüber, so viel ich weiß. Dann will er hierher, um mit dir weiter zu reisen. Ich glaube aber nicht, daß er dazu kommen wird. Ein Verwandter, der bei ihm ist, nämlich ein General, aber kein Original, hat ihn so in Beschlag genommen, daß du wohl kaum hoffen darfst, deinen sonderbaren Freund jetzt wiederzusehen. Er wurde mir vorgestellt und erzählte mir von dir, aber so viel und so interessant, daß ich ihn bat, mich zu besuchen. Ich machte den Schah auf ihn aufmerksam. Die Folge war ein sehr unterhaltender Abend zu Dreien. Der Gegenstand des Gespräches waren seine Reisen mit dir und die Absichten, welche du mit diesen Reisen verbindest. Du wirst wissen, daß der Schah Bücher schreibt. Auch ich bin Schriftsteller. Man nennt mich sogar Dichter. Da ist es begreiflich, daß er sich sehr lebhaft für dich interessierte und sich freute, dich jetzt hier in seinem Lande zu wissen. Als er erfuhr, daß ich dich besuchen werde, gab er mir seine Grüße mit und außerdem noch zweierlei. Ueber das Eine wirst du dich freuen, denn es ist ein Zeichen seiner Huld. Das Andere aber ist etwas so Eigentümliches, daß es dich wahrscheinlich befremden wird. Ich bin nicht ermüdet, bedarf also nicht der Erholung von dem heutigen Ritte und halte es darum für das Beste, mich dieser beiden Aufträge sofort zu entledigen. Hast du Zeit, Effendi?«

»Ja.«

»So komm mit mir jetzt dorthin, wo ich wohnen werde!«

Wir gingen nach dem Turme, zwei steinerne Stiegen hinauf. Die Reitknechte hatten das Gepäck bereits heraufgebracht. Es war Niemand da als Schakara, welche ordnete. Sie wollte sich sofort entfernen, ich bat sie aber, zu bleiben. Während er eines der Pakete öffnete, trat ich an das Fenster. Es gab hier eine fast ebenso schöne Aussicht wie drüben bei mir.

Nun war das Paket aufgemacht, und er begann, auszulegen. Ich sah eine lange, weite Sirdschameh von kostbarer, blauer Seide, ein weißseidenes Pirahen, ein Alkalok von feinster, dunkelblauer Baumwolle, mit engliegenden, silbernen Knebeldressen, eine ebensofarbige Käba aus dünner, aber unverwüstlicher Kaschamira, einen wenigstens sechs Meter langen Kemär, fast spinnwebenfein, als Gürtel um den Leib zu winden, eine Dschubbeh mit köstlichem Pelzwerk verbrämt, eine hohe, schwarze Lammfellmütze von jener Art, die nur ein Kaiser verschenken kann, ein Paar Pantoffel, ein Paar Schuhe und ein Paar Reitstiefel von weichstem Gazellenleder.

Schon die Bibel spricht von »Feierkleidern«, welche die Könige verschenkten. Es ist das eine orientalische Sitte, die man in einigen Ländern bis heute beibehalten hat. Besonders liebte es der Schah, in dieser Weise seine Gunst zu zeigen.

»Schau her!« forderte mich Dschafar auf. »Dieses Ehrenkleid habe ich dir vom Beherrscher zu überbringen. Es wurde von ihm eigenhändig ausgewählt, nachdem ich ihm deine Gestalt beschrieben hatte. Aus den Stoffen magst du ersehen, ob diese Ehrung eine gewöhnliche ist oder nicht. Du bist gewohnt, tiefer zu blicken. Ich weiß, daß dieser Anzug für dich mehr bedeutet, als er für einen Andern sein würde. Allah gibt seinen Geistern verschiedene Gewänder, scheinbar schöne und scheinbar häßliche. Man nennt sie alle "Leib". Vor ihm ist nur das Schlechte häßlich und nur das Gute schön. Nur auf den Menschen kommt es an, ob er die Kleidung würdigt oder nicht!«

So Etwas hatte ich ja ganz unmöglich erwarten können! Meine Freude wurde verdoppelt, als Dschafar ein zweites Paket öffnete, welches einen ähnlichen Anzug für meinen Hadschi Halef enthielt. Ich sah den braven Freund schon jetzt im Geist in Wonne schwimmen! Das war ja noch nie, noch nie passiert, daß ein Hadeddihn vom Schah-in-Schah geehrt worden war, und noch dazu in dieser Weise!

Es ist nicht meine Art, den Dank, den ich gern still empfinde, in viele laute, wohlklingende Worte zu kleiden. Ich verstand die beiden Geber des Geschenkes, und Dschafar verstand auch mich, obwohl ich nur wenig sagte.

»Und nun das Zweite, das Sonderbare!« begann er wieder. »Ich lenkte meinen Ritt hierher zunächst nach dem Schlosse Mihribani, wo sich der Herrscher jetzt befindet. Eine Tagesreise, nachdem ich es verlassen hatte, traf ich mit dem Ustad zusammen, der zu ihm wollte. Er bat mich, zu warten und dann mit ihm zu reiten, wenn er zurückkehren werde; ich ging aber nicht hierauf ein. Bei dieser Gelegenheit erzählte er mir Vieles, wenn auch nicht Alles, was hier geschehen ist. Ich erfuhr auch, daß du von Syrr gehört hast, dem angeblichen Geschenk des Schah-in-Schah, dem rätselhaften Pferde. Ich bitte dich, mir mitzuteilen, was du jetzt von ihm weißt!«

Ich sagte ihm, was ich über Syrr erfahren hatte; es war nicht viel und klang ziemlich dunkel.

»Man hat dir Wahres und Falsches berichtet,« sagte er dann. »Es war ein köstlicher Gedanke vom Beherrscher, sein bestes, grad sein allerbestes Pferd ganz im Verborgenen und ohne jeden Zeugen so zu schulen, wie es mit Syrr geschehen ist. Es trägt nur ihn allein. Zu dem alten Kunststück mit dem Abwerfen Anderer ist es zu gut, zu edel. Aber es gehorcht eben nur dem Schah-in-Schah. Setzt sich ein Anderer auf, so bleibt es eben stehen. Am Zügel führen läßt es sich, reiten aber nicht. Damit es nicht durch seine vielen Stallbediensteten und die Mucken anderer Pferde verdorben werde, hat er es zu mir getan, wo es nicht belästigt wird. Mein kleiner aber schöner Stall steht fast ganz leer, und weil ich nicht das bin, was man einen »Reiter« zu nennen pflegt, ist Syrr nicht der Gefahr ausgesetzt, daß ich ihn behellige. Ich habe ihn also nicht geschenkt bekommen; dieses Gerücht ist falsch. Wenn der Herrscher ihn braucht, kommt er zu mir und stellt ihn dann auch selbst wieder ein. Aber er ist keineswegs dagegen, sondern es macht ihm vielmehr Spaß, wenn angebliche Reitvirtuosen mich bitten, beweisen zu dürfen, daß Syrr ihnen gehorchen müsse, er möge wollen oder nicht. Es ist noch Keiner dagewesen, der dies fertiggebracht hat, sondern es hat ein Jeder mit Beschämung abziehen müssen, weil er das Geheimnis zwischen dem Schah und diesem Pferde nicht entdecken konnte. Du schaust mich an, Effendi. Du lächelst. Glaubst du etwa, daß du es entdecken würdest?«

»Es käme auf eine Probe an,« antwortete ich.

Da fiel er rasch ein:

»Die sollst du machen!«

»Wann?«

»Wann es dir beliebt!«

Da sah ich ihn freilich noch ganz anders an als vorher.

»Dschafar!« rief ich aus. »Ich hörte, Du habest ein vollständig verhülltes Pferd mitgebracht. Soll ich etwa gar vermuten, daß –«

Ich empfand es als Wagnis, den begonnenen Satz auszusprechen. Er aber lachte fröhlich auf und tat es an meiner Stelle:

»Daß dieses Pferd der Syrr des Herrschers ist? Ja, er ist es. Ich habe ihn mitgebracht.«

Da sagte ich kein Wort. Ich war fast erschrocken. Dann kam mir die Sprache wieder:

»Welche Kühnheit von dir! Was wird der Schah-in-Schah tun, wenn er es erfährt! Er stellte den Syrr bei dir ein, damit er unbelästigt bleibe, und du schleppst ihn so viele Tagereisen weit hierher zu uns, allen, allen den Gefahren ausgesetzt, vor denen dieses kostbare Pferd grad durch dich bewahrt werden sollte!«

Nun lachte er noch herzlicher als vorher und antwortete:

»Eine Strafrede statt des Lobes! Du bist ja förmlich zornig, Effendi! Aber ich nehme das als gutes Zeichen und will dich beruhigen. Wisse, daß ich nichts, gar nichts gewagt habe. Wir wurden, nämlich Syrr und ich, von einer Abteilung der Leibgarde bis zu den Kalhuran und dann von diesen Euren Freunden bis fast ganz hierher gebracht. Es konnte uns also unterwegs nichts geschehen. Und grad um das Pferd nicht anzustrengen, habe ich nicht auf den Ustad gewartet, sondern bin langsam vorausgeritten. Und wenn ich sage Leibgarde, so soll das heißen, daß ich es nicht ohne die besondere Erlaubnis des Beherrschers tat. Ja, er selbst ist es, der den Gedanken angeregt hat, Syrr mit nach hier zu nehmen!«

»So bin ich starr!«

»Starr? Ich werde dich sofort wieder lebendig machen, indem ich dir sage, daß ich den Syrr für Niemand bringe, als für dich allein!«

»Für mich? Sei ernst!«

»Ja, ja; für dich! Und das kam so: Daß du ein guter Reiter seist, das hatte ich erzählt, doch ist das nicht der Grund. Die Andern alle, welche nichts erreichten, hatten ja geglaubt, nicht nur gute, sondern sogar virtuose Reiter zu sein. Aber ich hatte auch von deiner Findigkeit gesprochen, von deiner Aufmerksamkeit für alles Tiefere und von deiner Liebe zu den Tieren. Lindsay erzählte so viel von dir und deinem Rih, dem herrlichsten Pferde der Hadeddihn. Der Schah erfuhr, wie du dich zu den Pferden und überhaupt zur Kreatur verhältst, und als ihm dein Sprung über die Verräterspalte und gar das gräßliche Wagestück berichtet wurde, daß du, vorn und links den Abgrund, rechts die Felswand, hinter dir die Feinde und unter dir den kaum vier Fuß breiten Stein, durch einige liebe Worte dein zitterndes Pferd bewegtest, sich vorn zu erheben, den halben Körper über der Tiefe, und langsam umzuwenden – da rief er aus, daß du es vielleicht sein könntest, dem Syrr außer ihm gehorchen würde, weil ein freundliches Wort von dir genügt habe, die Todesangst des Pferdes in ruhiges Vertrauen zu verwandeln. Und als er hörte, daß ich dich besuchen werde, ging er mit sich zu Rate, ob er mir den Syrr anvertrauen solle oder nicht. Ich selbst riet ihm ab, weil ich nicht glaubte, eine solche Verantwortlichkeit auf mich nehmen zu können. Aber grad mein Widerstand schien ihm die Gewähr zu bieten, daß das Pferd nicht nur daheim, sondern auch während dieser Reise in guten Händen sei, und so befahl er mir, es mitzunehmen. Ich sage, er befahl; so durfte ich mich nicht länger weigern.«

»Dschafar – Mirza – vor allen Dingen, wie soll ich dich titulieren?«

»Du nennst mich einfach Dschafar; ich will es so. Die Andern mögen immerhin Mirza sagen!«

»Ich danke dir! Nun wieder zu dem Pferde! Ich kann mir nicht denken, daß dir der Schah den köstlichen Syrr bloß aus reiner Neugierde anvertraut hat, nur um zu erfahren, ob es mir gehorchen werde. Es muß noch ein anderer, höherer oder tieferer Grund vorhanden sein.«

»Der ist auch da! Bezeichne ihn, wie du willst; ich nenne ihn psychologisch. Der Herrscher nannte es ein Problem, und zwar ein wichtiges Problem. Er ist nicht etwa neugierig, sondern gespannt! Das ist doch wohl ein Unterschied! Er sagte sogar, Syrr sei zwar unbezahlbar, aber keineswegs ein zu hoher Preis für die Lösung, doch wolle er warten, ehe er hiervon spreche. Effendi, Effendi, merkst du, was der Beherrscher will?«

»Ja.«

»So gieb dir Mühe!«

»Mühe? Dschafar, Dschafar! Mühe tut es am allerwenigsten; ja, sie würde nur verderben! Wenn mich das Pferd nicht gleich beim ersten Anblick liebgewinnt, brauche ich gar nicht zu probieren; es würde doch vergeblich sein. Sag mir, was frißt es wohl am allerliebsten?«

»Sein größter Leckerbissen ist ein Apfel.«

»Hat es irgend eine Untugend, welche zu schonen ist, wenn man es nicht erzürnen will?«

»Nein, keine einzige.«

»Irgend eine empfindliche Körperstelle, die man nicht berühren darf?«

»Auch nicht. Effendi, ich höre, du bist Kenner. Du fängst es richtig an, ganz anders als jene Virtuosen, die nur das Vieh im edlen Pferde sehen!«

»Nun, das liegt eben im Virtuosentum. Noch deutlicher im Wort Dressur! Liebt Syrr den Stall?«

»Nein. Das Freie ist ihm lieber, sogar des Nachts.«

»Hat er Eigenheiten in Beziehung auf das Wasser, auf das Futter?«

»Nicht daß ich wüßte.«

»So will ich die Probe wagen. Aber ich bitte dich um Eins!«

»Um was?«

»Von diesem Augenblicke an bin ich der Herr des Pferdes. Kein Mensch darf es ohne meine Erlaubnis berühren, auch du selbst nicht!«

Da wurde er ernst.

»Weißt du, was du da auf dich nimmst, Effendi?« fragte er.

»Alles!«

»Jeden Andern würde ich abweisen, denn das Pferd ist nicht mein, sogar den Ustad, den ich doch so kenne! Dir aber will ich vertrauen. Syrr sei dein Eigentum, natürlich nur für die Zeit meines Aufenthaltes hier. Bist du zufrieden?«

»Ja, ich danke dir!«

»So geh hinab zu ihm, indessen ich es mir hier wohnlich mache!«

Das war auch für Schakara das Zeichen, sich zu entfernen. Sie nahm mein »Feierkleid« mit, um es hinauf zu mir zu tragen. Halefs Anzug wollte Dschafar selbst überbringen.

»Denn ich kenne ihn aus Lindsays Erzählungen,« sagte er lächelnd. »Es hat höhern Wert für ihn, den Boten des Schah-in-Schah persönlich zu empfangen.«

Unten ging ich sofort in das Gewölbe, in welchem die Pferde standen. Die Reitknechte waren da.

»Weiß hier schon Jemand, daß Ihr den Syrr mitgebracht habt?« fragte ich.

»Nein,« lautete die Antwort. »Dschafar Mirza hat uns verboten, davon zu sprechen.«

»So verschweigt es auch weiterhin. Niemand soll es wissen. Jetzt ist er mein. Ich werde ihn selbst bedienen; es hat ihn von jetzt an kein Anderer zu berühren. Wie ist er gesattelt, wenn er den Schah-in-Schah trägt? Wohl Reschma?«

»Nein, sondern arabisch.«

»Wie verhält er sich zu andern Pferden?«

»Er mag sie nicht; er ist stolz; aber er tut ihnen nichts. Wenn sie ihm nahe kommen, geht er fort. Er hat sich noch von keinem berühren lassen, auch selbst noch keines berührt.«

»Kannst du das so genau wissen?«

»Ja, denn ich bin Dschydd und habe Syrr von Anfang an gepflegt.«

»So werde ich mich an dich wenden, wenn ich Etwas wissen will. Liebt er das kalte Wasser?«

»Es ist ihm sogar eine Wonne. Er lächelt froh, wenn man ihn wäscht. Der Beherrscher hatte ihn einmal mit am Narghis-See. Da war er noch jung und lief frei herum, das schönste Füllen, das es auf der Erde gab. Da war er fast gar nicht aus dem Wasser herauszubringen. Effendi, ich bitte dich, nimm ihn in Acht! Ich habe ihn so lieb!«

»Sei unbesorgt; er ist in guten Händen! In welcher Sprache redest du mit ihm? Persisch natürlich?«

»Nein nicht persisch, sondern meine Muttersprache. Ich bin ein Dschubeileh-Araber.«

Da ließ ich mir diejenigen Worte und Ausdrücke aufzählen, welche dem Syrr geläufig waren, und nahm ihn dann aus dem Gewölbe heraus, um ihn hinter nach der Weide zu führen. Schakara hatte den Anzug hinaufgebracht und kam jetzt wieder herunter. Sie war bei meinem Gespräch mit Dschafar zugegen gewesen, hegte das lebhafteste Interesse für das Pferd und bat mich, mitgehen zu dürfen. Als wir durch den Garten kamen, pflückte ich zwei Aepfel, einen gewöhnlichen Küchenapfel und einen edlen, nach Rosinen duftenden Sib-y-Kischmisch-Apfel. Jeden in einer Hand, hielt ich dem Pferde beide zugleich vor. Es faßte nicht etwa hastig zu, sondern es beroch sie mit Bedacht und griff dann zu dem duftenden. Da sagte Schakara:

»Effendi, das ist kein "Vieh". Es beherrscht den Appetit; es wählt; es folgt nicht der Gier, sondern dem prüfenden Sinne. Und schau, wie langsam es kaut, fast wie ein Mensch, der eine Delikatesse genießt. Ein anderes Pferd hätte schon längst nach dem zweiten Apfel gelangt. – Nun nimmt es ihn, fast leise, zögernd, als ob es dir einen Gefallen tun wolle, indem es nun auch den weniger guten frißt. Syrr ist edel, sehr edel. Ich habe ihn schon lieb!«

Sie klopfte ihm mit der flachen Hand den Oberschenkel, so, wie man Pferde kräftig zu liebkosen pflegt. Da hob er den einen Vorderfuß und zuckte mit dem eingewickelten Schwanze. Dieses »Klatschen« war ihm also unangenehm. Für mich ein wichtiger Fingerzeig! Als wir an die Quelle kamen, ließen wir ihn trinken. Er versuchte erst den Geschmack des Wassers und trank dann mit sichtlichem Behagen, zuweilen eine Pause machend, wie ein Weinkenner, der eine seltene Nummer nicht gleich hinunterstürzt. Dann führte ich ihn hinter in das Gras und begann, die Hülle aufzuschnallen. Da sah ich denn, daß Syrr auch ein Rappe war, aber was für einer! Ein Rappe mit Doppelmähne! Ohne das geringste helle Fleckchen! Der volle, vornehm getragene Schwanz reichte fast bis zur Erde nieder. Die Behaarung war seidenweich und biberfein, fast schwärzer noch als schwarz, aber die Spitze jedes einzelnen Haares wie in eine Brillanttinktur, in lichten Fluß getaucht und darum leise, aber doch ganz deutlich schimmernd. So Etwas hatte ich noch nie gesehen. Schakara schlug verwundert die Hände zusammen und rief aus:

»Ein Mischki en Nur! Das Märchen hat also Recht! Es gibt Rappen, welche dunkler sind als Kohle und doch wie Demant glänzen! Wenn die Alten am Lagerfeuer sitzen und von jenem Wunderpferd erzählen, welches des Nachts von Stern zu Stern galoppiert, um einen Geist zu suchen, der es reiten könne, so ist es stets ein Mischki en Nur. Der Glanz der Sterne wurde seinem Haar zu eigen; einen würdigen Reiter aber hat es bis heut noch nicht gefunden.«

Diese Spitzenfärbung war umso erstaunlicher, als sie sich nicht nur bei den kurzen Härchen des Körpers sondern auch bei den langen Haaren der Mähne und des Schwanzes zeigte. Wenn er den Letzteren bewegte, so war dieses leise Flimmern, um mich so auszudrücken, eine wahre Augenfreude. Aber nun erst die Gestalt, der Körperbau des Hengstes! Ich habe Rih beschrieben und auch Assil Ben Rih, seinen Sohn, zu beschreiben versucht. Das war ein Fehler. So wenig, wie man die Schönheit einer Blume, einer Frau, eines Kunstwerkes beschreiben kann, ebenso wenig läßt sich durch Worte eine Anschauung von der Schönheit eines Rassepferdes geben. Ich werde mich also hüten, meinen Fehler zu wiederholen, indem ich Syrr beschreibe. Zudem weiß ich sehr wohl, welche Vorurteile im Abendlande gegen den ächten Araber herrschen. Der Europäer bezeichnet den Beduinen als den größten Dieb und Lügner im Pferdehandel, verbreitet aber doch die »Lügen«, welche man ihm aufgehängt hat, und glaubt sie auch selbst! Die Beduinen wissen sehr wohl, was es heißt, wenn fremde Völker den Europäern ihre Schätze zeigen und ihnen erklären, worin der Wert derselben besteht. Die Folgen solcher Aufrichtigkeiten liegen allüberall so zu Tage, daß sie gar nicht zu übersehen sind. Wenn der größte Reichtum des Arabers in seinen edlen Pferden liegt, so fällt es ihm gar nicht ein, jeden Franken über Alles, was diese Pferde betrifft, bereitwilligst zu unterrichten. Die bösen Erfahrungen, welche Andere gemacht haben, zwingen ihn zu Ausflüchten, Täuschungen und Unwahrheiten, durch welche er zwar seinen Ruf verschlechtert, aber fremde Gelüste von sich weist. Was man in Büchern über das arabische Pferd zu lesen bekommt, ist häufig ein Beweis für diese Täuschungen. Selbst berühmte Hippologen behaupten in ihren Schriften, daß der Araber selten Rappen züchte, weil er die schwarze Farbe für ordinär halte, daß eine volle Mähne und ein voller, langer Schweif für häßlich gelte, und was dergleichen Dinge weiter sind. Hiernach wäre Syrr als ein unschönes, gemeines Pferd zu bezeichnen. Wenn ich höflich sein und dies als Wahrheit gelten lassen will, so muß ich begeistert hinzufügen, daß der Bau seines Körpers noch viel, viel häßlicher und gemeiner war als seine Farbe!

Ich trat ein Stück von ihm zurück, um diese herrlichen Formen zu betrachten, die jeden Kenner oder Pferdefreund entzücken mußten. Ich suchte nach Fehlern, scharf und unerbittlich, fand aber keinen, keinen einzigen, nicht den allergeringsten! Dieser Syrr war körperlich ideal. Ob auch in Beziehung auf seine innern Eigenschaften – fast hätte ich Geist oder Seele gesagt; das ist mir aber für Tiere streng verboten worden – das hatte sich noch zu zeigen. Da sah Assil mich stehen. Er kam herbei, um mir zu zeigen, daß er auch noch vorhanden sei. Ich liebkoste ihn wie immer. Da ging er weiter, hin zu Syrr. Auch er machte niemals Gemeinschaft mit andern Pferden. Er schritt langsam, prüfend vorwärts. Er hob die sich erweiternden Nüstern, so daß die Linie von den Ganaschen zur Kinnkettengrube eine wagerechte wurde. Seine Ohren spielten. Der Schweif hob sich. So kam er näher, immer näher – zwei Vollbluthengste! Was wird wohl geschehen! Syrr stand still. Er bewegte keine Muskel. Kein Haar zuckte. Aber seine innen rosagefärbten Nüstern öffneten sich mehr und mehr, und seine großen Augen schienen noch größer zu werden. Nun war Assil da. Er legte die Ohren grad nach vorn, sog den Atem des neuen Kameraden ein, wieherte kurz und wie vor Freude auf und – gab Syrr einen Kuß.

Ja, Pferde küssen! Wer das nicht weiß, der hat sie noch nicht beobachtet!

Eine solche Vertraulichkeit erschien dem Rappen des Schah-in-Schah wohl unerhört. Er hob schnell auch den Kopf, legte die Ohren ganz nach hinten und öffnete die Lippen so, daß das prächtige, elfenbeinene Gebiß zu sehen war. Dann wieherte er ebenso, schloß die Lippen wieder und – küßte Assil Ben Rih auch.

»Wie schön, wie gut, Effendi!« sagte Schakara. »Ich befürchtete schon, es werde eine gewaltige Schlägerei beginnen. Sie haben sich aber erkannt. Edel zu edel, hoch zu hoch, echt zu echt, das gibt niemals Konflikt!«

»Möchtest du mir einige weiche Lappen besorgen?« bat ich sie. »Er ist unter der engen Hülle ganz verdunstet. Ich will ihn waschen.«

»Auch Machassa und Furscha?« fragte sie.

»Nein. Heut nicht. Es könnte das der neuen Bekanntschaft schaden.«

Sie ging, das Verlangte zu holen. Ich war nun mit Syrr allein und begann, mich bei ihm einzuschmeicheln. Fast hätte ich mit der bekannten Redensart gesagt – ihm seelisch näher zu treten. Ich strich ihm leise das Haar, nicht Mähne oder Schwanz, sondern nur das kurze, und zwar genau in der Richtung, in der es lag. Wo es einen Bogen machte, folgte auch ich ihm mit der Hand. Wo sich bei Gliederbeugen zwei verschiedene Haarrichtungen begegneten, beachtete ich das wohl und folgte mit einer Hand der einen, mit der zweiten Hand der anderen. Wo ein Wirbel gebildet wurde, wirbelte ich auch. In dieser Weise ging ich über den ganzen Körper, von hinten nach vorn. Es fiel mir nicht ein, Etwas zu tun, womit ich Syrr belästigt hätte, etwa wie die Hufe zeigen zu lassen oder das Gebiß zu untersuchen. Den Kopf behandelte ich mit besonderer Aufmerksamkeit. Es gab da am Oberauge einige herabragende Borstenhaare, welche den Blick unausgesetzt belästigen mußten. Ich schnitt sie mit meiner kleinen Taschenmesserschere sofort weg. Auch ein Pferd merkt so Etwas sogleich und ist dankbar dafür! Nur kann es leider nicht sagen »Ich danke Ihnen ergebenst, Herr Rollfuhrmann oder Herr Droschkenkutscher!« So gab es schließlich am ganzen Körper keine Stelle, die ich nicht berührt hatte, lieb, streichelnd und alle Derbheit oder Hast vermeidend. Wäre es kein Pferd sondern ein Mensch gewesen, so würde ich sagen, Syrr sollte bei sich denken: Der hat Verstand; der ist aufmerksam und gütig; den muß man liebhaben!

Dann legte ich ihm die Hände an die Backen, ließ ihm meinen Atem fühlen und sprach freundlich mit ihm. Zu verstehen brauchte er kein Wort. Er sollte nur den Ton meiner Stimme hören und meine Augen betrachten dürfen, denen es nicht einfiel, sich zu einem »Pferdebändigerblick« zu verschärfen. Er hatte sich zu alledem sehr ruhig wie abwartend verhalten – reserviert, sagt man bei Menschen. Da sah ich Schakara zurückkommen und trat einen Schritt von ihm zurück. Sofort tat er diesen Schritt auf mich zu, nahm meinen Arm zwischen die Zähne und hielt mich fest, doch ohne mir wehe zu tun. Da berührte ich zum ersten Male seine Mähne. Ich strich liebkosend an ihr herab und sagte:

»Ich gehe nicht fort; sei ruhig, Syrr!«

Aber was war denn das? Schon während des Berührens seines Körpers hatte ich ein eigentümliches Prickeln in den Händen gefühlt, ganz leise nesselartig, wie ein feiner, wohltuender elektrischer oder galvanischer Reiz. Ich verspürte ihn jetzt noch. Er kam vom Pferde. War er nur einseitig oder gegenseitig? Bekam ihn Syrr etwa auch von mir? Und als ich jetzt mit der Hand an der Mähne niederfuhr, wurde er stärker, und ich hörte es in den Haaren knistern, freilich nicht etwa laut, sondern schwach, aber doch recht gut vernehmlich.

»Horch!« bat ich Schakara, als sie uns erreicht hatte, und strich etwas kräftiger.

Sie lauschte einige Augenblicke. Dann fragte sie:

»Fühlst du Etwas, Effendi?«

»Ja. Es ist wie irgend eine Kraft, die meine Hand berührt und in den Nerven weitergeht.«

Da ließ sie die mitgebrachten Lappen fallen, legte die Hände zusammen und rief aus:

»Das Knistern, das Knistern! Weißt du noch, was ich dir von der "verlorengegangenen Poesie" erzählt habe? Von dem Rosse, dessen Mähne Funken sprüht? Wie lichtgewordene Strophen um die Stirn des Reiters? Effendi, ich bitte dich, nimm deinen Fez vom Kopfe! Berühre erst die Mähne und dann hierauf dein Haar! Ich muß wissen –«

Sie hielt inne.

»Was?« fragte ich.

»Ob – ob – ob du dann Etwas fühlst.«

Ich tat ihr den Gefallen, nahm den Fez ab, strich einige Male mit der Hand an der Mähne herunter und legte sie mir dann auf den Kopf. Die Wirkung war eine ganz eigenartige. Das Prickeln verschwand sofort aus meiner Hand und ging auf die Kopfhaut über, wobei es in den Haaren leise, leise knisterte. Indem ich Schakara dies mitteilte, stand ich vorn bei Syrr. Dieser öffnete die Nüstern, sog die Luft laut ein, kam mit dem Kopfe zu mir herum und faßte mich am Haare, nicht mit den Zähnen, sondern ganz weich, nur mit den Lippen. Da ging über Schakaras Gesicht ein frohes, glückliches Lächeln. Sie hob die Lappen wieder auf und sagte:

»Nun komm nach dem Wasser, wenn du ihn waschen willst. Ich gehe; du aber reitest!«

Diese Aufforderung befremdete mich nicht im Geringsten. Es war auch mir ganz so, als ob sich das Pferd gegen mich nicht abweisend verhalten werde. Ich stieg also auf, vorsichtig, schmerzhaften Druck vermeidend. Kaum oben, legte ich beide Fersen an, die rechte etwas weiter vor als die linke. Syrr drehte sich sofort links um und ließ sich von mir nach der Quelle reiten. Dort sprang ich wieder ab und belohnte ihn mit einem Kusse. Da warf er den Kopf hoch in die Höhe und wieherte so triumphierend, daß Schakara, laut lachend, sagte:

»Das ist Jubel! Er tut, als habe er dich besiegt anstatt du ihn! Also ein Doppelsieg mit gegenseitigem Wohlgefallen hinterher! Was wird Dschafar Mirza dazu sagen?!«

»Nichts, denn er erfährt noch nichts,« antwortete ich. »Ich bitte dich, Schakara, sei verschwiegen! Ehe ich Etwas sage, muß ich Syrr vollständig kennengelernt haben, und das hat heimlich zu geschehen. Es ist vielleicht zu kühn, aber ich denke hierbei auch an das Rennen. Wenn Syrr das ist, was ich von ihm erwarte, so lache ich über jeden Gegner, den man ihm zu stellen wagt.«

Hierauf begann die Wäsche. Schakara hätte wohl gern mitgeholfen, doch gab ich es nicht zu. Der Glanzrappe mußte erfahren, daß ich nicht nur sein Herr sein wollte, sondern auch gern mit eigenen Händen für ihn sorgte. Dieses Waschen war kein rücksichtsloses Begießen, Reiben und Scheuern; es geschah genau so vorsichtig und schonend wie das vorhergehende Streicheln. Als Syrr abgetrocknet war, machte ich eine weitere Probe. Zu den Ausdrücken, welche er verstand, gehörte auch, wie der Stallknecht mir gesagt hatte, das Wörtchen »komm«!

»Ta' al!« sagte ich darum und ging vom Wasser fort.

Er kam zu meiner Freude sogleich hinter mir her. Ich führte ihn nach der Weide, doch nicht geraden Weges. Um ihn zu prüfen, wich ich einige Male scharf ab, nach rechts oder links. Er machte diese Schwenkungen mit und blieb eng hinter mir, bis ich endlich stehen blieb. Zum Lohne hierfür holte ich ihm dann noch einige Aepfel und gab ihm auch selbst seine Abendgerste, worauf ich ihn mit der Ueberzeugung verlassen konnte, daß wir gute Freunde geworden seien.

Als ich in den Hof trat, stand Hanneh oben auf der Halle und winkte mir, hinaufzukommen. Ich tat es gern. Halef lag nicht, sondern er saß, im Rücken gestützt von einigen Polstern. Das »Feierkleid« war vor ihm ausgebreitet. Auf seinem Gesichte glänzte die Freude und mit ihr neue Lebensfarbe.

»Sihdi, mir ist ein großes, großes Heil widerfahren,« sagte er. »Dschafar Mirza, der Abgesandte des Schah-in-Schah, war bei mir, um mir dieses Geschenk der Ehrung zu überbringen. Ich weiß gar wohl, ich verdanke es nicht mir, sondern nur dem Umstande, daß ich dein Begleiter bin. Aber ich freue mich doch unendlich darüber und werde mich, so oft ich es trage, nach seinen ernsten Farben richten!«

Diese letzte Wendung kam mir nicht ganz unerwartet. Krankheiten machen eben ernst, und Genesungsfreude und Besserungsfreude sind zwei liebe Schwestern. Es war ihm anzusehen, daß dieses Geschenk ihn wieder einen bedeutenden Schritt vorwärts gebracht hatte.

Hierauf ging ich zum Abendessen mit Dschafar, dem Pedehr und dem Chodj, den ich dazu geladen hatte. Dieser Mann war es wert, daß man ihn nicht bloß arbeiten sondern auch mit beraten ließ. Nach Tische nahm ich Dschafar mit hinauf zu mir. Wir saßen im Freien und erzählten. Von dem Mordanschlag auf ihn sagte ich ihm noch nichts. Die Gefahr war jetzt noch nicht da, und ich wollte ihm den Aufenthalt bei uns nicht gleich am ersten Tage mit Sorgen vergällen. Daß er wenigstens bis zum Rennen bleiben werde, verstand sich ganz von selbst. Er hatte zwar behauptet, von der Reise nicht ermüdet zu sein; aber trotz der Lebendigkeit unserer Unterhaltung erklärte er gegen Mitternacht doch, nun schlafen gehen zu müssen. Ich begleitete ihn bis hinunter an seinen Wartturm und kehrte dann zu mir zurück, um mich auch niederzulegen. Der Mond schien hell, und ich sah von meiner hohen Plattform aus, daß die Pferde alle lagen, das eine etwas abseits von den andern; das war Syrr.

Als ich mich niederlegte, fiel mir ein, daß heut vor einer Woche, am Freitag, zum ersten Male vom »Feste der fünfzig Jahre« und von dem Rennen zu mir gesprochen worden war. Was hatte sich in dieser Woche alles ereignet, und wie unerwartet schnell war es während dieser Zeit mit meiner Genesung vorwärts gegangen! Wie vortrefflich war die Anstrengung des Sonntages und des hierauf folgenden Nachtgespräches überstanden worden! Ich hatte dann allerdings volle vierundzwanzig Stunden fest geschlafen, aber wundersam war diese schnelle Erholung nach einer so langen Krankheit jedenfalls.

Als ich früh aufstand, schlief Dschafar noch. Ich besuchte zunächst die Pferde. Die drei anderen begrüßten mich von Weitem. Assil kam schnell heran zu mir, um sich an mir zu reiben. Syrr war zurückhaltender. Seine noch nassen Vorderbeine bewiesen mir, daß er trinken gewesen und dabei direkt in die Quelle gestiegen war. Ich holte ihm einige Aepfel, die er langsam und bedächtig verzehrte. Dann leckte er mir die Hand. War das, weil sie noch nach den Aepfeln rochen? Oder war es Dankbarkeit, vielleicht schon Liebe? Ich brachte ihm nun seine Morgengerste und suchte dann den Pedehr auf, um mit ihm über die Sicherheitsmaßregeln zu sprechen, welche wir in Beziehung auf Dschafar zu treffen hatten. Wir mußten umso besorgter sein, als er jetzt noch nichts erfahren sollte. Die Wächter des Duars hatten ihre Aufmerksamkeit von jetzt an zu verdoppeln, zumal die Zeit des Rennens immer näher rückte und der Fremdenzufluß nun bald beginnen würde. Dies brachte ihn auf die Wege, welche zum Duar führten, und auch auf den, auf welchem wir nach dem Sprunge über den Abgrund nach dem hohen Hause gebracht worden waren.

»Bist du schon wieder dortgewesen, Effendi?« fragte er.

»Nein,« antwortete ich. »Wie weit ist es bis hin?«

»Nur eine Viertelstunde.«

»Nur? Hast du Zeit?«

»Ja. Wir haben zwei Wege; einen vom Dorfe aus, und einer führt von hier aus um den Wartturm herum. Beide treffen später zusammen. Hast du Lust, zu gehen?«

»Ja. Komm!«

Das Tal der Dschamikun stand nach drei Seiten hin mit der Außenwelt in Verbindung. Ostwärts ging es nach dem Hasen- und Kurierpaß. Nordwestlich nach dem Gebiete der Takikurden, zugleich aber auch zu den im Norden halbansässigen Dschamikun. Und südwärts nach dem Daraeh-y-Dschib, dem Tale des Sackes. Durch das letztere waren wir, von Nordwesten aber Hanneh und Kara gekommen. Der Weg nach dem Tale des Sackes führte zwischen dem Tempel- und dem Ruinenberge hindurch. Beide traten hier so eng zusammen, daß sie nur durch eine schmale Schlucht geschieden wurden. Unten lief der Duarpfad, etwas höher derjenige, auf dem wir uns befanden. Er führte durch einen steil ansteigenden Wald. Tief unten eilte rauschendes Wasser nach dem See. Es kam aus dem Felsenrisse, über den wir mit unsern Pferden gesprungen waren. Nach einiger Zeit stieg der Duarweg zu uns heran, und dann hatten wir nur noch eine kurze Strecke bis zu der Stelle, wo wir unser Leben gewagt hatten, um den Massaban zu entkommen. Es war jetzt eine neue Brücke da. Als ich auf ihr stand, in die Tiefe schaute, in welche sich von drüben her das Wasser stürzte, und die Breite des Risses mit den Augen maß, überkam mich nachträglich die Angst, von der ich damals keine Spur empfunden hatte. Wie war es doch nur möglich gewesen, sich ein solches Wagnis zuzutrauen!

Der Pedehr mochte meine Gedanken erraten, denn er sagte:

»Das hat Euch keiner vorgemacht und wird Euch wohl auch Keiner nachmachen! Schau dir die Brücke an, Effendi! Bemerkst du Etwas?«

»Natürlich! Sie ist zum Aufziehen.«

»Ja. Nach den Erfahrungen mit den Massaban konnten wir uns nicht zu einem neuen, festen Uebergang entschließen, der im Kriegsfalle immer zerstört werden muß. Der Ustad ließ von unserem Nälbänd Ketten machen und vom Najjar die starken Rollen dort an der Eiche. Jetzt genügt die Kraft eines einzelnen Mannes, die Brücke aufzuziehen. Das ist ein Wunder, welches ich nicht begreife, denn sie ist ja zehnmal schwerer als der Mann selbst.«

»Es ist kein Wunder, sondern sehr einfach. Diese Rollen bilden ein Suhulet, durch welches die Kraft des Menschen derart vervielfältigt wird, daß ein Einzelner genügt, die Brücke zu heben. Der Ustad kennt dieses Naturgesetz sehr wohl.«

»Und hältst du so eine Brücke für gut?«

»Ja. Doch wie diese liegt, hat man dafür zu sorgen, daß man nicht einmal selbst auch abgesperrt wird!«

Als wir zurückkehrten, wählten wir den Weg nach dem Duar. Dort angekommen, konnten wir Dschafar beobachten, welcher nun schon unten war und uns nicht sogleich bemerkte. Er hatte gehört, daß ich mit dem Pedehr fortgegangen sei, und war darum auch gegangen, um uns vielleicht zu treffen. Er hatte das Boot am Landeplatz entdeckt und sich den Chodj-y-Dschuna holen lassen. Nun segelten sie bei gutem Winde mit einem halben Dutzend Lastkamelen um die Wette, welche, hoch mit Heu beladen, für das Wettrennen eingeübt wurden. Wie man sich erinnern wird, hatte der Pedehr auf Halefs Frage, was für Pferde laufen würden, folgendermaßen geantwortet: »Es werden nicht bloß Pferde sein. Wir lassen alle Arten der Tiere laufen, die es bei uns gibt, Schafe, Ziegen, Esel, Maultiere, Lastkamele, Reitkamele, gewöhnliche Pferde, und zum Schlusse wird es mehrere Rennen zwischen Tieren edelster Rasse geben.« Der Wettkampf sollte also scherzhaft beginnen, um ernst und würdig zu enden. Als man diese Disposition traf, hatte man nicht geahnt, daß sich aus dem beabsichtigten Rennen unter Freunden ein erbitterter Wettkampf zwischen Freund und Feind entwickeln werde, war aber trotzdem bei der ursprünglichen Bestimmung geblieben, daß der Anfang heiter zu sein habe, möge er enden, wie er wolle. Daher jetzt die Uebung mit den Lastkamelen.

Es konnte hierbei nicht etwa von Tierquälerei die Rede sein. Die Dschimal waren zwar so hoch und so breit beladen, daß von ihnen nur die Beine zu sehen waren, aber man hatte das Heu so leicht und duftig gepackt, daß es für die starken Tiere nichts weniger als eine Last zu nennen war. Vorn gab es in dem Heuballen eine Oeffnung aus welcher über dem sonderbaren Maule die Konvexbrillenaugen des Tieres den Weg überschauen konnten. Hoch oben war nur der Kopf des tief im Heu vergrabenen Führers zu sehen, der sein Kamel nur durch Zurufe zu leiten hatte. Es war also vorauszusehen gewesen, daß sich die Sache höchst drollig ausnehmen werde, und die jetzige, erste Probe zeigte, daß man sich hierin nicht getäuscht hatte. Wir sahen die langen Beine, die großen, plumpen Füße und sämtliche Heubündel in eiligster Bewegung, als ob es beabsichtigt sei, binnen zwei Stunden dreimal rund um die Erde zu jagen. Da blieb plötzlich eines der Kamele mitten im Laufe stehen, um in der größten Gemütsruhe sich ein Maulvoll aus der eigenen Last zu raufen und gemächlich zu verzehren. Der Kopf hoch oben begann zu bitten, zu flehen, zu jammern, zu schimpfen, zu drohen. Da besann sich das Kamel auf seine Pflicht und warf die Beine wieder vorwärts, daß der Staub nur so flog, bis es an ein anderes prallte, welches in derselben guten, aber für den Reiter höchst ärgerlichen Absicht stehengeblieben war. Weiter vorn sahen wir zwei Heuladungen im größten Eifer und eng neben einander herrennen, bis der Weg zwischen Berg und See zu eng wurde und sie beide miteinander stecken blieben. Der allerschnellste dieser Renner war den andern weit vorausgekommen und schien nun der guten Ueberzeugung zu sein, seinen Zweck erreicht zu haben. Er hatte sich also gemütlich auf die Mutter Erde niedergelassen und ließ Alles, was aus dem Munde seines Besitzers kam, in größter Seelenruhe über sich ergehen, ohne weiter ein Glied zu rühren. Das gab selbstverständlich Veranlassung zur größten Heiterkeit. Die liebe Jugend machte natürlich mit, was aber keineswegs dazu beitrug, die zwei Dutzend Kamelbeine von dem Werte der kostbaren Zeit zu überzeugen. Dschafar segelte mit dem Chodj-y-Dschuna nebenher, um das Schauspiel aus sichrer Entfernung zu genießen, bis sich alle Kamele niedergelegt hatten und keines weiter fortzubringen war. Da kam er nach dem Duar zurück und versicherte uns, noch nie im Leben so gelacht zu haben wie heut. Nachdem er diesen Ausgang des Kampfes gesehen habe, verspreche er sich von dem Rennen nun überhaupt sehr große Dinge und sei erfreut, grad am »Feste der fünfzig Jahre« zu den Dschamikun gekommen zu sein!

Der Chodj-y-Dschuna teilte mir mit, daß man mich als Rekonvaleszenten bisher nicht habe belästigen wollen. Nun aber bitte er mit dem Pedehr um die Erlaubnis, mich über Alles, was sich auf das Fest beziehen sollte, unterrichten und fragen zu dürfen. Wir gingen infolgedessen nach seiner Wohnung und hielten das ab, was man in Deutschland, wo es bekanntlich keine Fremdwörter gibt, als eine Komiteesitzung bezeichnen würde. Es gab keinen einzigen Punkt, dem ich nicht zustimmen konnte, was den braven Chodj-y-Dschuna so erfreute, daß er den Mut bekam, uns zum Essen einzuladen. Das war um die Mittagszeit, und so nahmen wir es an. Ich ging aber vorher hinauf, um Syrr zu füttern und beauftragte Kara, mir dann meinen Assil und das Pferd des Mirza herabzubringen, weil ich einen etwas weiteren Spazierritt versuchen wolle, an dem auch er teilnehmen möge.

Wir dehnten diesen Spazierritt auf über zwei Stunden aus, ohne daß ich mich, als ich heimkehrte, von ihm ermüdet fühlte. Ich glaubte also, mir für heut Abend auch noch eine weitere Anstrengung zumuten zu können, und sagte Kara also, daß wir gegen Mitternacht den Aschyk aufsuchen würden; er solle sich also bereithalten und alles dazu Nötige besorgen.

Bis zu dieser Zeit geschah nichts, was einer besonderen Erwähnung bedarf. Ich brachte die Zeit nach dem Abendessen absichtlich bei Dschafar zu, weil ich da gehen konnte, wenn es mir beliebte. Wäre aber er bei mir gewesen, so hätte ich warten müssen, bis er sich entfernte. Kara stand bereit. Der Weg durch das große Eingangstor wäre kürzer gewesen; aber ich hatte Gründe, den Umweg über die Ruinen zu wählen. Ich wollte ihn mir in allen seinen Einzelheiten so einprägen, daß ich ihn später des Nachts nicht nur gehen sondern auch sicher reiten konnte. Ich hatte nämlich die Absicht, Syrr heimlich einzuüben, und das war nur dann möglich, wenn alle Leute schliefen.

Wir gingen also im Mondscheine über das Gemäuer und dann den Steinbruchweg hinunter nach der Landestelle. Das Boot war da. Wir kamen in den Kanal und aus diesem in das vordere Bassin, ganz so wie die vorigen Male. Ich hatte erwartet, daß unser Gefangener vor Freude laut aufschreien werde. Es blieb aber still, obgleich wir so laut ruderten, daß die Schläge wie Meeresrauschen von den Säulen widerhallten.

»Er ist tot!« sagte Kara. »Herabgefallen und ertrunken!«

»Möglich. Wir werden ja sehen.«

Wir kamen schnell näher. Er mußte trotz der tiefen Finsternis nun auch unser Licht sehen. Und doch hörten wir nichts von ihm! Nun sahen wir die Säule und den Stein. War der Aschyk noch da? Ja. Er saß oben. Still. Hüben das Gerippe und drüben er. Wir hatten absichtlich nicht eine, sondern zwei Fackeln brennen. Es war also so hell, daß wir sein Gesicht, seine Züge deutlich erkennen konnten. Er lehnte mit dem Rücken an der Säule. Seine Augen waren geschlossen. Als das Boot stand und wir die Ruder einzogen, sagte er in mir ganz unbegreiflich ruhigem Tone:

»Ihr kommt wieder. Ich wußte es! Ahnst du, was ich da tat ? Nein! – Ich habe gebetet!«

Wie kam es doch, daß dieses Wort, dieses letztere, mich innerlich so packte, als ob in mir Etwas hierauf vorbereitet gewesen sei! War es infolge des Traumes, an den ich sogleich dachte? Mußte sich hier, in dieser tiefen, dunkeln Verlassenheit, denn Alles, Alles, selbst die ärgste Verkalkung und Verhärtung, schließlich doch und doch noch zum Gebet verwandeln? Nicht nur im Traume, sondern auch in der Wirklichkeit? Er wartete ein Wenig, und als ich nichts antwortete, fuhr er fort:

»Effendi, ich will beichten – beichten – beichten! Ich will nicht nur, sondern ich muß – ich muß – ich muß!«

»Doch wieder wohl nur Lügen!« sagte ich.

»Lügen? Hier? Effendi, hier hat jede Lüge entweder zum Wahnsinn zu werden oder sich in Wahrheit zu verwandeln. Außer diesen beiden gibt es kein Drittes. Nun prüfe, ob ich wahnsinnig geworden bin! Wenn nicht, so ist nur Wahrheit zu erwarten!«

»So sag vorerst, wie du zu dieser mir ganz unverhofften Ruhe kommst!«

»Wie –? Welch eine Frage! Wenn nicht hier, wo soll man dann wohl ruhig werden! Hier wird ja Alles, Alles, Jedermann zu Stein! Entweder zum gemeinverkalkten Tode, oder zum edlen Alabaster, an dem die aus dem Kalk erlösten Geister arbeiten, bis er – beten lernt! O, Effendi, ich schlief hier ein, ermüdet vom Rufen, Schreien, Brüllen. Da kam ein Traum – ein Traum! Ich hatte tausend Jahre, tausend Jahre lang hier im Wasser gelegen, verhärtet und verkalkt in meinen Sünden. Niemand wollte mich retten, und ich selbst konnte es nicht. Da kam ein Ruf von oben, einmal – zweimal – dreimal; der weckte mich. Ich antwortete, daß alle Säulen klangen. Da war es oben still; aber in mir, in mir, tief unten, da wurde es laut und laut und immer lauter! Da kamen die Tage mein Lebens, einzeln, furchtbar einzeln, einer nach dem andern! Sie klagten mich nicht an, nein nein, nein nein! Das tat ich ja schon selbst! Sie gaben gute Worte! Ein jeder, jeder, jeder von ihnen kniete im Büßergewande neben mir nieder, griff nach meiner Hand und drang in mich, mit ihm zu beten, zu beten, zu beten! Und als sie alle um mich lagen, alle, alle, vom ersten bis zum letzten, da kniete ich inmitten meines Lebens und faltete die Hände wie sie alle. Und als ich sprach: "Vergieb mir meine Sünden!" Da hörte ich erst Eure Ruderschläge, und dann sah ich auch Eures Lichtes Schein! Was Ihr mir bringt, das habe ich zu nehmen. Doch bitte ich, seid nicht auch Ihr von Stein!«

Als er geendet hatte, lauschte ich noch immer. Es war, als ob das, was aus ihm gesprochen hatte, nun in mir weiterrede. »Tausend, tausend Jahre hier im Wasser gelegen!« hatte er gesagt. Nur zwei Erdentage, für den Geist, die Seele aber tausend, tausend Jahre! Welcher Mensch kann behaupten, gerecht zu richten! Der Buchstabe des Gesetzes behandelt alle gleich. Aber die Gerechtigkeit liegt nicht im gleichen Strafquantum; in diesem ist vielmehr ihr Gegenteil, die Ungerechtigkeit zu suchen. Denselben Tatbestand vorausgesetzt, wird der Eine nicht durch zwanzig Jahre Zuchthaus gebessert, der Andere aber schon durch einen einzigen Tag Gefängnishaft. Hätte für den Letzteren dann nicht die Strafe aufzuhören? Es war von mir die füchterlichste Strenge gewesen, den Aschyk hierher an diesen Ort zu detinieren. Ich sah und hörte jetzt, daß es genau die beabsichtigte Wirkung hervorgebracht hatte. Eine Verlängerung seiner Qual wäre nicht nur Grausamkeit, sondern geradezu Unmenschlichkeit gewesen. Darum antwortete ich ihm jetzt:

»Der Menschheitsjammer muß sogar den Stein erbarmen, warum nicht auch den Menschen selbst! Wenn du gebetet hast, so ist mein Zweck erreicht. Ich führe dich hinaus.«

»Das wolltest du? Du, Du, der von mir betrogen werden sollte, wie kaum vorher ein Anderer?«

»Was du an Andern tatest, das habe nicht ich zu richten. Was du mit mir vorhattest, da sei dir gern vergeben. Hier hast du meine Hand. Komm herab!«

Ich richtete mich auf und streckte sie ihm entgegen, um ihm herabzuhelfen. Er griff nicht sofort zu, er sagte:

»Warte noch, Effendi! Ich habe dir doch vorher zu beichten!«

»Nicht hier! Hier hattest du nur dir allein zu beichten. Nun wartet draußen jetzt ein Anderer auf dich.«

»Ein Anderer?« fragte er schnell. »Effendi, reicht dein Blick in mein Inneres? Wenn ich in den Ruinen stand und drüben Euren Tempel stehen sah, so lachte ich der Albernheit, die solche Häuser baut für Einen, den es nie gegeben hat und niemals geben werde. Hier aber griff er in die Finsternis und stellte meine Seele vor mich hin, die ich mir aus der Brust gerissen und weggeworfen hatte. Da kam ein Drang, ein Sehnen über mich, ein innerlicher und doch lauter Schrei nach diesem Tempel. Er klingt noch jetzt, laut, überlaut, Effendi. Erhöre ihn! Laß uns hinauf zum Beith-y-Chodeh steigen! Das ist der einzig rechte Ort zum Beichten!«

»So komm!«

Er griff knieend nach meiner wieder ausgestreckten Hand, küßte sie und kletterte dann herab in das Boot. Als wir zu den Rudern griffen, schaute er noch einmal nach dem Stein hinauf und sagte:

»Dort laß ich das Gerippe! Mir ist, als ob es mein eigenes Skelett sei, mein früheres. Ich habe jetzt ein neues. Das ist nicht starres Knochenwerk, aus dem mir das Vergangene, die Zähne fletschend, in die Augen grinst, sondern ein fester, froher Wille, der vor Freude jauchzt, gutmachen zu können, was ich verbrochen habe.«

Er saß in der Mitte des Bootes zwischen uns beiden, mit dem Rücken nach vorn. Während wir nach dem Kanale ruderten, schaute er bald rechts, bald links an mir vorüber nach den bewegten Wellen hinter uns.

»Sie kommen!« sagte er, sich nach den Augen greifend.

»Wer?« fragte ich.

»Die Geister meiner Lebenstage, alle, alle, alle! Ich sehe sie. Sie schwimmen hinter uns her. Ihre Köpfe ragen aus dem Wasser.«

Ich dachte an meinen Traum und an die Geister, welche mir hinaus in den See gefolgt waren. Als wir uns im Kanale befanden, wiederholte er:

»Sie folgen auch hier, eng bei einander, Kopf an Kopf!«

»Beruhige dich,« antwortete ich; »es ist das Phantasie!«

»Meinst du? So laß sie mir! Die Tage meines Lebens sollen mit mir hinauf zum Tempel steigen. Sie, meine Ankläger, sollen mit mir beten und werden dann verschwinden; so hoffe ich!«

Draußen empfing uns der helle Mondschein! Ich lenkte zunächst geradeaus, ganz so, wie es im Traume geschehen war. Es lag Etwas in mir, was mich bestimmte, so und nicht anders zu tun. Da fragte der Aschyk:

»Sind es die Wellen unseres Bootes, welche immer breiter werden? Ich sehe noch immer Kopf an Kopf. Sie kommen aus dem Berge. Die Schar wird breiter und immer breiter. Aber die Vordern folgen uns, und die Andern kommen hinter ihnen her.«

Nun befanden wir uns an der Stelle, wo wir im Traume gehalten hatten. Da gab ich dem Fahrzeuge die Richtung nach dem südlichen Ufer, nach derselben Stelle, wo die erlösten Geister an das Land gestiegen waren. Da verließen auch wir das Boot und zogen es ein Stück an das Ufer, weil es hier nicht angebunden werden konnte. Die Fackeln waren natürlich ausgelöscht worden. Da hielt der Aschyk mir seine Hände hin und forderte mich auf:

»Binde mich, Effendi!«

»Wozu?«

»Daß ich dir nicht entfliehen kann, während wir zum Beit-y-Chodeh gehen.«

Da legte ich ihm die Hand auf die Achsel, sah ihm in das Gesicht und antwortete:

»Zu wem willst du? Hinauf zu Gott? Und da soll ich dich fesseln? So lange die Erde steht, ist es noch keinem Menschen gelungen, mit seiner Stimme Gott wirklich zu erreichen, wenn ihm die Hände des Gebetes gefesselt waren! Steig auf zu ihm, aber frei!«

»Frei – frei!« jubelte er, die Hände hoch erhebend. »Du hast das Richtige gewählt, Effendi. Ich werde nicht fliehen, sondern eng bei dir bleiben, wie ein Hund, der seinem Herrn gehorcht, weil er ihn liebt – liebt – liebt!«

»Du wirst nicht eng bleiben, denn ich gehe nicht mit.«

»Also wohl Kara Ben Halef?«

»Auch nicht. Wir bleiben hier. Du gehst allein.«

»Allein?!«

Er trat einige Schritte zurück und staunte mich mit großen Augen an.

»Ihr geht nicht mit?« rief er aus. »Keiner von Euch? Ist das wahr – ist das wahr?«

»Ja.«

»Effendi – Sihdi – Emir! Ich bin ein Dieb, ein Fälscher, ein Betrüger, ein Helfershelfer der Mörder! Ich habe dich und Euch alle mit vernichten wollen. Ich habe Pekala verführt und Tifl verführt, welche gute Menschen waren und noch gute Menschen sind, welche Euch liebten und immer, immer lieben werden! Und du giebst mich frei, vollständig frei? Weißt du, ich habe dich vorhin da drin im Berge angelogen. Ich habe nicht gebetet. Ich bin nicht besser, sondern schlechter geworden. Ich werde jetzt gehen und mich an dir rächen! Bedenke das, bedenke!«

»Still; sei still! Wo und wann du gelogen hast, das weiß ich vielleicht besser als du selbst. Ich kenne dich, wie du früher warst, und ich kenne den, der du jetzt geworden bist. Du steigst jetzt ganz allein hinauf und wirst dann wiederkommen. Grad deine Warnung gibt mir die Gewähr, daß ich dir mein Vertrauen schenken darf. Mich zu täuschen, warst du niemals fähig, und von jetzt an kommt es dir auch gar nicht in den Sinn!«

Da sank er in den Sand des Ufers nieder, griff nach meiner Hand, drückte sie an sein Herz und an seine Lippen und sprach:

»So holt sich Allah den Verlornen wieder, den die Gerechtigkeit des Menschen noch tiefer in den Abgrund stoßen würde! Effendi, ich bin gar wohl im Stande, deine Güte in ihrer ganzen Tiefe zu wiegen und zu wägen. Ich gehörte nicht zu den Armen und Elenden des Landes. Ich war berufen, gut und groß zu werden. Mein Vater stand hoch, in nächster Nähe des Schah-in-Schah. Ich eiferte ihm nach, und er hatte seine Freude an mir. Da kamen sie, vom Schlage derer, die bei dir waren, um sich einen Ustad der Taki-Kurden zu erschwindeln. Ich war zu jung, sie zu durchschauen. Sie brauchten mich, und darum mußte ich sinken, tiefer, immer tiefer, bis ich im Wasser des Verbrechens untersank. Schon war ich am Ertrinken, da kamst du und holtest mich heraus – in Liebe, in Liebe! Du kennst die Menschenseele, Effendi! Wie ich dir danke, werde ich nicht sagen, sondern – zeigen!«

Er stand wieder auf und ging den Tempelpfad hinan. Wir aber setzten uns nieder, um zu warten. Kara war einige Zeit still. Er wischte an den Augen herum. Dann sagte er:

»So rettet man Menschenseelen! Spricht jetzt nicht mit mir, Effendi. Der Aschyk steigt hinauf, um mit Allah zu sprechen. Ich kann hier unten jetzt nichts Anderes tun. Ich – bete auch!«

Ich glaube, es betete noch ein dritter!

Die Zeit verging. Nach einem kleinen Stündchen kehrte der Aschyk zurück.

»Da bin ich wieder,« sagte er. »Erlaube mir, daß ich mich niedersetze, um Euch Alles zu erzählen, was ich zu berichten habe!«

»Nicht hier,« antwortete ich.

»Wo denn?«

»Komm wieder in das Boot!«

Wir stiegen ein und fuhren über den See hinüber nach dem Landeplatze. Von dort gingen wir nach dem hohen Hause. Im Hofe verabschiedete ich Kara; den Aschyk aber nahm ich mit hinauf zu mir. Wir hatten unterwegs kein Wort gesprochen. Jetzt brannte ich die Lampe an. Er stand, ganz wie betreten, im Mittelzimmer und schaute sich um.

»Sind das die Räume, welche du bewohnst, Effendi!« fragte er.

»Ja,« antwortete ich.

»Ich brauchte eigentlich nicht zu fragen, denn ich wußte es schon. Ich kenne Euer ganzes Haus; ich kenne Alles, Alles. Es war mir auch nicht unbekannt, daß im Wartturme noch leere Stuben sind; aber ich tat gegen Pekala so, als ob ich das nicht wisse, denn ich wollte hierher, oder doch wenigstens hinunter in die Wohnung des Ustad. Warum, das wirst du erfahren.« Er trat an den Tisch, um die helle Schrift des Lampenschirmes zu lesen.

»Die Liebe hört nimmer auf, steht da geschrieben,« sagte er. Dann drehte er sich mir wieder zu und fuhr fort: »Effendi, ich treffe in dir den ersten Menschen, der diese Worte nicht bloß liest, sondern auch nach ihnen handelt! Warum gibt es so viele Verlorene? Sie müssen verloren gehen, weil man ihnen schon den ersten, kleinen Fehltritt nicht verzeiht. Warum spricht man nur von Gerechten und nur von Ungerechten? Weil in der Mitte zwischen ihnen Diejenigen fehlen, welche Menschen sein würden, wenn es welche gäbe! Ich meine die Menschen, welche ihrer Natur nach zuweilen sündigen dürfen, ohne sofort ausgestoßen zu werden! Sage mir, warum hast du mich hierherauf zu dir geführt?«

»Um dir zu zeigen, daß ich dir vertraue und daß bei uns kein Arg zu finden ist. Du wolltest dich hier einwohnen, um heimlich zu forschen und uns zu schaden. Nun schau dich um und frag nach Allem, was dir beliebt! Ich bin bereit, dir Alles zu zeigen und dir jede Auskunft zu erteilen.«

Da senkte er den Kopf.

»Wie du mich beschämst, Effendi! Wir wußten nur zu gut, daß nichts Arges oder gar Böses hier zu finden sei, nämlich jetzt. Desto sicherer aber später, denn – es sollte gefälscht werden. Und diese Nachahmungen und betrügerischen Verdrehungen sollten nicht nur dem Schah-in-Schah vorgelegt, sondern auch dem ganzen Lande bekannt gegeben werden. Es gibt zwei Parteien, welche es auf die Vernichtung des Ustad abgesehen haben. Ich diente nur der einen, der frommen, weil sie besser belohnte als die andere; aber ich kenne auch diese andere, denn ich habe sie scharf beobachtet und bin ihren Anführern lange heimlich nachgestiegen, um hinter ihre Absichten und Geheimnisse zu kommen. Beide bekämpfen einander unerbittlich; aber sobald es sich um den Ustad handelt, gehen sie fein brüderlich Hand in Hand, jedoch dabei ruhmneidisch auf einander, wer von ihnen am gewissenlosesten gegen ihn gehandelt habe. Wenn du wüßtest, was Alles ich dir von ihnen erzählen kann!«

»Glaubst du etwa, daß ich mich fürchte, es zu hören?« frage ich.

»O nein! Im Gegenteil! Sie, sie sind es, die sich zu fürchten haben, wenn ich dir Alles sage! Der Ustad schreibt ja Bücher! Ein einziges Buch von ihm, mit den Beweisen, die ich bringe, ganz so, wie sie es mit ihren Fälschungen wollten, dem Schah-in-Schah vorgelegt und über das Reich verbreitet – was würden für sie wohl die Folgen sein!«

»Das habe ich bereits gewußt, denn ich bin beiden schon lange auf der Spur.«

»Spur, nur Spur! Was ich dir bringe, sind nicht bloß Spuren, sondern Beweise, Handschriften, Briefe, Dokumente. Diese vernichtenden Waffen liegen bei mir drüben in den Ruinen. Die eine Partei war zu aufrichtig mit mir; die andere hielt mich für dumm. Nun habe ich beide in den Händen. Ich hole dir Alles herüber, um sie dir auszuliefern. Dann mache mit ihnen, was dir beliebt, Effendi. Man ging auf Fälschungen aus, um sagen zu können, daß man Euch entlarve. Nun sollt aber Ihr entlarven können, ohne fälschen zu müssen, denn was ich Euch gebe, ist echt!«

»So bringe es mir! Aber nur dann, wenn es dein Gewissen erleichtert! Ich finde auch ohne Verrat die sämtlichen Blößen des Gegners.«

»Das traue ich dir wohl zu; ich erfahre es ja an mir selbst! Aber Spuren sind doch nur Spuren. Laß mich jetzt zu dir reden; dann wirst du deutlicher sehen!«

»So komm heraus ins Freie! Diese Zimmer sind mir zu heilig für solche Dinge.«

Wir gingen auf die Plattform und setzten uns da nieder, genau so, wie ich im Traume mit dem »Zauberer« gesessen hatte. Und wie dieser, so begann nun auch der Aschyk zu erzählen: Ein Menschenleben nur, und aber doch ein Menschheitsleben! Vom »Zauberer« hatte ich erfahren, warum es Schatten geben muß. Heut nun erfuhr ich, wie diese Schatten wirken und wie man sich verhalten sollte, um sie so klein wie möglich zu machen. Dieser Aschyk hatte im tiefsten Schatten unserer Feinde gelegen und sie genau studiert. Er schonte sich selbst nicht im Geringsten, aber er schonte auch keinen Andern. Und als er fertig war, lag nicht bloß er allein, sondern lagen auch alle Die, von denen er gesprochen hatte, so durchsichtig vor mir, daß ich sie nun wahrscheinlich besser kannte als er selbst. Hierbei befriedigte es mich, daß sich alle meine Vermutungen als richtig herausstellten. So war er es auch wirklich gewesen, der die sechs Fremden drüben in der Mäjmä-i-Yähud belauscht hatte, und er berichtete mir jedes Wort, welches von ihnen gesprochen worden war.

Nun stand er von seinem Sitze auf.

»Fertig – für heut!« sagte er. »Jetzt kennst du mich in allen meinen Sünden; nun sprich mein Urteil aus! Das meinige habe ich da unten gefällt, im Wasser, auf dem Steine. Mit Allah habe ich da drüben in Eurem Beith-y-Chodeh gesprochen. Ich glaube, er verzeiht. Wende dich hinüber, und lausche!«

Es hatte sich im Ost ein starker Morgenhauch erhoben; der wehte durch den offnen Rosenpark und brachte dann den Duft zu uns herüber.

»Das soll mir von da drüben Antwort sein!« nickte der Aschyk. »Und nun noch du! Du bist ein Christ; ich bin ein Muselmann; so sprich als Mensch nun dein Erkenntnis aus. Die Menschheit sollst du nicht etwa vertreten; die kenne ich; ich mag sie gar nicht hören! Sprich zu mir als der Mund des Menschentums; die Menschlichkeit ists, die ich hören will. Und was du sagst, soll über mich entscheiden!«

Da hielt ich ihm meine Hand hin und sprach:

»Greif zu! Die Menschlichkeit, die du jetzt hören willst, hat schon durch mich gesprochen: Ich verzeihe!«

»Ganz?«

»Ganz!«

Erst jetzt faßte er zu. Er hatte mit gesenktem Kopfe vor mir gestanden; nun hob er ihn empor und sagte:

»Da drüben, unterhalb des Tempels, habe ich vor dir gekniet. Ich tat es gern, denn dort war ich Verbrecher. Jetzt aber bin ich wieder Mensch. Ich darf dir also frei ins Antlitz sehn und kann dir danken, ohne mich zu beugen. Sag mir, was hast du über mich beschlossen?«

»Nichts. Du bist frei, dein eigner Herr!«

»So kann ich gehn – in diesem Augenblick – sofort?«

»Ja.«

Da trat er an die Balustrade vor und sah hinab zum See, dann weit hinaus. Hierauf drehte er sich wieder zu mir um, räusperte sich wie verlegen und sprach:

»Effendi, gewähre mir das Glück, das allergrößte, welches es für mich hier bei dir geben kann!«

»Wenn es mir möglich ist, wohl gern.«

»Ich möchte nach so langer, langer Zeit gern wieder einmal fühlen, wie es ist, wenn ein Mensch dem anderen vertraut. Verschließest du hier diese Tür, wenn du dich schlafen legst?«

»Nein.«

»Das Fenster?«

»Auch nicht.«

»Du denkst nicht klein und wirst mich drum verstehen. Ich war dein Feind; dein Leben galt mir nichts. Ich sah drin auf dem Tisch ein Messer, Scheren und noch Andres liegen, was in des Mörders Hand zur Waffe werden kann. Geh trotzdem jetzt hinein, und lege dich zur Ruhe, obgleich hier Alles offenstehen bleibt. Ich aber setze mich hier auf das Kissen nieder und denke mich in meine Jugendzeit, in der ich rein von Schuld, ein gutes Kind, ein braver Mensch noch war. Ich will es wieder sein!«

Da reichte ich ihm abermals die Hand und sagte nichts als:

»Gute Nacht! Ich gehe schlafen!«

Er richtete sich hoch auf. Ich ging, durch das Mittelzimmer, wo ich die Lampe auslöschte, und dann nach der Schlafstube. Dort drehte ich mich noch einmal nach ihm um. Er stand genau so, wie der »Zauberer« im Traume, draußen vor der Tür und schaute mir nach.

»Gute Nacht!« sagte ich noch einmal.

»Gute Nacht! Allah segne dich, Effendi!« klang es zurück. Dann ging ich weiter, in die Stube hinein.

Ich schlief sehr gut und sehr lang. Als ich erwachte, schaute mir die Sonne freundlich in die Augen. Ich dachte sogleich an die Gestalt des Aschyk, wie sie draußen an der Tür gestanden hatte, kleidete mich schnell an und ging hinaus. Er war nicht mehr da. Die Stufen, welche von meiner Plattform aus hinüber nach dem Glockenwege führten, hatten es ihm ermöglicht, sich zu entfernen. Aber er war dann noch einmal hiergewesen, denn auf dem Tisch des Mittelzimmers lag ein Paket, welches nur von ihm sein konnte. Als ich den Umschlag auseinander genommen hatte, sah ich, was es war: die Beweise, Handschriften, Briefe und Dokumente, welche mir über das Treiben unserer Gegner von ihm versprochen worden waren. Ich erstaunte zunächst über die Menge dieser Sachen, sollte aber später, als ich sie las, über ihren Inhalt noch viel mehr erstaunen!

Jetzt zu lesen, war keine Zeit, denn heut war Sonntag, und ich sah schon einzelne Dschamikun nach dem Beith-y-Chodeh steigen. Ich tat also diese Beweise an einen sichern Ort und ging dann hinten hinab, um mich zunächst den Pferden zu zeigen. Assil kam auf mich zugesprungen. Syrr blieb zwar stehen, wieherte aber kurz und freudig auf und erwiderte meine Liebkosungen. Ich holte ihm einige Aepfel und seine Gerste, nahm hierauf mein Frühstück ein und suchte hernach Dschafar Mirza auf, um ihn zu fragen, ob er mit nach dem Tempelberge gehen wolle. Er war mit großem Interesse bereit dazu, und so schlossen wir uns dem Pedehr an, welcher in gleicher Absicht im Hofe mit uns zusammentraf.

Welch ein gottesdienstlicher Sinn unter diesen Dschamikun! Es gab noch keinen Priester, und doch stieg Alles, was nicht unbedingt im Duar bleiben mußte, den Berg hinauf, zur Laienandacht, die erst später, bei gesicherteren Zuständen, von berufenerer Hand geleitet werden sollte. Sie verlief unter zweimaligem Glockenklang derjenigen ähnlich, welcher ich am vorigen Sonntage beigewohnt hatte, nur unterblieb heute alles Weitere.

Auf dem Rückwege blieben wir an derselben Stelle stehen, von welcher aus mir Tifl die jenseits liegenden Ruinen gezeigt hatte. Heute waren sie mir bekannter noch als ihm. Ich erklärte Dschafar, wie man sich die Entstehung und den Zweck dieser Bauten zu denken habe, und freute mich darüber, daß er mich leicht begriff. Da fragte mich der Pedehr:

»Hat der Ustad schon von unserer Kirche zu dir gesprochen?«

»Von einer Kirche? Nein,« antwortete ich. »Das muß noch in weitem Felde liegen, sonst hätte er mir sicher Etwas davon gesagt. Wohin soll sie zu stehen kommen?«

»Eben dort hinüber in die Ruinen. Grad in der senkrechten Linie des Alabasterzeltes.«

»Woher aber der Platz! Ah, ich verstehe. Die Ruinen sollen ja abgetragen werden! Die frommen Herren aus Chorremabad sträuben sich dagegen. Aber dann auch welch ein großartiges Material zum Kirchenbau! Nur müßte auch der Plan dieses Materiales würdig sein!«

»Das ist er auch; Effendi, das ist er auch! Der Ustad hat ihn selbst entworfen und jahrelang daran gezeichnet. Es wurde längst dazu gesammelt und gesteuert. Wir haben weit mehr zusammengebracht, als wir erwarten konnten, aber es reicht noch nicht einmal zum Beginn, viel weniger zur Vollendung. Die Bewältigung solchen Materials erfordert viel Zeit und sehr bedeutende Mittel.«

Da sagte Dschafar schnell:

»Mittel? Darf ich tausend Tuman beitragen?«

»Du? Als Moslem?« fragte der Pedehr erstaunt und erfreut zugleich.

»Warum nicht? Wäre das ein Hindernis? Wir sagen Allah, und Ihr sagt Chodeh. Der Engländer sagt God und der Franzose Dieu. Aber es ist doch ganz gewiß derselbe Gott gemeint! Ich habe schon oft meine Hand geöffnet, um den Bau einer Moschee zu ermöglichen, denn sie ist ein Gotteshaus. Ich gab auch schon zum Baue einer Synagoge. Warum soll ich nicht auch für eine Kirche geben, in der man doch keinem andern Gotte dient? Oder würde meine Gabe Eure Kirche entweihen, weil Eure Verehrung eine etwas andere ist, als die unserige? Würdet Ihr Euch weigern, einen Beitrag des Schah-in-Schah anzunehmen?«

»Des Landesherrn? Auf keinen Fall!«

»So! Er ist Moslem, und ich bin auch einer, habe also das gleiche Recht! Es bleibt bei den tausend Tuman, und mit dem Schah werde ich in Eurem Interesse sprechen, sobald ich wieder zu ihm komme! Man nennt uns Schiiten unduldsam; wir sind es aber nicht, wenigstens die gebildeten. Nur bitten wir um gleiche Toleranz!«

Das war sehr freundlich, aber auch sehr energisch gesprochen. Er gab sich hier überhaupt ganz anders als drüben im wilden Westen. Hier wußte man, was er war und was er wollte; drüben hatte man das aber nicht gewußt. Daher damals das mangelnde, jetzt aber das scharf ausgeprägte Sicherheitsgefühl!

Als wir dann beim Mittagsessen saßen, hörten wir im Hofe Pferdegetrappel und schlürfende Kamelschritte, und ehe uns Jemand meldete, wer es sei, wer kam da mit schnellen Schritten zu uns herein? Der Ustad! Unsere Freude war umso größer, als wir ihn nicht so schnell zurückerwartet hatten. Ich hielt diese rasche Wiederkehr für ein gutes Zeichen, und es stellte sich heraus, daß ich da ganz richtig vermutet hatte. Als die frohe Begrüßung vorüber war, sagte er:

»Ihr werdet wißbegierig sein. Ich will Euch antworten, ehe Ihr fragt, einstweilen nur kurz und bündig: Es steht sehr gut und sehr schlecht, sehr gut für uns und sehr schlecht für die Andern. So! Damit habt Ihr Euch für jetzt zu begnügen, denn ich habe Hunger und setze mich gleich mit her!«

Indem er es sagte, tat er es. Seine Stimmung war eine glückliche, eine heitere. Er sah so wohl und so munter aus, als ob er einige Jahre jünger geworden sei. Es ist etwas so Köstliches um die Freude. Wollte man sie doch allen Menschen gönnen!

Den Nachmittag brachten wir auf seinem Balkon zu, von welchem aus wir das lebhafte Treiben, welches im ganzen Tale herrschte, vorzüglich beobachten konnten. Wir waren nur zu Dreien, er, Dschafar und ich. Er erzählte vom Schah, der gegen ihn sehr gütig gewesen war, in anderer Beziehung sich aber sehr streng gezeigt hatte.

»Er weiß mehr, als ich dachte,« sagte er; »ja, er scheint sogar noch mehr zu wissen als wir selbst. Ich habe von ihm erfahren, daß es sich nicht nur um unsere Existenz, sondern auch um die seinige handle. Es wird ein allgemeiner Aufstand der Babi vorbereitet. Der erste Schlag soll hier bei uns fallen. Das Volk soll glauben, daß wir ihm gefährlich sind und daß der Schah ein Verräter am Glücke seiner Untertanen ist, weil er in jeder Beziehung sich als unser Gönner zeigt. Man will sich als Retter des Vaterlandes aufspielen, indem man den ersten Hieb gegen uns richtet. Hierauf wird der Schah-in-Schah abgesetzt. Das weiß er, und zwar ganz genau. Nur hat er nicht erfahren können, wer sein Nachfolger werden soll.«

Nach dieser Mitteilung sah uns der Ustad an, als ob er die höchste Ueberraschung bei uns erwarte. Dschafar aber sagte sehr ruhig:

»Das wußte ich schon Alles. Der Schah hat es mir erzählt.«

»Und du, Effendi?« fragte der Ustad. »Auch du tust, als ob dir diese aufregende Nachricht höchst gleichgültig sei!«

»Sie ist mir weder gleichgültig, noch überrascht sie mich. Ich bin nämlich in die Verschwörung eingeweiht, vollständig eingeweiht.«

»Du, du?« riefen beide zugleich.

»Ja, ich! Ich weiß sogar, wer der Nachfolger des Beherrschers sein soll.«

»Wer denn, wer, wer?«

»Nur langsam! Ich weiß noch immer mehr. Wollt Ihr vielleicht auch den Namen der neuen Kaiserin hören?«

»Kaiserin –?« fragen beide gleich erstaunt und wie aus einem Munde.

»Nicht wahr, das klingt für Persien sonderbar, ist aber trotzdem Faktum. Wenn Euch ihr Name nicht genügt, so doch vielleicht ihr Bild. Ich besitze es nämlich.«

Da sahen sie mich sprachlos an. Ich mußte lächeln und fuhr fort:

»Der Schah hat zwar Recht, wenn er von einem Babiaufstande spricht, und doch ist es noch anders. Man hat nämlich die Babi nur zu dem Zwecke mit herbeigezogen, um die Schuld, falls der Aufstand mißlingen sollte, ihnen in die Schuhe schieben zu können. Auch ist man auf einige Forderungen der Babi zurückgekommen, weil sie den Zwecken der eigentlichen Macher gut entsprechen. So soll das neue Reich ein Wahlreich sein, in welchem nach 19, der heiligen Babizahl, neunzehn Hohepriester nach Ableben des alten den neuen Herrscher zu wählen haben. Und ebenso soll die Stellung der Frau eine freiere sein, ja noch viel freier, als die Babi jemals gefordert haben. Die Haremswirtschaft hat aufzuhören, weil man Eingang in die Familie und Einfluß auf die Frauen haben will. Darum ist auch dem neuen Kaiser, wie jedem seiner Untertanen, nur eine einzige öffentliche Frau erlaubt, welche den Titel Kaiserin zu führen hat, nachdem sie von den Hohenpriestern für ihn gewählt worden ist. Die erste Kaiserin ist schon gewählt. Ich trage sie hier in meiner Tasche.«

Ich legte bei diesen Worten die Hand auf die Brusttasche meiner Jacke. Dort steckte nämlich das Bild Dschafars und der Schahzadeh Khanum Gul, welches ich im Birs Nimrud zu mir genommen hatte. Als wir von dem Ustad aufgefordert worden waren, mit zu ihm zu kommen, hatte ich mir gedacht, wovon wir sprechen würden, und war hinauf zu mir gegangen, um es mit herabzunehmen. Der Ustad kannte meine damaligen Erlebnisse ganz genau und also auch dieses Bild. Er mochte ahnen, daß ich es meinte, denn er warf einen besorgten Blick auf den Mirza. Dieser aber fragte im Tone der höchsten Spannung:

»In deiner Tasche, Effendi? Darf man es sehen?«

»Ein Fremder nicht; dir aber bin ich sogar verpflichtet, es zu zeigen.«

»Verpflichtet? Wieso?«

»Schau selbst!«

Ich nahm es aus der Tasche und reichte es ihm hin. Er zog es mir aus der Hand, sah es an und – sprang sofort von seinem Sitze auf, als ob er von einer Natter gestochen worden sei. Dann ließ er die Hand mit dem Bilde sinken, sah mich mit einem ganz eigenartigen Blicke an und fragte:

»Effendi, bist du hierhergekommen, um mich abermals zu retten? Aus einer noch viel, viel größern Gefahr, als alle die damaligen waren? Woher hast du dieses Bild?«

»Aus dem Birs Nimrud, von dem ich dir ja schon erzählte. Es lag im Schatz der Sillan, und ich versteckte es, weil ich dich sogleich erkannte.«

»Welch ein Glück, welch ein Glück für mich! Dieses Weib hat es hergegeben, um mich zu verderben, weil ich nichts mehr von ihr wissen wollte! Du lieber, lieber Freund, der du mir bist, wer mag da deine Hand geleitet haben! Man wollte jedenfalls beweisen, daß ich an der Empörung mit beteiligt sei. Denn nun weiß ich es: sie soll die Kaiserin und Ahriman Mirza der Kaiser sein! Ist es so oder nicht, Effendi?«

»Genau so,« nickte ich.

»Aber wie hast du das erfahren können? Du, du, der Fremde!«

»Setz dich wieder her! lch will es dir erzählen. Und nicht nur das allein. Du mußt nun Alles erfahren, Alles. Der Ustad wird es mir erlauben.«

Nun weihte ich ihn in unsere Geheimnisse ein. Er hörte ruhig zu und zeigte selbst dann nicht die geringste Aufregung, als ich ihm mitteilte, daß und für wann sein Todestag bestimmt worden sei. Er öffnete vorn den Alkalok und das seidene Pirahen. Da sahen wir ein wunderbar gearbeitetes Panzerhemde schimmern.

»Du siehst, Effendi,« sagte er, »daß Ahriman Mirza nicht der Einzige ist, der die Notwendigkeit der Vorsicht kennt. Er trachtet mir nach dem Leben; das habe ich schon längst gewußt, und ich werde Euch hierüber noch sehr Interessantes berichten. Neu ist mir nur, daß der Tag, an dem ich sterben soll, so genau festgesetzt worden ist. Ich bin an diesem Tage hier bei Euch, Ahriman auch, der Mörder ebenso. Das ist eine Schalkhaftigkeit des Schicksales, für welche ich herzlich dankbar bin. Wer da noch vom starrsinnigen Fatum oder vom blinden Kismet sprechen kann, der ist ein Tor, der niemals klüger werden wird. Aber das beantwortet mir doch Alles noch nicht meine Frage, woher du erfahren hast, wer Kaiser und wer Kaiserin werden soll!«

»Ich hatte dir erst das Vorangehende zu sagen. Nun kommt die eigentliche Antwort, welche auch den Ustad interessieren wird, weil er noch nicht weiß, was sich während seiner Abwesenheit hier ereignet hat. Ihr sollt es jetzt hören.«

Ich gab meinen Bericht, auch über den Traum, und verschwieg nichts, als nur den einen Umstand, daß mir Syrr gleich bei dem ersten Versuche gehorsam gewesen war. Die beiden Zuhörer folgten meinen Worten mit der größten Spannung, der Ustad still, Dschafar Mirza aber mit ganz besonderer Lebhaftigkeit. Als ich fertig war, tat es der Letztere nicht anders, ich mußte sofort die Beweise holen, welche der Aschyk mir ausgeliefert hatte.

Das tat ich natürlich gern; ich hatte sie ja selbst noch nicht durchsehen können. Das taten wir nun gemeinschaftlich. Ich kann sagen, daß sie alle unsere Erwartungen weit übertrafen. Was wir über Ahriman Mirza Neues erfuhren, war zwar von ganz bedeutender Wichtigkeit für uns und mußte ihm unbedingt verderblich werden, konnte uns aber nicht verwundern. Wenn seine Mittel auch als noch so verwerflich bezeichnet werden mußten, und wenn seine Ziele auch noch so unerlaubte waren, so hatte er seinen Haß doch immer Haß genannt und war zu stolz, fast möchte ich sagen, zu ehrenhaft gewesen, zu verbergen, daß er wühle. Das hat man selbst am ärgsten, am schlimmsten Feinde anzuerkennen und wird ihn, wenn es möglich ist, hiernach behandeln. Was aber den Scheik ul Islam und seine von Allah zur Alleinseligkeit berufene Partei betrifft, so waren wir geradezu empört über das, was wir da lasen und erfuhren. Das klang Alles so mild und freundlich, so leutselig und demütig, so tiefreligiös und gottgefällig, so edel und erhaben, so hart und unerbittlich, so dünkelhaft und hochmütig, so pfauenstolz und truthahneitel, so fanatisch und bigott, so ekelhaft feierlich und weihevoll und darum so schändlich, gemein und niederträchtig, daß Dschafar sich schließlich nicht länger beherrschen konnte. Er sprang auf, spuckte dreimal aus und sagte:

»Das ist schändlich, nichtswürdig und infam! Diese Schurken geberden sich, als ob sie den Herrgott zu beschützen und seine ganze Menschheit zu behüten und zu bewahren hätten. Dabei aber retten sie nur immer sich, sich, sich und keinen andern Menschen! Weil sie weder Geist noch Vernunft besitzen, glauben sie sich von jedem vernünftigen Worte angegriffen und schlagen ihre mißverstandenen Kuransprüche Jedem an die Backen, der besser, tiefer und höher denkt als sie! Wehe dem, der daran zweifelt, daß sie die Einzigen sind, die Allahs Licht erleuchtet! Sie können sich leicht bescheiden stellen, denn sie sind geistig dumm! Und sie können ebenso leicht erhaben und unfehlbar tun, weil sie leider nicht die einzigen geistig Dummen sind! Und diese Menschen nehmen es dem Schah-in-Schah übel, daß bei uns die Familie ein Heiligtum ist, vor dessen Tür sie mit ihren salbungsvollen Schritten innehalten müssen! Der Hausherr soll nicht mehr Herr des Hauses sein, sondern sie, sie, sie wollen es regieren! Besonders aber haben alle Frauen durch das geheimnisdüstre und verschwiegene Bab zu gehen, von welchem diese Babi ihren Namen herleiten! Oh, ich kenne diesen Scheik ul Islam von Feraghan aus! Dieser Schwachkopf ist überzeugt, daß er zur Belohnung von dort nach Chorremabad versetzt worden sei. Er ahnt nicht, daß sein treues Luristan das Bab sein soll, aus dem man ihn mit einem gänzlich unerwarteten Fußtritt werfen wird! Er ist so tölpelhaft, es sich selbst zu öffnen, jetzt eben, jetzt, und wir sind es, wir, von denen er den Fußtritt zu bekommen hat! Es werden noch viele, viele Andere mit ihm fliegen!«

Nun setzte er sich wieder nieder, hatte sich aber seines Zornes noch nicht ganz entledigt. Er fuhr fort:

»Wie gut, daß ich durch dich, Effendi, diesen tiefen und klaren Einblick gewinne! Es gehen also eigentlich zwei Empörungen gegen den Schah neben einander her. Die eine leitet der Fürst der Schatten, die andere der Scheik ul Islam, welcher aber nicht weiß, wer dieser Fürst der Schatten ist. Der Aschyk sollte es erspähen. Für beide ist Ahriman Mirza als zukünftiger Herrscher in Aussicht genommen. Auf welche Weise dieser Prinz den Scheik ul Islam für sich gewonnen hat, das ist für uns jetzt Nebensache. Beide Heerlager wollen sich vereinigen und hier bei uns beginnen. Welch eine Vereinigung! Die Frommen mit den Gottesleugnern, die Grundehrlichen mit den Fälschern und Betrügern, die Auserwählten Gottes mit den Auserkorenen des Teufels! Die Einen haben sich stets als die Aristokraten des Glaubens und der Religiosität und die Andern als Farmasonha, als niedrige Demokraten, als ketzerisches Gesindel bezeichnet; nun aber schließen sie mit ihnen Bruderbund, um sie zum Dank dann anzuspein und wieder wegzuwerfen! Effendi, ich bitte dich, mir diese Beweise anzuvertrauen, nicht für immer, sondern nur für einige Stunden. Ich weiß, wie wertvoll sie Euch zur Entlarvung Eurer persönlichen Gegner werden können; aber ich muß sofort einen Bericht für den Schah-in-Schah anfertigen und dabei ihren Inhalt vor mir liegen haben. Wirst du mir diese Bitte gewähren? Sie sind in meinen Händen sicher, und du bekommst sie dann sogleich zurück.«

»Nimm sie mit,« antwortete ich. »Dir und dem Ustad kann ich sie gern anvertrauen; ein Anderer aber bekäme sie wohl nicht. Wann willst du diesen Bericht schreiben? Du sagst, sofort. Hältst du das für nötig?«

»Allerdings. Es eilt. Darum werde ich ihn, sobald er fertig ist, durch einen zuverlässigen Boten nach Mihribani senden. Aber – freilich – ich habe nur Reitknechte mit. Ich konnte nicht an die Notwendigkeit einer solchen Botschaft denken und muß darum Euch um einen Mann ersuchen, der sich eher totschlagen läßt und meinen Bericht vorher verschlingt, ehe er ihn in falsche Hände kommen läßt.«

Der Ustad sah mich fragend an. Es gab unter den Dschamikun wohl Manchen, der geeignet war, aber er kam dennoch nicht sogleich auf einen bestimmten Namen. Da sagte ich:

»Unser Kara Ben Halef! Er besitzt alle Eigenschaften, welche hierzu erforderlich sind. Trotz seiner Jugend können wir ihm wohl am meisten vertrauen. Außerdem stehen ihm die echten Eilkamele der Hadeddihn zur Verfügung. Es giebt also für ihn nicht die geringste Gefahr, denn kein Mensch würde ihn einholen können. Er braucht nicht mehr als zwei Tage hin und zwei her. Wenn Ihr ihm einen Mann mitgebt, der den Weg nach Mihiribani kennt, so kann er am Donnerstag Abend wieder hier sein. Muß er aber auf Antwort warten, dann allerdings erst am Freitag.«

Dieser Vorschlag fand solchen Anklang, daß ich mich gleich aufmachte, um mit Kara zu sprechen. Dschafar begleitete mich nach unten. Die Dokumente in der Hand, ging er nach seinem Turme.

Kara befand sich bei seinen Eltern. Als ich hinaufkam, saß Halef aufrecht im Bette, nur ganz leicht gestützt.

»Willkommen, Sihdi!« rief er mir mit ziemlich kräftiger Stimme entgegen. »Du schaust so eilig aus?«

»Es ist auch eilig, mein lieber Halef. Ich komme, um dir den Sohn für mehrere Tage zu nehmen. Er muß eine Botschaft übernehmen, welche ich nur dem Zuverlässigsten, den ich hier kenne, anvertrauen kann.«

»Dem Zuverlässigsten? Hältst du unseren Kara dafür?«

»Ja.«

»Allah segne dich! Das ist wieder Arznei! Das hilft; das stärkt! Das macht mich schnell gesund! Wo soll er hin?«

»Zum Schah-in-Schah.«

»Zum –!«

Das Wort blieb ihm vor Freude und Staunen im Munde stecken.

»Ja, zum Schah-in-Schah!« wiederholte ich. »Mit höchst wichtigen Depeschen!«

»Zum Schah – in – Schah –!« brachte er jetzt hervor, indem er die Hände selig zusammenschlug.

»Mit höchst wichtigen Depeschen!« fügte Hanneh hinzu, die vor Wonne strahlte, denn das war wieder Etwas, was noch nicht dagewesen war, eine Ehrung sondergleichen.

Kara aber war still. Er sagte nichts. Das war so seine Art!

Ich erklärte ihnen die Angelegenheit. Da ging Kara, um die Eilhedschihn zu füttern und zu tränken. Halef aber hielt mir seine Hand hin und sagte:

»Sihdi, das kommt von dir. Ich weiß es, daß du ihn vorgeschlagen hast, denn ich kenne dich. Du weißt allerdings, daß Kara der richtige Bote ist, aber du hast dabei auch an uns, seine Eltern gedacht. Das ist abermals Arznei! Wenn das so fortgeht mit den frohen Botschaften, so springe ich noch heut von meinem Lager auf und laufe in einer Tour den ganzen Berg hinunter! Seit ich hier oben im Freien liege, werde ich wie im Galopp gesund!«

Von hier aus ging ich zu den Pferden. Schon war ich an der Küchentür vorüber, da hörte ich mich hinter mir rufen. Ich drehte mich um. Pekala kam mir nach. Sie tat sehr heimlich.

»Effendi, weiß du, daß heute Sonntag ist?« fragte sie halblaut.

»Natürlich!«

»Und daß da mein Aschyk kommen wollte?«

»Ja.«

»Er kommt aber nicht!«

»So? Warum nicht?«

»Er hat sich anders besonnen und läßt dich bitten, nicht auf ihn zu warten.«

»So war er aber doch wohl da? Denn du hast mit ihm gesprochen?«

»Ja, er war da.«

»Wann?«

»Heut früh. Des Sonntags stehe ich immer eher auf als sonst, weil ich, wenn die Glocken läuten, mit der Arbeit fertig sein will. Heut war es nun noch zeitiger als gewöhnlich. Ich ging in den Garten, um Soghanlar zu holen; da stand mein Aschyk plötzlich vor mir und sagte, daß er schon jetzt gekommen sei, weil er heute Abend nicht dasein werde.«

»Wo will er da wohl hin?«

»Das weiß ich nicht. Ich konnte ihn nach gar nichts fragen, weil er keine Zeit hatte, mir zu antworten. Aber es war sehr rührend, als er ging, sehr!«

»Wieso?«

»Er ergriff meine Hand und streichelte mir mit seiner anderen Hand über den Kopf, so – so –«

Sie zeigte mir, wie er es gemacht hatte, und fuhr dann fort:

»Und dazu sagte er: "Pekala", sagte er, "wir haben im letzten Jahre viele, sehr viele Lügen gemacht, und der Ustad und der Effendi sind doch so liebe und so gute Menschen, die man auf keinen Fall belügen oder gar betrügen sollte. Versprich mir, daß du ihnen von heute an die volle Wahrheit sagen willst, wenn sie dich nach mir fragen!" Da habe ich es ihm versprochen und ihm auch die Hand darauf gegeben, daß ich es halten werde, denn –«

Sie hielt inne, weil ihr die Tränen kamen. Da wischte sie sich die Aeuglein und auch das kleine Näslein an die Schürze und fuhr hierauf fort:

»Denn mit dem Lügen ist es – verzeihe mir, Effendi! Ich nehme dann nachher zum Kochen gleich eine andere, eine neue Schürze – denn mit dem Lügen ist es eine schlimme Sache. Man kann nämlich nicht schlafen, wenn man dich oder den Ustad belogen hat, und so will ich dir denn jetzt ganz offen sagen –«

Sie wischte sich jetzt abermals, und zwar sehr nachhaltig, was sie jetzt nun doch wohl durfte, weil sie ja nachher eine neue Schürze nehmen wollte, und sprach weiter:

»– – will dir ganz offen sagen, daß die Sache anders gewesen ist, als ich dir erzählt habe. Es muß vom Herzen herunter, sonst halte ich es nicht aus! Mein Aschyk ist nämlich nicht nur alle Monate gekommen, sondern –«

Da unterbrach ich sie:

»Laß das jetzt, Pekala! Ich wünsche nicht, daß du dir wehe tust.«

»Ich soll es dir nicht erzählen?«

»Nein.«

»Aber da bringe ich es doch nicht herunter und kann heute Nacht wieder nicht schlafen!«

»Doch, doch! Es ist nämlich genau so gut, als ob du es erzählt hättest. Der Ustad und ich verzeihen es dir. Wenn wir es einmal wissen wollen, werden wir dich schon selbst fragen. Dann aber mußt du uns freilich die volle Wahrheit sagen, keine Lüge mehr!«

Da wurden ihre Aeuglein wieder klar; das Näslein verlor die Lust, sich kummerfeucht zu zeigen, und sie antwortete schnell:

»Lüge? Nie wieder, nie, niemals! Wir sind wahrscheinlich selbst auch belogen worden, besonders vom Scheik ul Islam, der gesagt hat, daß er bloß sein Schreiber sei! Von ihm hat mir mein Aschyk eine Schlechtigkeit mitgeteilt, die ganz unerhört ist!«

»Ich denke, er hat gar nicht viel mit dir gesprochen!«

»Das ist auch wahr, aber dieses doch! Denke dir, dieser armselige Scheik des Islam hat behauptet, meine Nase sei zu klein, mein Maul zu groß und mein Gang wie Elefantentrab! Der soll mir einmal wiederkommen! Ich warte schon darauf! Was so eine Lüge anrichtet, das glaubst du gar nicht, Effendi! Ich habe diesen ganzen Tag daran denken müssen und mich vor Aerger wenigstens hundertmal vergriffen. Dem Pedehr habe ich seinen Kaffee nicht von Bohnen, sondern von Pfefferkörnern gekocht. Denke dir sein Gesicht, als er trank! Den Leuten habe ich Salz anstatt Zucker in die Limonada geschüttet! Und in dem Eierkuchen, den ich für mich selbst gebacken habe, fand ich einen Strang schwarzen Nähzwirn, vier Knöpfe und eine bleierne Flintenkugel. Ist das nicht geradezu fürchterlich, was solche Lügen für schreckliche Folgen haben? Meine Nase zu klein! Wenn dieser Mensch sich wiedersehen läßt, bekommt er den ganzen Eierkuchen ins Gesicht, den ganzen, gleich auf einmal! Ich hebe ihn mir auf! Der liegt bereit, alle Tage, und schwapp, da hat er ihn!«

Sie machte mir mit den Händen die betreffende Bewegung vor. Ich mußte lachen; sie aber meinte es ernst. Der Aschyk schien seine Pekala zu kennen. Er hatte dem Scheik ul Islam diese Sünden gegen die weibliche Schönheit in den Mund gelegt und damit mehr erreicht, als er durch alle möglichen Warnungen und Ermahnungen hätte erreichen können. Ich durfte überzeugt sein, daß sie den frommen Herrn niemals wieder um eine Naddara bitten werde! Sie fuhr fort:

»Nur den Lügen dieses Scheik ul Islam ist es zuzuschreiben, daß mein Tifl fortgegangen ist, obgleich ich ihm so gute Worte gab, bei uns zu bleiben. Er hatte ihm weißgemacht, hier bei uns werde er es doch zu nichts bringen; wenn er aber mit ihm gehe und beim Rennen den Kiss-y-Darr reite, werde er sofort unter die Aeltesten der Taki-Kurden aufgenommen; in einem Jahre könne er schon Scheik geworden sein, und dann werde sich kein Ustad mehr weigern, die Dschamikun durch einen Bund mit den Taki-Nachbarn so mächtig zu machen, daß sich kein Feind mehr an sie wagen könne.«

»Ah, so! Das, das ist die Leimrute gewesen, an welcher Tifl hängen geblieben ist! Er glaubte, es gut mit uns zu meinen?«

»Wie denn anders, Effendi? Denkst du etwa, daß Tifl im stande sei, jemals unsern Schaden zu wollen? Das "Kind" ist eben noch dumm. Ich habe es zu erziehen. Später, wenn diese Erziehung vollendet ist, wird es keinem Scheik ul Islam mehr gelingen, ihm Sand in die Augen zu streuen. Und das "Kind" ist nicht bloß dumm, sondern auch gescheidt und klug. Es wird sich drüben bei den Taki-Kurden umschauen und sehr bald einsehen, daß man es dort nur an der Nase führen will. Dann kommt es wieder. Darauf kannst du dich verlassen, Effendi. Ich freue mich schon darauf!«

»Wie hieß das Pferd, welches er gegen uns reiten soll?«

»Kiss-y-Darr.«

»Sonderbarer Name! Was ist das für ein Pferd?«

»Das weiß ich nicht. Tifl hat ihm weiter nichts gesagt, als daß es eigentlich das Eigentum des Ustad sei. Nun aber muß ich in die Küche, Effendi, weil es heut eine große Sukdscha mit Zucker und Zitrone gibt. Die hat der Ustad mich gelehrt, zu machen. Sie ist eines seiner Leibgerichte in der warmen Jahreszeit, und so soll er sie heut bei seiner Heimkehr haben.«

»So hüte dich, wieder Salz anstatt Zucker zu nehmen!«

»Allah verhüte es! Aber mein Aerger ist noch nicht heraus, und so wäre es wohl kein Wunder, wenn ich es täte!«

Sie kehrte in ihr Reich zurück, und ich setzte meinen unterbrochenen Weg nach der Pferdeweide fort, wobei ich mich mit einigen Aepfeln versah, nicht nur für Syrr, sondern auch für Assil. Denn, so lächerlich es auch klingen mag, weil es sich doch nur um Tiere handelt, es erschien mir ungerecht, dem einen, wohlverdienten, Etwas vorzuenthalten, was das andere bekam, ohne schon auch nur Aehnliches geleistet zu haben. Sie standen bei einander, fast zärtlich Kopf an Kopf. Ich gab ihnen die Aepfel nicht direkt, sondern ich legte sie vor sie hin in das Gras. Beide senkten die Köpfe zu gleicher Zeit, hoben sie aber auch zugleich wieder in die Höhe. Warum? Aus Neidlosigkeit. Edles Blut! Keine Spur von Habgier. Jedes von ihnen sah, daß das andere die Früchte haben wollte und zog darum den Kopf bereitwillig zurück. Keines langte wieder nieder. Syrr aber rieb sein Maul an Assils Hals. War das eine Aufforderung, zu nehmen und zu fressen? Ich hob die Aepfel auf und gab jedem das Seinige. Da langten beide zu – Tiere!

Von jetzt an versorgte ich auch Assil wieder mit eigener Hand. Er war das so gewohnt und hatte es verdient.

Eben als ich beiden Pferden ihre Abendgerste gab, sah ich drüben jenseits der Ruinen einen Reiter kommen, den Duar vermeidend, über Stock und Stein, aus dem hintern Tal herauf quer auf die Brüche zu. Das war fast wagehalsig! Als er den obern Steinbruch erreichte, erkannte ich ihn; es war – Tifl. Als ob das Wort seiner Pekala ihn herbeigezogen hätte! Er lenkte nach dem Glockenwege und dann linksab zu mir. Der Schritt seines Pferdes wurde immer langsamer und zögernder, je näher er mir kam. Endlich hielt er ganz an, wohl über zehn Pferdelängen von mir entfernt.

»Effendi, darf ich wiederkommen?« fragte er.

Ich antwortete nicht. Er wartete eine kleine Weile und fuhr dann verlegen fort:

»Da drüben ist die Hölle! Ich mag nichts von ihr wissen!«

Natürlich blieb ich still.

»Und heut kam der Sonntag! Am Freitag plärrten sie den ganzen Tag. Das klang so kindisch. Fast habe ich mich an ihrer Stelle geschämt! Nun betete ich heut. Sie sahen es. Ich tat es still; ich plärrte, plapperte und murmelte nicht wie sie. Da lachten sie mich aus und schimpften mich einen Kafir. Ich dachte an unsere Glocken, an unsern Sonntagsgesang, an unser Beit-y-Chodeh, an meine gute Pekala, an den Ustad, an dich, Effendi, an Alles, Alles, Alles! Da hielt ich es nicht länger aus. Ich mußte fort, nur fort! Ich kann die Gesichter da drüben nicht leiden. Sie sind so sanft, so fromm und doch so unverschämt! Als ob sie lauter heilige Engel seien und ich ein ganz verlorenes, von Gott verstoßenes Subjekt! Sie wollten mir meinen Chodeh nehmen, den ich verehre. Sie sprachen schlecht von meinem Ustad, den ich liebe. Und sie sprachen von den Dschamikun wie von ganz albernen Geschöpfen, denen man ihren Ustad verbieten müsse, wenn man brauchbare Menschen aus ihnen machen wolle. Das ergrimmte mich so, daß ich sie hätte erwürgen mögen, diese Dummköpfe. Aber ich kämpfte meinen Zorn nieder, ging heimlich aus dem Duar, holte mir mein Pferd von der Weide und – nun bin ich wieder da, Effendi!«

Das war eine lange Rede. Er hatte sie nicht etwa fließend gehalten, sondern seine Sätze von Pause zu Pause wie mit Gewalt herausgestoßen. Nun wartete er, ob ich endlich Antwort geben werde. Ich tat es nicht. Da trieb er sein Pferd etwas näher heran, stieg ab, kam auf mich zu und sagte:

»Sprich doch, Effendi, sonst fange ich an, zu weinen! Es war falsch und dumm von mir, daß ich ging. Sei gut wie immer, und verzeihe mir! Was willst du denn auch anders mit mir machen; ich bin doch Euer alter, treuer Tifl!«

Ich war im Stillen gerührt, zeigte ihm dies aber nicht, sondern deutete nach dem Hause und sagte:

»Der Ustad ist wieder da; er mag entscheiden. Geh zu ihm!«

Da holte er sein Pferd. Indem er es an mir vorüberführte, hingen seine Augen an Syrr, mit einer Bewunderung, als ob er etwas Ueberirdisches sehe. Er getraute sich aber nicht, noch Etwas zu sagen.

Ich schaute ihm nicht nach, hörte aber gleich darauf eine weibliche Stimme jubeln. Die Festjungfrau nahm ihr Herzens- und Schmerzenskind wieder in Empfang. Das war eine neue Aufregung für sie, infolge deren die ebenso bedenkliche wie berechtigte Frage in mir auftauchte: Was wird nun wohl aus der Kalteschale werden ?!

Als ich dann wieder vor auf den Hof kam, stand Kara mit den Kamelen zum Aufbruche bereit. Er war gut bewaffnet. Einer von Dschafars Reitknechten sollte ihn begleiten. Der Bericht an den Herrscher war aber noch nicht fertig. Der Ustad stand auf seinem Balkon; er winkte mir, hinaufzukommen. Tifl lehnte an einer der Säulen vor der Halle. Als ich an ihm vorüberwollte, sagte er:

»Effendi, unser Ustad hat mir verziehen; ich darf hierbleiben. Willst du nicht auch so gütig sein wie er?«

»Hat er vergeben, so habe auch ich es getan,« antwortete ich. »Wie du über den Scheik ul Islam denkst, das hast du mir gesagt, und ich hoffe, daß du nicht wieder anderer Ansicht wirst. Wie aber steht es mit Ahriman Mirza? Wer hatte ihm damals Alles über mein Lager hier in der Halle mitgeteilt?«

»Ich war es,« gestand er aufrichtig. »Der Aschyk hatte uns gesagt, daß Ahriman ein großer Freund der Dschamikun sei; er dürfe es sich jetzt nur noch nicht merken lassen. Darum beantwortete ich alle seine Fragen. Ich hielt mich für klüger und unterrichteter, als Ihr alle seid. Ich war überzeugt, daß Ihr mir später rechtgeben und meine Umsicht bewundern würdet. Ich bin aber ein Schaf, Effendi, das allergrößte Schaf, daß es gibt, so weit das Gras hier auf den Bergen wächst!«

»Da hast du Recht, Tifl! Du solltest bei den Takikurden geschoren werden. Sei froh, daß du mit dem Felle davongekommen bist!«

Als ich hinauf zum Ustad kam, empfing er mich mit den Worten:

»Du wirst mich nach Tifl fragen wollen. Mir liegt aber zunächst etwas Anderes auf dem Herzen, wovon du in Dschafars Gegenwart nicht gesprochen hast, nämlich Syrr. Er zeigte mir das Pferd, als ich ihn unterwegs traf, und auch der Schah sprach sogleich mit mir davon.

Als wir in jener Nacht hier bei mir von Syrr sprachen, konnten wir nicht ahnen, daß er sich eine Woche später bei uns befinden werde. Ich sehe unserm Rennen mit Zuversicht entgegen; aber diese Zuversicht würde sich verzehnfachen, ja verhundertfachen, wenn Jemand hier wäre, der ihn reiten könnte. Der Schah ist sehr gespannt darauf, ob du es fertig bringst. Er hält es sogar für nicht unwahrscheinlich, daß es dir gelingen werde. Aber die Tatsache, daß er dich aufsitzen läßt und dich trägt, wohin du willst, genügt doch für so ein Rennen nicht. Du hättest ihn erst wochen-, vielleicht sogar monatelang zu studieren, um seine Schule zu entdecken. Sodann bist du ja noch krank. Es müßte also ein Anderer sein, und den gibt es nicht.«

»Was du da sagst, ist Alles, Alles Nebensache, mein Freund,« antwortete ich. »Die Hauptsache ist doch wohl, ob wir uns anmaßen dürften, Syrr zum Rennen zu benützen.«

»Unbedingt, unbedingt!«

»Du meinst, daß der Schah nichts dagegen hätte?«

»Dagegen? Er würde sich sogar freuen, herzlich freuen, zeigen zu können, daß seine Schule alle andern Schulen schlägt. Der Kampf würde aber ein heißer, sogar ein entscheidender werden, denn wisse, der "Teufel" wird gegen uns geritten, und Ahriman reitet ihn selbst!«

»Der Teufel? Was ist das für ein Pferd?«

»Eine Khorassan-Schecke von wunderbarer Schnelligkeit und Ausdauer. Sie gewann noch jedes Rennen, und zwar spielend, selbst gegen die berühmtesten Pferde. Man hält sie für unbesiegbar und wagt es schon seit Jahren nicht mehr, gegen sie zu setzen. Es heißt "Teufel" und ist ein Teufel, der oberste aller Teufel. Darum heißt die Schecke nicht bloß Schetan oder Scheitan, sondern "Iblis". Und bezeichnender Weise ist dieser Iblis nicht im Besitze eines Mannes, sondern eines Weibes. Du wirst staunen. Seine Herrin ist nämlich jene Schahsadeh Khanum Gul, die sich "Rose von Schiras" nennen läßt und, wie wir jetzt wissen, Kaiserin von Persien werden will.«

»Höchst kurios! Aber wundervoll!«

»Wundervoll? Das klingt ja, als freutest du dich darüber?«

»Natürlich freue ich mich! Mir ist nur bange, ob man diesen "Iblis" auch wirklich bringen wird. Von Schiras bis hierher ist ein weiter Weg!«

»Schiras? Ah, ich vergesse, daß du ja noch nicht weißt, was ich von Tifl erfahren habe. Ahriman Mirza und die Khanum Gul sind jetzt nämlich in Chorremabad, als Gäste des Scheik ul Islam.«

»Das würde für uns erstaunlich sein, wenn uns ihre Zwecke unbekannt wären. Aber er und sie mögen stecken, wo sie wollen; das ist mir in diesem Augenblicke unendlich gleichgültig. Ich frage nur nach dem Teufel!«

»Der ist auch in Chorremabad. Die Gul reist stets mit Hofstaat und trennt sich nie von ihrem Lieblingspferde.«

»So kommt der "Iblis" also sicher?«

»Ganz gewiß! Er soll uns unser ganzes Vollblut abgewinnen, uns vollständig zuschanden machen!«

»So bin ich zufriedengestellt. Ich reite also den Syrr! Aber kein Mensch darf es vorher ahnen, ausgenommen du und Schakara!«

»Effendi!« rief er aus, indem er einige Schritte von mir zurückwich.

»Ja, ich reite ihn!« versicherte ich. »Das war bis jetzt noch ungewiß; nun aber ist es fest bestimmt.«

»Duldet er dich denn?«

»Mit Vergnügen!«

»Aber du kennst doch seine Schule nicht, und kein einziges seiner Geheimnisse!«

»Er hat weder das Eine noch das Andere. Er hat nie zu Diensten einer Schule oder Wissenschaft gestanden, welche zwar alte Mähren reitet und mißratenes Voll- und Halbblut dressiert, aber niemals ein wirklich edles Pferd gehorsam machen wird, weil sie beharrlich seine Seele leugnet. Und Geheimnis? Ich behandle Syrr nach dem großen und liebevollen Geheimnisse der Natur. Er hat sich gleich beim ersten Versuche einverstanden gezeigt. Ich habe mich nur mit ihm zusammenzuleben. Das Fest beginnt Sonntag. Der Montag ist für die Vorrennen bestimmt. Der Hauptwettlauf folgt Dienstag. Das sind noch neun Tage, also genug Zeit, mich körperlich vollends zu erholen und Syrr ganz für mich zu gewinnen. Ich kenne den "Teufel" dieser Khanum Gul noch nicht. Wer weiß, auf welche Kniffe und Finessen er läuft. Aber wenn ich dir sage, daß ich ihn selbst mit Assil nicht fürchten würde, viel weniger mit Syrr, so kannst du ruhig sein!«

Da lächelte er mir fröhlich ins Gesicht, gab mir die Hand und antwortete:

»Da steht für uns ja Alles, Alles gut, sogar vortrefflich! Ich reite meine Sahm und du den Syrr –«

»Vielleicht auch noch den Assil!« fiel ich ein. »Kara soll ihn bekommen. Aber wenn ich es für nötig halte, setze ich mich selbst auf.«

»Dann iß nur, iß, und pflege dich, mein Freund! Denn ich merke, du wirst es sein, der den Ausschlag zu geben hat.«

»Nicht essen, sondern üben ist die Hauptsache. Ich werde damit gleich heute noch beginnen.«

»Dafür ist es zu spät!«

»Nein, denn ich übe nur des Nachts. Es soll Niemand den Syrr eher sehen, als bis zum letzten Augenblick. Man wird uns den "Teufel" nur erst zum letzten, Alles entscheidenden Rennen stellen und meinen, uns damit perplex zu machen. Dann bringe ich meinen Glanzrappen, nicht eher! Bist du deiner Stute sicher?«

»Ein halber Tag im Sattel, so ist sie wieder mein!«

»Schön! Was aber hat es für eine Bewandtnis mit dem sogenannten "Kiss-y-Darr", von welchem Pekala gesprochen hat?«

»Das ist eine Gemeinheit, eine Infamie sondergleichen gegen mich von Seiten des Scheik ul Islam. Dieses Pferd ist eigentlich mein, ja, ohne allen Zweifel mein; man hat mich darum betrogen, und nun es vollständig niedergeritten worden ist, will man mich mit ihm beschimpfen und blamieren. Laß dir erzählen, Effendi!«

Sein bisher heiteres Gesicht beschattete sich, als er begann:

»Der Name lautet eigentlich nur "Kiss", bekanntlich das arabische Wort für "Roman". Warum ich das Pferd, als es geboren wurde, grad so und nicht anders genannt habe, brauche ich nicht dir zu erklären, der du auch Bücher schreibst. Das "y-Darr", den "Schund", hat man erst jetzt hinzugefügt! Kiss stammte von edeln Eltern. Er war ein Hellbrauner von besten Eigenschaften und versprach, diesen Eltern und auch mir Ehre zu machen. Eben, als er sich zu einem reitbaren Pferde entwickelt hatte, traf ich mit einem Scheik der Kutubikurden zusammen, der mich bat, ihm dieses Pferd zu seiner Aufzucht gegen eine zu vereinbarende Gebühr zu leihen. Er wolle gern seine Rasse veredeln und sei überzeugt, daß Kiss sich am besten hierzu eigne. Dieser Mann sprach so rechtschaffen, so ehrlich, so bieder, daß ich ihm mein Vertrauen schenkte. Ich lieh ihm Kiss; er ging auf alle meine Bedingungen ein, gab mir Handschlag und Wort und zahlte auch die erste Rate der Leihgebühr. Die übrigen Gratifikationen aber blieben aus. Das war vor zwanzig Jahren. Seit dieser Zeit habe ich trotz aller Fragen und Mahnungen weder eine Gebühr erhalten noch mein Pferd zurückbekommen können. Der Mann ist gestorben. Seine Erben haben Kiss verkauft. Sie und der Käufer behaupten, das Pferd gehöre nicht mir, obwohl sie wissen, daß man solche Rasse überhaupt niemals verkauft. Es ist jedem Kutubikurden bekannt, daß man derartige Pferde höchstens nur gegen eine fortgesetzte und langjährige Rente aus den Händen gibt. Ich habe Kiss nur ein einziges Mal wiedergesehen, vor gar nicht langer Zeit. Er war über zwanzig Jahre alt, abgetrieben, entstellt, verletzt, verhunzt, besudelt, beinahe zur Karrikatur gemacht, und nun hat ihn der Scheik ul Islam sich von dem Käufer schicken lassen, um ihn in dieser Heruntergekommenheit öffentlich gegen mich auszuspielen. Die Karrikatur eines Pferdes sollte von der Karrikatur eines Menschen, nämlich Tifl, hier vorgeritten werden, um vor aller Augen den Beweis zu liefern, welchen verderblichen Einfluß ich auf die Erziehung von Mensch und Tier besitze! Vor allen Dingen aber soll das arme, absichtlich mißhandelte Tier vor dem Rennen nicht als "Kiss", sondern als "Kiss-y-Darr", also nicht als "Roman", sondern als "Schundroman" ausgerufen werden. Du siehst, mit welchen Mitteln diese "Ebenbilder Gottes" gegen mich kämpfen!«

»So ist es also, so!« sagte ich. »Nun ist ihnen aber Tifl entgangen. Vielleicht verzichten sie aus diesem Grunde auf den beabsichtigten Streich?«

»Das denke nicht! Es wird sich schon ein feiler "Taki" finden, dem es eine Wonne ist, sich auf dem Schundroman vor aller Welt zu brüsten, weil ihn ein andres Pferd sofort vom Sattel werfen würde! Nicht etwa, daß ich mich hierüber ärgere, o nein; ich freue mich sogar auf diese Hanswurstiade, denn, denn – ich habe Etwas vor!«

»Was?«

»Kiss war edel und ist noch heute edel, trotz seines Alters und trotz seiner Entstellung. Der Kenner sieht sofort, was ursprüngliche Natur und was Verhunzung ist. Ich werde aus diesem Humbug einen Ernst zu machen wissen, an den zu denken, ihnen Geist und Grütze fehlen! Du wirst es wohl erraten?«

»Allerdings. Wenn sie sich einbilden, uns mit ihrem "Schund" schlagen zu können, so werden sie es sein, die beschämt abziehen müssen. Du oder ich, ganz gleich; wir haben uns beide nicht zu schämen!«

»Ich höre, du hast mich verstanden. Uebrigens scheint dieser Plan mit Kiss-y-Darr in demselben Gehirn entsprungen zu sein, aus welchem die famose Karawane des Pischkhidmet BaschiSiehe Band II pag. 27. stammt. Sie sind einander so ähnlich. Mit dem Pferde wollen sie mich blamieren; mit jener Karawane, die auch nur Humbug war, sollte die Ehre des Schah-in-Schah an den heiligen Orten untergraben werden.«

»Woher weißt du das?« fragte ich verwundert, weil auch ich mir schon so etwas Aehnliches gedacht hatte.

»Der Herrscher hat es mir selbst erzählt. Es ist ihm über diese Karawane berichtet worden. Er hat nicht das Geringste von ihr gewußt, und unter seinen Kammerherren befindet sich nicht ein einziger solcher Dummkopf, wie jener sogenannte Pischkhidmet gewesen ist. Darum hat er nachforschen lassen. Die Spuren führten zum Scheik ul Islam, und es stellte sich auch wirklich heraus, daß dieser der Unternehmer des ganzen Schwindels gewesen ist.«

»Und ich habe den Pseudo-Kammerherrn beschützt!«

»Trotz seiner Frechheit und Undankbarkeit! Laß dich das nicht reuen! Dank kennt nur der Gute, aber so ein Mensch doch nicht! Uebrigens kam während dieses Gespräches mit dem Beherrscher noch eine andere Episode vor. Ich war nämlich zweimal bei ihm. Beim ersten Male erzählte ich ihm Alles und zeigte ihm auch den Brief des Aemir-i-Sillan an den Henker und las ihm die Zeilen vor. Da sagte er, daß dieser Henker uns jetzt ganz nahe sei, denn er befinde sich auch hier, habe um eine Audienz gebeten und sei für die jetzige Zeit herbeibefohlen worden. Als ich dann ging, stand der Multasim auch wirklich im Vorzimmer und mußte sofort eintreten. Er hatte seinen Balapuschi abgelegt, und der günstige Augenblick erlaubte mir, den Brief in eine Tasche desselben zu schieben, in welcher schon ein Notizbuch steckte; er ist also ganz sicher gefunden worden. Bei der Abschiedsaudienz erfuhr ich vom Schah, daß dieser Mensch die Stirn gehabt habe, mich wegen Mordanschlages und widerrechtlicher Gefangennahme bei ihm anzuklagen und um strengste Bestrafung zu bitten. Der Herrscher hätte ihn am liebsten sofort festnehmen und aufhängen lassen mögen, war aber in Anbetracht unserer Pläne so bedacht gewesen, ihm den ruhigen Bescheid zu erteilen, daß er das Resultat seiner Zeit erfahren werde. Hierauf hatte Ghulam el Multasim angenommen, daß er seinen nächsten Aufenthaltsort nennen müsse, und gesagt, daß er jetzt nach Chorremabad gehe, um dort der Gast des Scheik ul Islam zu sein. Hätte er geahnt, was der Schah über diesen Würdenträger wußte und dachte!«

»So haben wir also die lieben Freunde jetzt in unserer Nähe, und wahrscheinlich kommen noch immer mehr hinzu!«

»Ja; es drängt nun Alles auf die Entscheidung hin, und unser Rennen wird der Anfang vom schnellen Ende sein!«

»Dann los! Heut Abend, wenn mir Niemand mehr begegnen kann, reite ich zum ersten Male mit Syrr aus.«

»Wohin? Zur Rennbahn?«

»Jetzt das noch nicht. Ich muß ihm zunächst Freiheit geben, weiten Spielraum. Vielleicht wähle ich den Weg nach den Pässen hin.«

»Da müßtest du durch den Duar, den du doch wohl besser vermeidest. Wende dich lieber nach Norden. Drüben den Steinbruchweg hinab, links um den Berg herum und dann über die breite, grasige Talsenkung rechts. Da kommst du bald auf eine Ebene, wo man sogar in finstrer Nacht gefahrlos galoppieren kann, weil der Boden so glatt und sicher ist wie hier die Bretterdiele.«

Hier mußte unsere Unterredung ein Ende nehmen, denn wir sahen Dschafar aus dem Wartturme kommen, den Brief an den Schah in der Hand. Da gingen wir hinab, um Kara noch einige Worte und Wünsche mitzugeben. Sein Vater hatte sich das Bett ganz vor an den Rand des Daches schaffen lassen, um den Sohn fortreiten zu sehen.

»Allah begleite dich, mein Liebling!« rief er herab. »Sag dem Schah-in-Schah unsern Dank. Den nächsten Brief werde ich ihm selber bringen! Nun geh, und komm zurück, wie du gegangen bist: gesund und mit einem Schreiben!«

Nur wenige Minuten später stand ich hinten bei den Pferden. Ich schaute zum See hinab. Da sah ich Kara und seinen Begleiter schon weit über demselben draußen. Es ist fast unglaublich, was so ein ächtes, gutgezogenes Bischarikamel zu leisten vermag!

Hierauf ging es zur Kalteschale. Sie war vortrefflich. Wenigstens hatte sie nichts von der Aufregung an sich, in welcher ich mir ihre festjungfräuliche Zubereiterin noch immer dachte. Dann pflegte ich der Ruhe, bis es oben und unten still geworden war und ich kein Licht mehr brennen sah. Da holte ich mein Sattelzeug und ging zu Syrr hinab.

Er lag mit Assil abseits von den andern Pferden. Der Mond schien. Als sie den Sattel sahen, standen sie beide auf. Sobald ich aber Syrr zu zäumen begann, legte Assil sich wieder nieder. Er war so sehr verständig!

Ich war natürlich neugierig auf das nun Folgende. Würde es gelingen? Ich stieg auf. Die Füße in die Bügel. Eben wollte ich die Unterschenkel anlegen; da ging der Rappe auch schon vorwärts. Es gab bis in die Ruinen mehrere Biegungen. Kaum dachte ich an die Schwenkung, so war sie schon gemacht. Welch ein feines Empfinden! Und dieser ruhige, sichere Schritt! Leichter, hochgraziöser Rhythmus auf fester Baßunterlage! Drüben ging es am Turm vorüber, auf die Steinbrüche zu. Da stand rechts dichtes Strauchwerk. Bei demselben angekommen, blieb Syrr stehen, ohne angehalten worden zu sein.

»Wer ist hier?« fragte ich, den Blick scharf auf die Büsche richtend.

»Du bist es, du, Effendi,« antwortete es. »Da darf ich hervorkommen. Ich glaubte nicht, daß du schon wieder reiten könntest, und hielt dich darum für einen Andern.«

Es war der Aschyk.

»Hattest du hier zu tun?« fragte ich.

»Ja,« antwortete er. »Ich wache! Hast du mein Paket gefunden? Kannst du es verwerten?«

»Sehr gut. Ich danke dir!«

»So bitte ich dich, mich still gewähren zu lassen! Du sollst nicht herabgezogen werden, in das Gemeine, wo du nicht hingehörst. Laß das mir lieber über; mir schadet der Schmutz nicht so wie dir! Ich bin ihn ja gewöhnt. Ich vermute, daß du morgen die Päderan belauschen willst. Auch das ist Schmutz, vielleicht der allergrößte. Wirst du trotzdem kommen?«

»Ganz bestimmt!«

»So beschwere dich mit nichts. Ich bin sicher da und helfe dir herauf in das Versteck.«

»Verkehrst du noch mit unsern Gegnern?«

»Laß mich hierüber schweigen, Effendi! Ich darf dein Gewissen nicht beschweren. Aber wenn ich dir einen Wink gebe, so folge ihm mit Vertrauen. Es nahen schwere Zeiten. Ich will sie dir erleichtern. Und dann, dann geht mir vielleicht der größte Wunsch in Erfüllung, den ich in meinem Herzen trage.«

»Welcher?«

»Bei uns ist der Hund verachtet. Bei euch im Abendland aber wird er geschätzt. Da ist er der Freund, der Wächter, der Beschützer der Menschen. Effendi, prüfe mich jetzt, und wenn du mich als treu befunden hast, so laß mich dein Wächter sein, dein Hund, der dich begleitet, so lange du in diesen Gegenden bist! Der mit dir hungert und dürstet, im Regen und im Sonnenbrande vor deinem Zelte liegt, jeden Feind zerreißt, der sich an dich drängen will, und lieber stirbt, als daß er dir ein Leid zufügen läßt! Willst du?«

»Da du es wünschest, werde ich dich – nicht prüfen, denn das ist nicht mehr nötig; ich vertraue dir – aber meinen Freunden Zeit geben, dasselbe Vertrauen wie ich zu dir zu fassen. Dann – doch hierüber später!«

»Das ist mehr, als ich erwartete. Allah vergelte es dir!«

Bei diesen Worten entfernte er sich, nicht hinter das Gesträuch zurück, sondern nach dem Steinbruche hin, an welchem ich dann vorüberritt, um hinab auf den Weg nach Nordwest zu kommen. Ich folgte ihm genau so, wie der Ustad mich bedeutet hatte und war nach einer Viertelstunde oben auf der Ebene, die wie ganz besonders für meinen Zweck gebildet war.

Und nun ging ich an die Arbeit. Arbeit? Falsch, grundfalsch! Ein Vergnügen ist es, ein hochdankbares Studium, die Gedanken eines edlen Pferdes zu erraten und sie mit ihm auszuführen! Ich habe wohl viele, viele Reiter kennen gelernt, gute und schlechte, unter ihnen aber nur einen einzigen, der mit mir darin einig war, daß das Pferd auch einmal Etwas selbstwollen dürfen muß. Das war mein Winnetou. Es hat ja Willen, wie jedes Tier. Und es besitzt auch Intelligenz, diesen Willen entweder für richtig oder für falsch zu halten. Es merkt sofort, wenn der Reiter einen Fehler macht, und zeigt die Absicht, diesen Fehler zu verbessern. Aber das ist ihm verboten. Es muß sich den gefühllosesten, unverständigsten Bengel gefallen lassen, der keine Ahnung von der zarten Empfindsamkeit und von dem Ehrgefühle, der Auffassungskraft, der Ueberlegsamkeit und dem Gedächtnisse eines guten Pferdes hat und es einfach zum innerlich und äußerlich steifen Gaul herunterrackert! Ich kam einst mit einem solchen Menschen scharf zusammen. Er hatte von Nachmittag bis Mitternacht in der Kneipe beim Kartenspiele gesessen und einen Grog nach dem andern getrunken, denn es war ein sehr strenger Wintertag und selbst in der Stube kalt. Draußen aber stand sein Pferd angebunden, nicht zugedeckt, fast klappernd vor grimmiger Kälte. Es war ein gutes, fünfjähriges Halbblut. Der dünnspitzige Schnee, welcher wie Nadeln fiel, bedeckte es handhoch. Die Haut besaß nicht mehr die nötige Wärme, ihn wegzutauen. Das Pferd hatte während dieser ganzen Zeit weder Futter noch Trank bekommen und den lieben Herrn dann noch volle drei Stunden weit heimzutragen. Das ergab einen Wortwechsel zwischen mir und ihm, den er mit der Zurechtweisung schloß: »Das Vieh gehört mir, nicht Ihnen. Sie haben mir gar nichts zu sagen! Und mit Ihren sogenannten Gefühlen kommen Sie mir erst recht nicht! Zu behaupten, daß die Tiere, die Pferde eine Seele haben, ist eine Sünde und von den Geistlichen verboten. Das habe ich von meinem Pfarrer, und der hat es aus der Bibel! Na, also.« Hierauf spielte er ruhig weiter. Er ritt erst gegen Morgen fort, kam aber nicht ganz heim. Er mußte das arme Tier unterwegs einstellen. Es hatte so stark verschlagen, daß es eine unheilbare Lähmung davontrug. Da gab er es dem Schinder!

Syrr war nicht nur edel, auch nicht nur hochedel; er war mehr. Ich hatte mir für heut eine große Fläche, einen weiten Spielraum zum Reiten gewünscht. Warum? Weil ich nicht sofort den Herrn und Gebieter spielen wollte. Der Rappe sollte zunächst ganz seinen eigenen, freien Willen haben. Er sollte gleich am ersten Tage herausfühlen, daß ich nicht so dumm sei, seine Natur, seine Gaben, seine Vorzüge zu knechten und zu knebeln. Das war doch ja das beste Mittel, diese Gaben und Vorzüge kennen zu lernen! Er merkte auch sehr bald, daß er mir zwar bis hierher habe folgen müssen, nun aber tun könne, was er wolle. Er wartete zunächst auf eine Willensäußerung von mir. Es erfolgte keine. Da blieb er überlegend stehen. Ich saß ohne Regung, denn er hätte der geringsten sofort gehorcht. Nun hob er den Kopf und windete, nach vorn, nach rechts, nach links. Wie fein sein Geruchssinn war, hatte er mir unten in den Ruinen gezeigt, als er des Aschyk wegen stehen blieb. Das schätzte ich sehr hoch, denn ein Pferd ohne diese Sinnesschärfe hätte ich überhaupt nicht brauchen können. Nun schien er überzeugt zu sein, daß uns nichts stören werde. Da drehte er den Kopf halb zu mir herum und ließ ein leises, kurzes Halbwiehern hören. Das klang fast wie eine Frage, als ob er sagen wolle: »Na, darf ich denn auch wirklich?« Ich streichelte ihm den Hals. Das war die Antwort. Da ging er vorwärts, langsam, quer tänzelnd, eine ganze Weile, die Kniee zierlich werfend, als ob er zunächst die Sehnen und Gelenke prüfen wolle. Dann fiel er in Trab. Aber was war das für ein Trab! Ich staunte! War dieses Pferd nur Muskel? Das ging so weich, so geschmeidig, so elastisch, so nachgiebig, biegsam und federnd – mir fehlt das rechte Wort, das Richtige zu sagen! Dieser Trab war kein Laufen, sondern ein Fließen!

Und nun folgte der Galopp. Erst kurz, graziös, feierlich stolz, paradierend, wie wenn ein König am Balkon der Königin vorüberreitet. Und doch so natürlich und so ungesucht, die reine, sehr wohl erlaubte Freude über sich selbst! Dann aber nicht mehr hoch, sondern weiter ausgestreckt. Das war fast wie der Flug eines Adlers, dessen Schwingen man sich nicht bewegen sieht. Und doch hatte ich das Gefühl, daß Syrr jetzt erst im Beginnen sei, seine Schnelligkeit zu zeigen! Er griff nach und nach immer weiter aus. Der Galopp ging ins Rennen über. Kilometer um Kilometer verschwand hinter uns. Die Sterne leuchteten, und der Mond lächelte freundlich zu dem guten Verhältnisse zwischen Mensch und Tier. Die jenseitigen Berge kamen schnell näher. Das Terrain wollte sich zu Tale senken. Syrr bemerkte es ebenso wie ich. Er schlug ganz von selbst einen Bogen, um zurückzulenken. Er wollte in bekannter Gegend bleiben, denn das, was er zeigen wollte, hatte er noch nicht gezeigt. Es sollte erst noch kommen.

Es schien, daß diese Karri ère ihm Vergnügen, keinesweges aber eine Anstrengung sei. Wie aber stand es da mit mir, dem Abgeschwächten, dem Rekonvaleszenten? Was Schwachheit, und was Rekonvaleszent? Lächerlich! Ich war gesund, ganz plötzlich gesund, und aber wie gesund! Erschlaffung und Entkräftung? Auf einem solchen Pferde? Setzt einen Toten in diesen Sattel, und er muß wieder lebendig werden, unbedingt! Denn jetzt war es, als ob Alles, Alles verschwinden müsse, was lebenswidrig, was körperlich hindernd war. War Syrr jetzt Geist geworden, nur Geist, vollständig ohne Fleisch und Bein? Er lief nicht mehr; er galoppierte und rannte nicht mehr, und – er flog nicht mehr! Nein! Sondern wir standen still. Aber die Ebene, die ganze Erde um uns war in rasender Bewegung. Sie schoß auf uns zu und rechts und links und unter Syrrs lang ausgestrecktem Leib hinweg nach hinten. Es war, um schwindelig zu werden! So laufen arabische Pferde allerersten Ranges, wenn der Reiter das sogenannte "Geheimnis" in Anwendung bringt – auf Leben und Tod! Aber weder der berühmte Rih noch sein gleichwertiger Sohn Ben Rih hatten trotz ihrer bewundernswerten Leistungen diesen köstlichen Syrr erreicht, der den Raum, die Zeit und die Materie bloß nur in Gedanken verwandelte, ohne daß es nötig gewesen war, ihn durch irgend einen Kunstgriff dazu anzuspornen. Er durchmaß die Ebene zurück und wieder hin und wieder zurück in stets gleicher Rapidität, so daß ich besorgt um ihn wurde und ihm das Wörtchen »wakkif!« zu hören gab. Er gehorchte sofort. Zwar schoß er noch eine kurze Strecke weiter, überwand aber die Beharrung außerordentlich schnell und stand dann still.

Da sprang ich ab, nahm seinen Kopf in beide Arme und drückte ihn an mich. Ich streichelte ihn mit einer Wonne, die keinesweges die bekannte Wonne der Redensarten war. Sein Atem ging ganz ruhig. Nicht der geringste Anflug von Schweiß war zu spüren; kein Flöckchen Schaum war zu sehen. Die Flanken lagen still und nur das Herz schien in etwas schnellerer Bewegung zu sein als wie gewöhnlich. Aber in den Haaren der Mähne und des Schwanzes knisterte es mit doppelter Vernehmlichkeit, als ich über sie hinwegstrich.

»Bist ein Prachtkerl, Syrr, bist unvergleichlich!« rief ich begeistert aus. »Dich hat uns nicht nur der Schah gesandt, sondern ein noch Höherer! Er wollte, daß wir durch dich gerettet würden!«

Da rieb er seinen schönen, feinen Kopf an meiner Schulter, kniff mir mit den Lippen einige Male in das Haar und leckte mir dann die Hand. Dann stieg ich wieder auf, um ihn nicht der scharfen Nachtluft ohne Bewegung auszusetzen. Ich saß still, ohne die auf dem Sattelknopfe liegenden Zügel aufzunehmen und ohne seinen Leib unterhalb des Sinpusch zu berühren. Auch er stand unbeweglich. So warteten wir auf einander, ich lächelnd, er aber, um zu gehorchen. Als aber von meiner Seite so gar nichts geschah, drehte er den Kopf abermals zu mir herum und ließ dasselbe Halbwiehern vernehmen wie gleich nach unserer Ankunft hier, nur nicht so kurz, sondern länger und in mehreren Intervallen. Es klang fast so, als ob er mir eine kleine Rede halte: »Was soll denn nun werden? Ich habe meinen Willen gehabt. Du kennst mich jetzt. Nun bist du wieder der Herr. So rühre dich also!«

Hierauf streichelte ich ihm wieder den Hals, nahm die Zügel auf und legte die Schenkel an. Da warf er befriedigt den Kopf in die Höhe und ging vorwärts. Wir ritten vollends über die Ebene hinüber, den Berg hinab und auf demselben Wege heim, den wir gekommen waren. Assil stand auf, um uns zu begrüßen und legte sich dann wieder nieder. Nachdem ich abgezäumt und abgesattelt hatte, holte ich einige Aepfel und die Lappen, welche Schakara mir besorgt hatte. Syrr schwitzte nicht; er besaß keine Spur von übergewöhnlicher Wärme. Ich rieb ihn aber trotzdem sorgfältig ab, trug dann das Sattelzeug an Ort und Stelle und ging hinauf zu mir.

Von meinem platten Dache schaute ich noch einmal hinab. Syrr hatte sich auch niedergelegt, eng neben Assil. Sie hatten die Köpfe nebeneinander. Da hörte ich unter mir ein Geräusch, auf dem Balkon des Ustad. Er hatte dagesessen, stand auf und ging hinein. Das war die Liebe zu mir. Der Gute!

Als ich am andern Tag erwachte, war es hell; aber ich sah die Sonne nicht, obgleich der Himmel keine Wolken hatte. Da stand ich schnell und ahnungsvoll auf. Dann auf die Plattform hinaustretend, sah ich sie zwar, aber es war, als ob sie schelmisch über mich lache. Da, wo sie stand, pflegte sie ungefähr um 4 Uhr Nachmittags zu stehen!

»Bist du munter?« klang die Stimme des Ustad vom Balkon herauf. »Ich höre, daß du nicht mehr schläfst.«

»Soeben aufgestanden! Vier Uhr nach dem Mittag!« antwortete ich. »Ist das nicht eine Schande?«

»Nein, sondern eine Notwendigkeit! Folge des Rittes – hast dich mehr angestrengt, als du solltest. Das gleicht die Güte der Natur wieder aus. Wie ist der Ritt gelungen?«

»Zur größten Zufriedenheit! Ich erzähle es dir nachher. Aber meine armen, armen Pferde! Zweimal nicht gefüttert. Alles verschlafen!«

»Sei unbesorgt! Als du nicht aufstandest, habe ich es an deiner Stelle getan. Wasser, Gerste, Aepfel. Sie sind zufriedengestellt, ließen mich aber bemerken, daß du ihnen lieber gewesen wärst als ich. Was tust du jetzt?«

»Ich gehe zu ihnen, bade dann und sehe hierauf, wo es Etwas zu essen gibt.«

»Natürlich bei mir. Ich habe mit dem Mittagsbrote auf dich gewartet.«

»Wo ist Dschafar Mirza?«

»Unten im Duar. Man sieht ihn dort sehr gern. Sein freundliches, gütiges Wesen hat ihm die Herzen schnell gewonnen. So komm also dann zu mir; ich werde das Essen befehlen!«

Als ich nach der Weide kam, sprang mir nicht nur Assil, sondern auch Syrr entgegen. Das war bei Letzterem das erste Mal. Ich sah: nun war er mein!

Der ungewöhnlich lange Schlaf belehrte mich, daß der nächtliche Ritt doch anstrengender für mich gewesen war, als ich gedacht hatte. Auf einem gewöhnlichen Pferde hätte ich so Etwas doch noch nicht wagen können. Ich hatte ihn in diesem Abend wiederholen wollen, nach dem Gange in die Ruinen, beschloß aber aus Vorsicht, für heut zu pausieren. Meine Hauptaufgabe war, am Tage des Rennens zur Teilnahme fähig zu sein. Da war ein Ueberstürmen der Natur unbedingt zu vermeiden. Uebrigens entwickelte ich beim Ustad einen solchen Appetit, daß er über mich, den sonst so genügsamen Esser, beinahe erstaunte und, sich darüber freuend, lächelnd sagte:

»So ist es recht, mein lieber Freund. Nur tüchtig essen und tüchtig schlafen, sonst kannst du das nicht wieder werden, was du gewesen bist! Ich bin ja nun wieder da und nehme dir alles Andere ab. Du wirst von mir über Alles unterrichtet und hast sonst nur für dich und Syrr zu leben, damit Ihr beide uns beim Rennen nicht etwa versagt!«

»Gut! Ich trete dir also Alles ab, bitte dich aber, mir dafür den Aschyk zu überlassen. Oder wolltest heut du zu ihm hinüber, um bei der Zusammenkunft der Päderan zu sein?«

»Nein. Auf dieses Gebiet darf ich dir doch nicht folgen. Aber nimm dich in Acht! Die Sache ist höchst gefährlich, denn diese Sillan sind zu Allem fähig, und den Aschyk hast du doch vielleicht noch nicht ganz sicher!«

»Ich habe ihm mein Vertrauen zugesagt und pflege Wort zu halten. Uebrigens liebe ich es nicht, unvorsichtig zu sein. Ich werde meine beiden Revolver laden und nehme sie mit. Da bin ich für alle Fälle gerüstet.«

»Also doch Waffen!« lächelte er. »Darum gab ich sie dir zurück. Der Kampf mit geistigen Waffen ist der höhere, der edlere; aber es denken nicht alle Gegner ebenso hoch und edel. Gegen Niederträchtigkeiten hilft kein geharnischtes Sonett, kein Distichon und kein Alexandriner; da sind nur Drehpistolen gut, die mit Patronen auf "Patrone" schießen, denn was nicht kracht, das wirkt bei ihnen nicht!«

Er nahm, als er mich dann zu mir hinaufbegleitete, meine Gewehre aus der Rumpelkammer und hing sie oben in dem Mittelzimmer auf. Wir luden die Revolver. Er legte mir sogar das lange Messer hin und zeigte sich erst dann befriedigt, als ich ihm versprach, auch dieses zu mir zu stecken.

Es war des Abends nach zehn Uhr, als ich mich auf den Weg machte, einige Lichte und die dazugehörigen Zündhölzer in der Tasche. Der Mond leuchtete mir hinüber bis an die schmale Tür. Es versteht sich ganz von selbst, daß ich diesen Gang nicht offen, nicht unvorsichtig machte, denn ich hatte mit der Möglichkeit zu rechnen, daß sich irgend einer der Sillan schon hier befand. Ich ging also nicht, sondern ich schlich, hielt mich so viel wie möglich im Schatten und machte meine Schritte unhörbar. So war ich, als ich die Tür erreichte, überzeugt, von Niemand bemerkt worden zu sein, hatte aber auch selbst Niemand gesehen.

Da ich das Innere schon kannte, hätte ich mich im Dunkel wohl zurecht gefunden; aber ich brannte dennoch eine der Kerzen an und nahm das Messer in die rechte Hand, um mich sofort wehren zu können, falls ein Gegner hier versteckt sei. So ging ich durch den vordern Raum nach dem Allerheiligsten. Der Schein meines Lichtes trug nicht weit; darum leuchtete ich zunächst nach der Mitte hin und dann auch noch entlang an allen Wänden. Dann blieb ich an dem Steine stehen, der einem Altare oder einer Bundeslade glich, und hielt die Kerze in die Höhe. Da erklang es von oben herab:

»Du bist es, Effendi? Bei einem einzelnen Lichte sieht man nur schwer. Wenn sie dann kommen, wird es heller. Ich werde dir meine Stange hinunterlassen und oben festhalten. Sie ist extra für deine Bequemlichkeit zugeschnitten. Es sind starke Aststumpfe daran. Du brauchst also nicht zu klettern, sondern kannst steigen.«

Er gab sie von oben herab. Ich stemmte sie fest ein. Die Stumpfe waren stark genug, mich zu halten. Er brannte oben sein Licht an. Ich löschte das meine aus, um beide Hände frei zu haben, und stieg hinauf zu ihm. Wir zogen die Naturleiter wieder empor, legten sie lang auf den Boden der Empore und dann sah ich mich auf dieser um. Es befand sich Niemand da, außer uns. Nun löschten wir aus und setzten uns nieder, nicht neben sondern entfernt von einander, damit der Eine sehen könne, was dem Andern durch die Säule verdeckt wurde. Ich hatte volles Vertrauen zu dem Aschyk, zog aber dennoch das Messer, welches ich eingesteckt hatte, wieder heraus. Das wurde mir von der Vorsicht geboten, der man in jeder Lage und auf alle Fälle zu gehorchen hat.

Es war unheimlich, hier in diesem Dunkel. Fast tat die schlechte Luft der Lunge weh. So recht ein Ort, um Böses auszubrüten! Glücklicher Weise hatten wir nicht lange zu warten, so kam der Erste. Er machte draußen Licht und brachte es herein. Er war seiner Sache so sicher, daß er sich gar nicht die Mühe gab, den Raum erst zu untersuchen, sondern er schritt gleich auf die Mitte zu, tropfte seine Kerze dort fest an und setzte sich da nieder.

Dann kam der Zweite, der Dritte, der Vierte. Sie alle machten es ebenso wie der Erste. Keiner grüßte. Niemand sprach ein Wort. Nun gab es vier Kerzen, aber ihr Schein reichte nicht hin, von unserer Entfernung aus die Gesichter zu erkennen, welche aber unverhüllt waren. Da trat der fünfte ein. Das änderte die Szene. Sie standen alle auf, und Einer fragte schnell:

»Ist der Aemir vielleicht schon draußen?«

»Nein,« antwortete er. »Sein Pferd hängt noch nicht am gewohnten Baume. Aber der Spion steht da, der aufzupassen hat, ob wir so kommen und so gehen, wie uns vorgeschrieben ist. Das muß ein Ende nehmen!«

Diese Stimme kam mir bekannt vor. Er bückte sich nieder, um sein Licht auch zu befestigen. Dadurch kam sein Gesicht zur Beleuchtung, und ich erkannte – Ghulam, el Multasim, den Bluträcher, den Henker der Schatten!

»Lassen wir nur erst den Putsch vorüber!« sagte der vorige Sprecher. »Dann rechnen wir mit ihm ab!«

»Aber ob er gelingen wird, dieser Putsch!« warf ein Anderer ein.

»Unbedingt! Das weiß ich genau!« versicherte Ghulam. »Heut bringt der Aemir den Scheik ul Islam mit, um uns zu beweisen, daß die frommen Lichter mit den gottlosen Schatten Hand in Hand gehen werden, den Herrscher zu entthronen. Ich komme soeben fast direkt vom Schah. Er hat keine Ahnung von der ihm drohenden Gefahr. Auch sein Liebling Dschafar, dem er den Ehrentitel ›Itemad‹ verliehen hat, ahnt nicht, daß schon in einigen Tagen die Gul-i-Schiraz auf seiner Brust zu blühen hat, und es –«

»Er soll sterben?« wurde er unterbrochen. »Wie? Wann? Wo?«

»Das ist meine Sache. Wenn ich, ich es sage, so wißt Ihr, daß es unbedingt geschehen wird. Ich fand den Brief mit dem Befehl in meiner Tasche, so geheimnisvoll, wie der Aemir es immer liebt. Er fängt es darauf an, allgegenwärtig zu erscheinen. Aber wenn wir nur erst wissen, wer er eigentlich ist, so blüht ihm seine Rose auch! Es fällt uns gar nicht ein, die seit Jahrhunderten hier aufgestapelten Schätze mit ihm zu teilen! Nur erst den Putsch, damit wir die Dschamikun wieder von hier loswerden, und Ahriman Mirza auf den Thron! Bei so einem Herrscher sind wir vor jeder Bestrafung sicher! Die Verbündeten sind, über das ganze Land verbreitet, zum Losschlagen bereit. Der Schah weg; Dschafar, sein Ratgeber, weg und Ahriman, der selbst Halunke ist, auf dem Throne, so mag die Macht des Aemir noch so groß sein, mit seinem Tode hört sie auf; wir teilen unter uns und sind mit diesen Reichtümern dann öffentlich, was wir bisher nur heimlich waren – die Herren des ganzen Landes! Doch jetzt still! Die vorgeschriebene Pause im Kommen wird gleich vorüber sein. Wir haben nicht mit einander gesprochen!«

Es vergingen hierauf vielleicht zehn Minuten. Da hörte man draußen wieder Schritte. Dieses Mal kam nicht ein Einzelner, sondern es waren Zwei, doch ohne Licht in ihren Händen. Der Eine, welcher geführt worden zu sein schien, blieb vorn am Eingange stehen. Der Andere kam näher, jedoch nicht ganz heran. Ich sah zu meiner Ueberraschung, daß sein Anzug genau ein solcher war, wie ich von dem Schah bekommen hatte. In der rechten Hand hielt er eine Reitpeitsche. Sein Gesicht steckte hinter einer schwarzen Larve, und an seiner Mütze funkelten trotz des wenigen Lichtes, wenn er sich bewegte, die Steine einer dort befestigten Agraffe. Die Anwesenden waren ehrfurchtsvoll aufgesprungen. Er forderte durch eine stolze, gebieterische Armbewegung Aufmerksamkeit und sprach:

»Schon wieder befinden wir uns fern von unserer sichern Majmä-i-Yähud und kommen hier zusammen, von wo uns dieser Ustad mit seinen Dschamikun vertrieben hat. Nun aber ist der Tag der Rache nahe, der uns das fast Verlorne wieder gibt und diese Christenbande auseinanderreißt, um sie in alle Lüfte zu zerstreuen. Dann sind wir wieder Herren unsers Dunkels und lassen niemals mehr ein Licht in die Ruinen scheinen. Der letzte Tag des Soldes fand nicht statt, weil wir ja fern von der Yähudeh waren, und auch den nächsten werden wir versäumen, weil wir hier mit dem Ustad abzurechnen haben. Es gibt ein Rennen hier, das uns gelegen kommt. Es bietet uns den Anlaß, zu erscheinen, und doch durch unsre Zahl nicht aufzufallen. Wir bringen unsre schnellsten Renner mit und werden dieses Vorspiel unbedingt gewinnen.«

Hier machte er eine Pause. Er verstellte seine Stimme, wobei ihn seine Larve und der dumpfe Widerhall dieses Raumes unterstützten. Auch bemühte er sich, in Beziehung auf seine Gestikulationen Alles zu vermeiden, was ihn verraten könne. Aber die eigenartige, hochmutsstolze Haltung war nicht wegzubringen; auch die Figur stimmte ganz genau, und so war ich überzeugt, Ahriman vor mir zu haben. Er fuhr fort:

»Dem Vorspiel wird sofort die Handlung folgen; wir lassen keine Zwischenzeit entstehen. Ihr kennt den Plan und seid zum Schlag bereit. Doch kann ich Euch die Stunde noch nicht sagen. Ihr habt für nächsten Freitag, grad um Mitternacht, hinauf zum Dschebel Adawa zu kommen; dort fällt das letzte Wort, das Urteil, die Entscheidung. Heut aber bring ich Euch den Scheik ul Islam mit, um Euch durch sein Erscheinen zu beweisen, daß wir in Wirklichkeit verbündet sind und also uns der Sieg nicht fehlen kann.«

Er winkte. Da kam der Scheik ul Islam herbei. Sein Gesicht war nicht verhüllt, sondern frei. Er zeigte sich nicht im Geringsten durch die Situation gedrückt oder gar verlegen, sondern tat ganz so, als ob er in seinem Elemente sei, gütig, menschenfreundlich, salbungsvoll. Er sagte Jedem einige verbindliche Worte, reichte dem Henker sogar die Hand und trat dann wieder auf die Seite. Die Vorstellung war beendet, und Ahriman Mirza sprach weiter, doch nur noch wenig:

»Für heut sind wir nun also fertig. Zieht Euer Volk so nahebei heran, daß es mit einem Marsche von zwei Tagen das Tal der Dschamikun erreichen kann; doch muß das völlig unbemerkt geschehen! Die andern Päderan sind übers Land verteilt und warten nur auf hiesigen Erfolg, um ihrerseits sofort auch loszuschlagen. Jetzt geht! Ihr seid entlassen!«

Dieser Befehl schien sie zu verwundern. Der Henker fragte:

»Heut wir voran? Du gingst doch stets zuerst!«

Da fuhr der Aemir zornig auf:

»Was hast du noch zu fragen, wenn ich befohlen habe! Ihr geht – ich bleibe noch! Soll ich dich etwa um Erlaubnis bitten? Du weißt es: Wenn ich bitte, geschieht es nur mit solchen Lippen hier!«

Er zog ein Pistol hervor und zielte ihm nach der Stirn. Da wendete sich der Bedrohte schnell ab und griff nach seiner Kerze, um sich zu entfernen.

»Die Lichte laßt Ihr hier!« gebot der Aemir. »Ich werde sie dann später selbst verlöschen. Ihr geht wie gewöhnlich – in den vorgeschriebenen Pausen – kein Wort wird gesprochen –. Hinaus!«

Der Henker verschwand sofort. Die Andern folgten ihm nach und nach. Erst als der Letzte gegangen war, steckte der Aemir die Pistole zu sich, lachte verächtlich auf und sagte:

»Lumpenpack! Das ist nur zu gebrauchen, wenn ihm die Angst durch alle Knochen zittert!«

»Ich halte es anders,« antwortete der Scheik ul Islam. »Bei mir regiert die Liebe!«

»Aber was für eine! Ich kenne sie! Wir beide wollen uns doch gegenseitig nicht etwa Etwas weißmachen! Meine Unerbittlichkeit ist offen, ist ehrlich; die Scham verbietet ihr, sich zu verstellen. Eure Liebe ist aber der Eigennutz in allerhöchster Potenz. Sie vernichtet in einem einzigen Jahre mehr Existenzen, als ich in einem ganzen Jahrhundert zerstören könnte! Du weißt, daß ich dich kenne. Darum hast du auch niemals versucht, mir gegenüber deine heilige Maske festzuhalten!«

Da trat ihm der Scheik ul Islam näher, richtete sich hoch auf und sprach:

»Ja, dir gegenüber stehe ich Mann gegen Mann, Geist gegen Geist. Du bist die vernichtende Verneinung; ich bin die zerstörende Uebertreibung der Bejahung. Ich bejahe nur für mich, für mich; was aus der Menschheit wird, ist mir vollständig Schnuppe. Darum hassest du mich – grimmig – zum Zerreißen!«

»Hassen?« lachte der Aemir. »Noch mehr, noch schlimmer: Ich verachte dich! Zum Hasse ist nur Eure leutselige Liebe fähig, weiter Niemand. Ich will Edles erreichen, indem ich das Gemeine knechte. Ihr aber wollt das Niedrige erheben, indem Ihr das Hohe bekämpft! Ich spreche und handle offen und ehrlich mit dir. Du aber hast sogar gegen mich die Falschheit im Nacken und willst mich zertreten, sobald du mich nicht mehr brauchst. Ist es so oder nicht?«

Da senkte der Scheik ul Islam den Kopf und sagte in begütigendem Tone:

»Mein Freund, mein lieber, bewunderter Freund, ich versichere dir bei Allah, daß ich nicht –«

»Laß deinen Allah aus dem Spiele; er steht dir doch um keinen einzigen Gedanken höher als mir!« grimmte ihn der Aemir an. »Wir haben uns nicht verbündet, um uns gegenseitig anzulügen. Wir sind Feinde, Todfeinde, und reichen einander für kurze Zeit die Hand, um Dritte zu vernichten, welche so unglücklich sind, uns Beiden im Wege zu stehen. Ist das vorüber, so beginnt der Kampf zwischen uns von Neuem. Ich bin nur mit Ueberwindung auf unser Bündnis eingegangen. Ich habe mit Ueberwindung Ahriman Mirza bewogen, morgen zu dir, zu den Taki zu kommen. Ich bestellte dich nur mit Ueberwindung für heut an die Stelle am Bach, wo ich dich traf, um dich hierher zu führen. Und auf der kurzen Strecke bis hierher hat es mich Ueberwindung gekostet, deine frommen Reden zu hören und bei deinen scheinheiligen Versicherungen nicht zu zerplatzen. Pfui! Darum brauchst du dich nicht zu wundern, daß ich jetzt in diesem Tone zu dir spreche. Ich bin geladen wie eine aufrichtige Kanone, die ihren Schuß niemals in Schweigen hüllt. Willst du, daß unser Zusammengreifen zum guten Ende führe, so sorge dafür, daß ich dich ertragen kann! Sei wenigstens gegen mich auch äußerlich der Mann, der du in deinem Innern und ebenso vor deinem Allah bist! Ist deine Feigheit denn gar so groß, daß du es nicht wagst, mir die Tigerkrallen an deinem Schlangenkörper zu zeigen?«

Da fuhr der Scheik ul Islam einige Schritte zurück, zog die Ellbogen nach hinten, ballte die Fäuste und rief aus:

»Mensch! Schurke! Weißt du, wo du dich befindest? Ich kann dich vernichten – hier, sofort – auf der Stelle!«

»So ist's recht! Das wollte ich haben!« lachte der Sill. »Jetzt kommen die Krallen! Sprich in diesem aufrichtigen Tone weiter, so ist es möglich, daß wir einig bleiben! Du fragst mich, ob ich wisse, wo ich sei. Lächerlich! Ich bin hier in meinem Reiche, als unbeschränkter Gebieter desselben.«

»In deinem Reiche, deinem?« höhnte der Scheik ul Islam auf. »Ja, du glaubtest, mich hier einzuführen, um mich zunächst deinen Sillan vorzustellen und mir dann die hier aufgehäuften Schätze zu zeigen, damit ich sähe, welch eine Mitgift du dem neuen Kaiser geben kannst. Aber du irrst, du armer, machtloser "Fürst der Schatten"! Ich bin hier längst eingeführt. Ich kenne jeden Stein, jeden Winkel, auch das Wasser da unten in der Tiefe!«

»Du – du – du?« fragte der Aemir erstaunt.

»Ja, ich! Denn diese Ruinen sind nicht dein Reich, sondern mein oder vielmehr unser Reich. Wir, wir, wir sind die Baumeister, die nach der alten Sage den Herrn einmauern wollten, aber den Teufel eingemauert haben!«

»Wer sind diese wir?«

»Die Männer des Taki-Ordens, welcher bei der Grundlegung dieses Baues entstand, vor ungezählten Jahrhunderten, eine Ewigkeit vor Zoroasters Zeit. Wir bauten aber nicht für uns, sondern für Euch, für unsere Schatten! Wir bauten den Bienenstock, für Euch, für unsere Insekten. Wir waren die Herren von Anbeginn bis heut, ihr aber die Knechte, welche ernten, wo sie nicht gesäet haben, um Honig für uns zu sammeln. Du arme, arme Drohne! Du wolltest mir Eure Schätze zeigen, die du die Deinigen nennst. Ich aber kenne sie besser als du! Diese von Allah verdammten Dschamikun kamen uns überraschend. Wir hatten anderswo zu tun und konnten sie damals nicht hindern, sich hier festzusetzen. Es ging uns grad wie Euch! Nun aber werfen wir sie wieder hinaus, und ihr, ihr habt mit Euern Stacheln dabei zu helfen. Du sendest Ahriman zu den Taki-Kurden; ich bin von morgen an bei ihnen. Dich aber treffe ich am Freitag wieder – auf dem Dschebel Adawa.«

»So! Mich triffst du wieder?« fragte der Aemir, die Arme über die Brust zusammenlegend. »Das klingt ja ganz, als ob nur du, nur du zu bestimmen hättest!«

»Das ist allerdings der Fall! Der Herr bin ich, die wirkliche Person; du aber bist der Schatten!«

»Und wenn ich nun – am Freitag nicht erscheine? Und auch du dann nicht erscheinen kannst?« fragte der Sill in drohendem Tone, indem er sein Pistol wieder hervorzog.

»So spreche ich mit dir eher!« antwortete der Scheik ul Islam in unerwarteter Ruhe.

»Wo?«

»Hier!«

»Wann?«

»Jetzt!«

»Ah, ich verstehe! Auch du hast Waffen mit!«

»Nein, keine einzige!«

Er schlug seinen Mantel auseinander, um zu zeigen, daß er die Wahrheit sage.

»Und willst dich aber wehren, wie ich aus deinen Worten vermute? Sind uns etwa die drei bewaffneten Taki heimlich gefolgt, welche du mitbrachtest, als du zum heutigen Stelldichein kamst? Mein "Freund, mein lieber, bewunderter Freund", diesen Schachzug muß ich betrachten! Wahrscheinlich stehen sie da draußen!«

Er nahm eines der Lichter und ging mit demselben hinaus. Da gab es unter uns, grad in der Mitte, wo der Altar stand, ein Geräusch, wie wenn Steine aneinander gerieben werden, und hierauf ein leises Flüstern; dann war es wieder still. Und schon war der Aemir wieder da. Er war nur vor dem Eingange stehen geblieben, um hinauszuleuchten. Er drehte sich wieder um, kam zurück und sagte:

»Niemand draußen! Ich habe mich geirrt!«

»Ja, du irrtest dich, wie immer!« antwortete der Scheik. »Steck deine Waffe ein! Sie ist überflüssig!«

»Was für ein Ton! Das klingt ja wie ein Befehl.«

»Es ist auch einer. Also weg mit ihr!«

»Mensch, bist du wahnsinnig?! Der Fürst der Schatten soll sich von dir befehlen lassen, was –«

Er kam nicht weiter. Drei Männer huschten aus dem Schatten der Säule auf ihn zu, entrissen ihm die Pistole und schlangen ihre Arme so fest um ihn, daß er sich nicht bewegen konnte. Er stieß einen Schrei aus, ob vor Schreck oder Wut, das konnte man nicht wissen. Da trat der Scheik ul Islam auf ihn zu, riß ihm die Larve herunter, sah ihm in das Gesicht und sagte:

»Ahriman Mirza! Ich wußte es! Unser neuer Kaiser, der oberste aller Verbrecher!«

Es war ein eigener, ganz eigener Augenblick, eigen in jeder Beziehung, auch psychologisch. Ahriman machte nämlich nicht den geringsten Versuch, sich der Umarmung zu entwinden. Ich konnte seine Züge nicht deutlich unterscheiden, aber es klang nach einem überlegenen Lächeln, als er in fast gleichgültigem Tone antwortete:

»Ja, Euer neuer Kaiser! Oder wollt Ihr ihn nun nicht? Ihr könnt mich ja mit meiner eigenen Pistole hier erschießen!«

»Daß ich ein Tor wäre!« erwiederte der Scheik ul Islam. »Du warst bisher mein Schatten und wirst nun mein Geschöpf. Kein anderer würde sich so gut wie du für unsere Zwecke eignen. Wozu wir dich machen wollten, das wirst du nun erst recht!«

»Es würde dir auch wohl sehr schlecht bekommen, wenn du mich hier ermorden ließest!«

»Das weiß ich wohl! Du bist ja umsichtig und wirst auch für einen solchen Fall deine Vorkehrungen getroffen haben. Ueberleben würde ich dich nicht lange; davon bin ich überzeugt. Aber ich will leben, und darum sollst du es auch. Und ich will herrschen; darum gebe ich dir den Thron! Bist du einverstanden, Ahriman Mirza?«

»Unter Bedingungen!«

»Die ich kenne! Jetzt sitzt dir dieselbe Falschheit im Nacken, die du mir vorgeworfen hast. Dennoch frage ich nochmals: Bist du einverstanden?«

»Ja.«

»So gieb mir Wort und Handschlag! Laßt ihn los!«

Die drei Männer gaben den Aemir frei. Der Scheik ul Islam hielt ihm die Hand hin; er schlug ein und sagte:

»Ja, hier meine Hand! Aber ich bin ehrlich und prophezeie Euch, daß Ihr sie fühlen werdet!«

»So will ich auch einmal ehrlich sein und dich warnen. Wir sind sanftmütig und von Herzen demütig, weil uns das zur Herrschaft führt. Aber hinter dieser Sanftmut steckt die Schonungslosigkeit und hinter dieser Demut der unerschütterliche Wille. Selbst der Kaiser hat sich vor uns zu beugen; wenn nicht, so muß er brechen! Fordre ja den Taki-Orden nicht heraus! Wenn er zürnt, kann er vielleicht noch verzeihen; wenn er aber wohlwollend lächelt, ist er erbarmungslos! Jetzt habe ich dir gezürnt. Laß mich nicht etwa lächeln!« –


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