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Katombo schlich sich längs des Blößenrandes hin und bemerkte bei dem halben Scheine des Mondes, daß die Bank hinter dem Hause nicht besetzt sei. Bei der Buche angekommen, traf er auf den Waldhüter, der ihn bereits erwartet hatte.
»Das ist pünktlich,« meinte dieser. »Es wird gleich zehn Uhr schlagen.«
»Und es ist noch Niemand hier.«
»Ich habe sie jetzt auch noch gar nicht erwartet. Wir müssen ja eher kommen als sie, sonst könnten sie uns bemerken.«
»Hast Du den Schlüssel?«
»Ja. Komm!«
Sie schritten auf das Häuschen zu. Bei demselben angekommen, zog der Hüter den langen, rostigen Hohlschlüssel hervor und öffnete. Das Schloß kreischte und die alten Angeln krachten laut auf; eine dumpfe, feuchte Luft schlug ihnen entgegen; sie traten ein.
»Der Laden ist zu. Soll ich ihn öffnen?« frug Katombo.
»Ja.«
Der Zigeuner trat zur hinteren Wand des finstern Raumes und faßte mit den beiden Händen empor, um die Konstruktion des Verschlusses zu untersuchen. In diesem Augenblicke erhielt er einen Schlag von hinten über den Kopf, daß er mit einem unartikulirten Schmerzenslaute zusammenbrach; ein zweiter Hieb des sofort auf ihn niederknieenden Stephan traf ihn so, daß er die Besinnung vollends verlor.
Als er erwachte, fühlte er sich an Händen und Füßen gefesselt, und ein Knebel stak in seinem Mund. Neben ihm saß ein Mann, den er nicht erkennen konnte, theils wegen der Dunkelheit und theils wegen der Schmerzen, welche ihm die beiden Hiebe verursachten. Seine Gedanken waren wirr, und trotz der tiefen Finsterniß sah er glühend feurige Räder vor seinen Augen rollen.
Tiefe Stille herrschte in dem engen Raume, bis sich nach ihm unendlich scheinender Zeit die Thür öffnete, um eine zweite Gestalt einzulassen.
»Stephan!« hörte er.
»Hier.«
»Gelungen?«
»Ja.«
»Wo ist er?«
»Hier neben mir.«
»Gefesselt?«
»Fest. Ich habe ihm Zwei über den Kopf gegeben, daß er unter einer Stunde sicher nicht erwacht.«
»Aber er lebt noch?«
»Sein Puls geht noch.«
»So ist ein Knebel nöthig, damit er Ruhe hält!«
»Er hat ihn schon. Aber wer seid Ihr? Ich habe doch niemand erwartet als den Herz- – –«
»Halt, keinen Namen! Ihr dürft Euch nie wieder an das erinnern, was heut Abend geschehen ist. Ich bin abgesandt worden, den Gefangenen zu holen, und daß ich der Richtige bin, werdet Ihr mir wohl ohne weitere Beweise glauben.«
»Ich glaube es. Aber wie wollt Ihr ihn transportiren, und wohin soll er gebracht werden?«
»Das ist nicht Eure, sondern meine Sache. Ich habe Euch nur zu melden, daß Ihr das Gesuch um die Stelle nicht vergessen sollt.«
Er trat zur Thür. Auf seinen leisen Ruf erschien ein Dritter in derselben. »Anfassen!«
Sie hoben den widerstandslosen Gefangenen empor.
»Verschließt das Häuschen, Stephan, und geht zur Ruhe. Alles Andere werden wir selbst besorgen. Gute Nacht!«
»Gute Nacht.
Die beiden Männer verschwanden mit ihrer Bürde im Dunkel. Sie mußten den Weg kennen, oder er war ihnen sehr genau beschrieben worden, denn sie erreichten ohne Anstoß und sonstiges Hinderniß das Eingangsthor, welches nur anlehnte. Sie verschlossen es, nachdem sie Katombo draußen niedergelegt hatten, mit einem Schlüssel, welchen der Eine von ihnen in der Tasche bei sich führte. Dann brachten sie den Gefesselten nach einem Wagen, der ganz in der Nähe hielt. Er wurde in denselben gehoben; einer seiner Begleiter nahm neben ihm Platz; der andere bestieg den Bock, und dann ging es fort, erst langsam und vorsichtig, dann aber, als man den Wald verlassen hatte, im raschen Trabe auf ebener Straße.
Der Knebel war so fest angebracht, daß Katombo kaum die nöthige Luft zum Athmen bekam; dennoch aber zog sein Wächter jetzt ein Tuch hervor und band es ihm um den Kopf, so daß seine Augen nicht das Mindeste zu erkennen vermochten.
Nach längerer Zeit rollten die Räder über hartes Straßenpflaster, bis der Wagen hielt. Katombo wurde herausgehoben und in einen Kahn geschafft, welcher noch so lange am Ufer des Flusses halten blieb, bis der Kutscher, welcher mit dem Geschirr weiterfuhr, zurückkehrte und zum Ruder griff. Lautlos ging es über das Wasser bis an den Garten des herzoglichen Palais, wo der Zigeuner aus dem Boote genommen und nach einer kleinen Pforte getragen wurde, an welcher eine hohe, tief verhüllte Gestalt wartete.
»Habt Ihr ihn?«
»Ja.«
»Hinunter mit ihm! Den Knebel und die Beinfesseln könnt Ihr ihm dann nehmen; die Arme aber bleiben gefesselt!«
Katombo erkannte diese harte Stimme sofort; es war diejenige des Herzogs von Raumburg, und nun durchschaute er den ganzen Plan, dessen Opfer er auf so leichtsinnige und vertrauensvolle Weise geworden war.
Er fühlte, daß man ihn eine steile, schmale Treppe hinabtrug. Unten ging es eine Strecke eben fort; dann wurde eine Thür geöffnet, deren schwere Riegel er laut klirren hörte. Man legte ihn nieder, zog ihm den Knebel aus dem Munde, entfernte die Stricke, welche sich um seine Beine schlangen, und schloß dann hinter ihm sorgfältig wieder zu.
Wo war er?
In der Gewalt des Herzogs, seines Nebenbuhlers, so viel war ihm sicher. Den Ort freilich, an welchem er sich befand, konnte er nicht bestimmen. Er kannte weder die Wohnung des Herzogs, noch hatte er während des Transportes einen Blick durch das Tuch zu werfen vermocht; er wußte nur, daß er auf widerrechtliche und gewaltthätige Weise gefangen genommen worden war durch die Kreaturen oder Schergen eines Gegners, von dem er weder Schonung noch Gnade zu erwarten hatte.
Er wollte sich erheben, um sein Gefängniß zu untersuchen; an dem Letzteren hätten ihn seine Fesseln gehindert, und das Erstere wollte ihm nicht gelingen, da der Blutumlauf seines Körpers in Folge der festen Banden stockte und sein Kopf ihn noch mehr schmerzte als vorher. Er blieb nach einigen vergeblichen Anstrengungen in vollständiger Apathie liegen und sank nach und nach in einen tiefen, lethargischen Schlaf, der sich wohlthätig zu ihm niederneigte.
Als er aus demselben erwachte, war es ihm unmöglich, zu bestimmen, wie lange er geschlafen habe; lange, sehr lange aber mußte es sein, denn er fühlte sich vollständig gekräftigt; der Schmerz an seinem Kopfe war verschwunden, und nur die Fesseln seiner Hände verursachten ihm eine unerträgliche Pein.
Er erhob sich. Es war vollständig dunkel in dem Raume. War es die Finsterniß der Nacht oder hatte der Kerker gar keine Fenster- oder sonstige Öffnung? Er konnte dies nicht entscheiden und tappte sich rings an den Wänden hin. Soweit seine Gestalt reichte, fühlte er nur kalte, geschlossene Mauern, deren einzige Unterbrechung in der Thür bestand, durch welche man ihn hereingeschafft hatte.
Noch war er mit der Untersuchung der engen Zelle beschäftigt, als er draußen Schritte vernahm. Die Riegel klirrten; die Thür öffnete sich, und ein heller Lichtschein drang zu ihm herein. In demselben bemerkte er jetzt sehr deutlich, daß sein Gefängniß kein Fenster hatte; es war im Kellerraume angebracht und zeigte keine einzige Öffnung, durch welche die Luft und das Licht des Tages hatten Zutritt finden können. Auch den Mann erkannte er, welcher mit der Blendlaterne eintrat und dann die Thür hinter sich sorgfältig in den Rahmen zog. Es war der Herzog von Raumburg.
»Guten Abend!« klang es gedehnt und höhnisch, und als der Gefangene ob dieser Anrede verwundert aufschaute, fuhr der Herzog fort: »Ja, es ist bereits wieder Abend. Ich bin dreimal hier gewesen; Du aber warst nicht zu sprechen, denn Du schliefst, als hättest Du mit den zwei kleinen Schlägen eine ganze Apotheke voll Opium erhalten. Nun aber, was sagt der stolze Gitano zu der vortrefflichen Wohnung, die ich ihm gegeben habe?«
»Schurke!«
Es war nun das eine Wort, aber es lag eine ganze Welt voll Haß und Verachtung darin.
»Schön! Ich werde Dir den Knebel wieder geben müssen, damit Deine Zunge nicht allzusehr spazieren geht. Du bist in der Gewalt des Herzogs von Raumburg, der ganz andere Töne gewohnt ist, als den Deinigen.«
»Schurke!« erklang es furchtlos wieder. »Thu mit mir, was Du willst, und je Größeres Du ersinnst, desto mehr bist Du ein Schurke. Aber nimm mir nur einen Augenblick die Fesseln ab, so werde ich Dir zeigen, wie ein ehrlicher Zigeuner mit einem Hallunken verfährt!«
»Bemühe Dich nicht, mich in Zorn zu bringen, denn alle Deine Anstrengung wird fruchtlos sein. Ich komme nur, um Dir Dein Urtheil zu verkünden. Zarba, das schönste Mädchen, welches ich jemals gesehen habe, muß mein eigen werden, verstehe wohl, mein eigen wie die Blume, deren Duft man athmet und die man dann von sich wirft; Du bist mir dabei im Wege, und daher habe ich Dir ein Quartier gegeben, wo Du mich nicht belästigen kannst. Ich hätte Dich vielleicht einst wieder frei gelassen; aber Du hast mich zu beschimpfen versucht, und darum wirst Du diesen Ort niemals wieder verlassen.«
»Meinst Du, daß ich Dich um Gnade anflehen werde? Ich verlange nur Gerechtigkeit, und die muß, die wird mir werden!«
»Gerechtigkeit? Ja, denn ich bin die oberste Behörde des ganzen Reiches, und die ist gewohnt, schneller und gerechter zu entscheiden, als jede andere Instanz. Du bist schuldig eines Mordversuches gegen mich und mußt eigentlich sterben; ich aber begnadige Dich zu lebenslänglicher Haft in diesem Kerker und gebe Dir dazu den Trost, daß diese Gefangenschaft nicht lange dauern wird.«
»Du darfst weder verurtheilen noch begnadigen. Ich verlange einen gesetzmäßigen Richter, vor dem auch Du zu stehen hast, denn auch Du bist des Mordversuches gegen mich und dazu des Menschenraubes schuldig.«
Der Herzog lachte.
»Dein erster und letzter, Dein einziger Richter steht vor Dir, und er verspricht Dir, daß es den Deinen wohlgehen wird. Zarba wird sich entschließen, zu mir zu ziehen und mein Weibchen zu werden; und ich werde zärtlicher und inniger gegen sie sein als Du; die Andern müssen fort und werden mir für diesen Befehl dankbar sein, denn sie lieben ja die Freiheit, und damit sie diese ganz und voll genießen können, werde ich ihnen verbieten, jemals wieder in das Land zurückzukehren.«
»Schurke!« rief Katombo zum dritten Male.
Er machte eine fürchterliche aber vergebliche Anstrengung, seine Fesseln zu zersprengen, und rannte dann voll Wuth gegen den Herzog an, so daß dieser zurücktaumelte, gegen die Mauer schlug und ihm beinahe die Laterne entfallen wäre. Er setzte sie zu Boden und faßte den wehrlosen Zigeuner. »Hund, ich werde Dir das Beißen unmöglich machen! Du sollst mit dreifachen Banden geschnürt und – – –«
Er hielt mitten in der Rede inne. Katombo hatte versucht, ihm den ergriffenen Arm zu entziehen, und dabei das Loch seines Jackenärmels größer gerissen. Durch dasselbe blickte sehr deutlich jene seltsame Tätowierung, und das Auge des Herzogs war auf sie gefallen. Dieser ließ mit seinen Händen von Katombo ab und trat beinahe erschrocken einen Schritt zurück.
»Mensch, wer bist Du?«
Dieser Ausruf war ihm ganz unwillkürlich entfahren. Katombo konnte sich die sonderbare Frage nicht erklären; er blickte ihn daher erstaunt an und antwortete nicht.
»Wer Du bist, habe ich gefragt!« wiederholte Raumburg gebieterisch. Katombo's Erstaunen wuchs; er fand keine Antwort, vielmehr kam es ihm vor, als ob sich die Sinne seines Gegners plötzlich verwirrt hätten.
»Hörst Du, ich will wissen, wer Du bist! Du heißt nicht Katombo und bist kein Zigeuner!«
»Ah! Wer sagt Dir das?«
Der Herzog erholte sich von seiner Überraschung, die vielleicht auch Schreck sein konnte, und fragte mit gleichgültigerer Stimme:
»Ist die Vajdzina Deine Mutter?«
»Ja.«
»Deine wirkliche?«
»Inwiefern sollte sie es nicht sein? Übrigens bin ich über solche Sachen keinem Menschen Rechenschaft schuldig. Ich habe hier von weiter nichts zu sprechen, als daß ich meine Freiheit oder einen ordentlichen Richter will.«
»Gut, so sind wir also fertig.
Er ergriff die Laterne und wollte gehen. Katombo benützte sein Niederbeugen, um den Ausgang zu gewinnen, was ihm aber nicht gelang, denn der Herzog schnellte ihm rasch in den Weg und brachte es leicht fertig, den Gefesselten zurückzuschleudern.
»Nicht so schnell, Bursche! Deine Leiche soll man zu seiner Zeit von hier wegschaffen, lebendig aber kommst Du nicht fort!«
Er warf die Thür in das Schloß, schob die beiden Riegel vor und schritt einige Stufen empor, wo sich die Treppe theilte. Nach der einen Seite gelangte man an die Pforte, durch welche Katombo hereingeschafft worden war, auf der andern erreichte man das Innenparterre des Schlosses. Hier angekommen, blies Raumburg seine Laterne aus und stieg die breiten Marmorstufen empor, auf denen er in sein Arbeitszimmer gelangte. Dort legte er die Laterne ab und zog auch den Dolch hervor, den er aus Rücksicht für seine persönliche Sicherheit bei sich getragen hatte. Dann ging er zur Bibliothek, welche hell erleuchtet war, und suchte lange, lange Zeit in alten vergilbten Papieren herum. Sie mußten, nach der Aufmerksamkeit zu urtheilen, welche er ihnen schenkte, sehr Wichtiges enthalten; er las einige von ihnen mehrere Male durch und verschloß sie dann so sorgfältig, als ob höchst Wichtiges von ihnen abhinge. Dann verbarg und verschloß er sie an einem Orte, der ihm die nöthige Sicherheit zu gewähren schien.
Nun suchte er die Ruhe, fand sie jedoch nicht, sondern warf sich auf dem Lager hin und her, bis es Tag wurde, wo er sich erhob und, sobald er angekleidet war, seine Wohnung und die Stadt verließ.
Sein Weg führte ihn hinaus in den Wald nach dem Gehege, wo er die Zigeuner in Sorge um den verschwundenen Katombo antraf. Die Vajdzina war die Erste, welche ihn erblickte, und auch sofort Gelegenheit nahm, ihre Klage anzubringen.
»O hoher Herr, es ist Betrübniß eingezogen bei den Gitani und Sorge bei den Kindern meines Volkes. Habt Ihr nicht gesehen Katombo, meinen Sohn?«
»Nein. Was ist mit ihm?«
»Er ist verschwunden, seit er gestern unser Lager verließ, und Niemand hat eine Spur von ihm gefunden. Der Forst hat keine wilden Thiere, die ihn zerreißen konnten, und keinem hat er vertraut, daß er uns freiwillig verlassen wolle. Es ist ihm ganz sicher ein Unglück widerfahren!«
»Was soll ihm widerfahren sein.«
Karavey trat näher.
»Was ihm widerfahren ist, das wissen wir nicht,« meinte er mit finsterem Auge; »aber ich kenne einen Feind von ihm, den einzigen, den er hat, und welchem sein Verschwinden am Herzen liegen muß. Wehe ihm, wenn er die Hand dabei im Spiele hat!«
»Wen meinst Du, Bursche? Verklage ihn bei mir. Ich bin Euer Freund und werde Euch alle Hülfe und Unterstützung gewähren, welche Ihr nothwendig haben solltet.«
»Gerad Euch brauche ich ihn nicht zu nennen. Aber die Kinder der Boinjaaren haben scharfe Augen, gewandte Hände und ein Gedächtniß, welches keine gute und keine böse That vergißt. Entweder ist Katombo heut Abend wieder bei uns oder wir werden uns zur Rache vorbereiten!«
»Thue das, mein Sohn; nur siehe Dir den Mann genau an, gegen den Du Deine Rache richten willst. Übrigens geht mich diese Angelegenheit nicht das Mindeste an; ich komme in einer anderen Sache und habe mit dem Vajda und der Vajdzina zu sprechen.«