Karl May
Der Scout
Karl May

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»Von diesem Vorwurfe kann ich Dich befreien, denn ich hätte sie auch ohne Deine Beihilfe besiegt,« entgegnete Winnetou.

»Aber weißt Du auch, daß noch Hunderte von ihnen nachkommen?«

»Winnetou weiß es. Er hat ja mit dem »guten Manne« zwischen ihnen hindurchzuschleichen gehabt. Es sind nur hundert. Ich werde sie in eben demselben Thale einschließen und vernichten wie die Andern, wenn sie sich nicht freiwillig ergeben.«

»So siehe zu, daß sie nicht zu zeitig kommen. Du mußt mit denen, welche sich hier befinden, fertig sein, ehe die Uebrigen hier eintreffen.«

»Winnetou fürchtet sich auf keinen Fall. Doch wird er sich beeilen.«

»Hast Du einen Mann, welcher die Verhandlung mit den Comanchen führen kann?«

»Ich habe ihrer viele; aber am liebsten wäre es mir, wenn mein Bruder das thun wollte.«

»Das übernehme ich sehr gern. Ich gehe eine kurze Strecke vor und rufe ihren Häuptling zu mir. Welche Bedingungen stellst Du ihnen?«

»Sie sollen uns für jeden Getödteten fünf, für jeden Gemarterten aber zehn Pferde geben.«

»Das ist sehr billig, aber seit es keine großen Heerden wilder Pferde mehr gibt, ist ein Pferd nicht leicht zu erlangen.«

»Was sie uns sonst an Eigenthum geraubt, verlangen wir zurück. Ferner haben sie uns so viele junge Mädchen auszuliefern, wie sie uns Frauen und Töchter geraubt. Frauen der Comanchen mögen wir nicht. Dazu verlangen wir auch die Kinder zurück, welche sie fortgeführt. Hältst Du das für hart?«

»Nein.«

»Endlich verlangen wir, daß ein Ort bestimmt werde, an welchem die Häuptlinge der Apachen und Comanchen sich versammeln, um einen Frieden zu berathen, welcher wenigstens dreißig Sommer und Winter währen soll.«

»Wenn sie darauf eingehen, werde ich sie beglückwünschen.«

»Dieser Ort soll das Thal sein, in welchem sich jetzt ihre Krieger hier befinden. Hierher soll auch Alles gebracht werden, was sie uns auszuliefern haben. Bis Alles geschehen ist, was ich von ihnen fordere, bleiben die Comanchen, welche sich heute ergeben müssen, unsere Gefangenen. Zwei Monde gebe ich ihnen Zeit, uns die geforderte Lieferung zu machen. Haben sie dieselben bis dahin nicht geleistet, so sterben die Gefangenen.«

»Ich finde, daß Deine Forderung nicht zu hoch ist, und werde sie ihnen sofort übermitteln.«

Er warf sein Gewehr über und schnitt sich einen Zweig ab, welcher als Parlamentärzeichen dienen sollte. Dann verschwand er mit dem Häuptlinge in der Enge. Es war für ihn keineswegs ohne Gefahr, sich jetzt den Comanchen zu nähern; aber der Alte kannte eben keine Angst. Ich hätte mich ihm sehr gern angeschlossen, um zu hören, was die Comanchen sagen würden, er war aber zu eilig gewesen. Als ich auch zum Ausgange des Thales ging, sah ich nur noch Winnetou. Old Death war bereits hinter der Barrikade verschwunden. Der Häuptling gab mit dem Arme einen etwas complizirten Wink hinauf zu dem Pfade, auf welchem die Apachen verborgen lagen, und dann sah ich einen Arm um den andern sich in gleicher Weise da oben bewegen, um den Wink weiter zu geben.

Die Indianer besitzen eine sehr deutliche Zeichensprache, vermittelst der sie sich sehr oft ohne alle Worte lebhaft unterhalten. Sogar aus der Ferne sprachen sie mit einander, am Tag durch Rauch und des Nachts durch Feuerpfeile. Die Rauchsprache besteht darin, daß auf einem erhöhten Punkte ein Feuer angebrannt wird, welches man durch feuchtes Holz, welches viel Rauch gibt, nährt. Durch über dasselbe gehaltene Felle wird der Rauch zurückgehalten. Entfernt man sie nun plötzlich, so steigt er schnell empor. Rasch werden die Felle wieder über das Feuer gebreitet, um nach wenigen Augenblicken abermals fortgezogen zu werden. In dieser Weise wird erreicht, daß einzelne, abgesonderte Rauchwolken in die Höhe steigen, deren Zahl, Größe, Zwischenräume u.s.w. eine bestimmte Bedeutung haben. Des Nachts brennt man ebenso ein kleines Feuerchen an. Pfeile werden mit dürrem Gras umwickelt, angezündet und in die Höhe geschossen. Aus der Zahl derselben, der Richtung, welche sie nehmen und der Höhe, in welche sie steigen, ist ihre Bedeutung zu entnehmen. Später lernte ich diese Zeichen, welche bei den einzelnen Stämmen verschieden sind und deren Bedeutung aus leicht erklärlichen Gründen oft gewechselt wird, sehr genau kennen. Jetzt aber kannte ich sie noch nicht. Old Death sagte mir dann, das Zeichen mit dem Arme habe bedeutet, daß auf Jeden, der ihn bedrohe, sofort geschossen werden solle. Als Winnetou sich überzeugt hatte, daß der Scout sich mit dem Anführer der Comanchen in Unterredung befand, kehrte er zu uns zurück und führte uns zu den letzt angekommenen Pferden. Es waren auch ledige dabei gewesen, theils von einer bessern Sorte, welche man schonen und nur dann in Gebrauch nehmen wollte, wenn es darauf ankam, eine ungewöhnliche Leistung zu entwickeln, theils aber auch Thiere von gewöhnlicher Güte, welche als Reservepferde mitgeführt werden mußten.

»Ich habe meinen Brüdern versprochen, ihnen bessere Pferde zu geben,« sagte er. »Ich werde sie ihnen jetzt aussuchen. Mein junger, weißer Bruder, welcher mir das Leben schenkte, soll eines meiner eigenen Rosse erhalten. Die Leute, welche ihn begleiten, werden ihn unterrichten, wie ein indianisch geschultes Pferd zu reiten ist.«

Er suchte fünf Pferde aus. Ich war ganz entzückt über das prächtige Thier, welches er mir brachte. Er sprang aus freier Hand auf und ritt es mir vor, es nur durch Schenkeldruck und Pfiffe lenkend. Ich hatte so etwas noch nicht gesehen. Auch die beiden Lange’s und Sam waren ganz entzückt. Der Letztere zeigte alle Zähne und rief:

»Oh, oh, welch ein Pferd Sam bekommen! Sein schwarz wie Sam und sein auch prachtvoll ganz wie Sam. Passen sehr gut zusammen, Pferd und Sam. Oh, oh!«

Einige der wachthaltenden Apachen mußten unsere Sättel den geschenkten Pferden aufschnallen, und dann forderte mich Winnetou auf, das meinige zu besteigen. Kaum hatte ich es gethan, so schlug es hinten empor, dann vorn – einen Bockssprung zur Seite, und ich lag unten – eine wahre Affenschande! Aber der Häuptling lächelte mild und meinte:

»Kein Weißer, selbst wenn er der beste Reiter wäre, könnte sich auf diesem Pferde halten, wenn er nicht die Schulung desselben versteht. Ich werde meinem lieben Bruder jetzt die nöthigsten Rathschläge geben.«

Also er hatte gewußt, daß ich abgeworfen werden würde, und mich doch in den Sattel genöthigt! Ich hätte den Hals brechen können! Ein ächter Indianerstreich. Freilich jagen bei den Rothen die zweijährigen Buben und Mädchen bereits wie die Teufel durch die Prärie, und zwar auf halbwilden Pferden. Da anzunehmen war, daß die Verhandlung zwischen Old Death und dem Anführer der Comanchen nicht bloß fünf Minuten dauern werde, so hatte Winnetou genug Zeit, uns eine Reitstunde zu geben, durch welche wir wenigstens so viel profitirten, daß wir uns in den Bügeln halten und die Pferde nothdürftig lenken lernten.

Wohl dreiviertel Stunden waren vergangen, als der Alte zurückkehrte. Sein Angesicht war sehr ernst. Ich hatte die feste Ueberzeugung gehabt, daß die Comanchen auf die Forderung Winnetou’s eingehen würden, doch ließ das Gesicht des Scout das Gegentheil erwarten.

»Mein Bruder hat mir das zu sagen, was ich vermuthete,« sagte Winnetou. »Die Comanchen wollen nicht, was ich will.«

»So ist es leider.« antwortete der Alte.

»Der große Geist hat sie mit Taubheit geschlagen, um sie für das zu strafen, was sie thaten; er will nicht, daß sie Gnade finden sollen. Aber welche Gründe geben sie an?«

»Sie glauben, noch siegen zu können.«

»Hast Du ihnen gesagt, daß noch über fünfhundert Apachen gekommen sind? Und wo diese sich jetzt befinden?«

»Auch das. Sie glaubten es nicht. Sie lachten mich vielmehr aus.«

»So sind sie dem Tode geweiht, denn ihre andern Krieger werden zu spät kommen.«

»Es treibt mir die Haare zu Berge, wenn ich denke, daß so viele Menschen in zwei oder drei Sekunden vom Erdboden vertilgt werden sollen!«

»Mein Bruder hat Recht. Winnetou kennt weder Furcht noch Angst, aber der Rücken wird ihm kalt, wenn er daran denkt, daß er das Zeichen der Vernichtung geben soll. Ich brauche nur die flache Hand zu erheben, so krachen alle Schüsse. Ich werde noch ein Letztes versuchen. Vielleicht gibt der große Geist ihnen einen hellen Augenblick. Ich werde mich ihnen selbst zeigen und mit ihnen reden. Meine Brüder mögen mich bis an die Barrière begleiten. Wenn auch meine Worte nicht gehört werden, so darf mir dann der große, gute Geist nicht zürnen, daß ich seinen Befehl ausrichte.«

Wir gingen mit ihm bis zu der angegebenen Stelle. Dort schwang er sich an dem Lasso empor und ging in aufrechter Haltung oben auf dem Pfade hin, so daß die Comanchen ihn sehen konnten. Er war noch nicht weit gekommen, so sahen wir Pfeile schwirren, die ihn aber nicht trafen, da sie zu kurz flogen. Ein Schuß krachte, aus der Büchse des »weißen Bibers«, mit welcher der Häuptling der Comanchen auf Winnetou gezielt hatte. Dieser schritt so ruhig weiter, als ob er die Kugel, welche neben ihm an den Felsen geprallt war, gar nicht fürchte oder den Schuß überhaupt nicht gehört habe. Dann blieb er stehen und erhob seine Stimme. Was er sprach, verstand ich nicht, denn er bediente sich der Indianersprache. Er redete wohl fünf Minuten lang und zwar in lautem, eindringlichem Tone. Mitten in der Rede erhob er die Hand, und sofort sahen wir, daß alle Apachen, soweit unsere Augen reichten und also wohl weiter hin um das ganze Thal, vom Boden aufstanden, um sich den Comanchen zu zeigen. So mußten die letzteren sehen, daß sie rundum von einer überlegenen Menge von Feinden eingeschlossen seien. Das war aufrichtig von Winnetou gehandelt, der letzte Versuch von ihm, sie zur Ergebung zu bewegen. Dann sprach er weiter. Als er schwieg, erklärte mir Old Death:

»Er hat jetzt gesagt, daß er ihre Antwort hören wolle – – ah, Teufel!«

Grad als der Alte dieses Wort ausrief, fuhr Winnetou zu Boden nieder, so daß seine Gestalt verschwand, und zugleich krachte ein zweiter Schuß.

»Der Anführer der Comanchen hat abermals auf ihn geschossen. Das ist seine Antwort,« sagte Old Death. »Winnetou hat gesehen, daß er das Gewehr wieder lud, und sich in dem Augenblicke, als es auf ihn gerichtet wurde, niedergeworfen. Nun wird – – seht, seht!«

So schnell, wie Winnetou sich niedergeworfen hatte, so schnell fuhr er jetzt wieder empor. Er legte seine Silberbüchse an und drückte ab. Ein lautes Geheul der Comanchen beantwortete seinen Schuß.

»Er hat ihren Anführer niedergeschossen,« erklärte Old Death.

Jetzt erhob Winnetou abermals die Hand, indem er den Handteller flach, horizontal ausstreckte. Wir sahen alle Apachen, welche wir mit dem Blicke erreichen konnten, ihre Gewehre anlegen. Weit über vierhundert Schüsse krachten – – –

»Kommt, Mesch’schurs!« meinte der Alte. »Das wollen wir nicht mit ansehen. Das ist zu indianisch für meine alten Augen, obgleich ich sagen muß, daß die Comanchen es verdient haben. Winnetou hat alles Mögliche getan, es zu verhüten.«

Wir kehrten zu den Pferden zurück, wo der Alte das für ihn bestimmte besichtigte. Noch eine Salve hörten wir; dann ertönte das Siegesgeschrei der Apachen. Nach wenigen Minuten kehrte Winnetou zu uns zurück. Sein Angesicht war außerordentlich ernst, als er sagte:

»Es wird sich ein großes Klagen erheben in den Zelten der Comanchen, denn keiner ihrer Krieger kehrt zurück. Der große Geist hat es gewollt, daß unsere Todten gerächt werden sollen.«

Er setzte sich da nieder, wo während der Nacht das Feuer gebrannt hatte, und blickte eine lange Zeit stumm vor sich nieder. Uns lag sehr viel daran, baldigst aufzubrechen, aber wir durften keine Ungeduld zeigen, denn wir wußten, daß er bestens für uns sorgen werde. So verging eine Viertelstunde, eine halbe und sogar eine ganze Stunde. Nach dieser Zeit wurden die Pferde der Comanchen gebracht, und Winnetou erhob sich, um uns in das Thal zu führen. Dort war keine Spur mehr von den beiden Barrikaden vorhanden, auch keine Leiche sahen wir liegen. Sie waren mit Hilfe der Lasso’s zum Pfade hinaufgezogen worden.

Endlich wurde für unsern Aufbruch gesorgt. Man gab uns Fleisch mit; man füllte unsere Schläuche mit frischem Wasser. Dann wurden zehn Männer bestimmt, welche uns begleiten sollten.

»Zehn?« fragte Old Death. »Einer genügt, um uns den Weg zu zeigen.«

»Nicht als Wegweiser gebe ich sie Euch mit, sondern zu Eurem Schutze,« erklärte Winnetou.

»Schutz? Den brauchen wir nicht. Wir sind Manns genug, uns selbst zu schützen.«

»Mein Bruder irrt. Ich weiß, daß er ein muthiger und tapferer Mann ist, aber es schwärmen jetzt die Zakateko’s, Tschimarra und Concho’s über die Mapimi. Diese sind Niemandes Freund und Jedermanns Feind.«

»Lumpen sind sie, die ich nicht zu fürchten habe! Die Apachen und Comanchen sind tapfer. Diese halbcivilisirten Schufte aber sitzen mit der Feigheit im Sattel.«

»Mein Bruder muß bedenken, daß der feigste Mann den Tapfersten aus dem Hinterhalte zu tödten vermag. Das junge Bleichgesicht, dem ich mein Leben zu verdanken habe, soll nicht von der Hand eines solchen Menschen sterben.«

»Nun, wenn das ist, so bin ich einverstanden. Also gib uns meinetwegen zehn Krieger mit.«

»Du wirst mit ihnen zufrieden sein. Sie gehören zu den besten, welche ich besitze und ihr Anführer ist mir sogar lieb und werth. Ich habe ihm gesagt, daß er nicht lebend vor mir treten möge, wenn Euch ein Leid geschehe, und Ihr könnt Euch ihm ruhig anvertrauen.«

»Nun, hoffentlich können wir ihn ebenso gut in unsern Schutz nehmen, wie er uns in den seinigen.«

Old Death war eben nicht der Mann, der sich gern sagen ließ, daß man ihn unter den Schutz eines Andern stelle. Mir aber war es sehr lieb, daß uns ein solch tüchtiger junger Krieger begleitete. Ich hoffte, von ihm zu profitiren, wenn auch nur in Beziehung auf das Reiten. Nun kam es zum Abschiede. Der Indianer liebt es keineswegs, seine Gefühle in der Weise zu äußern wie ein Weißer. Winnetou aber machte heute eine Ausnahme. Er umarmte mich, küßte mich auf die Wange, hing mir sein Calummet um den Hals und sagte:

»Mein Herz gehört Dir und also auch mein Arm. Du hast bereits das Totem des »guten Mannes«, aber die Friedenspfeife Winnetou’s wird Dich noch besser schützen. Der Apache, dem Du sie zeigst, wird bereit sein, Dir sein Leben zu schenken. Reite hin, und der große Geist beschütze Dich! Ich werde täglich zu ihm sagen, daß ich Dich wiederzusehen wünsche. Führt er mich dann einmal mit Dir zusammen, so wollen wir Brüder sein, einer gleich dem andern.«

Er sah noch einmal nach dem Verbande, welchen er mir während der Nacht angelegt hatte, drückte mir die Hand, drehte sich um und schritt, ohne sich nochmals umzusehen, von dannen, in das Thal hinein. Wir stiegen auf und ritten fort, voran die zehn Apachen.

Ich war von diesem Abschiede tief ergriffen. Winnetou hatte einen ganz unbeschreiblichen Eindruck auf mich gemacht, einen Eindruck, welcher selbst dann für das ganze Leben vorgehalten hätte, wenn ich diesem Manne nie wieder begegnet wäre. So ritt ich, in tiefes Sinnen versunken, weiter auf nichts und Niemand achtend als nur allein auf das Bild, welches Winnetou in mir zurückgelassen hatte. Endlich mußte ich aber doch mehr als bisher auf mein Pferd Acht geben, welches begann, mir zu schaffen zu machen. Der »alte Jüngling«, so hieß der Anführer von Winnetou’s Leuten, bemerkte das und gesellte sich zu mir, um sich meiner freundlich anzunehmen.

Er stand ungefähr in meinem Alter und sah nicht sehr verwegen aus. Jedenfalls war ich ihm von Winnetou ganz besonders anempfohlen worden, denn er strömte geradezu über in Freundlichkeiten und Aufmerksamkeiten für mich. Er hatte die Mapimi nach allen Richtungen durchkreuzt, behauptete, sie ganz genau zu kennen und schilderte mir das Leben in derselben. Nun erfuhr ich von dieser Wüste weit mehr, als ich vorher von ihr gehört hatte.

Sie liegt im Gebiete der beiden mexikanischen Provinzen Chihuahua und Chohahuila, und ist eine sehr ausgedehnte Niederung des dortigen Plateaus, welches weit über elfhundert Meter über dem Meere liegt. Sie wird, außer im Norden, von allen Seiten von steilen Kalkfelsenzügen eingefaßt, welche durch zahlreiche Cannons von der eigentlichen Mapimi getrennt sind. Letztere besteht aus welligen, waldlosen Flächen, welche mit einem spärlichen, kurzen Graswuchse bedeckt sind, weite Sandunterbrechungen zeigen und nur selten ein Strauchwerk sehen lassen. Zuweilen steigt aus dieser wüsten Ebene ein einzelner Berg empor. Oefters ist der Boden durch tiefe, senkrecht abfallende Risse zerklüftet, was zu bedeutenden Umwegen nöthigt. Aber wasserlos ist die Mapimi doch nicht so sehr, wie ich es mir gedacht hatte. Es gibt da See’n, welche in der heißen Jahreszeit zwar den größten Theil ihres Wassers einbüßen, aber doch so viel Luftfeuchtigkeit verbreiten, daß sich ein genügendes Pflanzenleben um ihre Ufer sammelt.

Nach einem dieser See’n, der Laguna de Santa Maria, war unser Ritt gerichtet. So viel ich aus den Reden des »alten Jünglings« schließen konnte, war dieser See ungefähr zehn deutsche Meilen von dem Thale entfernt, an welchem unser Ritt begonnen hatte, ein ganz tüchtiger Tagesmarsch nach einer schlaflos verbrachten Nacht. Wir ritten fast nur durch Schluchten, aus einer in die andere, in denen es keine Aussicht gab.

Wir sahen die Sonne den ganzen Tag fast nicht, und wenn es geschah, doch nur für einige kurze Augenblicke. Dabei ging es bald rechts, bald links, zuweilen sogar scheinbar rückwärts, daß ich ohne den Compaß ganz irre in der Hauptrichtung geworden wäre, welcher wir eigentlich folgten.

Es war gegen Abend, als wir an der Lagune anlangten. Der Boden war sandig. Bäume gab es an der Stelle, an welcher wir uns lagerten, auch nicht, nur Sträucher, deren Namen ich nicht kannte. Eine trübe Wasserfläche mit sehr spärlichem Buschwerk umgeben; dann eine Ebene, über welcher im Westen sich einige niedrige Kuppeln erhoben, hinter denen die Sonne bereits niedergegangen war. Hier oben aber hatten die Strahlen der letzteren mit aller Macht auftreffen können.

In den tiefen, engen, düsteren Cannons war es mir fast zu kühl geworden. Da oben aber strahlte der Boden nun eine Wärme aus, bei der man hätte Kuchen backen können. Dafür war die Nacht, als der Boden seine Wärme an die Luft abgegeben hatte, um so kälter, und gegen Morgen strich ein Wind über uns hin, welcher uns dichter in unsere wollenen Decken trieb.

Frühzeitig ging es weiter, zuerst grade nach Westen. Bald aber nöthigten uns die zahlreichen Cannons zu öfteren Umwegen. Zu so einem senkrechten Felsenriß hinab zu gelangen, wäre unmöglich, wenn nicht die Natur selbst ein Einsehen gehabt und einen halsbrecherischen, treppenartigen Abstieg gebildet hätte. Und ist man unten, so kann man nicht wieder heraus. Man muß durch zehn und mehr Haupt- und Seitenschluchten reiten, bevor man eine Stelle findet, an welcher man endlich zur Erdoberfläche gelangen kann, aber auch wieder nur mit Gefahr. Der Reiter hängt auf seinem Pferde an dem Felsen, über sich einen schmalen Strich des glühenden Himmels und unter sich die grausige Tiefe. Und in dieser Tiefe gibt es keinen Tropfen Wasser, nur Steingeröll und nichts als nacktes, trockenes, scharfes Steingeröll. Droben schweben die Geier, welche den Reisenden von früh bis zum Abende begleiten und sich, wenn er sich zur Ruhe legt, in geringer Entfernung von ihm niederlassen, um ihn vom Morgen an wieder zu begleiten und ihm mit ihren schrillen, heiseren Schreien zu sagen, daß sie nur darauf warten, bis er vor Ermattung zusammenbreche oder in Folge eines Fehltrittes seines Pferdes in die Tiefe des Cannons stürze. Höchstens sieht man einmal um irgend eine Felsenecke einen skelettmageren Schakal wie einen Schatten verschwinden, welcher dann hinter dem Reiter wieder auftaucht, um ihm heißhungrig nachzutrotteln, auf dieselbe Mahlzeit wartend wie der Geier.

Ich erfuhr von dem »alten Jünglinge«, daß wir vier volle Tage zu reiten haben würden, um nach Chihuahua zu kommen. Dort hoffte er, noch im Laufe des heutigen Tages Gibson und dessen Begleiter zu erreichen. Das war es, was mich mit guter Laune den bösen Ritt ertragen ließ.

Am Mittage hatten wir wiederum ein schlimmes Gewirr von Cannons hinter uns und ritten im Galoppe über eine grasige Ebene. Auf derselben stießen wir auf eine Spur von über zehn Reitern, welche in spitzem Winkel mit der unserigen von rechts her kam. Der »alte Jüngling« behauptete, daß es die gesuchte sei. Er zeigte uns sogar die Spuren der beschlagenen Pferde der Weißen und diejenigen der barfüßigen der beiden Apachen, welche den ersteren von Winnetou als Führer mitgegeben worden waren. Auch Old Death war der Ansicht, es sei gar nicht zu bezweifeln, daß wir uns auf der richtigen Fährte befänden. Leider stellte sich heraus, daß Gibson einen Vorsprung von wenigstens sechs Stunden vor uns habe. Seine Truppe mußte die ganze Nacht hindurch geritten sein, jedenfalls in der Voraussetzung, daß wir sie verfolgen würden.

Gegen Abend blieb Old Death, welcher mit dem klugen Sam voranritt, halten und ließ uns, die wir etwas zurückgeblieben waren, herankommen. Da, wo er hielt, stieß von Süden her eine neue Fährte zu der bisherigen, ebenfalls von Reitern, und zwar zwischen dreißig und vierzig. Sie waren einzeln hinter einander geritten, was die Bestimmung ihrer Anzahl sehr erschwerte. Dieses im Gänsemarsche reiten, und der Umstand, daß ihre Pferde nicht beschlagen waren, ließen vermuthen, daß sie Indianer seien. Sie waren nach links in unsere Richtung eingebogen, und aus dem fast ganz gleichen Alter der beiden Fährten war zu vermuthen, daß sie später mit den Weißen zusammengetroffen seien. Old Death brummte mißmuthig etwas vor sich hin. Er meinte:

»Was für Rothe mögen es gewesen sein? Apachen sicherlich nicht. Wir haben keineswegs Freundliches von ihnen zu erwarten.«

»Mein weißer Bruder hat Recht,« stimmte der »alte Jüngling« bei. »Apachen sind jetzt nicht hier und außer ihnen gibt es in diesem Theile der Mapimi nur noch die drei feindliche Horden, von denen Winnetou sprach. Wir haben uns also in Acht zu nehmen.«

Wir ritten weiter und erreichten bald die Stelle, an welcher die Rothen mit den Weißen zusammengetroffen waren. Beide Trupps hatten hier gehalten und mit einander verhandelt. Jedenfalls war das Ergebniß für die Weißen ein günstiges gewesen, denn sie hatten sich in den Schutz der Rothen begeben. Ihre bisherigen Führer, die beiden Apachen, welche wir erst als Topia’s kennen gelernt hatten, waren von ihnen verabschiedet worden. Die Spuren dieser beiden Reiter trennten sich hier von den übrigen.

Nach einer Weile erreichten wir einen Höhenzug, welcher mit Gras und Gestrüpp bewachsen war. Von demselben kam, hier eine Seltenheit, ein dünnes Bächlein herabgeflossen. Da hatten die von uns Verfolgten gehalten, um ihre Pferde zu tränken. Die Ufer des Baches waren vollständig strauchlos, so daß man den Lauf desselben sehr weit verfolgen konnte. Er floß nach Nordwest. Old Death stand da, beschattete mit der Hand seine Augen und blickte in der soeben angegebenen Richtung. Nach dem Grunde befragt, antwortete er:

»Ich sehe weit vor uns zwei Punkte. Ich calculire, daß es Wölfe sind. Aber was haben die Bestien dort zu sitzen? Ich calculire, wenn es wirklich welche wären, so würden sie vor uns davon gelaufen sein, denn kein Thier ist so feig, wie diese Prairiewölfe.«

»Meine Brüder mögen schweigen. Ich hörte etwas,« sagte der »alte Jüngling«.

Wir vermieden alles Geräusch, und wirklich, da klang von dort her, wo sich die beiden Punkte befanden, ein schwacher Ruf zu uns herüber.

»Das ist ein Mensch!« rief Old Death. »Wir wollen hin.«

Er stieg auf und wir mit ihm. Als wir uns der Stelle näherten, erhoben sich die beiden Thiere und trollten davon. Sie hatten am Ufer des Baches gesessen, und mitten im Bache erblickten wir einen unbedeckten menschlichen Kopf, welcher aus dem Wasser sah. Das Gesicht wimmelte vor Mücken, welche in den Augen, den Ohren, in der Nase und zwischen den Lippen saßen.

»Um Gotteswillen, rettet mich, Sennores!« stöhnte es aus dem Munde. »Ich kann es nicht länger aushalten.«

Wir warfen uns natürlich sofort von den Pferden.

»Was ist’s mit Euch?« fragte Old Death in spanischer Sprache, da der Mann sich derselben bedient hatte. »Wie seid Ihr denn in das Wasser gerathen? Warum kommt Ihr nicht heraus? Es ist ja kaum zwei Fuß tief!«

»Man hat mich hier eingegraben.«

»Warum? Alle Teufel! Einen Menschen eingraben! Wer hat es gethan?«

»Indianer und Weiße.«

Wir hatten gar nicht darauf geachtet, daß von dem Tränkplatze mehrere Fußspuren bis hierher führten.

»Dieser Mann muß schleunigst heraus. Kommt, Mesch’schurs! Wir graben ihn aus, und da wir keine Werkzeuge haben, so nehmen wir unsere Hände.«

»Der Spaten liegt hinter mir im Wasser. Sie haben ihn mit Sand zugedeckt,« sagte der Mann.

»Ein Spaten? Wie kommt denn Ihr zu so einem Werkzeuge?«

»Ich bin GambusinoGoldsucher. Ueberhaupt einer, welcher auf die Entdeckung von Fundarten edler Metalle ausgeht.. Wir haben stets Hacke und Spaten bei uns.«

Der Spaten wurde gefunden, und nun traten wir in das Wasser und gingen an die Arbeit. Das Bett des Baches bestand aus leichtem, tiefem Sande, welcher sich unschwer ausgraben ließ. Wir sahen jetzt erst, daß hinter dem Manne eine Lanze eingestoßen worden war, an welche man ihm den Hals in der Weise festgebunden hatte, daß er den Kopf nicht nach vorn beugen konnte. So befand sich sein Mund nur drei Zoll über dem Wasser, ohne daß es ihm möglich gewesen wäre, einen einzigen Schluck zu trinken. Außerdem hatte man ihm das Gesicht mit frischem, blutigem Fleische eingerieben, um Insekten anzulocken, die ihn peinigen sollten. Er hatte sich nicht aus seiner Situation befreien können, weil ihm die Hände auf den Rücken und die Füße zusammengebunden worden waren. Das Loch, welches man für ihn gegraben hatte, war über zwei Ellen tief. Als wir ihn endlich aus demselben hoben und von den Fesseln befreiten, sank er in Ohnmacht. Kein Wunder, denn man hatte ihn von allen Kleidungsstücken entblößt und seinen Rücken blutrünstig geschlagen.

Sechstes Kapitel. In der Bonanza.

Der arme Mensch kam bald wieder zu sich. Er wurde nach der Stelle getragen, an welcher wir auf den Bach getroffen waren; weil dort gelagert werden sollte. Der Mann bekam zunächst zu essen. Dann holte ich mein Reservehemde aus der Satteltasche, damit er verbunden werden konnte. Nun erst war er im Stande, uns die erwünschte Auskunft zu geben.

»Ich bin als Gambusino zuletzt in einer Bonanza thätig gewesen,« sagte er, »welche eine Tagereise von hier zwischen den Bergen liegt. Ich hatte da einen Kameraden, einen Yankee, namens Harton, welcher – –«

»Harton?« unterbrach ihn Old Death schnell. »Wie ist sein Vorname?«

»Fred.«

»Wißt Ihr, wo er geboren wurde und wie alt er ist?«

»In New-York ist er geboren und vielleicht sechzig Jahre alt.«

»Wurde davon gesprochen, daß er Familie hat?«

»Seine Frau ist gestorben. Er hat einen Sohn, welcher in Frisco irgend ein Handwerk treibt, welches, das weiß ich nicht. Ist Euch der Mann bekannt?«

Old Death hatte seine Fragen in ungemein heftiger Weise ausgesprochen. Seine Augen leuchteten, und seine tief eingesunkenen Wangen glühten. Jetzt gab er sich Mühe, ruhig zu erscheinen, und antwortete in gemäßigtem Tone:

»Hab’ ihn früher einmal gesehen. Soll sich in sehr guten Verhältnissen befunden haben. Hat er Euch nichts davon erzählt?«

»Ja. Er war der Sohn anständiger Eltern und wurde Kaufmann. Er brachte es nach und nach zu einem guten Geschäfte, aber er hatte einen mißrathenen Bruder, der sich wie ein Blutegel an ihn hing und ihn aussaugte.«

»Habt Ihr erfahren, wie dieser Bruder hieß?«

»Ja. Sein Vorname war Henry«

»Stimmt. Hoffentlich gelingt es mir, Euern Harton einmal zu sehen!«

»Schwerlich. Er wird am längsten gelebt haben, denn die Halunken, welche mich eingruben, haben ihn mit sich genommen.«

Old Death machte eine Bewegung, als ob er aufspringen wolle, doch gelang es ihm, sich zu beherrschen und in ruhigem Tone zu fragen:

»Wie ist denn das gekommen?«

»So, wie ich es erzählen wollte, bevor ich von Euch unterbrochen wurde. Harton war also Kaufmann, wurde aber von seinem Bruder um sein ganzes Vermögen betrogen. Mir scheint, er liebt noch heute jenen gewissenlosen Buben, der ihn um Alles brachte. Nachdem er verarmt war, trieb er sich lange Zeit als Digger in den Placers herum, hatte aber niemals Glück. Dann wurde er Vaquero, kurz, alles Mögliche, aber immer ohne Erfolg, bis er zuletzt unter die Gambusino’s ging. Aber zum Abenteurer hat er das Zeug nicht. Als Gambusino ist es ihm noch viel schlechter ergangen als vorher.«

»So hätte er keiner werden sollen!«

»Ihr habt gut reden, Sennor. Millionen Menschen werden das nicht, wozu sie Geschick hätten, sondern das, wozu sie am allerwenigsten taugen. Vielleicht hatte er einen heimlichen Grund, unter die Gambusino’s zu gehen. Sein Bruder ist nämlich einer gewesen, und zwar ein sehr glücklicher. Vielleicht hoffte er, ihn in dieser Weise einmal zu treffen.«

»Das ist Widerspruch. Dieser lüderliche Bruder soll ein glücklicher Gambusino gewesen sein und doch seinen Bruder um das ganze Vermögen betrogen haben? Ein glücklicher Gambusino hat doch das Geld in Hülle und Fülle.«

»Ja, aber wenn er es schneller verpraßt, als er es findet oder verdient, so ist es eben alle. Er war im höchsten Grade ein Verschwender! Zuletzt kam Harton nach Chihuahua, wo er sich von meinem Prinzipal engagieren ließ. Hier lernte ich ihn kennen und lieb gewinnen. Das ist eine große Seltenheit, denn es läßt sich leicht denken, daß die Gambusino’s im höchsten Grade eifersüchtig gegen und neidisch auf einander sind. Von dieser Zeit an sind wir mit einander auf Entdeckungen ausgegangen.«

»Wie heißt denn Euer Herr?«

»Davis.«

»Wetter! Hört mal, Sennor, sprecht Ihr auch englisch?«

»So gut wie spanisch.«

»So habt die Güte, englisch zu reden, denn hier sitzen zwei, welche das Spanische nicht verstehen und sich doch außerordentlich für Eure Erzählung interessiren werden.«

Er deutete auf die beiden Lange’s.

»Warum interessiren?« fragte der Gambusino.

»Das werdet Ihr sofort erfahren. Hört, Master Lange, dieser Mann ist ein Goldsucher und steht im Dienste eines gewissen Davis in Chihuahua.«

»Was? Davis?« fuhr Lange auf. »Das ist ja der Prinzipal meines Schwiegersohnes!«

»Nur nicht so schnell, Sir! Es kann ja mehrere Davis geben.«

»Wenn dieser Master den Davis meint, welcher das einträgliche Geschäft betreibt, Gold- und Silberminen zu kaufen, so gibt es nur einen einzigen dieses Namens,« erklärte der Gambusino.

»So ist er es!« rief Lange. »Kennt Ihr den Herrn, Sir?«

»Natürlich! Ich stehe ja in seinem Dienste.«

»Und auch meinen Schwiegersohn?«

»Wer ist das?«

»Ein Deutscher, namens Uhlmann. Er hat in Freiberg studirt.«

»Das stimmt. Er ist Bergwerksdirektor geworden mit höchst ansehnlichen Tantièmen. Und seit einigen Monaten steht die Sache gar so, daß er nächstens Compagnon sein wird. Ihr seid also sein Schwiegervater?«

»Natürlich! Seine Frau, die Agnes, ist meine Tochter.«

»Wir nennen sie Sennora Ines. Sie ist uns Allen wohl bekannt, Sir! Ich habe gehört, daß ihre Eltern in Missouri wohnen. Wollt Ihr sie besuchen?«

Lange bejahte.

»So braucht Ihr gar nicht nach Chihuahua zu gehen, sondern nach der Bonanza, von welcher ich vorhin gesprochen habe. Habt Ihr denn noch nicht von ihr gehört? Sie gehört ja Eurem Schwiegersohne! Er machte jüngst einen Erholungsritt in die Berge und hat dabei ein Goldlager entdeckt, wie man es hier noch nicht gefunden hat. Sennor Davis hat ihm die Arbeitskräfte gegeben, es sofort auszubeuten. Jetzt wird fleißig geschafft, und die Funde sind derart, daß zu vermuthen steht, Sennor Davis werde Sennor Uhlmann die Compagnonschaft antragen, was für beide von größtem Vortheile wäre.«

»Was Ihr da sagt! Will, hörst Du es?«

Diese Frage galt seinem Sohne. Dieser antwortete nicht. Er schluchzte leise vor sich hin; es waren Freudenthränen, welche er weinte.

Natürlich freuten auch wir Andern uns außerordentlich über das Glück unserer beiden Gefährten. Old Death zog allerlei Grimassen, welche ich nicht verstehen konnte, obgleich ich sonst die Bedeutung derselben ziemlich genau kannte.

Es währte eine Weile, bevor die Aufregung über die Nachricht, daß Lange’s Schwiegersohn eine Bonanza entdeckt habe, sich legte. Dann konnte der Gambusino fortfahren:

»Ich half Harton mit, den Betrieb der Bonanza einzurichten. Dann brachen wir auf, um die Mapimi zu durchsuchen. Wir ritten drei Tage lang in dieser Gegend herum, fanden aber kein Anzeichen, daß Gold vorhanden sei. Heute Vormittags rasteten wir hier am Bache. Wir hatten während der Nacht fast gar nicht geschlafen und waren ermüdet. Wir schliefen somit ein, ohne es zu beabsichtigen. Als wir erwachten, waren wir von einer großen Schaar weißer und rother Reiter umgeben.«

»Was für Indianer waren es?«

»Tschimarra, vierzig an der Zahl, und zehn Weiße.«

»Tschimarra! Das sind noch die tapfersten von allen diesen Schelmen. Und sie machten sich an Euch zwei arme Teufel? Warum? Leben sie denn in Feindschaft mit den Weißen?«

»Man weiß nie, wie man mit ihnen daran ist. Sie sind weder Freunde noch Feinde. Zwar hüten sie sich sehr wohl, in offene Feindschaft auszubrechen, denn dazu sind sie zu schwach, aber sie stellen sich auch niemals zu uns in ein wirklich gutes Verhältniß, dem man Vertrauen schenken könnte. Und das ist gefährlicher als eine ausgesprochene Feindschaft, da man niemals weiß, wie man sich zu verhalten hat.«

»So möchte ich den Grund wissen, Euch so zu behandeln. Habt Ihr sie beleidigt?«

»Nicht im Geringsten. Aber Sennor Davis hatte uns sehr gut ausgerüstet. Jeder hatte zwei Pferde, gute Waffen, Munition, Proviant, Werkzeuge und Alles, dessen man zu einem längeren Aufenthalte in einer so öden Gegend bedarf.«

»Hm! Das ist freilich für solches Volk mehr als genug.«

»Sie hatten uns umringt und fragten uns, wer wir seien und was wir hier wollten. Als wir ihnen der Wahrheit gemäß antworteten, thaten sie äußerst ergrimmt und behaupteten, die Mapimi gehöre ihnen sammt Allem, was sich auf und in derselben befinde. Darauf hin verlangten sie die Auslieferung unserer Habseligkeiten.«

»Und Ihr gabt sie hin?«

»Ich nicht. Harton war klüger als ich, denn er legte Alles ab, was er besaß; ich aber griff zur Büchse, nicht um zu schießen, denn das wäre bei ihrer Uebermacht die reine Tollheit gewesen, sondern nur um sie einzuschüchtern. Ich wurde augenblicklich überwältigt, niedergerissen und bis auf die Haut ausgeraubt. Die Weißen kamen uns nicht zu Hilfe! Aber sie stellten Fragen an uns. Ich wollte nicht antworten und wurde deßhalb mit den Lasso’s gepeitscht. Harton war abermals klüger als ich. Er konnte nicht wissen, was sie beabsichtigten oder beschließen würden. Er sagte ihnen Alles, auch das von der neuen Bonanza Sennor Uhlmann’s. Da horchten sie auf. Er mußte sie ihnen beschreiben. Ich fiel ihm in die Rede, damit er es verschweigen solle. Er merkte nun doch, daß ihnen nicht zu trauen sei und gab weiter keine Auskunft. Dafür wurde ich gefesselt und hier eingegraben. Harton aber erhielt so lange Hiebe, bis er Alles sagte. Und da sie glaubten, daß er sie doch vielleicht falsch berichtet habe, so nahmen sie ihn mit und drohten ihm mit dem qualvollsten Tode, wenn er sie nicht bis morgen Abend zur Bonanza geführt habe.«

Das Gesicht, welches Old Death jetzt machte, hatte ich bei ihm noch nicht gesehen, obgleich er von mir in allen möglichen Seelenstimmungen beobachtet worden war. Es lag ein Zug finsterster, wildester, unerbittlicher Entschlossenheit auf demselben. Er hatte das Aussehen eines Mörders, welcher sich vornimmt, um keinen Preis Nachsicht mit seinem Opfer zu haben. Seine Stimme klang fast heiser, als er fragte:

»Und glaubt Ihr, daß sie von hier aus nach der Bonanza sind?«

»Ja. Sie wollen die Bonanza überfallen und ausrauben. Es sind dort große Vorräthe an Munition, Proviant und sonstigen Gegenständen, welche für einen Spitzbuben großen Werth haben. Auch Silber gibt es da in Menge.«

»Alle Teufel! Sie werden theilen wollen. Die Weißen nehmen das Metall und die Rothen das Andere. Wie weit ist es bis dahin?«

»Ein tüchtiger Tagesritt, so daß sie morgen Abend dort ankommen können, wenn Harton nicht den Rath befolgt, welchen ich ihm gab.«

»Welchen?«

»Er solle sie einen Umweg führen. Ich dachte, daß doch vielleicht Jemand des Weges kommen könne, um mich zu erlösen. In diesem Falle wollte ich ihn bitten, schleunigst nach der Bonanza zu reiten, um die Leute dort zu warnen. Ich selbst hätte freilich nicht mitreiten können, denn ich hatte kein Pferd.«

Der Alte blickte eine kurze Welle sinnend vor sich nieder. Dann sagte er:

»Ich möchte am allerliebsten augenblicklich fort. Wenn man jetzt aufbricht, kann man der Fährte dieser Schufte folgen, aber auch nur, bis es dunkel ist. Könnt Ihr mir dann nicht den Weg so genau beschreiben, daß ich ihn des Nachts finde?«

Der Mann verneinte und warnte entschieden vor einem nächtlichen Ritt. Old Death beschloß also, bis zum nächsten Morgen zu warten.

»Wir fünfzehn,« fuhr er fort, »haben es mit vierzig Rothen und zehn Weißen zu thun, macht zusammen fünfzig; da meine ich nicht, daß wir uns fürchten müssen. Wie waren denn die Tschimarra bewaffnet?«

»Nur mit Lanzen, Pfeil und Bogen. Nun aber haben sie uns unsere beiden Gewehre und Revolver abgenommen,« antwortete der Gambusino.

»Das thut nichts, da sie nicht verstehen, mit solchen Waffen umzugehen. Uebrigens werden wir uns alle Umstände zu Nutzen machen. Dazu ist es nöthig, zu erfahren, wo und wie die Bonanza liegt. Ihr sagtet, sie sei nur durch einen Zufall zu finden. Das begreife ich nicht. Bei einer Bonanza gibt es wahrscheinlich Wasser. Dieses fließt in einer Schlucht, einem Cannon, und das ist doch in dieser offenen, baumlosen Gegend zu finden. Beschreibt mir den Ort einmal!«

»Denkt Euch eine tief in den Wald eingeschnittene Schlucht, welche sich in ihrer Mitte erweitert und rund von steilen Kalkfelsen eingeschlossen ist. Diese Kalkfelsen sind ungeheuer reich an Silber-, Kupfer- und Bleilagern. Der Hochwald tritt von allen Seiten bis an die Kante dieser Schlucht heran und sendet sogar Bäume und Sträucher an den Wänden derselben herab. Im Hintergrunde entspringt ein Wasser, welches gleich stark und voll wie ein Bach aus der Erde tritt. Die Schlucht oder vielmehr dieses Thal ist fast zwei englische Meilen lang. Aber trotz dieser bedeutenden Länge gibt es nirgends eine Stelle, an welcher man von oben herniedersteigen könnte. Der einzige Ein- und Ausgang ist da, wo das Wasser aus dem Thale tritt. Und dort schieben sich die Felsen so eng zusammen, daß neben dem Wasser nur Raum für drei Männer oder zwei Reiter bleibt.«

»So ist der Ort doch ungemein leicht gegen einen Ueberfall zu vertheidigen!«

»Gewiß. Einen zweiten Eingang gibt es nicht, wenigstens nicht für Leute, welche nicht zu den jetzigen Bewohnern des Thales gehören. In der Mitte des Thales wird gearbeitet. Da war es beschwerlich, in gebotenen Fällen stets eine halbe Stunde weit zu gehen, um aus dem Thale zu kommen. Darum hat Sennor Uhlmann einen Aufstieg errichten lassen, welcher an einer geeigneten Stelle angebracht wurde. Dort steigt der Fels nicht senkrecht, sondern stufenweise empor. Der Sennor ließ Bäume fällen und auf die verschiedenen Absätze so herabstürzen, daß sie gegen die Felsen gelehnt liegen blieben. Dadurch wurde eine von oben bis ganz herab gehende Masse von Stämmen, Aesten und Zweigen gebildet, unter deren Schirm man Stufen einhaute. Kein Fremder kann dieselben sehen.«

»Oho! Ich mache mich anheischig, diese famose Treppe sofort zu entdecken. Ihr selbst habt Euch verrathen durch das Fällen der Bäume. Wo Bäume künstlich entfernt worden sind, da müssen sich Menschen befinden oder befunden haben.«

»Wenn Ihr an die betreffende Stelle kommt, so ahnt Ihr gar nicht, daß die Bäume da künstlich mit Hilfe von Seilen, Lasso’s und unter großer Anstrengung, ja sogar Lebensgefahr hinabgelassen worden sind. Versteht mich wohl! Sie sind nicht im gewöhnlichen Sinne gefällt worden. Kein Stumpf ist zu sehen. Sennor Uhlmann hat sie entwurzeln lassen, so daß sie sich langsam nach der Schlucht neigten und ihren ganzen Wurzelballen aus der Erde hoben. Ueber dreißig Mann haben dann an den Seilen gehalten, damit der Baum nicht zur Tiefe schmetterte, sondern langsam niederglitt und auf dem Felsenabsatze festen Halt bekam.«

»So viele Arbeiter hat er?«

»Jetzt fast vierzig.«

»Nun, so brauchen wir wegen des Ueberfalles gar keine Sorge zu haben. Wie hat er denn die Verbindung mit der Außenwelt organisirt?«

»Durch Maulthierzüge, welche alle zwei Wochen ankommen, um das Thal mit allem Nothwendigen zu versorgen und die Erze fortzuschaffen.«

»Läßt der Sennor den Eingang bewachen?«

»Des Nachts, wenn Alles schläft. Uebrigens streift ein Jäger, welchen er zu diesem Zwecke engagirt hat, während des ganzen Tages in der Gegend umher, um die Gesellschaft mit Wildpret zu versorgen. Diesem kann nichts entgehen.«

»Hat Uhlmann Gebäude anlegen lassen?«

»Gebäude nicht. Er wohnt in einem großen Zelte, in welchem sich alle nach der Arbeit versammeln. Ein Nebenzelt bildet den Vorrathsraum. Beide stoßen an die Wand des Thales. Und im Halbkreise um dieselben sind einstweilen aus Aesten und dergleichen Hütten errichtet, in denen die Arbeiter campiren.«

»Aber ein Fremder oben auf der Thalkante kann die hellen Zelte sehen!«

»Nein, denn sie sind von dichten Baumkronen überdacht und nicht mit weißem Zeltleinen, sondern mit dunklem Gummistoffe überzogen.«

»Das will ich eher gelten lassen. Wie steht es mit der Bewaffnung?«

»Vorzüglich. Jeder der Arbeiter hat sein Doppelgewehr nebst Messer und Revolver.«

»Nun, so mögen die lieben Tschimarra immerhin kommen. Freilich ist dazu erforderlich, daß wir eher eintreffen als sie. Wir müssen unsere Pferde morgen anstrengen. Nun aber wollen wir versuchen, den Schlaf zu finden. In Anbetracht dessen, was uns morgen erwartet, müssen wir gut ausgeruht sein und unsere Pferde auch.«

Mir wollte die erwartete Ruhe nicht kommen, obgleich ich während der vorigen Nacht keinen Augenblick hatte schlafen können. Der Gedanke, morgen Gibson zu erwischen, regte mich auf. Und Old Death schlief auch nicht. Er wendete sich wiederholt von einer Seite auf die andere. Das war ich an ihm gar nicht gewöhnt. Ich hörte ihn seufzen, und zuweilen murmelte er leise Worte vor sich hin, welche ich nicht verstehen konnte, obgleich ich neben ihm lag. Es gab irgend etwas, was ihm das Herz schwer machte. Sein Benehmen, als auf den Gambusino Harton die Rede gekommen war, war mir aufgefallen, doch war dasselbe dadurch erklärt, daß er diesen Mann kannte. Sollte er zu ihm in noch anderer Beziehung als nur derjenigen eines bloßen Bekannten stehen?

Als wir ungefähr drei Stunden gelegen hatten, bemerkte ich, daß er sich aufrichtete. Er lauschte auf unsern Athem, um sich zu überzeugen, daß wir schliefen. Dann stand er auf und entfernte sich längs des Baches. Der Wachtposten, ein Indianer, hinderte ihn natürlich nicht daran. Ich wartete. Es verging eine Viertelstunde, noch eine, eine dritte, und der Alte kehrte nicht zurück. Dann stand ich auf und schritt ihm nach.

Er war weit fortgegangen. Erst nach zehn Minuten erblickte ich ihn. Er stand am Bache und starrte in den Mond, mit dem Rücken nach mir gewendet. Ich gab mir keine Mühe, leise aufzutreten, doch dämpfte das Gras meine Schritte. Dennoch hätte er sie hören müssen, wenn ihn seine Gedanken nicht allzusehr in Anspruch genommen hätten. Erst als ich fast hinter ihm stand, fuhr er herum. Er riß den Revolver aus dem Gürtel und fuhr mich an:

»Alle Teufel! Wer seid Ihr? Was schleicht Ihr Euch hier herum? Wollt Ihr eine Kugel von mir ha – – –«

Er hielt inne. Er mußte geistig sehr weit abwesend gewesen sein, da er mich erst jetzt erkannte.

»Ah, Ihr seid es!« fuhr er fort. »Hätte Euch fast eine Kugel gegeben, denn ich hielt Euch wahrhaftig für einen Fremden. Warum schlaft Ihr denn nicht?«

»Weil mir der Gedanke an Gibson und Ohlert keine Ruhe gibt.«

»So? Glaube es. Na, morgen kommen beide endlich in unsere Hände, oder ich will nicht Old Death heißen. Kann ihnen nicht länger nachlaufen, denn ich muß in der Bonanza bleiben.«

»Ihr! Weßhalb? Handelt es sich um ein Geheimniß?«

»Ja.«

»Nun, so will ich nicht in Euch dringen und Euch auch nicht länger stören. Ich hörte Euer Seufzen und Murmeln und dachte, daß ich Theil nehmen könne an irgend einem Herzeleid, welches nicht von Euch lassen will. Gute Nacht, Sir!«

Ich wendete mich zum Gehen. Er ließ mich eine kleine Strecke fort, dann hörte ich:

»Master, lauft nicht fort. Es ist wahr, was Ihr von dem Herzeleid denkt; es liegt mir schwer auf der Seele und will nicht heraus. Ich habe Euch kennen gelernt als einen verschwiegenen und gutherzigen Kerl, der mit mir wohl nicht allzu streng in’s Gericht gehen will. Darum sollt Ihr jetzt einmal hören, was mich drückt. Alles brauche ich nicht zu sagen, nur Einiges; das Uebrige werdet Ihr Euch leicht dazu denken können.«

Er nahm meinen Arm unter den seinigen und schritt langsam mit mir am Bache hin.

»Was habt Ihr denn eigentlich für eine Ansicht von mir?« fragte er dann plötzlich. »Was denkt Ihr von meinem Charakter, von – von – na, von dem moralischen Old Death?«

»Ihr seid ein Ehrenmann; darum liebe und achte ich Euch.«

»Hm! Habt Ihr einmal ein Verbrechen begangen?«

»Hm!« brummte nun auch ich. »Die Eltern und Lehrer geärgert. Dem Nachbar durch den Zaun in den Obstgarten gekrochen. Andere Buben, welche nicht meiner Meinung waren, weidlich durchgewalkt, und so weiter!«

»Schwatzt nicht dummes Zeug! Ich spreche von wirklichen Verbrechen, criminell strafbar.«

»Auf so etwas kann ich mich freilich nicht besinnen.«

»Dann seid Ihr ein außerordentlich glücklicher Mensch, Sir. Ich beneide Euch, es ist eine Strafe, ein böses Gewissen zu haben! Kein Galgen und kein Zuchthaus reicht da hinan!«

Er sagte das in einem Tone, welcher mich tief erschütterte. Ja, dieser Mann schleppte das Andenken eines schweren Verbrechens mit sich herum, sonst hätte er nicht in diesem entsetzlichen Tone sprechen können. Ich sagte nichts. Es verging eine Weile, bis er fortfuhr:

»Master, vergeßt das nicht: Es gibt eine göttliche Gerechtigkeit, gegen welche die weltliche das reine Kinderspiel ist. Das ewige Gericht sitzt im Gewissen und donnert einem bei Tage und bei Nacht den Urtheilsspruch zu. Es muß heraus; ich muß es Euch sagen. Und warum grad Euch? Weil ich trotz Eurer Jugend und trotzdem Ihr ein ausgemachtes Greenhorn seid, ein großes Vertrauen zu Euch habe. Und weil es mir in meinem Innern ganz so ist, als ob morgen etwas passiren werde, was den alten Scout verhindern wird, seine Sünden zu bekennen.«

»Seid Ihr des Kukuks, Sir? Ihr habt doch nicht etwa gar eine Todesahnung?«

»Ja, die habe ich,« nickte er. »Ihr habt gehört, was der Gambusino vorhin von dem Kaufmanne Harton erzählte. Was haltet Ihr von dem Bruder dieses Mannes?«

Jetzt ahnte ich das Richtige; darum antwortete ich in mildem Tone:

»Er war jedenfalls leichtsinnig.«

»Pshaw! Damit wollt Ihr wohl ein mildes Urtheil sprechen? Ich sage Euch, der Leichtsinnige ist viel gefährlicher, als der wirklich boshaft Schlechte. Der Schlechte kennzeichnet sich bereits von weitem; der Leichtsinnige ist aber meist ein liebenswürdiger Kerl; darum ist er gemeingefährlicher als der erstere. Tausend Schlechte können gebessert werden, denn die Schlechtigkeit hat Charakter, bei welchem die Zucht anzufassen vermag. Unter tausend Leichtsinnigen aber kann kaum einer gebessert werden, denn der Leichtsinn hat keinen Halt, keine feste Handhabe, an welcher er zu fassen und auf bessere Wege zu bringen ist. Eigentlich schlecht bin ich nie gewesen, aber leichtsinnig, bodenlos leichtsinnig, denn jener Henry Harton, der seinen Bruder um Alles, Alles brachte, der war ich, ich, ich!«

»Aber, Sir, Ihr habt mir einen andern Namen genannt!«

»Ganz natürlich! Ich nenne mich anders, weil ich den Namen, den ich trug, entehrt habe. Kein Verbrecher spricht gern von dem, an dem er sich versündigt hat. Könnt Ihr Euch besinnen, was ich Euch noch in New-Orleans sagte, nämlich, daß meine brave Mutter mich auf den Weg zum Glück gesetzt, ich aber dasselbe auf einem ganz andern Weg gesucht habe?«

»Ich erinnere mich.«

»So will ich nicht viele Worte machen. Meine sterbende Mutter zeigte mir den Weg der Tugend, ich aber wandelte denjenigen des Leichtsinnes. Ich wollte reich werden, wollte Millionen besitzen. Ich spekulirte ohne Verstand und verlor mein väterliches Erbtheil und meine kaufmännische Ehre. Da ging ich in die Diggins. Ich war glücklich und fand Gold in Menge. Ich verschleuderte es ebenso schnell, wie ich es erworben hatte, denn ich wurde leidenschaftlicher Spieler. Ich plagte mich monatelang in den Diggins ab, um das Gewonnene auf eine einzige Nummer zu setzen und in fünf Minuten zu verspielen. Das genügte mir nicht. Die Placers ergaben keine solche Summen, wie ich haben wollte. Hunderttausend Dollars wollte ich verrückter Kerl setzen, um die Bank und dann alle übrigen Banken zu sprengen. Ich ging nach Mexico und wurde Gambusino und hatte geradezu empörendes Glück, aber ich verspielte Alles. Dieses Leben richtete mich körperlich zu Grunde. Dazu kam, daß ich Opiumraucher geworden war. Ich war vordem ein starker, muskulöser Kerl, ein Riese. Ich kam herab bis auf den Lumpen. Ich konnte nicht mehr weiter. Kein Mensch wollte mich mehr ansehen, aber alle Hunde bellten mich an. Da begegnete ich meinem Bruder, welcher ein Geschäft in Frisco hatte. Er erkannte mich trotz meiner gegenwärtigen Erbärmlichkeit und nahm mich mit in sein Haus. Hätte er es doch nicht getan! Hätte er mich verderben lassen! Alles Unglück wäre ihm und mir aller Gewissensjammer erspart geblieben!«

Er schwieg eine Weile. Ich sah, wie seine Brust arbeitete, und fühlte herzliches Mitleid mit ihm.

»Ich war gezwungen, gut zu thun,« fuhr er dann fort. »Mein Bruder glaubte, ich sei vollständig gebessert, und gab mir eine Anstellung in seinem Geschäfte. Aber der Spielteufel schlummerte bloß, und als er erwachte, nahm er mich fester in seine Krallen als zuvor. Ich griff die Kasse an, um das Glück zu zwingen. Ich gab falsche Wechsel aus, um das Geld dem Moloch des Spieles zu opfern. Ich verlor, verlor und verlor, bis keine Rettung mehr möglich war. Da verschwand ich. Der Bruder bezahlte die gefälschten Wechsel und wurde dadurch zum Bettler. Auch er verschwand mit seinem kleinen Knaben, nachdem er sein Weib begraben hatte, welche aus Schreck und Herzeleid gestorben war. Das erfuhr ich freilich erst nach Jahren, als ich mich einmal wieder nach Frisco wagte. Der Eindruck dieser Kunde warf mich auf bessere Wege. Ich hatte wieder als Gambusino gearbeitet und war glücklich gewesen. Ich kam, um Schadenersatz zu leisten, und nun war der Bruder verschwunden. Von da an habe ich ihn gesucht allüberall, ihn aber nicht gefunden. Dieses ruhelose Wanderleben bildete mich aus zum Scout. Ich bin auch Vielen in moralischer Beziehung ein Scout geworden. Das Spiel habe ich gelassen, aber das Opium nicht. Ich bin nicht mehr Raucher, sondern Opiumesser. Ich mische das Gift in den Kautabak und genieße es jetzt nur noch in verschwindend kleinen Gaben. So, da habt Ihr mein Bekenntniß. Nun speit mich an, und tretet mich mit den Füßen; ich habe nichts dagegen, denn ich habe es verdient!«

Er ließ meinen Arm los, setzte sich in das Gras nieder, stemmte die Ellbogen auf die Kniee und legte das Gesicht in die Hände. So saß er lange, lange Zeit, ohne einen Laut hören zu lassen. Ich stand dabei mit Gefühlen, welche sich gar nicht beschreiben lassen. Endlich sprang er wieder auf, stierte mich mit geisterhaftem Blicke an und fragte:

»Ihr steht noch hier? Graut es Euch denn nicht vor diesem elenden Menschen?«

»Grauen? Nein. Ihr thut mir herzlich leid, Sir! Ihr habt viel gesündigt, aber auch viel gelitten, und Eure Reue ist ernst. Wie könnte ich, wenn auch nur im Stillen, mir ein Urtheil anmaßen. Ich bin ja selbst auch Sünder und weiß nicht, welche Prüfungen mir das Leben bringt.«

»Viel gelitten! Ja, da habt Ihr Recht, sehr, sehr Recht! O Du lieber Herr und Gott, was sind die Töne aller Posaunen der Welt gegen die nie ruhende Stimme im Innern eines Menschen, welcher sich einer schweren Schuld bewußt ist. Ich muß büßen und gut machen, so viel ich kann. Morgen soll ich endlich den Bruder sehen. Mir ist, als ob mir eine neue Sonne aufgehe, keine irdische. Aber das Alles geht Euch nichts an. Es ist etwas Anderes, was ich Euch sagen und um was ich Euch bitten muß. Wollt Ihr mir diesen Wunsch erfüllen?«

»Von Herzen gern!«

»So hört, was ich Euch sage! Es gibt einen sehr triftigen Grund, daß ich selbst dann, wenn ich für einige Zeit einmal kein Pferd besitze, meinen Sattel mit mir schleppe. Wenn man das Futter desselben aufschneidet, so gelangt man zu Gegenständen, welche ich für meinen Bruder, aber auch nur für ihn allein bestimmt habe. Wollt Ihr Euch das merken, Sir?«

»Eure Bitte ist eine höchst bescheidene.«

»Nicht so sehr. Aber vielleicht erfahrt Ihr noch, welch ein Vertrauen ich in Euch setze, indem ich Euch bitte, das nicht zu vergessen. Und nun geht, Sir! Laßt mich allein! Es ist mir ganz so, als ob ich noch während dieser Nacht mein Schuldbuch durchlesen müsse. Morgen ist vielleicht keine Zeit mehr dazu. Es gibt Ahnungen, Ahnungen, denen man es sofort anmerkt, daß sie die Verkünderinnen der Wahrheit sind. Ich bitte Euch, geht! Schlaft in Gottes Namen; Ihr habt kein böses Gewissen. Gute Nacht, Sir!«

Ich kehrte langsam zum Lager zurück und legte mich dort nieder. Wohl erst nach Stunden schlief ich ein, kurz vor dem Morgengrauen, und noch war der Alte nicht da. Als geweckt wurde, saß er bereits auf seinem Pferde, als ob er große Eile habe, seine Todesahnung in Erfüllung gehen zu lassen. Der Gambusino erklärte, daß er sich, außer einigen Schmerzen auf dem Rücken, ganz frisch und gesund fühle. Er erhielt eine Pferdedecke wie einen Frauenrock umgeschnallt und darüber eine zweite Decke als Mantel. Ein Apache nahm ihn zu sich auf das Pferd; dann brachen wir auf.

Wir kamen von neuem durch Cannons, in deren Tiefen wir fast bis zur Mittagszeit ritten. Sodann aber hatten wir dieses schwierige Terrain wenigstens für heute hinter uns. Es gab grasige Ebenen, über welche wir stundenlang ritten und aus denen einzelne Berge aufstiegen. Bis dahin hatten wir stets die Fährte der Tschimarra von den Pferdehufen.

Nun aber ließ uns der Gambusino halten und sagte in befriedigtem Tone:

»Hier müssen wir die Spur verlassen. Harton hat meinen Rath befolgt und einen Umweg eingeschlagen. Wir aber biegen nach rechts ab, wohin der gerade Weg führt.«

»Well! Folgen wir also nun Eurer Richtung.«

Im Nordwesten, wohin wir jetzt ritten, lagerten bläuliche Massen am Horizonte. Der Gambusino erklärte, daß es Berge seien. Aber dieselben waren so weit entfernt, daß wir erst nach Stunden merkten, daß wir ihnen näher kamen. Kurz nach Mittag wurde eine kleine Rast gehalten; dann ging es mit erneuter Schnelligkeit weiter. Endlich sahen wir den ersten, freilich ziemlich dürren Strauch. Bald fanden wir mehrere, und dann ging es über grüne Prairien, in denen hier und da Inseln von Gebüsch zu umreiten waren. Wir lebten von Neuem auf. Wirklich bewundernswerth aber hielten sich unsere Pferde. Das waren freilich noch ganz andere Thiere als diejenigen, welche uns Sennor Atanasio gegeben hatte. Sie trabten so frisch dahin, als ob sie soeben erst vom Lagerplatze kämen.

Die Berge waren uns mittlerweile näher getreten. Es war aber auch Zeit dazu, denn die Sonne neigte sich bereits zu ihren Spitzen nieder. Da sahen wir den ersten Baum. Er stand mitten auf der Prairie, mit von den Stürmen zerfetzten Aesten. Aber wir begrüßten ihn als Vorboten des willkommenen Waldes. Bald rechts, bald links, bald grad vor uns erblickten wir andere, welche hier näher zusammen, dort weiter aus einander traten und endlich einen lichten Hain bildeten, dessen Boden lehnenartig emporstieg und uns auf eine Höhe brachte, jenseits welcher das Terrain steil in ein nicht zu tiefes Thal abfiel. Da hinunter mußten wir, um es zu durchkreuzen. Dort aber stieg der Boden langsam zu einer beträchtlichen Höhe an. Sie war nackt und kahl, trug aber eine grüne Waldkrone auf ihrem Rücken. Längs dieses lang gedehnten Rückens ging es nun unter Bäumen hin und dann in eine steile Tiefe hinab. Dann kamen wir durch eine Schlucht hinauf auf eine kleine, baumfreie und grasbewachsene Hochebene. Kaum hatten die Hufe unserer Pferde sie betreten, so sahen wir einen Strich, welcher sich quer über unsere Richtung durch das Gras zog.

»Eine Fährte!« rief der Gambusino. »Wer mag hier geritten sein?«

Er stieg vom vierten oder fünften Pferde, auf welchem er heute gesessen hatte, ab, um die Fährte zu untersuchen.

»Kann es sehen, ohne abzusteigen,« zürnte Old Death. »So eine Fährte kann nur eine Truppe machen, welche über vierzig Reiter zählt. Wir kommen also zu spät.«

»Meint Ihr wirklich, daß es die Tschimarra gewesen sind?«

»Ja, das meine ich sogar sehr, Sennor!«

Der »alte Jüngling« stieg ab. Er schritt die Spur einer Strecke weit ab und berichtete sodann:

»Zehn Bleichgesichter und viermal so viel Rothe. Seit sie hier vorüberkamen, ist die Zeit einer Stunde vergangen.«

»Nun, was sagt Ihr dazu, Sennor Gambusino?« fragte Old Death.

»Wenn es auch wirklich so ist, so können wir ihnen doch noch zuvorkommen,« antwortete der Gefragte. »Auf jeden Fall recognosciren sie doch vor dem Angriff. Und das erfordert Zeit.«

»Sie werden Harton zwingen, ihnen Alles zu beschreiben, so daß sie nicht mit langem Suchen ihre Zeit zu verschwenden haben.«

»Aber Indianer greifen ja stets erst vor Tagesgrauen an.«

»Bleibt mir mit Eurem Tagesgrauen vom Leibe! Ich sagte Euch ja, daß Weiße bei ihnen sind! Die werden sich den Teufel um die Angewohnheiten der Rothen kümmern. Ich möchte wetten, daß sie sogar am hellen Tage in die Bonanza gehen. Macht also, daß wir vorwärts kommen!«

Jetzt wurden die Sporen eingesetzt, und wir flogen über die Ebene dahin, in ganz anderer Richtung, als die Tschimarra geritten waren. Harton hatte sie nicht nach dem Eingange der Bonanza geführt, sondern war beflissen gewesen, sie nach der hintersten Kante des Thales zu bringen. Den Eingang suchten nun hingegen wir so schnell wie möglich zu erreichen. Leider aber stellte sich jetzt die Dunkelheit mit großer Schnelligkeit ein. Auf der Ebene ging es noch. Aber wir kamen wieder in Wald, ritten unter den Bäumen auf, wie sich ganz von selbst versteht, völlig ungebahntem Boden, bald aufwärts, bald wieder niederwärts und mußten uns endlich ganz und gar auf den jetzt voranschreitenden Gambusino und die Augen unserer Pferde verlassen. Aber die Aeste und Zweige waren uns im Wege. Sie schlugen uns in die Gesichter und konnten uns leicht von den Pferden schnellen. Darum stiegen auch wir ab und gingen zu Fuße, die Pferde hinter uns her führend, den gespannten Revolver in der freien Hand, da wir gewärtig sein mußten, jeden Augenblick auf die Feinde zu stoßen. Endlich hörten wir Wasser rauschen.

»Wir sind am Eingange,« flüsterte der Gambusino. »Nehmt Euch in Acht! Rechts ist das Wasser. Geht einzeln und haltet Euch links an den Felsen!«

»Schön!« antwortete Old Death. »Steht denn kein Nachtposten hier?«

»Jetzt noch nicht. Es ist nicht Schlafenszeit.«

»Schöne Wirthschaft das! Und noch dazu in einer Bonanza! Wie ist nun der Weg? Es ist stockfinster.«

»Immer grad aus. Der Boden ist eben. Es gibt kein Hinderniß mehr, bis wir an das Zelt gelangen.«

Wir sahen in der Dunkelheit nur so viel, daß wir einen freien Thalboden vor uns hatten. Links stiegen finstere Massen hoch empor. Das war die Bergeswand. Rechts rauschte das Wasser. Bis zu der dortigen Seite des Berges konnten wir nicht sehen. So schritten wir weiter, die Pferde noch immer an den Zügeln führend. Ich schritt mit Old Death und dem Gambusino voran. Da war es mir, als ob ich eine Gestalt wie einen Hund zwischen uns und den Felsen dahinhuschen sähe, nur für einen Augenblick. Ich machte die Anderen darauf aufmerksam. Sie blieben stehen und lauschten. Nichts war zu hören.

»Die Finsterniß täuscht,« sagte der Gambusino. »Uebrigens ist hinter uns die Stelle, an welcher sich der verborgene Aufstieg befindet.«

»So kann die Gestalt von dorther gekommen sein,« sagte ich.

»Wenn das der Fall ist, so hätten wir nicht zu sorgen; es wäre ein Freund gewesen. Ein Bewohner des Thales hat aber jetzt hier nichts zu suchen. Ihr habt Euch geirrt, Sennor.«

Damit war die Sache abgemacht, welche für uns so verhängnißvoll werden sollte, wenigstens für einen von uns. Nach kurzer Zeit sahen wir einen unbestimmten Lichtschimmer, den Schein der Lampen, welcher durch die Zeltdecke drang. Stimmen ertönten. Wir drei waren voran.

»Erwartet die Andern,« sagte Old Death zu dem Gambusino. »Sie mögen vor dem Zelte halten bleiben, bis wir Sennor Uhlmann benachrichtigt haben.«

Der Hufschlag unserer Pferde mußte im Innern des Zeltes gehört werden, dennoch wurde die Thüre nicht zurückgeschlagen.

»Kommt mit herein, Sir!« meinte der Alte zu mir. »Wollen sehen, welche Freude und Ueberraschung wir anrichten.«

Man sah von außen, an welcher Stelle sich die Thüre, der Vorhang befand. Old Death trat ein, mir voran.

»Da sind sie schon!« rief eine Stimme. »Laßt ihn nicht herein!«

Noch während dieser Worte fiel ein Schuß. Ich sah, wie der Scout sich mit beiden Händen an den Guami des Vorhanges krampfte, ich sah zugleich mehrere Gewehre nach der Thüre gerichtet. Der Alte konnte sich nicht aufrecht erhalten; er glitt zu Boden.

»Meine Ahnung – – – mein Bruder – – – Vergebung – – –  im Sattel – – –!« stöhnte er.

»Sennor Uhlmann, um Gotteswillen, schießt nicht!« schrie ich auf. »Wir sind Freunde, Deutsche! Euer Schwiegervater und Schwager sind mit uns. Wir kommen, Euch vor dem beabsichtigten Ueberfalle zu schützen.«

»Herrgott! Deutsche« antwortete es innen. »Ist es wahr?«

»Ja, schießt nicht. Laßt mich ein, nur mich ganz allein!«

»So kommt! Aber kein Anderer mit.«

Ich trat hinein. Da standen wohl an die zwanzig Männer, alle mit Flinten bewaffnet. Drei von der Zeltdecke hängende Lampen brannten. Ein junger Mann trat mir entgegen. Neben ihm stand ein ganz herabgekommen aussehender Mensch.

»War der dabei, Harton?« fragte der erstere den zweiten.

»Nein, Sennor!«

»Unsinn!« rief ich. »Haltet kein Examen. Wir sind Freunde, aber die Feinde sind hinter uns. Sie können jeden Augenblick kommen. Ihr nennt diesen Mann Harton. Ist er derjenige, welchen die Tschimarra schon seit längerer Zeit mit sich schleppten?«

»Ja, er ist ihnen entkommen. Er trat vor kaum zwei Minuten hier bei uns ein.«

»So seid Ihr an uns vorüber geschlichen, Master Harton. Ich sah Euch. Die Andern glaubten mir nicht. Wer hat geschossen?«

»Ich,« antwortete einer der Männer.

»Gott sei Dank!« athmete ich auf, denn ich hatte bereits gedacht, daß der eine Bruder den andern erschossen habe. »Ihr habt einen Unschuldigen getödtet, einen Mann, welchem Ihr Eure Rettung dankt!«

Da traten die beiden Lange’s herein, mit ihnen der Gambusino, die sich draußen nicht halten ließen. Es gab eine wirre, überlaute Freudenscene. Aus den umliegenden Hütten kamen die übrigen Bewohner des Thales herbei. Ich mußte ein Machtwort sprechen, um Ruhe hervorzubringen. Old Death war todt, grad durch das Herz geschossen. Der Neger Sam brachte seine Leiche herein und legte sie unter lautem Klagen mitten unter uns nieder. Zwei Frauen waren aus einer Abtheilung des Zeltes gekommen. Die eine trug ein Knäbchen. Sie war die Wärterin. Die andere lag in den Armen ihres Vaters und Bruders.

Unter diesen Umständen durfte ich mich nur auf mich selbst verlassen. Ich fragte Harton, wie es ihm gelungen sei, zu entkommen. Während die Andern unter sich herum fuhren und sprachen, erklärte er mir:

»Ich führte sie irre und brachte sie hinauf in den Wald hinter dem Thale. Dort lagerten sie, während der Häuptling recognosciren ging, und als es dunkel geworden war, brachen sie auf. Sie ließen ihre Pferde mit einigen Wachen zurück. Bei den letzteren lag ich mit gebundenen Händen und Füßen. Es gelang mir, die Hände frei zu bekommen und dann die Füße auch. Dann huschte ich fort, schnell zur geheimen Treppe und in’s Thal hinab. Da kam ich an Euch vorüber und hielt Euch für die Feinde, eilte hierher, fand die meisten der Arbeiter hier versammelt und meldete ihnen den Ueberfall. Der erste, welcher eintreten wollte, wurde erschossen.«

»Wäret Ihr geblieben, wo der Pfeffer wächst! Ihr habt großes Unheil angerichtet. Nach dem, was Ihr sagt, können die Kerle jeden Augenblick hier sein. Man muß Ordnung schaffen.«

Ich wendete mich natürlich an Uhlmann selbst, den Mann, welcher bei meinem Eintritte neben Harton gestanden hatte. In fliegender Eile unterrichtete ich ihn über die Sachlage, und mit seiner Hilfe waren in weniger als zwei Minuten die Vorbereitungen getroffen. Unsere Pferde wurden weiter hinter in’s Thal geschafft. Die Apachen postirten sich hinter das Zelt, zu ihnen die Arbeiter Uhlmann’s. Old Death’s Leiche kam wieder hinaus. Ein Fäßchen Petroleum und eine Flasche Benzin wurden hinaus an den Bach geschafft. Den Deckel des Fasses entfernte man, und ein Mann stand dabei, welcher den Befehl erhielt, auf einen bestimmten Zuruf das Benzin in das Petroleum zu gießen und anzubrennen. Sobald die Masse brenne, sollte er das Faß in den Bach stoßen. Das brennende Oel mußte mit dem Wasser fortgeführt werden und ganze Thal erleuchten.

So standen jetzt mehr als fünfzig Mann bereit, die Feinde zu erwarten, denen wir an Zahl gleich, an Waffen aber weit überlegen waren. Einige schlaue und erfahrene Arbeiter waren gegen den Eingang beordert worden, um die Ankunft der Feinde zu melden.

An der Hinterwand des Zeltes wurden die untern Ringe gelockert, um dort aus- und eingehen zu können.

Die Frauen waren mit dem Kinde natürlich nach dem Hintergrunde des Thales in Sicherheit gebracht worden. Ich saß mit Uhlmann und den beiden Lange’s allein im Zelte. Sam war bei den Apachen geblieben. Seit wir warteten, mochten wohl zehn Minuten vergangen sein. Da kam einer der Leute, welche wir nach vorn gesandt hatten. Er meldete uns, daß er zwei Weiße bringe, welche Sennor Uhlmann ihre Aufwartung machen wollten. Hinter diesen Weißen aber habe sich eine Bewegung bemerkbar gemacht, aus welcher zu schließen sei, daß auch die Andern im Anzuge sich befänden. Sie erhielten den Bescheid, einzutreten. Ich aber versteckte mich mit den beiden Lange’s in der Nebenabtheilung des Zeltes.

Ich sah – – Gibson mit William Ohlert eintreten. Sie wurden höflich bewillkommnet und zum Sitzen eingeladen, was sie auch thaten. Gibson nannte sich Gavilano und gab sich für einen Geographen aus, welcher mit seinem Collegen diese Berge besuchen wolle. Er habe sein Lager in der Nähe aufgeschlagen und da sei ein gewisser Harton, ein Gambusino, zu ihm gekommen. Von diesem habe er erfahren, daß sich hier eine ordentliche Wohnung befinde. Sein College sei krank, und so habe er sich von Harton herführen lassen, um Sennor Uhlmann zu bitten, den Collegen für diese Nacht bei sich aufzunehmen.

Ob dies klug oder albern ausgedacht sei, das zu beurtheilen, nahm ich mir nicht die Zeit. Ich trat aus meinem Verstecke hervor. Bei meinem Anblicke fuhr Gibson empor. Er starrte mich mit dem Ausdrucke des größten Entsetzens an.

»Sind die Tschimarra auch krank, welche hinter Euch kommen, Master Gibson?« fragte ich ihn. »William Ohlert wird nicht nur hier bleiben, sondern mit mir gehen. Und Euch nehme ich auch mit.«

Ohlert saß wie gewöhnlich ganz theilnahmslos da. Gibson aber faßte sich schnell.

»Schurke!« schrie er mich an. »Verfolgst Du ehrliche Leute auch hierher! Ich will – – –«

»Schweig’, Mensch!« unterbrach ich ihn. »Du bist mein Gefangener!«

»Noch nicht!« entgegnete er wüthend. »Nimm zunächst das!«

Er hatte sein Gewehr in der Hand und holte zum Kolbenhiebe aus. Ich fiel ihm in den Arm. Er erhielt dadurch eine halbe Wendung; der Kolben sauste nieder und traf den Kopf Ohlert’s, welch letzterer sofort zusammenbrach. Im nächsten Augenblicke drängten sich einige Arbeiter von hinten in das Zelt herein. Sie richteten ihre Gewehre auf Gibson, den ich noch gefaßt hielt.

»Nicht schießen!« rief ich, da ich ihn ja lebendig haben wollte. Aber es war zu spät. Ein Krach und er stürzte aus meinen Armen, durch den Kopf geschossen, todt zu Boden.

»Nichts für ungut, Herr! So ist es hier zu Lande Sitte!« sagte derjenige, welcher geschossen hatte.

Als ob der Schuß ein Signal gewesen sei, was vielleicht auch zwischen Gibson und seinen Complicen verabredet worden war, erhob sich unweit der Hütte ein indianisches Kriegsgeheul. So weit waren die Tschimarra mit den verbündeten Weißen bereits vorgedrungen.

Uhlmann stürzte hinaus; die Andern hinter ihm her. Ich hörte seine Stimme erschallen. Schüsse fielen, Menschen schrieen und fluchten. ich war mit Ohlert allein im Zelte. Ich kniete bei ihm, um zu sehen, ob er todt sei. Sein Puls ging noch. Das beruhigte mich. Nun konnte ich am Kampfe Theil nehmen.

Als ich hinauskam, bemerkte ich, daß dies gar nicht nöthig war. Das Thal war von dem im Bache brennenden Petroleum fast tageshell erleuchtet. Die Feinde waren ganz anders empfangen worden, als sie gedacht hatten. Die meisten von ihnen lagen am Boden; die Andern flohen, verfolgt von den Siegern, dem Ausgange zu. Hier oder da rang ein einzelner der Angreifer gegen zwei oder drei von Uhlmann’s Leuten, aber freilich ohne Hoffnung auf Erfolg.

Dieser letztere stand neben dem Zelte und schickte eine Kugel nach der andern dahin, wo er ein Ziel sah. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß es rathsam sei, einen Trupp seiner Leute mit Harton als Führer mittels des geheimen Aufstieges zu den Pferden der Feinde zu senden, um sich derselben zu bemächtigen. Dort konnte man auch diejenigen empfangen, denen es gelingen sollte, durch den Ausgang aus dem Thale zu entkommen. Er pflichtete diesem Rathe bei und befolgte denselben auf der Stelle.

Kaum drei Minuten waren seit dem ersten Schusse vergangen und schon war der Platz gesäubert.

Gern gehe ich über das nun Folgende hinweg. Bilder, bei deren Anblick sich das Menschenherz empört, soll man weder mit dem Pinsel, noch mit der Feder malen. Das wahre Christenthum untersagt es selbst dem Sieger, sich an seinem Triumphe zu ergötzen,

Dem abgesandten Trupp war es leicht gelungen, sich der Pferde zu bemächtigen. Diese Leute blieben während der Nacht bei denselben. Nur Harton kehrte zurück. Er hatte keine Ahnung, wer unsererseits der einzige Todte des heutigen Abends war, der noch dazu in Folge eines Mißverständnisses von der Kugel eines Freundes getödtet worden war. Ich ging mit ihm hinaus in das Thal, wo einige indessen angezündete Feuer brannten, schritt mit ihm nach einer dunkeln Stelle, wo wir uns niedersetzten, und theilte ihm mit, was er erfahren mußte.

Er weinte wie ein Kind, laut und herzbrechend. Er hatte seinen Bruder stets geliebt, hatte ihm Alles längst vergeben und war nur in der Hoffnung Gambusino geworden, ihn in der Ausübung dieses Berufes da oder dort einmal zu treffen. Ich mußte ihm Alles erzählen, von meinem ersten Zusammentreffen mit dem Scout bis zu dem letzten Augenblicke, an welchem den Reuigen die irrende Kugel traf. Jedes Wort wollte er wissen, was zwischen ihm und mir gewechselt worden war, und als wir dann nach mehr als einer Stunde zum Zelte gingen, um den Todten zu sehen, bat er mich, ihn so in mein Herz zu schließen, wie ich es mit seinem armen Bruder gethan hatte.

Am Morgen wurde Old Death’s Sattel herbeigeholt. Unter vier Augen schnitten wir das Futter los. Wir fanden eine Brieftasche. Sie war dünn, aber trotzdem sehr reichen Inhaltes. Der Todte hinterließ seinem Bruder Bankanweisungen zu sehr bedeutender Höhe und, was die Hauptsache war, die genaue Beschreibung und den minutiös gezeichneten Situationsplan einer Stelle in der Sonora, an welcher Old Death eine vielverheißende Bonanza entdeckt hatte. Von diesem Augenblicke an war Fred Harton ein steinreicher Mann.

Welche Pläne Gibson eigentlich mit William Ohlert verfolgt hatte, das war nun nicht zu erfahren. Selbst seine Schwester Felisa Perillo, zu welcher sein Weg doch wahrscheinlich hatte führen sollen, wäre nicht im Stande gewesen, einen Aufschluß zu ertheilen. Ich fand bei ihm all die in Banknoten erhobenen Summen, natürlich abzüglich dessen, was er für die Reise ausgegeben hatte.

Ohlert lebte zwar, aber er wollte nicht aus seiner Betäubung erwachen. Es stand zu erwarten, daß ich aus diesem Grunde hier einen längeren Aufenthalt zu nehmen gezwungen sein werde. Das war mir eigentlich gar nicht unlieb. Ich konnte mich von den Strapazen erholen und das Leben und Treiben einer Bonanza gründlich kennen lernen, bis der Zustand Ohlert’s es erlaubte, ihn nach Chihuahua in die Pflege eines tüchtigen Arztes zu geben.

Old Death wurde begraben. Wir errichteten ihm ein Grabmal mit einem Kreuze aus silberhaltigem Erze. Sein Bruder trat aus dem Dienste Uhlmann’s, um sich zunächst nach den Anstrengungen seines Gambusinolebens in Chihuahua einige Zeit zu pflegen.

Groß war das Glück, welches Uhlmann und dessen Frau über die Ankunft ihrer beiden Verwandten empfanden. Sie waren liebe, gastfreundliche Leute, denen dieses Glück zu gönnen war. Als Fred Harton sich von ihnen und mir verabschiedete, bat er mich, ihn zur Aufsuchung der Bonanza in die Sonora zu begleiten. Ich konnte keine entscheidende Antwort geben. Es versteht sich ganz von selbst, daß die Apachen reich beschenkt entlassen worden waren. Sie hatten außerdem an unsern vielen Grüßen an Winnetou schwer zu tragen.

Der Neger Sam reiste mit Harton ab. Er hat seinen Auftrag jedenfalls glücklich ausgeführt. Ob er zu Sennor Cortesio zurückgekehrt ist, weiß ich nicht.

Und zwei Monate später saß ich bei dem guten Religioso Benito von der Congregation El buono Pastor in Chihuahua. Ihm, dem berühmtesten Arzte der nördlichen Provinzen, hatte ich meinen Patienten gebracht, und es war ihm gelungen, denselben vollständig herzustellen. Ich sage vollständig, denn wunderbarer Weise hatte sich mit der leiblichen Heilung auch das geistige Normalbefinden eingestellt. Es war, als sei mit dem Kolbenhiebe die unglückselige Monomanie, ein wahnsinniger Dichter zu sein, erschlagen worden. Er war munter und wohlauf, sogar zuweilen lustig, und sehnte sich nach seinem Vater. Ich hatte ihm noch nicht gesagt, daß ich denselben erwarte. Es war natürlich ein Bericht von mir abgegangen, und darauf hatte ich die Nachricht erhalten, daß er selbst kommen werde, um seinen Sohn abzuholen. Nebenbei hatte ich ihn gebeten, mir bei Master Josy Tailor meine Entlassung zu erwirken. Es war mir doch die Lust gekommen und von Tag zu Tag gewachsen, mit Harton in die Sonora zu gehen.

Dieser letztere kam täglich, um uns beide und den lieben Pater zu besuchen. Er hatte eine wahrhaft rührende Freundschaft zu mir gefaßt und freute sich ganz besonders auch über die Gesundung unseres Patienten.

In Beziehung hierauf mußte man allerdings gestehen, daß ein wahres Wunder geschehen sei. Ohlert wollte das Wort »Dichter« nicht mehr hören. Er konnte sich an jede Stunde seines Lebens erinnern; die Zeit aber von seiner Flucht mit Gibson bis zu seinem endlichen Erwachen in der Bonanza bildete ein vollständig leeres Blatt in seiner Erinnerung.

Also heute saßen wir auch zusammen, der Pater, Ohlert, Harton und ich. Wir erzählten von unsern Erlebnissen und Hoffnungen. Da klopfte der Famulus an, öffnete und schob einen Herrn herein, bei dessen Anblick William einen Freudenschrei ausstieß. Welchen Schmerz und welche Sorgen er dem Vater bereitet hatte, wußte er eigentlich nur durch mich. Er warf sich weinend in seine Arme. Wir Andern aber gingen still hinaus.

Später gab es Zeit, uns auszusprechen und Alles zu erzählen. Vater und Sohn saßen Hand in Hand dabei. Der erstere brachte mir die erbetene Entlassung, und augenblicklich erhielt Fred Harton mein Wort, daß ich ihn begleiten werde. Lieber freilich wäre es uns gewesen, wenn noch ein Dritter an diesem Ritte hätte Theil nehmen können. Und mit diesem Dritten meine ich natürlich keinen Andern als »den Scout«.


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