Karl May
Der Scout
Karl May

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Darauf erhob sich der Vorsitzende zum zweiten Male. Zunächst bemerkte er, daß er es in voller Absicht unterlassen habe, nach den Namen und »sonstigen Angewohnheiten« der Angeschuldigten zu fragen, da er vollständig überzeugt sei, daß sie ihn doch belogen hätten. Im Falle des Aufknüpfens schlage er also vor, der Kürze wegen einen einzigen und summarischen Todtenschein auszustellen, welcher ungefähr lauten werde: »Neunzehn Kukluxer aufgehängt, weil sie selbst daran schuld waren.« Er gebe ferner zu, daß man es nur mit Versuchen zu thun habe, und wolle darnach die Schuldfrage stellen. Aber nur den beiden fremden Gentlemen haben wir es zu verdanken, daß aus dem Versuche nicht die That geworden sei. Der Versuch sei gefährlich, und diese Gefahr müsse bestraft werden. Er habe weder Lust noch Zeit, sich stundenlang zwischen dem Staatsanwalte und dem Vertheidiger hin und her zu bewegen; auch könne es ihm nicht einfallen, sich übermäßig lange mit einer Bande zu beschäftigen, welche, neunzehn Mann stark und sehr gut bewaffnet, sich von zwei Männern habe gefangen nehmen lassen; solche Helden seien nicht einmal der Aufmerksamkeit eines Kanarienvogels oder Sperlings werth. Er habe sich schon sagen lassen müssen, daß er wohl gar ein Freund der Kukluxer sei; das könne er nicht auf sich sitzen lassen, sondern er werde dafür sorgen, daß diese Leute wenigstens beschämt abziehen und das Wiederkommen für immer vergessen müßten. Er stelle also hiermit an die Herren Geschworenen die Frage, ob die Angeklagten des Versuches des Mordes, des Raubes, der Körperverletzung und der Brandstiftung schuldig seien, und bitte, die Antwort ja nicht bis zum letzten Dezember des nächsten Jahres hinauszuschieben, denn es seien da vor der Jury eine ganze Menge sehr hochachtbarer Zuhörer versammelt, denen man die Entscheidung nicht lange vorenthalten dürfe.

Seine sarkastische Ausführung wurde mit lautem Beifall belohnt. Die Herren Geschworenen traten in eine Ecke zusammen, besprachen sich nicht zwei Minuten lang, und dann theilte ihr Obmann dem Vorsitzenden das Resultat mit, welches letzterer verkündigte. Es lautete auf schuldig. Nun begann eine leise Berathung des Sheriffs mit seinen Beisitzern. Auffällig war es, daß der erstere während dieser Berathung den Befehl erteilte, den Gefangenen Alles abzunehmen, was sie in ihren Taschen mit sich führten, besonders aber nach Geld zu suchen. Als dieser Befehl ausgeführt worden war, wurde das vorhandene Geld gezählt. Der Sheriff nickte befriedigt vor sich hin und erhob sich dann, um das Urtheil zu verkündigen.

»Mesch’schurs,« sagte er ungefähr. »die Angeklagten sind als schuldig erkannt. Ich glaube, es entspricht Eurem Wunsche, wenn ich Euch, ohne dabei viele Worte zu machen, sage, worin die Strafe besteht, zu deren Verhängung und sehr energischen Durchführung wir uns geeinigt haben. Die in Rede stehenden Verbrechen sind nicht ausgeführt worden; daher haben wir, dem Herrn Vertheidiger gemäß, welcher an unsere Humanität und christliche Gesinnung appellirte, beschlossen, von einer directen Bestrafung abzusehen – – –«

Die Angeklagten athmeten auf; das sah man ihnen an. Unter den Zuhörern wurden einzelne Rufe der Unzufriedenheit laut. Der Sheriff fuhr fort:

»Ich sagte bereits, daß der Versuch eines Verbrechens eine Gefahr mit sich bringe. Wenn wir diese Kukluxer nicht bestrafen, so müssen wir wenigstens dafür sorgen, daß sie uns fernerhin nicht mehr gefährlich werden können. Daher haben wir beschlossen, sie aus dem Staate Texas zu entfernen, und zwar in so beschämender Weise, daß es ihnen wohl nicht einfallen wird, sich hier jemals wieder sehen zu lassen. Darum wird zunächst bestimmt, daß ihnen allen jetzt sofort das Haar und die Bärte bis ganz kurz auf die Haut abzuscheren sind. Einige der anwesenden Gentlemen werden sich wohl gern den Spaß machen, dies zu thun. Wer nicht weit zu laufen hat, mag nach Hause gehen, um eine Scheere zu holen; solchen, welche nicht gut schneiden, wird die sehr ehrwürdige Jury den Vorzug geben.«

Allgemeines Gelächter erscholl. Einer riß das Fenster auf und schrie hinab:

»Scheeren herbei! Die Kukluxer sollen geschoren werden. Wer eine Scheere bringt, wird eingelassen.«

Ich war sehr überzeugt, daß im nächsten Augenblicke alle Untenstehenden nach Scheeren rannten. Und wirklich hörte ich sogleich, daß ich ganz richtig vermuthet hatte. Man hörte ein allgemeines Laufen und lautes Rufen nach Shears und Scissars. Eine Stimme brüllte sogar nach shears for clipping trees und shears for clipping sheeps, also nach Baum- und Schafscheeren.

»Ferner wird beschlossen,« fuhr der Sheriff fort, »die Verurtheilten nach dem Steamer zu schaffen, welcher noch nach elf Uhr von Austin gekommen ist und mit Anbruch des Tages nach Matagorda gehen wird. Dort angekommen, werden sie auf das erste, beste Schiff gebracht, welches abgeht, ohne wieder in Texas landen zu wollen. Sie werden an Deck dieses Fahrzeuges gebracht, gleichviel, wer sie sind, woher sie kamen und wohin dieses Schiff geht. Von jetzt an bis zur Einschiffung dürfen sie ihre Verkleidungen nicht ablegen, damit jeder Passagier das Recht habe, zu sehen, wie wir Texaner mit den Kukluxern verfahren. Auch werden ihnen die Fesseln nicht abgenommen. Wasser und Brot erhalten sie erst in Matagorda. Die auflaufenden Kosten werden von ihrem eigenen Gelde bezahlt, welches die schöne Summe von über dreitausend Dollars ausmacht, die sie wohl zusammengeraubt haben werden. Außerdem wird all’ ihr Eigenthum, besonders die Waffen, confiscirt und sofort versteigert. Die Jury hat bestimmt, daß der Ertrag der Auction zum Ankaufe von Bier und Brandy verwendet werde, damit die ehrenwerthen Zeugen dieser Verhandlung mit ihren Ladies einen Schluck zu dem Reel haben, den wir nach Beendigung dieses Gerichtes hier tanzen werden, um dann bei Tagesanbruch die Kukluxer mit einer würdigen Musik und dem Gesange eines tragischen Liedes nach dem Steamer zu begleiten. Sie werden diesem Balle da zusehen und zu diesem Zwecke da stehen bleiben, wo sie sich befinden. Wenn der Vertheidiger etwas gegen dieses Urtheil einzuwenden hat, so sind wir gerne bereit, ihn anzuhören, falls er die Gewogenheit haben will, es kurz zu machen. Wir haben die Kukluxer zu scheeren und ihre Sachen zu versteigern, also sehr viel zu thun, bevor der Ball beginnen kann.«

Das Beifallsrufen, welches sich jetzt erhob, war eher ein Brüllen zu nennen. Vorsitzender und Vertheidiger mußten sich sehr anstrengen, Ruhe zu schaffen, damit der letztere zu Worte kommen könne.

»Was ich noch zum Nutzen meiner Clienten zu sagen habe,« meinte er, »ist Folgendes. Ich finde das Urtheil des hochachtbaren Gerichtshofes einigermaßen hart, doch ist diese Härte durch den letzten Theil der richterlichen Entscheidung, welcher Bier, Brandy, Tanz, Musik und Gesang betrifft, mehr als zur Genüge ausgeglichen. Darum erkläre ich mich im Namen derjenigen, deren Interessen ich zu vertreten habe, mit dem Urtheile völlig einverstanden und hoffe, daß sie sich dasselbe als Aufforderung zum Beginn eines besseren und nützlicheren Lebenswandels dienen lassen. Ich warne sie auch, jemals wieder zu uns zu kommen, da ich in diesem Falle mich weigern würde, ihre Vertheidigung nochmals zu übernehmen, und sie also nicht wieder einen so ausgezeichneten juridischen Beirath finden würden. Geschäftlich bemerke ich noch, daß ich für meine Vertheidigung pro Client zwei Dollars zu fordern habe, macht für neunzehn Mann acht und dreißig Dollars, wofür ich nicht schriftlich zu quittiren brauche, wenn sie mir gleich jetzt vor so vielen Zeugen ausgehändigt werden. In diesem Falle nehme ich nur achtzehn für mich und gebe die übrigen zwanzig für Licht und Miethe des Saales. Die Musikanten können durch ein Entree entschädigt werden, welches ich vorschlage, auf fünfzehn Cents pro Gentleman zu stellen. Die Ladies haben natürlich nichts zu zahlen.«

Er setzte sich, und der Sheriff erklärte sich völlig mit ihm einverstanden.

Ich saß da, als wenn ein Traum mich befangen hielte. War das alles Wirklichkeit? Ich konnte nicht daran zweifeln, denn der Vertheidiger erhielt sein Geld, und viele rannten fort, um ihre Frauen zum Ball zu holen; viele Andere kamen und brachten alle möglichen Arten von Scheeren mit sich geschleppt. Ich wollte mich gern ärgern, brachte es aber nicht fertig und stimmte in Old Death’s Gelächter ein, dem dieser Ausgang des Abenteuers außerordentlichen Spaß bereitete. Die Kukluxer wurden wirklich kahl geschoren. Dann begann die Versteigerung. Die Gewehre gingen schnell weg und wurden sehr gut bezahlt. Auch von den übrigen Gegenständen war bald nichts mehr vorhanden. Der dabei verursachte Lärm, das Kommen und Gehen, das Drängen und Stoßen war unbeschreiblich. Jeder wollte im Salon sein, obgleich derselbe nicht den zehnten Theil der Anwesenden faßte. Dann stellten sich die Musikanten ein, ein Clarinettist, ein Violinist, ein Trompeter und Jemand mit einem alten Fagotte. Diese wunderbare Kapelle postirte sich in eine Ecke und begann, ihre vorsündfluthlichen Instrumente zu stimmen, was mir einen nicht eben angenehmen Vorgeschmack der eigentlichen Leistung gab. Ich wollte gehen, besonders da jetzt die Ladies auf dem Schauplatz erschienen, aber da kam ich bei Old Death schön an. Er erklärte, wir beiden, die wir doch eigentlich die Hauptpersonen seien, müßten nach all den Mühen und Gefahren nun auch das Vergnügen genießen. Der Sheriff hörte das und stimmte ihm bei, ja, behauptete mit aller Energie, daß es eine Beleidigung der ganzen Bürgerschaft von La Grange sein würde, wenn wir beide uns weigerten, den ersten Rundtanz anzuführen. Er stellte dazu Old Death seine Gemahlin und mir seine Tochter zur Verfügung, welche beide ausgezeichnete Tänzerinnen seien. Da ich ihm zwei Zähne ausgeschlagen habe und er mir einigemale in die Rippen gerathen sei, müßten wir uns selbstverständlich als wahlverwandt betrachten, und so würde ich seine Seele auf das tiefste kränken, falls ich ihm seine dringende Bitte, hier zu bleiben, nicht erfülle. Er werde dafür sorgen, daß ein Extratisch für uns reservirt werde. Was konnte ich machen? Unglücklicher Weise stellten sich in diesem Augenblicke seine beiden Ladies ein, denen wir vorgestellt wurden. Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen! Ich sah ein, daß ich den berühmten Rundtanz riskiren müsse und vielleicht noch einige Rutscher und Hopser dazu, ich, einer der Helden des heutigen Tages und – Privatdetective incognito.

Der gute Sheriff freute sich vielleicht außerordentlich, uns den Göttinnen seiner Häuslichkeit geweiht zu haben. Er besorgte uns einen Tisch, welcher den großen Fehler hatte, nur für vier Personen auszureichen, so daß wir ohne Gnade und Barmherzigkeit den beiden Ladies verfallen waren. Die Damen waren kostbar. Die amtliche Stellung ihres Gatten und Vaters erforderte, daß sie sich mit möglichster Würde gaben. Die Mama war etwas über fünfzig, strickte an einer wollenen Leibjacke und sprach einmal vorn Codex Napoleon; dann aber schloß sich ihr Mund für immer. Das Töchterlein über dreißig alt, hatte einen Band Gedichte mitgebracht, in welchem sie trotz des uns umtobenden Höllenspektakels unausgesetzt zu lesen schien, beehrte Old Death mit einer geistreich sein sollenden Bemerkung über Pierre Jean de Beranger, und als der alte Scout ihr aufrichtig versicherte, daß er mit diesem Sir noch niemals gesprochen habe, versank sie in ein ewiges Stillschweigen. Als Bier herumgereicht wurde, tranken unsere Damen nicht; als aber der Sheriff ihnen zwei Gläser Brandy brachte, belebten sich ihre scharfen, menschenfeindlichen Züge.

Bei dieser Gelegenheit gab mir der würdige Beamte einen seiner bekannten Rippenstöße und flüsterte mir zu:

»Jetzt kommt der Rundtanz. Greift nur rasch zu!«

»Werden wir nicht abgewiesen werden?« fragte ich in einem Tone, welchem jedenfalls viel Vergnügen nicht anzumerken war.

»Nein. Die Ladies sind gut informirt.«

Ich erhob und verbeugte mich vor der Tochter, murmelte etwas von Ehre, Vergnügen und Vorzug und erhielt – das Buch mit den Gedichten, an welchem die Miß festhing. Old Death fing die Sache praktischer an. Er rief der Mama zu.

»Na, kommt also, Mis’siß! Rechts herum oder links hinum, ganz wie es Euch recht ist. Ich springe mit allen Beinen.«

Wie wir Beide tanzten, welches Unheil mein alter Freund anrichtete, indem er mit seiner Tänzerin zu Boden stürzte, wie die Gentlemen zu trinken begannen – davon schweige ich. Genug, als es Tag wurde, waren die Vorräthe des Wirthes ziemlich auf die Neige gegangen, und der Sheriff versicherte, daß doch das aus der Versteigerung gewonnene Geld noch nicht alle sei; man könne morgen oder vielleicht heute Abend noch einen kleinen Reel tanzen. In den beiden Parterrestuben, im Garten und vor dem Hause saßen oder lagen die Angeheiterten, theilweise wohl mit schweren Köpfen. Sobald aber die Kunde erschallte, daß der Zug nach dem Landungsplatz geordnet werde, waren Alle auf den Beinen. Der Zug war folgendermaßen geordnet: Voran die Musikanten, dann die Mitglieder des Gerichtshofes, die Kukluxer in ihrer seltsamen Bekleidung, ferner wir Zeugen und hinter uns die Masters, Sirs und Gentlemen nach Gefallen und Belieben.

Der Amerikaner ist ein wunderbarer Kerl. Was er braucht, ist stets da. Woher die Leute Alles so schnell bekommen oder geholt hatten, das wußten wir nicht, aber so viele ihrer sich dem Zuge anschlossen, und das waren wohl Alle, die würdigen Prediger und die »Ladies« ausgenommen, jeder hatte irgend ein zur Katzenmusik geeignetes Instrument in der Hand. Als alle in Reih und Glied standen, gab der Sheriff das Zeichen; der Zug setzte sich in Bewegung, und die voranschreitenden Virtuosen begannen das Yankee-doodle zu maltraitiren. Am Schlusse desselben fiel die Katzenmusik ein. Was alles dazu gepfiffen, gebrüllt, gesungen wurde, das ist nicht zu sagen. Es war, als ob ich mich unter lauter Verrückten befände. So ging es im langsamen Trauerschritt nach dem Flusse, wo die Gefangenen dem Kapitän abgeliefert wurden, welcher sie, wie wir uns überzeugten, in sichern Gewahrsam nahm. An Flucht war nicht zu denken, dafür verbürgte sich der Kapitän. Uebrigens wurden sie von den mitfahrenden Deutschen auf das Strengste bewacht.

Als sich das Schiff in Bewegung setzte, bliesen die Musikanten ihren schönsten Tusch, und die Katzenmusik begann von Neuem. Während aller Augen dem Schiff folgten, nahm ich Old Death beim Arme und trollte mich mit Lange und Sohn heim. Dort angelangt, beschlossen wir, einen kurzen Schlaf zu halten; aber er dauerte länger, als wir uns vorgenommen hatten. Als ich erwachte, war Old Death schon munter. Er hatte vor Schmerzen in der Hüfte nicht schlafen können und erklärte mir zu meinem Schreck, daß es ihm unmöglich sei, heute weiter zu reiten. Das waren die schlimmen Folgen eines Rundtanzes. Wir schickten nach dem Wundarzte. Dieser kam, untersuchte den Patienten und erklärte, das Bein sei aus dem Leibe geschnappt und müsse also wieder hineingeschnappt werden. Ich hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige gegeben. Er zerrte eine halbe Ewigkeit an dem Beine herum und versicherte uns, daß wir es schnappen hören würden. Wir lauschten aber natürlich vergebens. Dieses Zerren verursachte dem Scout fast gar keine Schmerzen; darum schob ich den Pflastermann zur Seite und sah die Hüfte an. Es gab da einen blauen Fleck, welcher in einen gelben Rand auslief, und ich war darum überzeugt, daß es sich um eine Quetschung handelte.

»Wir müssen für eine Einreibung mit Senf oder einem andern Spiritus sorgen, das wird Euch aufhelfen,« sagte ich. »Freilich, wenigstens heute müßt Ihr Euch ruhig verhalten. Schade, daß Gibson indessen entkommt!«

»Der?« antwortete der Alte. »Habt keine Sorge, Sir! Wenn man die Nase so eines alten Jagdhundes, wie ich bin, auf eine Fährte richtet, so läßt er sicher nicht nach, bis das Wild gepackt ist. Darauf könnt Ihr Euch getrost verlassen.«

»Das thue ich auch; aber er gewinnt mit William Ohlert einen zu großen Vorsprung!«

»Den holen wir schon noch ein. Ich calculire, es sei ganz gleich, ob wir sie einen Tag früher oder später finden, wenn wir sie eben nur finden. Haltet den Kopf empor! Dieser sehr ehrenwerthe Sheriff hat uns mit seinem Reel und seinen beiden Ladies einen kleinen Strich durch die Rechnung gemacht; aber Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß ich die Scharte gewiß auswetzen werde. Man nennt mich Old Death. Verstanden!«

Das klang freilich leidlich tröstlich, und da ich dem Alten zutraute, daß er Wort halten werde, so gab ich mir Mühe, unbesorgt zu sein. Allein konnte ich doch nicht fort. Ich begann, immer mehr einzusehen, daß ich wirklich ein Greenhorn sei, und mich ganz auf Old Death verlassen müsse. Darum war es mir auch sehr willkommen, als Master Lange beim Mittagessen sagte, er wolle mit uns reisen, da sein Weg vorläufig derselbe sei.

»Schlechte Kameraden erhaltet Ihr an mir und meinem Sohne nicht,« versicherte er. »Ich weiß ein Pferd zu regieren und mit einer Büchse umzugehen. Und sollten wir unterwegs auf irgend welches weißes oder rothes Gesindel stoßen, so wird es uns nicht einfallen, davon zu laufen. Also wollt Ihr uns mitnehmen? Schlagt ein!«

Natürlich schlugen wir ein. Später kam Cortesio, der noch länger geschlafen hatte als wir, und wollte uns die beiden Pferde zeigen. Old Death hinkte trotz seiner Schmerzen in den Hof. Er wollte die Pferde selbst sehen.

»Dieser junge Master behauptet zwar, reiten zu können,« sagte er; »aber unsereins weiß, was davon zu halten ist. Und einen Pferdeverstand traue ich ihm nicht zu. Wenn ich ein Pferd kaufe, so suche ich mir vielleicht dasjenige aus, welches das schlechteste zu sein scheint. Natürlich aber weiß ich, daß es das beste ist. Das ist mir nicht nur einmal passirt.«

Ich mußte ihm alle im Stalle stehenden Pferde vorreiten, und er beobachtete jede ihrer Bewegungen mit Kennermiene, nachdem er vorsichtiger Weise nach dem Preise gefragt hatte. Wirklich kam es so, wie er gesagt hatte: er nahm die beiden, welche für uns bestimmt gewesen waren, nicht.

»Sehen besser aus als sie sind,« sagte er. »Würden aber nach einigen Tagen schon marode sein. Nein, wir nehmen die beiden alten Füchse, die wunderbarer Weise so billig sind.«

»Aber das sind ja die reinen Karrengäule!« meinte Cortesio.

»Weil Ihr es nicht versteht, Sennor, mit Eurer Erlaubniß zu sagen. Die Füchse sind Prairiepferde, haben sich aber in schlechter Hand befunden. Ihnen geht die Luft nicht aus, und ich calculire, daß sie wegen einer kleinen Strapaze nicht in Ohnmacht fallen. Wir behalten sie. Pasta, abgemacht!« –

Viertes Kapitel. Ueber die Grenze.

Eine Woche später befanden sich fünf Reiter, vier Weiße und ein Neger, ungefähr an dem Punkte, an welchem die südlichen Ecken der jetzigen texanischen County’s Medina und Uvalde zusammenstoßen. Die Weißen ritten zu zwei Paaren hinter einander, der Neger machte den Beschluß. Die voranreitenden zwei Weißen waren fast ganz gleich gekleidet, nur daß der Anzug des Jüngeren neuer war, als derjenige des älteren, sehr hageren Mannes. Ihre Pferde waren Füchse; sie trabten so munter und ließen von Zeit zu Zeit ein lustiges Schnauben hören, daß anzunehmen war, sie seien einem anstrengenden Ritte in dieser abgelegenen Gegend wohl gewachsen. Dem folgenden Paare sah man es sofort an, daß sie Vater und Sohn seien. Auch sie waren gleich gekleidet, aber nicht in Leder, wie die Voranreitenden, sondern in Wolle. Ihre Köpfe waren von breitkrempigen Filzhüten beschützt; ihre Waffen bestanden aus Doppelbüchse, Messer und Revolver. Der Neger, eine überaus sehnige Gestalt, war ganz in leichten dunklen Callico gekleidet und trug einen glänzenden, fast neuen Cylinderhut auf dem wolligen Schädel. In der Hand hielt er eine lange, zweiläufige Rifle, und im Gürtel steckte eine Machete, eins jener langen, gebogenen, säbelartigen Messer, wie sie vorzugsweise in Mexico gebraucht werden.

Die Namen der vier Weißen sind bekannt. Sie waren Old Death, Lange, dessen Sohn und ich. Der Schwarze war Cortesio’s Neger aus La Grange, derselbe, welcher uns an jenem ereignißreichen Abend bei dem Mexicaner eingelassen hatte.

Old Death hatte drei volle Tage gebraucht, sich von der Verletzung zu erholen, welche ihm auf eine so lächerliche Weise zugefügt worden war. Ich vermuthete, daß er sich dieser Veranlassung schämte. Im Kampfe verwundet zu werden, ist eine Ehre; aber beim Tanze zu stürzen und sich dabei das Fleisch vom Knochen treten zu lassen, das ist höchst ärgerlich für einen braven Westmann, und das ging dem alten Scout zu nahe. Die Quetschung war ganz gewiß weit schmerzhafter, als er sich merken ließ, sonst hätte er mich nicht drei Tage auf den Aufbruch warten lassen. An dem oftmals plötzlichen Zusammenzucken seines Gesichtes erkannte ich, daß er selbst jetzt noch nicht von Schmerzen frei sei. Cortesio hatte natürlich erfahren , daß die beiden Lange’s sich uns anschließen würden. Am letzten Tage war er zu uns herüber gekommen und hatte uns gefragt, ob wir ihm nicht den Gefallen thun wollten, seinen Neger Sam mitzunehmen. Natürlich waren wir über diese Forderung sehr erstaunt gewesen, ohne es uns anmerken zu lassen. Es ist nicht Jedermanns Sache, wochenlang mit einem Schwarzen zu reiten, der einen ganz und gar nichts angeht. Cortesio erklärte uns die Sache. Er habe nämlich aus Washington eine wichtige Depesche erhalten, in Folge deren er sofort einen ebenso wichtigen Brief nach Chihuahua senden müsse. Er hätte uns denselben mitgeben können, aber er mußte Antwort haben, welche wir ihm nicht zurückbringen konnten. Darum sah er sich gezwungen, einen Boten zu schicken, zu welchem Amte es keine geeignetere Person gab, als den Neger Sam. Dieser war zwar ein Schwarzer, stand aber an Begabung viel höher als gewöhnliche Leute seiner Farbe. Er diente Cortesio seit langen Jahren, war ihm treu ergeben und hatte den gefährlichen Ritt über die mexicanische Grenze schon mehrere Male gemacht und sich in allen Fährlichkeiten höchst wacker gehalten. Cortesio versicherte uns, daß Sam uns nicht im mindesten lästig fallen, sondern im Gegentheile ein aufmerksamer und gutwilliger Diener sein werde. Daraufhin hatten wir unsere Einwilligung ertheilt, die wir bis jetzt nicht zu bereuen gehabt hatten. Sam war nicht nur ein guter, sondern sogar ein ausgezeichneter Reiter. Er hatte diese Kunst geübt, als er mit seinem Herrn noch drüben in Mexico lebte und zu Pferde die Rinderheerde hüten mußte. Er war flink und sehr gefällig, hielt sich immer respectvoll hinter uns und schien von uns Vieren besonders mich in sein Herz geschlossen zu haben, denn er erzeigte mir unausgesetzt eine Menge Aufmerksamkeiten, die nur ein Ausfluß besonderer persönlicher Zuneigung sein konnten.

Old Death hatte es nicht nur für überflüssig, sondern auch für zeitraubend gehalten, die Spur Gibsons aufzusuchen und von Ort zu Ort zu verfolgen. Wir wußten genau, welche Richtung das Detachement, bei welchem er sich befand, nehmen und welche Oertlichkeiten es berühren wolle, und so hielt der Scout es für gerathen, directement nach dem Rio Nueces und dann nach dem Eagle-Paß zu reiten. Es war sehr wahrscheinlich, daß wir zwischen diesem Flusse und diesem Passe, vielleicht aber schon eher, auf die Fährte des Detachements treffen würden. Freilich mußten wir uns sehr beeilen, da dasselbe einen so großen Vorsprung vor uns hatte. Ich wollte nicht glauben, daß es möglich sei, dasselbe einzuholen; aber Old Death erklärte mir, daß die mexicanische Eskorte der Angeworbenen sich nicht sehen lassen dürfe und also gezwungen sei, bald rechts, bald links abzuweichen und ganz bedeutende Umwege zu machen. Wir aber konnten in fast schnurgerader Linie reiten, ein Umstand, welcher einen Vorsprung von einigen Tagen wohl auszugleichen vermochte.

Nun hatten wir in sechs Tagen fast zweihundert englische Meilen zurückgelegt, eine Leistung, welche außer Old Death Niemand unsern Füchsen zugetraut hätte. Die alten Pferde aber schienen hier im Westen neu aufzuleben. Das Futter des freien Feldes, die stets frische Luft, die schnelle Bewegung bekamen ihnen ausgezeichnet; sie wurden von Tag zu Tag muthiger, lebendiger und jünger, worüber der Scout sich außerordentlich freute, denn dadurch wurde ja erwiesen, daß er einen ausgezeichneten »Pferdeverstand« besaß.

Wir hatten jetzt San Antonio und Castroville hinter uns, waren durch das wasserreiche County Medina geritten und näherten uns nun der Gegend, in welcher das Wasser immer seltener wird und die triste texanische Sandbüchse beginnt, welche zwischen dem Nueces und Rio grande ihre größte Trostlosigkeit erreicht. Wir wollten zunächst nach Rio Leona, einem Hauptarme des Rio Frio, und dann nach der Stelle des Rio Nueces, an welcher der Turkey Creck in denselben fließt. Im Nordwesten von uns lag der hohe Leonaberg mit Fort Inge in der Nähe. Dort hatte das Detachement vorüber gemußt, aber ohne es wagen zu dürfen, sich von der Besatzung des Forts sehen zu lassen. Wir konnten also hoffen, bald ein Lebenszeichen von Gibson und denen, bei welchen er sich befand, zu bemerken.

Der Boden, welchen wir unter uns hatten, war außerordentlich geeignet zu einem schnellen Ritte. Wir befanden uns auf einer ebenen, kurzgrasigen Prairie, über welche unsere Pferde mit großer Leichtigkeit dahinflogen. Die Luft war sehr rein, so daß der Horizont in großer Klarheit und Deutlichkeit vor uns lag. Da wir nach Südwest ritten, so hatten wir vorzugsweise die dorthin liegende Gegend im Auge und schenkten den anderen Richtungen weniger Aufmerksamkeit. Aus diesem Grunde war es kein Wunder, daß uns ziemlich spät das Nahen von Reitern bemerkbar wurde, auf welche uns Old Death aufmerksam machte. Er deutete nach rechts hinüber und sagte:

»Schaut einmal dorthin, Mesch’schurs! Für was haltet Ihr das, was da zu sehen ist?«

Wir sahen einen dunklen Punkt, welcher sich sehr, sehr langsam zu nähern schien.

»Hm!« meinte Lange, indem er seine Augen mit der Hand beschattete, »das wird ein Thier sein, welches dort grast.«

»So!« lächelte Old Death. »Ein Thier! Noch dazu, welches dort grast! Wunderschön! Eure Augen scheinen sich noch nicht recht an die Perspective gewöhnen zu wollen. Dieser Punkt ist wohl gegen zwei englische Meilen entfernt von uns. Auf eine so bedeutende Strecke ist ein Gegenstand von der Größe dieses Punktes nicht ein einzelnes Thier. Müßte ein Büffel sein, fünfmal so groß wie ein ausgewachsener Elephant, und Büffel gibt es hier nicht. Mag sich wohl einmal so ein verlaufener Kerl hier herumtreiben, aber sicherlich in dieser Jahreszeit nicht, sondern nur im Frühjahre oder Herbst. Ferner täuscht sich derjenige, welcher nicht geübt ist, außerordentlich leicht über die Bewegung eines Gegenstandes, welcher sich in solcher Ferne von ihm befindet. Ein Büffel oder Pferd geht beim Grasen höchst langsam Schritt um Schritt vorwärts. Ich wette aber um Alles, daß der Punkt da drüben sich in sehr schnellem Galoppe bewegt.«

»Nicht möglich,« sagte Lange.

Auch ich war seiner irrigen Meinung, denn der besagte Punkt, welcher die scheinbare Größe eines kleinen, vierfüßigen Thieres, vielleicht eines Hasen oder Fuchses hatte, schien gar nicht von der Stelle zu kommen.

»Nun, wenn die Weißen so falsch denken,« sagte Old Death, »so wollen wir einmal hören, was der Schwarze sagt. Sam, was hältst Du von dem Dinge da draußen?«

Der Neger hatte bisher aus Bescheidenheit geschwiegen. Jetzt aber, da er direct aufgefordert wurde, sagte er:

»Reiter sein. Vier, fünf oder sechs.«

»Das denke ich auch. Vielleicht Indianer?«

»O nein, Sirrah! Indian nicht so direct kommen zu Weißen. Indian sich verstecken, um Weißen erst heimlich anzusehen, ehe mit ihm reden. Reiter kommen grad zu auf uns, also es Weiße sein.«

»Das ist sehr richtig, mein guter Sam. Ich höre da zu meiner Befriedigung, daß Dein Verstand heller ist als Deine Hautfarbe.«

»O, Sirrah, o!« schmunzelte der gute Kerl, wobei er alle seine Zähne zeigte. Von Old Death gelobt zu werden, war eine außerordentliche Auszeichnung für ihn.

»Wenn diese Leute wirklich die Absicht haben, zu uns zu kommen,« sagte Lange, »so müssen wir hier auf sie warten.«

»Fällt mir nicht ein!« antwortete der Scout. »Ihr müßt doch sehen, daß sie nicht grad auf uns zuhalten, sondern mehr südlicher trachten. Sie sehen, daß wir uns fortbewegen und reiten also, um auf uns zu treffen, die Diagonale. Also vorwärts! Wir haben gar keine Zeit, hier still zu halten. Vielleicht sind es Soldaten vom Fort Inge, welche sich auf Recognition befinden. Ist dies der Fall, so haben wir uns über das Zusammentreffen nicht zu freuen.«

»Warum nicht?«

»Weil wir Unangenehmes erfahren werden, Master. Fort Inge liegt ziemlich weit von hier entfernt im Nordwest. Wenn der Kommandant desselben solche Streifpatrouillen so weit entsendet, muß irgend etwas Unerfreuliches in der Luft liegen. Werdet es sicher hören.«

Wir ritten in unverminderter Schnelligkeit weiter. Der Punkt näherte sich jetzt zusehends und löste sich endlich in sechs kleinere Punkte auf, welche sich schnell vergrößerten. Bald sahen wir deutlich, daß es Reiter waren. Fünf Minuten später erkannten wir schon die militärischen Uniformen. Und dann waren sie bald so nahe, daß wir den Ruf hörten, welchen sie zu uns herüberschickten. Wir sollten anhalten. Es war ein Dragonersergeant mit fünf Leuten.

»Warum reitet Ihr in solcher Eile?« fragte er, indem er sein Pferd parirte. »Habt Ihr uns nicht kommen sehen?«

»Doch,« antwortete der Scout kaltblütig, »aber wir sehen nicht ein, weßhalb wir auf Euch warten sollen.«

»Weil wir unbedingt wissen müssen, wer Ihr seid.«

»Nun, wir sind Weiße, welche in südlicher Richtung reiten. Das wird für Eure Zwecke wohl genügen.«

»Zum Teufel!« fuhr der Sergeant auf. »Denkt ja nicht, daß ich Euch erlauben werde, Euern Spaß mit uns zu machen!«

»Pshaw!« lächelte Old Death überlegen. »Bin selbst gar nicht zum Scherzen geneigt. Wir befinden uns hier auf offener Prairie, aber nicht im Schulzimmer, wo Ihr den Lehrer machen dürft und wir Eure Fragen gehorsam und ergebenst beantworten müssen, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, den Stock zu bekommen.«

»Ich habe nur meiner Instruction zu folgen. Ich fordere Euch auf, Eure Namen zu nennen!«

»Und wenn es uns nun nicht beliebt, zu gehorchen?«

»So seht Ihr, daß wir bewaffnet sind und uns Gehorsam verschaffen können.«

»Ah! Könnt Ihr das wirklich? Freut mich um Euretwillen ungemein. Nur rathe ich Euch nicht, es zu versuchen. Wir sind freie Männer, Master Sergeant! Wir möchten den Mann sehen, der es wagen wollte, uns im Ernste zu sagen, daß wir ihm gehorchen müßten, hört Ihr es, müßten! Ich würde den Halunken einfach niederreiten!«

Seine Augen blitzten, und er nahm sein Pferd in die Zügel, daß es aufstieg und, seinem Schenkeldrucke gehorchend, einen drohenden Sprung gegen den Sergeanten machte. Dieser riß sein Thier schnell zurück und wollte aufbrausen. Old Death aber ließ ihn gar nicht dazu kommen, sondern fuhr schnell fort:

»Ich will gar nicht rechnen, daß ich zweimal so viel Jahre zähle wie Ihr und also wohl mehr erfahren und erlebt habe, als Ihr jemals zu sehen bekommen werdet. Ich will Euch nur darauf antworten, daß Ihr von Euern Waffen gesprochen habt. Denkt Ihr denn etwa, unsere Messer seien von Marzipan, unsere Gewehrläufe von Zucker und unsere Kugeln von Chocolade? Diese Süßigkeiten sollten Euch wohl schlecht bekommen! Ihr sagt, daß Ihr Eurer Instruction gehorchen müßtet. Well, das gehört sich so, und ich habe also gar nichts dagegen. Aber hat man Euch auch anbefohlen, erfahrene Westmänner anzuschnauzen und mit ihnen in dem Tone zu sprechen, dessen sich ein General einem Rekruten gegenüber bedient? Wir sind bereit, mit Euch zu sprechen; aber wir haben Euch nicht gerufen und verlangen vor allen Dingen Höflichkeit!«

Der Unteroffizier wurde verlegen. Old Death schien ein ganz Anderer geworden zu sein, und sein Auftreten blieb nicht ohne Wirkung.

»Redet Euch doch nicht in solchen Zorn hinein!« sagte der Sergeant. »Es ist ja gar nicht meine Absicht, grob zu sein.«

»Nun, ich habe weder Eurem Tone, noch Eurer Ausdrucksweise große Feinheit angehört.«

»Das macht, daß wir uns eben hier und nicht im Salon einer vornehmen Lady befinden. Es treibt sich hier allerlei Gesindel herum, und wir müssen die Augen offen halten, da wir uns auf einem vorgeschobenen Posten befinden.«

»Gesindel? Zählt Ihr etwa auch uns zu diesen zweifelhaften Gentlemen?« brauste der Alte auf.

»Ich kann weder ja noch nein sagen. Ein Mann aber, der ein gutes Gewissen hat, wird sich nicht weigern, seinen Namen zu sagen. Es gibt jetzt besonders viele von diesen verdammten Kerlen, die hinüber zu Juarez wollen, in dieser Gegend. Diesen Halunken ist nicht zu trauen.«

»So haltet Ihr es mit den Sezessionisten, mit den Südstaaten?«

»Ja, Ihr doch hoffentlich auch?«

»Ich halte mit jedem braven Manne gegen jeden Schurken. Was unsere Namen und Herkunft betrifft, so gibt es keinen Grund, sie zu verschweigen. Wir kommen aus La Grange.«

»So seid Ihr also Texaner. Nun, Texas hat es mit dem Süden gehalten. Ich habe es also mit Gesinnungsgenossen zu thun.«

»Gesinnungsgenossen! All devils! Ihr drückt Euch da sehr hoch aus, wie ich es einem Sergeanten kaum zugetraut hätte; aber anstatt Euch unsere fünf Namen zu sagen, welche Ihr doch bald vergessen würdet, will ich Euch zu Eurer Erleichterung nur den meinigen sagen. Ich bin ein alter Prairieläufer und werde von denjenigen, welche mich kennen, gewöhnlich Old Death genannt.«

Dieser Name wirkte augenblicklich. Der Sergeant fuhr im Sattel empor und sah den Alten starr an. Die andern Soldaten warfen auch überraschte, aber dabei freundliche Blicke auf ihn. Der Unteroffizier aber zog seine Brauen zusammen und sagte:

»Old Death! Der, der seid Ihr? Der Spion der Nordstaaten!«

»Herr!« rief der Alte drohend. »Nehmt Euch in Acht! Wenn Ihr von mir gehört habt, so werdet Ihr wohl auch die Ansicht haben, daß ich nicht der Mann bin, eine Beleidigung auf mir sitzen zu lassen. Ich habe für die Union mein Hab und Gut, mein Blut und Leben gewagt, weil es mir so beliebte und weil ich die Absichten des Nordens für richtig hielt und heute noch für richtig halte. Unter Spion verstehe ich etwas Anderes, als ich gewesen bin, und wenn mir so ein Kindskopf, wie Ihr zu sein scheint, ein solches Wort entgegenwirft, so schlage ich ihn nur deßhalb nicht sogleich mit der Faust nieder, weil ich ihn bemitleide. Old Death fürchtet sich vor sechs Dragonern nicht, auch nicht vor zehn und noch mehr. Glücklicher Weise scheint es, daß Eure Begleiter verständiger sind als Ihr. Sie mögen dem Kommandanten von Fort Inge sagen, daß Ihr Old Death getroffen und wie einen Knaben angepustet habt. Ich bin der Ueberzeugung, daß er Euch dann eine Nase in’s junge Gesicht steckt, welche so lang ist, daß Ihr die Spitze derselben nicht mit dem Fernrohr erkennen könnt!«

Die letzteren Worte erreichten ihren Zweck. Der Kommandant war wohl ein verständigerer Mann, als sein Untergebener. Der Sergeant mußte in seinem Bericht selbstverständlich unser Zusammentreffen und den Erfolg desselben erwähnen. Wenn ein Postenführer auf einen so berühmten Jäger trifft, so ist das von großem Vortheile für ihn, weil dann Gedanken und Meinungen ausgetauscht, Beobachtungen mitgetheilt und Rathschläge gegeben werden, welche oft von großem Nutzen sein können. Westmänner von der Art Old Death’s werden von den Offizieren ganz wie ihresgleichen und mit größter Rücksicht und Hochachtung behandelt. Was konnte nun dieser Sergeant von uns berichten, wenn er in dieser Weise mit dem bewährten Pfadfinder verfuhr? Das sagte er sich jetzt wohl im Stillen, denn die Röthe der Verlegenheit war ihm bis an die Stirn getreten, Um diese Wirkung zu verstärken, fuhr Old Death fort:

»Euern Rock in Ehren, aber der meinige ist wenigstens ebenso viel werth. Es könnte Euch bei Eurer Jugend gar nichts schaden, von Old Death einige Rathschläge zu vernehmen. Wer ist denn jetzt Kommandant auf Fort Inge?«

»Major Webster.«

»Der noch vor zwei Jahren in Fort Ripley als Capt’n stand?« fragte Old Death weiter.

»Derselbe.«

»Nun, so grüßt ihn von mir. Er kennt mich sehr wohl. Habe oft mit ihm nach der Scheibe geschossen und den Nagel mit einer Kugel durch das Schwarze getrieben. Könnt mir Euer Notizbuch geben, damit ich Euch einige Zeilen hineinschreibe, die Ihr ihm vorzeigen mögt! Ich calculire, daß er sich ungemein darüber freuen wird, daß einer seiner Untergebenen Old Death einen Spion nannte.«

Der Sergeant wußte in seiner Verlegenheit keinen Rath. Er schluckte und schluckte und stieß endlich mit sichtlicher Mühe hervor:

»Aber, Sir, ich kann Euch versichern, daß es wahrlich nicht so gemeint war! Bei Unsereinem ist nicht alle Tage Feiertag. Man hat seinen Aerger, und da ist es kein Wunder, wenn Einem einmal ein Ton ankommt, den man nicht beabsichtigt hat!«

»So, so! Nun, das klingt höflicher als vorher, Ich will also annehmen, daß unser Gespräch erst jetzt beginnt. Seid Ihr auf Fort Inge mit Cigarren versehen?«

»Nicht mehr. Der Tabak ist zu unser aller Bedauern ausgegangen.«

»Das ist sehr schlimm. Ein Soldat ohne Tabak ist ein halber Mensch. Mein Gefährte hat sich eine ganze Satteltasche voll Cigarren mitgenommen. Vielleicht gibt er Euch von seinem Vorrath mit.«

Des Sergeanten und der andern Augen richteten sich verlangend auf mich. Ich zog eine Hand voll Cigarren hervor und vertheilte sie unter sie, gab ihnen auch Feuer. Als der Unteroffizier die ersten Züge gethan hatte, breitete sich der Ausdruck hellen Entzückens über sein Gesicht. Er nickte mir dankend zu und sagte:

»So eine Cigarre ist die reine Friedenspfeife. Ich glaube, ich könnte dem ärgsten Feinde nicht mehr gram sein, wenn er mir hier in der Prairie und nachdem wir wochenlang nicht rauchen konnten, so ein Ding präsentirte.«

»Wenn bei Euch eine Cigarre mehr Kraft hat als die größte Feindschaft, so seid Ihr wenigstens kein ausgesprochener Bösewicht,« lachte Old Death.

»Nein, das bin ich freilich nicht. Aber, Sir, wir müssen weiter, und so wird es sich empfehlen, das zu fragen und zu sagen, was nöthig ist. Habt Ihr vielleicht Indianer oder andere Fährten gesehen?«

Old Death verneinte und fügte hinzu, ob er denn der Meinung sei, daß es hier Indianer geben könne?

»Sehr! Und wir haben alle Ursache dazu, denn diese Schufte haben wieder einmal das Kriegsbeil ausgegraben.«

»Alle Wetter! Das wäre böse! Welche Stämme sind es?«

»Die Comanchen und Apachen.«

»Also die beiden gefährlichsten Völker! Und wir befinden uns so richtig zwischen ihren Gebieten. Wenn eine Scheere zuklappt, so pflegt dasjenige, was sich dazwischen befindet, am schlechtesten wegzukommen.«

»Ja, nehmt Euch in Acht! Wir haben schon alle Vorbereitungen getroffen und mehrere Boten nach Verstärkung und schleuniger Verproviantirung geschickt. Fast Tag und Nacht durchstreifen wir die Gegend in weitem Umkreise. Jeder uns Begegnende muß uns verdächtig sein, bis wir uns überzeugt haben, daß er kein Lump ist, weßhalb Ihr mein voriges Verfahren entschuldigen werdet!«

»Das ist vergessen. Aber welchen Grund haben denn die Rothen, gegen einander loszuziehen?«

»Daran ist eben dieser verteufelte – – Pardon, Sir! Vielleicht denkt Ihr anders von ihm als ich – dieser Präsident Juarez schuld. Ihr habt gewiß gehört, daß er ausreißen mußte, sogar bis El Paso herauf. Die Franzosen folgten ihm natürlich. Sie kamen bis nach Chihuahua und Cohahuela. Er mußte sich vor ihnen verstecken wie der Waschbär vor den Hunden. Sie hetzten ihn bis zum Rio grande und hätten ihn noch weiterverfolgt und schließlich gefangen genommen, wenn unser Präsident in Washington nicht so albern gewesen wäre, es ihnen zu verbieten. Alles war gegen Juarez, alle hatten sich von ihm losgesagt; sogar die Indianer, zu denen er als eine geborne Rothhaut doch gehört, mochten nichts von ihm wissen.«

»Auch die Apachen nicht?«

»Nein. Das heißt, sie waren weder gegen noch für ihn. Sie nahmen überhaupt keine Partei und blieben ruhig in ihren Schlupfwinkeln. Desto besser aber gelang es den Agenten Bazaine’s, die Comanchen gegen ihn zu stimmen. Sie kamen in hellen Schaaren, aber natürlich heimlich, wie das so ihre Art und Weise ist, über die Grenze in’s Mexico, um den Anhängern des Juarez den Garaus zu machen.«

»Hm! Um zu rauben, zu morden, zu sengen und zu brennen, wollt Ihr sagen! Mexico geht die Comanchen nichts an. Sie haben ihre Wohnplätze und Jagdgebiete nicht jenseits, sondern diesseits des Rio grande. Ihnen ist es sehr gleichgültig, wer in Mexico regiert, ob Juarez, ob Maximilian, ob Napoleon. Aber, wenn die Herren Franzosen sie rufen, um sie gegen friedliche Leute loszulassen, nun, so ist es ihnen als Wilden nicht zu verdenken, wenn sie diese gute Gelegenheit, sich zu bereichern, schleunigst ergreifen. Wer die Verantwortung hat, will ich nicht untersuchen.«

»Nun, mich geht es auch nichts an. Kurz und gut, sie sind hinüber und haben natürlich gethan, was man von ihnen verlangte, und dabei sind sie mit den Apachen zusammengestoßen. Die Comanchen sind immer die geschworenen Feinde der Apachen gewesen. Darum überfielen sie das Lager derselben, schossen todt, was sich nicht ergab, und nahmen die Uebrigen als Gefangene mit sammt ihren Zelten und Pferden.«

»Und dann?«

»Was dann, Sir? Die männlichen Gefangenen sind, wie das die Gepflogenheit der Indianer ist, an den Marterpfahl gebunden worden.«

»Ich calculire, daß so eine Gepflogenheit nicht sehr angenehm für diejenigen sein kann, welche sich bei lebendigem Leibe rösten und mit Messern spicken lassen müssen. Das haben die Herren Franzosen auf dem Gewissen! Natürlich sind die Apachen sofort losgebrochen, um sich zu rächen?«

»Nein. Sie sind ja Feiglinge!«

»Das wäre das erste Mal, daß ich das behaupten hörte. Jedenfalls haben sie diesen Schimpf nicht ruhig hingenommen.«

»Sie haben einige Krieger abgesandt, um mit den ältesten Häuptlingen der Comanchen über diese Angelegenheit zu verhandeln. Diese Unterhandlung hat bei uns stattgefunden.«

»In Fort Inge? Warum da?«

»Weil das neutraler Boden war.«

»Schön! Das begreife ich. Also die Häuptlinge der Comanchen sind gekommen?«

»Fünf Häuptlinge mit zwanzig Kriegern.«

»Und wie viele Apachen waren erschienen?«

»Drei.«

»Mit wie viel Mann Begleitung?«

»Ohne jede Begleitung.«

»Hm! Und da sagt Ihr, daß sie Feiglinge seien? Drei Mann wagen sich mitten durch feindliches Land, um dann mit fünfundzwanzig Gegnern zusammenzutreffen! Herr, wenn Ihr die Indianer nur einigermaßen kennt, so müßt Ihr zugeben, daß dies ein Heldenstück ist. Welchen Ausgang nahm die Unterredung?«

»Keinen friedlichen, aber der Zwiespalt wurde größer. Endlich fielen die Comanchen über die Apachen her. Zwei derselben wurden niedergestochen, der Dritte aber gelangte, wenn auch verwundet, zu seinem Pferde und setzte über eine drei Ellen hohe Umplankung weg. Die Comanchen verfolgten ihn zwar, haben ihn aber nicht bekommen können.«

»Und das geschah auf neutralem Boden, unter dem Schutze eines Forts und der Aufsicht eines Majors der Unionstruppen? Welch eine Treulosigkeit von den Comanchen! Ist es da ein Wunder, wenn die Apachen nun auch ihrerseits das Kriegsbeil ausgraben? Der entkommene Krieger wird ihnen die Nachricht bringen, und nun brechen sie natürlich in hellen Haufen auf, um sich zu rächen. Und da der Mord der Abgesandten in einem Fort der Weißen geschehen ist, so werden sie ihre Waffen auch gegen die Bleichgesichter kehren. Wie werden sich denn die Comanchen gegen uns verhalten?«

»Freundlich. Die Häuptlinge haben es uns versichert, ehe sie das Fort verließen. Sie sagten, daß sie nur gegen die Apachen kämpfen und sofort zu diesem Zwecke aufbrechen würden; die Bleichgesichter aber seien ihre Freunde.«

»Wann war diese Verhandlung, welche einen so blutigen Ausgang nahm?«

»Am Montag.«

»Und heute ist Freitag, also vor vier Tagen. Wie lange haben sich die Comanchen nach der Flucht des Apachen noch im Fort aufgehalten?«

»Ganz kurze Zeit. Nach einer Stunde ritten sie fort.«

»Und Ihr habt sie fortgelassen? Sie hatten das Völkerrecht verletzt und mußten zurückgehalten werden, um die That zu büßen. Sie haben gegen die Vereinigten Staaten gesündigt, auf deren Gebiet der Verrath, der Doppelmord geschah. Der Major mußte sie gefangen nehmen und über den Fall nach Washington berichten. Ich begreife ihn nicht.«

»Er war an dem Tage auf die Jagd geritten und kehrte erst Abends heim.«

»Um nicht Zeuge der Verhandlung und des Verrathes sein zu müssen! Ich kenne das! Wenn die Apachen erfahren, daß es den Comanchen erlaubt worden ist, das Fort zu verlassen, dann wehe jedem Weißen, der in ihre Hand geräth! Sie werden Keinen verschonen.«

»Sir, ereifert Euch nicht allzu sehr. Es ist auch für die Apachen gut gewesen, daß die Comanchen sich entfernen durften, weil sie eine Stunde später noch einen ihrer Häuptlinge verloren hätten, wenn die Comanchen nicht fort gewesen wären.«

Old Death machte eine Bewegung der Ueberraschung:

»Noch einen Häuptling, meint Ihr? Ah, ich errathe! Vier Tage ist’s her. Er hatte ein ausgezeichnetes Pferd und ist schneller geritten als wir. Er ist es gewesen, ganz gewiß er!«

»Wen meint Ihr denn?« fragte der Sergeant überrascht.

»Winnetou.«

»Ja, der war es. Kaum waren die Comanchen nach Westen hin verschwunden, so sahen wir gegen Osten, vom Rio Frio her, einen Reiter auftauchen. Er kam in das Fort, um sich Pulver und Blei und Revolverpatronen zu kaufen. Er war nicht mit den Abzeichen eines Stammes versehen, und wir kannten ihn nicht. Während des Einkaufes erfuhr er, was geschehen war. Zufälligerweise befand sich der Offizier du jour dabei. An diesen wendete sich der Indianer.«

»Das ist höchst, höchst interessant,« rief Old Death gespannt. »Ich hätte dabei sein mögen. Was sagte er zu dem Offizier?«

»Nichts als die Worte: »Viele Weiße werden es büßen müssen, daß eine solche That bei Euch geschah, ohne daß Ihr sie verhütet habt oder sie wenigstens bestraftet!« Dann trat er heraus aus dem Magazine und stieg in den Sattel. Der Offizier war ihm gefolgt, um den herrlichen Rappen zu bewundern, welchen der Rothe ritt, und dieser sagte ihm nun: »Ich will ehrlicher sein, als Ihr es seid. Ich sage Euch hiermit, daß vom heutigen Tage Kampf sein wird zwischen den Kriegern der Apachen und den Bleichgesichtern. Die Krieger der Apachen saßen in Frieden in ihren Zelten; da fielen die Comanchen heimtückisch über sie her, nahmen ihre Frauen, Kinder, Pferde und Zelte, tödteten Viele und führten die Uebrigen fort, um sie am Marterpfahle sterben zu lassen. Da hörten die weisen Väter der Apachen noch immer auf die mahnende Stimme des großen Geistes. Sie gruben nicht sofort das Kriegsbeil aus, sondern sandten ihre Boten zu Euch, um hier bei Euch mit den Comanchen zu verhandeln. Diese Boten aber wurden in Eurer Gegenwart ebenfalls überfallen und getödtet. Ihr habt den Mördern die Freiheit gegeben und damit bewiesen, daß Ihr die Feinde der Apachen seid. Alles Blut, welches von heute an fließt, soll über Euch kommen, aber nicht über uns!««

»Ja, ja, so ist er! Es ist, als ob ich ihn reden hörte!« meinte Old Death. »Was antwortete der Offizier?«

»Er fragte ihn, wer er sei, und nun erst sagte der Rothe, daß er Winnetou, der Häuptling der Apachen sei. Sofort rief der Offizier, man solle das Thor zuwerfen und den Rothen gefangen nehmen. Er hatte das Recht dazu, denn die Kriegserklärung war ausgesprochen, und Winnetou befand sich nicht in der Eigenschaft eines Parlamentärs bei uns. Aber dieser lachte laut auf, ritt Einige von uns über den Haufen, den Offizier dazu, und wendete sich gar nicht nach dem Thore, sondern setzte, grad wie der andere Apache vorher, über die Umplankung. Sofort wurde ihm ein Trupp Leute nachgesandt, aber sie bekamen ihn nicht wieder zu sehen.«

»Da habt Ihr es! Nun ist der Teufel los! Wehe dem Fort und der Besatzung desselben, wenn die Comanchen nicht siegen! Die Apachen werden Keinen von Euch leben lassen. Besuch habt Ihr nicht gehabt?«

»Nur ein einziges Mal, vorgestern gegen Abend, ein einzelner Reiter, welcher nach Sabinal wollte. Er nannte sich Clinton, das weiß ich ganz genau, denn ich hatte grad die Thorwache, als er kam.«

»Clinton! Hm! Ich will Euch einmal diesen Mann beschreiben. Schaut zu, ob er es ist!«

Er beschrieb Gibson, welcher sich ja bereits vorher den falschen Namen Clinton beigelegt hatte, und der Sergeant sagte, daß die Beschreibung ganz genau stimme. Zum Ueberflusse zeigte ich ihm die Photographie, in welcher er das zweifellose Bild des betreffenden Mannes erkannte.

»Da habt Ihr Euch belügen lassen,« meinte Old Death. »Der Mann hat keineswegs nach Sabinal gewollt, sondern er kam zu Euch, um zu erfahren, wie es bei Euch stehe. Er gehört zu dem Gesindel, von welchem Ihr vorhin redetet. Er ist also wieder zu seiner Gesellschaft gestoßen, welche auf ihn wartete. Sonst ist wohl nichts Wichtiges geschehen?«

»Ich weiß weiter nichts.«

»Dann sind wir fertig. Sagt also dem Major, daß Ihr mich getroffen habt. Ihr seid sein Untergebener und dürft ihm also nicht mittheilen, was ich von den letzten Ereignissen denke, aber Ihr hättet großes Unheil und viel Blutvergießen verhütet, wenn Ihr nicht so lax in der Erfüllung Eurer Pflicht gewesen wäret. Good bye, Boys

Er wendete sein Pferd zur Seite und ritt davon. Wir folgten ihm nach kurzem Gruße gegen die Dragoner, welche sich nun direct nach Norden wendeten. Wir legten im Galoppe eine große Strecke schweigend zurück. Old Death ließ den Kopf hängen und gab seinen Gedanken Audienz. Im Westen neigte sich die Sonne dem Untergange zu; es war höchstens noch eine Stunde Tag und doch sahen wir den südlichen Horizont noch immer wie eine messerscharfe Linie vor uns liegen. Wir hatten heute den Rio Leona erreichen wollen, wo es Baumwuchs gab. Letzterer hätte den Horizont als eine viel dickere Linie erscheinen lassen müssen. Darum stand zu vermuthen, daß wir dem Ziele unseres heutigen Rittes noch nicht nahe seien. Diese Bemerkung mochte sich auch Old Death im Stillen sagen, denn er trieb sein Pferd immer von Neuem an, wenn es in langsameren Gang fallen wollte. Und diese Eile hatte endlich auch Erfolg, denn eben als der sich vergrößernde Sonnenball den westlichen Horizont berührte, sahen wir im Süden einen dunklen Strich, welcher um so deutlicher wurde, je näher wir ihm kamen. Der Boden, welcher zuletzt aus kahlem Sande bestanden hatte, trug wieder Gras, und nun bemerkten wir auch, daß der erwähnte Strich aus Bäumen bestand, deren Wipfel uns nach dem scharfen Ritte einladend entgegenwinkten. Old Death deutete auf dieselben hin, erlaubte seinem Pferde, in Schritt zu gehen, und sagte:

»Wo in diesem Himmelsstriche Bäume stehen, muß Wasser in der Nähe sein. Wir haben den Leona-Fluß vor uns, an dessen Ufer wir lagern werden.«

Bald hatten wir die Bäume erreicht. Sie bildeten einen schmalen, sich an den beiden Flußufern hinstreckenden Hain, unter dessem Kronendach dichtes Buschwerk stand. Das Bett des Flusses war breit, um so geringer aber die Wassermasse, die er mit sich führte. Doch zeigte sich der Punkt, an welchem wir auf ihn trafen, nicht zum Uebergange geeignet, weßhalb wir langsam am Ufer aufwärts ritten. Nach kurzem Suchen fanden wir eine Stelle, wo das Wasser seicht über blinkende Kiesel glitt. Da hinein lenkten wir die Pferde, um hindurch zu reiten. Old Death war voran. Eben als sein Pferd die Hufe in das Wasser setzen wollte, hielt er es an, stieg ab und bückte sich nieder, um den Grund des Flusses aufmerksam zu betrachten.

»Well!« nickte er. »Dachte es doch! Hier stoßen wir auf eine Fährte, welche wir nicht eher bemerken konnten, weil das trockene Ufer aus starkem Kies besteht, welcher keine Spur aufnimmt. Betrachtet Euch einmal den Boden des Flusses!«

Auch wir stiegen ab und bemerkten runde, etwas mehr als handgroße Vertiefungen, welche in den Fluß hineinführten.

»Das ist eine Fährte?« fragte Lange. »Ihr habt jedenfalls Recht, Sir. Vielleicht ist’s ein Pferd gewesen, also ein Reiter.«

»Nun, Sam mag sich die Spur betrachten. Will sehen, was der von ihr meint.«

Der Neger hatte bescheiden hinter uns gestanden. Jetzt trat er vor, sah in das Wasser und meinte dann:

»Da sein gewesen zwei Reiter, welche hinüber über den Fluß.«

»Warum meinst Du, daß es Reiter und nicht herrenlose Pferde gewesen sind?«

»Weil Pferd, welches Eisen haben, nicht wilder Mustang sein, sondern zahmes Pferd, und darauf doch allemal sitzen Reiter. Auch seine Spuren tief. Pferde haben tragen müssen Last, und diese Last sein Reiter. Pferde nicht gehen neben einander in Wasser, sondern hinter einander. Auch bleiben stehen am Ufer, um zu saufen, bevor laufen hinüber. Hier aber nicht sind stehen bleiben, sondern stracks hinüber. Sind auch laufen neben einander. Das nur thun, wenn sie müssen, wenn gehorchen dem Zügel. Und wo ein Zügel sein, da auch ein Sattel, worauf sitzen Reiter.«

»Das hast Du gut gemacht!« lobte der Alte. »Ich selbst hätte es nicht besser erklären können. Ihr seht, Mesch’schurs, daß es Fälle gibt, in welchen ein Weißer noch genug von einem Schwarzen lernen kann. Aber die beiden Reiter haben Eile gehabt; sie haben ihren Pferden nicht einmal Zeit zum Saufen gelassen. Da diese aber jedenfalls Durst fühlten und jeder Westmann vor allen Dingen auf sein Pferd sieht, so calculire ich, daß sie erst drüben am andern Ufer trinken durften. Für diese zwei Männer muß es also einen Grund gegeben haben, vor allen Dingen zunächst hinüber zu kommen. Hoffentlich erfahren wir diesen Grund.«

Während dieser Untersuchung der Spuren hatten die Pferde das Wasser in langen Zügen geschlürft. Wir stiegen wieder auf und gelangten trocken hinüber, denn der Fluß war an dieser Stelle so seicht, daß nicht einmal die Steigbügel die Oberfläche berührten. Kaum waren wir wieder auf dem Trockenen, so sagte Old Death, dessen scharfem Auge nicht so leicht etwas entgehen konnte:

»Da haben wir den Grund. Seht Euch diese Linde an, deren Rinde von unten, so hoch wie ein Mann reichen kann, abgeschält ist! Und hier, was steckt da in der Erde?«

Er deutete auf den Boden nieder, in welchem zwei Reihen dünner Pflöcke steckten, die nicht stärker als ein Bleistift waren und auch die Länge eines solchen hatten.

»Was sollen diese Pflöcke?« fuhr Old Death fort. »In welcher Beziehung stehen sie zu der abgeschälten Rinde? Seht Ihr nicht die kleinen, vertrockneten Bastschnitzel, welche zerstreut da herum liegen? Diese im Boden steckenden Pflöcke sind als Maschenhalter gebraucht worden. Habt Ihr vielleicht einmal ein Knüpfbrett gesehen, mit dessen Hilfe man Netze, Tücher und dergleichen knüpft? Nicht? Nun, so ein Knüpfbrett haben wir vor uns, nur daß es nicht aus Holz und eisernen Stiften besteht. Die beiden Reiter haben aus Bast ein langes, breites Band geknüpft. Es ist zwei Ellen lang und sechs Zoll breit gewesen, wie man aus der Anordnung der Pflöcke ersehen kann, also schon mehr ein Gurt. Solche Bänder oder Gurten aus frischem Baste aber nehmen, wie ich weiß, die Indianer gern zum Verbinden von Wunden. Der saftige Bast legt sich kühlend auf die Wunde und zieht sich, wenn er trocken wird, so fest zusammen, daß er selbst einem verletzten Knochen leidlich Halt ertheilt. Ich calculire, daß wenigstens einer der beiden Reiter verwundet worden ist. Und nun schaut her in’s feuchte Wasser! Sehr Ihr die beiden muschelförmigen Vertiefungen des Grundsandes? Da haben sich die zwei Pferde im Wasser gewälzt. Das thun nur indianische Pferde. Man hatte ihnen die Sättel abgenommen, damit sie sich wälzen und erfrischen könnten, was man den Thieren nur dann erlaubt, wenn sie noch einen anstrengenden Weg vor sich haben. Wir dürfen also mit Sicherheit annehmen, daß die beiden Reiter sich hier nicht länger verweilt haben, als zur Anfertigung des Bastgurtes nothwendig war, und dann weiter geritten sind. Das Resultat unserer Untersuchung ist also folgendes. Zwei Reiter auf indianischen Pferden, von denen wenigstens einer verwundet war, und die es so eilig hatten, daß sie drüben die Pferde nicht trinken ließen, weil sie hüben die Linde stehen sahen, deren Bast sie als Verband benutzen wollten. Nach Anlegung dieses Verbandes sind sie schnell wieder fortgeritten. Was folgt daraus, Mesch’schurs? Strengt Ihr einmal Euer Gehirn an!« forderte der Alte mich auf.

»Will es versuchen,« antwortete ich. »Aber Ihr dürft mich nicht auslachen, wenn ich nicht das Richtige treffe!«

»Fällt mir gar nicht ein! Ich betrachte Euch als meinen Schüler, und von einem Lehrlinge kann man doch kein ausgewachsenes Urtheil verlangen.«

»Da die beiden Pferde indianische waren, so vermuthe ich, daß ihre Besitzer zu einem rothen Stamme gehörten. Ich muß dabei an die Ereignisse in Fort Inge denken. Der eine der Apachen entkam, wurde aber verwundet. Winnetou ritt auch schleunigst davon, ist dem ersteren jedenfalls ohne Aufenthalt nachgefolgt und hat denselben, da er ein ausgezeichnetes Pferd besitzt, wohl bald eingeholt.«

»Nicht übel!« nickte Old Death. »Wißt Ihr noch etwas?«

»Ja. Es kam den beiden Apachen vor allen Dingen darauf an, so schnell wie möglich ihre Stammesgenossen zu erreichen, um ihnen die im Fort erlittene Schmach mitzutheilen und sie darauf aufmerksam zu machen, daß die Ankunft der feindlichen Comanchen baldigst zu erwarten sei. Daher ihre große Eile. Also haben sie sich erst hier Zeit genommen, die Wunde zu verbinden, zumal sie sich vorher gesagt haben, daß am Flusse wohl Bast zu finden sei. Und daher haben sie ihren Pferden nur die nothwendigste Erfrischung gegönnt und sind dann sofort weiter geritten.«

»So ist es. Ich bin zufrieden mit Euch. Ich halte es für gar nicht zweifelhaft, daß es Winnetou mit dem entkommenen Friedensunterhändler war. Wir kommen freilich zu spät, um draußen im Grase ihre Fährte zu finden; aber ich kann mir denken, welche Richtung sie eingeschlagen haben. Sie mußten über den Rio grande, grade wie wir, haben die gradeste Richtung eingeschlagen, was auch wir thun werden, und so calculire ich, daß wir wohl noch auf irgend ein Zeichen von ihnen stoßen werden. Nun wollen wir uns nach einem Platze umsehen, an dem wir lagern können, denn morgen müssen wir möglichst zeitig aufbrechen.«

Sein geübtes Auge fand sehr bald eine passende Stelle, ein rund von Büschen umgebenes offenes Plätzchen, dicht mit saftigem Grase bestanden, an welchem unsere Pferde sich gütlich thun konnten. Wir sattelten sie ab und pflockten sie an den Lasso’s an, welche wir aus La Grange mitgenommen hatten. Dann lagerten wir uns wieder und hielten von dem Reste unseres Speisevorrathes ein bescheidenes Abendmahl. Auf meine Erkundigung, ob wir nicht ein Lagerfeuer anbrennen wollten, antwortete Old Death, indem er eine spöttisch pfiffige Miene zog:

»Habe diese Frage von Euch erwartet, Sir. Habt wohl früher manche schöne Indianergeschichte von Cooper und anderen gelesen? Haben Euch wohl sehr gefallen, diese hübschen Sachen?«

»Ziemlich.«

»Hm, ja! Das liest sich so gut; das geht Alles so glatt und reinlich. Man brennt sich die Pfeife oder die Cigarre an, setzt sich auf das Sopha, legt die Beine hoch und vertieft sich in das schöne Buch, welches der Leihbibliothekar geschickt hat. Aber lauft nur einmal selbst hinaus in den Urwald, in den fernen Westen! Da geht es wohl ein wenig anders zu, als es in solchen Büchern zu lesen ist. Cooper ist ein ganz tüchtiger Romanschreiber gewesen, und auch ich habe seine Lederstrumpferzählungen genossen; aber im Westen war er nicht. Er hat es ausgezeichnet verstanden, die Poesie mit der Wirklichkeit zu verbinden; aber im Westen hat man es eben nur mit der letzteren zu thun, und von der Poesie habe wenigstens ich noch keine Spur entdecken können. Da liest man von einem hübsch brennenden Lagerfeuer, an welchem eine saftige Büffellende gebraten wird. Aber ich sage Euch, wenn wir jetzt ein Feuerchen anzündeten, so würde der Brandgeruch jeden Indsman herbeilocken, welcher sich innerhalb einer um uns gezogenen Kreislinie befindet, deren Halbmesser von hier weg zwei englische Meilen beträgt.«

»Eine Stunde fast! Ist das möglich?«

»Werdet wohl noch erfahren, was für Nasen die Rothen haben. Und wenn sie es nicht riechen sollten, so wittern es ihre Pferde, welche es ihnen durch jenes fatale Schnauben verrathen, das den Thieren anerzogen ist und schon manchem Weißen das Leben gekostet hat. Darum meine ich, wir sehen heute von der Poesie eines Lagerfeuers ab.«

»Aber es steht doch wohl nicht zu befürchten, daß sich Indianer in unserer Nähe befinden, weil die Comanchen sich noch nicht unterwegs befinden können. Bevor die Unterhändler heim gekommen sind und die dann ausgesendeten Boten die Krieger der verschiedenen Stämme zusammengeholt haben, muß eine leidliche Zeit vergehen.«

»Hm! Was so ein Greenhorn doch für kluge Reden halten kann! Leider habt Ihr dreierlei vergessen. Nämlich erstens befinden wir uns eben im Comanchengebiete. Zweitens sind ihre Krieger bereits bis hinüber in’s Mexico geschwärmt. Und drittens sind auch die Zurückgebliebenen nicht erst langsam zusammen zu trommeln, sondern jedenfalls längst versammelt und zum Kriegszuge gerüstet. Oder haltet Ihr die Comanchen für so dumm, die Abgesandten der Apachen zu tödten, ohne zum sofortigen Aufbruche gerüstet zu sein? Ich sage Euch, der Verrath gegen diese Abgesandten war keineswegs eine Folge augenblicklichen Zornes; er war vorher überlegt und beschlossen. Ich calculire, daß es am Rio grande bereits Comanchen gibt, und befürchte, daß es Winnetou sehr schwer sein wird, unbemerkt an ihnen vorüber zu kommen.«

»So haltet Ihr es mit den Apachen?«

»Im Stillen, ja. Ihnen ist Unrecht geschehen. Sie sind schändlich überfallen worden. Zudem habe ich grad für diesen Winnetou eine außerordentliche Sympathie. Aber die Klugheit verbietet uns, Partei zu ergreifen. Wollen uns gratuliren, wenn wir mit heiler Haut unser Ziel erreichen, und es uns ja nicht einfallen lassen, entweder mit der einen oder der andern Seite zu liebäugeln. Uebrigens habe ich keine allzu große Veranlassung, mich vor den Comanchen zu fürchten. Sie kennen mich. Ich habe ihnen wissentlich niemals ein Leid gethan und bin oft bei ihnen gewesen und ganz freundlich aufgenommen worden. Einer ihrer bekanntesten Häuptlinge, Oyo-koltsa, zu deutsch »der weiße Biber«, ist sogar mein besonderer Freund, dem ich einen Dienst geleistet habe, welchen nie zu vergessen er mir versprochen hat. Das geschah droben am Red River, wo er von einer Truppe Tschickasah’s überfallen wurde und sicher Scalp und Leben hätte lassen müssen, wenn ich nicht dazugekommen wäre. Diese Freundschaft ist jetzt für uns von großer Wichtigkeit. Ich werde mich auf dieselbe berufen, wenn wir auf Comanchen stoßen und von ihnen feindselig behandelt werden sollten. Uebrigens sind wir fünf Männer, und ich hoffe, daß ein jeder von uns mit seinem Gewehre umzugehen versteht. Ehe ein Roter meine Kopfhaut samt der Frisur bekommt, müßten vorher ein Dutzend seiner Gefährten sich Billetts nach den ewigen Jagdgründen lösen. Wir müssen auf alle Fälle vorbereitet sein und uns grad so verhalten, als ob wir uns im feindlichen Lande befänden. Darum werden wir nicht alle fünf zugleich schlafen, sondern einer muß wachen, und die Wache wird von Stunde zu Stunde abgelöst. Wir losen mit Grashalmen von verschiedener Länge, um die Reihenfolge der Wache zu bestimmen. Das gibt fünf Stunden Schlafes, woran wir genug haben können.«

Er schnitt fünf Halme ab. Ich bekam die letzte Wache. Indessen war es Nacht und ganz dunkel geworden. So lange wir noch nicht schliefen, brauchten wir keine Wache, und zum Schlafen war keiner von uns aufgelegt. Wir steckten uns Cigarren an und erfreuten uns einer anregenden Unterhaltung, welche dadurch sehr interessant wurde, daß Old Death uns verschiedene seiner Erlebnisse erzählte. Ich bemerkte, daß er dieselben so auswählte, daß wir beim Zuhören lernen konnten. So verging die Zeit. Ich ließ die Uhr repetiren, sie gab halb elf an. Plötzlich hielt Old Death inne und lauschte aufmerksam. Eins unserer Pferde hatte geschnaubt, und zwar auf eine so eigenartige Weise, wie vor Aufregung und Angst, daß es auch mir aufgefallen war.

»Hm!« brummte er. »Was war denn das? Habe ich nicht Recht gehabt, als ich zu Cortesio sagte, daß unsere beiden Klepper bereits in der Prairie gewesen seien? So schnaubt nur ein Thier, welches einen Westmann getragen hat. In der Nähe muß sich irgend etwas Verdächtiges befinden. Aber seht Euch ja nicht um, Mesch’schurs! Zwischen dem Gebüsch ist es stockdunkel, und wenn man die Augen anstrengt, in solcher Finsterniß etwas zu sehen, so erhalten sie, ohne daß man es ahnt, einen Glanz, welchen der Feind bemerken kann. Schaut also ruhig vor Euch nieder! Ich selbst werde umherlugen und dabei den Hut in’s Gesicht ziehen, damit meine Augen nicht leicht zu bemerken sind. Horcht! Abermals! Rührt Euch nicht!«

Das Schnauben hatte sich wiederholt. Eins der Pferde – es war wohl das meinige – stampfte mit den Hufen, als ob es sich von dem Lasso reißen wollte. Wir schwiegen, was ich für ganz natürlich hielt. Aber Old Death flüsterte:

»Was fällt Euch denn ein, jetzt so plötzlich still zu sein! Wenn wirklich Jemand in der Nähe ist und uns belauscht, so hat er uns sprechen gehört und bemerkt nun aus dem Schweigen, daß uns das Schnauben des Pferdes aufgefallen ist und unsern Verdacht erregt hat. Also redet, redet weiter! Erzählt Euch etwas, gleich viel, was es ist.«

Da aber sagte der Neger leise:

»Sam wissen, wo Mann sein. Sam haben sehen zwei Augen.«

»Gut! Aber schau nicht mehr hin, sonst sieht er auch Deine Augen. Wo ist es denn?«

»Wo Sam haben anhängen sein Pferd, rechts bei den wilden Pflaumensträuchern. Ganz tief unten am Boden ganz schwach funkeln sehen zwei Punkte.«

»Gut! Ich werde mich in den Rücken des Mannes schleichen und ihn ein wenig beim Genick nehmen. Daß mehrere da sind, ist nicht zu befürchten, denn in diesem Falle würden sich unsere Pferde wohl ganz anders verhalten. Sprecht also laut fort! Das hat doppelten Nutzen, denn erstens denkt da der Mann, daß wir keinen Verdacht mehr haben, und zweitens verdeckt Euer Sprechen das Geräusch, welches ich bei dieser Finsterniß nur sehr schwer vermeiden kann.«

Lange warf mir eine laute Frage hin, welche ich ebenso laut beantwortete. Daraus entspann sich ein Wortwechsel, welchem eine lustige Färbung zu geben ich mich bemühte, damit wir Grund zum Lachen bekamen. Lautes Lachen war wohl am geeignetsten, den Lauscher von unserer Sorglosigkeit zu überzeugen und ihn nichts von Old Death’s Annäherung hören zu lassen. Will und auch der Neger stimmten ein, und so waren wir wohl über zehn Minuten lang ziemlich laut, bis dann Old Death’s Stimme sich hören ließ:

»Hollah! Schreit nicht länger wie Löwen! Es ist nicht mehr nöthig, denn ich habe ihn. Werde ihn bringen.«

Wir hörten es dort, wo des Negers Pferd angepflockt stand, rascheln, und dann kam der Alte schweren Schrittes herbei, um die Last, welche er trug, vor uns niederzulegen.

»So!« sagte er. »Das war ein sehr leichter Kampf, denn der Lärm, den Ihr machtet, war so bedeutend, daß dieser Indsman sogar ein Erdbeben mit Allem, was dazu gehört, nicht hätte bemerken können.«

»Ein Indianer? So sind noch mehrere in der Nähe?«

»Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Aber nun möchten wir doch ein wenig Licht haben, um uns den Mann ansehen zu können. Habe da vorn trockenes Laub und auch ein kleines verdorrtes Bäumchen gesehen. Werde es holen. Achtet einstweilen auf den Mann!«

»Er bewegt sich nicht. Ist er todt?«

»Nein, aber sein Bewußtsein ist ein wenig spazieren gegangen. Habe ihm mit seinem eigenen Gürtel die Hände auf den Rücken gebunden. Ehe die Besinnung ihm wiederkommt, werde auch ich zurück sein..«

Er ging, um das erwähnte Bäumchen abzuschneiden, welches wir, als er es gebracht hatte, mit den Messern zerkleinerten. Zündhölzer hatten wir, und so brannte bald ein kleines Feuer, dessen Schein hinreichte, den Gefangenen genau betrachten zu können. Das Holz war so trocken, daß es fast gar keinen Rauch verbreitete.

Jetzt sahen wir uns den Rothen an. Er trug indianische Hosen mit Lederfransen, ein eben solches Jagdhemde und einfache Moccassins ohne alle Verzierung. Sein Kopf war glatt geschoren, so daß man auf der Mitte des Scheitels nur die Scalplocke stehen gelassen hatte. Sein Gesicht war mit Farbe bemalt, schwarze Querstriche auf gelbem Grunde. Seine Waffen und Alles, was an seinem Ledergürtel gehangen hatte, waren ihm von Old Death genommen worden. Diese Waffen bestanden in einem Messer und Bogen mit ledernem Pfeilköcher. Die beiden letzteren Gegenstände waren mit einem Riemen zusammengebunden. Er lag bewegungslos und mit geschlossenen Augen da, als ob er todt sei.

»Ein einfacher Krieger,« sagte Old Death, »der nicht einmal den Beweis, daß er einen Feind erlegt hat, bei sich trägt. Er hat weder den Scalp eines von ihm Besiegten am Gürtel hängen, noch sind seine Leggins mit Menschenhaarfransen versehen. Nicht einmal einen Medizinbeutel trägt er bei sich. Er besitzt also entweder noch keinen Namen oder er hat ihn verloren, weil ihm seine Medizin abhanden gekommen ist. Nun ist er als Kundschafter verwendet worden, weil das eine gefährliche Sache ist, bei welcher er sich auszeichnen, einen Feind erlegen und also sich wieder einen Namen holen kann. Schaut, er bewegt sich. Er wird gleich zu sich kommen. Seid still!«

Der Gefangene streckte die Glieder und holte tief Athem. Als er fühlte, daß ihm die Hände gebunden waren, ging es wie ein Schreck durch seinen Körper. Er öffnete die Augen, machte einen Versuch, empor zu springen, fiel aber wieder nieder. Nun starrte er uns mit glühenden Augen an. Als sein Blick dabei auf Old Death fiel, entfuhr es seinem Munde:

»Koscha-pehve!«

Das ist ein Comanchenwort und heißt genau so viel wie Old Death = der »alte Tod«. »Ja, ich bin es,« nickte der Scout. »Kennt mich der rothe Krieger?«

»Die Söhne der Comanchen kennen den Mann, welcher diesen Namen führt, sehr genau, denn er ist bei ihnen gewesen.«

»Du bist ein Comanche. Ich sah es an den Farben des Krieges, welche Du im Gesichte trägst. Wie lautet Dein Name?«

»Der Sohn der Comanchen hat seinen Namen verloren und wird nie wieder einen tragen. Er zog aus, ihn sich zu holen; aber er ist in die Hände der Bleichgesichter gefallen und hat Schimpf und Schande auf sich geladen. Er bittet die weißen Krieger, ihn zu tödten. Er wird den Kriegsgesang anstimmen, und sie sollen keinen Laut der Klage hören, wenn sie seinen Leib am Marterpfahle rösten.«

»Wir können Deine Bitte nicht erfüllen, denn wir sind Christen und Deine Freunde. Ich habe Dich gefangen genommen, weil es so dunkel war, daß ich nicht sehen konnte, daß Du ein Sohn der mit uns in Frieden lebenden Comanchen bist. Du wirst am Leben bleiben und noch viele große Thaten verrichten, so daß Du Dir einen Namen holst, vor welchem Eure Feinde erzittern. Du bist frei.«

Er band ihm die Hände los. Ich hatte erwartet, daß der Comanche nun erfreut aufspringen werde; aber er that es nicht, er blieb liegen, als ob er noch gefesselt sei, und sagte:

»Der Sohn der Comanchen ist doch nicht frei. Er will sterben. Stoß ihm Dein Messer in das Herz!«

»Dazu habe ich keinen Anlaß und nicht die mindeste Lust. Warum soll ich Dich tödten?«

»Weil Du mich überlistet und gefangen genommen hast. Wenn die Krieger der Comanchen es erfahren, werden sie mich von sich jagen und sagen: Erst hatte er die Medizin und den Namen verloren, und dann lief er in die Hände des Bleichgesichtes. Sein Auge ist blind und sein Ohr taub, und er wird niemals würdig sein, das Zeichen des Kriegers zu tragen.«

Er sagte das in so traurigem Tone, daß er mir wirklich leid that. Ich konnte zwar nicht alle seine Worte verstehen, denn er sprach ein sehr mit indianischen Ausdrücken gespicktes Englisch; aber was ich nicht verstand, das suchte ich zu errathen.

»Unser rother Bruder trägt keine Schande auf seinem Haupte,« sagte ich schnell, ehe Old Death antworten konnte. »Von einem berühmten Bleichgesichte, wie Koscha-pehve, überlistet zu werden, ist keine Schande, und übrigens werden die Krieger der Comanchen es nie erfahren, daß Du unser Gefangener gewesen bist. Unser Mund wird darüber schweigen.«

»Und wird Koscha-pehve dies besthätigen?« fragte der Indianer.

»Sehr gern,« stimmte der Alte bei. »Wir werden thun, als ob wir uns ganz friedlich getroffen hätten. Ich bin Euer Freund, und es ist kein Fehler von Dir, wenn Du offen zu mir trittst, sobald Du erkannt hast, daß ich es bin.«

»Mein weißer, berühmter Bruder spricht Worte der Freude für mich. Ich traue seiner Rede und kann mich erheben, denn ich werde nicht mit Schimpf zu den Kriegern der Comanchen zurückkehren. Den Bleichgesichtern aber werde ich für ihre Verschwiegenheit dankbar sein, so lange meine Augen die Sonne sehen.«

Er erhob sich in sitzende Stellung und that einen tiefen, tiefen Athemzug. Seinem dick beschmierten Gesichte war keine Gemüthsbewegung anzusehen, aber doch bemerkten wir sofort, daß wir ihm das Herz sehr erleichtert hatten. Natürlich überließen wir es dem erfahrenen Scout, die Unterhaltung mit ihm fortzusetzen. Der Alte zögerte auch gar nicht, dies zu thun. Er sagte:

»Unser rother Freund hat gesehen, daß wir es gut mit ihm meinen. Wir hoffen, daß auch er uns als seine Freunde betrachten und also meine Fragen aufrichtig beantworten werde.«

»Koscha-pehve mag fragen. Ich sage nur die Wahrheit.«

»Ist mein indianischer Bruder allein ausgezogen, vielleicht nur, um einen Feind oder ein gefährliches wildes Thier zu erlegen, damit er mit einem neuen Namen in sein Wigwam zurückkehre? Oder sind noch andere Krieger bei ihm?«

»So viele, wie Tropfen da im Flusse laufen.«

»Will mein rother Bruder damit sagen, daß sämmtliche Krieger der Comanchen ihre Zelte verlassen haben?«

»Sie sind ausgezogen, um sich die Scalpe ihrer Feinde zu holen.«

»Welcher Feinde?«

»Der Hunde der Apachen. Es ist von den Apachen ein Gestank ausgegangen, welcher bis zu den Zelten der Comanchen gedrungen ist. Darum haben sie sich auf ihre Pferde gesetzt, um die Coyoten von der Erde zu vertilgen.«

»Haben sie vorher den Rath der alten, weisen Häuptlinge gehört?«

»Die betagten Krieger sind zusammengetreten und haben den Krieg beschlossen. Dann mußten die Medizinmänner den großen Geist befragen, und die Antwort Manitou’s ist befriedigend ausgefallen. Von den Lagerstätten der Comanchen bis zum großen Flusse, welchen die Bleichgesichter Rio grande del Norte nennen, wimmelt es bereits von unsern Kriegern. Die Sonne ist viermal untergegangen, seit das Kriegsbeil von Zelt zu Zelt getragen wurde.«

»Und mein rother Bruder gehört zu einer solchen Kriegerschaar?«

»Ja. Wir lagern oberhalb dieser Stelle am Flusse. Es wurden Kundschafter ausgesandt, um zu untersuchen, ob die Gegend sicher sei. Ich ging abwärts und kam hierher, wo ich die Pferde der Bleichgesichter roch. Ich kroch zwischen die Büsche, um ihre Zahl zu erfahren; da aber kam Koscha-pehve über mich und tödtete mich für kurze Zeit.«

»Das ist vergessen, und Niemand soll davon sprechen. Wie viele Krieger der Comanchen sind es, welche da oben lagern?«

»Es sind ihrer grad zehn mal zehn.«

»Und wer ist ihr Anführer?«

»Avat-vila, der junge Häuptling.«

»Den kenne ich nicht und habe seinen Namen noch niemals gehört.«

»Er hat diesen Namen erst vor wenigen Monaten erhalten, weil er in den Bergen den grauen Bären getödtet hatte und dessen Fell und Klauen mitbrachte. Er ist der Sohn von Oyo-koltsa, den die Bleichgesichter den »weißen Biber« nennen.«

»O, den kenne ich. Er ist mein Freund.«

»Ich weiß es, denn ich habe Dich bei ihm gesehen, als Du der Gast seines Zeltes warest. Sein Sohn, der »große Bär«, wird Dich freundlich empfangen.«

»Wie weit ist der Ort von hier entfernt, an welchem er mit seinen Kriegern lagert?«

»Mein weißer Bruder wird nicht die Hälfte der Zeit reiten, welche er eine Stunde nennt.«

»So werden wir ihn bitten, seine Gäste sein zu dürfen. Mein rother Freund mag uns führen.«

Nach kaum fünf Minuten saßen wir auf und ritten fort; der Indianer schritt uns voran. Er führte uns erst unter den Bäumen hinaus bis dahin, wo das Terrain offen war, und nun wendete er sich flußaufwärts.

Ich sollte zum ersten Male in meinem Leben ein indianisches Lager betreten, und zwar ein Kriegslager. Ich fühlte Neugierde und zugleich eine gewisse Bangigkeit. Das war wohl nicht zu verwundern. Mir schien es, als ob Old Death ein wenig unvorsichtig gehandelt habe, denn wir hatten gar nicht die Gewißheit, daß die Comanchen uns freundlich aufnehmen würden. Als ich ihm indessen darüber eine Bemerkung machte, fertigte er mich sehr kurz ab.

Während des Rittes fand ich bestätigt, was ich früher gehört hatte, daß nämlich die Indianer sehr gute Läufer sind. Unsere Pferde hatten einen scharfen Schritt zu nehmen, um mit dem Rothen fort zu kommen. Plötzlich tauchten mehrere dunkle Gestalten vor uns auf. Es waren die Lagerposten. Der Führer wechselte einige Worte mit ihnen und entfernte sich dann. Wir aber mußten halten bleiben. Nach einiger Zeit kehrte er zurück, um uns zu holen. Es war stockdunkel. Der Himmel hatte sich getrübt, und kein Stern war mehr zu erkennen. Ich schaute fleißig nach rechts und nach links, konnte aber nichts erkennen. Nun mußten wir wieder anhalten. Der Führer sagte:

»Meine weißen Brüder mögen sich nicht mehr vorwärts bewegen. Die Söhne der Comanchen brennen während eines Kriegszuges kein Feuer an, aber jetzt sind sie überzeugt, daß sich kein Feind in der Nähe befindet, und so werden sie Feuer machen.«

Er huschte fort. Nach wenigen Augenblicken sah ich ein glimmendes Pünktchen, so groß wie eine Stecknadelkuppe.

»Das ist Punks,« erklärte Old Death.

»Was ist Punks?« erkundigte ich mich.

»Das Prairiefeuerzeug. Zwei Hölzer, ein breites und ein dünnes, rundes. Das breite hat eine kleine Vertiefung, welche mit Punks, d. h. mit trockenem Moder aus hohlen, ausgefaulten Bäumen gefüllt wird. Das ist der beste Zunder, den es gibt. Das dünne Stäbchen wird dann auch in die Vertiefung auf den Moder gesetzt und mit beiden Händen schnell wie ein Quirl bewegt. Durch diese Reibung erhitzt und entzündet sich der Zunder. Seht!«

Ein Flämmchen flackerte auf und ward zur großen, von einem trockenen Laubhaufen genährten Flamme. Doch bald sank sie wieder nieder, denn der Indianer duldet keinen weit leuchtenden Feuerschein. Es wurden Aststücke angelegt und zwar rund im Kreise, so daß sie mit einem Ende nach dem Mittelpunkte zeigten. Auf diesem Centrum brannte das Feuer, welches auf diese Weise leicht zu regeln war, denn je nachdem man das Holz näher heran oder zurückschob, wurde das Feuer groß oder kleiner. Als das Laub hoch aufflammte, sah ich, wo wir uns befanden. Wir hielten unter Bäumen und waren rings von Indianern umgeben, welche ihre Waffen in den Händen hielten. Nur einige Wenige hatten Gewehre, die Andern waren mit Lanzen, Pfeilen und Bogen bewaffnet. Alle aber trugen Tomahawks, jenes fürchterliche Kriegsbeil der Indianer, welches in der Hand eines geübten Kriegers eine weit gefährlichere Waffe ist, als man gewöhnlich annimmt. Als das Feuer geregelt war, erhielten wir die Weisung, abzusteigen. Man führte unsere Pferde fort, und nun befanden wir uns in der Gewalt der Rothen, denn ohne Pferde war in dieser Gegend nichts zu machen. Zwar hatte man uns die Waffen nicht abverlangt, aber fünf gegen hundert ist kein sehr erquickliches Verhältniß.

Wir durften zum Feuer treten, an welchem ein einzelner Krieger saß. Man konnte ihm nicht ansehen, ob er jung oder alt war, denn auch sein Gesicht war über und über gefärbt und zwar ganz in denselben Farben und in derselben Weise wie dasjenige des Kundschafters. Sein Haar hatte er in einen hohen Schopf geflochten, in welchem die Feder des weißen Kriegsadlers steckte. An seinem Gürtel hingen zwei Scalpe, und an einer um seinen Hals gehenden Schnur waren der Medizinbeutel und das Calummet, die Friedenspfeife, befestigt. Quer über seinen Knieen lag die Flinte, ein altes Ding von Anno Zwanzig oder Dreißig. Er blickte uns nach einander aufmerksam an. Den Schwarzen schien er nicht zu sehen, denn der rothe Mann verachtet den Neger. Das waren unerquickliche Augenblicke, denn wenn wir ihm nicht gefielen, so war es um uns geschehen. Wenigstens dachte ich so und äußerte meine Meinung unserem alten Freunde.

»Unsinn!« sagte Old Death in deutscher Sprache, um von den Rothen nicht verstanden zu werden. »Wir wollen ihm zeigen, daß auch wir Häuptlinge sind. Setzt Euch also auch, und laßt mich reden!«

Er setzte sich dem Häuptlinge gegenüber, und wir thaten dasselbe. Nur Sam blieb stehen, denn er wußte, daß er als Schwarzer sein Leben wage, wenn er den Vorzug der Häuptlinge, am Feuer zu sitzen, auch für sich in Anspruch nehme.

»Uff!« rief der Indianer zornig, und stieß noch mehrere Worte hervor, welche ich indessen nicht verstand.

»Verstehst Du die Sprache der Bleichgesichter?« fragte Old Death.

»Avat-vila versteht sie; aber er spricht sie nicht, weil es ihm nicht beliebt,« antwortete der Häuptling, wie Old Death uns augenblicklich übersetzte.

»Ich bitte Dich aber, sie jetzt zu sprechen!«

»Warum?«

»Weil meine Gefährten die Sprache der Comanchen nicht verstehen und doch auch wissen müssen, was gesprochen wird.«

»Sie befinden sich bei den Comanchen und haben sich der Sprache derselben zu bedienen. Das fordert die Höflichkeit.«

»Du irrst. Sie können sich keiner Sprache bedienen, welche sie nicht kennen. Das siehst Du wohl ein. Und sie befinden sich hier als Gäste der Comanchen. Also haben sie die Höflichkeit zu fordern, welche Du von ihnen verlangst, Du kannst englisch sprechen. Wenn Du es nicht redest, so glauben sie nicht, daß Du es kannst.«

»Uff!« rief er. Und dann fuhr er in gebrochenem Englisch fort: »Ich habe gesagt, daß ich es kann, und ich lüge nicht.

Wenn sie es nicht glauben, so beleidigen sie mich, und ich lasse sie tödten! Warum habt Ihr es gewagt, Euch zu mir zu setzen?«

»Weil wir als Häuptlinge das Recht dazu haben.«

»Wessen Häuptling bist Du?«

»Der Häuptling der Scouts.«

»Und dieser?« Dabei deutete er auf Lange.

»Der Häuptling der Schmiede, welche Waffen verfertigen.«

»Und dieser?« Er meinte Will.

»Dieser ist sein Sohn und macht Schwerter, mit denen man die Köpfe spaltet, auch Tomahawks.«

Das schien zu imponiren, denn der Rothe sagte:

»Wenn er das kann, so ist er ein sehr geschickter Häuptling. Und dieser da?« Er nickte gegen mich hin.

»Dieser berühmte Mann ist aus einem fernen Lande weit über das Meer herüber gekommen, um die Krieger der Comanchen kennen zu lernen. Er ist ein Häuptling der Weisheit und Kenntniß aller Dinge und wird nach seiner Rückkehr Tausenden erzählen, was für Männer die Comanchen sind.«

Das schien über das Begriffsvermögen des Rothen zu gehen. Er betrachtete mich sehr sorgsam und sagte dann.

»So gehört er unter die klugen und erfahrenen Männer? Aber sein Haar ist nicht weiß.«

»In jenem Lande werden die Söhne gleich so klug geboren, wie hier die Alten.«

»So muß der große Geist dieses Land sehr lieb haben. Aber die Söhne der Comanchen bedürfen seiner Weisheit nicht, denn sie sind selbst klug genug, um zu wissen, was zu ihrem Glücke erforderlich ist. Die Weisheit scheint nicht mit ihm in dieses Land gekommen zu sein, weil er es wagt, unsern Kriegspfad zu kreuzen. Wenn die Krieger der Comanchen den Tomahawk ausgegraben haben, dulden sie keine weißen Männer bei sich.«

»So scheinst Du nicht zu wissen, was Eure Abgesandten in Fort Inge gesagt haben. Sie haben versichert, daß sie nur mit den Apachen Krieg führen wollen, aber den Bleichgesichtern freundlich gesinnt bleiben werden.«

»Sie mögen halten, was sie gesagt haben, ich aber war nicht dabei.«

Er hatte bisher in einem sehr feindlichen Tone gesprochen, so daß meine Sorgen sich keineswegs verkleinerten. Old Death hatte seine Antworten in freundlicher Weise gegeben. Jetzt hielt er es für gerathen, seinen Ton zu ändern, denn er fuhr zornig auf:

»So sprichst Du? Wer bist Du denn eigentlich, daß Du es wagst, zu Koscha-pehve solche Worte zu sagen? Warum hast Du mir Deinen Namen nicht genannt? Hast Du einen? Wenn nicht, so nenne mir denjenigen Deines Vaters!«

Der Häuptling schien vor Erstaunen über diese Kühnheit ganz starr zu sein, sah dem Sprecher eine lange, lange Weile unverwandt in das Gesicht und antwortete dann:

»Mann! Soll ich Dich zu Tode martern lassen?«

»Das wirst Du bleiben lassen!«

»Ich bin Avat-vila, der Häuptling der Comanchen.«

»Avat-vila? Der »große Bär«? Als ich den ersten Bären erlegte, war ich ein Knabe und seit jener Zeit habe ich so viele Grizzly’s getödtet, daß ich meinen ganzen Körper mit ihren Klauen behängen könnte. Wer einen Bären erlegt hat, der ist in meinen Augen noch kein großer Held.«

»So sieh die Scalpe an meinem Gürtel!«

»Pshaw! Hätte ich allen denen, welche ich besiegte, die Scalplocke genommen, so könnte ich Deine ganze Kriegerschaar mit denselben schmücken. Auch das ist nichts!«

»Ich bin der Sohn von Oyo-koltsa, dem großen Häuptlinge!«

»Das will ich eher als eine Empfehlung gelten lassen. Ich habe mit dem »weißen Biber« die Pfeife des Friedens geraucht. Wir schworen einander, daß seine Freunde auch die meinigen, meine Freunde auch die seinigen sein sollten, und haben stets Wort gehalten. Hoffentlich ist sein Sohn ebenso gesinnt wie der Vater!«

»Du redest eine sehr kühne Sprache. Hältst Du die Krieger der Comanchen für Mäuse, welche der Hund anzubellen wagt, wie es ihm beliebt?«

»Wie sagst du? Hund? Hältst Du Old Death für einen Hund, den man nach Belieben prügeln darf? Dann würde ich Dich augenblicklich nach den ewigen Jagdgründen senden!«

»Uff! Hier stehen hundert Männer!«

Er zeigte mit der Hand ringsum.

»Gut!«, erwiederte der Alte. »Aber hier sitzen wir, und wir zählen ebenso viel wie Deine hundert Comanchen. Sie alle können nicht verhüten, daß ich Dir eine Kugel in den Leib jage. Und dann würden wir auch mit ihnen ein Wort reden. Sieh her! Hier habe ich zwei Revolver. In jedem stecken sechs Kugeln. Meine vier Gefährten sind ebenso bewaffnet, das gibt sechzig Kugeln, und sodann haben wir noch die Büchsen und Messer. Bevor wir überwunden würden, müßte die Hälfte Deiner Krieger sterben.«

So war mit dem Häuptling noch nicht gesprochen worden. Fünf Männer gegen hundert! Und doch trat der Alte in dieser Weise auf! Das schien dem Rothen unbegreiflich, und darum sagte er:

»Du mußt eine starke Medizin besitzen!«

»Ja, ich habe eine Medizin, ein Amulet, welches bisher jeden meiner Feinde in den Tod geschickt hat, und so wird es auch bleiben. Ich frage Dich, ob Du uns als Freund anerkennen willst oder nicht!«

»Ich werde mich mit meinen Kriegern berathen.«

»Ein Häuptling der Comanchen muß seine Leute um Rath fragen? Das habe ich bisher nicht geglaubt. Weil Du es aber sagst, so muß ich es glauben. Wir sind Häuptlinge, welche thun, was ihnen beliebt. Wir haben also mehr Ansehen und Macht als Du und können folglich nicht mit Dir an einem Feuer sitzen. Wir werden unsere Pferde besteigen und davonreiten.«

Er stand auf, noch immer die beiden Revolver in der Hand. Auch wir erhoben uns. Der »große Bär« fuhr von seinem Sitze auf, als ob er von einer Natter gestochen worden sei. Seine Augen flammten, und seine Lippen öffneten sich, so daß man die weißen Zähne sehen konnte. Er kämpfte sicherlich einen harten Kampf mit sich selbst. Im Falle eines Kampfes hätten wir die Kühnheit des Alten mit dem Leben bezahlen müssen; aber ebenso sicher war es, daß Mehrere oder gar Viele der Comanchen von uns getödtet oder verwundet wurden. Der junge Häuptling wußte, welch eine furchtbare Waffe so eine Drehpistole ist, und daß er der Erste sein würde, den die Kugel treffen müsse. Er war seinem Vater verantwortlich für Alles, was geschah, und wenn auch bei den Indianern niemals ein Mann zur Heeresfolge gezwungen wird – folgt er einmal, so ist er einer eisernen Disciplin und unerbittlichen Gesetzen unterworfen. Der Vater stößt seine eigenen Söhne in den Tod. Hat sich einer als feig im Kampfe oder als unfähig erwiesen, als zu wenig kraftvoll, sich selbst zu beherrschen und die Rücksicht für das Allgemeine über seinen persönlichen Regungen stehen zu lassen, so verfällt er der allgemeinen Verachtung, kein anderer Stamm, selbst kein feindlicher, nimmt ihn auf; er irrt ausgestoßen in der Wildniß umher und kann sich nur dadurch einigermaßen wieder einen guten Namen machen, daß er in die Nähe seines Stammes zurückkehrt und sich selbst den langsamsten, qualvollsten Tod gibt, um wenigstens zu beweisen, daß er Schmerzen zu ertragen weiß. Das ist das einzige Mittel, sich den Weg in die ewigen Jagdgründe offen zu halten. Der Gedanke an diese Jagdgründe ist es, welcher den Indianer zu Allem treibt, dessen ein Anderer unfähig wäre.


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