Karl May
Durchs wilde Kurdistan
Karl May

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Als ich zu dem Commandanten kam, waren alle seine Beamten und auch die Offiziere der Besatzung bereits um ihn versammelt. Es gab also große Soirée. Ich erhielt den Ehrenplatz an seiner Seite. Wir befanden uns in einem größeren Zimmer, welches einem kleinen Saale glich; es wäre Raum genug zur freien Bewegung gewesen, aber ein Jeder saß still an seinem Platze, rauchte seine Pfeife, trank den herumgereichten Kaffee und flüsterte leise mit seinem Nachbar. Wenn aber der Mutesselim ein lautes Wort sagte, so neigten sie lauschend die Häupter, wie vor einem mächtigen Herrscher.

Auch meine Unterredung mit ihm wurde leise geführt. Nach einigen Weitschweifigkeiten sagte er:

»Ich habe schon gehört, daß Du heute ein Mädchen heiltest, welches vom Teufel besessen war. Mein Hekim hat ihn hineinfahren sehen; er verlangte, daß ich Dich fortschicken soll, weil Du ein Zauberer bist.«

»Dein Hekim ist ein Thor, Mutesselim! Das Mädchen hatte eine giftige Frucht gegessen, und ich gab ihr ein Mittel, durch welches das Gift unwirksam gemacht wurde. Von dem Teufel oder von einem Geiste war keine Rede.«

»So bist Du ein Hekim?«

»Nein. Du weißt ja, wer und was ich bin! Aber im Westen von hier, weit über Stambul hinaus, da, wo ich geboren bin, hat Jedermann mehr Kenntnisse über die Krankheiten als Dein Hekim, der den Teufel durch eine todte Fliege vertreiben wollte.«

Das war rücksichtslos und wohl auch ein wenig muthig gesprochen; aber es konnte diesen Leuten gar nicht schaden, wenn einmal Einer kam, der es wagte, an ihrer Selbstherrlichkeit zu rütteln.

Der Mutesselim that, als hätte er meine scharfe Antwort nicht gehört, und erkundigte sich weiter:

»So kennst Du alle Krankheiten?«

»Alle!« antwortete ich sehr entschieden.

»Und kannst auch alle Tränke machen?«

»Alle!«

»Gibt es auch Tränke, die ein guter Moslem nicht trinken darf?«

»Ja.«

»Welche sind es?«

»Die Paksitz, welche aus solchen Dingen bereitet werden, deren Genuß der Prophet verboten hat, zum Beispiel Schweinefett und Wein.«

»Wein ist aber auch eine Medizin?«

»Ja, eine sehr wichtige.«

»Wann wird sie getrunken?«

»Bei gewissen Krankheiten des Blut- und Nervensystems, sowie auch der Verdauung als Stärkungs- oder Erregungsmittel.«

Wieder stockte die Unterhaltung. Die Anwesenden begannen wieder leise unter einander zu flüstern, und nach einer Weile wandte sich der Mutesselim auch ebenso leise an mich:

»Effendi, ich bin krank, sehr krank!«

»Ah, ist es möglich! Allah gebe Dir Deine Gesundheit zurück!«

»Er wird es vielleicht thun, denn ich bin ein guter Moslem und ein treuer, frommer Anhänger des Propheten.«

»An welcher Krankheit leidest Du?«

»Ich habe bereits viele Ärzte gefragt; sie sagen alle, daß ich leide an gewissen Krankheiten des Blut- und Nervensystemes, sowie auch der Verdauung.«

Ich konnte mich kaum beherrschen, ihm nicht geradezu in das Gesicht zu lachen. Darum also diese eigenthümliche Einleitung, die sich um den Rand herum bewegt hatte, wie ›die Katze um den heißen Brei‹. Jedenfalls lief die Sache auf eine kleine Bettelei hinaus.

»Haben Dir Deine Ärzte Mittel gegeben?«

»Ja, aber diese Mittel haben nicht geholfen. Diese Männer waren nicht so klug und unterrichtet wie Du. Meinst Du nicht, daß ich der Anregung und der Stärkung bedarf?«

»Ich bin davon überzeugt.«

»Würdest Du mir ein solches Mittel geben?«

»Ich darf nicht.«

»Warum nicht?«

»Der Prophet verbietet es mir.«

»Der Prophet hat nicht gewollt, daß die wahren Gläubigen an dem Systeme des Blutes und der Nerven untergehen und sterben sollen. Hast Du den Kuran aufmerksam gelesen?«

»Sehr aufmerksam.«

»So sage mir, ob Du eine einzige Arznei gefunden hast, die darin verboten wird!«

»Keine!«

»Siehst Du! Also willst Du mir eine Anregung geben?«

»Ich habe die Sachen nicht, welche ich zur Bereitung derselben brauche.«

»Du scherzest wieder, denn Du hast sie!«

»Woher wolltest Du dies wissen?«

»Dein Diener hat heute solche Dinge bei einem Juden gekauft.«

Ah, der Mutesselim ließ uns also beobachten! Er wußte bereits, daß der kleine Hadschi für den Engländer Wein geholt hatte. Wir mußten also vorsichtig sein, wenn unser Vorhaben nicht verrathen werden sollte.

»Es gehört mehr dazu, als das ist, was mein Diener kaufte,« antwortete ich.

»Das Wenige ist besser als gar nichts. Eben weil ich sehr schwach bin, darfst Du nicht viele Dinge zusammenmischen. Willst Du mir eine einfache Stärkung senden?«

»Gut; Du sollst sie haben!«

»Wie viel?«

»Eine Iladsch-schische voll.«

»Emir, das ist viel zu wenig! Ich bin Commandant und ein sehr langer Mann; der Trank wird alle sein, ehe er durch den ganzen Körper gekommen ist. Siehst Du dies ein?«

»Ich sehe es ein, darum werde ich Dir eine große Flasche senden.«

»Eine? Nimmt ein Kranker nur einmal Arznei?«

»Nun wohl, Du sollst zwei haben!«

»Laß mich täglich einmal nehmen, und zwar eine Woche lang!«

»Mutesselim, ich denke, Du wirst dann zu stark werden!«

»O, Emir, das hast Du nicht zu befürchten.«

»So wollen wir es denn mit einer Woche versuchen!«

»Aber eine Bitte erfüllst Du mir dabei.«

»Welche?«

»Ein Mutesselim darf seinen Untergebenen nie wissen lassen, daß er ein krankes System der Nerven und der Verdauung hat.«

»Das ist richtig!«

»Also wirst Du diese Arznei so gut einpacken, daß Niemand sieht, daß sie in Flaschen enthalten ist.«

»Ich werde Dir diesen Wunsch erfüllen.«

»Hast Du auch kranke Nerven, Emir?«

»Nein. Warum sollte ich welche haben?«

»Weil Du Dir dieses Mittel kaufen ließest.«

»Es war nicht für mich.«

»Für wen sonst? Für den stummen Hadschi Lindsay-Bey?«

»Du sagtest vorhin, daß ein Mutesselim nicht wissen lassen dürfe, daß er ein krankes System habe. Es gibt auch andere Männer, welche dies nicht wissen lassen dürfen.«

»Oder war es für den dritten Mann, der sich gar nicht sehen läßt? Er muß sehr krank sein, weil er nicht aus seiner Stube kommt!«

Das klang wie ein Verhör. Er wollte sich nach Mohammed Emin erkundigen.

»Ja, er ist krank,« antwortete ich.

»Welche Krankheit hat er?«

»Eine Krankheit des Herzens.«

»Kannst Du ihn heilen?«

»Ich hoffe es.«

»Ich bedaure, daß Du ihn wegen seiner Krankheit nicht mitbringen konntest. Es ist ein Freund von Dir?«

»Ein sehr guter Freund.«

»Wie lautet sein Name?«

»Er hat mich gebeten, ihn Dir heute noch nicht zu nennen. Du kennst ihn sehr gut, und er will Dir eine Überraschung bereiten.«

»Ah!« meinte er neugierig. »Eine Überraschung? Wann?«

»Sobald seine Krankheit geheilt ist.«

»Wie lange dauert dies noch?«

»Nur einige Tage.«

»Soll ich ihn nicht lieber besuchen, da er nicht zu mir kommen kann?«

»Dieser Besuch würde ihn zu sehr aufregen. Herzkrankheiten sind lebensgefährlich; das wirst Du wohl auch wissen?«

»So muß ich warten.«

Wieder versank er in Schweigen; dann begann er von Neuem:

»Weißt Du, daß Du mir ein Räthsel bist?«

»Du mir auch.«

»Warum?«

»Weil Du mich räthselhaft findest. Sage mir, ob es bereits Jemand gewagt hat, so klar und offen, so aufrichtig und ohne Furcht wie ich, mit Dir zu reden!«

»Das ist wahr, Effendi! Ich wollte es auch keinem Andern rathen! Du aber bist ein Emir, stehst unter dem Schatten des Großherrn und bist mir sehr gut von dem Mutessarif empfohlen; da dulde ich es.«

»Und bei all dieser Furchtlosigkeit bin ich Dir ein Räthsel?«

»Ja.«

»Ich will Dir helfen, es zu lösen. Frage mich!«

»Ich möchte vor allen Dingen wissen, wie Du in den Schutz des Großherrn gekommen bist, wie der Großherr über mich denkt und was er für Pläne hat mit Dir und mir. Aber dazu ist heute keine Zeit. Wir werden davon morgen reden, wenn wir allein sind.«

Das war mir lieb. Auch hörte jetzt die Unterhaltung auf, da ein Medah eingelassen wurde, welchen der Commandant zur Unterhaltung seiner Gäste engagirt hatte. Die Pfeifen wurden von Neuem gestopft und angebrannt, die Tassen wieder gefüllt, und dann lauschte man andächtig den Worten des Erzählers.

Er stellte sich in die Mitte des Raumes und erzählte mit singender, lamentirender Stimme, die tausendmal gehörten Geschichten von Abu-Szaber, dem schiefmäuligen Schulmeister, dem Liebessklaven Ganem, von Nureddin Ali und Bedreddin Hassan. Dafür erhielt er zwei Piaster und konnte gehen.

Dann erhob sich der Mutesselim, zum Zeichen, daß diese amüsante Soirée beendet sei. Man sagte sich einige fulminante Höflichkeiten, verbeugte sich gegenseitig und war dann froh, dem Commandanten, dem Emir Hadschi Kara Ben Nemsi, dem Tabak und Kaffee und dem Medah glücklich entronnen zu sein. Ich hatte das nachträgliche Vergnügen, von Selim Agha unter dem Arm genommen und nach Hause begleitet zu werden.

»Emir, erlaube, daß ich Deinen Arm nehme!« bat er.

»Da hast Du ihn!«

»Ich weiß, daß ich dies eigentlich nicht sollte, denn Du bist ein großer Emir, ein weiser Effendi und ein Liebling des Propheten; aber ich habe Dich lieb, und Du mußt bedenken, daß ich kein gemeiner Arnaute, sondern ein sehr tapferer Agha bin, der diese Festung gegen fünfzigtausend Feinde vertheidigen würde.«

»Das weiß ich. Auch ich habe Dich lieb. Komm, laß uns gehen!«

»Wer ist das?«

Er deutete dabei auf eine Gestalt, welche hinter der Ecke gelehnt hatte und nun an uns vorüberstrich und schnell im Dunkel der Häuser verschwand. Ich erkannte den Mann. Es war der Arnaute, der uns angefallen hatte, doch zog ich es jetzt vor, ihn nicht zu erwähnen.

»Es war wohl einer Deiner Arnauten.«

»Ja, aber ich habe doch wohl dieses Gesicht noch nicht gesehen.«

»Das Licht des Mondes täuscht.«

»Weißt Du, Emir, was ich Dir jetzt sagen wollte?«

»Was?«

»Hm! Ich bin krank.«

»Was fehlt Dir?«

»Ich leide an dem System der Nerven und des Blutes.«

»Selim Agha, ich glaube, Du hast gehorcht!«

»O nein, Effendi! Aber ich mußte ja Euer Gespräch hören, da ich als der Nächste neben dem Mutesselim saß.«

»Jedoch so weit entfernt, daß Du lauschen mußtest!«

»Soll man nicht lauschen, wenn man einer Stärkung bedarf?«

»Du willst sie doch nicht etwa von mir verlangen!«

»Wohl von dem alten Hekim? Der würde mir Fliegen geben!«

»Willst Du sie in einer Iladschi-schische oder in einer großen Flasche?«

»Du willst sagen, in einigen großen Flaschen!«

»Wann?«

»Jetzt, wenn es Dir gefällig ist!«

»So laß uns eilen, daß wir nach Hause kommen!«

»O nein, Emir, denn da ist mir Mersinah im Wege. Sie darf niemals wissen, daß ich ein krankes System der Verdauung habe!«

»Aber sie sollte es doch wissen, da sie Dir die Speisen bereitet.«

»Sie würde die Medizin an meiner Stelle trinken. Ich weiß einen Ort, wo man diesen Trank in Ruhe und Sicherheit genießen kann.«

»Wo?«

»Effendi, ein solcher Ort ist allemal bei einem Juden oder bei einem Griechen. Hast Du dies noch nicht bemerkt?«

»Sehr oft. Aber man wird Dich sehen, und dann erfährt die ganze Stadt, daß Du Dich nicht ganz auf Dein System verlassen kannst!«

»Nur wir Beide werden einander sehen. Dieser Jude hat eine kleine Stube, in welche nicht einmal der Mond blicken kann.«

»So komm! Aber laß uns vorsichtig sein, daß wir nicht beobachtet werden.«

Also wieder einen Angriff auf meinen Geldbeutel! Übrigens war ich ganz vergnügt, den Agha als einen Moslem kennen zu lernen, dem zwar der Wein, nicht aber die Arznei verboten ist, welche aus dem Blute der Trauben gekeltert wird. Ein kleines Räuschchen konnte mir Vortheile bringen.

Nachdem wir einige enge und winkelige Gäßchen passirt hatten, hielten wir vor einem kleinen, armseligen Häuschen, dessen Thüre nur angelehnt war. Wir traten in den dunklen Flur, wo Selim in die Hände klatschte. Sogleich erschien eine krumme, mit einem ächt israelitischen Gesichte ausgestattete Gestalt aus der Stube und leuchtete dem Agha in das Gesicht.

»Ihr seid es, Hoheit? Gott Abraham's, bin ich erschrocken, als ich sah im Hause stehen zwei Gestalten statt der Eurigen, die ich gewohnt bin, alle Tage die Ehre zu haben, zu empfangen in meinem Hause mit Vergnügen und sehr tiefer Unterthänigkeit!«

»Mach auf, Alter!«

»Mach auf? Was? Die Stube, welche ist die kleine oder die große?«

»Die kleine!«

»Bin ich auch sicher, daß dieser Mann, welcher hat die Ehre, mit Euch zu kommen in mein Haus, nicht wird sein ein Herr, dessen Mund redet von Dingen, die von mir geschehen aus Barmherzigkeit und doch nicht sollen werden besprochen, weil mich dann bestrafen würde der mächtige Mutesselim?«

»Du bist ganz sicher. Öffne, oder ich mache mir selbst auf!«

Der Alte schob einige Bretter zur Seite, hinter denen eine Thüre zum Vorschein kam. Sie führte in ein sehr kleines Gemach, dessen Boden mit einer zerrissenen Bastmatte belegt war. Einige Mooskissen bildeten die Sophas.

»Soll ich brennen an die Lampe?«

»Natürlich!«

»Was werden begehren die Herren zu trinken?«

»Wie immer!«

Jetzt brannten zwei Flammen, und der Jude konnte mich, der ich bisher stets hinter Selim gestanden, nun besser betrachten.

»Katera Musa, das ist ein hoher Effendi und ein großer Held des Krieges! Ist er doch behangen mit gläzenden Silah's, trägt einen goldenen Kuran am Halse und hat einen Simbehl wie Jehoschuah, der Eroberer des Landes Kanaan. Da darf ich nicht bringen den Gewöhnlichen, sondern ich muß gehen in eine Ecke des Kellers, wo da liegt vergraben ein Trank, den nicht ein Jeder bekommt.«

»Was für welcher ist es?« frug ich.

»Es ist Wein von Türbedi Haidari, aus einem Lande, welches Niemand kennt und wo Trauben wachsen, deren Beeren sind wie die Äpfel und deren Saft kann umreißen die Mauern einer ganzen Stadt.«

»Bringe eine Flasche!« befahl der Agha.

»Nein, bringe zwei Krüge! Du mußt nämlich wissen, daß der Wein von Türbedi Haidari nur in großen Thonkrügen aufbewahrt und nur aus kleinen Krügen getrunken wird.«

»Du kennst ihn?« frug der Jude.

»Ich habe ihn oft getrunken.«

»Wo? Wo liegt dieses Land?«

»Der Name, den Du nanntest, ist der Name einer Stadt, welche in Terbidschan in Persien liegt. Der Wein ist gut, und ich hoffe, daß Du verstanden hast, ihn zu behandeln. Was kostet er?«

»Du bist ein vornehmer Herr; darum sollst Du ihn haben halb umsonst. Du wirst bezahlen dreißig Piaster für den Krug.«

»Das ist halb umsonst? Bringe die zwei Krüge, damit ich ihn koste. Dann werde ich Dir sagen, wie viel ich gebe!«

Er ging. In einer Ecke lehnten einige Pfeifen neben einem Kästchen mit Tabak. Wir setzten uns und griffen nach den Pfeifen, die ohne Spitze waren. Ich zog mein Mundstück aus der Tasche und schraubte es an; dann versuchte ich den Tabak; es war ein guter Perser.

»Was ist drüben auf der andern Seite des Hauses, Selim Agha?« frug ich.

»Ein Spezereiladen und eine Kaffeestube. Hinten ist eine Opiumbude und eine Weinschänke für das Volk; hier aber dürfen nur vornehme Herren eintreten,« erklärte er mir mit selbstgefälligem Gesichte.

Ich kann sagen, daß ich mich auf diesen Wein freute. Es ist ein rother, dicker und ungemein starker Naturtrank, von dem drei Schluck genügen, um einen Menschen, der noch nie Wein getrunken hat, in einen gelinden Rausch zu versetzen. Selim liebte das Getränk Noah's, aber ich war überzeugt, daß ihn der Krug mehr als überwältigen werde.

Da kam der Wirth mit zwei Krügen, von denen jeder vielleicht einen Liter faßte. Hm, armer Selim Agha! Ich versuchte einen Schluck. Der Wein hatte auf der Reise gelitten, ließ sich aber trinken.

»Nun, Hoheit, wie ist er?« frug der Jude.

»Er ist so, daß ich Dir für den Krug zwanzig Piaster geben werde.«

»Herr, das ist geboten zu wenig, viel zu wenig! Für zwanzig Piaster werde ich wieder mitnehmen meinen Wein und Dir bringen einen andern.«

»Im Lande, wo er bereitet wird, gebe ich nach hiesigem Gelde für diesen Krug vier Piaster. Du siehst, ich will gut bezahlen, aber wenn Dir das nicht genügt, so nimm ihn wieder mit!«

Ich stand auf.

»Was soll ich bringen für welchen?«

»Keinen! Ich trinke nur diesen für zwanzig Piaster, den Du mir auch für fünfzehn ließest. Bekomme ich ihn nicht, so gehe ich, und Du magst ihn selbst trinken.«

»So wird ihn trinken die Hoheit des Selim Agha.«

»Er wird mit mir gehen.«

»Gib neunundzwanzig!«

»Nein.«

»Achtundzwanzig!«

»Gute Nacht, Alter!«

Ich öffnete die Thüre.

»Komm her, Effendi! Du sollst ihn doch haben für zwanzig Piaster, weil es mir ist eine Ehre, Dich zu sehen in meinem Hause.«

Der Handel war also abgeschlossen, und jedenfalls sehr zur Zufriedenheit des Juden, der sich, nachdem ich ihm das Geld gegeben hatte, mit verstecktem Schmunzeln entfernte. Der Agha kostete ein wenig und that dann einen tiefen Zug.

»Allah illa Allah! Wallah, Billah, Tallah! Solchen habe ich noch nicht bekommen. Glaubst Du, daß er gut ist für ein krankes System, Emir?«

»Sehr gut!«

»Oh, wenn das die ›Myrte‹ wüßte!«

»Hat sie auch ein System?«

»Ein sehr durstiges, Effendi!«

Er that einen zweiten und nachher einen dritten Zug.

»Das ist kein Wunder,« meinte ich. »Sie hat sehr viel zu sorgen, zu schaffen und zu arbeiten.«

»Für mich nicht; das weiß Allah!«

»Aber für Deine Gefangenen.«

»Sie bringt ihnen täglich einmal Essen, Brod und Mehlwasser.«

»Wie viel gibt Dir der Mutesselim für jeden Gefangenen?«

»Dreißig Para täglich.«

Also fünfzehn Pfennige ungefähr! Davon blieb sicherlich die Hälfte in den Händen Selim's kleben.

»Und was erhältst Du für die Beaufsichtigung?«

»Zwei Piaster täglich, die ich aber noch niemals bekommen habe. Ist es da ein Wunder, daß ich diese schöne Arznei noch gar nicht kenne?«

Er that abermals einen Zug.

»Zwei Piaster? Das ist sehr wenig, zumal Dir die Gefangenen sehr viele Mühe machen werden.«

»Mühe? Gar keine! Was soll ich mir mit diesen Halunken für Mühe geben? Ich gehe täglich einmal in das Gefängniß, um nachzusehen, ob vielleicht Einer gestorben ist.«

»Zu welcher Zeit thust Du das?«

»Wenn es mir paßt.«

»Auch des Nachts?«

»Ja, wenn ich am Tage es vergessen hatte und grad ausgegangen war. Wallahi, da fällt mir ein, daß ich heute noch nicht dort gewesen bin!«

»Meine Ankunft hat Dich gestört.«

»Das ist wahr, Effendi.«

»So mußt Du nachsehen?«

»Das werde ich nicht thun.«

»Warum nicht?«

»Die Kerle sind es nicht werth, daß ich mich bemühe!«

»Richtig! Aber wirst Du Dir nicht den Respekt verscherzen?«

»Welchen Respekt?«

»Du bist doch Agha, ein hoher Offizier. Deine Arnauten und Unteroffiziere müssen Angst vor Dir haben! Nicht?«

»Ja, das müssen sie. Bei Allah, das müssen sie!« betheuerte er.

»Auch der Sergeant, der im Gefängniß ist?«

»Auch dieser. Natürlich! Dieser Mazir ist überhaupt ein widerspenstiger Hund. Er muß Angst haben!«

»So mußt Du ihn gut beaufsichtigen, mußt ihn zuweilen überraschen, um zu sehen, ob er im Dienste pünktlich ist, sonst wird er Dich niemals fürchten!«

»Das werde ich; ja, bei Allah, ich werde es!«

»Wenn er sicher ist, daß Du nicht kommst, so sitzt er vielleicht beim Kawedschi oder bei den Tänzerinnen und lacht Dich aus.«

»Das soll er wagen! Ich werde ihn überraschen, morgen oder auch heute noch. Emir, willst Du ihn mit überraschen?«

Ich hütete mich wohl, einen Zweifel darüber blicken zu lassen, ob ich überhaupt das Recht habe, in dem Gefängnisse Zutritt zu nehmen; ich that im Gegentheile so, als ob ich ihm mit meiner Begleitung eine Ehre erwiese:

»Ist so ein Kerl es werth, daß er das Angesicht eines Emir sieht?«

»Du begleitest mich doch nicht um seinet-, sondern um meinetwillen.«

»Dann muß mir aber auch die Ehre erwiesen werden, die einem Emir und Effendi, der das Gesetz studirt hat, gebührt!«

»Das versteht sich! Es wird so sein, als ob mich der Mutesselim selbst begleitete. Du sollst das Gefängniß inspiciren.«

»So gehe ich mit, denn ich bin überzeugt, daß mich diese Arnauten nicht für einen Khawassen halten.«

Er hatte nur noch eine kleine Neige im Kruge, und ich hatte mit ihm gleichen Schritt gehalten. Seine Augen wurden kleiner, und die Spitzen seines Schnurrbartes standen auf Krakehl.

»Wollen wir uns noch einen Krug kommen lassen, Selim Agha?« frug ich ihn.

»Nein, Effendi, wenn es Dir beliebt. Ich dürste danach, diesen Mazir zu überraschen. Wir werden morgen wieder hierher gehen!«

Der Sergeant wurde nur vorgeschoben, in Wirklichkeit aber mochte der gute Agha die Gefährlichkeit des Weines aus Türbedi Haidari bereits verspüren. Er legte die Pfeife fort und erhob sich ein wenig unsicher.

»Wie war der Tabak, Effendi?« erkundigte er sich.

Ich ahnte den Grund und antwortete deßhalb:

»Schlecht. Er macht Kopfschmerzen und Schwindel.«

»Bei Allah, Du hast recht. Dieser Tabak schwächt das System des Blutes und der Nerven, während man doch gekommen ist, es zu stärken. Komm, laß uns gehen!«

»Müssen wir dem Juden unsere Entfernung melden?«

»Ja.«

Er klatschte in die Hände. Das war wieder das Zeichen; dann traten wir in das Freie. Das kurze Weinstudium war für mich vortheilhaft gewesen.

»Komm, Emir, gib mir Deinen Arm! Du weißt, ich liebe Dich!«

Es war weniger die Liebe als vielmehr die Schwächung seines ›Systems‹, welche ihn bewog, diese Bitte auszusprechen; denn als ihm die frische Abendluft entgegen_wehte, verriet er den sichtbarsten Eifer, in jene akrobatische Fatalität zu verfallen, in welcher man den Nadir mit dem Zenith zu verwechseln pflegt.

»Nicht wahr, Mohammed war ein gescheidter Kerl, Emir?«

frug er so laut, daß ein eben Vorübergehender stehen blieb, um uns etwas in Augenschein zu nehmen.

»Warum?«

»Weil er die Arzneien nicht verboten hat. Hätte er auch dies noch gethan, so müßte man aus den Trauben Tinte machen. Weißt Du, wo das Gefängniß liegt?«

»Hinter Deinem Hause.«

»Ja; Du hast immer recht, Emir. Aber wo liegt unser Haus?«

Das war nun eine jener leichten Fragen, die sich doch sehr schwer beantworten lassen, wenn nicht die Antwort ebenso albern sein soll, wie die Frage.

»Grad vor dem Gefängnisse, Agha.«

Er blieb stehen oder versuchte vielmehr, still zu stehen, und sah mich überrascht an.

»Emir, Du bist just ein ebenso gescheidter Kerl wie der alte Mohammed; nicht? Aber ich sage Dir, dieser Tabak ist mir so in das Gehirn gefahren, daß ich hier rechts das Gefängniß sehe und dort links ebenso. Welches ist das richtige?«

»Keines von Beiden. Da rechts steht eine Eiche, und das da oben links, das ist eine Wolke.«

»Eine Wolke? Allah illa Allah! Erlaube, daß ich Dich ein wenig fester halte!«

Der wackere Agha führte mich und zeigte dabei jene merkwürdige Manie des unwillkürlichen Fortschrittes, welchen man in einigen Gegenden Deutschland's ›eine Lerche schießen‹ nennt. So kamen wir allerdings ziemlich schnell weiter, und es gelang mir endlich, ihn vor das Gebäude zu bringen, welches ich für das Gefängniß hielt, obgleich ich es von seiner vorderen Seite noch nicht gesehen hatte.

»Ist dies das Zindan?« frug ich ihn.

Er schob den Turban in das Genick und blickte sich nach allen Seiten um.

»Hm! Es sieht ihm ähnlich. Emir, bemerkst Du Niemand in der Nähe, den man fragen kann? Ich habe Dich so fest halten müssen, daß mir die Augen wirbeln, und das ist schlimm; denn diese Häuser sprangen an mir vorbei wie eine galoppirende Karawane.«

»Ich sehe keinen Menschen. Aber es muß es sein!«

»Wir wollen einmal probiren!«

Er fuhr mit der Hand in seinen Gürtel und vigilirte nach Etwas, was er nicht finden konnte.

»Was suchest Du?«

»Den Schlüssel zur Gefängnißthüre.«

»Hast Du ihn?«

»Stets! Lange Du doch einmal her und sieh, ob Du ihn findest!«

Ich suchte und fand den Schlüssel sofort. Man mußte ihn bei dem ersten Griffe fühlen, denn er war so groß, daß man ihn mit einer Bärenkugel Nummer Null hätte laden können.

»Hier ist er. Soll ich schließen?«

»Ja, komm! Aber ich denke mir, daß Du das Loch nicht finden wirst, denn Dein System hat sehr gelitten.«

Der Schlüssel paßte, und bald knarrte die Thüre in ihren Angeln.

»Gefunden!« meinte er. »Diese Töne kenne ich sehr genau. Laß uns eintreten!«

»Soll ich die Thüre wieder zuschließen?«

»Versteht sich! In einem Gefängnisse muß man vorsichtig sein.«

»Rufe den Schließer!«

»Den Sergeant? Wozu?«

»Er soll uns leuchten.«

»Fällt mir gar nicht ein! Wir wollen doch den Schurken überraschen!«

»Dann mußt Du leiser sprechen!«

Er wollte vorwärts, stolperte aber so, daß er gefallen wäre, wenn ich ihn nicht mit beiden Händen gehalten hätte.

»Was war das? Emir, wir sind dennoch in ein fremdes Haus gerathen!«

»Wo ist der Raum, in dem sich der Sergeant befindet? Liegt er zu ebener Erde?«

»Nein, sondern eine Treppe hoch.«

»Und wo führt die Treppe hinauf, hinten oder vorn?«

»Hm! Wo war es nur! Ich glaube, vorn. Man hat von der Thüre aus noch sechs bis acht Schritte zu gehen.«

»Rechts oder links?«

»Ja, wie stehe ich denn? Hüben oder drüben? O Emir, Deine Seele kann die Arznei nicht gut vertragen; denn Du hast mich so schief gestellt, daß dieser Hausflur nicht gradaus läuft, sondern von unten hinauf in die Höhe!«

»So komm her! Hinter Dir ist die Thüre; hier ist rechts, und da ist links. An welcher Seite nun geht die Treppe empor?«

»Hier links.«

Wir schritten vorsichtig weiter, und mein tastender Fuß stieß wirklich bald an die unterste Stufe einer Treppe.

»Da sind die Stufen, Agha!«

»Ja, das sind sie. Falle nicht, Emir! Du warst noch nie in diesem Hause; ich werde Dich sehr sorgfältig leiten.«

Er hing sich schwer an mich, so daß ich ihn die mir unbekannte Treppe förmlich emportragen mußte.

»Jetzt sind wir oben. Wo ist die Stube des Sergeanten?«

»Rede leiser; ich höre Alles! Rechts die erste Thüre ist es.«

Er zog mich fort, aber grad aus statt nach rechts; ich schwenkte ihn also herum und fühlte nach einigen Schritten die Thüre, welche ich tastend untersuchte.

»Ich fühle zwei Riegel, aber kein Schloß.«

»Es gibt keins.«

»Die Riegel sind vorgeschoben.«

»Dann sind wir am Ende doch in ein fremdes Haus gerathen.«

»Ich werde öffnen.«

»Ja, thue es, damit ich erfahre, woran ich mit Dir bin!«

Ich schob die schweren Riegel zurück. Die Thüre ging nach außen auf. Wir traten ein.

»Gibt es ein Licht in der Stube des Sergeanten?«

»Ja. Die Lampe steht mit dem Feuerzeuge links in einem Mauerloche.«

Ich lehnte ihn an die Wand und suchte. Das Loch nebst dem Nöthigen wurde entdeckt, und bald hatte ich die Lampe angebrannt.

Der Raum war eng und klein. Eine Binsenmatte lag auf der Diele; sie hatte als ›Möbel für alles‹ zu dienen. Ein zerbrochener Napf, ein Paar zerrissene Schuhe, ein Pantoffel, ein leerer Wasserkrug und eine Peitsche standen und lagen auf dem Boden herum.

»Nicht da! Wo steckt dieser Mensch?« frug der Agha.

»Er wird bei den Arnauten sein, die auch hier zu wachen haben.«

Er nahm die Lampe und wankte voran, stieß aber an den Thürpfosten.

»Schiebe mich nicht, Emir. Komm, halte die Lampe; ich will Dich lieber führen, sonst könntest Du mich die Treppe hinabwerfen. Ich liebe Dich und bin Dein Freund, Dein bester Freund; darum rathe ich Dir, nie wieder diese persische Arznei zu trinken. Sie macht Dich ja ganz gewaltthätig!«

Ich mußte allerdings einige Gewalt anwenden, um ihn unbeschädigt hinabzubringen. Als wir vor der bezeichneten Thüre anlangten, war auch sie verschlossen, und als wir sie öffneten, fanden wir auch diesen Raum leer. Er glich mehr einem Stalle als der Wohnung eines Menschen und ließ sehr Trauriges über die Asyle der Gefangenen errathen.

»Auch fort! Emir, Du hattest recht. Diese Schurken sind fortgelaufen, statt zu wachen. Aber sie sollen lernen, mich zu fürchten. Ich lasse ihnen die Bastonnade geben; ja, ich lasse sie sogar aufhängen!«

Er versuchte, die Augen zu rollen, aber er brachte es nicht fertig; der Wein wirkte je länger, desto kräftiger; sie fielen ihm zu.

»Was thun wir nun?«

»Was meinst Du, Emir?«

»Ich an Deiner Stelle würde warten, um die Arnauten so zu empfangen, wie sie es verdient haben.«

»Freilich werde ich dies thun. Aber wo warten wir?«

»Hier oder oben.«

»Hier. Ich steige nicht erst wieder hinauf; Du wirst mir zu schwer, Effendi. Sieh, wie Du wankst! Setze Dich nieder!«

»Ich denke, wir wollen die Gefängnisse inspiciren?«

»Ja, das wollten wir,« sagte er ermüdet. »Aber, diese Menschen sind es nicht werth. Es sind lauter Spitzbuben, Diebe und Räuber, Kurden und auch ein Araber, welcher der Schlimmste von Allen ist.«

»Wo steckt dieser Kerl?«

»Hier nebenan, weil er am schärfsten bewacht werden soll. So setze Dich doch!«

Ich ließ mich neben ihm nieder, obgleich der Boden nur aus hartgestampftem Lehm bestand und den höchsten Grad von Unreinlichkeit zeigte. Der Agha gähnte.

»Bist Du müde?« frug er mich.

»Ein wenig.«

»Darum gähnst Du so. Schlafe, bis sie kommen. Ich werde Dich wecken. Allah illa Allah, Du bist ganz schwach und unzuverlässig geworden! Aber ich werde es mir so bequem wie möglich machen.«

Er streckte sich aus, stemmte den Ellenbogen auf und legte den Kopf in die Hand. Eine lautlose Stille trat ein, und nach einer kleinen Weile sank der Kopf vollends nieder – der Herr des Gefängnisses schlief.

Wie oft hatte ich gelesen, daß ein Gefangener durch die Berauschung seiner Wächter befreit worden sei, und mich über diesen verbrauchten Schriftstellercoup geärgert! Und jetzt befand ich mich in voller Wirklichkeit in Folge eines Rausches in dem Besitze aller Gefangenen. Sollte ich dem Haddedihn Thor und Thüre öffnen? Das wäre wohl unklug gewesen. Wir waren nicht vorbereitet, augenblicklich die Stadt zu verlassen. Am Thore standen Wachen, welche sicher Verdacht geschöpft hätten. Auf den armen Agha wäre die ganze Schuld gefallen und – ich mußte ganz offen als der Thäter bezeichnet werden, was mir große Gefahr bringen oder wenigstens später viele Ungelegenheiten bereiten konnte. Es war jedenfalls besser, den Gefangenen so verschwinden zu lassen, daß sein Entkommen ganz unbegreiflich blieb. Das war jetzt in meine Hand gegeben und machte es mir möglich, jeden Verdacht von mir fern zu halten. Ich beschloß also, heute mit dem Haddedihn nur zu sprechen, und die Flucht erst dann zu bewerkstelligen, wenn sie gehörig vorbereitet sein würde.

Der Agha lag am Boden und schnarchte laut bei offen stehendem Munde. Ich rüttelte ihn erst leise und dann stärker am Arme. Er erwachte nicht. Nun ergriff ich die Lampe und verließ die Stube, deren Thüre ich leise zumachte. Auch einen der Riegel schob ich lautlos vor, um auf keinen Fall überrascht zu werden. Ich hatte bereits vorhin Acht gegeben und bemerkt, daß alle Thüren ohne Schlösser und nur mit zwei Riegeln versehen waren. Einen Schlüssel brauchte ich also nicht zu suchen.

Es war mir doch ein wenig verändert zu Muthe, als ich so allein draußen auf dem Gange stand, dessen Finsterniß von dem kleinen Lichte der Lampe nicht durchdrungen werden konnte. Aber ich hielt mich auf Alles gefaßt. Wäre ein zwingender Umstand eingetreten, so hätte ich Alles gewagt, um nicht ohne den Gefangenen fortzukommen. Ich schob die Riegel zurück, öffnete und ließ die Thüre weit offen stehen, um jeden Laut vernehmen zu können, nachdem ich eingetreten war.

Ja, es war ein Loch, welches ich erblickte! Ganz ohne die Vermittlung von einigen Stufen fiel der vor mir liegende Raum hart hinter der Thüre über zwei Ellen tief hinab. Er hatte eine Länge von vier und eine Breite von zwei Schritten ungefähr und zeigte weder Tünche, noch Holz- oder Lehmboden. Oben, dicht unter der Decke war eines jener Löcher angebracht, die ich am Tage von außen bemerkt hatte, und außer einem ›Napfe‹ mit Wasser, wie man ihn einem Hunde vorgesetzt haben würde, sah ich nichts als den Gefangenen in dieser Höhle.

Er hatte auf der feuchten, dumpfen Erde gelegen, war aber bei meinem Erscheinen aufgestanden. Hohläugig und abgemagert, glich er einem Halbtodten, aber dennoch war seine Haltung eine stolze, und sein Auge blitzte zornig, als er mich frug:

»Was willst Du? Darf man nicht einmal schlafen?«

»Sprich leise! Ich gehöre nicht zu Deinen Wächtern. Wie ist Dein Name?«

»Warum fragest Du?«

»Sprich noch leiser, denn man soll uns nicht hören. Wie heißest Du?«

»Das wirst Du wissen!« antwortete er, aber doch mit gedämpfter Stimme.

»Ich vermuthe es, aber ich will aus Deinem Munde wissen, wer Du bist.«

»Man nennt mich Amad el Ghandur.«

»So bist Du Jener, den ich suche. Versprich mir, ganz ruhig zu sein, was ich Dir auch sagen werde!«

»Ich verspreche es!«

»Mohammed Emin, Dein Vater, ist in der Nähe.«

»Allah il Al – – –!«

»Schweig! Dein Ruf kann uns verrathen!«

»Wer bist Du?«

»Ein Freund Deines Vaters. Ich kam als Gast zu den Haddedihn und habe an der Seite Deines Vaters gegen Eure Feinde gekämpft. Da hörte ich, daß Du gefangen seiest, und wir haben uns aufgemacht, Dich zu befreien.«

»Allah sei gelobt! Aber ich kann es nicht glauben!«

»Glaube es! Siehe, dieses Fenster geht in einen Hof, welcher an einen Garten stößt, der zu dem Hause gehört, in dem wir wohnen.«

»Wie viele Männer seid Ihr?«

»Nur vier. Dein Vater, ich, noch ein Freund und mein Diener.«

»Wer bist Du, und wer ist dieser Freund?«

»Laß das für später, denn jetzt müssen wir eilen!«

»Fort?«

»Nein. Wir sind noch nicht vorbereitet, und ich kam zufällig hierher, ohne es vorher geahnt zu haben. Kannst Du lesen?«

»Ja.«

»Aber es fehlt Dir das Licht dazu.«

»Zur Mittagszeit ist es hell genug.«

»So höre. Ich könnte Dich gleich jetzt mitnehmen, aber das wäre zu gefährlich; doch ich versichere Dir, daß es nur ganz kurze Zeit noch dauern wird, bis Du frei sein wirst. Noch weiß ich nicht, was wir beschließen werden; aber wenn Du einen Stein durch das Fenster fallen hörst, so hebe ihn auf; es wird ein Papier daran gebunden sein, welches Dir sagt, was Du thun sollst.«

»Herr, Du gibst mir das Leben zurück; denn beinahe wäre ich verzweifelt! Wie habt Ihr erfahren, daß man mich nach Amadijah geschleppt hat?«

»Ein Dschesidi sagte es mir, den Du am Wasser getroffen hast.«

»Das stimmt,« antwortete er schnell. »O, nun sehe ich, daß Du die Wahrheit redest! Ich werde warten, aber grüße den Vater von mir!«

»Ich werde es noch heute thun. Hast Du Hunger?«

»Sehr!«

»Könntest Du Brod, Licht und Feuerzeug verstecken?«

»Ja. Ich grabe mit den Händen ein Loch in die Erde.«

»Hier hast Du meinen Dolch dazu. Es ist für alle Fälle gut, wenn Du eine Waffe hast. Aber sie ist mir kostbar; laß sie nicht entdeckt werden!«

Er griff hastig zu und drückte sie an die Lippen.

»Herr, Allah mag Dir das in Deiner Todesstunde gedenken! Nun habe ich eine Waffe; nun werde ich frei sein, auch wenn Ihr nicht kommen könnt!«

»Wir werden kommen. Unternimm ja nichts Vorschnelles; das könnte Dich und Deinen Vater in große Gefahr versetzen.«

»Ich werde eine ganze Woche warten. Seid Ihr dann noch nicht gekommen, so handle ich selbst.«

»Gut! Wenn es geht, werde ich Dir noch diese Nacht Speise, Licht und Feuerzeug durch das Fenster bringen. Vielleicht können wir auch mit einander sprechen. Wenn es ohne Gefahr geschehen kann, sollst Du die Stimme Deines Vaters hören. Jetzt, lebe wohl; ich muß gehen!«

»Herr, reiche mir Deine Hand!«

Ich hielt sie ihm entgegen. Er drückte sie mit beiden Händen, daß es mich schmerzte.

»Allah segne diese Hand, so lange sie sich bewegt, und wenn sie sich zum Todesschlaf gefaltet hat, so möge Dein Geist sich im Paradiese freuen der Stunde, in welcher Du mein Engel wurdest! Jetzt gehe, damit Dir nichts widerfahre!«

Ich verschloß das Gefängniß und begab mich leise zum Agha zurück. Er schlief und schnarchte noch immer, und ich setzte mich nieder. So saß ich wohl eine ganze Stunde lang, bis ich Schritte vernahm, welche vor der Hausthüre halten blieben. Schnell zog ich die bisher offene Thüre zu und rüttelte den Agha munter. Es war dies keine leichte Arbeit, besonders da sie schnell geschehen mußte. Ich stellte ihn aufrecht empor. Er starrte mich verwundert an.

»Du, Emir? Wo sind wir?«

»Im Gefängnisse. Raffe Dich zusammen!«

Er schaute sich verdutzt um.

»Im Gefängnisse? Ah! Wie kommen wir hierher?«

»Denke an den Juden und an die Arznei; denke auch an den Sergeant, den wir überraschen wollen!«

»Den Serg – – – Maschallah, jetzt weiß ich es! Ich habe geschlafen. Wo ist er? Ist er noch nicht da?«

»Sprich leiser! Hörst Du? Sie stehen noch unter der Thüre und reden mit einander. Reibe Dir den Schlaf aus dem Gesichte!«

Der gute Selim sah sehr jämmerlich aus; aber er hatte wenigstens die Besinnung wieder gefunden und vermochte ohne Schwanken aufrecht zu stehen. Und jetzt, als die Thüre verschlossen wurde, nahm er die Lampe in die Hand, stieß unsere Thüre auf und trat in den Gang hinaus. Ich folgte ihm. Die Übeltäter blieben erschrocken stehen, während er auf sie zuschritt.

»Wo kommt Ihr her, Ihr Hunde?« fuhr er sie an.

Seine Stimme klang wie Donner in dem langen, schmalen Raum.

»Vom Kawedschi,« antwortete der Sergeant nach einigem Zögern.

»Vom Kawedschi! Während Ihr hier wachen sollt! Wer hat Euch die Erlaubniß ertheilt, fortzugehen?«

»Niemand!«

Die Leute zitterten vor Angst; sie dauerten mich. Ihre Nachlässigkeit war mir ja von so großem Vortheile gewesen. Trotz des kleinen Flämmchens sah ich, wie schrecklich der Agha seine Augen rollen ließ. Die Spitzen seines Bartes bebten, und seine Hand ballte sich vor Wuth. Aber er mochte bemerken, daß er denn doch noch nicht ganz fest auf den Füßen stehe, und daher besann er sich eines Besseren.

»Morgen erhaltet Ihr Eure Strafe!«

Er setzte die Lampe auf eine der Treppenstufen und wandte sich zu mir:

»Oder meinst Du vielleicht, Emir, daß ich gleich jetzt das Urtheil fälle? Willst Du haben, daß ich den Einen durch die Andern auspeitschen lasse?«

»Verschiebe ihre Züchtigung bis morgen, Selim Agha! Sie kann ihnen ja nicht entgehen.«

»Ich thue Deinen Willen. Komm!«

Er öffnete die Thüre und verschloß sie von draußen wieder.

Wir gingen nach Hause, wo uns die ›Myrte‹ erwartete.

»Warest Du so lange beim Mutesselim?« frug sie ihn argwöhnisch.

»Mersinah,« antwortete er, »ich sage Dir, daß wir eingeladen wurden, bis zum frühen Morgen zu bleiben; aber ich wußte Dich allein zu Hause und habe darum die Gastfreundlichkeit des Commandanten abgeschlagen. Ich will nicht haben, daß Dir die Russen den Kopf abschneiden. Es gibt Krieg!«

Sie schlug erschrocken die Hände zusammen.

»Krieg? Zwischen wem denn?«

»Zwischen den Türken, Russen, Persern, Arabern und Kurden. Die Russen stehen bereits mit hunderttausend Mann und dreitausend Kanonen vier Stunden von hier in Serahru.«

»O Allah! Ich sterbe; ich bin bereits todt! Mußt Du auch mitkämpfen?«

»Ja. Fette mir noch heute Nacht die Stiefel ein! Aber laß keinen Menschen etwas wissen. Der Krieg ist jetzt noch Staatsgeheimniß, und die Leute von Amadijah sollen es erst erfahren, wenn die Russen morgen die Stadt umzingelt haben.«

Sie taumelte und setzte sich ganz entkräftet auf den ersten besten Topf, der in ihrer Nähe stand.

»Schon morgen! Morgen sind sie wirklich da?«

»Ja.«

»Und sie werden schießen?«

»Sehr!«

»Selim Agha, ich werde Dir Deine Stiefel nicht einschmieren!«

»Warum nicht?«

»Du darfst nicht Krieg führen helfen; Du sollst nicht erschossen werden!«

»Gut! Das ist mir sehr lieb, denn dann kann ich schlafen gehen. Gute Nacht, Effendi! Gute Nacht, meine süße Mersinah!«

Er trat ab. Die Blume des Hauses blickte ihm etwas verwundert nach; dann erkundigte sie sich:

»Emir, ist es wahr, daß die Russen kommen?«

»Das ist noch ein wenig ungewiß. Ich glaube, daß der Agha die Sache etwas zu ernst genommen hat.«

»O, Du träufelst Balsam in mein verwundetes Herz. Ist es nicht möglich, sie von Amadijah abzuhalten?«

»Wir wollen uns das überlegen. Hast Du die Kaffeesorten auseinander gelesen?«

»Ja, Herr. Es ist das eine sehr schlimme Arbeit gewesen; aber dieser böse Hadschi Halef Omar ließ mir keine Ruhe, bis ich fertig war. Willst Du es sehen?«

»Zeige her!«

Sie brachte die Büchse und die Tüte herbei, und ich überzeugte mich, daß sie sich allerdings große Mühe gegeben hatte.

»Und wie wird Dein Urtheil lauten, Emir?«

»Es lautet gut für Dich. Da Deine zarten Hände diese Bohnen so oft berühren mußten, so soll der Kaffee Dein Eigenthum sein. Auch das Geschirr, welches ich heute einkaufte, gehört Dir; die Gläser aber schenke ich dem wackeren Selim Bey.«

»O Effendi, Du bist ein gerechter und weiser Richter. Du hast mehr Güte, als ich Töpfe hatte, und dieser duftende Kaffee ist ein Beweis Deiner Herrlichkeit. Allah mag das Herz der Russen lenken, daß sie nicht kommen und Dich nicht erschießen. Denkst Du, daß ich heute noch ruhig schlafen kann?«

»Das kannst Du; ich versichere es Dir!«

»Ich danke Dir, denn die Ruhe ist noch das Einzige, an dem ein geplagtes Weib sich freuen kann!«

»Schläfst Du hier unten, Mersinah?«

»Ja.«

»Aber nicht in der Küche, sondern nach vorn hinaus?«

»Herr, eine Frau gehört in die Küche und schläft auch in der Küche.«

Hm! Das war unangenehm. Übrigens kam mir der dumme Witz des Agha sehr ungelegen. Die ›Myrte‹ schlief heute gewiß nicht gleich ein. Ich stieg nach oben, ging aber, anstatt in mein Zimmer, in dasjenige des Haddedihn. Er hatte sich bereits schlafen gelegt, erwachte aber sofort. Ich erzählte ihm mein Abenteuer im Gefängniß, und er ward des Staunens voll.

Wir packten dann Eßwaaren nebst Licht und Feuerzeug ein und schlichen uns nach einer leeren Stube, welche an der Hochseite des Hauses lag. Sie hatte nur ein Fenster, das heißt, eine viereckige Öffnung, welche durch einen Laden verschlossen war. Dieser war nur angelehnt, und als ich hinaus_blickte, sah ich das platte Dach, welches diese Seite des kleinen Hofes umschirmte, nur fünf Fuß unter mir. Wir stiegen hinaus und von dem Dache in den Hof hinab. Die Thüre des Letzteren war verschlossen; wir befanden uns also allein und gingen in den Garten, in welchem einst die schöne Esma Khan geduftet hatte. Nun trennte uns von dem Gefängnisse nur eine Mauer, deren Höhe wir mit der Hand erreichen konnten.

»Warte,« bat ich den Scheik. »Ich will der Sicherheit wegen erst sehen, ob wir auch wirklich unbeobachtet sein werden.«

Ich schwang mich leise hinauf und drüben wieder hinab. Aus dem ersten kleinen Fensterloche rechts im Parterre sah ich einen fahlen Lichtschein. Dort war die Stube, in welcher der Agha geschlafen hatte. Und dort saßen jetzt wohl die Arnauten, die vor Angst nicht schlafen konnten. Das nächste, also das zweite Fenster gehörte zu dem Raume, in welchem Amad el Ghandur auf uns wartete.

Ich durchsuchte den schmalen Hofraum, ohne auf etwas Verdachterregendes zu stoßen, und fand auch die Thüre verschlossen, welche aus dem Gefängnisse in den Hof führte. Nun kehrte ich zu der Stelle der Mauer zurück, hinter welcher der Haddedihn stand.

»Mohammed!«

»Wie ist es?«

»Alles sicher. Kannst Du herüber?«

»Ja.«

»Aber leise!«

Er kam.

Wir huschten über den Hof hinüber und standen nun unter dem Fensterchen, welches ich beinahe mit der Hand erreichen konnte.

»Bücke Dich, Scheik, stütze Dich gegen die Wand und stemme die Hände auf die Kniee!«

Er that es, und ich stieg auf seinen Rücken, welcher jetzt eine beinahe wagrechte Lage angenommen hatte. Ich stand mit dem Gesicht grad vor dem Loche des Kerkers.

»Amad el Ghandur!« sprach ich in dasselbe hinein und hielt dann schnell das Ohr hin.

»Herr, bist Du es?« klang es hohl von unten herauf.

»Ja.«

»Ist mein Vater auch da?«

»Er ist hier. Er wird Dir Speise und Licht an einer Schnur herablassen und dann mit Dir sprechen. Warte; er wird gleich oben sein.«

Ich stieg von dem Rücken des Arabers herab.

»War ich schwer?«

»Lange ist es nicht auszuhalten, denn die Stellung ist zu unbequem.«

»So werden wir es jetzt anders machen, da Du jedenfalls nicht nur einen kurzen Augenblick mit Deinem Sohne reden willst: Du kniest auf meine Achseln; dann kann ich aufrecht stehen und es so lange aushalten, wie es Dir beliebt.«

»Hat er Dich gehört?«

»Ja. Er fragte nach Dir. Ich habe in der Tasche eine Schnur, an welcher Du das Packet hinablassen kannst.«

Die Schnur wurde befestigt; ich bildete mit auf dem Rücken gefalteten Händen einen Tritt, auf welchen er den Fuß setzen konnte, und er stieg auf. Nachdem ich meine Hände an seine Kniee gelegt hatte, so daß er nicht abrutschen konnte, kniete er auf meinen Achseln so sicher wie zur ebenen Erde. Er ließ das Päckchen hinab, und nun begann ein leises, aber desto eifrigeres Zwiegespräch, von dem ich nur den von Mohammed Emin gesprochenen Theil vernehmen konnte. Dazwischen hinein fragte mich der Scheik zuweilen, ob er mir nicht zu schwer werde. Er war ein langer, starker Mann, und deßhalb war es mir schon recht, als er nach ungefähr fünf Minuten zu Boden sprang.

»Emir, er muß heraus; ich kann es nicht erwarten.«

»Vor allen Dingen wollen wir gehen. Steig einstweilen voran; ich will dafür sorgen, daß man am Tage keine Fußspur findet.«

»Der Boden ist ja hart wie Stein!«

»Vorsicht ist besser als Nachlässigkeit.«

Er ging voran, und ich folgte bald nach. In kurzer Zeit waren wir auf demselben Wege, den wir gekommen waren, zurückgekehrt und befanden uns in dem Zimmer des Scheik.

Er wollte nun sogleich einen Plan zur Befreiung seines Sohnes mit mir berathen; ich aber empfahl ihm, darüber zu schlafen, und schlich mich auf mein Zimmer.

Am andern Morgen besuchte ich zunächst meine Patientin; sie hatte nichts mehr zu befürchten. Die Mutter war ganz allein bei ihr, wenigstens bekam ich weiter Niemand zu sehen. Sodann machte ich einen Gang durch und um die Stadt, um eine Stelle in der Mauer ausfindig zu machen, an der es möglich war, hinaus in das Freie zu gelangen, ohne das Thor passiren zu müssen. Es gab eine, aber sie war nicht für Pferde, sondern nur für Fußgänger zu passiren.

Als ich wieder nach Hause kam, hatte sich Selim Agha erst vom Lager erhoben.

»Emir, jetzt ist es Tag,« meinte er.

»Bereits schon lange,« antwortete ich.

»O, ich meine, daß man nun besser als gestern über unsere Sache reden kann.«

»Unsere Sache?«

»Ja, unsere. Du bist ja auch dabei gewesen. Soll ich Anzeige machen oder nicht? Was meinst Du, Effendi?«

»Ich an Deiner Stelle würde es unterlassen.«

»Warum?«

»Weil es besser ist, es wird gar nicht davon gesprochen, daß Du während der Nacht im Gefängnisse gewesen bist. Deine Leute haben jedenfalls bemerkt, daß Dein Gang nicht ganz sicher war, und sie könnten dies bei ihrer Vernehmung mit in Erwähnung bringen.«

»Das ist wahr! Als ich vorhin erwachte, sah mein Anzug sehr schlimm aus, und ich habe lange reiben müssen, um den Schmutz wegzubringen. Ein Wunder, daß dies Mersinah nicht gesehen hat! Also Du meinst, ich soll die Anzeige unterlassen?«

»Ja. Du kannst ja den Leuten einen Verweis geben, und Deine Gnade wird sie blenden wie ein Sonnenstrahl.«

»Ja, Effendi, ich werde ihnen zunächst eine fürchterliche Rede halten!«

Seine Augen rollten wie das Luftrad einer Stubenventilation. Dann standen sie plötzlich still, und sein Gesicht nahm einen sehr sanftmüthigen Ausdruck an.

»Und dann werde ich sie begnadigen, wie ein Padischah, der das Leben und Eigenthum von Millionen Menschen zu verschenken hat.«

Er wollte gehen, blieb aber unter der Thüre halten; denn draußen war ein Reiter abgestiegen, und ich hörte eine bekannte Stimme fragen:

»Sallam, Herr! Bist Du vielleicht Selim Agha, der Befehlshaber der Albanesen?«

»Ja, der bin ich. Was willst Du?«

»Wohnt bei Dir ein Effendi, welcher Hadschi Emir Kara Ben Nemsi heißt, und zwei Effendi, einen Diener und einen Baschi-Bozuk bei sich hat?«

»Ja. Was soll er?«

»Erlaube, daß ich mit ihm spreche!«

»Hier steht er.«

Selim trat zur Seite, so daß der Mann mich sehen konnte. Es war kein Anderer, als Selek, der Dschesidi aus Baadri.

»Effendi,« rief er mit großer Freude, »erlaube, daß ich Dich begrüße!«

Wir reichten einander die Hände; dabei sah ich, daß er ein Pferd Ali Bey's ritt, welches dampfte. Er war jedenfalls sehr rasch geritten. Es war zu vermuthen, daß er mir eine Botschaft, und zwar eine sehr wichtige, zu überbringen hatte.

»Führe Dein Pferd in den Hof und komme dann herauf zu mir!« wies ich ihn an.

Als wir uns in meiner Stube und also allein befanden, griff er in den Gürtel und zog einen Brief hervor.

»Von wem?«

»Von Ali Bey.«

»Wer hat ihn geschrieben?«

»Mir Scheik Khan, der Oberste der Priester.«

»Wie hast Du meine Wohnung gefunden?«

»Ich frug gleich am Thore nach Dir.«

»Und woher weißt Du, daß zwei Effendi bei mir sind? Als ich bei Euch war, hatte ich nur Einen bei mir.«

»Ich erfuhr es in Spandareh.«

Ich öffnete den Brief. Er enthielt sehr Interessantes, einige gute Nachrichten, welche die Dschesidi betrafen, und eine schlimme, welche sich auf mich bezog.

»Was? Einen solchen Erfolg hat die Gesandtschaft Ali Bey's gehabt?« frug ich. »Der Anadoli Kasi Askerie ist mit ihr nach Mossul gekommen?«

»Ja, Herr. Er liebt unsern Mir Scheik Khan und hat eine strenge Untersuchung gehalten. Der Mutessarif wird weggenommen; an seine Stelle kommt ein Anderer.«

»Und der Makredsch von Mossul ist entflohen?«

»So ist es. Er war an allen Fehlern Schuld, die der Mutessarif gemacht hat. Es haben sich sehr schlimme Dinge herausgestellt. Seit elf Monaten hat kein Unter-Gouverneur die nöthigen Gelder und kein Befehlshaber und kein Soldat seinen Sold erhalten. Die Demüthigung der Araber, welche die hohe Pforte anbefohlen hatte, blieb unterlassen, weil er alle Summen einsteckte, welche dazu erforderlich waren. Und so noch vieles Andere. Die Khawassen, welche den Makredsch gefangen nehmen sollten, sind zu spät gekommen; er war fort. Darum haben alle Beys und Kieijahs der Umgegend den Befehl erhalten, ihn festzunehmen, sobald er sich sehen läßt. Der Anadoli Kasi Askerie vermuthet, daß er nach Bagdad geflohen sei, weil er ein Freund des dortigen Weli gewesen ist.«

»Das ist wohl eine falsche Vermuthung! Der Flüchtling ist sicher in die Berge geflohen, wo er schwerer zu ergreifen ist, und wird lieber nach Persien als nach Bagdad gehen. Das Reisegeld kann er unterwegs sehr leicht erhalten. Er ist der Oberrichter sämtlicher Untergerichtshöfe, deren Gelder ihm zu Gebote stehen.«

»Du hast Recht, Effendi! Noch gestern abend haben wir erfahren, daß er am Morgen des vorigen Tages in Alkosch und am Abend bereits in Mungayschi gewesen ist. Es scheint, daß er nach Amadijah gehen wolle, aber auf einem Umwege, weil er die Ortschaften der Dschesidi fürchtet, die er überfallen hat.«

»Ali Bey vermuthet mit Recht, daß mir sein Eintreffen hier große Schwierigkeiten bereiten kann. Er wird mir sehr hinderlich sein, und ich kann leider nicht beweisen, daß er selbst ein Flüchtling ist.«

»O Emir, Ali Bey ist klug. Als er von dem Makredsch hörte, befahl er mir, sein bestes Pferd zu satteln und die ganze Nacht zu reiten, um noch vor dem Oberrichter hier einzutreffen, falls dieser wirklich die Absicht haben sollte, nach Amadijah zu kommen. Und als ich Baadri verließ, gab er mir zwei Schreiben mit, die er aus Mossul erhalten hat. Hier sind sie; Du sollst sehen, ob Du sie gebrauchen kannst.«

Ich öffnete sie und las. Das Eine war der Brief des Anadoli Kasi Askerie an Mir Scheik Khan, in welchem diesem die Absetzung des Mutessarif und des Makredsch mitgetheilt wurde. Das Andere enthielt die amtliche Weisung an Ali Bey, den Makredsch festzunehmen und nach Mossul zu transportiren, sobald er sich auf dessen Gebiete sehen lasse. Beide waren mit der Unterschrift und dem großen Siegel des Kasi Askerie versehen.

»Diese Papiere sind mir allerdings sehr wichtig. Wie lange kann ich sie behalten?«

»Sie sind ganz Dein.«

»Also vorgestern Abend ist der Makredsch in Mungayschi gewesen?«

»Ja.«

»So könnte er heute hier ankommen, und ich brauche diese Schreiben bloß für diesen Tag. Kannst Du so lange warten?«

»Ich warte so lange, wie Du befiehlst, Emir!«

»So gehe jetzt zwei Thüren weiter! Dort wirst Du Bekannte treffen, nämlich Hadschi Halef und den Buluk Emini.«

Die Nachricht, daß der Makredsch nach Amadijah kommen könne, hatte mich zunächst mit Besorgniß erfüllt; sobald ich mich aber in dem Besitze der beiden Schriftstücke sah, mußte diese Besorgniß schwinden, und ich konnte seinem Kommen mit Ruhe entgegensehen. Ja, ich glaubte bereits, daß die Kunde von der Absetzung des Mutessarif eine Freilassung des gefangenen Haddedihn zur Folge haben könne, kam aber von dem Gedanken zurück, als ich las, daß die Feindseligkeiten gegen die Araber nicht als eine Privatsache des Mutessarif, sondern auf Befehl der Pforte unternommen seien.

Am Nachmittage trat die ›Myrte‹ in meine Stube.

»Effendi, willst Du mit in das Gefängniß?«

Das kam mir erwünscht, aber ich mußte doch erst mit Mohammed Emin reden. Darum sagte ich:

»Ich habe jetzt keine Zeit.«

»Du hast es mir aber doch versprochen und auch gesagt, daß Du den Gefangenen erlauben willst, Einiges von mir zu kaufen!«

Der Rose von Amadijah schien sehr viel an dem Gewinne zu liegen, den dieser kleine Handel ihr jedenfalls einbrachte.

»Ich würde mein Wort halten; aber ich habe leider erst in einer Viertelstunde Zeit.«

»So warte ich, Emir! Aber wir können doch nicht mitsammen gehen!«

»Ist Selim Agha dabei?«

»Nein. Er hat jetzt Dienst bei dem Mutesselim.«

»So befiehl dem Sergeanten, daß er mir öffnen möge. In diesem Falle kannst Du bereits jetzt gehen, und ich werde nachkommen.«

Sie verschwand mit heiterem Angesichte. Sie schien es gar nicht der Mühe werth zu halten, daran zu denken, ob der Sergeant mir den Zutritt erlauben werde, da ich doch weder ein Recht dazu hatte, noch die Erlaubniß seines Vorgesetzten nachweisen konnte. Natürlich ging ich sofort zu Mohammed Emin und setzte ihn von meinem bevorstehenden Besuche im Gefängniß in Kenntniß. Ich empfahl ihm, zur Flucht bereit zu sein und zunächst für seinen Sohn durch Halef heimlich einen türkischen Anzug kaufen zu lassen. Dann brannte ich mir einen Tschibuk an und stieg mit gravitätischen Schritten durch die Gassen. Als ich das Gefängniß erblickte, sah ich die Thüre desselben offen. Der Sergeant stand unter derselben.

»Sallam!« grüßte ich kurz und würdevoll.

»Sallam aaleïkum!« antwortete er. »Allah segne Deinen Eintritt in dieses Haus, Emir! Ich habe Dir viel Dank zu sagen.«

Ich trat ein, und er verschloß die Thüre wieder.

»Dank?« frug ich nachlässig. »Wofür?«

»Selim Agha war hier. Er war sehr zornig. Er wollte uns peitschen lassen, aber endlich sagte er, daß wir Gnade finden sollen, weil Du für uns gebeten hast. Sei so gütig, mir zu folgen.«

Wir stiegen die Treppe empor, welche zu finden und zu passiren mir der Agha gestern so viel Mühe gemacht hatte. Auf dem Gange stand Mersinah mit einem blechernen Kessel, welcher eine Mehlbrühe enthielt, die ganz das Ansehen hatte, als ob sie aus dem Spülwasser ihrer Küche und Schlafstätte bestehe, und auf dem Boden lag das Brod, welches ihre zarten Hände gebacken hatten. Es war einst auch Mehlwasser gewesen, hatte aber durch Feuer und anhaftende Kohlenreste eine feste Gestalt bekommen. Neben ihr standen die Arnauten, mit leeren Gefäßen in den Händen, die von einem Scherbenhaufen aufgelesen zu sein schienen. Sie verbeugten sich bis zur Erde herab, blieben aber aus Ehrfurcht stumm.

»Emir, befiehlst Du, daß wir beginnen sollen?« frug die ›Myrte‹.

»Ja.«

Sofort wurde die erste Thüre geöffnet. Der Raum, in welchen ich blickte, war auch ein Loch, doch lag der Boden desselben mit dem Gange in gleicher Höhe. Ein Türke lag darin. Er erhob sich nicht und würdigte uns keines Blickes.

»Gib ihm zwei Portionen, denn es ist ein Osmanly!« befahl der Sergeant.

Der Mann erhielt zwei Schöpflöffel voll Brühe in einem größeren Napfe und ein Stück Brod dazu. In der nächsten Zelle lag wieder ein Türke, welcher die gleiche Portion erhielt. Der Insasse des dritten Loches war ein Kurde.

»Dieser Hund erhält nur eine Portion, denn er ist ein Mann aus Balahn

Das war ja eine ganz allerliebste Einrichtung! Ich hätte den Kerl beohrfeigen mögen. Er führte dieses Prinzip während der ganzen Speisevertheilung durch. Als die oberen Gefangenen versorgt waren, stiegen wir hinab in den untern Gang.

»Wer befindet sich hier?« frug ich.

»Die Schlimmsten. Ein Araber, ein Jude und zwei Kurden von dem Stamme Bulamuh. Sprichst Du kurdisch, Emir?«

»Ja.«

»Du magst wohl nicht mit den Gefangenen sprechen?«

»Nein; denn sie sind es nicht werth!«

»Das ist wahr. Aber wir können nicht Kurdisch und auch nicht Arabisch, und diese Hunde haben doch stets etwas zu sagen.«

»So werde ich einmal mit ihnen reden.«

Das war es ja, was ich so gern wollte; nur hatte ich nicht geglaubt, daß ich den Wächtern auch einen Gefallen erweisen werde.

Die Zelle des einen Kurden wurde geöffnet. Er hatte sich ganz vor gestellt. Der arme Teufel hatte jedenfalls Hunger; denn als er seinen Löffel Brühe erhielt, bat er, man möge ihm doch ein größeres Stück Brod geben, als gewöhnlich.

»Was will er?« frug der Sergeant.

»Etwas mehr Brod. Gib es ihm!«

»Er soll es haben, weil Du für ihn bittest.«

Nun kamen wir zum Juden. Ich schwieg, weil dieser türkisch reden konnte. Er hatte eine Menge Klagen vorzubringen, die von meinem Standpunkte aus alle sehr wohl begründet waren; aber er wurde nicht angehört.

Der zweite Kurde war ein alter Mann. Er bat nur, vor den Richter geführt zu werden. Der Sergeant versprach es ihm und lachte dabei.

Jetzt endlich wurde die letzte Zelle geöffnet. Amad el Ghandur hockte tief unten in der Ecke und schien sich nicht rühren zu wollen, aber als er mich erblickte, erhob er sich.

»Ist das der Araber?« frug ich.

»Ja.«

»Spricht er nicht türkisch?«

»Er redet gar nicht.«

»Nie?«

»Kein Wort. Deßhalb erhält er auch kein warmes Essen.«

»Soll ich einmal mit ihm reden?«

»Versuche es!«

Ich trat näher zu ihm heran und sagte:

»Sprich nicht mit mir!«

Er blieb in Folge dessen still.

»Siehst Du, daß er nicht antwortet!« meinte der Sergeant zornig. »Sage ihm, daß Du ein großer Emir bist, und dann wird er wohl reden!«

Nun wußte ich ja ganz genau, daß die Wächter wirklich nicht Arabisch verstanden; und wenn auch, der Dialekt der Haddedihn war ihnen fremd klingend.

»Halte Dich heute Abend bereit,« sagte ich zu Amad. »Vielleicht ist es mir heute möglich, wiederzukommen.«

Er stand stolz und aufrecht da, ohne eine Miene zu verziehen.

»Er redet auch jetzt noch nicht!« rief der Unteroffizier. »Nun soll er heute auch kein Brod bekommen, da er nicht einmal dem Effendi antwortet.«

Die Revision der Löcher war beendet. Nun führte man mich auch weiter in dem Gebäude herum. Ich ließ dies geschehen, obgleich es keinen Zweck hatte. Endlich waren wir fertig, und Mersinah sah mir mit fragender Miene in das Gesicht.

»Kannst Du den Gefangenen Kaffee kochen?« erkundigte ich mich bei ihr.

»Ja.«

»Und ihnen Brod dazu geben, eine sehr reichliche Portion?«

»Ja.«

»Wie viel kostet das?«

»Dreißig Piaster, Effendi.«

Also zwei Thaler ungefähr. Die Gefangenen erhielten wohl kaum für eine Mark davon. Ich zog das Geld heraus und gab es ihr.

»Hier. Aber ich wünsche, daß Alle davon erhalten.«

»Sie sollen Alle haben, Effendi.«

Ich gab der Alten und dem Sergeanten je fünfzehn und den Arnauten je zehn Piaster, ein Trinkgeld, wie sie es wohl nicht erwartet hatten. Daher erschöpften sie sich in außerordentlichen Danksagungen, und als ich das Haus verließ, executirten sie ihre Verbeugungen selbst dann noch, als ich bereits die Gasse erreicht hatte und sie nur noch meinen Rücken sehen konnten.

Heimgekommen, suchte ich Mohammed Emin auf. Ich traf Halef bei ihm, welcher den Anzug gebracht hatte. Dies war unbemerkt geschehen, weil ja weder der Agha noch Mersinah zu Hause war.

Ich beschrieb dem Haddedihn meinen Besuch.

»Also heute Abend!« meinte er erfreut.

»Wenn es möglich ist,« fügte ich hinzu.

»Aber wie willst Du es machen?«

»Ich werde, wenn nicht ein Zufall etwas Besseres bringt, von dem Agha den Schlüssel zu erhalten suchen und – – –«

»Er wird Dir ihn nicht geben!«

»Ich nehme ihn! Dann warte ich, bis die Wächter schlafen und öffne Amad die Zelle.«

»Das ist zu gefährlich, Emir! Sie werden Dich hören.«

»Ich glaube dies nicht. Sie haben während der letzten Nacht nicht geschlafen und werden in Folge dessen müde sein. Sodann gab ich ihnen ein Bakschisch, das sie sicher nach und nach in Raki anlegen, und dieser wird ihre Schläfrigkeit befördern. Übrigens habe ich genau aufgepaßt und da bemerkt, daß das Schloß der Hausthüre sich lautlos öffnen läßt. Wenn ich einigermaßen vorsichtig bin, wird es gelingen.«

»Aber, wenn man Dich erwischt?«

»So habe ich doch keine Sorge. Den Wächtern gegenüber gibt es eine Ausrede, und träfen sie mich mit dem Gefangenen, nun, dann müßte eben gehandelt werden, und zwar schnell.«

»Wohin wirst Du Amad bringen?«

»Er wird sofort die Stadt verlassen.«

»Mit wem?«

»Mit Halef. Ich reite jetzt mit diesem aus, um in der Umgebung der Stadt einen Ort zu suchen, welcher ein Versteck bietet. Halef wird sich den Weg merken und Deinen Sohn hinführen.«

»Aber die Wachen am Thore?«

»Sie werden die Beiden nicht zu sehen bekommen. Ich kenne eine Stelle, an welcher man über die Mauer kommen kann.«

»Wir sollten gleich selbst mitgehen!«

»Wir bleiben noch wenigstens einen Tag, damit kein Verdacht auf uns fällt.«

»Aber Amad wird sich unterdessen in großer Gefahr befinden, denn man wird ihn in der ganzen Umgegend suchen.«

»Auch dafür ist gesorgt. Unfern des einen Thores bildet der Felsen von Amadijah einen Abgrund, in den wohl wenige Männer hinabzusteigen sich getrauen. Dorthin schaffen wir einige Fetzen seines alten Gewandes, welches wir zerreißen. Man wird das finden und dann annehmen, daß er bei seiner nächtlichen Flucht in die Schlucht gestürzt sei.«

»Wo kleidet er sich um?«

»Hier. Und der Bart muß ihm sofort abrasirt werden.«

»So soll ich ihn sehen! O, Emir, welche Freude!«

»Ich stelle aber die Bedingung, daß Ihr Euch still verhaltet.«

»Das werden wir ganz sicher. Aber unsere Wirthin wird ihn kommen sehen; denn sie ist stets in der offenen Küche.«

»Das wirst Du verhindern. Halef wird Dich benachrichtigen, wenn Amad kommt. Dann gehst Du hinunter und verhinderst die Wirthin, ihn zu bemerken. Das ist nicht schwer, und unterdessen bringt ihn der Diener in Deine Stube, welche Du verschließest, bis ich heim komme.«

Ich hörte jetzt, daß Halef die Pferde herausschaffte, und ging. Draußen fand ich die Thüre des Engländers offen. Er winkte mich hinein und frug:

»Darf ich reden, Sir?«

»Ja.«

»Höre Pferde. Ausreiten? Wohin?«

»Vor die Stadt.«

»Well; werde mitreiten!«

»Ich beabsichtige einen Ritt in den Wald. Ihr würdet gezwungen sein, ein wenig mit durch die Büsche zu kriechen.«

»Werde kriechen!«

Er war schnell fertig. Sein Pferd wurde auch gesattelt, und bald ritten wir zum Thore hinaus, welches nach Asi und Mia führt. Es war so, wie mir der Kurde Dohub erzählt hatte. Der Pfad war so steil, daß wir die Pferde führen mußten. Am Thore hatte man uns übrigens nicht angehalten, da dort Arnauten die Wache hatten, die mich von der gestrigen Parade her kannten.

Unten im Thale angelangt, wären wir rechts an die Jilaks der Einwohner von Amadijah gekommen, welche sich in die Berge zurückgezogen hatten. Darum wandten wir uns nach links grad in den Wald hinein. Er war hier so licht, daß er uns am Reiten nicht verhinderte, und nach einer Viertelstunde erreichten wir eine Blöße, wo wir abstiegen, um uns auf dem Boden auszustrecken.

»Warum hierher führen?« frug Lindsay.

»Ich suche ein Versteck für Amad el Ghandur.«

»Ah! Bald frei?«

Ich theilte ihm meinen Plan mit.

»Prächtig!« meinte er. »Schöne Gefahr dabei! Erwischen! Boxen! Schießen! Well; werde mitbefreien!«

»O, Master, Ihr könnt mir nichts nützen!«

»Nicht? Warum? Schlage jeden nieder, der uns wehren will! Freier Englishman! Yes!«

»Na, wollen erst sehen! Hier links oben liegt die Stelle, an welcher man über die Mauer kommt. In der hiesigen Gegend also müssen wir uns ein Versteck suchen. Wollt Ihr mit suchen?«

»Sehr!«

»So theilen wir uns. Ihr geht grad, und ich gehe mehr zur Seite. Wer einen guten Ort gefunden hat, der schießt sein Pistol los und wartet dort, bis der Andere kommt.«

Halef blieb bei den Pferden zurück, und wir gingen vorwärts. Der Wald wurde dichter, aber ich suchte wohl lange Zeit, ohne eine geeignete Stelle zu finden, welche wirkliche Sicherheit bot. Da hörte ich einen Schuß mir zur Linken. Ich schritt der Richtung entgegen, aus welcher der Knall gekommen war, und hörte bald einen zweiten Schuß ganz in meiner Nähe. Der Engländer stand bei einem Gestrüpp, aus welchem vier riesige Eichen emporragten. Er war barfuß und hatte sein Obergewand abgelegt. Auch der rothkarrirte Riesenturban lag am Boden.

»Habe zweimal geschossen. Konntet mich fehlen, weil der Schall im Wald täuscht. Versteck gefunden?«

»Nein.«

»Habe eins.«

»Wo?«

»Rathet! Werdet nicht errathen!«

»Wollen sehen!«

Er war barfuß und halb entkleidet; er hatte also eine Kletterpartie gemacht, und das Versteck mußte also auf einer der Eichen zu suchen sein. Aber diese waren so stark, daß man sie unmöglich erklettern konnte. Aber neben der einen ragte der schlanke Stamm einer Pinie in die Höhe und verschlang ihre doldenartige Krone mit den breitgreifenden Zweigen der Eiche. Ziemlich hoch oben lehnte sich der Stamm an einen starken Eichenast, so daß von der Pinie aus dieser leicht zu erreichen war, und oberhalb der Stelle, an welcher er am Stamme saß, sah ich ein Loch in der Eiche.

»Ich habe es, Sir!« meinte ich.

»Wo?«

»Dort oben. Der Stamm ist hohl.«

»Well; gefunden! War bereits oben.«

»Ihr klettert wohl gut?«

»Wie Eichhörnchen! Yes!«

»Aber jedenfalls ist der ganze Baum hohl!«

»Sehr!«

»Und wer da oben hineinkriecht, der fällt herab und kann nicht heraus.«

»Sehr! Kann gar nicht heraus.«

»Dann ist es ja mit dem Versteck nichts!«

»Versteck ist gut, sehr gut. Nur dafür sorgen, daß nicht herunterfällt.«

»Auf welche Weise?«

»Ah, Ihr wißt nicht? Hm, Master Lindsay gescheidter Kerl! Schönes Abenteuer! Prächtig! Möchte bezahlen, gut bezahlen! Knüppel abschneiden und in die Höhlung klemmen, quer herüber. Viel Moos hier. Dieses darauf legen. Dann kann nicht herunterfallen. Versteck fertig! Schönes Landhaus! Prachtvolle Villa!«

»Da hättet Ihr Recht! Wie groß ist dort der Durchmesser der Höhlung?«

»Vier Fuß ungefähr. Weiter nach unten noch mehr. Könnt Ihr klettern?«

»Ja. Ich werde mir diese Gelegenheit einmal ansehen.«

»Nicht ledig hinauf. Gleich Knüppel mitnehmen!«

»Das ist allerdings praktischer. Hier stehen genug eichene Stangen.«

»Aber wie hinaufbringen? Klettern und auch tragen? Geht nicht!«

»Ich habe meinen Lasso mit. Der hat mich auf allen meinen Reisen begleitet, denn so ein Riemen ist eine der nützlichsten Sachen.«

»Well; so schneiden wir!«

»Aber immer vorsichtig sein, Master! Zunächst wollen wir uns überzeugen, ob wir allein sind. Unsere englische Unterhaltung kann hier kein Mensch verstehen; sie hätte also unser Vorhaben nicht verrathen. Aber ehe wir handeln, müssen wir uns sicher stellen.«

»So sucht! Werde einstweilen Stangen machen.«

Ich ging den Umkreis ab und überzeugte mich, daß wir unbeobachtet waren; dann half ich dem Engländer, der ganz erpicht war, da oben eine Villa zu bauen. Wir schnitten ein Dutzend etwas mehr als vier Fuß langer Stämmchen aus den Büschen, aber so, daß wir dabei jede Spur vermieden, und dann wand ich den Gürtelshwal von der Hüfte, unter welchem ich den Lasso um den Leib geschlungen trug. Bis zum ersten Ast der Pinie reichte er. Während der Engländer die Stämmchen zusammenlegte und mit dem einen Ende des achtfach zusammengeflochtenen, unzerreißbaren Riemens umwand, nahm ich das andere zwischen die Zähne und kletterte empor. Die hindernden Kleidungsstücke hatte ich natürlich abgelegt. Auf dem ersten Aste angekommen, zog ich das Bündel in die Höhe. Lindsay kam nachgeklettert, und so brachten wir die ›Knüppel‹ bis vor die Öffnung, wo sie angebunden wurden. Ich untersuchte die Höhlung. Sie hatte die angegebene Weite, wurde nach unten immer größer und reichte bis zur Erde hinab.

Nun begannen wir, die Stämmchen einzuklemmen, um aus ihnen einen Fußboden zu bilden. Das mußte sehr sorgfältig geschehen, damit er ja nicht hinunterbrechen konnte. Mit Hilfe der Messer brachten wir es nach einiger Anstrengung fertig. Der Boden war fest und sicher.

»Nun Moos, Streu und Laub mit dem Lasso herauf!«

Wir kletterten bald wieder hinab und hatten bald so viel gesammelt, wie wir brauchten. Es wurde in meinen Haïk und das Überkleid Lindsay's geschlungen, und nach zweimaligem Auf- und Niederklettern war die Höhlung in ein Versteck umgewandelt, in welchem es sich ganz weich und sicher liegen ließ.

»Wacker gearbeitet,« meinte der Engländer, indem er sich den Schweiß von der Stirne wischte. »Amad wird gut wohnen. Nun noch Essen und Trinken, Pfeife und Tabak, so ist der Divan fertig!«

Wir kehrten jetzt zu Halef zurück, der bereits Sorge um uns hegte, weil wir so lange Zeit fortgeblieben waren.

»Master Lindsay, jetzt bleibt Ihr bei den Pferden zurück, denn ich muß nun zuvor auch unserem Hadschi Halef Omar das Versteck zeigen!« sagte ich.

»Well! Doch bald wiederkommen! Yes!«

»Kannst Du klettern?« frug ich Halef, als wir bei den Eichen angekommen waren.

»Ja, Sihdi. Ich habe ja von mancher Palme die Datteln herabgeholt. Warum?«

»Das ist ein ganz anderes Klettern. Hier gibt es einen glatten Stamm, der keine Stütze bietet, und auch kein Klettertuch, wie man es beim Ernten der Datteln in Anwendung bringt. Siehst Du das Loch an dem Stamme der Eiche, dort grad über dem Aste?«

»Ja, Sihdi.«

»Klettere einmal hinauf und siehe Dir es an! Du mußt hier an der Pinie empor und dann den Eichenast entlang.«

Er versuchte es, und siehe da, es ging recht leidlich.

»Effendi, das ist ja ein Kiosk,« meinte er, als er unten wieder anlangte. »Den habt Ihr wohl jetzt gebaut?«

»Ja. Weißt Du, wo das Fort von Amadijah liegt?«

»Hier links hinauf.«

»So höre, was ich Dir sage! Ich glaube heute Abend Amad el Ghandur aus dem Gefängnisse holen zu können. Er muß noch während der Nacht aus der Stadt gebracht werden, und das sollst Du thun.«

»Herr, die Wachen werden uns sehen!«

»Nein. Es gibt eine Stelle, an welcher die Mauer so beschädigt ist, daß Ihr sehr leicht unbemerkt in das Freie gelangen könnt. Ich werde Dir diese Stelle bei unserer Rückkehr zeigen. Nun aber handelt es sich darum, daß Ihr trotz der Nacht hier diesen Platz nicht verfehlt, denn das Loch da oben soll dem Haddedihn zum Verstecke dienen, bis wir ihn von hier abholen. Darum gehest Du von hier aus links hinauf, um den Weg, den Ihr heute Abend zu nehmen habt, richtig kennen zu lernen, und kehrst dann zu uns zurück. Präge Dir das Terrain gut ein. Wenn er sich in Sicherheit befindet, hast Du dafür zu sorgen, ungesehen wieder in unsere Wohnung zu gelangen; denn Niemand darf wissen, daß Einer von uns die Stadt verlassen hat.«

»Sihdi, ich danke Dir!«

»Wofür?«

»Dafür, daß Du mir erlaubst, wieder einmal auch selbst etwas zu thun; denn seit langer Zeit habe ich zusehen müssen.«

Er ging, und ich kehrte zu Lindsay zurück, der lang ausgestreckt im Moose lag und gen Himmel blickte.

»Prachtvoll in Kurdistan! Fehlt nur an Ruinen!« sagte er.

»Ruinen gibt es hier genug, wenn auch keine tausendjährigen wie am Tigris. Vielleicht sind wir gezwungen, Gegenden aufzusuchen, in denen Ihr Euch von dem Vorhandensein von Ruinen überzeugen könnt. Aus den Thälern Kurdistan's ist der Qualm brennender Dörfer und der Geruch von Strömen vergossenen Blutes zum Himmel gestiegen. Wir befinden uns in einem Lande, in welchem Leben, Freiheit und Eigenthum mehr gefährdet sind, als in jedem anderen. Wünschen wir, daß wir uns nicht aus eigener Erfahrung davon überzeugen müssen!«

»Will mich aber davon überzeugen, Sir! Will Abenteuer haben! Möchte kämpfen, boxen, schießen! Werde bezahlen.«

»Dazu gibt es vielleicht auch ohne Bezahlung Gelegenheit, Sir; denn gleich hinter Amadijah hört das Gebiet der Türken auf, und es beginnen diejenigen Länder, welche von Kurden bewohnt werden, die der Pforte nur dem Namen nach unterworfen oder tributpflichtig sind. Dort gewähren uns unsere Pässe nicht die mindeste Sicherheit; ja, es kann sehr leicht der Fall sein, daß wir feindselig behandelt werden, grad deßhalb, weil wir die Empfehlung der Türken und der Consuln besitzen.«

»Dann nicht vorzeigen!«

»Allerdings. Diese halbwilden gewaltthätigen Horden macht man sich am besten geneigt, wenn man sich ihrer Gastfreundschaft mit Vertrauen überläßt. Ein Araber kann noch Hintergedanken haben, wenn er einen Fremden in sein Zelt aufnimmt; ein Kurde aber nie. Und sollte dies ja einmal der Fall sein, und sollte es keine andere Möglichkeit der Rettung geben, so begibt man sich in den Schutz der Frauen; dann ist man sicher geborgen.«

»Well, werde mich beschützen lassen von den Frauen! Prachtvoll! Sehr guter Gedanke, Master!«

Nach vielleicht einer Stunde kehrte Halef zurück. Er versicherte, das Versteck nun selbst bei Nacht ohne Irrung auffinden zu können, sobald es ihm nur erst gelungen sei, aus der Stadt zu kommen. Der Zweck unseres Spazierrittes war somit erreicht, und wir kehrten nach Amadijah zurück. Dort richtete ich es so ein, daß wir an der beschädigten Mauerstelle vorüberkamen.

»Das ist der Ort, den ich meine, Halef. Wenn Du nachher ausgehest, so magst Du diese Bresche einmal genau untersuchen, aber so, daß es nicht auffällt.«

»Das werde ich baldigst thun müssen, Sihdi,« antwortete er; »denn es wird sehr bald Abend werden.«

Der Tag war, als wir unsere Wohnung erreichten, allerdings schon weit vorgeschritten. Ich bekam keine Zeit, mich von dem Ritte auszuruhen, denn Selim Agha empfing mich an der Thüre:

»Hamdullillah, Allah sei Dank, daß Du endlich kommst!« meinte er. »Ich habe auf Dich mit Schmerzen gewartet.«

»Warum?«

»Der Mutesselim sendet mich, um Dich zu ihm zu bringen.«

»Was soll ich dort?«

»Ich weiß es nicht.«

»Du vermuthest es auch nicht?«

»Du sollst mit einem Effendi reden, der vorhin ankam.«

»Wer ist es?«

»Der Mutesselim hat mir verboten, es Dir zu sagen.«

»Pah! Der Mutesselim kann mir nichts verheimlichen! Ich wußte längst, daß dieser Effendi kommen werde!«

»Du wußtest es? Aber es ist ja ein Geheimniß!«

»Ich werde Dir beweisen, daß ich dieses große Geheimniß kenne. Es ist der Makredsch von Mossul, der gekommen ist.«

»Wahrhaftig, Du weißt es!« rief er erstaunt. »Aber er ist nicht allein bei dem Mutesselim.«

»Wer ist noch da?«

»Ein Arnaute.«

Ah, ich ahnte, welcher es war, und sagte daher:

»Auch das weiß ich. Kennst Du den Mann?«

»Nein.«

»Er hat keine Waffen bei sich.«

»Allah akbar; das ist richtig! Effendi, Du weißt Alles.«

»Wenigstens siehst Du, daß der Mutesselim nicht der Mann ist, mir etwas zu verbergen.«

»Aber, Herr, sie müssen bös von Dir gesprochen haben!«

»Warum?«

»Ich muß darüber schweigen.«

»Gut, Selim Agha, ich sehe nun, daß Du mein Freund bist und mich liebst!«

»Ja, ich liebe Dich, Emir; aber der Dienst erfordert, daß ich gehorche.«

»So sage ich Dir, daß ich Dir noch heute Befehle geben werde, denen Du grad so gehorchen wirst, als ob Du sie von dem Commandanten erhieltest! Seit wann ist der Makredsch hier?«

»Seit fast zwei Stunden.«

»Und so lange Zeit wartest Du bereits auf mich?«

»Nein. Der Makredsch kam allein, ganz heimlich und ohne alles Gefolge. Ich war grad beim Commandanten, als er eintrat. Er sagte, daß er heimlich komme, weil er in einer sehr wichtigen Sache reise, von welcher Niemand eine Ahnung haben dürfe. Sie unterhielten sich weiter, und da erwähnte der Commandant auch Dich und Deine Gefährten. Der Makredsch muß Dich kennen, denn er wurde sehr aufmerksam, und der Mutesselim mußte Dich ihm beschreiben. ›Er ist's!‹ rief er dann und bat den Commandanten, mich hinauszuschicken. Nachher wurde ich gerufen und erhielt den Befehl, Dich zu holen und – – –«

»Nun, und – – –«

»Und – – Emir, es ist gewiß wahr, daß ich Dich lieb habe, und darum will ich es Dir sagen. Aber, wirst Du mich verrathen?«

»Nein. Ich verspreche es Dir!«

»Ich mußte mehrere Arnauten mitnehmen, um den Platz zu besetzen, daß Deine Gefährten sich nicht entfernen können. Und auch für Dich stehen im Palaste einige meiner Arnauten bereit. Ich soll Dich festnehmen und in das Gefängniß schaffen.«

»Ah, das ist ja sehr interessant, Selim Agha! So ist wohl bereits eines Deiner Löcher für mich in Bereitschaft gesetzt worden?«

»Ja. Du kommst neben den Araber zu liegen, und ich mußte einige Strohdecken hineinthun lassen; denn der Mutesselim sagte, Du seist ein Emir und solltest feiner behandelt werden, als die andern Spitzbuben!«

»Für diese Rücksicht bin ich ihm wirklich sehr großen Dank schuldig. Sollten meine Gefährten auch eingesteckt werden?«

»Ja, aber ich habe über sie noch keine weiteren Befehle.«

»Was sagt die ›Myrte‹ dazu?«

»Ich habe es ihr gesagt. Sie sitzt in der Küche und weint sich die Augen aus.«

»Die Gute! Aber Du sprachst von einem Arnauten?«

»Ja. Er war da, noch ehe der Makredsch kam, und hat mit dem Mutesselim lange Zeit gesprochen. Dann wurde ich gerufen und gefragt.«

»Wornach?«

»Darnach, ob der schwarzrothe Effendi auch in der Wohnung kein Wort rede.«

»Was hast Du geantwortet?«

»Ich sagte die Wahrheit. Ich habe den Effendi noch keine Silbe reden hören.«

»So komm. Wir wollen gehen!«

»Herr, ich soll Dich bringen, das ist wahr; aber ich habe Dich lieb. Willst Du nicht lieber entfliehen?«

Dieser brave Arnaute war wirklich mein Freund.

»Nein, ich fliehe nicht, Agha; denn ich habe keine Veranlassung, mich vor dem Mutesselim oder dem Makredsch zu fürchten. Aber ich werde Dich bitten, außer mir noch Einen mitzunehmen.«

»Wen?«

»Den Boten, welcher zu mir gekommen ist.«

»Ich will ihn rufen; er ist im Hofe.«

Ich trat unterdessen in die Küche. Dort kauerte Mersinah am Boden und machte ein so trübseliges Gesicht, daß ich mich wirklich gerührt fühlte.

»O, da bist Du, Effendi!« rief sie aufspringend. »Eile, eile! Ich habe dem Agha befohlen, Dich entfliehen zu lassen.«

»Nimm meinen Dank dafür, Mersinah! Aber ich werde doch bleiben.«

»Sie werden Dich aber einsperren, Herr.«

»Das wollen wir abwarten!«

»Wenn sie es thun, Effendi, so weine ich mich zu Tode und werde Dir die besten Suppen kochen, die es gibt. Du sollst nicht hungern!«

»Du wirst für mich nichts zu kochen haben, denn man wird mich nicht einstecken; das versichere ich Dir.«

»Emir, Du gibst mir das Leben wieder! Aber sie könnten es doch thun, und dann nehmen sie Dir Alles ab. Magst Du mir nicht Dein Geld zurücklassen und auch die andern Sachen, welche Dir theuer sind? Ich werde Dir Alles aufbewahren und kein Wort davon sagen.«

»Das glaube ich Dir, Du Schutz und Engel dieses Hauses; aber eine solche Vorsicht ist nicht nöthig.«

»So thue, was Dir gefällt! Gehe nun, und Allah sei bei Dir mit seinem Propheten, der Dich beschützen möge!«

Wir gingen. Als ich über den Platz schritt, bemerkte ich hinter den Thüren einiger Häuser die Arnauten stehen, von denen Selim gesprochen hatte. Es war also jedenfalls sehr ernstlich gemeint. Auch vor dem Palaste, im Flur und auf der Treppe desselben, sogar im Vorzimmer standen Soldaten. Ich wäre doch beinahe besorgt geworden.

Der Commandant befand sich nicht allein in seinem Raume; die zwei Lieutenants saßen am Eingange, und auch Selim Agha zog sich nicht wieder zurück, sondern ließ sich nieder.

»Sallam aaleïkum!« grüßte ich so unbefangen wie möglich, trotzdem ich mich in der Falle befand.

»Aaleïkum!« antwortete der Commandant zurückhaltend und zeigte dabei auf einen Teppich, welcher seitwärts in seiner Nähe lag.

Ich that, als ob ich diesen Wink nicht gesehen oder nicht verstanden habe, und ließ mich an seiner Seite nieder, wo ich ja früher schon gesessen hatte.

»Ich sandte nach Dir,« begann er, »aber Du kamst nicht. Wo bist Du gewesen, Effendi?«

»Ich ritt spazieren.«

»Wohin?«

»Vor die Stadt.«

»Was wolltest Du da?«

»Mein Pferd ausreiten. Du weißt, ein edles Roß muß gepflegt werden.«

»Wer war dabei?«

»Hadschi Lindsay-Bey.«

»Der das Gelübde gethan hat, nicht zu sprechen?«

»Derselbe.«

»Ich habe vernommen, daß er dieses Gelübde nicht sehr streng hält.«

»So!«

»Er redet.«

»So!«

»Auch mit Dir.«

»So!«

»Ich weiß das gewiß.«

»So!«

Dieses »So!« brachte den guten Mann einigermaßen in Verlegenheit.

»Du mußt dies doch auch wissen!« meinte er.

»Wer hat Dir gesagt, daß er spricht?«

»Einer, der ihn gehört hat.«

»Wer ist es?«

»Ein Arnaute, der heute kam, um Euch anzuklagen.«

»Was thatest Du?«

»Ich sandte nach Dir.«

»Warum?«

»Um Dich zu vernehmen.«

»Allah illa Allah! Also auf die Anklage eines schurkischen Arnauten hin sendest Du zu mir, um mich, den Emir und Effendi, wie einen eben solchen Schurken zu behandeln! Mutesselim, Allah segne Deine Weisheit, damit sie Dir nicht abhanden komme!«

»Effendi, bitte Gott um Deiner eigenen Weisheit willen, denn Du wirst sie brauchen können!«

»Das klingt fast wie eine Drohung!«

»Und Dein Wort klang wie eine Beleidigung!«

»Nachdem Du mich beleidigst hast. Laß Dir etwas sagen, Mutesselim. Hier in dieser Drehpistole sind sechs Schüsse und in dieser andern ebenso viele. Rede, was Du mit mir zu reden hast; aber bedenke, daß ein Emir aus Germanistan kein Arnaute ist und sich auch nicht mit einem solchen vergleichen läßt! Wenn mein Gefährte sein Gelübde nicht hält, was geht es einen Arnauten an? Wo ist dieser Mann?«

»Er steht in meinem Dienst.«

»Seit wann?«

»Seit lange.«

»Mutesselim, Du sprichst die Unwahrheit! Dieser Arnaute stand gestern noch nicht in Deinem Dienste. Er ist ein Mann, von dem ich Dir noch mehr erzählen werde. Wenn Hadschi Lindsay-Bey spricht, so hat er dies mit seinem Gewissen abzumachen, aber einen Andern geht dies gar nichts an!«

»Du hättest Recht, wenn ich von ihm allein nur dieses wüßte.«

»Was gibt es noch?«

»Er ist der Freund eines Mannes, der mir sehr verdächtig ist.«

»Wer ist dieser Mann?«

»Du selbst bist es!«

Ich that sehr erstaunt.

»Ich! Allah kerihm, Gott ist gnädig; er wird auch Dir barmherzig sein!«

»Du hast zu mir von dem Mutessarif gesprochen und gesagt, daß er Dein Freund sei.«

»Ich sagte die Wahrheit.«

»Es ist nicht wahr!«

»Was! Du zeihst mich der Lüge! So kann meines Bleibens hier nicht länger sein. Ich werde Dir Gelegenheit geben, diese Beleidigung zu vertreten.«

Ich erhob mich und that, als ob ich das Selamlük verlassen wollte.

»Halt,« rief der Commandant. »Du bleibst!«

Ich drehte mich zu ihm um.

»Du befiehlst es mir?«

»Ja.«

»Hast Du mir zu befehlen?«

»Hier stehest Du unter mir, und wenn ich Dir gebiete, zu bleiben, so wirst Du gehorchen!«

»Und wenn ich nicht bleibe?«

»So zwinge ich Dich! Du bist mein Gefangener!«

Die beiden Lieutenants erhoben sich; auch Selim Agha that dies, aber sehr langsam und ungern, wie ich bemerken mußte.

»Dein Gefangener? Was fällt Dir ein? Sallam!«

Ich wandte mich wieder nach der Thüre.

»Haltet ihn!« gebot er.

Die beiden Lieutenants ergriffen mich, Einer hüben und der Andere drüben. Ich blieb stehen und lachte erst dem Rechten und dann dem Linken in das Angesicht; dann flogen sie, Einer hinter dem Andern, über den Raum hinweg und stürzten vor dem Mutesselim zur Erde.

»Da hast Du sie, Mutesselim. Hebe sie auf! Ich sage Dir, daß ich gehen werde, wenn es mir beliebt, und keiner Deiner Arnauten soll mich halten! Aber ich werde bleiben, denn ich habe noch mit Dir zu sprechen. Dies thue ich aber nur, um Dir zu beweisen, daß kein Nemtsche einen Türken fürchtet. Frage also weiter, was Du zu fragen hast!«

Dem guten Manne war ein solcher Widerstand gar niemals vorgekommen; er war gewohnt, daß ein Jeder sich tief vor ihm beugen müsse, und schien jetzt gar nicht so recht zu wissen, was er thun solle.

»Ich sagte,« begann er endlich wieder, »daß Du kein Freund des Mutessarif seist.«

»Du hast doch seinen Brief gelesen.«

»Und Du hast gegen ihn gekämpft!«

»Wo?«

»In Scheik Adi!«

»Beweise es!«

»Ich habe einen Zeugen.«

»Laß ihn kommen!«

»Ich werde Dir diesen Wunsch erfüllen.«

Auf einen Wink des Mutesselim verließ der Agha das Zimmer.

In einigen Augenblicken kehrte er mit – dem Makredsch von Mossul zurück. Dieser würdigte mich keines Blickes, schritt an mir vorüber zu dem Commandanten, ließ sich an derselben Stelle nieder, an welcher ich vorher gesessen hatte, und griff zu dem Schlauche der Wasserpfeife, welche dort stand.

»Ist dies der Mann, von dem Du erzähltest, Effendi?« frug ihn der Commandant.

Er warf einen halben, verächtlichen Blick auf mich.

»Er ist es.«

»Siehst Du?« wandte sich der Commandant zu mir. »Der Makredsch von Mossul, den Du ja kennen wirst, ist Zeuge, daß Du gegen den Mutessarif kämpftest.«

»Er ist ein Lügner!«

Da erhob der Richter die Augen voll zu mir.

»Wurm!« zischte er.

»Du wirst diesen Wurm bald kennen lernen!« antwortete ich ruhig. »Ich wiederhole es: Du bist ein Lügner, denn Du hast nicht gesehen, daß ich gegen die Truppen des Mutessarif die Waffen gezogen habe!«

»So sahen es Andere!«

»Aber Du nicht! Und der Commandant sagte doch, daß Du selbst es gesehen haben willst. Nenne Deine Zeugen!«

»Die Topdschis haben es erzählt.«

»So haben auch sie gelogen. Ich habe nicht mit ihnen gekämpft; es ist kein Tropfen Blutes geflossen. Sie haben sich und ihre Geschütze ohne alle Gegenwehr ergeben. Und dann, als Ihr in Scheik Adi eingeschlossen wurdet, habe ich den Bey zur Güte und Nachsicht gemahnt, so daß Ihr es nur mir zu verdanken habt, daß Ihr nicht sammt und sonders niedergeschossen wurdet. Willst Du daraus den Beweis ziehen, daß ich ein Feind des Mutessarif sei?«

»Du hast die Geschütze überfallen und weggenommen!«

»Das gestehe ich sehr gern ein.«

»Aber Du wirst Dich dafür in Mossul verantworten.«

»Oh!«

»Ja. Der Mutesselim wird Dich gefangen nehmen und nach Mossul schicken, Dich und Alle, welche bei Dir sind. Es gibt nur ein einziges Mittel, Dich und sie zu retten.«

»Welches?«

Er gab einen Wink, und die drei Offiziere traten ab.

»Du bist ein Emir aus Frankistan, denn die Nemsi sind Franken,« begann nun der Makredsch. »Ich weiß, daß Du unter dem Schutze ihrer Consuln stehst, und daß wir Dich also nicht tödten dürfen. Aber Du hast ein Verbrechen begangen, auf welchem die Strafe des Todes steht. Wir müssen Dich über Mossul nach Stambul senden, wo Du dann allerdings ganz gewiß die Strafe erleiden wirst.«

Er machte eine Pause. Es schien ihm nicht leicht zu werden, jetzt die richtige Wendung zu finden.

»Weiter!« meinte ich.

»Nun bist Du aber ein Schützling des Mutessarif gewesen; auch der Mutesselim hat Dich freundlich aufgenommen, und so wollen diese Beiden nicht, daß Dir ein so trauriges Loos bereitet werde.«

»Allah denke ihrer dafür in ihrer letzten Stunde!«

»Ja! Darum ist es möglich, daß wir von einer Verfolgung dieser Sache absehen, wenn – – –«

»Nun, wenn?«

»Wenn Du uns sagst, wie viel das Leben eines Emirs aus Germanistan werth ist.«

»Es ist gar nichts werth.«

»Nichts? Du scherzest!«

»Ich rede im Ernste. Gar nichts ist es werth.«

»In wiefern?«

»Weil Allah auch einen Emir zu jeder Minute zu sich fordern kann.«

»Du hast recht; das Leben steht in Allah's Hand; aber es ist ein Gut, welches man beschützen und erhalten soll!«

»Du scheinst kein guter Moslem zu sein, denn sonst würdest Du wissen, daß die Wege des Menschen im Buche verzeichnet stehen«

»Und dennoch kann der Mensch sein Leben wegwerfen, wenn er diesem Buche nicht gehorcht. Willst Du dieses thun?«

»Nun gut, Makredsch. Wie hoch würdest Du Dein eignes Leben schätzen?«

»Wenigstens zehntausend Piaster.«

»So ist das Leben eines Nemtsche grad zehntausendmal mehr werth, nämlich hundert Millionen Piaster. Wie kommt es, daß ein Türke so sehr tief im Preise steht?«

Er blickte mich verwundert an.

»Bist Du ein so reicher Emir?«

»Ja, da ich ein so theures Leben besitze.«

»So meine ich, daß Du hier in Amadijah Dein Leben auf zwanzigtausend Piaster schätzen wirst.«

»Natürlich!«

»Und das Deines Hadschi Lindsay-Bey ebenso hoch.«

»Ich stimme bei.«

»Und zehntausend für den Dritten.«

»Ist nicht zu viel.«

»Und Dein Diener?«

»Er ist zwar ein Araber, aber ein tapferer und treuer Mann, der ebensoviel werth ist, wie jeder Andere.«

»So meinst Du, daß auch er zehntausend kostet?«

»Ja.«

»Hast Du die Summe berechnet?«

»Sechzigtausend Piaster. Nicht?«

»Ja. Habt Ihr so viel Geld bei Euch?«

»Wir sind sehr reich, Effendi.«

»Wann wollt Ihr bezahlen?«

»Gar nicht!«

Es war wirklich spaßig zu sehen, mit welchen Gesichtern die beiden Männer erst mich und dann sich ansahen. Dann frug der Makredsch:

»Wie meinst Du das, Effendi?«

»Ich meine, daß ich aus einem Lande stamme, in welchem Gerechtigkeit herrscht. Bei den Nemsi ist der Bettler ebenso viel werth vor dem Richter wie der König. Und wenn der Padischah der Nemsi sündigt, so wird er von dem Gesetze bestraft. Keiner kann sein Leben erkaufen, denn es gibt keinen Richter, der ein Schurke ist. Die Osmanly aber haben kein anderes Gesetz als ihren Geldbeutel, und darum schachern sie mit der Gerechtigkeit. Ich kann mein Leben nicht bezahlen, wenn ich verdient habe, daß es mir genommen wird.«

»So wirst Du es verlieren!«

»Das glaube ich nicht. Ein Nemtsche treibt keinen Handel mit seinem Leben, aber er weiß es zu vertheidigen.«

»Effendi, die Vertheidigung ist Dir unmöglich!«

»Warum?«

»Deine Schuld ist erwiesen, und Du hast sie auch bereits eingestanden.«

»Das ist nicht wahr. Ich habe keine Schuld eingestanden, sondern ich habe nur zugegeben, daß ich Euch die Kanonen fortgenommen habe. Und das ist eine That, die keine Strafe erhalten wird.«

»Das meinst Du nur. Du weigerst Dich also, auf unsern Vorschlag der Güte und des Erbarmens einzugehen?«

»Ich brauche kein Erbarmen.«

»So müssen wir Dich festnehmen.«

»Versucht es!«

Auch der Commandant richtete eine wohlgemeinte Vorstellung an mich; da ich aber nicht auf dieselbe hörte, so klatschte er in die Hände, und die drei Offiziere erschienen wieder.

»Führt ihn ab!« gebot er ihnen. »Ich hoffe, Effendi, daß Du Dich nicht weigern wirst, mit ihnen zu gehen. Draußen stehen genug Leute, um jeden Widerstand zu überwinden. Du sollst es während Deiner Haft hier gut haben und – – –«

»Schweige, Mutesselim!« unterbrach ich ihn. »Ich möchte den Mann hier sehen, der das Zeug hätte, mich zu überwältigen. Euch fünf thut ein Nemtsche in drei Sekunden ab, und Deine fieberkranken Arnauten reißen vor meinem Blick aus; darauf kannst Du Dich verlassen! Daß ich es gut haben würde als Gefangener, versteht sich ganz von selbst; das gebietet Euch ja Euer eignes Interesse. Nach Mossul werde ich nicht geschickt, denn das kann dem Makredsch nichts nützen; er will bloß, daß ich mich loskaufe, denn er braucht Geld, um über die Grenze zu kommen.«

»Über die Grenze?« frug der Mutesselim. »Wie soll ich Deine Worte verstehen?«

»Frage ihn selbst!«

Er blickte den Makredsch an, der sich plötzlich verfärbte.

»Was meint er?« frug er ihn.

»Ich verstehe ihn nicht!«

»Er versteht mich nur zu gut,« entgegnete ich. »Mutesselim, Du hast mich beleidigt; Du willst mich gefangen nehmen; Du hast mir einen Antrag gemacht, der sehr schwere Folgen für Dich hätte, wenn ich davon sprechen wollte. Ihr Beide habt mich bedroht; aber jetzt werde ich die Waffe selbst auch in die Hand nehmen, nachdem ich gesehen habe, wie weit Ihr zu gehen wagt. Weißt Du, wer dieser Mann ist?«

»Der Makredsch von Mossul.«

»Du irrst. Er ist es nicht mehr; er ist abgesetzt.«

»Abgesetzt!« rief er.

»Mensch!« rief dagegen der Makredsch. »Ich erwürge Dich.«

»Abgesetzt!« rief der Commandant noch einmal, halb erschrocken und halb fragend.

»Ja. Selim Agha, ich sagte Dir vorhin, daß ich Dir heute einen Befehl geben werde, dem Du Gehorsam leisten wirst. Jetzt sollst Du ihn hören: Nimm den Mann dort gefangen und stecke ihn in das Loch, in welches ich kommen sollte! Er wird dann nach Mossul geschafft.«

Der gute Agha staunte erst mich an und dann die beiden Andern; aber er rührte natürlich keinen Fuß, um meinen Worten nachzukommen.

»Er ist wahnsinnig,« meinte der Makredsch, indem er sich erhob.

»Du selbst mußt es sein, da Du es wagst, nach Amadijah zu kommen. Warum bist Du nicht den geraden Weg, sondern über Mungayschi geritten? Du siehst, daß ich Alles weiß. Hier, Mutesselim, hast Du den Beweis, daß ich das Recht habe, seine Gefangennehmung zu verlangen!«

Ich übergab ihm dasjenige Schreiben, welches an Ali Bey gerichtet war. Er blickte zunächst nach der Unterschrift.

»Vom Anatoli Kasi Askeri?«

»Ja. Er ist in Mossul und verlangt die Auslieferung dieses Mannes. Lies!«

»Es ist wahr!« staunte er. »Aber was thut der Mutessarif?«

»Er ist auch abgesetzt. Lies auch dieses andere Schreiben!«

Ich übergab es ihm, und er las es.

»Allah kerihm, Gott sei uns gnädig! Es gehen große Dinge vor!«

»Sie gehen allerdings vor. Der Mutessarif ist abgesetzt, der Makredsch ebenso. Willst auch Du abgesetzt sein?«

»Herr, Du bist ein geheimer Abgesandter des Anatoli Kasi Askeri oder gar des Padischah!«

»Wer ich bin, das kommt hier nicht in Betracht; aber Du siehst, daß ich Alles weiß, und ich erwarte, daß Du Deine Pflicht erfüllst.«

»Effendi, ich werde sie thun. Makredsch, ich kann nicht anders; hier steht es geschrieben; ich muß Dich gefangen nehmen!«

»Thue es!« antwortete dieser.

Ein Dolch blitzte in seiner Hand, und im Nu war er durch das Zimmer hinweg, auch an mir vorüber und zur Thüre hinaus. Wir eilten nach und kamen grad recht, zu sehen, daß er draußen zu Boden gerissen wurde. Selek, der mich begleitet hatte, war es, der auf ihm kniete und ihm den Dolch zu entringen versuchte. Ein Entkommen war nun allerdings unmöglich. Er wurde entwaffnet und wieder in das Selamlük zurückgebracht.

»Wer ist dieser Mann?« frug der Commandant, auf Selek deutend.

»Es ist der Bote, den mir Ali Bey von Baadri gesandt hat. Er kehrt wieder dorthin zurück, und Du magst ihm erlauben, den Transport zu begleiten. Dann sind wir sicher, daß der Makredsch nicht entkommen wird. Aber ich werde Dir noch einen Gefangenen übergeben.«

»Wen, Herr?«

»Laß nur den Arnauten kommen, der mich angeklagt hat!«

»Holt ihn!« gebot er.

Einer der Lieutenants ging und brachte den Mann, der eine Wendung der Dinge zu seinen Ungunsten nicht vermuthete.

»Frage ihn einmal,« sagte ich, »wo er seine Waffen hat!«

»Wo hast Du sie?«

»Sie wurden mir genommen.«

»Wo?«

»Im Schlafe.«

»Er lügt, Mutesselim! Dieser Mann war dem Hadschi Lindsay-Bey von dem Mutessarif mitgegeben worden; er hat auf mich geschossen und entfloh; dann unterwegs lauerte er uns auf und gab aus dem Dickicht des Waldes noch zwei Kugeln auf mich ab, die aber nicht trafen. Mein Hund hielt ihn fest, aber ich ließ Gnade walten, vergab ihm und ließ ihn entkommen. Wir nahmen ihm dabei die Waffen ab, welche mein Khawaß noch besitzt. Soll ich die Zeugen, daß ich die Wahrheit rede, kommen lassen?«

»Herr, ich glaube Dir! Nehmt diesen Hund gefangen und schafft ihn in das sicherste Loch, welches sich in dem Gefängnisse befindet!«

»Herr, befiehlst Du mir, den Makredsch gleich mitzunehmen?« frug Selim Agha den Commandanten.

»Ja.«

»Mutesselim, laß ihn zuvor binden,« erinnerte ich. »Er hat einen Fluchtversuch gemacht und wird ihn wiederholen.«

»Bindet ihn!«

Sie wurden alle Beide abgeführt, und ich blieb mit dem Commandanten allein zurück. Dieser war von dem Ereignisse so angegriffen, daß er sich müde auf den Teppich fallen ließ.

»Wer hätte das gedacht!«

»Du allerdings nicht, Mutesselim!«

»Herr, verzeihe mir! Ich wußte ja von diesen Dingen nichts.«

»Gewiß hat der Arnaute den Makredsch vorher getroffen und sich mit ihm verständigt, sonst hätte er es nicht gewagt, gegen uns aufzutreten, da wir doch Grund hatten, ihn bestrafen zu lassen.«

»Er soll auf keinen Menschen wieder schießen! Erlaube, daß ich Dir eine Pfeife reiche!«

Er ließ noch ein Nargileh kommen und setzte es mit eigener Hand in Brand; dann meinte er in beinahe unterwürfigem Tone:

»Emir, glaubst Du, daß es mein Ernst war?«

»Was?«

»Daß ich Geld von Dir nehmen wollte?«

»Ja.«

»Herr, Du irrst! Ich fügte mich in den Willen des Makredsch und hätte Dir meinen Theil zurückgegeben.«

»Aber entfliehen hätte ich dürfen?«

»Ja. Du siehst, daß ich Dein Bestes wollte!«

»Das durftest Du nicht, wenn die Anklage gegen mich begründet war.«

»Wirst Du weiter daran denken?«

»Nein, wenn Du machest, daß ich es vergessen kann.«

»Du sollst nicht wieder daran denken, Emir. Du sollst es vergessen, wie Du bereits ein Anderes vergessen hast.«

»Was?«

»Die Arznei.«

»Ja, Mutesselim, die habe ich allerdings vergessen; aber Du sollst sie noch heute erhalten; das verspreche ich Dir!«

Da kam einer der Diener herein.

»Herr, es ist ein Basch Tschausch draußen,« meldete er.

»Was will er?«

»Er kommt aus Mossul und sagt, daß seine Botschaft wichtig sei.«

»Schicke ihn herein!«

Der Unteroffizier trat ein und übergab dem Commandanten ein mit einem großen Siegel versehenes Schreiben; es war das Siegel des Anatoli Kasi Askeri; ich erkannte es sogleich. Er erbrach es und las. Dann gab er dem Manne den Bescheid, morgen früh die Antwort abzuholen.

»Herr, weißt Du, was es ist?« frug er mich dann, als der Soldat fort war.

»Ein Schreiben des Oberrichters von Anatolien?«

»Ja. Er schreibt mir von der Absetzung des Mutessarif und des Makredsch. Diesen Letzteren soll ich, sobald er sich hier je erblicken lasse, sofort nach Mossul senden. Ich werde ihn morgen diesem Basch Tschausch mitgeben. Soll ich in meinem Schreiben etwas von Dir erwähnen?«

»Nein. Ich werde selbst schreiben. Aber sende nur eine genügende Bedeckung mit!«

»Daran soll es nicht fehlen, besonders da noch ein anderer wichtiger Gefangener mitgehen soll.«

Ich erschrack.

»Welcher?«

»Der Araber. Der Anatoli Kasi Askeri befiehlt es mir und sagt, daß der Sohn des Scheik als Geisel nach Stambul gesandt werden solle.«

»Wann geht der Transport ab?«

»Am Vormittage. Ich werde jetzt gleich das Schreiben beginnen.«

»So darf ich Dich nicht länger stören.«

»O Effendi, Deine Gegenwart ist mir lieber als Alles!«

»Und Dein Auge ist mir wie das Auge des besten Freundes; aber Deine Zeit ist kostbar; ich darf sie Dir nicht rauben.«

»Aber morgen früh kommst Du?«

»Vielleicht.«

»Du sollst bei dem Abgange des Transportes zugegen sein, um zu sehen, daß meine Sorge an Alles denkt!«

»So werde ich kommen. Sallam!«

»Sallam! Allah sei Dein Führer!«

Als ich nach Hause kam, tönte mir ein heller Ruf entgegen:

»Hamdullillah, Effendi, Du lebst und bist frei!«

Es war die ›Myrte‹. Sie nahm mich bei den Händen und athmete tief auf:

»Du bist ein großer Held. Deine Diener und der fremde Bote haben es gesagt. Wenn sie Dich gefangen genommen hätten, so hättest Du den ganzen Palast erschlagen, und vielleicht gar Selim Agha auch.«

»Ihn nicht, aber die Andern alle; darauf kannst Du Dich verlassen!« antwortete ich belustigt.

»Ja. Du bist wie Kelad, der Starke. Dein Bart steht rechts und links wie der Bart eines Panthers, und Deine Arme sind wie die Beine eines Elephanten!«

Das war natürlich mehr als bildlich gemeint. O Myrte, welch ein Attentat auf den dunkelblonden Schmuck meines Gesichtes und auf die liebliche Symmetrie meiner unentbehrlichsten Gliedmaßen! Ich mußte ebenso höflich sein:

»Dein Mund spricht wie der Vers eines Dichters, Mersinah, und Deine Lippen strömen über wie ein Topf voll süßen Honigs; Deine Rede thut wohl, wie das Pflaster auf eine Beule, und Deiner Stimme Klang kann Keiner vergessen, der ihn einmal hörte. Hier, nimm fünf Piaster, um Dir Khol und Henneh zu kaufen für die Ränder Deines Augenlides und die rosigen Nägel Deiner Hand. Mein Herz will sich freuen über Dich, damit meine Seele jung werde und mein Auge sich ergötze an der Anmuth Deines Ganges!«

»Herr,« rief sie, »Du bist tapferer als Ali, weiser als Abu Bekr, stärker als Simsah und schöner als Hosseïn, der Armadener! Befiehl, was ich Dir braten soll; oder willst Du gekocht und gebacken haben? Ich thue für Dich Alles, was Du verlangst, denn mit Dir ist die Freude über mein Haus gekommen und Segen über die Schwelle meiner Thüre.«

»Deine Güte rührt mich, oh Mersinah; ich kann sie nicht vergelten! Aber ich habe weder Hunger noch Durst, wenn ich den Glanz Deiner Augen, die Farbe Deiner Wangen und das liebliche Bild Deiner Hände erblicke. War Selim Agha da?«

»Ja. Er hat mir Alles erzählt. Deine Feinde sind vernichtet. Gehe hinauf und tröste die Deinen, die in großer Sorge um Dich sind!«

Ich ging hinauf.

»Endlich zurück!« meinte der Engländer. »Große Sorge! Wollten kommen und Euch holen! Glück, daß Ihr da seid!«

»Du warst in Gefahr?« frug auch Mohammed.

»Nicht sehr. Sie ist vorüber. Weißt Du, daß der Mutessarif abgesetzt ist?«

»Von Mossul?«

»Ja, und der Makredsch auch.«

»Also darum ist Selek da?«

»Ja. Hat er Dir nichts erzählt, als wir am Nachmittage ausgeritten waren?«

»Nein. Er ist schweigsam. Aber da kann doch Amad frei werden, denn nur der Mutessarif hat ihn gefangen gehalten!«

»Ich hoffte dies auch, aber es steht schlimmer. Der Großherr billigt das Vorgehen der Türken gegen Euch, und der Oberrichter von Anatolien hat befohlen, daß Dein Sohn als Geisel nach Stambul gebracht werde.«

»Allah kerihm! Wann soll er fort?«

»Morgen Vormittags.«

»Wir überfallen unterwegs seine Begleitung!«

»So lange wir noch Hoffnung haben, ihn durch List frei zu bekommen, so lange soll kein Menschenleben beschädigt werden.«

»Aber wir haben nur noch die Zeit von einer Nacht!«

»Diese Zeit ist lang genug.«

Dann wandte ich mich an den Engländer:

»Sir, ich brauche Wein für den Mutesselim.«

»Wäre Wein werth, dieser Kerl! Mag Wasser trinken! Kaffee, Lindenblüthen, Baldrian und Buttermilch!«

»Er hat mich um Wein gebeten!«

»Schlingel! Darf doch keinen trinken! Ist Mohammedaner!«

»Die Moslemin trinken ihn ebenso gern wie wir. Ich möchte uns sein Wohlwollen erhalten, so lange wir es brauchen.«

»Schön! Soll Wein haben! Wie viel?«

»Ein Dutzend. Ich gebe die Hälfte und Ihr die andere.«

»Pshaw! Kaufe nicht halben Wein. Hier Geld!«

Er reichte mir die Börse hin, ohne daß es ihm einfiel, zu bemerken, wie viel ich ihr entnahm. Er war ein Gentleman und ich ein armer Teufel.

»Wie ists?« frug er. »Retten wir Amad?«

»Ja.«

»Heute?«

»Ja.«

»Wie?«

»Ich gehe mit Selim Agha Wein trinken und suche – – –«

»Trinkt auch Wein?« unterbrach er mich.

»Leidenschaftlich.«

»Schöner Muselmann! Verdient Prügel!«

»Grad diese Geschmacksrichtung aber gibt uns Vortheile. Er wird einen Rausch bekommen, und dann nehme ich ihm unbemerkt den Gefängnißschlüssel fort. Ich lasse den Araber heraus zu seinem Vater, wo er sich umkleidet. Dann führt ihn Halef nach der Villa, die Ihr für ihn gebaut habt.«

»Well! Sehr schön! Was thue ich dabei?«

»Zunächst aufpassen. Wenn ich ihn bringe, so gebe ich da drüben an der Ecke ein Zeichen. Ich werde wie ein Rabe krächzen, der aus dem Schlafe gestört worden ist. Dann eilt Halef hinunter, um die Thüre zu öffnen und die Wirthin in der Küche festzuhalten. Ihr geht mit Mohammed an die Treppe und empfangt Amad, um ihn empor zu führen. Er zieht sich an, und Ihr wartet, bis ich nach Hause komme.«

»Ihr geht wieder fort?«

»Ja. Ich muß zu Selim Agha, um keinen Verdacht zu erregen und ihm den Schlüssel wieder zuzustecken.«

»Schwere Sache für Euch! Wenn Ihr nun ertappt werdet?«

»Ich habe eine Faust und, wenn das zu wenig sein sollte, auch Waffen. Jetzt aber laßt uns in Gemeinschaft zu Abend essen.«

Während des Mahles wurde auch Mohammed genau instruirt. Halef brachte den Wein und mußte ihn gut verpacken.

»Den trägst Du jetzt zum Mutesselim,« sagte ich ihm.

»Will er ihn trinken, Sihdi?« frug er erstaunt.

»Er soll ihn verwenden, wozu er ihn braucht. Du gibst das Packet an keinen andern Menschen als nur allein an ihn und sagst, daß ich hier die Medizin sende. Und höre! Wenn ich dann mit Selim Agha fortgehe, so gehest Du uns heimlich nach und merkst Dir das Haus, in welches wir treten, aber genau! Und sollte ich irgendwie gebraucht werden, so kommst Du, mich zu holen.«

»Wo werde ich Dich in dem Hause finden?«

»Du gehst im Flur von der Thüre aus ungefähr acht Schritte gradaus und pochest dann rechts an eine Thüre, hinter welcher ich mich befinde. Sollte der Wirth Dich sehen, der ein Jude ist, so sagest Du, daß Du den fremden Emir suchest, der aus dem Kruge trinkt. Verstehest Du?«

Er ging mit seinem Packete fort.

Mohammed Emin befand sich in einer unbeschreiblichen Aufregung. Ich hatte ihn selbst damals, als es im Thale der Stufen galt, seine Feinde gefangen zu nehmen, nicht so gesehen. Er hatte alle seine Waffen angethan und auch die Flinte neu geladen. Ich konnte nicht darüber lächeln. Ein Vaterherz ist eine heilige Sache; ich hatte ja auch einen Vater daheim, der oft für mich der Sorgen und Entbehrungen genug getragen hatte, und konnte also das begreifen.

Endlich kam Selim Agha von dem Mutesselim zurück. Er verzehrte in der Küche sein Abendbrod, und dann gingen wir heimlich zum Juden.

Selim Agha hatte die Wirkung des starken Weines gestern zur Genüge kennen gelernt und nahm sich daher sehr in Acht. Er trank nur in kleinen Schlückchen und auch sehr langsam.

Wir mochten bereits dreiviertel Stunden beim Weine sitzen, und noch immer zeigte derselbe keine andere Wirkung auf den Agha, als daß dieser stiller und träumerischer wurde und sich sinnend in seine Ecke lehnte. Schon stand ich im Begriff, ihn zum Austrinken zu nöthigen und zwei neue Krüge bringen zu lassen, als es draußen an die Thüre pochte.

»Wer ist das?« frug der Agha.

»Das muß Halef sein.«

»Weiß er, wo wir sind?«

»Ja.«

»Effendi, was hast Du gethan!«

»Aber er weiß nicht, was wir thun.«

»Laß ihn nicht herein!«

Wie gut, daß ich Halef aufmerksam gemacht hatte! Daß er kam, um mich zu holen, war mir Beweis, daß etwas Besonderes passirt sei. Ich öffnete von innen und trat hinaus auf den Flur.

»Halef!«

»Sihdi, bist Du es?«

»Ja. Was ist's?«

»Der Mutesselim ist gekommen.«

»Das ist schlimm; das kann uns das ganze Werk verderben. Gehe. Wir kommen gleich nach. Aber bleibe stets an der Thüre meines Zimmers, damit ich Dich sofort habe, wenn ich Dich brauche!«

Ich trat wieder in den kleinen Raum zurück.

»Selim Agha, es war Dein Glück, daß ich dem Hadschi sagte, wo wir sind. Der Mutesselim ist bei Dir und wartet auf Dich.«

»Allah illa Allah! Komm schnell, Effendi! Was will er?«

»Halef wußte es nicht.«

»Es muß wichtig sein. Eile!«

Wir ließen den Wein stehen und schritten mit schnellen Schritten unserer Wohnung zu.

Als wir heim kamen, saß der Commandant auf meinem Ehrenplatze in meiner Stube, ließ sich von der rothen Papierlaterne magisch beleuchten und sog an meinem Nargileh. Er war, als er mich erblickte, so höflich, sich zu erheben.

»Ah, Mutesselim, Du hier in meiner Wohnung! Allah segne Deinen Eintritt und lasse es Dir wohlgefallen an meiner Seite!«

Im Stillen aber hatte ich allerdings einen nicht ganz mit dieser höflichen Phrase übereinstimmenden Wunsch.

»Emir, verzeihe, daß ich zu Dir heraufstieg. Die Wirthin dieses Hauses, der Allah ein Gesicht gegeben hat wie keiner Zweiten, wies mich herauf. Ich wollte mit Selim Agha reden!«

»So erlaube, daß ich mich wieder entferne!«

Jetzt war er gezwungen, mich zum Hierbleiben aufzufordern, wenn er nicht ganz und gar gegen alle türkische Bildung verstoßen wollte.

»Bleib, Emir, und setze Dich. Auch Selim Agha mag sich setzen; denn was ich von ihm verlange, das darfst Du wissen.«

Jetzt mußten die Reservepfeifen her. Während des Anzündens beobachtete ich den Commandanten scharf. Das rothe Licht der Laterne ließ mich sein Gesicht nicht genau erkennen, aber seine Stimme schien mir jenen Klang zu besitzen, welcher dann zu hören ist, wenn die Zunge ihre gewöhnliche Leichtigkeit zu verlieren beginnt.

»Was meinest Du, Effendi? Ist der Makredsch ein wichtiger Gefangener?«

»Ich meine es.«

»Ich auch. Darum macht mir der Gedanke, daß es ihm vielleicht gelingen könnte, zu entkommen, schwere Sorge.«

»Er ist doch sicher eingeschlossen!«

»Ja. Aber das ist nicht genug für mich. Selim Agha, ich werde diese Nacht nicht schlafen und zwei- oder dreimal nach dem Gefängnisse gehen, um mich zu überzeugen, daß er wirklich in seinem Loche ist.«

»Herr, ich werde das an Deiner Stelle thun!«

»Dann siehst Du ihn wohl, aber ich nicht, und ich kann dennoch nicht schlafen. Ich werde selbst gehen. Gib mir den Schlüssel!«

»Weißt Du, Herr, daß Du mich kränkst?«

»Ich will Dich nicht kränken, sondern ich will mich beruhigen. Der Anatoli Kasi Askeri ist ein sehr strenger Mann. Ich würde die seidene Schnur bekommen, wenn ich den Gefangenen entkommen ließe.«

Da war ja die Ausführung unseres Planes ganz und gar unmöglich gemacht! Gab es keine Hilfe? Ich war schnell entschlossen. Entweder Wein oder Gewalt! Während der Agha seinem Vorgesetzten noch Vorstellungen machte, erhob ich mich und trat hinaus auf den Corridor, wo Halef stand.

»Bringe vom allerbesten Tabak, und hier hast Du Geld; gehe in das Haus, wo Du mich geholt hast, und verlange von dem Juden solchen Wein von Türbedi Haidari, wie ich vorhin getrunken habe.«

»Wie viel soll ich bringen?«

»Ein Gefäß, in welches zehn Krüge gehen von der Sorte, die der Jude hat. Er wird Dir ein solches Gefäß borgen.«

»Bringe ich das Getränk des Teufels in's Zimmer hinein?«

»Nein. Ich hole es aus Deiner Stube. Aber der Baschi-Bozuk darf nichts wissen. Gib ihm dieses Bakschisch. Er mag ausgehen und so lange bleiben, als es ihm beliebt. Er kann ja zur Wache gehen, um sich dem Basch Tschausch zu zeigen, mit dem er morgen reisen wird. So werden wir ihn los!«

Als ich wieder eintrat, reichte der Agha dem Commandanten grad den Schlüssel hin. Dieser steckte ihn in seinen Gürtel und sagte zu mir:

»Weißt Du, daß der Makredsch widersetzlich gewesen ist?«

»Ja. Er hat erst den Agha bestechen wollen und ihm dann gar nach dem Leben getrachtet.«

»Er wird es büßen!«

»Und,« fügte Selim bei, »als ich ihn aufforderte, seine Taschen zu leeren, that er es nicht.«

»Was hatte er darin?«

»Viel Geld!«

»Emir, wem gehört dieses Geld?« frug mich der Commandant lauernd.

»Du hast es in Empfang zu nehmen.«

»Das ist richtig. Laß uns gehen!«

»Mutesselim, Du willst mich verlassen?« frug ich. »Willst Du mich beleidigen?«

»Ich bin Dein Besuch, aber nicht Dein Gast!«

»Ich habe nicht gewußt, daß Du kommst. Erlaube mir, Dir eine Pfeife zu stopfen, wie man sie hier selten raucht.«

Eben trat Halef ein und brachte den Tabak; es war Master Lindsay's Sorte; der Commandant fand sie sicher gut. Übrigens war ich sehr fest entschlossen, daß er ohne meinen Willen meine Stube nicht verlassen solle. Doch, es kam glücklicherweise nicht zum Äußersten, denn er nahm die Pfeife an. Aber im Laufe der ferneren Unterhaltung merkte ich, daß seine Augen sehr erwartungsvoll an der Thüre hingen. Er wollte Kaffee haben. Deßhalb erkundigte ich mich:

»Hast Du die Medizin erhalten, Herr?«

»Ja. Ich danke Dir, Effendi!«

»War es genug?«

»Ich habe noch nicht gezählt.«

»Und sie auch noch nicht gekostet?«

»Ein wenig.«

»Wie war sie?«

»Sehr gut. Aber ich habe gehört, daß es auch ganz süße gibt!«

Der gute Agha wußte sehr genau, wovon die Rede war. Er schmunzelte lüstern und blickte mich mit verführerisch blinzelnden Augen an.

»Es gibt ganz süße,« antwortete ich.

»Aber sie ist selten?«

»Nein.«

»Und heilsam?«

»Sehr. Sie gleicht der Milch, die aus den Bäumen des Paradieses fließt.«

»Aber in Amadijah gibt es keine?«

»Ich kann welche bereiten, überall, auch in Amadijah.«

»Und wie lange dauert es, bis sie fertig ist?«

»Zehn Minuten. Willst Du so lange warten, so sollst Du den Trank des Paradieses schmecken, der Mohammed von den Houris gereicht wird.«

»Ich warte!«

Seine Augen leuchteten sehr vergnügt, noch vergnügter aber die Augen des würdigen Selim Agha. Ich verließ das Zimmer und benutzte die angegebene Pause, um zu Mohammed Emin zu gehen.

»Emir, nun ist es aus!« empfing mich dieser.

»Nein, sondern nun geht es an!«

»Aber Du erhältst nun den Schlüssel nicht!«

»Vielleicht brauche ich ihn gar nicht. Harre nur geduldig aus.«

Auch Lindsay kam geschlichen.

»Von meinem Tabak geholt! Wer raucht ihn?«

»Der Commandant.«

»Sehr gut! Trinkt meinen Wein, raucht meinen Tabak! Ausgezeichnet!«

»Warum sollte er nicht?«

»Mag zu Hause bleiben! Flucht nicht stören!«

»Vielleicht befördert er sie. Ich habe nach Wein geschickt.«

»Wieder?«

»Ja. Nach persischem. Reißt einen Elephanten nieder. Süß wie Honig und stark wie ein Löwe!«

»Well! Trinke auch persischen!«

»Habe dafür gesorgt, daß für Euch auch da ist. Ich werde die beiden Leute lustig machen, und dann werden wir sehen, was zu thun ist.«

Nun ging ich in die Küche und ließ Feuer machen. Ehe es ordentlich brannte, kam Halef zurück. Er brachte ein großes Gefäß des gefährlichen Trankes. Ich setzte einen Topf voll davon über das Feuer und empfahl ihn der Fürsorge Mersinah's. Dann kehrte ich zum Engländer zurück. »Hier ist Perser! Aber gebt Gläser her; sie sind bei Euch.«

Als ich in meine Stube trat, blickten mir die beiden Türken erwartungsvoll entgegen.

»Hier bringe ich die Medizin, Mutesselim. Koste sie zunächst, da sie kalt ist. Dann sollst Du auch sehen, wie sie das Herz begeistert, wenn man sie heiß genießt.«

»Sage mir ganz genau, Effendi, ob es Wein ist oder Medizin!«

»Dieser Trank ist die beste Medizin, die ich heute kenne. Trinke sie, und sage mir, ob sie nicht Deine Seele erfreut!«

Er kostete und kostete abermals. Über seine scharfen, aber matten Züge legte sich ein Schein der Verklärung.

»Hast Du selbst diesen Trank erfunden?«

»Nein, sondern Allah gibt ihn Denen, die er am liebsten hat.«

»So meinst Du, daß er uns lieb hat?«

»Gewiß.«

»Von Dir weiß ich es, daß Du ein Liebling des Propheten bist. Hast Du noch mehr von diesem Tranke?«

»Hier. Trinke aus!«

Ich schenkte wieder ein.

Seine Augen funkelten noch vergnügter als vorher.

»Effendi, was ist Ladakia, Djebeli und Tabak von Schiras gegen diese Arznei! Sie ist besser als der feinste Duft des Kaffees. Willst Du mir das Recept geben, wie sie bereitet wird?«

»Erinnere mich daran, so werde ich es aufschreiben, noch ehe ich Amadijah verlasse. Aber hier steht der Krug. Trinkt! Ich muß hinab zur Küche, um die andere Arznei zu bereiten.«

Ich ging mit Vorbedacht sehr leise zur Treppe hinab und öffnete unhörbar die Küchenthüre ein wenig. Richtig! Da stand die ›Myrte‹ vor meinem Topfe und schöpfte mit einer kleinen türkischen Kaffeetasse den jetzt bereits ziemlich heißen Wein unaufhaltsam zwischen ihre weit geöffneten Lippen, welche nach jeder Tasse mit einem herzlich schmatzenden Laute zusammenklappten.

»Mersinah, verbrenne Deine Zähne nicht!«

Sie fuhr erschrocken herum und ließ die Tasse fallen.

»O, Sihdi, es war ein Öremdschek in den Topf gelaufen, und den wollte ich wieder herausfischen!«

»Und diese Spinne hast Du Dir in den Mund gegossen?«

»Nein, Effendi sondern nur das Wenige, was an der Spinne hängen geblieben ist.«

»Gib mir den kleinen Topf von da unten herauf!«

»Hier, Emir!«

»Fülle ihn Dir mit diesem Tranke!«

»Für wen?«

»Für Dich.«

»Was ist es, Emir?«

»Es ist die Arznei, welche ein persischer Hekim erfunden hat, um das Alter wieder jung zu machen. Wer genug davon trinkt, dem ist die Seligkeit gegeben, und wer davon trinkt, ohne jemals aufzuhören, der hat das ewige Leben!«

Sie dankte mir in blühenden Ausdrücken, und ich trug das Übrige nach oben. Die beiden Trinker waren trotz ihres Rangunterschiedes sehr nahe zusammengerückt und schienen sich ganz angenehm unterhalten zu haben.

»Weißt Du, Effendi, worüber wir streiten?« frug mich der Commandant.

»Ich hörte es ja nicht!«

»Wir stritten, wessen System am meisten leiden muß, das seinige oder das meinige. Wer hat Recht?«

»Das will ich Euch sagen: Wem die Arznei die größte Hilfe bringt, dessen System hat am meisten gelitten.«

»Deine Weisheit ist zu groß, als daß wir sie begreifen könnten. Was hast Du in diesem Topfe?«

»Das ist Itschki itschkilerin, denn ihm kommt kein anderer gleich.«

»Und Du willst, daß wir ihn probiren sollen?«

»Wenn Du es wünschest, so schenke ich Dir davon ein.«

»Gib mir!«

»Mir auch, Effendi,« bat der Agha.

Sie hatten Beide bereits das, was der Spiro-Zoologe einen ›Käfer‹ zu nennen pflegt, ja, es schien bereits ein bedeutender Hirschkäfer zu sein, der alle Anlagen zeigte, sich nach und nach in einen bekannten Vierhänder zu verwandeln. Es war nur heißer Wein, ohne alles Gewürz, den sie jetzt kosteten, aber er brachte sie dem ›Seid umschlungen, Millionen!‹ sehr nahe; sie tranken bereits nur noch aus einem Glase, und der Mutesselim wischte sogar seinem Agha einmal den Bart ab, als einige Tropfen der herrlichen Arznei sich in den Wald desselben verlaufen hatten. Die dabei geführte Unterhaltung war diejenige zweier Personen, die im ›edlen Kampfe voller Humpen‹ noch vollständige Laien sind: närrisch und kauderwälsch. Selbst ich, der ich nur that, als ob ich trinke, wurde in Mitleidenschaft gezogen; denn der Mutesselim umarmte mich ein über das andere Mal, und der Agha hielt traulich seinen Arm um meinen Nacken geschlungen.

Da erhob sich einmal der Letztere, um eine neue Lampe für die rothe Laterne zu holen. Er kam ganz glücklich in die Höhe, dann aber streckte er die Arme zuckend aus und trillerte unsicher mit den Knieen wie Einer, der zum ersten Male Schlittschuhe läuft.

»Was ist Dir, Agha?« frug der Commandant.

»O, Herr, ich bekomme das Baldyr tschekmisch. Ich glaube, ich muß mich wieder setzen!«

»Setze Dich! Ich werde Dir helfen!«

»Kennst Du ein Mittel?«

»Ein sehr gutes. Setze Dich!«

Der Agha nahm wieder Platz. Der Commandant richtete sich ein wenig empor und erkundigte sich mit liebevoller Herablassung:

»In welcher Wade hast Du den Krampf?«

»In der rechten.«

»Gib mir einmal das Bein!«

Der Agha streckte es ihm hin, und sein Vorgesetzter begann, an demselben mit allen Kräften zu zerren und zu ziehen.

»O jazik – o wehe, Herr; ich glaube, daß es doch in der linken ist!«

»So gib diese her!«

Selim reichte ihm sein anderes Vehikel hin, und der Helfer in der Noth zog aus Leibeskräften. Es war komisch-rührend, zu sehen, daß dieser hochgestellte Beamte, der gewohnt war, sich auch im Allerkleinsten bedienen zu lassen, seinem Untergebenen mit so brüderlicher Bereitwilligkeit die Wade zog und klopfte.

»Gut! Ich glaube, es ist nun weg!«

»So stehe einmal auf, und probiere es!«

Selim erhob sich und gab sich dieses Mal Mühe. Er stand kerzengrad. Aber mit dem Gehen! Ich sah es ihm an, daß es ihm war wie einem flüggen Vogel, der sich zum ersten Male der unsicheren Luft anvertrauen will.

»Laufe einmal!« gebot der Mutesselim. »Komm; ich werde Dich unterstützen!«

Er wollte sich mit der gewohnten Schnelligkeit aufrichten, verlor aber die Balance und kam sehr schnell in seine vorige Stellung zurück. Aber er wußte sich zu helfen. Er legte seine Hand auf meine Achsel und stand auf. Dann machte er die Beine breit, um eine festere Stellung zu bekommen, und starrte ganz verwundert auf die rothe Lampe.

»Emir, Deine Laterne fällt herab!«

»Ich glaube, sie hängt fest!«

»Sie fällt, und das Papier brennt an. Ich sehe schon die Flammen zucken!«

»Ich sehe nichts!«

»Maschallah! Ich sehe sie fallen, und dennoch bleibt sie oben! Wackele nicht so, Selim Agha, sonst wirst Du umstürzen!«

»Ich wackele nicht, Effendi!«

»Ich sehe es sehr genau!«

»Du selbst wackelst, Herr!«

»Ich? Agha, mir wird es sehr bange um Dein System. Deine Nerven schieben Dich hin und her, und die Verdauung ist Dir in die Beine gesunken. Du schüttelst die Arme und schlingerst mit dem Kopfe, als ob Du schwimmen wolltest. O, Selim Agha, diese Medizin war zu herrlich und zu stark für Dich. Sie wird Dich zu Boden werfen!«

»Herr, Du irrst! Was Du mir sagst, das ist mit Dir der Fall. Ich sehe Deine Füße tanzen und Deine Arme hüpfen. Dein Kopf dreht sich rund herum. Effendi, Du bist sehr krank. Allah möge Dir Hilfe senden, daß das System Deines Blutes nicht ganz und gar zu Grunde gehe!«

Das war dem Mutesselim denn doch zu viel. Er machte eine Faust und drohte:

»Selim Agha, nimm Dich in Acht! Wer da sagt, daß mein System nicht in Ordnung sei, den lasse ich peitschen oder einstecken! Wallah! Habe ich denn den Schlüssel zu mir gesteckt?«

Er fuhr sich nach dem Gürtel und fand das Gesuchte.

»Agha, mache Dich auf, und begleite mich! Ich werde jetzt das Gefängniß untersuchen. Emir, Deine Medizin ist wirklich wie die Milch des Paradieses; aber sie hat Deinen Magen umgedreht; Du willst immer mit dem Kopfe nach unten. Erlaubst Du, daß wir gehen?«

»Wenn es Dein Wille ist, den Gefangenen zu besuchen, so darf ich Dich in der Erfüllung Deiner Pflicht nicht hindern.«

»So gehen wir. Wir danken Dir für das Gute, das Du uns heute schmecken ließest. Wirst Du bald wieder Medizin bereiten?«

»Sobald Du es wünschest.«

»Die heiße ist noch besser als die kalte, aber sie gehet dem Menschen durch Mark und Bein und schiebt ihm die Knochen in einander. Allah behüte Dich und gebe Dir eine gute Ruhe!«

Er ging auf den Agha zu und nahm ihn beim Arme. Sie gingen ab und ich folgte ihnen. An der Treppe blieben sie haltenen.

»Selim Agha, steige Du zuerst hinunter!«

»Herr, diese Ehre gebührt ja Dir!«

»Ich bin nicht stolz; das weißt Du ja.«

Der Agha setzte, während er sich mit den Händen anhielt, einen Fuß um den andern sehr vorsichtig auf die Stufen. Der Mutesselim folgte ihm. Es wollte nicht recht sicher bei ihm gehen, zumal ihm die Treppe unbekannt war.

»Effendi, bist Du noch da?«

»Ja.«

»Weißt Du, daß es Sitte ist, seine Gäste bis vor die Thüre zu begleiten?«

»Ich weiß es.«

»Aber Du begleitest mich ja nicht!«

»So erlaube, daß ich es thue!«

Ich nahm ihn beim Arme und stützte ihn. Nun ging es besser. Unten vor der Thüre blieb er stehen, um tief Athem zu holen.

»Emir, dieser Makredsch ist eigentlich auch Dein Gefangener,« meinte er.

»Wenn man es recht betrachtet, ja.«

»So mußt Du Dich auch überzeugen, ob er noch da ist!«

»Ich werde Euch begleiten.«

»So komm, gib mir Deinen Arm!«

»Du hast zwei Arme, Effendi,« meinte der Agha; »gib mir den andern!«

Die beiden Männer hingen schwer an mir, aber ihr Rausch befand sich doch noch immer innerhalb desjenigen Stadiums, in welchem man noch leidlich Herr seiner selbst ist. Ihr Gang war unsicher, doch kamen wir rasch vorwärts. Die Gassen lagen finster und öde da. Kein Mensch begegnete uns.

»Deine Arnauten werden erschrecken, wenn ich komme,« sagte der Mutesselim zum Agha.

»Und ich mit Dir!« brüstete sich dieser.

»Und ich mit Euch!« vervollständigte ich.

»Ist der Araber noch da?«

»Herr, glaubst Du, ich lasse solche Leute ausreißen?« frug Selim Agha sehr beleidigt.

»Ich werde auch nach ihm sehen. Hat er auch Geld gehabt?«

»Nein.«

»Wie viel denkst Du, daß der Makredsch bei sich hat?«

»Ich weiß es nicht.«

»Er muß es hergeben. Aber, Selim, Deine Arnauten sollten dann eigentlich nicht dabei sein.«

»So gebiete ich ihnen, fortzugehen.«

»Und wenn sie lauschen?«

»Ich riegele sie ein.«

»Gut. Aber wenn wir fort sind, werden sie mit dem Gefangenen reden.«

»Sie bleiben eingeriegelt.«

»So ist es richtig. Dieses Geld gehört in die Kasse des Mutesselim, welcher dem Agha der Arnauten ein sehr gutes Bakschisch gibt.«

»Wie viel, Herr?«

»Das kann ich jetzt noch nicht wissen, denn ich muß erst sehen, wie viel er bei sich führt.«

Wir kamen bei dem Gefängnisse an.

»Schließe auf, Selim Agha!«

»Herr, Du selbst hast doch den Schlüssel!«

»Ja, richtig!«

Er langte in den Gürtel und zog den Schlüssel hervor, um zu öffnen. Er probirte und probirte, fand aber das Schlüsselloch nicht.

Darauf hatte ich allerdings gerechnet.

»Erlaube, Effendi, daß ich Dir öffne!«

Ich nahm den Schlüssel aus seiner Hand, machte auf, zog ihn wieder ab, trat in den Flur und steckte den Schlüssel von innen wieder in das Schloß.

»Tretet ein. Ich werde wieder verschließen!«

Sie kamen herein. Ich that, als ob ich zuschließen wolle, drehte aber den Schlüssel schnell wieder zurück und versuchte scheinbar, ob auch wirklich fest zugeschlossen sei.

»Es ist zu. Hier hast Du Deinen Schlüssel, Mutesselim!«

Er nahm ihn. Da kamen aus der hintern Zelle und auch von oben die Arnauten herbei, mit den Lampen in der Hand.

»Ist Alles in Ordnung?« frug der Mutesselim mit Würde.

»Ja, Herr.«

»Ist Keiner entwischt?«

»Nein.«

»Auch der Araber nicht?«

»Nein.«

»Aber der Makredsch?«

»Auch nicht,« antwortete der Sergeant bei diesem geistreichen Verhöre.

»Das ist Euer Glück, Ihr Hunde. Ich hätte Euch todtpeitschen lassen. Packt Euch hinauf in Eure Stube! Selim Agha, schließe sie ein!«

»Emir, willst Du es nicht thun?« frug mich dieser.

»Gern!«

Das war mir lieb. Der Agha nahm eine der Lampen, und ich führte die Leute nach oben.

»Warum werden wir eingeschlossen, Herr?« frug der Sergeant.

»Die Gefangenen werden verhört.«

Ich ließ sie in ihre Zelle treten und schob die Riegel vor, dann stieg ich wieder die Treppe hinab. Da der Commandant und der Agha bereits nach hinten gingen, lag die Außenthüre im Dunkeln. Ich huschte hin und öffnete sie, so daß sie nur angelehnt blieb. Dann schritt ich schnell den Beiden nach.

»Wo liegt er?« hörte ich den Mutesselim fragen.

»Hier.«

»Und wo liegt der Haddedihn?« frug ich, um dem Öffnen der andern Thüre zuvorzukommen; denn ich mußte darauf sehen, daß bei dem Araber zuerst aufgemacht wurde.

»Hier hinter der zweiten Thüre.«

»So mache einmal auf!«

Der Commandant schien mit meinem Verlangen einverstanden zu sein. Er nickte mit dem Kopfe, und nun machte Selim auf.

Der Gefangene hatte unser lautes Kommen gehört und stand aufrecht in seinem Loche. Der Mutesselim trat näher.

»Du bist Amad, der Sohn von Mohammed Emin?«

Er erhielt keine Antwort.

»Kannst Du nicht reden?«

Es erfolgte dasselbe Schweigen.

»Hund, man wird Dir den Mund zu öffnen wissen! Morgen wirst Du fortgeschafft!«

Amad sprach keine Silbe, hielt aber das Auge auf mich gerichtet, um sich keine meiner Mienen entgehen zu lassen. Ich gab ihm durch ein schnelles Aufziehen und Sinkenlassen der Brauen zu verstehen, daß er aufmerken solle; dann schob Selim die Riegel wieder vor.

Jetzt wurde die andere Thüre geöffnet. Der Makredsch stand an die Mauer gelehnt. Sein Auge war erwartungsvoll auf uns gerichtet.

»Makredsch, wie gefällt es Dir?« frug der Commandant ein wenig ironisch, wohl infolge des Weines.

»Wollte doch Allah, daß Du an meiner Stelle wärest!«

»Das wird der Prophet verhüten! Dein Schicksal ist ein sehr schlimmes!«

»Ich fürchte mich nicht!«

»Du hast den Agha hier ermorden wollen.«

»Er ist es werth!«

»Hast ihn bestechen wollen.«

»Er ist die Dummheit selbst!«

»Hast ihn gleich bezahlen wollen.«

»Der Kerl verdiente, gehängt zu werden!«

»Vielleicht wären Deine Wünsche zu erfüllen,« meinte der Commandant mit schlauer Miene. Infolge des Weingenusses und vor Erwartung der hoffentlichen Beute strahlte sein Angesicht.

»Wie?« zuckte der Makredsch auf. »Sprichst Du im Ernste?«

»Ja.«

»Du willst mit mir handeln?«

»Ja.«

»Wie viel wollt Ihr haben?«

»Wie viel hast Du bei Dir?«

»Mutesselim, ich brauche Reisegeld!«

»Wir werden so billig sein, es Dir zu lassen.«

»Gut, so wollen wir verhandeln. Aber nicht in diesem Loche!«

»Wo sonst?«

»In einem Raume, der für Menschen, nicht aber für Ratten ist.«

»So komm herauf!«

»Gebt mir die Hand!«

»Selim Agha, thue es!« meinte der Commandant, der seinem Gleichgewichte nicht zu trauen schien.

Dem Agha aber kam ganz dasselbe Bedenken, denn er gab mir einen Stoß in die Seite und ermahnte mich:

»Effendi, thue Du es!«

Ich streckte also, um die Sache nicht zu verzögern, meinen Arm aus, faßte den Makredsch bei der Hand und zog ihn heraus.

»Wohin soll er?« frug ich.

»In die Wächterzelle,« antwortete der Commandant.

»Soll ich diese Thüre auflassen oder – – –?«

»Lehne sie nur an!«

Ich machte mir mit der Thüre zu schaffen, um die Drei erst in die Zelle eintreten zu lassen, aber das ging nicht; der Commandant wartete auf mich. Ich mußte also an etwas Anderes denken.

Voran trat der Makredsch ein, hinter ihm der Commandant mit der Lampe, dann der Agha und endlich ich. In dem Augenblicke, in welchem diese Ordnung aufgelöst wurde, genügte ein schneller, bei dem Agha vorüber geführter Stoß meiner Hand an den Ellenbogen des Commandanten, um diesem die Lampe aus der Hand zu werfen.

»Agha, was tust Du!« rief dieser.

»Ich war es nicht, Herr!«

»Du stießest mich! Nun ist es finster. Schaffe eine andere Lampe!«

»Ich werde sie von den Arnauten holen,« meinte ich und verließ die Zelle. Ich verschloß sie, trat an die Thüre der Nachbarzelle und schob leise die Riegel zurück.

»Amad el Ghandur!«

»Herr, bist Du es?«

»Ja. Komme schnell herauf.«

Er stieg mit meiner Hilfe empor, und ich schob den Riegel wieder vor.

»Sprich nicht, sondern eile sehr!« flüsterte ich.

Ich faßte ihn, führte ihn rasch an die Außenthüre des Gefängnisses, trat mit ihm hinaus und zog die Thüre wieder heran.

Die frische Luft trieb ihn fast zurück. Er war sehr schwach.

Ich nahm ihn wieder bei der Hand; im Fluge ging es fort, um zwei Ecken hinum, und bei der dritten hielten wir. Seine Lungen athmeten laut.

»Fasse Dich! Dort ist meine Wohnung, und dort ist auch Dein Vater.«

Ich stieß das verabredete Krächzen aus, und sofort erblickte ich einen Lichtschein, an dem ich erkannte, daß die Hausthüre aufgestoßen worden war.

Wir eilten über den Platz hinüber. Unter der Thüre stand Halef.

»Schnell hinein!«

Nun eilte ich zurück. Ich erreichte das Gefängniß in einer Zeit von sicher nicht zwei Minuten, nachdem wir es verlassen hatten, machte die Thüre zu und sprang die dunkle, mir aber nun bekannte Treppe hinauf. In einigen Sekunden befand ich mich wieder unten und kehrte in die Wächterzelle zurück.

»Du warst lange fort, Effendi!« bemerkte der Mutesselim.

»Die Wächter wollten wissen, warum sie eingeschlossen sind.«

»Hättest Du ihnen eine Ohrfeige statt einer Antwort gegeben! Warum hast Du uns eingeschlossen?«

»Herr, es war ja ein Gefangener bei Euch!«

»Du bist vorsichtig, Emir; Du hast recht gethan. Setze die Lampe her und laß uns beginnen!«

Es verstand sich ganz von selbst, daß der Commandant nicht beabsichtigte, den Gefangenen gegen das Geld desselben freizugeben. Er wollte das Geld nur durch eine List an sich bringen, weil er den Widerstand des Makredsch fürchtete. Aber diese List war eine Hinterlist, eine Treulosigkeit und zugleich jedenfalls eine große Unvorsichtigkeit. Sie Beide befanden sich in einem angetrunkenen Zustande; der Makredsch konnte sie überwältigen, ihnen den Schlüssel abnehmen und entfliehen, ohne daß es den eingeriegelten Arnauten möglich gewesen wäre, ihnen beizustehen.

»Nun sage, wie viel Geld Du bei Dir hast!« begann der Commandant.

»Sage mir lieber, wie viel Ihr von mir verlangt!«

»Ich kann erst dann eine Summe sagen, wenn ich weiß, ob Du sie auch bezahlen kannst.«

»Versuche es einmal!«

»Gibst Du dreitausend Piaster?«

»Das ist mir zu viel,« meinte der Makredsch zurückhaltend.

»So gibst Du viertausend.«

»Herr! Du steigst ja in die Höhe!«

»Makredsch, Du steigest ja abwärts! Ein Mutesselim braucht nicht mit sich feilschen zu lassen. Sagst Du nicht ja, so gehe ich noch höher.«

»Ich habe es nicht. Zweitausend könnte ich Dir geben!«

»Deine Hand ist verschlossen, aber Du wirst sie gern noch öffnen. Jetzt verlange ich fünftausend!«

»Herr, ich will Dir die drei Tausend geben!«

»Fünf habe ich gesagt!«

Die Augen des Makredsch hafteten wüthend auf dem Commandanten, und die Angst um sein Geld stand ihm deutlich auf der Stirn geschrieben. Aber die Sorge für seine Freiheit war noch größer.

»Versprichst Du mir, mich hinaus zu lassen, wenn ich Dich bezahle?«

»Ich verspreche es Dir.«

»Schwöre es mir bei dem Propheten!«

»Ich schwöre es!«

Diese Worte sprach der Mutesselim unbedenklich aus. Der Makredsch schien seinen Schwur zweideutig formulirt zu haben.

»So zähle!«

Er langte in die Taschen seiner weiten Beinkleider und zog ein Packet hervor, welches in ein seidenes Tuch geschlagen war. Er öffnete es und begann, die Summe auf dem Fußboden aufzuzählen, wobei der Agha leuchtete.

»Ist es richtig?« frug er, als er fertig war.

Der Mutesselim zählte nach und sagte dann:

»Es sind Kaime mit dem Zahlwerthe von fünftausend Piaster. Aber Du wirst wissen, daß dieses Geld den vollen Werth nicht hat. Das Pfund Sterling kostet, mit Kaime bezahlt, jetzt einhundertvierzig statt einhundertzehn Piaster, und Du hast also noch zweitausend Piaster daraufzulegen!«

»Herr, bedenke, daß die Kaime sechs Prozent Zinsen tragen!«

»Früher war dies der Fall, aber auch nur bei einem Theile dieses Geldes; doch der Großherr zahlte auch für ihn keine Zinsen. Lege zweitausend dazu.«

»Herr, Du bist ungerecht!«

»Gut! Gehe in Dein Loch!«

Dem Makredsch stand der Schweiß auf der Stirn.

»Aber zweitausend macht es ja nicht!«

»Wie viel denn?«

»Dreizehnhundertunddreiundsechzig.«

»Das bleibt sich gleich! Was ich sage, das habe ich gesagt. Du gibst noch zwei tausend!«

»Herr, Du bist grausam wie ein Tiger!«

»Und Dich wird der Geiz noch tödten!«

Mit Grimm im Angesichte zählte der Makredsch von Neuem auf.

»Hier, nimm!« sagte er endlich, tief Athem holend.

Der Mutesselim zählte wieder nach, schob die Scheine zusammen und steckte sie zu sich.

»Es stimmt!« meinte er. »Danke dem Propheten, daß er Dein Herz zur Einsicht bekehrt hat, denn sonst hätte ich noch mehr gefordert!«

»Nun laß mich gehen!« forderte der Andere, sein Tuch wieder um die übrig gebliebenen Scheine schlagend.

Der Commandant sah ihn mit sehr gut gespielter Verwunderung an.

»Gehen lassen? Ja, aber erst dann, wenn Du bezahlt hast!«

»Ich habe es doch gethan!«

»Ja, mich hast Du bezahlt, aber noch nicht diesen Agha der Arnauten!«

»Allah illa Allah!« rief der Gefangene zornig. »Du hast doch nur fünftausend Piaster verlangt!«

»Allah hat Dir Deinen Verstand verdunkelt. Warum frugst Du nicht, für wen diese fünftausend Piaster seien? Sie waren nur für mich. Der Agha hat seinen Theil noch zu erhalten.«

»Wie viel?«

»Ebenso viel wie ich!«

»Herr, der Satan redet aus Dir!«

»Bezahle, so wird er schweigen!«

»Ich bezahle nicht!«

»So kehrest Du in Dein Loch zurück!«

»Oh, Mohammed, oh, Ihr Khalifen, Ihr habt seinen Schwur gehört! Der Scheïtan ist bereits in ihm; er wird ihn umbringen!«

»Das Öl dieser Lampe geht zur Neige. Wirst Du bezahlen oder nicht?«

»Ich gebe ihm tausend!«

»Fünftausend! Handle nicht, sonst steige ich höher!«

»Ich habe sie nicht!«

»Du hast sie. Ich habe es gesehen, daß es langen wird.«

»So gebe ich – – –«

»Soll ich etwa sechstausend fordern?«

»Du bist ein Tyrann, ja, Du bist der Teufel selbst!«

»Makredsch, wir sind mit einander fertig!«

Er erhob sich langsam und vorsichtig.

»Halt!« rief der Gefangene. »Ich werde bezahlen!«

Die Freiheit stand ihm schließlich doch noch höher als das Geld. Er begann von Neuem aufzuzählen, während der Commandant sich wieder setzte. Das Packet langte wirklich; aber es blieben ihm nur noch einige Scheine übrig.

»Hier liegt es,« meinte er, »und Allah verdamme Den, der es nimmt!«

»Du hast recht gesagt, Makredsch,« antwortete sein früherer Verbündeter und jetziger Gegner sehr ruhig. »Dieser Agha der Arnauten wird das Geld nicht nehmen.«

»Warum?«

»Es sind nur die fünf Tausend. Du hast vergessen, die zwei Tausend daraufzulegen.«

Der Makredsch machte eine Bewegung, als wolle er sich auf den Commandanten stürzen; aber er besann sich noch.

»Ich habe nichts mehr als diese drei Papiere.«

»So schließe ich Dich ein. Vielleicht besinnst Du Dich dann, daß Du noch mehr Geld bei Dir trägst. Komm!«

Der Makredsch machte eine Miene, als ob er ersticken wolle, dann langte er abermals in die Tasche und zog einen Beutel hervor, den er so hielt, daß nur er selbst den Inhalt sehen konnte.

»So will ich versuchen, ob ich es noch zusammenbringe! Dein Herz ist von Stein, und Deine Seele hat sich in einen Felsen verwandelt. Ich habe hier nur kleine Silberstücke mit einigen goldenen Medschidje darunter. Diese Letzteren sollst Du erhalten, wenn sie reichen.«

Er legte die drei Scheine hin und dann sehr langsam ein Goldstück nach dem andern hinzu.

»Hier! Nun bin ich arm, denn ich habe höchstens noch vierzig Piaster bei mir, und diese muß ich haben, wenn ich nicht verhungern will!«

Ich muß gestehen, daß ich mit dem Manne Bedauern empfand; aber ich sah vorher, daß er auch den letzten Heller werde geben müssen. Es war als ob der Anblick des Geldes den Mutesselim vollständig ernüchtert hätte. Und auch an dem Agha war nicht die Spur eines Rausches zu bemerken. Dieser langte hastig zu, um die Summe an sich zu nehmen.

»Halt!« wehrte ihm der Commandant. »Ich werde dieses Geld einstweilen aufbewahren.«

Er schob es zusammen und steckte es ein.

»Jetzt endlich bin ich frei!« sagte der Makredsch.

Der Commandant schüttelte in höchster Verwunderung den Kopf.

»Frei! Hast Du denn bezahlt?«

»Sind Dir Deine Sinne abhanden gekommen? Du hast ja das Geld eingesteckt!«

»Das meinige und das dieses Selim Agha. Aber dieser Emir hat noch nichts erhalten!«

»Er hat ja gar nichts zu bekommen!«

»Wer sagt Dir das? Er ist ja hier, und muß also auch bezahlt werden!«

»Aber er hat ja über mich nicht das Mindeste zu gebieten!«

»Hat er Dich nicht gefangen nehmen lassen? Du hast das Fieber, Makredsch, sonst würdest Du erkennen, daß er eigentlich noch mehr zu bekommen hat, als wir beiden Anderen zusammen.«

»Er hat nichts zu erhalten!« rief der Gepeinigte nun förmlich wüthend. »Er bekommt nichts, denn ich habe nichts mehr, und ich würde ihm keinen Piaster und keinen Para geben, selbst wenn ich Millionen bei mir trüge!«

»Du hast noch Geld!«

»Vierzig Piaster, wie ich Dir schon sagte!«

»Oh Makredsch, wie dauerst Du mich! Glaubst Du, daß ich den Klang des Goldes von dem des Silbers nicht unterscheiden kann! Dein Beutel ist noch voll goldener Medschidje zu hundert und fünfzig Piaster, und sein Bauch ist so umfangreich, daß Du mehr zusammenbringst, als was Du brauchst, um den Emir zu bezahlen. Du hast Dich sehr gut mit Reisegeld versehen!«

»Du irrst!«

»Zeige mir den Beutel her!«

»Er gehört mir!«

»So behalte ihn, aber bezahle!«

Der Makredsch wand sich wie ein Wurm unter den unnachsichtlichen Forderungen des geldgierigen Mannes. Es war eine widerwärtige Scene, aber sie warf ein deutliches Licht auf die Zustände der türkischen Verwaltung besonders jener Provinzen, welche dem Padischah am fernsten liegen.

»Ich kann nicht!« erklärte der Makredsch entschieden.

»So folge uns in Dein Loch!«

»Ich gehe nicht. Ich habe Dich bezahlt!«

»Wir werden Dich zu zwingen wissen.«

»So gib mir mein Geld wieder heraus!«

»Es gehört mir. Bedenke, daß ich Dich gefangen habe und verpflichtet bin, Dir Alles abzunehmen, was Du bei Dir trägst!«

»Ich würde auch diese Summe bezahlen, wenn ich sie hätte!«

»Du hast sie. Und wenn Dein Beutel ja zu wenig enthält, so habe ich eine schöne Uhr bei Dir gesehen, und an Deinen Fingern glänzen Ringe, welche viel mehr werth sind, als das, was ich noch zu verlangen habe.«

»Es bleibt dabei, ich kann nicht! Fünfhundert Piaster will ich diesem Manne geben, der mein größter Feind ist.«

Er blitzte mir mit Augen entgegen, in denen der grimmigste Haß zu lesen war. Ich konnte nicht an seiner Feindschaft zweifeln.

»So hast Du Dein letztes Gebot gethan?« frug der Commandant.

»Ja.«

»Dann vorwärts! Folge uns!«

Er stand entschlossen auf; auch der Agha that dies.

Ich stand an der Thüre und trat zur Seite, um dem Mutesselim den Vortritt zu lassen. Aus dem Gürtel desselben blickte der Schlüssel hervor. Die Augen des Gefangenen leuchteten auf. Er that einen Sprung, riß den Schlüssel heraus, warf den Commandanten auf den Agha, daß Beide taumelnd an mich flogen und ich fast niedergerissen wurde, sprang zur Thüre hinaus und eilte den finsteren Gang hinauf. Die Lampe war umgestürzt, und Finsterniß umhüllte auch uns.

»Ihm nach!« rief der Commandant.

Der Makredsch wäre gerettet gewesen, wenn er die Geistesgegenwart gehabt hätte, die Thüre hinter sich zuzuwerfen und den Riegel vorzuschieben. Zeit dazu hätte er gehabt, denn die beiden Männer verwirrten sich in einander, so daß ich, um schnell hinauszukommen, sie fassen und von der Thüre zurückschleudern mußte.

Schon hörte ich den Schlüssel im Schlosse klirren. Der Umstand, daß die Thüre bereits von mir geöffnet war, wurde dem Makredsch verderblich. Er wandte die Kraft der Verzweiflung an, mittels des Schlüssels den Riegel zurückzubewegen, ohne das Öffnen der Thüre zu versuchen. Der Riegel aber konnte nicht nachgeben. Jetzt war ich dort und faßte ihn. Er hatte sich gegen mich gewendet und die Vorsicht gebraucht, nach meinem Gürtel zu langen. Ich fühlte dies und griff nieder. Es war ihm gelungen, mein Messer zu ergreifen, denn die Schneide desselben strich, mich verwundend, über die Außenfläche meiner Hand hinweg. Es war so dunkel, daß ich seine Bewegungen nicht sehen konnte. Ich griff ihm also, indem ich ihn mit der Rechten fest hielt, mit der Linken nach seiner rechten Achsel und fuhr von derselben aus längs des Armes herab, um sein Handgelenk zu fassen. Es war grad die rechte Zeit gewesen, denn er hatte bereits den Arm erhoben, um zuzustoßen.

Mittlerweile waren die beiden anderen schreiend bei uns angekommen. Der Commandant packte mich an.

»Lasse los, Mutesselim, ich bin es ja!«

»Hast Du ihn fest?«

»Ja. Schließe die Thüre schnell zu, und brenne Licht an. Er kann uns nicht entkommen!«

»Kannst Du ihn allein halten, Emir?« frug der Agha.

»Ja.«

»So werde ich Licht holen!«

Der Commandant verschloß die Thüre, getraute sich dann aber nicht, uns nahe zu kommen. Ich hatte den Gefangenen an die gegenüberliegende Wand gebracht, konnte ihn aber nicht zu Boden drücken, weil ich die Hand nicht frei bekam, welche mich vor dem Messer zu schützen hatte. Ich hielt ihn aber fest, bis nach einer sehr langen Zeit der Agha mit Licht erschien. Er hatte erst oben bei dem Sergeanten Öl holen müssen. Er stellte die Lampe auf eine der Treppenstufen und kam dann herbei.

»Nimm ihm das Messer,« bat ich.

Er entriß es ihm, und nun hatte ich freie Hand. Ich faßte den Makredsch bei der Brust. Er griff nach mir, aber augenblicklich bückte ich mich, und während seine beiden Hände in die Luft langten, faßte ich ihn am Unterbeine und riß dasselbe empor, so daß er das Gleichgewicht verlor und niederstürzte.

»Bindet ihn!« sagte ich.

»Womit?«

»Mit seinem Gürtel.«

Sie thaten es. Er lag still und ruhig und ließ es geschehen. Nach der großen Anstrengung war das Gefühl seiner Ohnmacht über ihn gekommen.

»Halte ihm die Beine!« gebot der Mutesselim dem Agha.

Der Erstere leerte nun vor allen Dingen die Taschen des Gefangenen; dann zog er ihm auch die Ringe ab und steckte Alles zu sich. Hierauf packte der Agha den Gefangenen bei einem der Beine und zog ihn bis vor seine Zelle, in welche er ihn hinabgleiten ließ. Dann wurde dieselbe zugeschlossen. Nun mußte Selim hinauf, um die Wächter frei zu lassen und ihnen die größte Wachsamkeit einzuschärfen.

»Nimm ihnen den Schlüssel zum Thore ab!« rief ihm der Commandant zu. »Dann kann Niemand öffnen, und auch sie nicht.«

Selim that dies, und dann verließen wir das Gefängniß.

Draußen blieb der Mutesselim stehen. Er war jetzt vollständig ernüchtert, indem er sagte:

»Agha, ich werde nun das Verzeichniß von Allem anfertigen, was der Makredsch einstecken hatte; denn ich habe Alles mit ihm nach Mossul zu senden. Du wirst es unterzeichnen, damit ich beweisen kann, daß ich die Wahrheit geschrieben habe, falls ihm einfallen sollte, zu behaupten, daß er mehr gehabt habe!«

»Wann soll ich kommen?« fragte Selim.

»Zur gewöhnlichen Zeit.«

»Und den Schlüssel behältst Du?«

»Ja. Vielleicht gehe ich des Nachts noch einmal hieher. Gute Nacht, Emir! Du warst mir heute von großem Nutzen und wirst mir sagen, wie ich Dir dankbar sein kann.«

Er ging, und wir wandten uns unserer Wohnung zu.

»Effendi!« meinte der Agha mit sehr bedenklicher Stimme.

»Was?«

»Ich hatte siebentausend Piaster am Boden liegen!«

»Und freutest Dich darauf?«

»Sehr!«

»Laß sie Dir geben!«

»Ich? Geben? Weißt Du, wie es morgen sein wird?«

»Nun?«

»Er wird ein Verzeichniß aufstellen, in welchem steht, daß der Makredsch tausend Piaster bei sich gehabt hat, und ich werde es unterschreiben. Das Übrige, die Uhr und die Ringe behält er zurück, und ich werde dafür die große Summe von hundert Piastern erhalten.«

»Und wirst Dich auch darüber freuen!«

»Zu Tode ärgern werde ich mich!«

»Das Verzeichniß erhält der Basch Tschausch?«

»Ja.«

»So wirst Du mehr erhalten.«

»Wer sollte es mir geben?«

»Der Mutesselim oder ich.«

»Ich weiß, daß Du ein barmherziges Herz besitzest. Oh Effendi, wenn Du nur wenigstens noch ein wenig von Deiner Arznei übrig hättest!«

»Ich habe noch davon. Willst Du sie haben?«

»Ja.«

»Ich werde Dir davon in die Küche bringen.«

Wir fanden die Thüre nicht verschlossen. In der Küche lag die ›Myrte‹ auf einigen alten Fetzen, die ihr des Tages als Hadern und des Nachts als Lager dienten, und schlief den Schlaf der Gerechten.

»Mersinah!« rief der Agha.

Sie hörte nicht.

»Laß sie schlafen,« bat ich. »Ich werde Dir die Arznei bringen, und dann magst Du Dich zur Ruhe begeben, die Du so nöthig brauchst.«

»Allah weiß es, daß ich sie verdient habe!«

Ich fand oben die Betheiligten alle in der Stube des Haddedihn versammelt. Sie brachten mir einen zu lauten Schwall von Worten entgegen, so daß ich Ruhe gebieten mußte. Ich befriedigte zunächst den Agha und überzeugte mich, daß er schlafen ging; dann kehrte ich zu ihnen zurück.

Amad el Ghandur hatte die neue Kleidung angelegt und war von seinem Vater rasirt und gereinigt worden. Nun bot er einen ganz anderen Anblick dar, als vorher in der Zelle. Die Ähnlichkeit mit seinem Vater war ganz unverkennbar. Er hatte sich erhoben und trat mir entgegen.

»Emir, ich bin ein Beni Arab und kein plaudernder Grieche. Ich habe gehört, was Du meinem Stamme und mir gethan. Mein Leben gehört Dir, auch Alles, was ich habe!«

Das war einfach gesprochen, aber es kam aus einem vollen Herzen.

»Noch bist Du nicht in Sicherheit. Mein Diener wird Dich in Dein Versteck bringen.«

»Ich bin bereit. Wir warteten nur auf Dich.«

»Kannst Du klettern?«

»Ja. Ich werde das Versteck erreichen, trotzdem ich schwach geworden bin.«

»Hier hast Du meinen Lasso. Wenn Dir die Kräfte fehlen, so mag Hadschi Halef Omar voranklettern und Dich ziehen. Hast Du Waffen?«

»Dort liegen sie; der Vater hat sie mir gekauft. Hier hast Du Deinen Dolch. Ich danke Dir!«

»Und Nahrung?«

»Es ist Alles eingepackt.«

»So geht! Wir werden Dich bald abholen.«

Der Sohn des Scheik verließ mit Halef vorsichtig das Haus, und bald schlich auch ich mich fort. Ich hatte seine alten Kleider am Arme. Ich gelangte unbemerkt in die Nähe der Schlucht, riß den Haïk in Fetzen und hing dieselben an die Felskanten und Zweige des Gestrüppes, welches dort stand.

Zu Hause angekommen, wurde ich von dem Engländer in seine Stube geführt. Er hatte ein sehr zorniges Angesicht.

»Herein kommen und setzen, Sir!« sagte er. »Schlechte Wirthschaft! Miserabel hier!«

»Warum?«

»Sitze bei diesen Arabern und verstehe kein Wort! Mein Wein wird alle, mein Tabak wird alle, und ich werde auch alle! Yes!«

»Ich stehe Euch ja zu Diensten, um Alles zu erzählen!«

Ich mußte ihm seinen Willen thun, obgleich ich mich nach Ruhe sehnte. Doch hätte ich immerhin erst Halef's Rückkehr erwarten müssen. Dieser ließ sehr lange auf sich warten, und als er kam, begann bereits der Tag zu grauen.

»Wie ist's?« frug Master Lindsay. »Glücklich angekommen auf Villa?«

»Mit einiger Mühe!«

»Well! Halef hat Kleider zerrissen. Hier, Halef, Bakschisch!«

Der Hadschi verstand die englischen Worte nicht, wohl aber das letzte des Satzes. Er streckte die Hand aus und erhielt ein Hundertpiasterstück.

»Neuen Mantel kaufen; sagt es ihm, Sir!« – – –

So war denn dieser schlimme Abend vorüber, und ich konnte mich, wenigstens für einige Stunden, zur Ruhe legen, die ich denn auch in einem sehr tiefen, traumlosen Schlafe genoß. Ich erwachte nicht von selbst aus demselben, sondern es weckte mich eine sehr laute hastige Stimme:

»Effendi! Emir! Wache auf! Schnell!«

Ich blickte von meinem Lager empor. Selim Agha stand vor mir, ohne Oberkleid und Turban. Die Scheitellocke hing ihm schreckensmatt in das Gesicht hinab; der Schnurrbart sträubte sich voll Entsetzen zu ihr empor, und die von dem genossenen Weine noch trüben Augen versuchten ein Rollen, welches sehr unglücklich ausfiel.

»Was gibt es?« frug ich sehr ruhig.

»Erhebe Dich! Es ist etwas Entsetzliches geschehen!«

Erst nach und nach brachte ich aus ihm heraus, daß der Mutesselim die Flucht des jungen Arabers entdeckt habe und nun in fürchterlicher Wuth sei. Der geängstigte Agha bat mich inständig, mit ihm in das Gefängniß zu gehen und den Mutesselim zu beschwichtigen.

In kurzer Zeit befanden wir uns auf dem Wege. Unter der Gefängnißthüre wartete der Mutesselim auf den Agha. Er dachte gar nicht daran, mich zu begrüßen, sondern faßte Selim beim Arme und zog ihn in den Gang, in welchem die zitternden Wächter standen.

»Unglücklicher, was hast Du gethan!« brüllte er ihn an.

»Ich, Herr? Nichts, gar nichts habe ich gethan!«

»Das ist ja eben Dein Verbrechen, daß Du nichts, gar nichts gethan hast! Du hast nicht aufgepaßt!«

»Wo sollte ich aufpassen, Effendi?«

»Hier im Gefängnisse natürlich!«

»Ich konnte ja nicht herein!«

Der Mutesselim starrte ihn an. Dieser Gedanke schien ihm noch gar nicht gekommen zu sein.

»Ich hatte ja keinen Schlüssel!« fügte der Agha hinzu.

»Keinen Schlüssel – – –! Ja, Agha, das ist wahr, und das ist auch Dein Glück, sonst wäre Dir sehr Übles widerfahren. Komm her, und sieh einmal in das Loch hinab!«

Wir schritten den Gang hinter. Die Zellenthüre war geöffnet, und in dem Loche war nichts zu sehen, als das Loch.

»Fort!« meinte der Agha.

»Ja, fort!« zürnte der Mutesselim.

»Wer hat ihm aufgemacht?«

»Ja, wer? Sage es, Agha!«

»Ich nicht, Herr!«

»Ich auch nicht! Nur die Wächter waren da.«

Der Agha drehte sich nach diesen um.

»Kommt einmal her, Ihr Hunde!«

Sie traten zögernd näher.

»Ihr habt hier geöffnet!«

Der Sergeant wagte es, zu antworten:

»Agha, es hat Keiner von uns einen Riegel berührt. Wir haben die Thüren erst am Nachmittage zu öffnen, wenn das Essen gegeben wird, und so ist nicht eine einzige geöffnet worden.«

»So war ich der Erste, welcher diese Thüre hier öffnete?« frug der Commandant.

»Ja, Effendi!«

»Und als ich öffnete, war das Loch leer. Er ist entflohen. Aber wie hätte er herausgekonnt? Gestern Abend war er noch da; jetzt ist er fort. Zwischen dieser Zeit seid nur Ihr dagewesen. Einer von Euch hat ihn herausgelassen!«

»Ich schwöre bei Allah, daß wir diese Thüre nicht geöffnet haben!« versicherte zitternd der Sergeant.

»Mutesselim,« nahm ich jetzt das Wort, »diese Leute haben keinen Thorschlüssel gehabt. Wenn Einer von ihnen den Gefangenen herausgelassen hätte, so müßte er noch im Hause sein.«

»Du hast Recht; ich habe ja alle beide Schlüssel,« meinte er. »Wir werden Alles durchsuchen.«

»Und schicke auch auf die Wache, um die Mauern der Stadt und die Klippen zu untersuchen. Wenn er die Stadt verlassen hat, so ist es sicher nicht durch eines der Thore, sondern über die Mauer weg geschehen, und dann glaube ich bestimmt, daß eine Spur von ihm gefunden wird. Seine Kleidung ist in diesem Loche so verschimmelt und vermodert, daß sie den Weg über die Felsen gewiß nicht ausgehalten hat.«

»Ja,« gebot er einem der Arnauten, »laufe eilig zur Wache und bringe meinen Befehl, daß die ganze Stadt durchsucht werde.«

Es begann jetzt ein sehr sorgfältiges Durchsuchen des Gefängnisses, welches wohl eine ganze Stunde dauerte. Natürlich aber wurde nicht die geringste Spur von dem Entflohenen entdeckt. Eben wollten wir das Gefängniß verlassen, als zwei Arnauten erschienen, welche mehrere Kleiderfetzen trugen.

»Wir fanden diese Stücke draußen über dem Abgrund hangen,« meldete der Eine.

Der Agha nahm das Zeug in die Hand und prüfte es.

»Effendi, das ist von dem Überkleide des Gefangenen,« berichtete er dem Mutesselim. »Ich kenne es genau!«

»Bist Du dessen sicher?«

»So sicher wie meines Bartes.«

»So ist er dennoch aus diesem Hause entkommen!«

»Aber wohl in den Abgrund gestürzt,« fügte ich hinzu.

»Laßt uns gehen und nachsehen!« gebot er.

Wir verließen das Gefängniß und kamen an den Ort, an welchem ich das Gewand zerrissen und vertheilt hatte. Ich wunderte mich jetzt am Tage, daß ich nicht während der nächtlichen Dunkelheit hinab in den Schlund gestürzt war. Der Mutesselim besah sich das Terrain.

»Er ist hinuntergestürzt und sicher todt. Von da unten ist kein Auferstehen! Aber wann ist er entkommen?«

Diese Frage blieb natürlich unbeantwortet, so sehr sich der Commandant während einiger Stunden auch Mühe gab, dem Geheimnisse auf die Spur zu kommen. Er wüthete und tobte gegen einen Jeden, der ihm nahe kam, und so war es kein Wunder, wenn ich seine Nähe mied. Die Zeit wurde mir trotzdem nicht lang, denn ich hatte genug zu thun. Zunächst wurde ein Pferd für Amad el Ghandur eingekauft, und dann ging ich zu meiner Patientin, die ich bis jetzt vernachlässigt hatte.

Vor der Thüre des Hauses stand ein gesatteltes Maulthier; es war für ein Frauenzimmer bestimmt. Im Vordergemach stand der Vater, welcher mich mit Freuden bewillkommte.

Ich fand die Kranke aufrecht sitzend; ihre Wangen waren bereits wieder leicht geröthet und ihre Augen frei von allen Spuren des Unfalles. An ihrem Lager standen die Mutter und die Urahne. Diese Letztere befand sich in Reisekleidern. Sie hatte über ihr weißes Gewand einen schwarzen, mantelähnlichen Umhang geschlagen, und auf ihrem Kopfe war ein ebenso schwarzer Schleier befestigt, welcher jetzt über den Rücken herabhing. Das Mädchen reichte mir sofort die Hand entgegen.

»Oh, ich danke Dir, Effendi, denn nun ist es sicher, daß ich nicht sterben werde!«

»Ja, sie wird leben,« sagte die Alte. »Du bist das Werkzeug Gottes und der heiligen Jungfrau gewesen, mir ein Leben zu erhalten, welches mir theurer ist, als Alles auf Erden. Reichthümer darf ich Dir nicht bieten, denn Du bist ein großer Emir, der da Alles hat, was er braucht; aber sage mir, wie ich Dir danken soll, Effendi!«

»Danke Gott anstatt mir, dann kommt Dein Dank an die rechte Stelle; denn er ist es gewesen, der Dein Enkelkind gerettet hat!«

»Ich werde es thun und auch für Dich beten, Herr, und das Gebet eines Weibes, welches bereits nicht mehr der Erde angehört, wird Gott erhören. Wie lange bleibst Du in Amadijah?«

»Nicht lange mehr.«

»Und wohin gehest Du?«

»Das soll Niemand wissen, denn es wird vielleicht Gründe geben, es zu verschweigen. Euch aber kann ich sagen, daß ich nach Sonnenaufgang reiten werde.«

»So gehest Du nach derselben Gegend, nach welcher auch ich abreise, Herr. Mein Thier wartet meiner bereits vor dem Hause. Vielleicht sehen wir einander niemals wieder; darum nimm den Segen einer alten Frau, die Dir nichts weiter geben darf, aber auch nichts Besseres geben kann! Aber ein Geheimniß will ich Dir verrathen, denn es kann Dir vielleicht von Nutzen sein. Über den Osten von hier brechen böse Tage herein, und es ist möglich, daß Du einen dieser Tage erlebst. Kommst Du in Noth und Gefahr an einer Stelle, welche zwischen Aschiehtah und Gunduktha, dem letzten Orte von Tkhoma, liegt, und es kann Dir Niemand helfen, so sage dem Ersten, der Dir begegnet, daß Dich der Ruh 'i kulyan beschützen wird. Hört er Dich nicht, so sage es weiter, bis Du Einen findest, der Dir Auskunft gibt.«

»Der Ruh 'i kulyan? Der Höhlengeist? Wer führt diesen sonderbaren Namen?« frug ich die Hundertjährige.

»Das wird Dir Niemand sagen können.«

»Aber Du sprichst von ihm und kannst mir wohl Auskunft geben?«

»Der Ruh 'i kulyan ist ein Wesen, das Niemand kennt. Er ist bald hier, bald dort, überall wo ein Bittender ist, der es verdient, daß seine Bitte erfüllt werde. An vielen Dörfern gibt es einen bestimmten Ort, an welchem man zu gewissen Zeiten mit ihm reden kann. Dahin gehen die Hilfesuchenden um Mitternacht und sagen ihm, was sie von ihm begehren. Er gibt dann Rath und Trost, aber er weiß auch zu drohen und zu strafen, und mancher Mächtige thut, was er von ihm begehrt. Nie wird vor einem Fremden von ihm gesprochen; denn nur die Guten und die Freunde dürfen wissen, wo er zu finden ist.«

»So wird mir Dein Geheimniß keinen Nutzen bringen.«

»Warum?«

»Man wird mir nicht sagen, wo er zu finden ist, obgleich man sieht, daß ich seinen Namen kenne.«

»So sage nur, daß ich Dir von ihm erzählt habe; dann wird man Dir den Ort sagen, wo er zu finden ist. Mein Name ist bekannt im ganzen Lande von Tijari, und die Guten wissen, daß sie meinen Freunden vertrauen dürfen«

»Wie lautet Dein Name?«

»Marah Durimeh heiße ich.«

Das war eine geheimnißvolle Mittheilung, die aber so abenteuerlich klang, daß ich nicht den mindesten Werth auf sie legte. Ich verabschiedete mich und ging nach Hause. Dort merkte ich, daß es ungewöhnlich laut in der Küche herging. Es mußte der edlen ›Myrte‹ etwas widerfahren sein, was ihren Unmuth erweckt hatte. Unter den gegenwärtigen Umständen konnte das kleinste Ereigniß für mich Werth besitzen, und so trat ich ein. Mersinah hielt dem tapfern Agha eine Strafpredigt, das sah ich auf den ersten Blick. Sie stand mit drohend erhobenen Armen vor ihm, und er hielt die Augen niedergeschlagen wie ein Knabe, der von seinem Erzieher einen Verweis erhält. Sie sahen mich eintreten, und sofort bemächtigte sich die ›Myrte‹ meiner.

»Siehe Dir einmal diesen Selim Agha an!«

Sie deutete mit gebieterischer Miene auf den armen Sünder, und ich machte mit meinem Kopfe eine Viertelwendung nach rechts, um ihn pflichtschuldigst in Augenschein zu nehmen.

»Ist dieser Mann ein Agha der Arnauten?« frug sie nun.

»Ja.«

Ich gab diese Antwort natürlich in dem Tone meiner festesten Überzeugung, aber grad dieser Ton schien einen Rückfall ihres Raptus über sie zu bringen.

»Was! Also auch Du hältst ihn für einen Befehlshaber tapferer Krieger? Ich werde Dir sagen, was er ist; ein Agha der Feiglinge ist er!«

Der Agha schlug die Augen auf und versuchte, einen verweisenden Blick zu Stande zu bringen. Es gelang ihm leidlich.

»Erzürne mich nicht, Mersinah, denn Du weißt, daß ich dann schrecklich bin!«

»Worüber seid Ihr so ergrimmt?« wagte ich jetzt zu fragen.

»Über diese fünfzig Piaster!« antwortete die ›Myrte‹, indem sie mit der verächtlichsten ihrer Mienen auf die Erde deutete.

Ich blickte nieder und sah nun zwei silberne Zwanzig- und ein ebensolches Zehn-Piasterstück am Boden liegen.

»Was ist's mit diesem Gelde?«

»Es ist vom Mutesselim.«

Jetzt begann ich das Übrige zu ahnen und frug:

»Wofür?«

»Für die Gefangennehmung des Makredsch. Effendi, Du weißt ungefähr, wie viel Geld dieser bei sich hatte?«

»Ich schätze es auf ungefähr vier und zwanzigtausend Piaster.«

»So hat Selim mir doch die Wahrheit gesagt. Dieses viele, ungeheure Geld hat der Commandant dem Makredsch abgenommen und von demselben diesem tapfern Agha der Arnauten fünfzig Piaster gegeben!«

Bei diesen Worten bildete ihr ganzes Gesicht ein empörtes Ausrufezeichen. Sie schob die Silberstücke mit dem Fuße fort und frug mich:

»Und weißt Du, was dieser Agha der Arnauten gethan hat?«

»Was?«

»Er hat das Geld genommen und ist davon gegangen, ohne ein einziges Wort zu sagen! Frage ihn, ob ich Dich belüge!«

»Was sollte ich thun?« entschuldigte sich Selim.

»Ihm das Geld in den Bart werfen! Ich hätte es ganz sicherlich gethan. Glaubst Du das, Effendi?«

»Ich glaube es!«

Mit dieser Versicherung sagte ich die Wahrheit. Sie beehrte mich mit einem Blicke der Dankbarkeit und frug mich dann:

»Soll er es ihm wiedergeben?«

»Nein.«

»Nicht?«

Ich wandte mich an den Agha:

»Hast Du das Verzeichniß, welches der Commandant nach Mossul schicken muß, unterschrieben?«

»Ja.«

»Wie viel hat er angegeben?«

»Vierhundert Piaster in Gold und einundachtzig Piaster in Silber.«

»Weiter nichts?«

»Nein.«

»Die Uhr und die Ringe?«

»Auch nicht.«

»Er ist Dein Vorgesetzter, und Du darfst ihn Dir nicht zum Feinde machen; darum ist es gut, daß Du das Geld ruhig genommen hast. Weißt Du noch, was ich Dir versprochen habe?«

»Ich weiß es!«

»Ich werde mein Wort halten und mit dem Commandanten sprechen. Tausend Piaster wenigstens sollst Du erhalten.«

»Ist das wahr, Effendi?« frug Mersinah.

»Ja. Das Geld gehört weder dem Mutesselim noch dem Agha, aber es kommt auf alle Fälle in die Hände, welche kein Recht daran haben, und so mag es bleiben, wo es ist. Aber der Agha soll nicht so schmählich betrogen werden!«

»Er sollte doch wohl siebentausend erhalten?«

»Die bekommt er nicht. Das wurde nur als Vorwand gesagt. Selim, ist der Basch Tschausch schon fort?«

»Nein, Effendi.«

»Er sollte doch am Vormittage fortgehen.«

»Der Mutesselim hat ja einen neuen Bericht zu schreiben, weil er in dem alten sagte, daß er den Araber schicken werde. Vielleicht soll der Basch Tschausch warten, bis wir den Entflohenen wieder haben.«

»Dazu ist wohl keine Hoffnung vorhanden.«

»Warum?«

»Weil er sich an den Felsen zu Tode gestürzt hat.«

»Und wenn wir uns getäuscht hätten?«

»Wieso?«

»Der Mutesselim scheint jetzt zu glauben, daß er noch lebt.«

»Hat er Dir eine nähere Mittheilung darüber gemacht?«

»Nein; aber ich hörte es aus verschiedenen Worten, welche er sprach.«

»So wünsche ich ihm, daß er sich nicht irren möge!«

Ich begab mich nach meinem Zimmer. Sollte ein von mir oder von uns unbeachteter Umstand den Verdacht des Commandanten erregt haben? Möglich war es. Aber dann war es auch gerathen, sich auf Alles gefaßt zu machen. Doch ehe ich meinen Gefährten eine Mittheilung machte, ging ich im Geiste noch einmal alles Geschehene durch. Ich konnte nichts finden, was mir hätte auffallen können, und noch war ich mit mir nicht im Klaren, als der Agha die Treppen emporkam und bei mir eintrat.

»Effendi, es ist ein Bote des Mutesselim da. Er läßt uns sagen, daß wir nochmals in das Gefängniß kommen sollen.«

»Er ist bereits dort?«

»Ja.«

»Erwarte mich unten. Ich komme sogleich!«

War es in Frieden oder war es in Feindseligkeit, daß er mich kommen ließ? Ich beschloß mich auf Letzteres vorzubereiten. Die beiden Revolver waren geladen. Ich steckte auch die Pistolen zu mir und ging dann zu Halef. Dieser war allein in seiner Stube.

»Wo ist der Buluk Emini?«

»Der Basch Tschausch hat ihn geholt.«

Das war nichts Besonderes, fiel mir aber doch auf, weil ich einmal Verdacht gefaßt hatte.

»Wie lange ist es her?«

»Gleich als Du fortgingst, um das Pferd zu kaufen.«

»Komm mit herüber zum Haddedihn!«

Dieser lag rauchend am Boden.

»Emir,« empfing er mich, »Allah hat mir nicht die Geduld verliehen, lange auf ein Ding zu warten, nach dem ich mich sehne. Was thun wir noch in dieser Stadt?«

»Vielleicht verlassen wir sie in kurzer Zeit. Es hat fast den Anschein, als ob wir verrathen seien.«

Jetzt erhob er sich langsam und in der Art und Weise eines Mannes, der zwar überrascht wird, sich aber stark genug fühlt, diese Überraschung zu verbergen und ihren Folgen zu begegnen.

»Woraus schließest Du das, Effendi?«

»Ich ahne es einstweilen nur. Der Commandant hat zu mir geschickt, daß ich in das Gefängniß kommen soll, wo er mich erwartet. Ich werde gehen, aber die Vorsicht nicht vergessen. Komme ich in einer Stunde nicht zurück, so ist mir ein Übel widerfahren.«

»Dann suche ich Dich!« rief Halef.

»Du wirst nicht zu mir können, denn ich werde mich vielleicht in dem Gefängnisse befinden, und zwar als Gefangener. Ihr könnt dann wählen: – entweder Ihr flieht, oder Ihr sucht, mich frei zu machen.«

»Wir werden Dich nicht verlassen!« versicherte der Haddedihn mit ruhiger Stimme.

Wie er jetzt stolz und aufrecht vor mir stand; im langen, weißen Bart, der bis auf den Gürtel herab wallte, bot er ganz das Bild eines kühnen, aber doch besonnenen Mannes.

»Ich danke Dir! Sollten sie mich gefangen nehmen, so steht doch so viel fest, daß es nur nach einem heißen Kampfe geschieht. Binden aber lasse ich mich auf keinen Fall, und dann wird es wohl möglich sein, Euch die Zelle zu bezeichnen, in der ich mich befinde.«

»Wie willst Du dies thun, Sihdi?« frug Halef.

»Ich werde versuchen, an der Mauer in die Höhe zu kommen, und Euch das Zeichen mit einem meiner Kleidungsstücke geben, welches ich so weit im Loche vorschiebe, daß Ihr es sehen könnt. Dann ist es Euch vielleicht möglich, mir durch den Agha oder durch Mersinah eine Botschaft zu senden. Lange bin ich auf keinen Fall gefangen. Auf alle Fälle aber haltet Ihr Eure Pferde gesattelt. Überlegt Euch die Sache selbst weiter; ich habe keine Zeit, denn der Mutesselim wartet, und ich muß noch zum Engländer.«

Auch dieser saß auf seinem Teppich und rauchte.

»Schön, daß Ihr kommt, Sir!« begrüßte er mich. »Wollen fort!«

»Warum?«

»Ist nicht geheuer hier!«

»Sprecht deutlicher!«

Er erhob sich, trat in die Nähe der Fensteröffnung und deutete auf das Dach des gegenüberliegenden Hauses.

»Seht dort!«

Ich blickte schärfer hinüber und erkannte die Gestalt eines Arnauten, welcher auf dem Bauche lag und unsere Wohnung beobachtete.

»Werde auch auf unser Dach steigen,« sagte Lindsay ruhig, »und dem Manne dort eine Kugel geben!«

»Ich gehe jetzt nach dem Gefängnisse, wo mich der Mutesselim erwartet. Wenn ich in einer Stunde nicht zurück bin, so ist mir etwas geschehen, und ich sitze fest. In diesem Falle stecke ich irgend ein Kleidungsstück aus dem Loche heraus, in welchem ich hocke. Ihr könnt es von den hintern Fenstern oder von dem Dache aus sehen.«

»Sehr schön; wird großes Vergnügen sein; sollen Master Lindsay kennen lernen!«

»Verständigt Euch mit Halef. Er spricht ja einige Brocken Englisch.«

»Werden Pantomimen machen. Yes!«

Ich ging. Über mich wachten drei Männer, auf welche ich mich verlassen konnte. Übrigens war Amadijah beinahe menschenleer; die Hälfte der Garnison laborirte am Fieber, und den Mutesselim hatte ich in meiner Hand.

Selim Agha stand bereits unter der Thüre. Die beiden Besprechungen hatten ihm zu lange gedauert, und er suchte das Versäumte durch einen schnellen Schritt wieder einzuholen. Wie bereits heute morgen, stand der Commandant auch jetzt wieder unter der geöffneten Gefängnißthüre. Er trat zurück, als er uns erblickte. Seit meinem Austritte aus der Wohnung bis hierher hatte ich scharf gespäht, aber keinen Menschen gesehen, der den Auftrag hätte haben können, mich zu beaufsichtigen. Die zwei Gassen, durch welche wir kamen, waren leer, und auch in der Nähe des Gefängnisses ließ sich Niemand sehen. Der Commandant begrüßte mich sehr höflich, aber mein Mißtrauen entdeckte sehr leicht, daß hinter dieser Höflichkeit sich eine Arglist barg.

»Effendi,« begann er, als er die Thüre hinter sich und uns verschlossen hatte, »wir haben den Körper des Entflohenen nicht gefunden.«

»Hast Du in der Schlucht suchen lassen?«

»Ja. Es sind Leute an Stricken hinabgelassen worden. Der Gefangene ist nicht dort hinab.«

»Aber seine Kleider lagen dort!«

»Vielleicht hat er sie dort nur abgelegt!«

»Dann würde er ja ein anderes Gewand haben müssen!«

»Vielleicht hat er das gehabt. Es ist gestern ein vollständiger Anzug gekauft worden.«

Er blickte mich bei diesen Worten forschend an. Er meinte jedenfalls, ich werde mich durch eine Miene verrathen; im Gegentheile aber hatte er sich durch diese Bemerkung bloßgestellt, denn nun wußte ich ganz genau, was ich von ihm zu erwarten hatte.

»Für ihn?« frug ich ungläubig lächelnd.

»Ich glaube es. Ja, man hat sogar ein Reitpferd gekauft!«

»Auch für ihn?«

»Ich denke es. Und dieses befindet sich noch in der Stadt.«

»Er will also offen und frei zum Thore hinausreiten? Oh, Mutesselim, ich glaube, Dein System ist noch nicht in Ordnung gekommen. Ich werde Dir Medizin senden müssen!«

»Ich werde nie wieder eine solche Medizin trinken,« antwortete er einigermaßen verlegen. »Ich habe die Überzeugung, daß er zwar hier aus dem Gefängnisse entkommen ist, sich aber noch in der Stadt befindet.«

»Und weißt Du auch, wie er entkommen ist?«

»Nein; aber davon bin ich nun überzeugt, daß weder der Agha noch die Wächter die Schuld tragen, daß es ihm gelang.«

»Und wo soll er sich versteckt halten?«

»Das werde ich schon noch entdecken, und dabei sollst Du mir helfen, Effendi.«

»Ich? Gern, wenn ich es vermag.«

Ich hatte bei meinem Eintritte einen raschen Blick zur Treppe emporgeworfen und oben mehr Arnauten stehen sehen, als vorher hier postirt gewesen waren. Man hatte also wohl die Absicht, mich hier festzuhalten. In dieser Überzeugung bestärkten mich natürlich die unvorsichtigen Reden des Commandanten. Ein Blick auf das offene Gesicht des Agha ergab, daß er von dem Vorhaben des Mutesselim ganz sicher keine Kenntniß hatte. Also auch er stand im Verdacht, und daraus schloß ich, daß man den Entsprungenen in seiner und in meiner Wohnung vermuthe.

»Ich habe gehört,« meinte der Commandant, »daß Du ein großer und geschickter Kenner aller Spuren bist.«

»Wer hat Dir das gesagt?«

»Dein Baschi-Bozuk, dem Dein Diener Halef es erzählte.«

Also er hatte den Baschi-Bozuk verhört. Darum also war derselbe von dem Basch Tschausch geholt worden! Der Commandant fuhr fort:

»Und darum bitte ich Dich, Dir einmal das Gefängniß anzusehen.«

»Dies habe ich doch bereits gethan!«

»Aber nicht so genau, wie es geschehen muß, wenn man Spuren entdecken will. Dann ist oft ein ganz kleines Ding, welches man erst gar nicht beachtet hat, von sehr wichtiger Bedeutung.«

»Das ist richtig. Also das ganze Haus soll ich durchsuchen?«

»Ja. Aber Du wirst wohl mit dem Loche beginnen müssen, in dem er gesteckt hat, denn dort hat auch seine Flucht begonnen.«

O, schlauer Türke! Hinter mir hörte ich auf den Treppenstufen etwas knistern. Die Arnauten kamen leise herab.

»Das ist sehr richtig,« bemerkte ich scheinbar ahnungslos. »Laß die Thüre zu der Zelle öffnen!«

»Mache auf, Selim Agha!« gebot er.

Der Agha schob die Riegel zurück und legte die Thüre ganz bis an die Wand hinum.

Ich trat näher, aber so vorsichtig, daß mich kein Stoß von hinten hinabwerfen konnte, und blickte aufmerksam hinein.

»Ich sehe nichts, was mir auffallen könnte, Mutesselim!«

»Von hier aus kannst Du auch nichts sehen. Du wirst wohl hinabsteigen müssen, Effendi!«

»Wenn Du es für nöthig hältst, werde ich es thun,« erwiderte ich unbefangen.

Ich trat zur Seite, faßte die Thüre, hob sie aus den Angeln und legte sie quer vor der Thüröffnung auf den Boden nieder, so daß ich sie von dem Loche aus stets im Auge behalten konnte. Das hatte der gute Commandant nicht erwartet; es machte ihm einen sehr dicken Strich durch seine Rechnung.

»Was thust Du da?« frug er enttäuscht und ärgerlich.

»Ich habe die Thüre ausgehoben, wie Du siehst,« antwortete ich.

»Warum?«

»O, wenn man Spuren entdecken will, so muß man sehr vorsichtig sein und Alles im Auge behalten!«

»Aber das Abnehmen der Thüre ist doch nicht nothwendig. Du erhältst dadurch nicht mehr Licht in das Loch, als vorher.«

»Richtig! Aber weißt Du, welche Spuren die sichersten sind?«

»Welche?«

»Diejenigen, welche man in dem Angesichte eines Menschen findet. Und diese« – dabei klopfte ich ihm vertraulich auf die Achsel – »weiß ein Effendi aus Germanistan ganz sicher zu finden und zu lesen.«

»Wie meinst Du das?« frug er betroffen.

»Ich meine, daß ich Dich wieder einmal für einen großen Diplomaten halte. Du verstehst Deine Geheimnisse und Absichten ausgezeichnet geheim zu halten. Und darum werde ich Dir auch Deinen Willen thun und jetzt hinunterspringen.«

»Was meinst Du für Absichten?«

»Deine Weisheit hat Dich auf den ganz richtigen Gedanken geführt, daß ein Gefangener es am besten errathen könne, wie es einem andern Gefangenen möglich gewesen sei, zu entkommen. Allah sei Dank, daß er so kluge Männer geschaffen hat!«

Ich sprang hinunter in das Loch und bückte mich, um zu thun, als ob ich am Boden suche. Dabei jedoch sah ich unter dem Arm hinweg und bemerkte einen Wink, den der Mutesselim dem Agha gab. Beide bückten sich, um die schwere Thüre aufzunehmen und in die Angeln zu bringen. Ich drehte mich um.

»Mutesselim, laß die Thüre liegen!«

»Sie soll dahin, wohin sie gehört.«

»So gehe ich auch wieder dahin, wohin ich gehöre!«

Ich machte Anstalt, mich emporzuschwingen, was nicht sehr leicht zu bewerkstelligen war, weil das Loch eine bedeutende Tiefe hatte.

»Halt, Du bleibst!« gebot er mir und gab zugleich einen Wink, auf welchen mehrere bewaffnete Arnauten herbeitraten. »Du bist mein Gefangener!«

Der gute Selim erschrak. Er starrte erst den Mutesselim und dann mich an.

»Dein Gefangener?« frug ich. »Du scherzest!«

»Es ist mein voller Ernst!«

»So bist Du über Nacht verrückt geworden! Wie kannst Du glauben, daß Du der Mann seist, der mich gefangen nehmen kann!«

»Du bist ja schon gefangen und wirst nicht eher wieder frei kommen, als bis ich den Entflohenen entdeckt habe.«

»Mutesselim, ich glaube nicht, daß Du ihn entdecken wirst!«

»Warum?«

»Dazu gehört ein Mann, welcher Muth und Klugheit besitzt, und mit diesen beiden Eigenschaften hat Dich Allah in seiner Weisheit verschont.«

»Du willst mich verhöhnen? Siehe zu, wie weit Du mit Deiner eignen Klugheit kommst! Legt die Thüre an und schiebt die Riegel vor!«

Jetzt zog ich eine der Pistolen.

»Laßt die Thüre liegen, das rathe ich Euch!«

Die braven Arnauten blieben sehr verlegen stehen.

»Greift zu, Ihr Hunde!« gebot er drohend.

»Laßt Euch nicht erschießen, Ihr Leute!« sagte ich, indem ich die Hähne spannte.

»Wage es, zu schießen!« rief der Mutesselim.

»Wagen? O, Mutesselim, das ist ja gar kein Wagniß. Mit diesen Leuten werde ich ganz gut auskommen, und Du bist der Erste, den meine Kugel trifft!«

Die Wirkung war eigenthümlich, denn der kühne Held von Amadijah verschwand sofort von der Thüröffnung. Aber seine Stimme ertönte:

»Schließt ihn ein, Ihr Schurken!«

»Thut es nicht, Ihr Männer, denn ich werde Den, der diese Thüre zu schließen wagt, ganz sicher in die Dschehennah schicken!«

»So schießt Ihr wieder!« ertönte es von der Seite her.

»Mutesselim, vergiß nicht, wer ich bin! Eine Verletzung meiner Person würde Dich Deinen Kopf kosten.«

»Wollt Ihr gehorchen, Ihr Buben! Oder soll ich es sein, der Euch erschießt? Selim Agha, greif zu!«

Der Neffe des Schwagers von der Schwester des Enkelsohnes der Mutter von der Stiefschwester der ›Myrte‹ war dem Beispiele seines Vorgesetzten gefolgt und hatte sich in der Entfernung an die Mauer gedrückt. Er befand sich jetzt gewiß in sehr großer Verlegenheit, aus der ich ihn erretten mußte.

»Tretet ein wenig zurück, Ihr Männer, denn jetzt geht es los!«

Ich richtete die Mündung der Waffe auf sie und bekam die Öffnung frei. Nach einer schnellen Kraftanstrengung stand ich oben vor dem Commandanten, dem ich die Pistole unter die Nase hielt.

»Mutesselim, ich habe da unten keine Spur gefunden!«

»Allah illa Allah! Emir, thue diese Waffe weg!«

Daß er selbst ein solches Schießding, mit dem er sich ja wehren konnte, im Gürtel trug, schien ihm gar nicht einzufallen.

»Sie kommt erst dann zurück an ihre Stelle, wenn diese Wächter zurückgekehrt sind nach oben. Selim Agha, schaffe sie fort!«

Diesem Befehle leistete der Agha augenblicklich Folge:

»Packt Euch, und laßt Euch nicht wieder sehen!«

Sie retirirten schleunigst die Treppe empor.

»So, jetzt stecke ich die Waffe ein. O, Mutesselim, in welche Schande hast Du Dich gebracht! Deine List ist nicht gelungen, Deine Gewalt hat nichts genützt; und nun stehest Du da wie ein Fakara günakiar, der um Gnade bitten muß. Warum wolltest Du mich einschließen lassen?«

»Weil ich bei Dir aussuchen muß.«

»Darf ich nicht dabei sein?«

»Du hättest Dich gewehrt.«

»Ah, Du hast also Respekt vor mir? Das höre ich gern! Und Du meinst, daß die Andern sich nicht gewehrt hätten?«

»Du bist der Schlimmste, sie aber hätten wir nicht gefürchtet.«

»Du irrst, Mutesselim. Ich bin der Gütigste von ihnen Allen. Mein Hadschi Halef Omar ist ein Held; der Hadschi Lindsay-Bey ist ein Wütherich, und der Dritte, den Du noch nicht gesehen hast, der übertrifft noch Beide. Du wärest nur todt von ihnen weggekommen! Wie lange aber, glaubst Du, daß ich mich hier in diesem Loche befunden hätte?«

»So lange es mir beliebte!«

»Meinst Du? Sieh diese Waffen und diesen Beutel mit Kugeln und Patronen! Ich hätte die Riegel oder die Angeln aus der Thüre geschossen und in zwei Minuten da gestanden, wo ich jetzt stehe. Und bereits bei dem ersten Schusse hätten meine Leute gewußt, daß ich in Gefahr war. Sie wären herbeigeeilt, um mir zu helfen.«

»Sie hätten nicht hereingekonnt.«

»Eine Büchsenkugel öffnet Dein altes Schloß ganz leicht. Komm her, ich will Dir etwas zeigen!«

Ich drehte ihn nach der Zelle zu und deutete nach dem Fensterloche, durch welches man ein Stückchen des Himmels erblicken konnte; jetzt aber sah man in dem Rahmen des Loches eine Gestalt, welche ein schwarz und roth karrirtes Gewand trug, eine Büchse in der Hand hielt und aufmerksam nach dem Gefängnisse herüberblickte.

»Kennst Du diesen Mann?« frug ich.

»Hadschi Lindsay-Bey!«

»Ja, er ist's. Er steht auf dem Dache meiner Wohnung und wartet auf das Zeichen, welches wir verabredet haben. Mutesselim, Dein Leben hängt an einem Haare. Was hast Du gegen mich?«

»Du hast den Entflohenen befreit!«

»Wer sagte das?«

»Ich habe Zeugen.«

»Mußt Du mich da gefangen nehmen, mich, einen Effendi und Bey, einen Emir, der viel höher steht, als Du, der das Budjeruldi des Großherrn besitzt und Dir schon viele Beweise gegeben hat, daß er keinen Menschen fürchtet?«

»Ja, Du fürchtest Niemand, und eben darum wollte ich Dich hier sicher haben, ehe ich Deine Wohnung durchsuchte.«

»Du kannst sie in meiner Gegenwart durchsuchen!«

»Herr, nun thue ich es nicht. Ich werde meine Leute senden.«

Ah, er fürchtete jetzt den ›Helden‹, den ›Wütherich‹ und Den, der diese Beiden noch übertraf.

»Auch das werde ich gestatten, wenn es ohne Aufsehen geschieht. Sie können jeden Winkel durchstöbern; ich habe nichts dagegen. Du siehst also, daß Du mich nicht einzusperren brauchtest, Mutesselim!«

»Das wußte ich nicht!«

»Dein größter Fehler aber war, daß Du glauben konntest, ich sei mit Blindheit geschlagen und werde mich ruhig einsperren lassen. Thue das nicht wieder, denn ich sage Dir: Dein Leben hing an einem Haar.«

»Aber, Emir, wenn wir den Gefangenen bei Dir entdecken, so werde ich Dich doch gefangen nehmen müssen!«

»Dann werde ich mich nicht weigern.«

»Und ich kann Dich jetzt nicht nach Hause gehen lassen.«

»Warum?«

»Ich muß sicher sein, daß Du nicht den Befehl gibst, den Gefangenen zu verstecken.«

»Gut. Aber ich sage Dir, daß meine Gefährten dann die Wohnung nicht durchsuchen lassen. Sie werden im Gegentheile einen Jeden niederschießen, der sie zu betreten wagt.«

»So schreibe ihnen, daß sie meine Leute eintreten lassen sollen!«

»Das will ich thun. Selim Agha kann den Brief gleich hintragen.«

»Nein. Dieser nicht!«

»Warum?«

»Er könnte von Allem wissen und sie warnen.«

»O, der Agha ist Dir treu und weiß kein Wort über den Gefangenen zu sagen oder zu verschweigen! Nicht wahr, Selim Agha?«

»Herr,« meinte dieser zu seinem Vorgesetzten, »ich schwöre Dir, daß ich nicht das Geringste weiß, und daß auch der Effendi ganz unschuldig ist!«

»Das Letztere kannst Du nicht beschwören, das Erstere aber möchte ich glauben um Deinetwillen. Emir, Du gehst mit zu mir, wo wir dann weiter über diese Sache reden werden. Ich werde Dich Deinen Anklägern gegenüberstellen.«

»Das verlange ich auch!«

»Einen derselben kannst Du gleich jetzt hören.«

»Wer ist es?«

»Der Arnaute, der um Deinetwillen dort in dem Loche steckt.«

»Ah! Dieser?«

»Ja. Ich durchsuchte heute noch einmal die Zellen und fragte jeden Gefangenen, ob er heute nacht etwas gemerkt habe. Ich kam auch zu ihm und hörte von ihm etwas, was Dir sehr schädlich ist.«

»Er will sich rächen! Aber willst Du nicht lieber einen der Wächter nach meiner Wohnung senden? Wenn ich einen Brief schreibe, könnte doch ein Irrthum unterlaufen, oder meine Gefährten könnten glauben, daß ihn ein Anderer geschrieben habe.«

»Sie werden dem Wächter noch viel weniger glauben!«

»Das meine ich auch nicht. Dieser Mann soll aber meinen Diener holen, der sich überzeugen kann, daß ich selbst die Erlaubniß gebe, die Wohnung zu durchsuchen.«

»Du wirst nur in meiner Gegenwart mit ihm sprechen?«

»Ja.«

»So werde ich ihn holen lassen.«

Er rief einen der Arnauten und gab ihm den betreffenden Befehl; dann mußte Selim Agha den Kerker öffnen, in welchem der frühere Khawaß des Engländers eingeschlossen war.

»Stehe auf,« gebot ihm der Mutesselim, »und gib mir Rede und Antwort! Behauptest Du das, was Du mir heute sagtest, auch jetzt noch?«

»Ja.«

»Wiederhole es!«

»Der Mann, den Du Hadschi Lindsay-Bey nanntest, ist ein Inglis. Er nahm mich und einen Dolmetscher von Mossul mit, und diesem hat er erzählt, daß er einen Mann suche, der ausgezogen ist, einen Gefangenen zu befreien.«

Also hatte Master Fowling-bull dennoch geplaudert!

»Hat er diesen Mann genannt?« frug ich den Arnauten.

»Nein.«

»Hat er dem Dolmetscher den Namen des Gefangenen gesagt, welcher befreit werden soll?«

»Nein.«

»Auch nicht den Ort, wo dieser Gefangene ist?«

»Nein.«

»Mutesselim, hat dieser Arnaute noch mehr zu sagen?«

»Das ist Alles.«

»Nein; das ist gar nichts! Selim Agha, schließe wieder zu! O, Mutesselim, Du bist wirklich ein so großer Diplomat, daß ich in Stambul gewiß Deine Verdienste sehr viel rühmen werde! Man wird sich dann beeilen, Dir eine noch viel höhere Stellung als die jetzige zu geben. Vielleicht macht Dich der Padischah gar zum Vizekönig von Bagdad. Hadschi Lindsay-Bey will einen Mann aufsuchen. Hat er gesagt, daß ich dieser Mann sei? Dieser Mann will einen Gefangenen befreien. Hat er gesagt, daß es Dein Gefangener sein soll? Wird ein Inglis sein Vaterland, welches beinahe tausend Kameeltagreisen von hier entfernt ist, verlassen, um einen Araber aus der Gefangenschaft zu befreien? Er hatte, als er es verließ, noch niemals einen Araber gesehen.«

»Aber Du, Du bist ein Freund von Amad el Ghandur?«

»Ich sage Dir, daß ich ihn noch nie gesehen hatte, als bis ich ihn hier in dem Loche sah! Hadschi Lindsay-Bey versteht nicht Türkisch und nicht Arabisch, und sein Dolmetscher konnte nicht gut Englisch sprechen. Wer weiß, was dieser Mann gehört und verstanden hat. Vielleicht hat der Hadschi ihm nur ein Märchen erzählt.«

»Aber er redet doch nicht!«

»Damals sprach er noch. Er hat sein Gelübde erst später gethan.«

»So komm, Du sollst auch den andern Zeugen hören! Man klopft. Es wird Dein Diener sein.«

Er öffnete den Eingang. Der Arnaute brachte Halef, dem ich sagte, daß ich mit der Haussuchung einverstanden sei, und fügte bei:

»Ich will dem Mutesselim beweisen, daß ich sein Freund bin. Die Leute sollen überall hingelassen werden. Nun gehe!«

»Wo gehest denn Du jetzt hin?«

»Zum Mutesselim.«

»Wann kommst Du wieder?«

»Ich weiß es noch nicht.«

»In einer Stunde kann sehr viel gethan und gesprochen werden. Bist Du bis dahin noch nicht zurück, so werden wir kommen und Dich holen!«

Er ging. Der Commandant machte ein sehr zweifelhaftes Gesicht. Das mannhafte Wesen meines kleinen Halef hatte ihm imponirt.

In dem Vorzimmer seines Selamlüks befanden sich mehrere Beamte und Diener. Er winkte einem der Ersteren, welcher mit uns eintrat. Wir setzten uns, aber eine Pfeife erhielt ich nicht.

»Das ist der Mann!« meinte der Mutesselim, indem er auf den Beamten zeigte.

»Was für ein Mann?«

»Der Dich gesehen hat.«

»Wo?«

»Auf der Gasse, welche zum Gefängnisse führt. Ibrahim, erzähle es!«

Der Beamte sah, daß ich mich auf freiem Fuße befand; er warf einen unsichern Blick auf mich und berichtete:

»Ich kam vom Palaste, Herr. Es war sehr spät, als ich meine Thüre öffnete. Eben wollte ich sie wieder schließen, da hörte ich Schritte, die sehr eilig herbeikamen. Es waren zwei Männer, die sehr schnell gingen; der Eine zog den Andern mit sich fort, und dieser Andere hatte keinen Athem. An der Ecke verschwanden sie und gleich darauf hörte ich einen Raben schreien.«

»Hast Du die beiden Männer erkannt?«

»Nur diesen Effendi. Es war zwar finster, aber ich erkannte ihn an seiner Gestalt.«

»Wie war die Gestalt des Andern?«

»Kleiner.«

»Haben sie Dich gesehen?«

»Nein, denn ich stand hinter der Thüre.«

»Du kannst gehen!«

Der Mann trat ab.

»Nun, Emir, was sagst Du?«

»Ich war den ganzen Abend bei Dir!«

»Aber einige Minuten bist Du fort gewesen, nämlich als Du die Lampe holtest. Da hast Du den Gefangenen fortgeschafft, wie ich vermuthe, und dabei solche Eile gehabt, weil wir auf Dich warteten.«

Ich lachte.

»O, Mutesselim, wann endlich wirst Du einmal ein guter Diplomat werden! Ich sehe, daß Dein System wirklich einer Stärkung bedarf. Erlaube mir einige Fragen.«

»Rede.«

»Wer hatte den Schlüssel zur Außenthüre des Gefängnisses?«

»Ich.«

»Konnte ich also hinaus, selbst wenn ich gewollt hätte?«

»Nein,« antwortete er zögernd.

»Mit wem bin ich nach Hause gegangen?«

»Mit Selim Agha.«

»Ist dieser Agha der Arnauten länger oder kürzer als ich ?«

»Kürzer.«

»Und nun, Agha, frage ich Dich: Sind wir langsam gegangen wie die Schnecken oder mit schnellen Schritten?«

»Schnell,« antwortete der Gefragte.

»Haben wir uns geführt oder nicht?«

»Wir führten uns.«

»Mutesselim, kann ein Rabe, der im Traume ein wenig krächzt oder ruft, in Beziehung zu dem Entflohenen stehen?«

»Emir, das trifft ja wunderbar!« antwortete er.

»Nein, das trifft nicht wunderbar, sondern das ist so einfach und natürlich, daß ich über die Kleinheit Deiner Gedanken erschrecke! Ich werde ganz besorgt um Dich! Du hattest den Schlüssel, und Niemand konnte heraus; das mußtest Du wissen. Ich bin mit dem Agha nach Hause gegangen, und zwar durch die Gasse, in welcher jener Mann wohnt; das wußtest Du auch. Und auf eine Erzählung hin, die nur geeignet wäre, mich zu rechtfertigen, willst Du mich verurtheilen? Ich war Dein Freund. Ich gab Dir Geschenke; ich führte den Makredsch, dessen Festnehmung Dir Ehre und Beförderung in Aussicht stellt, in Deine Hände; ich gab Dir Arzenei, um Deine Seele zu erfreuen, und das Alles dankst Du dadurch, daß Du mich in das Gefängniß stecken willst. Geh! Ich werde irre an Dir! Und was ebenso schlimm ist: Du wirfst Dein Mißtrauen sogar auf den Agha der Arnauten, dessen Treue Du kennst, und der für Dich kämpfen würde, selbst wenn er dabei das Leben verlieren müßte!«

Da richtete sich Selim Agha um einige Zoll höher auf.

»Ja, das ist wahr!« betheuerte er, indem er an seinen Säbel schlug und die Augen rollen ließ. »Mein Leben gehört Dir, Herr. Ich gebe es für Dich hin!«

Das war zu viel der Beweise. Der Commandant reichte mir die Hand und bat:

»Verzeihe, Emir! Du bist gerechtfertigt, und ich werde in Deiner Wohnung nicht nachsuchen lassen!«

»Du wirst suchen lassen. Ich verlange es nun selbst!«

»Es ist ja unnöthig geworden!«

»Ich bestehe aber auf meinem Verlangen.«

Der Mutesselim erhob sich und ging hinaus.

»Effendi, ich danke Dir, daß Du mich von seinem Verdachte gereinigt hast!« sagte nun der Agha.

»Du wirst gleich hören, daß ich noch mehr für Dich thue.«

Als der Commandant wieder eintrat, machte er ein sehr verdrießliches Gesicht und begann:

»Draußen steht jetzt der Basch Tschausch, der nach Mossul gehen soll – – –«

»Der meinen Baschi-Bozuk holte,« unterbrach ich ihn, »damit Du ihn über mich verhören konntest! Hast Du wohl ein Wort von ihm erfahren, das mich verdächtigt?«

»Nein, er war Deines Lobes voll. Aber sage mir, was ich dem Anatoli Kasi Askeri über den entsprungenen Gefangenen schreiben soll!«

»Schreibe die Wahrheit!«

»Das wird mir großen Schaden machen, Effendi. Denkst Du nicht, daß ich schreiben könnte, er sei gestorben?«

»Das ist Deine Sache!«

»Würdest Du mich verrathen?«

»Ich habe keinen Grund dazu, solange Du mein Freund bist.«

»Ich werde es thun!«

»Aber wenn es Dir gelingt, ihn wieder zu ergreifen? Oder wenn er glücklich seine Heimat erreicht?«

»So hat sich der abgesetzte Mutessarif geirrt und mir einen Mann geschickt, den er zwar für Amad el Ghandur hielt, der es aber nicht war. Und wenn ich ihn wieder ergreife – – Effendi, es wird das Beste sein, daß ich gar nicht nach ihm suchen lasse!«

Das war eine echt türkische Weise, sich aus der Noth zu helfen; mir jedoch kam sie sehr willkommen.

»Aber der Basch Tschausch weiß ja, daß der Araber entflohen ist?«

»Das ist ein anderer Araber gewesen, kein Haddedihn, sondern ein Abu Salman, der mir den Zoll verweigerte.«

»So eile, damit Du der Sorge um den Makredsch ledig wirst. Wenn es auch diesem gelingen sollte, zu entkommen, so bist Du verloren.«

»In einer Stunde soll der Transport abgehen.«

»Hast Du schon das Verzeichniß von den Sachen fertig, welche der Makredsch bei sich hatte?«

»Es ist fertig und von mir und Selim Agha unterzeichnet.«

»Du hast eine Unterschrift vergessen, Mutesselim.«

»Welche?«

»Die meinige.«

»O, Effendi, diese ist gar nicht nöthig.«

»Aber wünschenswerth.«

»Aus welchem Grunde?«

»Man könnte mich in Mossul oder Stambul über diese Sache fragen, wenn etwas nicht stimmen sollte. So wird es besser sein, ich unterzeichne mich jetzt; dann ist Alles in Ordnung. Auch Dir muß es willkommen sein, einen Zeugen mehr zu haben; denn ich traue dem Makredsch gar sehr zu, daß er Dich verleumdet, um sich an Dir zu rächen.«

Der Commandant befand sich augenscheinlich in großer Verlegenheit.

»Das Verzeichniß ist bereits verschlossen und versiegelt,« sagte er.

»Zeige es!«

Er erhob sich wieder und ging in die Nebenstube.

»Effendi,« flüsterte der Agha ängstlich, »verrathe nicht, daß ich Dir Alles gesagt habe.«

»Sei ohne Sorge!«

Der Mutesselim kehrte zurück und hielt ein versiegeltes Schreiben in der Hand. Er reichte es mir ohne Bedenken.

Ich nahm es, um mich zu überzeugen, daß es auch das rechte sei. Ich drückte die langen Bauchseiten zusammen, so daß sich eine Röhre bildete, in deren Inneres ich blicken konnte. Da es nicht couvertirt war, sah ich zwar aus einzelnen Wörtern, daß der Commandant mich nicht getäuscht habe; doch befanden sich die Ziffern, welche ich suchte, nicht an einer Stelle, die ich hätte lesen können. Gleichwohl aber tat ich, als ob ich sie sähe, und las laut und langsam:

»Vierhundert Piaster in Gold – einundachtzig Piaster in Silber – –! Mutesselim, Du wirst dieses Schreiben öffnen müssen; Du hast Dich sehr verschrieben!«

»Herr, diese Angelegenheit ist nicht die Deinige, sondern die meinige!«

»So war es also nur die meinige, als ich Dir beistehen mußte, den Makredsch festzuhalten und ihm sein Geld abzunehmen?«

»Ja,« antwortete er naiv.

»Gut! Aber Du versprachst mir fünftausend Piaster, auf welche noch zweitausend zu legen sind, weil das Papiergeld keinen vollen Werth besitzt. Wo ist diese Summe?«

»Emir!«

»Mutesselim!«

»Du sagst, Du seist mein Freund, und willst mich dennoch peinigen!«

»Du sagst, Du seist mein Freund, und willst mich dennoch hintergehen!«

»Ich muß das Geld nach Mossul senden.«

»Vierhunderteinundachtzig Piaster, ja. Deine Pflicht ist es aber, alles Geld des Makredsch samt der Uhr und den Ringen einzusenden. Thust Du dies, so habe ich nichts zu fordern; thust Du es aber nicht, so verlange ich den mir gebührenden Theil.«

»Du hast ja gar nichts zu bekommen,« erklärte er.

»Du auch nicht, und Selim Agha auch nicht. Hat er etwas erhalten?«

»Siebentausend Piaster in Papier,« antwortete er sehr schnell, um dem Agha die Antwort abzuschneiden. Dieser schnitt ein Gesicht, daß ich beinahe in lautes Lachen ausgebrochen wäre.

»Nun, also,« sagte ich, »warum willst Du mir da meinen Theil vorenthalten?«

»Du bist ein Fremdling und keiner meiner Beamten.«

»Du sollst Recht behalten; aber dann trete ich meinen Theil an den Padischah ab. Sage also dem Basch Tschausch, daß er nach meiner Wohnung kommen soll, ehe er abreist. Ich werde ihm meinen Bericht an den Anatoli Kasi Askeri mitgeben. – Lebe wohl, Mutesselim, und erlaube, daß ich Dich heute Abend besuche.«

Ich ging zu der Thüre, hatte diese aber noch nicht erreicht, als er rief:

»Wie viel Geld wirst Du angeben?«

»Die runde Summe von fünfundzwanzigtausend Piaster, eine Uhr und vier Brillantringe.«

»Wie viel willst Du davon haben?«

»Meinen vollen Theil. Siebentausend Piaster in Papier, oder fünftausend in Gold oder Silber.«

»Effendi, es war wirklich nicht so viel Gold!«

»Ich kann den Klang des Goldes sehr gut von dem des Silbers unterscheiden, und der Beutel hatte einen sehr dicken Bauch.«

»Du bist reich, Emir, und wirst mit fünfhundert Piaster zufrieden sein!«

»Zweitausend in Gold, das ist mein letztes Wort!«

»Allah kerihm, ich kann es nicht!«

»Lebewohl!«

Wieder ging ich nach der Thüre. Er wartete, bis ich sie geöffnet hatte, dann rief er mich zurück. Ich ging jedoch weiter und war bereits auf der Straße, als mir eilige Schritte folgten. Es war Selim Agha, der mich zurückrief.

Als ich wieder in das Selamlük trat, war der Commandant nicht da, bald aber kam er aus dem Nebenzimmer. Sein Blick war finster und feindselig, und seine Stimme vibrirte heiser, als er mich frug:

»Also zweitausend willst Du?«

»In Gold!«

Er setzte sich nieder und zählte mir zwanzig Hundertpiasterstücke auf den Teppich.

Ich bückte mich, nahm das Gold auf und steckte es ein. Er wartete einige Augenblicke, dann frug er mit finsterer Stirn:

»Und Du bedankst Dich nicht?«

»Ich? Ich erwarte im Gegentheile Deinen Dank, weil ich Dir dreitausend Piaster geschenkt habe!«

»Du bist bezahlt und hast mir nichts geschenkt. Wann reisest Du ab?«

»Ich weiß es noch nicht.«

»Ich rathe Dir, noch heute die Stadt zu verlassen!«

»Warum?«

»Du hast Dein Gold, nun gehe! Aber komme ja nie wieder!«

»Mutesselim, spiele keine Komödie mit mir, sonst lege ich Dir die Piaster wieder her und schreibe einen Bericht. Wenn es mir beliebt, zu bleiben, so bleibe ich, und wenn ich zu Dir komme, wirst Du mich höflich empfangen. Aber um Dir Deine Sorge vom Herzen zu nehmen, will ich Dir sagen, daß ich noch heute abreise. Vorher aber werde ich kommen, um von Dir Abschied zu nehmen, und dann hoffe ich, daß wir in Frieden scheiden.«

Jetzt verließ ich ihn und kehrte zu den Gefährten zurück. Ehe ich das Haus erreichte, begegnete mir eine Truppe Arnauten, welche sich scheu zur Seite stellten und mich vorüber ließen. Unter der Thüre stand Mersinah und blickte ihnen nach. Ihr Angesicht glühte vor Zorn.

»Emir, ist schon einmal so etwas geschehen?« schnaubte sie mir entgegen.

»Was?«

»Daß ein Mutesselim bei seinem eignen Agha der Arnauten hat aussuchen lassen?«

»Das weiß ich nicht, o Engel des Hauses, denn ich bin noch niemals ein Agha der Arnauten gewesen.«

»Und weißt Du, was man suchte?«

»Nun?«

»Den entflohenen Araber! Einen Flüchtling bei dem Aufseher zu suchen! Aber kommt nur dieser Selim Agha nach Hause, so werde ich ihm sagen, was ich an seiner Stelle gethan hätte.«

»Zanke nicht mit ihm. Er hat Leid genug zu tragen.«

»Worüber?«

»Daß ich mit meinen Gefährten abreise.«

»Du?«

Sie machte ein ganz unbeschreiblich erschrockenes Gesicht.

»Ja. Ich habe mich mit diesem Mutesselim gezankt und mag nicht länger an einem Orte bleiben, wo er gebietet.«

»Allah, Tallah, Wallah! Herr, bleibe hier. Ich werde diesen Menschen zwingen, Dir mit Ehrerbietung zu begegnen!«

Das war ein Versprechen, dessen Ausführung beizuwohnen höchst interessant gewesen wäre. Ich hielt sie aber leider für unmöglich und ließ Mersinah unten stehen, wo ihre Stimme fort grollte, wie ferner Donner. Droben stand der Baschi-Bozuk vor der Treppe. Er hatte meine Stimme gehört und auf mich gewartet.

»Effendi, ich will Abschied von Dir nehmen!«

»Komme herein; ich will Dich bezahlen!«

»O, Emir, ich bin schon bezahlt.«

»Von wem?«

»Von dem Manne mit dem langen Gesichte.«

»Wie viel hat er Dir gegeben?«

»Das!«

Er fuhr mit freudeglänzenden Augen in den Gürtel und holte eine ganze Hand voll großer Silberstücke hervor, die er mir zeigte.

»So komme nur. Wenn dies so ist, so hat der Mann mit dem langen Gesichte Dich bezahlt, und ich werde nun den Esel bezahlen.«

»Allah kerihm, den verkaufe ich nicht!« rief er erschrocken.

»Ich meine nur, daß ich ihm seinen Lohn auszahlen will!«

»Maschallah, da komme ich!«

Er ging mit in meine Stube, die leer war. Hier stellte ich ihm ein Zeugniß aus und gab ihm noch einiges Geld, über welches er vor Freuden ganz außer sich gerieth.

»Emir, ich habe noch niemals einen so guten Effendi gesehen, wie Du bist. Ich wollte, Du wärest mein Hauptmann oder mein Major oder Oberst! Dann würde ich Dich in der Schlacht beschützen und um mich schlagen wie damals, als ich meine Nase verlor. Das war nämlich in der großen Schlacht bei – – –«

»Laß das sein, mein guter Ifra. Ich bin von Deiner Tapferkeit völlig überzeugt. Du bist heute bei dem Mutesselim gewesen?«

»Der Basch Tschausch holte mich zu ihm, und ich mußte Antwort geben auf sehr viele Fragen.«

»Auf welche?«

»Ob ein Gefangener bei uns sei; ob Du bei den Dschesidi viel Türken ermordet hast; ob Du vielleicht ein Minister aus Stambul bist, und noch vieles Andere, was ich mir gar nicht gemerkt habe.«

»Euer Weg, Ifra, führt Euch nach Spandareh. Sage dem Dorfältesten dort, daß ich heute nach Gumri aufbreche, und daß ich dem Bey von Gumri das Geschenk bereits übersandt habe. Und in Baadri gehst Du zu Ali Bey, um das zu vervollständigen, was ihm Selek erzählen wird.«

»Dieser geht auch fort?«

»Ja; wo ist er?«

»Bei seinem Pferde.«

»Sage ihm, daß er satteln kann. Ich werde ihm einen Brief mitgeben. Und nun lebe wohl, Ifra. Allah behüte Dich und Deinen Esel. Mögest Du nie vergessen, daß ein Stein an seinen Schwanz gehört!« – –

Die drei Gefährten saßen kampfgerüstet in der Stube des Engländers beisammen. Halef umarmte mich beinahe vor Freude, und der Engländer reichte mir mit einem so frohen Gesichte die Hand, daß ich erkennen mußte, er sei in herzlichster Sorge um mich gewesen.

»Gefahr gehabt, Sir?«

»Ich stak bereits in demselben Loche, aus welchem ich Amad el Ghandur geholt habe.«

»Ah! Prächtiges Abenteuer! Gefangener gewesen! Wie lange Zeit?«

»Zwei Minuten.«

»Selbst wieder frei gemacht?«

»Selbst! Soll ich Euch die Geschichte erzählen?«

»Versteht sich! Well! Yes! Schönes Land hier, sehr schön! Alle Tage besseres Abenteuer!«

Ich erzählte ihm in englischer Sprache und fügte dann bei:

»In einer Stunde sind wir fort.«

Des Engländers Gesicht nahm ganz die Stellung eines außerordentlich erschrockenen Fragezeichens an.

»Nach Gumri.«

»O, war schön hier, sehr schön! Interessant!«

»Noch gestern hieltet Ihr es nicht für schön, Master Lindsay!«

»War Ärger! Hatte nichts zu thun! Ist aber trotzdem schön gewesen, sehr schön! Romantisch! Yes! Wie ist es in Gumri?«

»Noch viel romantischer.«

»Well! So gehen wir hin!«

Er erhob sich sofort, um nach seinem Pferde zu sehen, und nun hatte ich Zeit, auch den beiden Andern meine letzten Ergebnisse mitzutheilen. Keiner war über unsere Abreise so erfreut, wie Mohammed Emin, dessen Herzenswunsch es ja war, mit seinem Sohne baldigst zusammen zu kommen. Auch er erhob sich eiligst, um sich zur Abreise fertig zu machen. Nun begab ich mich in meine Stube zurück, um einen Brief an Ali Bey zu schreiben. Ich meldete ihm in gedrängten Worten Alles und sagte ihm Dank für die beiden Schreiben, die mir so große Dienste geleistet hatten. Diese Schreiben übergab ich nebst dem Briefe Selek, welcher dann Amadijah sogleich verließ. Er schloß sich dem Transport nicht an, sondern zog als Dschesidi vor, ganz allein zu reisen.

Da hallten die eiligen Schritte zweier Personen auf der Treppe. Selim Agha trat mit Mersinah ein.

»Effendi, ist es wirklich Dein Ernst, daß Du Amadijah verlassen willst?« frug er mich.

»Du hast es ja bei dem Mutesselim gehört.«

»Sie satteln schon!« schluchzte die ›Myrte‹, welche sich die Thränen aus den Augen wischen wollte, mit der Hand aber leider nur bis an die ebenso betrübte Nase kam.

»Wohin gehet Ihr?«

»Das braucht der Mutesselim nicht zu erfahren, Selim Agha. Wir reiten nach Gumri.«

»Dahin kommt Ihr heute nicht.«

»So bleiben wir unterwegs über Nacht.«

»Herr,« bat Mersinah, »bleibe wenigstens diese Nacht noch hier bei uns. Ich will Euch meinen besten Pillau bereiten.«

»Es ist beschlossen: wir reiten.«

»Du fürchtest Dich doch nicht vor dem Mutesselim?«

»Er selbst weiß am besten, daß ich ihn nicht fürchte!«

»Und ich auch, Herr,« fiel der Agha ein; »hast Du ihm doch zweitausend Piaster abgezwungen!«

Die ›Myrte‹ machte große Augen.

»Maschallah, welch eine Summe!«

»Und zwar in Gold!« fügte Selim hinzu.

»Wem gehört dieses viele Geld?«

»Dem Emir natürlich! Emir, hättest Du doch auch für mich ein Wort gesprochen!«

»Hast Du das nicht gethan, Effendi?« erkundigte sich Mersinah. »Du hattest es uns doch versprochen!«

»Ich habe ja auch Wort gehalten.«

»Wirklich? Emir, wann hast Du mit dem Mutesselim darüber geredet?«

»Als Selim Agha dabei war.«

»Herr, ich habe nichts gehört!« betheuerte dieser.

»Maschallah, so bist Du plötzlich taub geworden! Der Mutesselim bot mir ja fünfhundert Piaster anstatt der fünftausend, welche ich verlangte!«

»Das war ja für Dich, Effendi!«

»Selim Agha, Du hast gesagt: Du liebst mich und seist mein Freund, und dennoch glaubst Du, daß ich mein Wort so schlecht halte? Ich mußte ja so thun, als ob es für mich wäre!«

»So thun – – –?«

Er starrte mich wie versteinert an.

»So thun?« rief Mersinah. Aber ihr kam das Verständniß schneller. »Warum mußtest Du so thun? Rede weiter, Emir!«

»Das habe ich ja dem Agha bereits erklärt – – –«

»Effendi,« rief sie, »erkläre diesem Agha der Arnauten nichts mehr, denn er wird es nie verstehen! Sage es lieber mir!«

»Wenn ich für den Agha Geld gefordert hätte, so wäre der Mutesselim sein Feind geworden – – –«

»Das ist richtig, Effendi,« fiel sie eilig ein. »Ja, es wäre noch Schlimmeres geschehen, denn nach Deiner Abreise hätten wir das Geld wieder hergeben müssen.«

»So dachte ich auch, und daher that ich, als ob ich das Geld für mich verlangte.«

»Und es war wohl nicht für Dich? Oh, sage es schnell!«

Die edle ›Myrte‹ zitterte an ihrem ganzen Gebein vor Begierde.

»Für den Agha.«

»Maschallah! Ist dies wahr?«

»Natürlich!«

»Und er soll wirklich außer diesen fünfzig Piastern noch Geld erhalten?«

»Sehr viel.«

»Wie viel?«

»Alles.«

»Allah illa Allah! Wann, wann?«

»Jetzt gleich.«

»Hamdullillah, Preis und Dank sei Allah! Er macht uns reich durch Dich! Aber nun mußt Du es uns auch geben!«

»Hier ist es. Komm her, Selim Agha!«

Ich zählte ihm die volle Summe in die Hand. Er wollte die Hand schnell schließen, that es aber doch zu spät, denn die ›Myrte‹ hatte ihm mit einem sehr geschickten Griff sämtliche Hundertpiasterstücke weggestrichen.

»Mersinah!« donnerte er.

»Selim Agha!« blitzte sie.

»Es ist ja mein!« grollte er.

»Es bleibt auch Dein!« betheuerte sie.

»Ich kann es selbst aufheben!« murmelte er.

»Bei mir ist es sicherer!« redete sie ihm zu.

»Gib mir nur etwas davon!« bat er.

»Laß es mir nur!« schmeichelte sie.

»So gib mir wenigstens die gestrigen fünfzig Piaster!«

»Du sollst sie haben, Selim Agha!«

»Alle?«

»Alle; aber dreiundzwanzig sind bereits davon weg.«

»Alle! Und dreiundzwanzig sind bereits fort! Wo sind sie?«

»Fort! Für Mehl und Wasser für die Gefangenen.«

»Für Wasser? Das kostet doch nichts!«

»Für die Gefangenen ist nichts umsonst; das merke Dir, Selim Agha! Aber, Emir, nun hast Du ja nichts!«

Jetzt nun, da sie das Geld in den Händen hatte, wurde sie auch rücksichtsvoll gegen mich.

»Ich mag es nicht, ja ich darf es nicht nehmen.«

»Du darfst nicht? Warum?«

»Mein Glaube verbietet es mir.«

»Dein Glaube? Allah illa Allah! Der Glaube verbietet doch nicht, Geld zu nehmen!«

»O doch! Dieses Geld gehörte weder dem Makredsch, denn er hat es jedenfalls nicht auf rechtliche Weise erworben, noch dem Mutesselim oder dem Agha. Aber es wäre auf alle Fälle verschwunden und nicht in die Hände der rechtmäßigen Besitzer zurückgelangt. Nur aus diesem Grunde habe ich den Mutesselim gezwungen, einen Theil davon wieder herauszugeben. Wenn es denn einmal in falsche Hände kommen soll, so ist es besser, Ihr habt einen Theil davon, als daß der Mutesselim Alles behielt.«

»Effendi, das ist ein sehr guter Glaube!« betheuerte Mersinah. »Du bist ein treuer Anhänger des Propheten. Allah segne Dich dafür!«

»Höre, Mersinah! Wenn ich ein Anhänger des Propheten wäre, so hättet Ihr nichts erhalten, sondern ich hätte Alles in meine eigene Tasche gethan. Ich bin kein Moslem.«

»Kein Moslem!« rief sie erstaunt. »Was denn?«

»Ein Christ.«

»Maschallah! Bist Du ein Nessorah

»Nein. Mein Glaube ist ein anderer als derjenige der Nessorah.«

»So glaubst Du wohl auch an die heilige Omm Allah Marryam

»Ja.«

»O, Emir, die Christen, welche an diese glauben, sind alle gute Leute!«

»Woher weißt Du das?«

»Das sehe ich an Dir, und das weiß ich auch von der alten Marah Durimeh.«

»Ah! Kennst Du diese?«

»Sie ist in ganz Amadijah bekannt. Sie kommt sehr selten, aber wenn sie kommt, so theilt sie Freude aus an alle Leute, die ihr begegnen. Auch sie glaubt an Omm Allah Marryam und ist ein Segen für viele. Aber da fällt mir ja ein, daß ich zu ihr muß!«

»Sie ist nicht mehr da.«

»Ja, sie ist wieder abgereist; aber dennoch muß ich hin.«

»Warum?«

»Ich muß sagen, daß Du abreisest.«

»Wer hat dies bestellt?«

»Der Vater des Mädchens, welches Du gesund gemacht hast.«

»Bleibe hier!«

»Ich muß!«

»Mersinah, Du bleibst! Ich befehle es Dir!«

Mein Rufen half nichts; sie war bereits die Treppe hinab, und als ich an das Fenster trat, sah ich sie über den Platz eilen.

»Laß sie, Effendi!« sagte Selim Agha. »Sie hat es versprochen. Oh, warum hast Du mir dies viele Geld in ihrer Gegenwart gegeben! Nun bekomme ich keinen Para davon!«

»Verwendet sie es für sich?«

»Nein; aber sie ist geizig, Effendi. Was sie nicht für uns und für die Gefangenen braucht, das versteckt sie, daß ich es nicht finden kann. Sie ist sehr stolz darauf, daß ich einmal viel Geld haben werde, wenn sie stirbt. Aber das ist nicht gut, da ich jetzt darunter leiden muß. Ich rauche den schlechtesten Tabak, und wenn ich einmal zum Juden gehe, so darf ich von seinen Medizinen nur die billigste trinken. Und die, die ist nicht gut!«

Betrübt ging der wackere Agha der Arnauten von dannen, und ich folgte ihm hinab in den Hof, wo die Pferde gesattelt wurden. Dann machte ich mit dem Engländer noch einen Gang in die Stadt, um einige Einkäufe zu besorgen. Als wir zurückkehrten, waren bereits Alle vor dem Eingange des Hauses versammelt. Bei ihnen stand ein Mann, in dem ich schon von Weitem den Vater meiner Patientin erkannte.

»Herr, ich höre, daß Du abreisest,« begann er, mir einige Schritte entgegentretend. »Darum bin ich gekommen, um Abschied von Dir zu nehmen. Meine Tochter wird bald ganz gesund sein. Sie, mein Weib und ich, wir werden zu Allah beten, daß er Dich beschütze. Und damit Du auch an uns denken mögest, habe ich ein kleines Jadikar mitgebracht, welches anzunehmen ich Dich innigst bitte!«

»Wenn es ein Ufak-Defek ist, werde ich es nehmen, sonst aber nicht.«

»Es ist so klein und arm, daß ich mich scheue, es Dir selbst zu geben. Erlaube, daß ich es Deinem Diener einhändige! Welcher ist es?«

»Dort bei dem Rappen steht er.«

Er nahm unter seinem weiten Oberkleide ein ledernes, mit Perlen gesticktes Futteral hervor und reichte es Halef hin. Dann sah ich, daß er außer diesem Gegenstande dem Diener noch etwas gab. Ich dankte ihm, und wir schieden.

Jetzt kam das Schlimmste: der Abschied von Selim Agha und besonders von der ›Myrte‹. Der Agha ging von Pferd zu Pferd und nestelte an Riemen und Schnallen herum, welche ganz in Ordnung waren. Dabei rollte er die Augen so fürchterlich, wie ich es selbst bei ihm noch niemals gesehen hatte.

Die Spitzen seines Schnurrbartes gingen auf und nieder wie Wagebalken, und hier und da fuhr er sich mit der Hand nach dem Halse, als ob es ihn dort würge. Endlich reichte er Halef die Hand zum Abschied. Er fing von unten an.

»Lebe wohl, Hadschi Halef Omar! Allah sei bei Dir immerdar!«

Er hörte gar nicht auf das, was ihm der kleine Hadschi antwortete, sondern sprang zu dem Pferde Mohammed's, um eine Fliege todt zu schlagen, welche am Halse des Rosses saß. Dann fuhr er mit einem energischen Rucke herum und hielt dem Haddedihn die Hand entgegen:

»Allah sei mit Dir und allen den Deinen! Kehre wieder bei uns ein, wenn Dich Dein Weg nach Amadijah führt!«

Da bemerkte er plötzlich, daß der Sattelgurt des Engländers um den zwanzigsten Theil eines Zolles zu weit nach hinten lag. Er eilte dorthin, kroch unter das Pferd und schob und zerrte, als habe er eine schwere Last zu bewältigen. Endlich war er fertig und streckte nun dem Reiter die Rechte hin:

»Sihdi, Dein Weg sei – – –«

»Well!« unterbrach ihn der Master. »Hier!«

Ein Trinkgeld fiel in die Hand des Agha, und es war, wie ich Lindsay kannte, gewiß sehr reichlich. Diese Güte machte den gerührten Anführer der Arnauten noch verwirrter. Er begann also von Neuem:

»Sihdi, Dein Weg sei wie der Weg – – –«

»Well!« nickte Lindsay, und eine zweite Auflage des Bakschisch gelangte zur Ausgabe. Der Geber hielt die zum Abschiede hingestreckte Hand für eine Forderung.

»Sihdi,« begann der Agha mit erhöhter Stimme, »Dein Weg sei wie der Weg der Gerechten, und – – –«

»Well!« ertönte es zum dritten Male.

Aber der Agha zog nun seine Hand plötzlich zurück und nahm die Gelegenheit, daß ich eben zu Pferde steigen wollte, wahr, um mir den Steigbügel zu halten. Jetzt zog es über sein Gesicht, wie Sonnenblick und Wolkenschatten über ein wogendes Feld, dann öffnete er den Mund, aber da stürzte ihm plötzlich die so lange zurückgehaltene Fluth aus den Augen. Das Wort, welches er sagen wollte, wurde zu einem unverständlichen Laute. Er reichte mir die Hand; ich nahm und drückte sie, selbst tief gerührt, und dann zog er sich sehr eilig in den Flur zurück.

Das hatte Mersinah abgewartet. Sie trat hervor, wie die Sonne aus der Morgenröthe. Sie wollte bei Halef beginnen, da drängte ich mein Pferd heran und sagte:

»Halef, reite mit den Andern einstweilen in das Thal hinab. Ich muß noch einmal zum Mutesselim und werde schnell nachkommen.« Dann wandte ich mich zu Mersinah: »Hier, nimm meine Hand! Ich danke Dir für Alles. Lebe wohl, stirb nie und denke an mich, so oft Du die liebliche Speise Deiner Gefangenen kochst!«

»Lebe wohl, Emir! Du bist der großmütigste – –«

Mehr hörte ich nicht. Ich ritt schnell, gefolgt von meinem Hunde, nach dem Palaste des Kommandanten, ließ das Pferd vor dem Thore stehen und trat ein. Der Hund folgte mir; ich wollte das so. Im Vorzimmer waren einige Personen, die ich bereits dort gesehen hatte. Sie fuhren erschrocken empor, als sie den Hund erblickten. Das hatte noch Niemand gewagt.

»Wo ist der Mutesselim?« frug ich.

»Im Selamlük,« antwortete Einer.

»Ist er allein?«

»Der Aufseher des Palastes ist bei ihm.«

Ich ließ mich gar nicht anmelden, sondern trat ein. Der Hund war an meiner Seite. Der Aufseher des Palastes machte eine Geberde des Entsetzens, und der Mutesselim erhob sich augenblicklich.

»Effendi, was thust Du?« rief er.

»Ich komme, um Abschied von Dir zu nehmen.«

»Mit einem Hunde!«

»Er ist besser als mancher Mensch. Du sagtest mir, daß ich nicht wiederkommen solle, und ich komme mit dem Hunde. Das ist die Antwort eines Emir aus Germanistan. Sallam!«

Ich verließ ihn ebenso schnell als ich gekommen war und ging hinab. Unten aber, da ich mich nun im Freien befand, nahm ich mir Zeit; aber es kam Niemand, um mich zur Rede zu stellen. Ich stieg auf und ritt davon. Die Gefährten waren eben erst zum Thore hinaus, als ich sie einholte; denn Mersinah's Abschiedsworte an sie hatten einige Zeit in Anspruch genommen.

»Was noch gemacht beim Mutesselim?« frug Lindsay.

Ich erzählte es ihm.

»Ausgezeichnet! Hm! Köstlicher Einfall! Würde gut bezahlen, wenn Ihr ein Andrer wäret! Yes!«

Er brummte und lachte noch lange vor sich hin.

Wir mußten bald absteigen, um die Pferde den steilen Weg hinabzuführen. Desto schneller aber ging es unten weiter, bis wir die Stelle erreichten, an welcher wir früher links abgeschwenkt hatten. Hier mußte Halef zurückbleiben und sich verstecken, um uns zu benachrichtigen, wenn wir beobachtet würden. Wir erreichten die kleine Lichtung, bei welcher wir die Pferde anbanden, und drangen dann zu Fuße in das Dickicht ein.

»Hier!« meinte der Engländer, als wir bei den Eichen anlangten. »Prachtvolle Villa da oben! Well! Raucht Tabak!«

Wirklich sah man ein kleines Tabakswölkchen nach dem andern oben aus der ›Villa Amad‹ hervorkräuseln. Der Araber lag in der Tiefe des Loches und bemerkte unsere Gegenwart nicht eher, als bis er durch einen lauten Ruf aufmerksam gemacht wurde. Jetzt steckte er den Kopf hervor und erkannte uns. Die frische, kräftige Waldluft und die nahrhaften Speisen hatten ihn wenigstens in so weit gekräftigt, daß er ohne weitere Beihilfe herabkommen konnte. Ich erhielt dabei auch meinen Lasso wieder, welchen er gestern oben behalten hatte.

Wir verweilten keinen Augenblick, kehrten zurück und bestiegen die Pferde, da es uns Allen darauf ankam, noch heute eine gute Strecke Wegs zwischen uns und Amadijah zu legen. Halef meldete, daß sich nichts Verdächtiges gezeigt habe, und so bogen wir rechts in den Weg ein, welcher zu den Sommerwohnungen der Bewohner von Amadijah führte.

Wir ritten in einem Thale empor, dessen Sohle ein breiter Bergbach bewässerte. Die Seiten waren mit schönem Laubwald besetzt. Weiter oben theilte sich der Bach in sehr viele Arme; das Thal wurde breiter und bot den nöthigen Raum für eine Menge von Zelten und Hütten, die in malerischer Unordnung im Thale und an den Abhängen desselben standen. Dies waren die Jilaks oder Sommerwohnungen.

Die Stelle war außerordentlich gut gewählt. Grüne Wald- und Fruchtbäume beschatteten die Zelte und Hütten, und dichtes Rankengewächs bildete einen reichen Teppich an den Abhängen hinauf. Dieser gesunde Ort bot einen grellen, aber lieblichen Gegensatz zu der von giftigen Lüften erfüllten Festung Amadijah.

Während die Anderen im schnellen Tempo weiter ritten, um Späherblicken baldigst zu entgehen, stieg ich mit dem Engländer vor der Wohnung eines Geldwechslers ab, da Lindsay sich einen Vorrath von landläufigen Münzen einwechseln wollte.

Die Spitze der Höhe erreichten wir nach einer halben Stunde, obgleich die Strecke zwei englische Meilen beträgt, und nun sahen wir das Tal von Berwari vor uns liegen, wo wir vor jeder Verfolgung von Seiten der Türken in Sicherheit waren.

In der Ferne blauten die Tijariberge, von denen uns besonders der Kegel von Aschiehtah in die Augen fiel. Seine Spitze glänzte weiß, denn er war mit Schnee bedeckt, während wir vor noch ganz kurzer Zeit auf den Weidegründen der Haddedihn den reichen Blumenstaub mit den Beinen unserer Pferde aufgewühlt hatten.

Rechts davon stieg hinter den wasserreichen Thälern des Zab das Bergland von Tkhoma empor, und weiter nach Süden sahen wir die Höhen des Tura Ghara, des Dschebel Haïr und des Zibar-Landes. Von Tijari und Tkhoma hatte die alte Marah Durimeh gesprochen. Ich mußte unwillkürlich an ihr Geheimniß denken, an den ›Geist der Höhle‹, der dort zwischen jenen Bergen hauste.

Bald mußten wir ein kurdisches Dorf erreichen. Meine Erlebnisse bei den Kurden und meine Begegnung mit dem ›Geist der Höhle‹ werde ich ein ander Mal erzählen. Jetzt aber danke ich dem freundlichen Leser, der mich bis hieher begleitet hat.

Die freundlichen Leser haben mich und meine vier Gefährten im vorigen Jahrgang des ›Deutschen Hausschatzes‹ über die türkische Grenzfestung Amadijah hinaus begleitet – bis auf die Höhe, wo wir das thal von Berwari in Kurdistan vor uns liegen sahen; ich lade sie nun ein, mir weiter folgen zu wollen.


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