Carl May
Scepter und Hammer
Carl May

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»Ich darf wirklich nicht, mein Kind. Nur das kann ich Ihnen sagen, daß es schon lange her ist.«

»Wie lange wohl?«

»Ich war damals noch ledig, und mein Mann hat mir eben gesagt, daß wir bald heirathen wollten. Wir saßen in der Laube und – – –«

»In der Laube? Mit einander?«

»Natürlich! Es war am Abende, und Alles schlief, so dachten wir nämlich; aber dennoch war der Herzog noch im Garten.«

»Der Herzog? Welcher Herzog?«

»Der Herzog von Raumburg.«

»Den kenne ich nicht.«

»Ich stand nämlich als Küchenmädchen in seinem Dienste, und mein Mann war Reitknecht. Es durfte Niemand wissen, daß wir uns lieb hatten, und darum kamen wir manchmal des Abends zusammen, wo uns Niemand sehen konnte. Da saßen wir in der Laube und hatten uns gar viel zu sagen und zu erzählen, bis ein fremdes Weib über die Mauer stieg.«

»Wer war sie?«

»Eine Zigeunerin.«

»Sagte ich es nicht, daß diese Geschichte sehr schön sein werde! Was wollte dieses Weib?«

»Das wußten wir erst auch nicht; bald aber stand der Herzog bei ihr, der auf sie gewartet hatte, und dann erwürgte er sie.«

»Ein Herzog eine Zigeunerin? Wissen Sie das genau?«

»Natürlich; wir standen ja ganz nahe dabei.«

»Warum aber erwürgte er sie?«

»Weil sie ihre Tochter wieder haben wollte und auch ihren Sohn, den er gefangen hielt.«

»Das muß ja ein ganz und gar schlimmer Mensch gewesen sein, dieser Herzog! Wollte er denn den Sohn und die Tochter nicht herausgeben?«

»Nein. Er erwürgte die Frau, und wir durften ihn nicht anzeigen, weil er unser Herr war und kein Mensch uns geglaubt hätte, was wir sagten. Aber wir sind dann schnell aus seinem Dienste und zu unserem jetzigen Herrn gegangen und haben das bis auf den heutigen Tag noch niemals bereut.«

»So weiß also außer Euch kein anderer Mensch, daß dieser garstige Herzog die Zigeunerin erwürgt hat?«

»Kein Mensch:«

»Wie hieß sie?«

»Das weiß ich nicht; aber ihre Tochter hieß Zarba, und ihr Sohn floh noch in derselben Nacht aus seiner Gefangenschaft; er hieß – hieß – – da komme ich doch nicht auf den Namen!«

»Katombo!« ertönte es von dem Eingange her.

Die beiden Frauen drehten sich um und erblickten den Pascha, welcher Zutritt hatte nehmen wollen und ein unbemerkter Zuhörer der Erzählung gewesen war. Warum hatte diese Letztere einen solchen Eindruck auf ihn gemacht. Er sah bleich aus, und seine Augen glühten wie im Fieber.

»Katombo, ja, so hieß er,« antwortete die Kastellanin überrascht.

»Du weißt diesen Namen, Papa? Wie kannst Du ihn erfahren haben?«

»Ich hörte einst von dieser Sache sprechen,« antwortete er kurz, und zu der Kastellanin gewandt fügte er hinzu: »Sie werden mir das noch ausführlicher erzählen müssen, ehe ich heute abreise.«

»Schon heut, Excellenz?«

»In zwei Stunden schon. Bitte, schicken Sie Willmers hinunter zu meiner Yacht; sie soll sofort segelfertig gemacht werden!«

Die Kastellanin entfernte sich.

»Papa, wird es Dir nicht Schaden bringen, daß dieser Prinz hier so gezüchtigt worden ist?«

»Schaden? Pah! Der König muß es mir Dank wissen, wenn ich mich durch die Frechheit seines Buben nicht bestimmen lasse, den Vertrag rückgängig zu machen, den ich heut mit diesem abgeschlossen habe!«

»Einen Vertrag? Ist es ein wichtiger, Papa?«

»Ja.«

»Darf ich ihn wissen?«

»Du wirst ihn seiner Zeit erfahren. Jetzt brauche ich Dir nur zu sagen, daß ich jetzt die Aufgabe habe, die Küsten- und Grenzfortifikationen Norlands zu untersuchen, daher unsere Reise.«

Sie blickte ihm ängstlich in das Angesicht.

»Das deutet auf einen Krieg, Papa. Sollst Du etwa wieder das Kommando einer Kriegsflotte übernehmen?«

»Möglich, doch das sind sehr geheimnißvolle Pläne, von denen ich kaum zu Dir sprechen darf, obgleich ich weiß, daß ich meinem guten Kinde vollständig vertrauen kann.«

»Sage mir es, Papa! Wenn ich nichts weiß, kann ich sehr leicht einen großen Fehler begehen, der Dich in Schaden bringt.«

»Du hast Recht. Es wird bald zwischen Norland und Süderland ein sehr ernster Krieg ausbrechen, und da Süderland keinen hervorragenden Seemann besitzt, so ist mir der Oberbefehl über die Kriegsflotte angetragen worden.«

»Hast Du angenommen?«

»Nur für gewisse Bedingungen. Der König von Norland ist ein guter Herrscher, aber er hat sein Scepter aus der Hand gegeben, denn der eigentliche Regent ist jener böse Herzog von Raumburg, von dem die Kastellanin vorhin erzählte. Dieser will nun nicht nur die Macht, sondern auch sämmtliche Attribute eines Königs haben und hat deshalb mit Süderland einen geheimen Plan verabredet. In Norland soll die Revolution ausbrechen; Süderland wird eingreifen, den jetzigen König absetzen und den Herzog krönen.«

»Das ist aber ja eine Ungerechtigkeit, Papa! Was wird Süderland davon haben?«

»Vortheilhafte Verträge, und überdies wird die Prinzessin Asta Königin von Norland werden, denn sie soll den Sohn des Herzogs heirathen.«

»Und dazu sollst Du helfen! Auch Du willst den bösen Herzog zum Könige machen?«

Über das wettergebräunte Gesicht des türkischen Kapudan-Pascha ging ein eigenthümliches Zucken.

»Ob ich es thue oder nicht, Almah, Du wirst stets wissen, daß Dein Vater nur das Gute will und alles Böse haßt. Ich mache Dir diese Mittheilungen und schließe dabei manche meiner Absichten aus, weil ich vielleicht gezwungen sein werde, Dich hier bei Hofe vorzustellen. Du darfst nur Dinge wissen, durch deren Kenntniß Du mir dienen kannst, während ich gewisse Punkte unaufgeklärt lassen muß, weil mir Deine Einweihung Schaden bringen kann. Trete ich das Kommando wirklich an, so werde ich leider gezwungen sein, gegen unsre gegenwärtigen Wirthe zu kämpfen.«

»Wie so?«

»Der alte Sternburg ist ohne Zweifel der befähigste General der norländischen Armee, und er wird sich an dem Kampfe betheiligen, wenn auch auf Einfluß des Herzogs, der ihn nicht liebt, ihm keine hervorragende Heerführerstelle anvertraut wird. Sein Sohn, Prinz Arthur, ist trotz seiner Jugend und obgleich er erst den Rang eines Kapitän begleitet, der einzige Seemann Norlands, den ich als ebenbürtig anerkennen würde. Auf alle Fälle aber werden wir uns nicht als persönliche Gegner zu betrachten haben. Jetzt beeile Dich, mein Kind, damit Du zur angesetzten Zeit fertig bist. Wir kehren wieder nach hier zurück.«

Er ging hinab in die Wohnung des Kastellans, um dessen Frau heraufzuschicken. Er fand sie sehr verlegen und ihren Mann zornig. »Excellenz,« meinte der Letztere, »meine Frau hat Ihnen ein Ereigniß mitgetheilt, welches bisher unser alleiniges Geheimniß war –«

»Sorgen Sie nicht! In Beziehung auf Sie wird es Geheimniß bleiben wie bisher. Ich gebe Ihnen hiermit mein Ehrenwort, daß Sie seinetwegen nicht in die geringste Verwickelung oder Ungelegenheit gerathen werden, nur mache ich hierbei allerdings die Bedingung, daß Sie mir Alles einmal genau und ausführlich erzählen, während Ihre Frau meiner Tochter bei der Reisevorbereitung behilflich ist.«

Dies geschah. Horn erinnerte sich jenes verhängnißvollen Abends noch ganz genau und konnte sich auf jedes Wort besinnen, das er damals mit seinem Mädchen belauscht hatte.

Unterdessen kehrte Arthur von der Yacht zurück und machte sich reisefertig. Er hatte von dem Prinzen Hugo weder oben auf der Höhe noch unten in der Stadt eine Spur bemerkt. Zur festgesetzten Zeit hatte das kleine, flotte Schiff seine sämmtlichen Passagiere an Bord. Es lichtete die Anker, entfaltete seine Segel und strebte in einem graziösen Bogen aus dem Hafen hinaus der See entgegen. Bald war der weiße Punkt, welchen seine Leinwand am blauen Horizonte bildete, verschwunden.

Die Straße, welche von Süderhafen in das Gebirge führte, dieselbe, welche Balduin Schubert, Karavey und dann auch Thomas Schubert benutzt hatte, um zu dem Waldhüter Tirban zu gelangen, schien heut belebter als gewöhnlich zu sein. Von irgend einem den Weg beherrschenden Punkte hätte man nach und nach verschiedene Gestalten oder Gruppen bemerken können, in ihrem Äußeren so verschieden, daß die Ahnung ferne lag, sie könnten vielleicht bald in eine engere Beziehung zu einander treten.

Zunächst lag auf der Blöße vor Tirbans Hütte der Steuermann mit dem Bootsmann im Grase. Beide schienen nur mit ihren Gedanken beschäftigt und mit dem Priemchen, welches sie von Zeit zu Zeit von einer Backe in die andere schoben. Da raschelte es in den Büschen, und eine lange, breite Gestalt erschien, über und über von Ruß geschwärzt und einen mächtigen Schürbaum auf der Schulter. Es war der Schmiedegeselle Thomas, welcher seine gegenwärtige Muße benutzt hatte, einem Köhler werkthätige Gesellschaft zu leisten.

»Was ist mir denn das für eine Sache,« meinte er. »Da liegt Ihr am Poden, haltet Maulaffen feil und guckt den Himmel an. Giept es denn keine Arpeit hier für zwei Faullenzer von Eurer Sorte? Ich würde gar nicht räsonniren, wenn nur wenigsten Einer von Euch eine Cigarre üprig hätte, es prauchte gar keine Ampalema zu sein!«

Der Steuermann langte phlegmatisch in die Tasche und brachte einen riesigen Knollen Kautabak zum Vorschein.

»Hier, alte Feueresse!«

»Danke, Palduin! Peiße Dir die Zähne selper aus an diesem Zeuge. Ich werde jetzt einmal nach dem Kruge gehen. Wer geht mit?«

Im Nu stand der Steuermann auf den Beinen.

»Ich, mein Junge; das versteht sich ja ganz von selber. Komm, Thomas, lege Dich Backbord an mich, und Du Steuerbord, Bootsmann. So, nun fare well, Tirban, Du siehst uns nicht eher wieder, als bis es keinen Schluck mehr im Kruge gibt!«

»Und keine Ampalema oder Kapalleros. Lauf, Palduin, denn Dein Packpord hat es eilig!«

Sie schritten nach dem bekannten Kruge, in welchem der Steuer- und Bootsmann den Loosungszettel gefunden hatten. An der hinteren Seite desselben befand sich ein kleines Gärtchen, in welchem ein sehr primitiv gebauter Tisch nebst ebensolchen Bänken stand. An ihm saßen drei Personen, welche man vom Walde aus sehr genau sehen und beobachten konnte. Der Obergeselle hielt die beiden Andern an und deutete nach der Gruppe.

»Donnerwetter, wer muß das sein; das ist gewiß ein ganz vornehmes Volk! Seht Euch nur einmal das Weipspild an; das ist ja die reine Genovefa, so schön und so fein, so glatt polirt, als käme sie gerade erst aus dem Schraupstock heraus. Hol' mich der Teufel, die ist sogar noch hüpscher als meine alte gute Parpara Seidenmüller!«

Auch der Steuermann schaute aufmerksam hin.

»Karavey, sieh Dir einmal den jungen Mann an, der sich da seitwärts von der Dame niedergestaut hat!«

»Warum?«

»Du hast von dem berühmten Lieutenant und jetzigen Kapitän von Sternburg gehört?«

»Natürlich!«

»Nun, dieser Sternburg sieht dem Manne dort so ähnlich wie ein Tropfen dem andern, und – heiliges Mars- und Braamenwetter, wer ist denn das?«

»Wer?«

»Nun, der Andere, der Alte!«

»Kennst Du ihn?«

»Bist Du während Deiner Seefahrten einmal dem Tiger begegnet?«

»Dem Tiger? Meinst Du das Piratenschiff?«

»Natürlich!«

»Nein.«

»Nun, ich sage Dir, daß ich zweimal hart an ihm vorübergekommen bin, ohne daß er Miene machte, die Flagge zu hissen und uns Antwort zu geben. Ich steuerte damals die Fregatte "Poseidon," das beste Schiff und den schnellsten Segler unserer Marine. Wir gaben den Signalschuß; wir riefen ihn an, er aber ging an uns vorüber ohne die geringste Antwort. Keine Flagge wehte, kein Wimpel war zu sehen; kein Mann befand sich an Deck, sogar der Mann am Steuer war verschwunden. Aber vorn auf dem Klüverbaum stand, ohne sich anzuhalten, frank und frei Einer, der bis an die Zähne bewaffnet war, hoch, lang und breit von Gestalt und schwarz von Gesicht wie ein Neger. Und zwei Tage später ging dasselbe Schiff wieder an uns vorbei, kaum drei Kabellängen von unsrem Back entfernt; die Kanonenluken waren geöffnet, an der großen Raa hing einer, der am Strick gestorben war, und vorn auf dem Klüver stand wieder ganz derselbe Mann, hoch, lang und breit von Gestalt, bis an die Zähne bewaffnet, dieses Mal aber von weißer Gesichtsfarbe. Ich habe ihn mir ganz genau angesehen, und möchte ein Panzerschiff gegen ein Teichboot verwetten, daß er und dort dieser Mann wenigstens Zwillingsbrüder sind.«

»Laß Dich doch nicht auslachen, Steuermann! Der schwarze Pirat und der Kapitän von Sternburg neben einander mitten hier im Waldgebirge. Eher kommt die Ebbe mit der Fluth zusammen.«

»Was ist denn das eigentlich für ein Insekt oder ein Amphipium, der schwarze Pirat?« frug Thomas, der einstige Kavallerist.

»Ein Seeräuber, wie es keinen zweiten gegeben hat.«

»Ein Seeräuper? Keinen Zweiten gegepen? Seid Ihr gescheidt? Und das soll der dort sein? Palduin, wenn ich jetzt hingehe und es ihm sage, pringt er Dich an den Galgen! Und der Andere soll ein Seekapitän sein? Donnerwetter, seid Ihr denn alle Peide plind, daß Ihr nicht seht, daß er plos der Pediente ist von den zwei Andern!«

Sie waren jetzt an das Haus gekommen und bemerkten nun eine Equipage, welche vor demselben hielt; jedenfalls gehörte sie den drei Personen, welche im Garten saßen. Sie traten in die Stube und wurden von dem Wirthe mit möglichster Freundlichkeit empfangen. Trotz ihres erst so kurzen Aufenthaltes hatte er sie doch bereits als Zecher kennen gelernt, denen sowohl die Qualität als auch die Quantität seiner Getränke vollständig gleichgiltig zu sein schien. Sie tranken von Allem, was er hatte, ungeheuer viel und bezahlten ebenso reichlich.

»Noch keine Ampalema?« war die erste Frage des Schmiedes.

»Noch nicht.«

»Schaffe Dir Ampalema an, Kerl, sonst pringe ich Dich um die Konzession und um das Lepen. Giep her, was Du hast!«

Sie hatten noch nicht lange gesessen, so vernahmen sie draußen das nahende Rollen eines Wagens. Der Steuermann blickte durch das Fenster.

»Heiliger Mars, sitzt in dieser Kabine ein wunderliches Brautpaar. Seht Euch doch einmal den hübschen Kerl an, neben der Hexe! Wenn Der sich in sie verliebt, so verschlinge ich den ersten Haifisch, dem ich hier im Gebirge begegne!«

Auch Karavey blickte hinaus.

»Allerdings ein verteufelt schmucker Patron; aber von wegen der Hexe darfst Du Dich nur immer ein wenig in Acht nehmen; Du siehst doch, daß es eine Zigeunerin ist, und was bin ich denn, he?«

Da fuhr der Schmiedegeselle zwischen sie.

»Hört, Ihr Kerls, haltet doch einmal alle Peide den Schnapel! Die da hier gefahren kommen, kennt Keiner so gut wie der Thomas Schupert. Das ist nämlich mein junger Herr, der Doktor Max Prandauer, na, welch eine Freude! – und das Weipsen ist die Zigeunerin Zarpa, auf die wir Alle warten.«

»Ists wahr?« frug Karavey.

»Natürlich! Oder denkst Du, daß ich Euch pelügen möchte?«

Der Wagen hielt. Max sprang herab und half dann Zarba zur Erde. Sie traten mit einander in die Stube. Der Geselle fuhr auf Brandauer zu, als ob er ihn zerreißen wolle.

»Willkommen, junger Herr! Weiß Gott, tausend Thaler sind mir nicht so liep wie dieses Wiedersehen! Lept der Herr Meister noch und auch die Frau Meisterin? Wie geht es dem Paldrian? Ists noch ›am Den‹ und lügt der Heinrich immer noch wie gedruckt?«

Max mußte über diese Ansprache lächeln, die so sanguinisch war, als sei der brave Thomas zehn Jahre lang von der Schmiede entfernt gewesen.


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