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Eines Sonntags nach der Messe war es ihm geschehen. Er kehrte aus der Kirche durch den Hohlweg heim, als er sich plötzlich hinter der Martin befand, die gleichfalls heimkehrte.
Der Vater ging neben seiner Tochter her, gewichtig wie ein reicher Bauer. Er verschmähte die übliche Bluse und trug statt dessen eine Art Rock aus grauem Tuch und auf dem Kopf einen runden, breitrandigen Hut.
Sie, in ein Korsett eingeschnürt, das sie nur einmal wöchentlich anlegte, ging gerade aufrecht dahin, mit enger Taille, breiten Schultern, vorspringenden Hüften und wiegte sich ein wenig beim Gang.
Sie trug einen Hut mit Blumen von einer Modistin in Yvetot, und ihr starker, runder, biegsamer Nacken, auf dem kleine Härchen flatterten, war dunkel gebrannt durch Luft und Sonne.
Benoit sah nur ihren Rücken, aber er kannte ihr Gesicht, ohne daß er jemals besonders darauf geachtet hätte.
Und plötzlich sagte er sich: Gott verdamm mich, die Martin ist doch ein schönes Mädel! Er sah sie so hingehen, bewunderte sie mit einem Male und fühlte sich zu ihr hingezogen. Er brauchte das Gesicht gar nicht wieder zu sehen, er blickte nur auf ihre Figur und sagte sich immerfort, als spräche er zu sich selbst: Gott verdamm mich, das ist 'n schönes Mädel!
Die Martin bog rechts ab zum Martinshof, dem Bauernhaus ihres Vaters Johann Martin; da drehte sie sich um und warf einen Blick hinter sich. Sie sah Benoit, der ihr ganz komisch vorkam und rief: – Guten Morgen, Herr Benoit!
Der antwortete:
– Guten Morgen, Martinsche, guten Morgen, Bauer – und ging vorbei.
Als er heimkehrte, stand die Suppe auf dem Tisch, er setzte sich seiner Mutter gegenüber neben den Knecht und den Jungen, während die Magd Apfelwein in die Gläser füllte.
Er aß ein paar Löffel, dann schob er seinen Teller von sich. Die Mutter fragte:
– Dir is wohl nich hübsch?
– Nee, mir is, als hätte ich Rindfleesch im Bauch. Ich habe keenen Hunger.
Er sah zu, wie die anderen aßen, während er sich ab und zu ein Stück Brot abschnitt, das er dann langsam zwischen die Lippen schob und lange kaute.
Er dachte an die Martin: ee scheenes Mädel is se doch! Und dabei hatte er es bis jetzt noch nie bemerkt. Daß er das so plötzlich sah und gleich so, daß er nicht mehr essen konnte!
Das Ragout rührte er nicht an, und die Mutter sagte:
– Na, Benoit, nu reiß Dich mal ein bißchen zusammen, das Essen wird Dir gut thun. Wenn man keenen Appetit hat, muß man sich zwingen.
Er würgte ein paar Stück hinunter, dann stieß er den Teller wieder von sich: nein, es ging nicht, wirklich nicht.
Nach dem Essen ging er aufs Feld und er schickte den Jungen fort, und versprach im Vorbeigehn nach dem Vieh sehen zu wollen.
Die Ebene lag verlassen da, denn es wurde nicht gearbeitet. Hier und da in einem Kleefeld ruhten schwere Kühe auf dem Bauch und käuten im hellen Sonnenschein wieder. An der Ecke eines Ackers standen ein paar ausgespannte Pflüge, und die großen braunen Vierecke der frisch umgebrochenen Erde, zur Saat bereitet, hoben sich ab von gelben Feldern, auf denen die kurzen Stoppeln des Getreides und des eben erst gemähten Hafers lagen.
Trockener Herbstwind blies über die Ebene und versprach einen frischen Abend nach Sonnenuntergang. Benoit setzte sich an einen Grabenrand, legte den Hut auf die Kniee, als ob er die Stirn in frischer Luft kühlen müßte, und sagte ganz laut im Schweigen der Weide: – Ein schönes Mädchen, ein schönes Mädchen!
Daran dachte er noch abends im Bett und am nächsten Morgen, als er erwachte.
Er war nicht traurig, er war nicht mißgestimmt, er hätte nicht sagen können, was ihm eigentlich fehlte. Irgend etwas peinigte ihn, etwas hatte sich in seine Seele gehakt, ein Gedanke bohrte in ihm und beschäftigte ihn unausgesetzt. Manchmal hat sich eine große, dicke Fliege im Zimmer gefangen, man hört sie summen und brummen, und dieses Geräusch stört einen und erregt einen. Plötzlich setzt sie sich irgendwo, man vergißt sie. Aber dann beginnt sie wieder von neuem, daß man abermals aufblicken muß; und man kann sie nicht fangen, nicht fortjagen, nicht totmachen, sie nicht zwingen, irgendwo sitzen zu bleiben. Kaum hat sie sich niedergelassen, so beginnt sie wieder zu summen.
Der Gedanke an die Martin summte Benoit im Kopfe herum, wie eine eingesperrte Fliege. Dann kam ihm die Lust, sie wiederzusehen, und er ging ein paar Mal am Martinshof vorbei. Endlich sah er sie, wie sie Wäsche auf eine Leine hängte, die zwischen zwei Apfelbäumen gespannt war.
Es war heiß. Sie hatte nur einen kurzen Rock an und das Hemd darunter auf der Haut, sodaß, wenn sie die Arme hob, um das Linnen aufzuhängen, sich ihre Hüften abzeichneten.
Länger als eine Stunde blieb er im Graben sitzen, selbst noch, nachdem sie fortgegangen war. Und als er heimgekehrt, ging ihm die Sache mehr als vorher im Kopfe herum.
Vier Wochen hindurch dachte er unausgesetzt an sie und zitterte, wenn man in seiner Gegenwart von ihr sprach. Er aß nicht mehr und schwitzte jede Nacht so, daß er nicht schlafen konnte.
Sonntags bei der Messe ließ er sie nicht aus den Augen. Sie sah ihn und lächelte ihm zu, denn es schmeichelte ihr, daß sie ihm gefiel.
Da traf er sie eines Abends plötzlich auf einem Wege. Als er sie kommen sah, blieb er stehen, dann ging er gerade auf sie zu. Die Angst schnürte ihm die Kehle zusammen, aber er war doch entschlossen mit ihr zu reden. Und er begann stammelnd:
– Heren Se mal Martinsche, das kann nich so weitergehen.
Sie antwortete, als machte sie sich über ihn lustig:
– Was kann denn nich weitergehen, Benoit?
Er fuhr fort: – Daß ich an Sie denke, so viel Stunden es am Tage giebt.
Sie stemmte die Fäuste in die Seite:
– Da kann ich doch nischt dafier.
Er stammelte:
– Ja, Sie. Ich schlafe nich mehr, ich habe keene Ruhe, keenen Hunger, nischt mehr
Sie sagte leise:
– Was kennte Sie denn heilen davon?
Er war erstaunt, blieb mit herabhängenden Armen, aufgerissenen großen Augen und offenem Munde stehen.
Sie tappste ihm lachend auf den Leib und rannte davon. – – – – – – – – – –
Von diesem Tage ab trafen sie sich öfters an den Grenzgräben der Höfe, in den Hohlwegen oder, wenn es dunkel wurde, an einem Feldrain, wenn er mit seinen Pferden heimkehrte und sie die Kühe zum Stall trieb.
Er fühlte sich mit aller Kraft des Herzens und des Leibes zu ihr hingezogen, und er hätte sie umarmen, sie erwürgen, sie fressen, sie in sich hineinzwingen mögen. Er zitterte vor Schwäche, Ungeduld und Wut, daß sie ihm nicht völlig gehörte und sie nicht ein Wesen bildeten.
In der Gegend wurde davon gesprochen, sie kamen mit einander ins Gerede. Übrigens hatte er sie gefragt, ob sie seine Frau sein wollte, und sie hatte ja gesagt.
Sie wartete nur die Gelegenheit ab, um mit den Eltern zu reden.
Da kam sie plötzlich nicht mehr zum Stelldichein. Er sah sie nicht einmal mehr, wenn er um den Hof herumlief. Er konnte sie nur Sonntags bei der Messe entdecken, und gerade eines Sonntags kündigte der Pfarrer von der Kanzel an, daß Viktoria Adelaide Martin und Josef Isidor Vallin aufgeboten würden.
Benoit fühlte seine Hände zittern, als würde ihm das Blut entzogen, es summte ihm in den Ohren, er hörte nichts mehr, und plötzlich merkte er, daß ihm auf sein Gesangbuch die Thränen niedertropften.
Vier Wochen lang hütete er das Zimmer, dann begann er wieder zu arbeiten.
Aber er war nicht geheilt und dachte immer daran. Er vermied es, die Wege um ihr Haus herum zu betreten, um nicht einmal die Bäume ihres Hofes zu sehen, sodaß er nun früh und abends einen großen Umweg machen mußte.
Sie war jetzt mit Vallin verheiratet, dem reichsten Bauer der Gegend. Benoit und er sprachen nicht mehr miteinander, obgleich sie Altersgenossen waren.
Da erfuhr eines Abends Benoit, als er beim Ortsvorstand vorüberkam, daß sie guter Hoffung sei. Statt nun tiefen Schmerz zu empfinden, war es ihm im Gegenteil wie eine Art Erleichterung: jetzt war's aus, nun war's alle. Das trennte sie mehr, als die Heirat, das war ihm wirklich viel lieber.
Monate auf Monate gingen vorüber. Er sah sie manchmal, wenn sie schweren Ganges durch das Dorf schritt. Sie ward rot, wenn sie ihn gewahrte, blickte zu Boden und suchte eilig weiter zu kommen. Und er machte wieder einen Umweg, um sie nicht zu treffen und ihren Blick nicht zu sehen.
Aber mit Entsetzen dachte er daran, daß sie an irgend einem Morgen ihm doch gegenüberstehen könne und er gezwungen wäre, mit ihr zu sprechen. Was sollte er ihr jetzt sagen nach allem, was er ihr früher gesagt, als er ihre Hand gehalten und ihr Haar an den Wangen geküßt. Er dachte daran, wie sie sich am Grabenrand getroffen. Das war häßlich, was sie da gethan nachdem sie sich ihm doch versprochen.
Aber allmählich wich der Schmerz aus seinem Herzen, und es blieb nur noch Traurigkeit zurück. Und eines Tages schlug er zum ersten Male wieder den alten Weg zum Hof ein, wo sie wohnte. Von weitem sah er das Dach des Hauses: da drin, da drin lebte sie mit dem anderen. Die Apfelbäume blühten, die Hähne krähten auf dem Mist, die ganze Wohnung schien leer zu sein, die Leute waren alle auf dem Felde zur Frühjahrsarbeit. Er blieb am Thor stehen und sah auf den Hof. Der Hund schlief in seiner Hütte, drei Kälber trotteten langsam hin, eines nach dem anderen, zum Teich, ein Truthahn schlug vor der Thür das Rad und blähte sich vor seinen Hühnern, wie ein Tenor auf der Bühne.
Benoit lehnte sich gegen den Pfeiler und fühlte plötzlich, wie ihn die Lust ankam, zu weinen. Aber mit einem Male hörte er einen Schrei, einen lauten Ruf aus dem Hause. Er blieb erschrocken stehen, hielt sich krampfhaft an dem Holz der Umzäunung fest und lauschte weiter. Ein anderer, längerer, herzzerreißender Schrei folgte, gellte ihm in den Ohren, in der Seele und im Fleisch. Sie rief, – sie. Er stürzte hinzu, lief über die Wiese, stieß die Thür auf und sah sie mit verzerrtem, blassem Gesicht und irrenden Augen in Geburtswehen auf dem Boden liegen.
Da blieb er stehen, bleicher noch und zitternder, als sie, und stammelte:
– Da bin ich, da bin ich.
Sie antwortete gebrochen:
– Oh, gehen Sie nicht fort, gehen Sie nicht fort, Benoit.
Er blickte sie an, wußte nicht mehr was thun und sagen. Und sie begann zu rufen:
– Oh, oh, das zerreißt mich. Oh, Benoit!
Und sie wand sich schrecklich.
Plötzlich packte Benoit ein wütendes Bedürfnis, ihr zu helfen, sie zu beruhigen, ihren Schmerz zu stillen. Er beugte sich nieder, nahm sie in die Arme, hob sie auf und trug sie aufs Bett. Und während sie immer noch stöhnte, zog er sie aus, ihr Tuch, ihr Kleid, ihren Rock. Sie biß sich in die Fäuste um nicht zu schreien. Da that er, was er gewohnt war, bei Tieren zu thun, bei den Kühen, bei den Schafen, bei den Stuten: er stand ihr bei und hielt ein kräftiges, brüllendes Kind in den Armen.
Er wischte es ab, wickelte es in einen Lappen, der am Feuer trocknete, legte es auf einen Haufen Wäsche, die geplättet werden sollte und auf dem Tisch lag. Dann kehrte er zur Mutter zurück.
Er ließ sie wieder zur Erde gleiten, wechselte das Bettzeug, legte sie darauf zurück, und sie stammelte:
– Danke, Benoit, Du bist ein braves Herz. – Und sie weinte ein wenig, als ob sie das Bedauern packe.
Er liebte sie nicht mehr, aber gar nicht mehr, es war alles aus. Warum? Weshalb? Er hätte es nicht zu sagen vermocht. Was da geschehen war, hatte ihn sicherer geheilt als zehn Jahre der Trennung.
Sie fragte erschöpft und zitternd:
– Was ist es denn?
Er antwortete in ruhigem Ton:
– Es ist ee gesundes Mädel
Sie schwiegen wieder. Nach ein paar Sekunden sagte die Mutter mit schwacher Stimme:
– Zeig mir's mal, Benoit.
Er holte das kleine Kind und gab es ihr, als ob er ihr ein Stück geweihtes Brot gereicht hätte. Da ging die Thür auf, und Isidor Vallin erschien.
Er begriff zuerst nicht, was geschehen, dann erriet er es.
Benoit stotterte wie gelähmt:
– Ich ging gerade vorbei . . . gerade vorbei . . . da hörte ich sie brüllen. Da bin ich gekommen . . . da ist's, Dein Kind, Vallin.
Da that der Mann, Thränen in den Augen, einen Schritt vorwärts, nahm das zarte Kindchen, das ihm der andere entgegen hielt, küßte es, blieb ein paar Sekunden sprachlos, legte dann das Kind auf das Bett und streckte Benoit beide Hände entgegen:
– Gott verdamm mich, Benoit, Gott verdamm mich, nu is alles zwischen uns in Ordnung. Wenn Du willst, wollen mir Freunde sein, aber riesig gute Freunde.
Und Benoit antwortete:
– Mir soll's recht sein. Weeß Gott, mir ist's recht.