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Priester Johann, von Gottes und unseres Herrn Jesu Christi Gnaden König der Könige, an Alexios Komnenos, Statthalter zu Konstantinopel. Gesundheit und glückliches Ende.
Unsere Majestät hat in Erfahrung gebracht, daß Du von unserer Herrlichkeit gehört hast und daß Dir über unsere Größe Mittheilungen gemacht worden sind. Was wir zu wünschen wissen, ist, ob Du mit uns am wahren Glauben hängst und in allen Dingen an unsern Herrn Jesum Christum glaubst.
Wenn Du zu wissen wünschest die Größe und Herrlichkeit unserer Macht und welchen Umfang unsere Länder haben, so wisse und glaube, ohne zu zweifeln, daß wir sind Prester Johann, der Diener Gottes: daß wir an Reichthum Alles unter dem Himmel und an Tugend und Macht alle Könige der Erde übertreffen. Siebenzig Könige sind uns zinspflichtig. Wir sind ein frommer Christ und beschützen und unterstützen mit Almosen jeden armen Christen, der sich in dem Bereiche unserer Gnade befindet. Wir haben ein Gelübde gethan, das Grab unsers Herrn, wie es sich für den Ruhm unserer Majestät gebührt, mit einer großen Armee zu besuchen und gegen die Feinde des Kreuzes Christi Krieg zu führen, sie zu demüthigen und seinen heiligen Namen zu erhöhen.
Unsere Herrlichkeit regiert über die drei Indien, und unsere Besitzungen gehen über das äußerste Indien hinaus, in welchem der Körper des hl. Apostels Thomas ruht; von dort aus über die Wildniß, welche sich nach dem Aufgange der Sonne zu erstreckt, und geht rückwärts, nach Sonnenuntergang zu, bis Babylon, das verlassene, ja sogar bis zum Thurme zu Babel.
Zweiundsiebenzig Provinzen gehorchen uns, von denen einige christliche Provinzen sind, und jede hat ihren eigenen König. Und alle ihre Könige sind uns zinspflichtig. In unsern Ländern werden Elephanten, Dromedare und Kameele gefunden, und fast alle Arten von Thieren, die es unter dem Himmel gibt. In unsern Ländern fließt Milch und Honig. In einem Theile unseres Staates kann kein Gift schaden; in einem andern wachsen alle Arten von Pfeffer; ein anderer ist so dicht mit Hainen versehen, daß er einem Walde gleicht, und er ist in allen Theilen voller Schlangen. Dort ist auch eine sandige See ohne Wasser. Drei Tagereisen von dieser See entfernt sind Gebirge, von denen Ströme von Steinen herabkommen. In der Nähe dieser Gebirge befindet sich eine Wüste zwischen unwirthbaren Hügeln. Unter diesen fließt ein unterirdischer Bach, zu dem kein Zugang ist, und dieser Bach fällt in einen größeren Fluß, in den Leute aus unsern Besitzungen hineingehen und Edelsteine in großem Überflusse darin finden. Über diesen Fluß hinaus wohnen zehn Stämme Juden, welche, obgleich sie behaupten, ihre eigenen Könige zu haben, dessen ungeachtet unsere Diener und uns zinspflichtig sind.
In einer andern unserer Provinzen, in der Nähe der heißen Zone, sind Würmer, welche in unserer Sprache Salamander genannt werden. Diese Würmer können nur im Feuer leben und machen ein Gehäuse um sich herum, wie die Seidenwürmer. Dieses Gehäuse wird von unsern Palastdamen fleißig gesponnen, und es gibt die Zeuge zu unsern Kleidern. Es kann aber nur im hellen Feuer gewaschen werden.
Vor unserer Armee werden dreizehn große Kreuze von Gold und Edelsteinen hergetragen; wenn wir aber ohne Staatsgefolge ausreiten, wird nur ein Kreuz, welches nicht mit Figuren, Gold und Juwelen geziert ist, damit wir immer unseres Herrn Jesu Christi eingedenk seien, und eine mit Gold gefüllte Silbervase, damit alle Leute wissen, daß wir der König der Könige sind, vor uns hergetragen.
Alljährlich besuchen wir den Leib des heiligen Daniel, welcher in Babylon in der Wüste ist. Unser Palast ist von Ebenholz und von Schittimholz und kann vom Feuer nicht beschädigt werden. An jedem Ende seines Daches sind zwei goldene Äpfel, und in jedem Apfel zwei Karfunkel, damit das Gold bei Tage scheinen und die Karfunkel bei Nacht leuchten mögen. Die größeren Thore sind von mit Horn gemischtem Sardonyx, damit Niemand mit Gift eintreten könne; die kleineren sind von Ebenholz. Die Fenster aber sind von Krystall. Die Tische sind von Gold und Amethyst, und die Säulen, welche sie tragen, von Elfenbein. Das Zimmer, in welchem wir schlafen, ist ein wundervolles Meisterstück aus Gold, Silber und jeder Art von Edelsteinen. In ihm brennt beständig Weihrauch. Unser Bett ist von Saphir. Wir haben die schönsten Frauen. Täglich unterhalten wir dreißigtausend Menschen, außer den gelegentlichen Gästen. Und alle diese beziehen täglich Summen aus unserer Kämmerei zur Unterhaltung ihrer Pferde und zu anderweitiger Verwendung. Während jedes Monats werden wir von sieben Königen (von jedem der Reihe nach), von fünfundsechzig Herzogen und von dreihundertfünfundsechzig Grafen bedient. In unserem Saale speisen täglich zu unserer Rechten zwölf Erzbischöfe und zu unserer Linken zwanzig Bischöfe, außerdem noch der Patriarch von Sanct Thomas, der Protopapas von Salmas und der Archiprotopapas von Susa, in welcher Stadt der Thron unseres Ruhmes und unser kaiserlicher Palast sich befindet. Äbte, der Zahl nach mit den Tagen des Jahres im Einklange, verwalten das geistliche Amt vor uns in unserer Kapelle. Unser Mundschenk ist ein Primas und König; unser Haushofmeister ist ein Erzbischof und ein König; unser Kammerherr ist ein Bischof und ein König; unser Marschall ist ein Archimandrit und ein König; und unser Küchenmeister ist ein Abt und ein König; wir aber nehmen einen niedrigeren Rang und einen demüthigeren Namen an, auf daß wir unsere große Demuth zeigen.« – –
So lautet im Auszuge ein Brief, welchen der berühmte, aber geschichtlich vielleicht doch fragliche Tatarenkönig Presbyter Johann an den griechischen Kaiser geschrieben hat oder doch geschrieben haben soll. Mag der Brief untergeschoben sein oder nicht, er enthält neben verschiedenen belustigenden Merkwürdigkeiten, die ihren Grund in den falschen Anschauungen früherer Jahrhunderte haben, doch auch Thatsachen und Einzelheiten, welche von Marco Polo, Sir John Mandeville und andern Reisenden oder Forschern bestätigt worden sind, und ich wurde lebhaft an ihn erinnert, als ich jetzt auf der östlichen Höhe von Scheik Adi hielt und einen Blick nach Morgen richtete, wo sich die Berge von Surgh, Zibar, Haïr, Tura Ghara, Baz, Dschelu, Tkhoma, Karitha und Tijari erhoben.
In den Thälern, welche zwischen ihnen liegen, wohnen die Letzten jener christlichen Sectierer, denen dieser Tatarenkönig angehörte. Zu seiner Zeit waren sie mächtig und einflußreich; die Sitze ihrer Metropolitanen lagen über den ganzen asiatischen Continent zerstreut, von den Küsten des kaspischen Meeres bis zu den chinesischen Seen und von den allernördlichsten Grenzen Skythien's bis zum äußersten südlichen Ende der indischen Halbinsel. Sie waren die Rathgeber Mohammed's und seiner Nachfolger. Die christlichen Anklänge des Kuran sind meist ihren Büchern und Lehren entnommen. Aber mit dem Falle der Khalifen brach auch ihre Macht zusammen, und zwar mit reißender Schnelligkeit; denn ihre innere, geistliche Constitution entbehrte der göttlichen Reinheit, welche die Kraft eines unbesiegbaren Widerstandes verleiht. Bereits unter der Regierung des Kassan, der ein Sohn des Arghun und ein Enkel des berühmten Eroberers von Baghdad, Hulaku Khan, war, begannen die Verfolgungen gegen sie. Dann aber brach der große Tamerlan unbarmherzig über sie herein. Mit unersättlicher Wuth verfolgte er sie, zerstörte ihre Kirchen und brachte Alle, denen es nicht gelang, in die unzugänglichen Berge Kurdistan's zu entkommen, mit dem Schwerte um. Die Urenkel dieser Entkommenen leben noch heute an Plätzen, welche Festungen verglichen werden können. Sie, die Überreste des einst so mächtigen assyrischen Volkes, sehen allzeit das Schwert der Türken und den Dolch der Kurden über sich schweben und haben in neuerer Zeit Grausamkeiten zu ertragen gehabt, bei deren Erzählung sich die Haare sträuben. Einen großen Theil der Schuld daran haben jedenfalls jene überseeischen Missionäre zu tragen, welche ihren Schul- und Bethäusern das Ansehen von Fortificationen gaben und dadurch das Mißtrauen der dortigen Machthaber erweckten. Damit und durch ähnliche Unvorsichtigkeiten haben sie sowohl ihrem Werke als auch den Anhängern desselben gleich großen Schaden bereitet.
Auf meinem Ritt nach Amadijah kam ich voraussichtlich auch in Ortschaften, die von diesen chaldäischen Christen bewohnt wurden; Grund genug, an jenen Brief zu denken, welcher ihre Vergangenheit am lebhaftesten illustrirt. Einst Minister und Berather von Fürsten und Khalifen, sind sie jetzt, soweit sie nicht zur heiligen christkatholischen Kirche zurückgekehrt sind, so ohne alle innere und äußere Kraft, daß Männer wie der berüchtigte Beder Khan Bey und sein Verbündeter Abd el Summit Bey die fürchterlichsten Metzeleien unter ihnen anrichten konnten, ohne den geringsten Widerstand zu finden. Und doch hätte das schwer zugängliche Terrain, welches sie bewohnen, ihnen die erfolgreichste Vertheidigung an die Hand gegeben.
Wie ungleich männlicher hatten sich dagegen die Dschesidi verhalten!
Nach jener Flammennacht im Thale Idiz war Ali Bey nach Dscherraijah geritten, scheinbar nur von zehn Männern begleitet. Aber noch vor seinem Aufbruche hatte er eine hinreichende Anzahl von Kriegern in die Nähe von Bozan vorausgesandt.
Der Mutessarif war wirklich mit einer gleich großen Begleitung eingetroffen, aber Ali Bey hatte durch seine Kundschafter erfahren, daß zwischen Scio Khan und Ras ul Aïn eine beträchtliche Truppenmacht zusammengezogen worden sei, um noch desselben Tages nach Scheik Adi vorzugehen. Auf diese Kunde hin hatte er den Mutessarif einfach einschließen lassen und zum Gefangenen gemacht. Um seine Freiheit wieder zu erhalten, hatte dieser sich nun gezwungen gesehen, alle hinterlistigen Pläne aufzugeben und auf die friedlichen Vorschläge des Bey einzugehen.
Die Folge davon war, daß das unterbrochene Fest der Dschesidi wieder aufgenommen und mit einem Jubel begangen wurde, dessen Zeuge Scheik Adi wohl noch nie gewesen war.
Nach Ablauf dieser Feste wollte ich nach Amadijah aufbrechen, erfuhr aber, daß Mohammed Emin sich in den Bergen von Kaloni den Fuß vertreten hatte, und so war ich gezwungen, drei Wochen lang seine Wiederherstellung abzuwarten. Indeß ging mir diese Zeit nicht ungenützt vorüber, da sie mir die höchst willkommene Gelegenheit bot, mich mit dem Kurdischen vertrauter als bisher zu machen.
Endlich benachrichtigte mich der Haddedihn durch einen Boten, daß er zum Aufbruche bereit sei, und so hatte ich mich heute in aller Frühe aufgemacht, um ihn bei dem Häuptlinge der Badinankurden abzuholen. Mein Abschied von den Dschesidi war ein herzlicher, und ich mußte versprechen, auf der Rückkehr noch einige Tage bei ihnen zu verweilen. Zwar hatte ich mir jede Begleitung verbeten, aber Ali Bey ließ es sich nicht nehmen, mich wenigstens zu den Badinan zu bringen, um auch Mohammed Emin Lebewohl sagen zu können.
Jetzt also hielten wir auf der östlichen Höhe von Scheik Adi und ließen die Ereignisse der letzten Wochen an uns vorüberfliegen. Was werden die nächsten Tage bringen? Je weiter nach Nordost hinauf, desto wilder werden die Bergvölker, welche keinen Ackerbau kennen und nur von Raub und Viehzucht leben. Ali Bey mochte mir diesen Gedanken von der Stirn ablesen.
»Emir, Du gehst beschwerliche und gefährliche Wege,« meinte er. »Wie weit hinauf willst Du in die Berge?«
»Zunächst nur bis nach Amadijah.«
»Du wirst noch weiter müssen.«
»Warum?«
»Dein Werk in Amadijah mag gelingen oder nicht, so bleibt die Flucht Dein Loos. Man kennt den Weg, welchen der Sohn Mohammed Emin's einzuschlagen hat, um zu seinen Haddedihn zu gelangen, und man wird ihm denselben verlegen. Wie willst Du dann reiten?«
»Ich werde mich nach den Umständen zu richten haben. Wir könnten nach Süden gehen und auf dem Zab Ala oder zu Pferde längs des Akra-Flusses entkommen. Wir könnten auch nach Norden gehen, über die Berge von Tijari und den Maranan-Dagh, und dann den Khabur und den Tigris überschreiten, um durch die Salzwüste nach dem Sindschar zu kommen.«
»In diesen Fällen aber werden wir Dich niemals wiedersehen!«
»Gott lenkt die Gedanken und Schritte des Menschen; ihm sei Alles anheimgestellt!«
Wir ritten weiter. Halef und der Baschi-Bozuk folgten uns. Mein Rappe hatte sich weidlich ausruhen können. Er hatte früher nur Balahat-Datteln gefressen und sich jetzt an anderes Futter gewöhnen müssen, war mir aber doch fast ein wenig zu fleischig geworden und zeigte einen Überfluß an Kräften, so daß ich ihn derb zwischen die Schenkel nehmen mußte. Ich war übrigens halb neugierig und halb besorgt, wie er sich bewähren werde, wenn es gälte, die Schneeberge Kurdistan's zu überwinden.
Wir langten bald bei den Badinan an und wurden von ihnen mit gastlicher Fröhlichkeit empfangen. Mohammed Emin war reisefertig, und nachdem wir noch ein Stündchen geplaudert, geschmaust und geraucht hatten, brachen wir auf. Ali Bey gab uns Allen, und mir zuletzt, die Hand. Im Auge stand ihm eine Träne.
»Emir, glaubst Du, daß ich Dich lieb habe?« frug er bewegt.
»Ich weiß es; aber auch ich scheide in Wehmuth von Dir, den meine Seele lieb gewonnen hat.«
»Du gehest von hinnen, und ich bleibe; aber meine Gedanken werden Dich begleiten, meine Wünsche werden weilen in den Spuren Deiner Füße. Du hast Abschied genommen von dem Mir Scheik Khan, aber er hat mir seinen Segen mitgegeben, daß ich ihn im Augenblicke des Scheidens auf Dein Haupt legen soll. Gott sei mit Dir und bleibe bei Dir zu aller Zeit und auf allen Wegen; sein Zorn treffe Deine Feinde, und seine Gnade erleuchte Deine Freunde! Du gehst großen Gefahren entgegen, und der Mir Scheik Khan hat Dir seinen Schutz versprochen. Er sendet Dir diesen Melek Ta-us, damit er Dir als Talisman diene. Ich weiß, Du hältst diesen Vogel nicht für ein Götzenbild, sondern für ein Zeichen, an welchem Du als unser Freund erkannt wirst. Jeder Dschesidi, welchem Du diesen Ta-us zeigest, wird für Dich sein Gut und sein Leben opfern. Nimm diese Gabe, aber vertraue sie keinem Andern an, denn sie ist für Dich allein bestimmt! Und nun lebe wohl, und vergiß nie Diejenigen, welche Dich lieben!«
Er umarmte mich, stieg dann schnell auf sein Pferd und ritt, ohne sich umzusehen, von dannen. Es war mir, als sei ein Stück meines Herzens mit ihm davongegangen. Es war ein großes, ein sehr großes Geschenk, welches mir der Mir Scheik Khan durch ihn gemacht hatte. Wie viel ist über das Vorhandensein eines Melek Ta-us gestritten worden! Und hier hatte ich dieses räthselhafte Zeichen in meiner eigenen Hand. Es war ein ganz ungewöhnliches Vertrauen, dessen mich der Khan würdigte, und es verstand sich ganz von selbst, daß ich mich der Figur nur im äußersten Nothfalle bedienen würde.
Sie war aus Kupfer und stellte einen Vogel dar, der seine Schwingen zum Fluge entfaltete, und auf dem unteren Theile zeigte sich das Kurmangdschi-Wort ›Hemdscher‹, d. i. Freund oder Genosse, eingegraben. Eine seidene Schnur diente dazu, sie um den Hals zu befestigen.
Die Badinan wollten uns eine Strecke weit das Geleite geben; ich mußte es gestatten, machte aber die Bedingung, daß sie bei ihrem Dorfe Kalahoni umkehren sollten. Dieses liegt vier Stunden von Scheik Adi entfernt. Seine Häuser waren fast ausnahmslos aus Stein gebaut und hingen wie riesige Vogelnester zwischen den Weingärten hoch über dem Flußbette des Gomel. Sie erhielten ein sehr durables Aussehen durch die riesigen Steinblöcke, welche als Oberschwellen der Thüren und als Ecken des Gebäudes dienten.
Hier wurde Ade gesagt, dann ritten wir zu Vieren weiter.
Auf einem sehr steilen Wege, der unsern Thieren große Beschwerden bereitete, erreichten wir das kleine Dörfchen Bebozi, welches auf dem Gipfel einer bedeutenden Höhe liegt. Es gibt hier eine katholische Kirche, denn die Einwohner gehören zu den Chaldäern, welche bekehrt worden sind. Wir wurden von ihnen sehr freundlich aufgenommen und erhielten unentgeltlich Trank und Speise. Sie wollten mir einen Führer mitgeben; da ich dies aber ablehnte, so wurde mir der Weg zum nächsten Orte so genau beschrieben, daß wir ihn gar nicht verfehlen konnten.
Er führte uns zunächst längs der Höhe hin durch einen Wald von Zwergeichen und stieg dann in das Thal hinab, in welchem Cheloki liegt. In diesem Orte machten wir einen kurzen Halt, und ich nahm den Baschi-Bozuk vor:
»Buluk Emini, höre, was ich Dir sage!«
»Ich höre es, Emir!«
»Der Mutessarif von Mossul hat Dir den Befehl gegeben, für Alles zu sorgen, was ich brauchen werde. Du hast mir bisher noch keinen Nutzen gebracht; von heute an aber wirst Du Deines Amtes warten.«
»Was soll ich thun, Effendi?«
»Wir werden diese Nacht in Spandareh bleiben. Du reitest voraus und trägst Sorge, daß bei meiner Ankunft Alles für mich bereitet ist. Hast Du mich verstanden?«
»Sehr gut, Emir!« antwortete er mit amtlicher Würde. »Ich werde eilen, und wenn Du kommst, wird Dich das ganze Dorf mit Jubel empfangen.«
Er stieß seinem Esel die Fersen in die Seiten und trollte von dannen.
Von Cheloki bis hinüber nach Spandareh ist nicht weit, aber doch brach die Nacht bereits herein, als wir dieses große Kurdendorf erreichten. Es hat seinen Namen von der großen Anzahl von Pappeln, die dort vorkommen; denn Spidar, Spindar und auch Spandar heißt im Kurmangdschi die Weißpappel. Wir frugen nach der Wohnung des Kiajah, erhielten aber statt einer Antwort nur grimmige Blicke.
Ich hatte meine Frage türkisch ausgesprochen; jetzt wiederholte ich sie kurdisch, indem ich nach dem Malkoe-gund, welches Dorfältester bedeutet, fragte. Dies machte die Leute augenblicklich willfähriger. Wir wurden vor ein größeres Haus geführt, wo wir abstiegen und eintraten. In einem der Räume wurde ein sehr lautes Gespräch geführt, welches wir sehr deutlich hören konnten. Ich blieb stehen und horchte.
»Wer bist Du, Du Hund, Du Feigling?« rief eine zornige Stimme. »Ein Baschi-Bozuk bist Du, der auf einem Esel reitet. Das ist für Dich eine Ehre, für den Esel aber eine Schande; denn er trägt einen Kerl, der dümmer ist, als er. Und Du kommst herbei, mich hier zu vertreiben!«
»Wer bist denn Du, he?« antwortete die Stimme meines tapfern Ifra. »Du bist ein Arnaute, ein Gurgelabschneider, ein Spitzbube! Dein Maul sieht aus wie das Maul eines Frosches; Deine Augen sind Krötenaugen; Deine Nase gleicht einer Chyjar, und Deine Stimme klingt wie das Schreien einer Wachtel! Ich bin ein Buluk Emini des Großherrn; was aber bist denn Du? Ein Khawaß, ein einfacher Khawaß, weiter nichts.«
»Mensch, ich drehe Dir das Gesicht auf den Rücken, wenn Du nicht schweigest! Was geht Dich meine Nase an? Du hast gar keine! Du sagst, Dein Gebieter sei ein sehr großer Effendi, ein Emir, ein Scheik des Abendlandes? Man darf nur Dich betrachten, dann weiß man, wer er ist! Und Du kommst, mich hier fortzujagen?«
»Und wer ist denn Dein Gebieter? Auch ein großer Effendi aus dem Abendlande, sagst Du? Ich aber sage Dir, daß es im ganzen Abendlande nur einen einzigen großen Effendi gibt, und das ist mein Herr. Merke Dir das!«
»Höre,« begann eine dritte Stimme sehr ernst und ruhig; »Ihr habt mir zwei Effendi angemeldet. Der Eine hat eine Schrift vom Onsul der Franken, die vom Mutessarif unterzeichnet worden ist; das gilt. Der Andere aber ist im Giölgeda padischahnün; er hat Schriften vom Onsul, vom Großherrn, vom Mutessarif und hat auch das Recht auf den Disch-parassi; das gilt noch mehr. Dieser Letztere wird hier bei mir wohnen; für den Anderen aber werde ich eine Schlafstätte in einem andern Hause bereiten lassen. Der Eine wird Alles umsonst erhalten; der Andere aber wird Alles bezahlen.«
»Das leide ich nicht!« klang die Stimme des Arnauten. »Was dem Einen geschieht, das wird dem Andern auch geschehen!«
»Höre, ich bin hier Nezanum und Gebieter; was ich sage, das gilt, und kein Fremder hat mir Vorschriften zu machen. Söjle-dim – ich habe gesprochen!«
Jetzt öffnete ich die Thür und trat mit Mohammed Emin ein.
»Ivari 'l kher – guten Abend!« grüßte ich. »Du bist der Herr von Spandareh?«
»Ich bin es.«
Ich deutete auf den Buluk Emini.
»Dieser Mann ist mein Diener. Ich habe ihn zu Dir gesandt, um mir Deine Gastfreundschaft zu erbitten. Was hast Du beschlossen?«
»Du bist der, welcher unter dem Schutze des Großherrn steht und das Anrecht auf den Disch-parassi hat?«
»Ich bin es.«
»Und dieser Mann ist Dein Begleiter?«
»Mein Freund und Gefährte.«
»Habt Ihr viele Leute bei Euch?«
»Diesen Buluk Emini und noch einen Diener.«
»Ser sere men at – Ihr seid mir willkommen!« Er erhob sich von seinem Sitze und reichte uns die Hand entgegen. »Setzt Euch nieder an mein Feuer, und laßt es Euch in meinem Hause gefallen! Ihr sollt ein Zimmer bekommen, wie es Euer würdig ist. Wie hoch schätzest Du Deinen Disch-parassi?«
»Für uns Beide und den Diener sei er Dir geschenkt, aber diesem Baschi-Bozuk wirst Du fünf Piaster geben. Er ist der Beauftragte des Mutessarif, und ich habe nicht das Recht, ihm das Seinige zu entziehen.«
»Herr, Du bist nachsichtig und gütig; ich danke Dir! Es soll Dir nichts mangeln an dem, was zu Deinem Wohle gehört. Doch erlaube, daß ich mich eine kleine Weile mit diesem Khawassen entferne!«
Er meinte den Arnauten. Dieser hatte uns sehr finster zugehört; jetzt nun zürnte er:
»Ich gehe nicht fort; ich verlange das gleiche Recht für meinen Herrn!«
»So bleibe!« meinte der Nezanum einfach. »Wenn aber Dein Gebieter keine Wohnung findet, so ist es Deine Schuld.«
»Was sind diese beiden Männer, welche sagen, daß sie unter dem Schutze des Großherrn stehen? Araber sind es, welche in der Wüste rauben und stehlen und hier in den Bergen die Herren spielen – – –«
»Hadschi Halef!« rief ich laut.
Der kleine Diener trat ein.
»Halef, dieser Khawaß wagt es, uns zu schmähen; wenn er noch ein einziges Wort sagt, welches mir nicht gefällt, so gebe ich ihn in Deine Hand!«
Der Arnaut, der bis unter die Zähne bewaffnet war, blickte mit offenbarer Verachtung auf Halef herab.
»Vor diesem Zwerge soll ich mich fürchten, ich, der ich – –«
Er konnte nicht weiter sprechen, denn er lag bereits am Boden, und mein kleiner Hadschi kniete über ihm, in der Rechten den Dolch zückend und die Linke um seinen Hals klammernd.
»Soll ich, Sihdi?«
»Es ist einstweilen genug; aber sage ihm, daß er verloren ist, wenn er noch eine feindselige Miene macht!«
Halef ließ ihn los, und er erhob sich. Seine Augen blitzten in zorniger Tücke, aber er wagte doch nichts zu unternehmen.
»Komm!« gebot er dem Dorfältesten.
»Du willst Dir die Wohnung anweisen lassen?« frug dieser.
»Ja, einstweilen. Wenn aber mein Herr angekommen ist, dann werde ich ihn herbeisenden, und es wird sich entscheiden, wer in Deinem Hause schläft. Er wird auch richten zwischen mir und diesem Diener der beiden Araber!«
Sie gingen miteinander fort. Während der Abwesenheit des Nezanum leistete uns einer seiner Söhne Gesellschaft, und bald wurde uns gesagt, daß der Ort, an dem wir schlafen sollten, für uns bereitet sei.
Wir wurden in ein Gemach geführt, in welchem mittels Teppichen zwei weiche Lager bereitet waren; in der Mitte desselben aber hatte man das Abendessen servirt. Diese Schnelligkeit und das ganze Arrangement ließen vermuthen, daß der Dorfälteste nicht zu den armen Bewohnern des Ortes zählte. Sein Sohn saß bei uns, nahm aber nicht Theil am Mahle; es war dies eine Respektserweisung, auf welche wir uns etwas einbilden konnten. Die Frau und eine Tochter des Vorstehers bedienten uns.
Zunächst wurde uns Scherbet gereicht. Wir tranken ihn aus sehr hübschen Findschani ferfuri, hier in Kurdistan eine sehr große Seltenheit. Dann erhielten wir Valquapamasi, Weizenbrod in Honig gebraten, wozu der dazu gebotene Findika allerdings nicht recht passen wollte. Nun folgte ein junger Bizihn mit Reisklößen, die in seiner Brühe schwammen, dazu Bera aschWörtlich: Mühlsteine – Ein hohes, festes Gebäck in der runden Form der Mühlsteine, die ihrem Namen vollständig entsprachen. Zwei kleine Braten, welche die Fortsetzung bildeten, kamen mir recht appetitlich vor. Sie waren recht schön ›knusperig‹ gebräunt; ich hielt sie unbedingt für Tauben. Sie waren wirklich delikat, hatten aber doch einen Geschmack, der mir etwas fremd erschien.
»Ist dies Kewuk?« frug ich den jungen Mann.
»Nein. Es ist Bartschemik,« antwortete er.
Hm! Eine recht hübsche gastronomische Überraschung! Jetzt trat der Vorsteher herein. Auf meine Einladung setzte er sich zu uns nieder und nahm Theil an dem Mahle, in dessen ganzem Verlaufe auf einer blechernen Platte duftendes Fistik brannte. Jetzt, da der Hausherr zugegen war, wurde die Hauptschüssel aufgetragen. Sie enthielt Quapameh, Hammelbraten in saurer Sahne gebacken, und dazu wurde Pirindsch gegeben, welcher mit Pivaz abgesotten war. Als wir zur Genüge davon gekostet hatten, winkte der Vorsteher. Man brachte eine zugedeckte Schüssel, die er mit sehr wichtiger Miene in Empfang nahm.
»Rathe, was das ist!« bat er mich.
»Zeige es!«
»Das ist ein Gericht, welches Du nicht kennst. Es ist nur in Kurdistan zu haben, wo es starke und muthige Männer gibt.«
»Du machst mich neugierig!«
»Wer es genießt, dessen Kräfte verdoppeln sich, und er fürchtet sich vor keinem Feinde mehr. Rieche einmal!«
Er öffnete den Deckel ein wenig und ließ mich den Duft kosten.
»Diesen Braten gibt es nur in Kurdistan?« frug ich.
»Ja.«
»Du irrst; denn ich habe dasselbe Fleisch bereits sehr viele Male gegessen.«
»Wo?«
»Bei den Urus und den andern Völkern, besonders aber in einem Lande, welches Amerika genannt wird. Dort wächst das Thier viel größer und ist auch viel wilder und gefährlicher, als bei Euch.«
»Du bist es, der sich irrt; denn nur hier in Kurdistan lebt dieses Thier.«
»Ich bin noch nie in Kurdistan gewesen und erkenne dieses Fleisch doch bereits am Geruche; also muß ich es auch schon in andern Ländern gegessen haben.«
»Was ist es für ein Thier?«
»Es ist Hirtsch. Habe ich recht?«
»Ja wirklich, Du kennst es!« rief er erstaunt.
»Ich kenne es noch besser, als Du meinst. Ich habe noch nicht in diese Schüssel geblickt und wette dennoch mit Dir, daß das Fleisch die Nanuhk vom Bären ist!«
»Du hast es errathen! Nimm, und iß!«
Nun ging es an das Erzählen von Jagdgeschichten. Der Bär ist in Kurdistan allerdings sehr häufig anzutreffen, aber bei Weitem nicht so gefährlich, wie der große graue Petz von Nordamerika. Zu den gedämpften Bärentatzen gab es ein dickes Mus von gedörrten Hermeh und Eruhks, dem ein gepanzertes Gericht folgte, nämlich gesottene Krebse, zu denen eine Zuspeise gereicht wurde, die mir sehr fremd und complicirt erschien. Ich erlaubte mir, mich zu erkundigen, und die Frau des Vorstehers gab mir bereitwillig Auskunft:
»Nimm Kundir und koche sie zu Brei,« meinte sie. »Thue Schukir und Rune kehl 'e dazu, rühre klaren Panir und geschnittenen Sir hinein und füge zerdrückte Tu und weichgequollene Kerne von Guli roschyan hinzu. Dann hast Du diese Speise, welcher keine andere gleich kommt!«
Ich kostete diese unvergleichliche Mischung von Kürbis und Sonnenblume, Käse und Zucker, Butter, Maulbeeren und Knoblauch und fand, daß der Geschmack derselben nicht so schlimm war, wie der Klang der Ingredienzien. Den Schluß des Mahles bildeten getrocknete Sev und Scherabi, zu denen ein Schluck Racki getrunken wurde. Dann kamen die Tabakspfeifen zu ihrem Rechte.
Während wir den starken, rauhen und nur wenig fermentirten Tabak von Kelekowa in Brand steckten, ließ sich unten ein lautes Gespräch vernehmen. Der Vorsteher ging hinaus, um nach der Veranlassung desselben zu sehen, und da er den Eingang offen ließ, konnten wir jedes Wort vernehmen.
»Wer ist da?« frug er.
»Was will er?« hörte ich eine andere Stimme in englischer Sprache fragen.
»Er fragt, wer da ist,« antwortete ein Dritter, gleichfalls englisch.
»Was heißt türkisch: ich?«
»Ben.«
»Well! Ben!!!« rief es dann zum Wirte herauf.
»Ben?« frug dieser. »Wie ist Dein Name?«
»Was will er?« frug dieselbe klappernde Stimme, die mir so außerordentlich bekannt war, daß ich vor Verwunderung über die Anwesenheit dieses Mannes aufgesprungen war.
»Er fragt, wie Sie heißen.«
»Sir David Lindsay!« rief er herauf.
Im nächsten Augenblicke stand ich unten neben ihm im Flur. Ja, da lehnte er vor mir, beleuchtet vom Feuer des Aryuhn. Das war der hohe, graue Zylinderhut, der lange, dünne Kopf, der breite Mund, die Sierra-Morena-Nase, der bloße, dürre Hals, der breite Hemdkragen, der graukarrirte Shlips, die graukarrirte Weste, der graukarrirte Rock, die graukarrirte Hose, die graukarrirten Gamaschen und die staubgrauen Stiefel. Und wahrhaftig, da in der Rechten trug er die berühmte Hacke, welche die edle Bestimmung hatte, Fowling-bulls und andere Alterthümer zu insultiren!
»Master Lindsay!« rief ich aus.
»Well! Ah, wer sein? Oh – ah – Ihr seid es?!«
Er riß die Augen auf und den Mund noch viel mehr und staunte mich mit den genannten Organen wie einen Menschen an, der vom Tode erstanden ist.
»Wie kommt Ihr nach Spandareh, Sir?« frug ich, beinahe ebenso erstaunt, wie er.
»Ich? Well! Geritten!«
»Natürlich! Aber was sucht Ihr hier?«
»Ich? Oh! Hm! Euch und Fowling-bulls!«
»Mich?«
»Yes! Werde erzählen. Vorher aber zanken!«
»Mit wem?«
»Mit Mayor, mit Bürgermeister von Dorf. Schauderhafter Kerl!«
»Warum?«
»Will nicht haben Englishman, will haben Araber! Miserabel! Wo ist Kerl, he?!«
»Hier steht er,« antwortete ich, auf den Ältesten zeigend, der unterdessen herbeigetreten war.
»Ihm zanken, raisonniren!« gebot Lindsay dem Dolmetscher, welcher neben ihm stand. »Mach Quarrel, mach Scold, sehr laut, viel!«
»Erlaubt, Sir, daß ich dies übernehme,« meinte ich. »Die beiden Araber, über welche Ihr Euch ärgert, werden Euch nicht im Wege sein. Sie sind Eure besten Freunde.«
»Ah! Wo sind?«
»Der Eine bin ich, und der Andere ist Mohammed Emin.«
»Moh – – – ah! Emin – – ah! Wo ist?«
»Droben. Kommt mit herauf!«
»Well! Ah, ganz außerordentlich, immense, unbegreiflich!«
Ich schob ihn ohne Umstände die schmale Stiege empor und wies sowohl den Dolmetscher als auch den Arnauten, die uns folgen wollten, zurück. Bei den kurdischen Damen erregte das Erscheinen der langen, graukarrirten Gestalt ein gelindes Entsetzen; sie zogen sich in die entfernteste Ecke zurück. Mohammed Emin aber, der sonst so ernsthafte Mann, lachte laut, als er den dunklen Krater erblickte, den der offene Mund des erstaunten Engländers bildete.
»Ah! Good day, Sir, Master Mohammed! How do you do – wie befinden Sie sich?«
»Maschallah! Wie kommt der Inglis hierher?« frug dieser.
»Wir werden es erfahren.«
»Kennst Du diesen Mann?« frug mich der Herr des Hauses.
»Ich kenne ihn. Er ist derselbe Fremdling, welcher seinen Khawaß vorhin sandte, um bei Dir zu bleiben. Er ist mein Freund. Hast Du eine Wohnung für ihn besorgt?«
»Wenn er Dein Freund ist, so soll er in meinem Hause bleiben,« lautete die Antwort.
»Hast Du Raum für so viele Leute?«
»Für Gäste, welche willkommen sind, ist immer Raum vorhanden. Er mag Platz nehmen und ein Mahl genießen!«
»Setzt Euch, Sir,« sagte ich also zu Lindsay, »und laßt uns wissen, was Euch auf den Gedanken gebracht hat, die Weidegründe der Haddedihn zu verlassen und nach Spandareh zu kommen!«
»Well! Aber erst versorgen.«
»Was?«
»Diener.«
»Die mögen für sich selbst sorgen, denn dazu sind sie da.«
»Pferde.«
»Die werden von den Dienern versorgt. Also, Master?«
»Hm! War tedious, fürchterlich langweilig!«
»Habt Ihr nicht gegraben?«
»Viel, sehr viel.«
»Und etwas gefunden?«
»Nothing, nichts, gar nichts! Fürchterlich!«
»Weiter!«
»Sehnsucht, schreckliche Sehnsucht!«
»Wornach?«
»Hm! Euch, Sir!«
Ich lachte.
»Also aus Sehnsucht nach mir!«
»Well, very well, yes! Fowling-bulls nicht finden, Ihr nicht da – ich fort.«
»Aber, Sir, wir hatten doch bestimmt, daß Ihr bis nach unserer Rückkehr bleiben solltet!«
»Keine Geduld, nicht aushalten!«
»Es gab doch Unterhaltung genug!«
»Mit Arabern? Pshaw! Mich nicht verstehen!«
»Ihr hattet einen Dolmetscher!«
»Fort, weg, ausgerissen.«
»Ah! Der Grieche, dieser Kolettis ist entflohen? Er war doch verwundet!«
»Loch im Bein, wieder gewachsen. Halunke früh Morgens weg!«
»Dann allerdings konntet Ihr Euch nicht gut verständlich machen. Wie aber habt Ihr mich gefunden?«
»Wußte, daß Ihr nach Amadijah wolltet. Ging nach Mossul. Consul gab Paß; Gouverneur unterschrieb Paß, gab Dolmetscher mit und Khawaß. Ging nach Dohuk.«
»Nach Dohuk? Warum diesen Umweg?«
»War Krieg mit Teufelsmännern; konnte nicht durch. Von Dohuk nach Duliah und von Duliah nach Mungayschi. Dann hierher. Well! Euch finden. Sehr gut, prachtvoll!«
»Aber nun?«
»Zusammenbleiben, Abenteuer machen, ausgraben! Fowling-bulls schicken, Traveller-Klub, London, yes!«
»Schön, Master Lindsay! Aber wir haben jetzt andere Dinge zu thun.«
»Was?«
»Ihr kennt doch den Grund, welcher uns nach Amadijah führt!«
»Kenne ihn. Schöner Grund, tapferer Grund, Abenteuer! Master Amad el Ghandur holen. Werde ihn mitholen!«
»Ich glaube, daß Ihr uns nicht viel Nutzen bringen würdet.«
»Nicht! Warum?«
»Ihr versteht ja nur Englisch.«
»Habe Dolmetscher!«
»Wollt Ihr ihn mit in das Geheimniß ziehen? Oder habt Ihr vielleicht gar bereits davon gesprochen?«
»Kein Wort!«
»Das ist gut, Sir, sonst wären wir ungemein gefährdet. Ich muß Euch offen gestehen, daß ich gewünscht habe, Euch erst später wiederzusehen.«
»Ihr? Mich? Well, ab! Habe geglaubt, daß Ihr Freund von mir! Das aber nicht, folglich ab! Reise nach – nach – nach – – –«
»In's Pfefferland, sonst nirgends wo anders hin! Es versteht sich ganz von selbst, daß Ihr mein Freund seid, und ebenso bin ich der Eurige; aber Ihr müßt doch einsehen, daß Ihr uns Schaden bringt!«
»Schaden? Warum?«
»Ihr fallt zu sehr auf!«
»Well, nicht mehr auffallen! Was muß ich thun?«
»Hm, das ist eine höchst unangenehme Affaire! Zurückschicken kann ich Euch nicht; hier lassen kann ich Euch nicht; ich muß Euch mitnehmen; wahrhaftig, es geht nicht anders!«
»Schön, sehr schön!«
»Aber Ihr müßt Euch nach uns richten.«
»Richten? Well, werde es!«
»Ihr jagt Euern Dolmetscher und auch den Khawaß fort.«
»Müssen fort, zum Teufel, yes!«
»Auch diese Kleidung muß fort!«
»Fort? Ah! Wohin?«
»Weg, ganz weg. Ihr müßt wie ein Türke oder wie ein Kurde gehen.«
Er sah mich mit einem unbeschreiblichen Blicke an, grad so, als ob ich ihm zugemuthet hätte, sich selbst aufzuspeisen. Seine Mundstellung wäre dazu wohl nicht ungeeignet gewesen.
»Wie ein Türke? Wie ein Kurde! Horribel, schauderhaft.«
»Es geht nicht anders!«
»Was anziehen?«
»Türkische Pumphosen oder schwarzrothe kurdische Beinkleider.«
»Schwarzroth! Ah, schön, sehr gut! Schwarz und roth karrirt!«
»Meinetwegen. Wie wollt Ihr Euch tragen? Als Türke, oder als Kurde?«
»Kurde.«
»So müßt Ihr allerdings schwarzroth gehen; das ist die kurdische Leibfarbe. Also kurdische Hosen. Eine Weste, ein Hemd, welches über die Hose getragen wird.«
»Schwarzroth?«
»Ja.«
»Karirt?«
»Meinetwegen! Es muß vom Hals bis auf die Knöchel reichen. Dann einen Rock oder Mantel darüber.«
»Schwarzroth!«
»Natürlich!«
»Karirt?«
»Meinetwegen! Sodann einen Turban von der riesigen Größe, wie ihn vornehme Kurden zu tragen pflegen.«
»Schwarzroth?«
»Auch!«
»Karirt?«
»Meinetwegen!«
»Dann einen Gürtel, Strümpfe, Schuhe, Waffen – –«
»Schwarzroth!«
»Habe nichts dagegen!«
»Und karrirt?«
»Laßt Euch meinetwegen noch das Gesicht schwarzroth karriren!«
»Wo kaufen diese Sachen?«
»Da weiß ich selbst keinen Rath. Einen Basar finden wir ja erst in Amadijah. Vielleicht aber gibt es auch hier einen Händler, denn Spandareh ist ein großes Dorf. Und – – – Ihr habt ja Geld, viel Geld, nicht?«
»Viel, sehr viel, well! Werde Alles bezahlen!«
»Werde einmal fragen.«
Ich wandte mich an den Vorsteher:
»Gibt es hier einen Urubadschi?«
»Nein.«
»Gibt es einen Mann, der jetzt nach Amadijah reiten und für diesen Fremdling Kleider holen könnte?«
»Ja, aber der Basar wird erst morgen offen sein, und die Kleider können also erst spät eintreffen.«
»Oder ist ein Mann hier, der uns ein Kleid bis Amadijah leihen würde?«
»Du bist mein Gast; ich habe ein neues Panbukah; ich werde es ihm sehr gern leihen.«
»Auch einen Turban?«
»Es gibt hier Keinen, der zwei Turbane hätte; aber eine Mütze kannst Du sehr leicht erhalten.«
»Was für eine Art?«
»Ich gebe Dir eine Kulik, die ihm passen wird.«
»Welche Farbe hat sie?«
»Sie ist roth und hat schwarze Bänder.«
»So bitte ich Dich, dies Alles für morgen früh zu besorgen. Du gibst uns einen Mann mit, den wir bezahlen. Wir werden ihm in Amadijah den Anzug für Dich zurückgeben. Aber ich wünsche, daß von dieser Sache nicht gesprochen werde!«
»Wir Beide werden schweigen, ich und mein Bote!«
Jetzt kam das Nachtmahl für den Engländer. Er bekam einige Reste, welche wir übrig gelassen hatten und denen ein neues Ansehen gegeben worden war. Er schien nicht bloß Appetit, sondern sogar Hunger zu haben; denn zwischen seinen langen, breiten, gelb glänzenden Zähnen verschwand der größte Theil dessen, was ihm vorgelegt wurde. Mit innerlicher Genugtuung bemerkte ich, daß man ihm auch einen jener kleinen Braten servirte, welche ich für Tauben gehalten hatte. Er ließ nicht das kleinste Knöchelchen davon übrig. Später setzte man ihm unter Anderem einen zierlich gearbeiteten Holzteller vor, der ein niedliches Gerichtchen enthielt, welches die Form eines Beefsteak hatte und einen solchen Wohlgeruch verbreitete, daß ich selbst noch Appetit bekam, obgleich ich ganz gegen meine sonstige Gewohnheit bereits sehr reichlich gegessen hatte. Ich mußte wissen, was dies war.
»Sidna, was ist dies für ein schönes Gericht?« frug ich die Frau, welche den Engländer bediente.
»Es ist Tschekurdschek,« antwortete sie.
»Wie wird es bereitet?«
»Die Heuschrecken werden geröstet, klar gestoßen und in die Erde gelegt, bis sie anfangen, zu riechen. Dann habe ich den Teig in Dune zeitun gebraten.«
Auch nicht übel! Ich nahm mir vor, dieses höchst wichtige Rezept meinem guten Master Fowling-bull nicht lange vorzuenthalten. Während er noch aß, ging ich hinab, um nach den Pferden zu sehen. Sie waren wohl versorgt. Bei ihnen standen Halef, der Dolmetscher, der Buluk Emini und der Arnaute, im heftigen Streite, der aber bei meinem Erscheinen sofort abgebrochen wurde.
»Was zanket Ihr, Halef?« frug ich diesen.
Er deutete auf den Arnauten.
»Dieser Mensch schändet Dich, Sihdi. Er hat gedroht, Dich und mich zu ermorden, weil ich ihn auf Deinen Befehl niedergeworfen habe.«
»Laß ihn reden! Thun wird er wohl nichts.«
Da legte der Arnaute die Hand an die Pistole und rief:
»Schweig, Mensch! Oder willst Du Dich mit diesen Deinen Knechten heute noch in der Dschehennah treffen?«
»Tschit-i, ker, werujem, ti szi szlep – sei still, Hund! Ich glaube, Du bist vollständig blind!« antwortete ich ihm arnautisch. »Siehst Du nicht die Gefahr, in welche Du Dich begibst?«
»In welche?« frug er ganz verdutzt.
»Male ti pucshke ne gadschaju dobo – diese Pistolen treffen nicht gut!« antwortete ich, auf seine Waffe deutend.
»Warum?«
»Budutschi um-e-m öno bölje – weil ich es besser kann!«
Zu gleicher Zeit hielt ich ihm meinen Revolver entgegen. Ich hatte die Gewaltthätigkeit dieser arnautischen Soldaten genugsam kennen gelernt, um selbst einen so einfachen Fall nicht zu leicht zu nehmen. Der Arnaute achtet das Leben eines Menschen gleich Nichts. Er schießt wegen eines Schluck Wassers einen Andern ruhig nieder und beugt dann dafür mit derselben Ruhe sein Haupt unter das Schwert des Henkers. Wir hatten diesen Khawaß beleidigt; ein Schuß war ihm zuzutrauen. Dennoch nahm er die Hand von den Pistolen und frug im Tone der Verwunderung:
»Du sprichst die Sprache von Schkiperia?«
»Wie Du hörst!«
»Bist Du ein Schkipetar?«
»Nein.«
»Was sonst?«
»Ich bin ein Nematz, und ich sage Dir, daß die Leute aus Nemacschka es verstehen, mit Deinesgleichen umzuspringen.«
»Ein Nematz bist Du nur? Kein Madschar, kein Rusz, kein Szrbin und kein Turcschin? Obictz-i dschawo-wraga – fahre zum Teufel!«
Er erhob blitzschnell die Pistole und drückte los. Hätte ich nicht das Auge fest auf die Mündung der Waffe gehalten, so wäre mir die Kugel in den Kopf gegangen; so aber fuhr ich mit dem Kopf rasch zur Seite nieder, und die Kugel ging über mich hinweg. Ehe er den zweiten Lauf abfeuern konnte, hatte ich ihn unterlaufen und preßte ihm die Arme an den Leib.
»Soll ich ihn erschießen, Sihdi?« frug Halef.
»Nein. Bindet ihn!«
Um seine Arme nach hinten zu bekommen, mußte ich sie einen Augenblick freigeben. Das benutzte er, riß sich los und sprang davon. Im nächsten Augenblicke war er zwischen den Bäumen, welche die Häuser trennten, verschwunden. Alle Anwesenden eilten ihm nach, aber sie kehrten bald wieder zurück, ohne ihn gesehen zu haben.
Der Schuß hatte auch die Andern herbeigelockt.
»Wer hat geschossen, Sir?« frug Lindsay.
»Euer Khawaß.«
»Auf wen?«
»Auf mich«
»Ah! Fürchterlich! Weßhalb?«
»Aus Rache.«
»Ist richtiger Arnaut! Hat getroffen?«
»Nein.«
»Ihn erschießen, Sir; sofort!«
»Er ist entflohen.«
»Well; laufen lassen! Kein Schade!«
Damit hatte er allerdings sehr Recht. Er hatte mich nicht getroffen, warum also blutdürstig sein? Zurück kam er sicherlich nicht wieder, und ein hinterlistiger Anfall stand wohl auch nicht zu befürchten. Der Engländer brauchte nun, da er mich gefunden hatte, weder ihn noch den Dolmetscher, und so wurde auch dieser Letztere abgelohnt, und zwar mit der Weisung, daß er morgen früh Spandareh verlassen und nach Mossul zurückkehren könne.
Die übrige Zeit des Abends verbrachten wir mit den Kurden in lebhafter Unterhaltung, welche mit einem Tanze schloß, der uns zu Ehren veranstaltet wurde. Man lud uns ein, in den Hof zu kommen. Dieser bildete ein Viereck, das von einem niederen Dache eingeschlossen wurde, auf dem sämmtliche anwesende Männer Platz nahmen. Hier lagen, hockten und knieten sie in den malerischsten Stellungen, während sich gegen dreißig Frauen in dem Hofraume zum Tanze versammelt hatten.
Sie bildeten einen doppelten Kreis, in dessen Mitte ein Vortänzer stand, der einen Wurfspieß schwang. Das Orchester bestand aus einer Flöte, einer Art von Geige und zwei Tamburins. Der Vortänzer gab das Zeichen zum Beginne durch einen lauten Ruf. Seine Tanzkunst bestand aus den mannigfaltigsten Arm- und Beinbewegungen, die er immer auf einer und derselben Stelle ausführte. Der Kreis der Frauen ahmte dieselben nach. Ich fand nicht, daß diesem einfachen Tanze irgend ein Gedanke, irgend eine Idee zu Grunde liege; aber dennoch gewährten diese Frauen mit ihren eckigen Turbanmützen, von denen lange, über den Rücken geschlungene Schleier herabwallten, bei der ungewissen Fackelbeleuchtung einen ganz hübschen Anblick.
Als dieser einfache Tanz beendet war, gaben die Männer ihre Zufriedenheit durch ein lautes Murmeln zu erkennen, ich aber zog ein Armband hervor und rief die Tochter des Vorstehers, welche mich beim Essen bedient hatte und sich jetzt mit unter den Tänzerinnen befand, zu mir herauf. Es bestand aus gelben Glasstücken und hatte das täuschende Ansehen jenes rauchigen, halbdurchsichtigen Bernsteins, der im Oriente so beliebt, gesucht und theuer ist. Bei einem deutschen Tabulettkrämer hatte ich dieses Armband mit fünfzig bis sechzig Pfennigen bezahlt; hier aber richtete ich voraussichtlich eine Freude damit an, die mir bedeutend höher angerechnet wurde.
Das Mädchen kam herbei. Alle Männer hatten gehört, daß ich sie zu mir verlangte, und wußten, daß es sich um eine Belobigung handeln werde. Ich mußte der Höflichkeit meiner Erzieher Ehre zu machen suchen.
»Komm herbei, Du lieblichste Tochter der Kurden von Missuri! Auf Deinen Wangen glänzt das Licht Schefag, und Dein Antlitz ist lieblich wie der Kelch Sumbul. Deine langen Locken duften wie der Hauch Gulilik, und Deine Stimme klingt wie der Gesang Bulbuli. Du bist das Kind der Gastfreundschaft, die Tochter eines Helden, und wirst die Braut eines weisen Kurden und eines tapfern Kriegers werden. Deine Hände und Füße haben mich erfreut wie der Tropfen, der den Durstigen labt. Nimm dieses Bazihn, und denke meiner, wenn Du Dich damit schmückest!«
Sie erröthete vor Freude und Verlegenheit und wußte nicht, was sie antworten sollte.
»Az khorbane ta, Hodia – ich bin Dein EigenEigentlich wörtlich: ›Dein Opfer‹, o Gebieter,« lispelte sie endlich.
Dies ist ein gebräuchlicher Gruß der kurdischen Frauen und Mädchen, einem vornehmen Manne gegenüber. Auch der Dorfälteste war so erfreut über die seiner Tochter gewordene Auszeichnung, daß er sogar die orientalische Zurückhaltung ganz vergaß und sich das Geschenk reichen ließ, um es zu betrachten.
»O wie herrlich, wie kostbar!« rief er aus und ließ das Armband ringsum von Hand zu Hand gehen. »Das ist Bernstein, so guter, prächtiger Bernstein, wie ihn der Sultan nicht köstlicher an seiner Pfeife trägt! Meine Tochter, Dein Vater kann Dir keine solche Hochzeitsgabe schenken, wie sie dieser Emir Dir gegeben hat. Aus seinem Munde ertönt die Stimme der Weisheit, und von den Haaren seines Simbehl träufelt die Güte. Frage ihn, ob er es Dir erlaubt, ihm so zu danken, wie eine Tochter ihrem Vater dankt!«
Sie erröthete noch mehr als vorhin; aber sie frug dennoch:
»Erlaubst Du es, Herr?«
»Ich erlaube es.«
Da bog sie sich zu mir, der ich auf dem Boden saß, hernieder und küßte mich auf den Mund und auf die beiden Wangen; dann aber eilte sie schnell davon.
Ich war über diese Art, seine Dankbarkeit zu beweisen, nicht erstaunt; denn ich wußte, daß es den Mädchen der Kurden erlaubt ist, Bekannte auch mit einem Kusse zu begrüßen. Einem höher Stehenden gegenüber würde eine solche Vertraulichkeit eine Beleidigung sein, und daher hatte ich eigentlich meine Güte verdoppelt, indem ich den Kuß gestattete. Dies sprach der Vorsteher auch sofort aus.
»Emir, Deine Gnade erleuchtet mein Haus, wie das Licht der Sonne die Erde erwärmt. Du hast meine Tochter begnadigt, damit sie sich Deiner erinnern möge; erlaube, daß auch ich Dir ein Andenken verehre, damit Du Spandareh nicht vergessen mögest!«
Er bog sich über die Kante des Daches vor und rief das Wort ›Dojan‹ in den Hof hinab. Sogleich ertönte ein freudiges Gebell; eine Thüre wurde geöffnet, und ich bemerkte, daß die unten Stehenden einem Hunde Platz machten, damit er über die Treppe herauf zu uns kommen könne. Nur einen Augenblick später stand derselbe vor dem Ältesten und liebkosete ihn. Es war einer jener kostbaren gelbgrauen und außergewöhnlich großen und starken Windhunde, die in Indien, Persien und Turkestan bis nach Sibirien hinein Slogi genannt werden. Bei den Kurden wird diese seltene Rasse Tazi genannt. Sie ereilen die flüchtigste Gazelle; sie holen oft selbst den wilden Esel und das windschnelle Tschiggetai ein und fürchten sich vor keinem Panther und vor keinem Bären. Ich muß gestehen, daß mich der Anblick dieses Thieres mit lebhafter Bewunderung erfüllte. Er war als Hund ebenso kostbar, wie mein Rappe dieses Prädicat als Pferd verdiente.
»Emir,« meinte der Vorsteher, »die Hunde der Missurikurden sind berühmt weit über unsere Berge hinaus. Ich habe manchen Tazi erzogen, auf den ich stolz sein konnte; keiner aber hat diesem hier geglichen. Er sei Dein!«
»Nezanum, diese Gabe ist so wertvoll, daß ich sie nicht annehmen kann,« antwortete ich ihm.
»Willst Du mich beleidigen?« frug er sehr ernst.
»Nein, das will ich nicht,« lenkte ich ein. »Ich wollte nur sagen, daß Deine Güte größer ist, als die meinige. Erlaube, daß ich den Tazi annehme, aber gestatte mir auch, Dir dieses Fläschlein zu geben!«
»Was ist es? Ein Wohlgeruch aus Persien?«
»Nein. Es ist von mir gekauft worden beim Beith Allah in der heiligen Stadt Mekka und enthält das Wasser vom Brunnen Zem-Zem.«
Ich machte es vom Halse los und reichte es ihm. Er war so gewaltig erstaunt, daß er vergaß, zuzugreifen. Ich legte es in seinen Schoß.
»O Emir, was thust Du!« rief er endlich entzückt. »Du bringst in mein Haus die herrlichste Gabe, welche Allah der Erde verliehen hat. Ist es Dein Ernst, daß Du sie mir schenkest?«
»Nimm sie hin; ich gebe sie Dir sehr gern!«
»Gesegnet sei Deine Hand, und stets weile das Glück auf Deinem Pfade! Kommt her, Ihr Männer, und befühlt diese Flasche, damit die Güte des großen Emir auch Euch beglücken möge!«
Die Flasche ging von Hand zu Hand. Ich hatte mit ihr die größte Freude gestiftet, die es nur geben kann. Als sich das Entzücken des Vorstehers einigermaßen gelegt hatte, wandte er sich wieder zu mir:
»Herr, dieser Hund ist nun Dein. Spucke ihm dreimal in das Maul, und nimm ihn heut unter Deinen Mantel, wenn Du schlafen gehest, so wird er Dich nie wieder verlassen!«
Der Engländer hatte das Alles mit angesehen, ohne den Vorgang recht zu verstehen. Er frug mich:
»Zem-Zem verschenkt, Master?«
»Ja.«
»Well! Immer fort damit! Wasser ist Wasser!«
»Wißt Ihr, was ich dafür bekommen habe?«
»Was?«
»Diesen Hund.«
»Wie? Was? Nicht möglich!«
»Warum nicht?«
»Zu kostbar. Kenne die Hunde! Dieser ist fünfzig Pfund werth!«
»Noch mehr. Aber dennoch gehört er mir.«
»Warum?«
»Weil ich der Tochter des Ortsvorstehers das Armband geschenkt habe.«
»Schrecklicher Kerl! Kolossales Glück! Erst Pferd von Mohammed Emin, gar nichts zu bezahlen, und nun auch Windhund! Ich Pech dagegen. Nicht einen einzigen Fowling-bull gefunden. Schauderhaft!«
Auch Mohammed bewunderte den Hund, und ich glaube gern, daß er ein klein wenig eifersüchtig auf mich war. Ich muß gestehen, ich hatte Glück.
Kurz bevor ich mich zur Ruhe begab, ging ich noch einmal zu den Pferden. Der Vorsteher traf mich dort.
»Emir,« frug er halblaut, »darf ich eine Frage aussprechen?«
»Sprich!«
»Du willst nach Amadijah?«
»Ja.«
»Und noch weiter?«
»Das weiß ich noch nicht.«
»Es ist ein Geheimniß dabei?«
»Das vermuthest Du?«
»Ich vermuthe es.«
»Warum?«
»Du hast einen Araber bei Dir, der nicht vorsichtig ist. Er schlug den Ärmel seines Gewandes zurück, und dabei habe ich die Tättowirung seines Armes gesehen. Er ist ein Feind der Kurden und auch ein Feind des Mutessarif; er ist ein Haddedihn. Habe ich richtig gesehen?«
»Er ist ein Feind des Mutessarif, aber nicht ein Feind der Kurden,« antwortete ich.
Dieser Mann war ehrlich; ich konnte ihn nicht belügen. Es war jedenfalls besser, ihm zu vertrauen, als ihm eine Unwahrheit zu sagen, die er doch nicht geglaubt hätte.
»Die Araber sind stets Feinde der Kurden; aber er ist Dein Freund und mein Gast; ich werde ihn nicht verrathen. Ich weiß, was er in Amadijah will.«
»Sage es!«
»Es ist viele Tage her, daß die Krieger des Mutessarif einen gefangenen Araber hier durchführten. Sie stiegen bei mir ab. Er war der Sohn des Scheik der Haddedihn und sollte in Amadijah gefangen gehalten werden. Er sah Deinem Freunde so ähnlich wie der Sohn dem Vater.«
»Solche Ähnlichkeiten kommen sehr oft vor.«
»Ich weiß es, und ich will Dir Dein Geheimniß gar nicht rauben; aber Eins will ich Dir sagen: Kehrest Du von Amadijah zurück, so kehre bei mir ein, es mag am Tage sein oder mitten in der Nacht, im Geheimen oder öffentlich. Du bist mir willkommen, auch wenn der junge Araber bei Dir ist, von dem ich gesprochen habe.«
»Ich danke Dir!«
»Du sollst mir nicht danken! Du hast mir das Wasser des heiligen Zem-Zem gegeben; ich werde Dich beschützen in jeder Noth und Gefahr. Wenn Dich aber Dein Weg nach einer andern Richtung führt, so mußt Du mir eine Bitte erfüllen.«
»Welche?«
»Im Thale von Berwari liegt das Schloß Gumri. Dort wohnt der Sohn des berühmten Abd el Summit Bey; eine meiner Töchter ist sein Weib. Grüße sie und ihn von mir. Ich werde Dir ein Zeichen mitgeben, an dem sie erkennen, daß Du mein Freund bist.«
»Ich werde es thun.«
»Sage ihnen jede Bitte, die Du auf dem Herzen hast; sie werden sie Dir gern erfüllen, denn kein wackerer Kurde liebt die Türken und den Mutessarif von Mossul.«
Er trat in das Haus. Ich wußte, was der brave Mann bezweckte. Er errieth, was wir vorhatten, und wollte mir auf alle Fälle nützlich sein. Ich ging nun schlafen und nahm den Windhund mit. Als wir am andern Morgen erwachten, erfuhren wir, daß der Dolmetscher des Engländers Spandareh bereits verlassen habe. Er hatte den Weg nach Bebozi eingeschlagen.
Ich hatte mit Mohammed Emin in demselben Gemache geschlafen; dem Engländer aber war ein anderer Raum angewiesen worden. Er trat jetzt zu uns herein und – wurde mit einem hellen Gelächter empfangen. Niemand kann sich den Anblick denken, welchen uns der brave Master Lindsay bot. Vom Halse bis herab zu den Füßen war er vollständig roth und schwarz, allerdings noch nicht karrirt, und auf dem hohen, spitzigen Kopfe saß wie ein umgekehrter Kaffeesack die kurdische Mütze, von welcher lange Bänder wie die Fangarme eines Polypen herabhingen.
»Good morning! Warum lachen?« grüßte er sehr ernst.
»Vor Freude über Euer außerordentlich amüsantes Exterieur, Sir.«
»Well! Freut mich!«
»Was tragt Ihr hier unter dem Arme?«
»Hier? Hm! Ein Packet, denke ich!«
»Das sehe ich allerdings auch. Was enthält es?«
»Ist mein Hat-box, meine Hutschachtel.«
»Ah!«
»Habe den Hut eingewickelt, auch Gamaschen und Stiefel. Well!«
»Das konntet Ihr Alles hier lassen!«
»Hier? Warum?«
»Wollt Ihr Euch mit diesen unnützen Kleinigkeiten schleppen?«
»Unnütz? Kleinigkeiten? Schauderhaft! Brauche sie doch wieder!«
»Aber wohl nicht gleich.«
»Kehren wir zurück nach hier?«
»Das ist zweifelhaft.«
»Also! Hat-box wird mitgenommen! Versteht sich!«
Das weite Gewand schlotterte ihm um den hagern Leib wie ein altes Tuch, das man einer Vogelscheuche umgehangen hat. Das störte ihn aber nicht. Er nahm würdevoll an meiner Seite Platz und meinte siegesbewußt:
»Nun bin ich Kurde! Well!«
»Ein echter und richtiger!«
»Famos, ausgezeichnet! Prachtvolles Abenteuer!«
»Eins aber fehlt Euch noch!«
»Was?«
»Die Sprache.«
»Werde lernen.«
»Das geht nicht so schnell, und wenn Ihr uns nicht schaden wollt, so seid Ihr gezwungen, unter zwei Entschlüssen einen zu fassen.«
»Welche Entschlüsse?«
»Entweder Ihr geltet für stumm – – –«
»Stumm? Dumb? Abscheulich! Geht nicht!«
»Ja, für stumm oder gar taubstumm.«
»Sir, Ihr seid verrückt!«
»Danke! Es bleibt aber doch dabei. Also, entweder Ihr geltet für stumm, oder Ihr habt ein Gelübde gethan – – –«
»Gelübde? Well! Schöner Gedanke! Interessant! Welches Gelübde?«
»Nicht zu sprechen.«
»Nicht zu reden? Kein Wort? Ah!«
»Kein einziges!«
»Keine Silbe?«
»Keine! Nämlich nur dann, wenn wir beobachtet sind. Befinden wir uns aber allein, so könnt Ihr reden nach Herzenslust.«
»Ist gut! Nicht ganz übel! Werde Gelübde thun! Wann geht es an?«
»Sofort, nachdem wir Spandareh verlassen haben.«
»Well! Einverstanden!«
Nach dem Morgenkaffee erhielten wir noch allerhand Proviant eingepackt; dann stiegen wir zu Pferde. Wir hatten Abschied von allen Mitgliedern des Hauses, außer dem Hausherrn selbst, genommen und sagten auch den Andern, welche sich versammelt hatten, Lebewohl. Der Vorsteher hatte satteln lassen, um uns eine Strecke Weges zu begleiten.
Hinter Spandareh gab es einen sehr beschwerlichen, kaum reitbaren Weg, der uns zu den Tura-Ghara-Bergen emporführte. Es gehörten fast die Füße von Gemsen dazu, diesen Felsenpfad zu überwinden, aber wir langten glücklich auf der Höhe an. Hier hielt der Vorsteher sein Pferd an und nahm aus der Satteltasche ein Packet.
»Nimm dies, und gib es dem Manne meiner Tochter, wenn Du nach Gumri kommen solltest. Ich habe Ihr ein persisches Tuch und ihrem Manne für seine Mehin einen Dizgin versprochen, wie ihn die Kurden von Pir Mani führen. Wenn Du ihnen diese Sachen bringst, so wissen sie, daß Du mein Freund und Bruder bist, und werden Dich so aufnehmen, als ob ich es selber wäre. Aber ich wünsche um Deinetwillen dennoch, daß Du wieder zu mir zurückkehren mögest.«
Er deutete auf einen Reiter, der uns gefolgt war und bei Halef und dem Baschi-Bozuk hielt.
»Das ist der Mann, der mir den Anzug dieses Fremdlings wieder bringen wird. Ihm könntest Du auch das Packet geben, wenn Du merkst, daß Dich Dein Weg nicht nach Gumri führt. Und nun scheiden wir! Aaleïk sallam, u rahhmet Allah – der Friede und die Barmherzigkeit sei mit Dir!«
Wir umarmten und küßten uns, dann gab er auch den Andern die Hand und kehrte um. Ich hatte in ihm einen Mann kennen gelernt, an den ich noch heute mit Achtung und Wohlwollen zurückdenke.