Guy de Maupassant
Nutzlose Schönheit
Guy de Maupassant

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Nutzlose Schönheit

I

Vor dem Palais wartete die mit zwei wundervollen Rappen bespannte Viktoria. Es war Ende Juni, gegen ein halb sechs Uhr, und zwischen den Dächern der Seitenflügel, die den Ehrenhof umschlossen, strahlte der Himmel klar, warm und heiter herab.

Gräfin Mascaret erschien auf der Treppe gerade in dem Augenblick, als ihr Mann, der heimkehrte, in die Thür trat. Er blieb ein paar Sekunden stehen, um seine Frau zu betrachten, und ward ein wenig bleich. Sie war sehr schön, schlank, und sah vornehm aus mit ihrem länglichen, feinen Gesicht, ihrem goldigen Elfenbeinteint, den großen grauen Augen und dem schwarzen Haar. Ohne ihn anzublicken, stieg sie ein. Sie schien ihn nicht einmal bemerkt zu haben bei ihrem so ausgesprochen hochmütigen Wesen, daß ihm die fürchterliche Eifersucht, die ihn so lange schon quälte, von neuem das Herz zerriß. Er trat heran, grüßte und fragte:

– Fährst Du aus?

Über ihre verächtlich zuckenden Lippen drangen nur die drei Worte:

– Wie Du siehst.

– In das Bois?

– Wahrscheinlich.

– Dürfte ich Dich begleiten?

– Es ist Dein Wagen.

Ohne sich über den Ton zu wundern, in dem sie antwortete, stieg er ein, setzte sich neben seine Frau und befahl:

– Ins Bois.

Der Diener schwang sich auf den Sitz neben den Kutscher, und die Pferde schnickten, wie sie es immer machten, grüßend mit den Köpfen, bis sie zur Straße hinaus waren.

Die beiden Gatten saßen Seite an Seite, ohne mit einander zu sprechen. Er suchte ein paar Einleitungsworte, aber ihr Gesicht blieb so starr, daß er es nicht wagte.

Endlich ließ er wie zufällig seine Hand nach der behandschuhten Hand der Gräfin hingleiten und traf sie. Aber die Bewegung, die sie machte, als sie den Arm zurückzog, war so lebhaft und so voller Ekel, daß er ängstlich sich zurückhielt, obgleich er sonst etwas Despotisches und Herrisches hatte.

Da flüsterte er:

– Gabriele.

Sie fragte, ohne den Kopf zu wenden:

– Was willst Du?

– Ich finde Dich schön.

Sie antwortete nicht und blieb im Wagen ausgestreckt, mit der Miene einer verletzten Königin.

Sie fuhren jetzt die Champs-Élysées hinauf zum Arc de Triomphe de l'Étoile. Das riesige Bauwerk zeichnete sich am Ende der langen Straße mit seinem gewaltigen Bogen vom roten Horizonte ab. Die Sonne schien darauf niederzusteigen, vom Himmel einen feurigen Staub herabschüttend.

Und ein doppelter Strom von Wagen, an denen die Beschläge der Geschirre und das Cristall der Laternen im Lichte glänzte, ergoß sich zum Bois hinaus und zur Stadt zurück.

Graf Mascaret begann noch einmal:

– Meine liebe Gabriele.

Nun konnte sie nicht mehr zurückhalten und sagte mit zorniger Stimme: – Bitte, laß mich in Ruhe. Jetzt kann ich nicht mal mehr in meinem Wagen allein sein.

Er that, als hätte er es nicht gehört, und fuhr fort:

– Du hast nie so schön ausgesehen wie heute.

Sie war mit ihrer Geduld zu Ende und antwortete mit hervorbrechender Wut:

– Das hat gar keinen Zweck, das jetzt zu merken, denn ich schwöre Dir, daß Du mir nicht mehr zu nahe kommen sollst.

Er war ganz verstört und erschrocken. Seine Heftigkeit ging mit ihm durch, und er rief ein: – Was soll das bedeuten? das mehr den brutalen Herrn und Meister verriet, als den liebenden Gemahl.

Sie antwortete leise, obgleich die Bediensteten auf dem Bock bei dem ohrenbetäubenden Rädergerassel nichts hören konnten:

– Was das bedeuten soll? Was das bedeuten soll? Soll ich Dir's wirklich sagen?

– Ja.

– Soll ich Dir alles sagen?

– Ja.

– Alles, was ich auf dem Herzen habe, seitdem ich das Opfer Deines brutalen Egoismus geworden bin?

Er war rot geworden vor Staunen und Erregung und brummte mit zusammengekniffenen Zähnen:

– Also sprich.

Er war hochgewachsen, breitschulterig, mit langem, rötlichem Bart, ein schöner Mann, ein Gentleman und ein Herr der Gesellschaft, der für einen tadellosen Ehegatten und ausgezeichneten Vater galt.

Zum ersten Mal, seitdem sie das Palais verlassen, wendete sie sich ihm zu und sah ihm ins Gesicht:

– Du wirst aber unangenehme Dinge zu hören bekommen. Ich will Dir nur gleich sagen, mache Dich auf alles gefaßt. Ich fürchte nichts und heute Dich weniger als einen anderen.

Er sah ihr in die Augen, und schon packte ihn die Wut. Er brummte:

– Du bist verrückt.

– Nein. Aber ich will diese fürchterliche Qual, die ich seit elf Jahren erdulde, nicht mehr ertragen: immer Mutter zu werden. Ich will endlich der Gesellschaft leben, das ist mein Recht, wie das Recht aller Frauen.

Er wurde plötzlich blaß und stammelte:

– Ich verstehe Dich nicht.

– Doch. Du verstehst mich sehr wohl. Vor einem Vierteljahr habe ich mein letztes Kind gehabt. Und da ich noch schön bin und, trotz Deiner Bemühungen, nicht umzubringen, wie Du es eben anerkannt hast, als Du mich auf der Treppe sahst, so findest Du es abermals an der Zeit, ich solle Mutter werden.

– Du redest ja Unsinn.

– Nein. Ich bin dreißig Jahr alt und habe sieben Kinder. Wir sind elf Jahr verheiratet, und Du hoffst, daß das noch zehn Jahr so fortgehen soll. Dann wirst Du allerdings nicht mehr eifersüchtig sein.

Er nahm ihren Arm und umklammerte ihn:

– Ich verbiete Dir, so weiter zu reden.

– Und ich werde Dir bis aufs tz alles sagen, bis ich alles los geworden bin, was ich Dir zu sagen habe. Und wenn Du mich daran hindern willst, werde ich so laut sprechen, daß die beiden auf dem Bock mich hören. Ich habe Dich nur einsteigen lassen dazu, denn hier habe ich Zeugen, die Dich zwingen, zuzuhören und Deine Haltung zu bewahren. Also hör zu.

Du bist mir immer unsympathisch gewesen, und ich habe Dir's immer gezeigt. Ich habe Dir nie etwas vorgemacht. Du hast mich gegen meinen Wunsch geheiratet und meine Eltern dazu genötigt, die es wünschten, weil Du reich bist. Sie haben mich gezwungen, und ich fand nur Thränen.

Du hast mich also gekauft. Und sobald ich in Deiner Gewalt war, sobald ich eine Gefährtin geworden war, die sich anschmiegen an Dich, alles vergessen und nur eines wollte, eine treue Frau sein und Dich so lieben, wie es mir möglich ist, bist Du eifersüchtig geworden, wie noch nie ein Mann. Die Eifersucht eines Spions, eine niedrige, unanständige Eifersucht, für Dich entwürdigend und beleidigend für mich. Wir waren noch nicht acht Monate verheiratet, als Du mich aller Gemeinheiten bezichtigtest. Du hast es mir sogar gesagt, das ist schändlich. Und da Du es nicht hindern konntest, daß ich schön war und gefiel, daß man mich in den Salons und auch in den Zeitungen eine der hübschesten Frauen von Paris nannte, hast Du alles versucht, um jedes Hofmachen von mir fern zu halten und bist auf jene niederträchtige Idee gekommen, mich so lange immerfort zur Mutter zu machen, bis ich allen Männern unangenehm sein würde. Leugne es nicht! Ich habe es lange nicht eingesehen, aber jetzt habe ich es verstanden. Du hast Dich dessen sogar gegen Deine Schwester gerühmt, die mir es wiedererzählt hat, denn sie hat mich gern und ist empört über Deine Proletariermanier.

Erinnerst Du Dich unserer Zänkereien, der aufgebrochenen Thüren? Du hast mich seit elf Jahren zu dem Dasein einer Mutterstute im Gestüt gezwungen. Sobald ich dann in dem Zustand war, ekeltest Du Dich vor mir, und ich habe dich Monate lang nicht wiedergesehen. Ich wurde aufs Land geschickt, auf den Familiensitz, auf die Wiesen, auf die Weide, um dort mein Kind zu bekommen. Und wenn ich frisch und hübsch, unzerstörbar, immer verführerisch, immer von Hofmachern umgeben, wieder erschien, in der Hoffnung, daß ich nun endlich wie eine junge reiche Frau aus der Gesellschaft leben könnte, dann packte Dich von neuem die Eifersucht, Du begannst wieder, mit dem niedrigen, gräßlichen Wunsch mich zu verfolgen, der Dich in diesem Augenblick hier an meiner Seite quält, nicht der Wunsch, mich zu besitzen, dagegen hätte ich mich nicht gewehrt, sondern der Wunsch, meine Schönheit zu zerstören.

Und dann ist etwas Niederträchtiges und so Wunderliches eingetreten, daß ich lange Zeit gebraucht habe, um dahinter zu kommen. Aber jetzt verstehe ich Deine Handlungs- und Denkweise. Du hast Dich an Deine Kinder angeschlossen aus Dank für all die Ruhe, die sie Dir gegeben, als ich sie unter dem Herzen trug. Du hast Liebe für sie geheuchelt bei all der Abneigung, die Du gegen mich empfandest, bei all der unedlen Furcht, die für den Augenblick wieder gegenstandlos geworden und im Gefühl der Freude, mich in anderen Umständen zu sehen.

O wie oft habe ich diese Freude in Dir verspürt, in Deinen Augen gelesen, erraten. Du liebst Deine Kinder wie einen Sieg, aber nicht wie Dein Blut. Einen Sieg über mich, meine Jugend, meine Schönheit, meinen Reiz, über die Artigkeiten, die man mir sagte und die man in meiner Nähe flüsterte ohne sie mir auszusprechen. Und Du bist stolz darauf. Du renommierst mit den Kindern, fährst sie im Break im Bois de Boulogne spazieren, läßt sie Esel reiten in Montmorency, Du führst sie in die Matineen, in die Theater, damit man Dich mit ihnen sieht, damit man nur immerfort sagen soll: das ist aber ein guter Vater.

Er hatte mit wilder Wut ihr Handgelenk ergriffen und drückte es so heftig, daß sie schwieg und vor Schmerz nicht weitersprechen konnte.

Und er sprach ganz leise:

– Ich liebe meine Kinder, hörst Du. Was Du mir da eben gesagt hast, ist schmachvoll für eine Mutter. Aber Du gehörst mir, ich bin der Herr, Dein Herr. Ich kann von Dir verlangen, was ich will, wann ich's will, und habe das Gesetz auf meiner Seite.

Er suchte ihre Finger, indem er sie mit seiner großen, muskulösen Hand wie mit einer Zange umschloß, zu zerdrücken. Sie war bleich vor Schmerz und bemühte sich vergeblich, aus der Umklammerung, die sie quetschte, ihre Hand zu ziehen. Sie war außer Atem vor Schmerz, die Thränen traten ihr in die Augen.

– Du siehst wohl, ich bin der Herr, – sagte er. – Ich bin der Stärkere.

Der Druck ließ etwas nach. Sie fragte:

– Hälst Du mich für fromm?

Er stammelte erstaunt:

– Gewiß.

– Meinst Du, daß ich an Gott glaube?

– Gewiß.

– Meinst Du, daß ich lügen könnte, wenn ich Dir vor einem Altar, auf dem der Leib des Herrn steht, etwas schwöre?

– Nein.

– Willst Du mit mir in eine Kirche kommen?

– Wozu?

– Das wirst Du sehen. Willst Du?

– Wenn es sein muß, ja.

Und sie befahl laut:

– Philipp!

Der Kutscher neigte etwas den Kopf, ohne die Pferde aus den Augen zu lassen, als wendete er nur das Ohr zur Herrin. Und sie rief:

– Fahren Sie zur Kirche Saint-Philippe du Roule.

Und die Viktoria, die an den Eingang des Bois de Boulogne gekommen war, kehrte nach Paris zurück.

Während der Fahrt wechselten Mann und Frau kein Wort. Als dann der Wagen vor der Kirche hielt, sprang die Gräfin heraus, und der Graf folgte ein paar Schritte hinterdrein.

Ohne sich aufzuhalten ging sie bis an das Gitter, das den Chor abschließt, ließ sich auf einer Bank in die Kniee fallen, versteckte das Gesicht in den Händen und begann zu beten. Sie betete lange und er, der hinter ihr stand, gewahrte endlich, daß sie weinte. Sie weinte lautlos, wie Frauen bei großem Leid weinen. Über ihren Körper lief etwas wie Wellenzuckungen, die sich in leisem, versteckten, in den Fingern erstickten Schluchzen lösten.

Aber Graf Mascaret fand, daß die Sache zu lange dauerte, und legte die Hand auf ihre Schulter.

Unter der Berührung zuckte sie zusammen als habe sie sich verbrannt. Sie erhob sich und sah ihn Auge in Auge an:

– Jetzt hör zu, was ich Dir zu sagen habe. Ich fürchte mich vor nichts, thue, was Du willst, wenn Du willst, töte mich. Eines Deiner Kinder, ein einziges, gehört nicht Dir. Das schwöre ich Dir vor Gott, der mich hier hört. Das war die einzige Rache, die ich an Dir üben konnte, gegen Deine niederträchtige Mannestyrannei, gegen diese Sträflingsarbeit, zu der Du mich gezwungen hast. Wer mein Liebhaber gewesen ist, wirst Du nie erfahren. Du wirst jeden in Verdacht haben, Du wirst ihn nie entdecken. Ich habe mich ihm ohne Liebe, ohne daß er mir sympathisch gewesen wäre, überlassen, nur um Dich zu betrügen. Und auch er hat mich Mutter gemacht. Welches sein Kind ist, wirst Du nie erfahren. Ich habe sieben, also nun suche! Ich wollte Dir das später sagen, viel später, denn man hat sich an einem Mann – wenn man ihn betrügt – erst gerächt, sobald er es weiß. Du hast mich gezwungen, es heute zu beichten. So, ich bin jetzt fertig.

Und sie floh durch die Kirche zum offenen Portal, in der Erwartung, hinter sich den eiligen Schritt des herausgeforderten Mannes zu vernehmen und unter dem tötlichen Schlag seiner Faust auf dem Pflaster zusammenzubrechen.

Aber sie hörte nichts und stieg in den Wagen mit einem Sprung, entsetzt, zitternd vor Angst, und rief dem Kutscher zu: – Nach Haus.

In scharfem Trabe fuhren die Pferde davon.

II

Gräfin Mascaret erwartete, in ihrem Zimmer eingeschlossen, die Essensstunde, wie ein zum Tode Verurteilter der Hinrichtung entgegensieht. Was würde er thun? War er heimgekehrt? Er, der Tyrann, der jähzornige Mann, der jeder Gewaltthat fähig war, was hatte er sich ausgedacht was vorbereitet, was beschlossen? Nichts regte sich im ganzen Haus, und sie sah immer nach dem Zeiger der Kaminuhr. Die Jungfer war zum Umziehen gekommen, jetzt war sie wieder fort.

Es schlug acht, und unmittelbar darauf klopfte es zweimal an der Thür.

– Herein.

Der Diener erschien und meldete:

– Es ist angerichtet, Frau Gräfin.

– Ist der Herr Graf nach Haus gekommen?

– Jawohl, Frau Gräfin, Herr Graf ist im Eßzimmer.

Ein paar Augenblicke kam ihr der Gedanke, sich mit einem kleinen Revolver zu bewaffnen, den sie einige Zeit vorher in Voraussicht des Dramas, das sich bei ihnen vorbereitete, gekauft.

Aber sie überlegte, daß alle Kinder da sein würden, und nahm nur Riechsalz mit.

Als sie ins Eßzimmer trat, stand ihr Mann an seinem Stuhl und wartete. Sie wechselten einen leichten Gruß und nahmen Platz. Dann setzten sich auch die Kinder, die drei Söhne mit ihrem Erzieher, dem Abbé Marin, rechts von der Mutter, die drei Mädchen mit der englischen Gouvernante Miß Smith links. Das jüngste Kind, erst drei Monate alt, blieb mit der Amme auf seinem Zimmer.

Die drei blonden Mädchen, von denen das älteste zehn Jahr alt war, trugen blaue Kleider mit kleinem weißen Spitzensaum und sahen wie reizende Püppchen aus. Die Jüngste von ihnen war noch nicht drei Jahr alt. Alle waren schon hübsch und versprachen schön zu werden, wie die Mutter.

Die drei Söhne, zwei mit kastanienfarbigem Haar und der älteste, neun Jahr alt, schon braun, sahen aus, als würden sie einmal starke Männer, breitschultrig und groß. Die ganze Familie schien lebhaft und kräftig zu sein, eines Bluts.

Der Abbé sprach wie immer, wenn keine Gäste da waren, ein Gebet: denn wenn sie jemand eingeladen hatten, erschienen die Kinder nicht bei Tisch. Dann setzte man sich wieder.

Die Gräfin saß da mit so übermächtiger innerer Bewegung, wie sie sie nie für möglich gehalten hätte, mit niedergeschlagenen Augen, während der Graf ab und zu die drei Jungen, dann wieder die drei Mädchen mit unbestimmten Blicken betrachtete, die ängstlich wanderten von einem zum anderen. Da plötzlich zerbrach er sein Glas beim Niedersetzen, und der Wein rötete das Tischtuch. Bei dem ganz leisen Geräusch, der das kleine Unglück hervorrief, schrak die Gräfin zusammen, daß sie von ihrem Stuhl fast emporgefahren wäre. Zum ersten Male blickten sie sich an. Und nun, ohne es zu wollen, trotz des körperlichen und seelischen Leides, das sie bei jedem Zusammentreffen ihrer Blicke quälte, kreuzten sie sie unablässig wie ein paar Klingen.

Der Abbé fühlte, daß irgendeine Verlegenheit, deren Grund er nicht ahnte, vorhanden war und suchte eine Unterhaltung zu beginnen. Er schnitt verschiedene Themata an, ohne daß seine vergeblichen Versuche einen Gedanken oder ein Wort hervorlockten.

Die Gräfin versuchte mit weiblichem Zartgefühl, ihrer Erziehung als Weltdame folgend, zwei oder drei Mal zu antworten. Vergeblich. In der Zerstörtheit ihrer Seele fand sie keine Worte, und ihre Stimme machte ihr im Schweigen des großen Raumes, in dem nur leises Gläser- und Silberklirren klang, fast Angst.

Plötzlich beugte sich ihr Mann vor und fragte:

– Schwörst Du mir hier mitten unter Deinen Kindern, daß das, was Du mir gesagt hast, wahr ist?

Die Wut, die durch ihre Adern lief, packte sie plötzlich, und sie antwortete mit derselben Energie. Sie blickte ihn fest an, hob beide Hände, die rechte gegen die Stirn ihrer Söhne, die linke zur Stirn ihrer Töchter, und dann sagte sie, ohne zu zucken, entschlossen und fest:

– Ich schwöre Dir auf das Haupt meiner Kinder, daß ich wahr gesprochen habe.

Er erhob sich, schleuderte mit verzweifelter Gebärde die Serviette auf den Tisch, wendete sich herum, daß sein Stuhl gegen die Wand flog, und verließ, ohne ein Wort zu sprechen, das Zimmer.

Sie aber sagte, indem sie einen langen Seufzer ausstieß, wie nach einem ersten Sieg, mit ruhiger Stimme:

– Achtet nicht darauf, meine lieben Kinder, Papa hat heute einen großen Kummer gehabt, und er ist noch sehr traurig. In ein paar Tagen wird es vorbei sein.

Dann sprach sie mit dem Abbé, sprach mit Miß Smith und sagte allen ihren Kindern zärtliche, liebe Worte, kleine Schmeicheleien, wie Kinderherzen sie lieben und eine Mutter sie spricht.

Als das Essen beendet war, ging sie mit der ganzen Familie in den Salon hinüber. Sie ließ sich von den Ältesten erzählen und erzählte den Kleinen Geschichten. Als dann die allgemeine Schlafensstunde gekommen war, küßte sie sie lange, schickte sie zu Bett und suchte allein ihr Zimmer auf.

Sie wartete, sie zweifelte nicht daran, daß er kommen würde. Wie nun ihre Kinder fern von ihr waren, entschloß sie sich, ihren Frauenkörper ebenso zu verteidigen, wie sie ihre Existenz als Dame der Gesellschaft verteidigt hatte. Und sie versteckte im Kleid den kleinen geladenen Revolver, den sie ein paar Tage vorher gekauft.

Die Stunden gingen vorüber, die Uhr schlug. Jedes Geräusch im Haus war erstorben, nur von der Straße herauf tönte dumpf das Rollen der Wagen, fern, gedämpft durch die Mauern.

Sie wartete entschlossen, nervös, aber jetzt ohne Furcht vor ihm, zu allem bereit, fast triumphierend, denn sie hatte eine Qual für ihn entdeckt, unter der er sein ganzes Leben hindurch leiden würde.

Aber der erste Lichtstrahl glitt unter den Fransen der herabgelassenen Vorhänge durch, ohne daß ihr Mann erschienen wäre. Da sah sie ganz erstaunt ein, daß er nicht kommen würde. Und nachdem sie ihre Thür verschlossen und noch dazu den Riegel vorgeschoben, den sie hatte anbringen lassen, legte sie sich endlich zu Bett und blieb mit offenen Augen nachsinnend, ohne zu begreifen, was da vorging, nicht fassend, was er nun thun würde, liegen.

Als die Jungfer ihr den Thee brachte, übergab sie ihr einen Brief ihres Mannes. Er zeigte ihr an, er würde eine lange Reise antreten, und eine Nachschrift enthielt die Notiz, daß sein Notar ihr alle zu ihren Ausgaben notwendigen Summen anzuweisen hätte.

III

Es war in der Oper im Zwischenakt von Robert dem Teufel. Im Parkett standen die Herren, den Hut auf dem Kopf; man sah die weiße Hemdenbrust leuchten, auf der das Gold und die Steine der Knöpfe blitzten. Sie blickten hinauf nach den Logen, in denen Damen saßen in ausgeschnittenen Kleidern, mit Diamanten und Perlen geschmückt, in diesem erleuchteten großen Glashaus, in dem die Schönheit der Gesichter und das Glänzen der Schultern zu blühen scheint für die Blicke, die während der Musik oder im Summen der menschlichen Stimmen hinaufgesendet werden.

Zwei Freunde standen nebeneinander, den Rücken zum Orchester, unterhielten sich und betrachteten durch die Operngläser diese ganze Galerie von Eleganz, diese Ausstellung von wirklichem oder falschen Liebreiz, von Edelsteinen, Luxus und Aufgeblasenheit, die da im Halbrund des großen Theaters sich breit machte.

Einer der beiden, Roger de Salins, sagte zu seinem Freunde Bernard Grandin:

– Sieh nur mal da die Gräfin Mascaret, wie schön die noch immer ist.

Der andere betrachtete nun durch sein Glas in einer Mittelloge eine stattliche Frau, die noch sehr jung schien und deren auffallende Schönheit die Augen von allen Ecken des Theaters auf sich lenkte. Ihr bleicher, elfenbeinfarbiger Teint gab ihr das Aussehen einer Bildsäule, während in ihrem Haar, schwarz wie die Nacht, ein schmales regenbogenförmiges brillantenübersätes Diadem glitzerte, wie die Milchstraße am Himmel.

Als Bernard Grandin sie einige Zeit angesehen hatte, antwortete er in überzeugtem Ton:

– Das glaube ich schon, daß die schön ist. Wie alt kann sie etwa sein?

– Warte mal, das kann ich Dir genau sagen. Ich kenne sie von Jugend auf, ich habe ihren Eintritt in die Gesellschaft erlebt. Sie ist – – sie ist dreißig – – – sechsunddreißig.

– Nicht möglich!

– Ganz sicher.

– Sie sieht wie fünfundzwanzig aus.

– Und hat doch sieben Kinder gehabt.

– Das ist nicht möglich!

– Sie leben sogar alle sieben, und sie ist eine ausgezeichnete Mutter. Ich verkehre dort. Es ist ein sehr nettes Haus, ruhig, vernünftig. Sie löst das Problem, trotz aller gesellschaftlichen Pflichten Mutter zu sein.

– Ach, das ist eigen. Hat man nie über sie geredet?

– Nie.

– Nun und ihr Mann? Der ist etwas sonderbar, nicht wahr?

– Ja und nein. Es hat vielleicht zwischen ihnen ein kleines Drama stattgefunden, eines jener Ehedramen, die man nur so ahnt, aber von denen man nichts Bestimmtes weiß, wenn man's auch etwa erraten kann.

– Was ist denn passiert?

– Ja, ich weiß nicht recht. Mascaret ist heute ein Lebemann und war früher ein vorzüglicher Gatte. So lange er ein guter Ehemann war, hatte er einen gräßlichen Charakter, heftig, unangenehm; seitdem er bummelt, ist er sehr gleichgiltig geworden, aber es ist, als quälte ihn irgend etwas, als hätte er irgend einen Kummer, als fräße etwas an ihm. Er wird höllisch alt.

So philosophierten die beiden Freunde einige Minuten hindurch über den geheimen Kummer, von dem man nichts weiß, den Verschiedenheit des Charakters oder vielleicht physische Abneigung, von der man zuerst nichts ahnt, über eine Ehe bringen kann.

Roger de Salins, der unausgesetzt Gräfin Mascaret mit dem Glas beobachtete, fuhr fort:

– Man sollte es nicht glauben, daß die Frau sieben Kinder gehabt hat.

– Jawohl, und zwar in elf Jahren. Dann hat sie, als sie dreißig Jahr alt war, die Periode ihrer Mutterschaft beendet, um Weltdame zu werden, und das wird sie noch lange bleiben.

– Die armen Frauen.

– Warum beklagst Du sie?

– Warum? Ach, lieber Freund, denke doch nur mal, elf Jahre lang Mutter für eine Frau wie die da, das muß ja die reine Hölle sein. Das bedeutet: alle Jugend, alle Schönheit, alle Hoffnung auf Erfolg, alle poetischen Träume von Glanz und Vergnügen opfern diesem scheußlichen Gesetz, Mutter zu werden, das aus der normalen Frau eine einfache Brutmaschine macht.

– Ja, so ist nun einmal die Natur.

– Jawohl. Aber ich behaupte, die Natur ist unsere Feindin. Wir müssen immer kämpfen gegen die Natur, sie führt uns immer zum Tier zurück.

Alles, was köstlich, hübsch, elegant, schön ist auf dieser Erde, hat nicht Gott gemacht, sondern der Mensch, das menschliche Gehirn. Wir haben in die Schöpfung, indem wir sie besingen, sie deuten, sie dichterisch verherrlichen, sie künstlerisch darstellen, sie wissenschaftlich erklären, und obgleich wir uns oft irren, doch in allen Phänomenen die tieferen Ursachen entdecken, etwas Anmut, Schönheit, wundersamen und geheimnisvollen Reiz hineingelegt. Gott hat nur grobe Lebewesen geschaffen, voll Krankheitskeimen, die, nach ein paar Jahren tierischen Aufblühens, alt werden und krank, mit aller Häßlichkeit und allem Jammer menschlicher Hinfälligkeit behaftet. Er hat sie, wie es scheint, nur geschaffen, um sich auf schmutzige Weise fortzupflanzen, dann zu sterben wie eine Eintagsfliege an einem Sommerabend. Ich habe gesagt, um sich auf schmutzige Weise fortzupflanzen, dabei bleibe ich. Was giebt es in der That Niedrigeres, Abstoßenderes, als diesen lächerlichen Akt, sein Geschlecht fortzupflanzen, gegen den alle feiner empfindenden Seelen sich immer empören und empört sein werden. Weil alle Organe, die dieser sparsame, übelwollende Schöpfer erfunden hat, nur zwei Endziele haben, warum hat er denn nicht andere ausgewählt, die weniger schmutzig, und beschmutzend sind, um ihnen diese heilige Mission anzuvertrauen, das Schönste und Erhabenste, was der Mensch thun kann. Der Mund, der auch den Körper mit materieller Nahrung speist, verbreitet auch Wort und Gedanken, das Fleisch lebt durch ihn, und durch ihn werden die Gedanken kundgethan. Die Luft, die wir zum Leben mit den Lungen einatmen, teilt auch unserm Gehirn alle Düfte dieser Welt mit: den Geruch der Blumen, der Wälder, der Bäume, des Meeres. Das Ohr, das uns den Verkehr mit gleichen Wesen vermittelt, hat uns zugleich erlaubt, die Musik zu erfinden, Träume hervorzuzaubern, Glück, den Gedanken an die Ewigkeit und sogar körperliches Wohlgefühl durch Töne. Aber es ist, als hätte die immer freche und cynische Natur den Menschen hindern wollen, seine Beziehungen zur Frau je zu verschönen, zu idealisieren, zu adeln. Doch der Mensch hat die Liebe erfunden, keine schlechte Antwort dem höhnischen Gott. Und er hat sie so mit Poesie umwoben, daß die Frau oft vergißt, zu welcher Berührung sie gezwungen ist. Die unter uns, die sich durch Begeisterung nicht darüber hinwegtäuschen können, haben das Laster erfunden und raffinierte Ausschweifungen. Wieder eine Art, Gott zu foppen und der Schönheit zu huldigen, – eine schamlose Huldigung.

Aber der gewöhnliche Mensch setzt Kinder in die Welt, wie ein durch das Gesetz dazu gezwungenes Tier.

Sieh diese Frau an. Ist's nicht scheußlich, zu denken, daß dieses köstliche Kleinod, diese Perle, die dazu geboren ist, schön zu sein, bewundert, gefeiert und angebetet zu werden, elf Jahre ihres Lebens damit verbracht hat, dem Grafen Mascaret Erben zu schenken.

Bernard Grandin sagte lächelnd:

– Du hast wohl mit vielem recht, aber nur wenige Menschen würden Dir folgen können.

Salins wurde lebhafter:

– Weißt Du, wie ich mir Gott denke? Wie eine gewaltige, schöpferische Kraft, die wir alle nicht kennen und die in den Weltenraum Milliarden von Lebewesen sät, wie ein gewaltiger Fisch im Meere laicht. Er schafft, weil das sein Beruf als Gott ist. Aber er weiß nicht, was er thut, er ahnt nicht, was aus all den in die Welt gestreuten Keimen wird. Der Menschheitsgedanke ist ein kleines Spiel des Zufalls und der Furchtbarkeit, ein lokales, vorübergehendes, unvorhergesehenes Ereignis, dazu verdammt, mit der Erde zu verschwinden, um vielleicht hier oder anderwärts von neuem zu beginnen, ebenso oder anders, mit neuen Kombinationen in ewigem Wiederanknüpfen. Wir danken diesem kleinen Geschehnis, daß wir uns auf der Erde sehr übel befinden, auf der Erde, die nicht für uns gemacht ist, die garnicht hergerichtet war, uns zu empfangen, zu bewirten, zu nähren und denkende Menschen zu befriedigen. Und wir verdanken es ihm auch, daß wir unausgesetzt kämpfen müssen, wenn wir wirklich raffinierte Kulturmenschen sind, gegen das, was man die Vorsehung nennt.

Grandin hörte aufmerksam zu. Er kannte längst die seltsamen Blasen, die des Freundes Phantasie warf, und fragte:

– Du meinst also, daß der Menschheitsgedanke ein spontanes Produkt der blinden göttlichen Schaffenskraft sei?

– Allerdings, eine zufällige Funktion des Nervenzentrums in unserm Gehirn, genau so unvorhergesehen, wie chemische Einflüsse durch neue Mischungen, genau so, wie eine Erzeugung von Elektrizität durch Berührung oder plötzliches Nahekommen von Gegenständen, kurz wie alle Phänomene, die durch unendliche Gährung und Fruchtbarkeit der Lebensmaterie hervorgebracht werden.

Aber lieber Freund, die Sache ist jedem klar, der mit offenen Augen um sich blickt. Wenn der menschliche Gedanke, durch einen bewußten Schöpfer hervorgebracht, das hätte sein sollen, was er geworden ist, so verschieden vom tierischen Gedanken, immer erregt, gequält, Forderungen aufstellend, suchend, wäre dann die Schöpfung, um das Wesen zu empfangen, das wir heut zu Tage sind, heute, jener unkomfortabele kleine Tierpark geworden, jenes Salatbeet, jener Gemüsegarten, kugelförmig und felsig, auf dem eure Vorsehung uns bestimmt hatte, nackt in Höhlen oder unter Bäumen zu leben vom Fleisch getöteter Tiere, unserer Brüder, oder von rohen Feldfrüchten, die bei Sonnenschein und Regen gewachsen sind.

Man braucht nur einen Augenblick nachzudenken, um zur Erkenntnis zu kommen, daß diese Welt für Wesen, wie wir sind, garnicht geschaffen worden ist.

Betrachte diese Erde, wie Gott sie denen geschenkt hat, die darauf wohnen. Ist sie nicht augenscheinlich ganz allein für Tiere geschaffen, bepflanzt und bewaldet? Was ist für uns da? Nichts. Und für sie alles: Höhlen, Bäume, Blätter, Quellen, Lager für die Nacht, Speise und Trank. Und empfindliche Menschen, wie ich, befinden sich infolgedessen auf der Erde nie wohl. Nur die, die sich dem Vieh nähern, sind zufrieden und glücklich. Aber die anderen, die Dichter, die feinbesaiteten, die Träumer, die Sucher? Arme Menschen!

Ich esse Kohl und Karotten allerdings, Zwiebeln, Rüben und Radieschen, weil wir einmal gezwungen sind, uns daran zu gewöhnen, sogar Geschmack daran zu finden, und weil anderes nicht wächst. Aber das ist doch eine Nahrung für Kaninchen und Ziegen, wie Gras und Klee die Nahrung von Pferd und Kuh ist. Wenn ich die Ähren anblicke auf einem reifen Feld, zweifle ich nicht daran, daß das hier gewachsen ist für die Schnäbel der Spatzen oder Lerchen, aber nicht für meinen Mund. Wenn ich Brot kaue, stehle ich es also den Vögeln, wie ich den Fuchs und das Wiesel bestehle, wenn ich Hühner esse; Schnepfen, Tauben und Rebhühner – ist das alles nicht die natürliche Beute des Sperbers? Schaf, Reh und Ochse eher die Nahrung der wilden Bestien vielmehr, als um uns als saftiger Braten serviert zu werden mit Trüffeln, die eigens für uns durch Schweine gesucht worden sind.

Nein, mein Lieber, die Tiere brauchen nichts zu thun, um hier auf der Erde zu leben. Sie sind zu Haus, sie wohnen in ihrer Wohnung, sie werden genährt, sie brauchen nur zu kauen, zu jagen, sich je nach ihrem Instinkt gegenseitig aufzufressen, denn Gott hat nie an milde und verfeinerte Sitten gedacht. Er hat nur den Tod der Wesen vorhergesehen, die sich hier gegenseitig anfallen und verzehren. Wir aber, o weh, o weh, wir brauchten Arbeit, Anstrengung, Geduld, Erfahrung, Einbildungskraft, Industrie, Talent, Genie, um diesen wurzelbewachsenen, steinigen Boden nur so ziemlich bewohnbar zu machen. Denke doch daran, was wir trotz der Natur, ja, gegen die Natur gearbeitet haben, um uns hier einzurichten auf sehr mäßige Weise, kaum reinlich, kaum komfortabel, kaum elegant, unser nicht würdig.

Und je zivilisierter, je intelligenter, je raffinierter wir sind, desto mehr müssen wir den Tierinstinkt, der in uns den Willen Gottes darstellt, bekämpfen.

Denke nur, wir haben die ganze Civilisation erfinden müssen, die so viel Dinge umfaßt, so viel verschiedener Art, von den Strümpfen bis zum Telephon. Denke an das, was Du täglich siehst, an all das, was uns auf alle mögliche Weise dient.

Um unser Viehdasein erträglich zu machen, haben wir alles mögliche erfunden und fabriziert, haben mit Häusern angefangen, mit ausgesuchten Speisen, Saucen, Bonbons, Pasteten, Getränken, Likören, Stoffen, Kleidungsstücken, Schmuck, Betten, Matratzen, Wagen, Eisenbahnen und zahllosen Maschinen. Dazu haben wir die Wissenschaften und die Künste, Schrift und Verse erfunden, ja wir haben die Künste, die Poesie, die Musik, die Malerei geschaffen, alles, jedes kommt von uns, und auch alles Reizende im Leben, die Toiletten der Frauen und das Talent der Männer, die endlich ein ganz klein wenig unsern Augen wohlgethan haben, indem sie das einfache Fortpflanzungsdasein, für das uns die göttliche Vorsehung einzig geschaffen, etwas weniger hart und monoton machten.

Sieh dieses Theater an. Bedeutet es nicht eine ganz von uns geschaffene Welt, von der die göttliche Vorsehung nichts wußte, die nur unser Verstand fassen kann, eine köstliche Zerstreuung, sinnlich, intelligent, nur für das und von dem kleinen, unzufriedenen, unruhigen Tierchen erfunden, das wir sind.

Sieh diese Frau an, die Gräfin Mascaret. Gott hat sie geschaffen, um nackt oder in Tierfelle gekleidet in einer Grotte zu leben. Ist ihr nicht wohler so? Aber weiß man nun bei alledem warum ihr rüder Kerl von Mann, der eine solche Frau besaß und vor allem, nachdem er roh genug war, sie sieben mal Mutter werden zu lassen, sie plötzlich vernachlässigt und Dirnen nachläuft.

Grandin antwortete:

– Ja, lieber Freund, das wird wohl der einzige Grund sein. Er hat wahrscheinlich entdeckt, daß, wenn er zu Haus bliebe, ihm die Geschichte zu teuer würde, und durch häusliche Sparsamkeit ist er auf dieselben Grundsätze gekommen, wie Du als Philosoph.

Die drei Hammerschläge ertönten zum Beginn des letzten Aktes. Die beiden Freunde drehten sich herum, nahmen die Hüte ab und setzten sich.

IV

Graf und Gräfin Mascaret saßen schweigend Seite an Seite im Coupé, das sie nach der Vorstellung der Oper nach Hause fuhr. Plötzlich sagte der Mann zu seiner Frau:

– Gabriele.

– Was willst Du?

– Findest Du nicht, daß das lange genug gedauert hat?

– Was denn?

– Die furchtbare Qual, zu der Du mich seit sechs Jahren verdammt hast.

– Ja, ich kann doch nichts dafür.

– Sage mir endlich, welches Kind es ist.

– Niemals.

– Denke doch nur, ich kann ja meine Kinder nicht mehr ansehen, sie nicht mehr um mich wissen, ohne daß der Zweifel mir das Herz zerreißt. Sage mir welches, und ich schwöre Dir, daß ich verzeihen und eines genau so behandeln will wie das andere.

– Dazu habe ich kein Recht.

– Siehst Du denn nicht, daß ich dieses Leben nicht mehr ertragen kann, daß dieser Gedanke mich vernichtet und diese Frage, die ich mir unausgesetzt stelle, diese Frage, die mich jedesmal quält, wenn ich sie ansehe? – Ich werde ja verrückt dabei.

Sie fragte;

– Hast Du denn sehr gelitten?

– Fürchterlich. Wäre ich sonst auf das Gräßliche eingegangen, an Deiner Seite weiterzuleben und das noch Schrecklichere, zu fühlen, zu wissen, daß unter den Kindern eines ist, das ich nicht anerkennen kann und das mich hindert, die anderen zu lieben.

Sie wiederholte:

– Also Du hast wirklich sehr gelitten?

Er antwortete wieder im selben schmerzlichen Ton:

– Aber ich sage Dir doch täglich, daß es eine furchtbare Qual für mich ist. Wäre ich sonst wiedergekommen, in diesem Haus geblieben, bei Dir, bei jenen, wenn ich euch nicht liebte? Du hast Dich schrecklich gegen mich benommen. Meine Kinder sind mein einziges Glück, das weißt Du, ich bin für sie ein Vater wie aus alter Zeit, wie ich Dir gegenüber ein Ehemann gewesen bin, wie er früher war. Denn ich bleibe ein einfacher Mensch, ein natürlicher Mensch, ein Mensch wie sie früher waren. Ja ich gestehe, Du hast mich furchtbar eifersüchtig gemacht, weil Du eine Frau bist von anderer Rasse, mit anderen Gedanken, andern Bedürfnissen. Ich werde nie vergessen, was Du mir gesagt hast. Von dem Tage ab habe ich mich nicht mehr um Dich gekümmert. Ich habe Dich nicht getötet, weil ich dann keine Möglichkeit mehr auf der Erde gehabt hätte, herauszufinden, welches von unsern, von Deinen Kindern mir nicht gehört. Ich habe gewartet, aber ich habe mehr gelitten, als Du begreifen könntest. Denn ich wage sie nicht mehr zu lieben, vielleicht bis auf die beiden Ältesten, ich wage sie nicht mehr anzublicken, sie zu rufen, sie zu küssen. Ich kann keines mehr auf die Kniee nehmen, ohne mich zu fragen: gehört es mir? Seit sechs Jahren bin ich gegen Dich korrekt, sogar weich und nachgiebig gewesen. Sage mir jetzt die Wahrheit, und ich schwöre Dir, ich will Dir nichts thun.

Er meinte im Dunkel des Wagens zu erraten, daß sie bewegt war, glaubte zu fühlen, daß sie endlich sprechen würde, und fuhr fort:

– Ich bitte Dich, ich flehe Dich an.

Sie flüsterte:

– Ich bin vielleicht schuldiger, als Du denkst. Aber ich konnte jenes fürchterliche Leben in unausgesetzter Mutterschaft nicht mehr fortführen. Es gab nur ein Mittel, Dich von mir zu verscheuchen: ich habe vor Gott gelogen, habe gelogen, die Hände auf den Häuptern meiner Kinder, denn ich habe Dich nie betrogen.

Er nahm in der Dunkelheit ihren Arm und preßte ihn wie am Tag ihrer furchtbaren Ausfahrt ins Bois, während er stammelte:

– Ist das wahr?

– Es ist wahr.

Aber er stöhnte vor Qual:

– Ach, ich werde wieder zweifeln und zweifeln ohne Ende. Wann hast Du gelogen, damals oder heute. Wie soll ich Dir jetzt glauben, wie soll ich danach einer Frau glauben? Ich werde ja nie wissen, was ich denken soll. Mir wäre es lieber, Du hättest gesagt: Jacques ist es oder Jeanne.

Der Wagen fuhr in den Hof des Palais. Als er vor der Treppe hielt, stieg der Graf zuerst aus und bot wie immer seiner Frau den Arm, um sie die Stufen hinauf zu führen.

Als sie im ersten Stock standen, fragte er:

– Kann ich Dich noch ein paar Augenblicke sprechen?

Sie antwortete: – Sehr gern!

Sie traten in einen kleinen Salon, in dem der Diener, erstaunt, die Lichter anzündete.

Als sie allein waren, begann er:

– Wie soll ich die Wahrheit erfahren? Ich habe Dich tausendmal gebeten, zu sprechen, Du bist stumm, undurchdringlich, unbeweglich geblieben. Und nun sagst Du mir heute, daß Du gelogen hast. Sechs Jahre hindurch hast Du mich so etwas glauben lassen können. Nein, heute lügst Du. Ich weiß nicht warum, vielleicht aus Mitleid mit mir.

Sie antwortete offen und ehrlich:

– Aber sonst hätte ich während dieser letzten sechs Jahre noch vier Kinder gehabt.

Er rief:

– So redet eine Mutter!

– Oh, – sagte sie, – ich fühle mich garnicht als Mutter der Kinder, die nicht geboren sind. Mir genügt es völlig, die Mutter derjenigen zu sein, die ich besitze, und sie von Herzen lieb zu haben. Wir sind Frauen der zivilisierten Welt, wir sind nicht mehr und wir wollen nicht mehr sein: einfach Weibchen, die die Erde bevölkern.

Sie erhob sich, aber er nahm ihre Hand:

– Ein Wort, Gabriele, nur ein Wort. Sage mir die Wahrheit.

– Ich habe sie Dir eben gesagt: ich habe Dich nie betrogen.

Er sah sie voll an. Wie war sie so schön mit ihren grauen Augen gleich einem kalten, klaren Himmel; in ihrer dunklen Frisur, in jener Nacht des schwarzen Haares, leuchtete das diamantenübersäte Diadem wie eine Milchstraße. Da fühlte er plötzlich, fühlte durch eine Art Eingebung, daß dieses Wesen nicht mehr nur eine Frau war, um ihre Rasse fortzupflanzen, sondern das seltsame geheime Produkt all der komplizierten Wünsche, die jahrhundertelang in uns aufgespeichert sind und vom primitiven göttlichen Ziele sich abgewendet haben, zu einer mystischen unfaßbaren Schönheit irrend. Es sind Wesen, die nur blühen für unsere Träume, geschmückt mit allem, was die Civilisation an Poesie, idealem Luxus, Koketterie und ästhetischem Liebreiz um die Frau ausgestreut, eine lebende Bildsäule, die ebenso geistige Wünsche erregt, wie sie sinnliche Begierden reizt.

Der Gatte stand vor ihr, ganz verdutzt über diese allmählich gekommene, dunkle Entdeckung, verwirrt nach dem Grunde seiner früheren Eifersucht suchend, indem er das alles nicht recht verstand.

Endlich sagte er:

– Ich glaube Dir. Ich fühle, daß Du in diesem Augenblick nicht lügst, und früher habe ich allerdings immer geglaubt, daß Du gelogen.

Sie streckte ihm die Hand entgegen:

– Also, dann sind wir Freunde?

Er nahm diese Hand, küßte sie und antwortete: – Wir sind Freunde. Dank Gabriele.

Dann ging er hinaus ohne den Blick von ihr zu lassen, betroffen, daß sie so schön war, indem ein seltsames neues Gefühl in ihm aufstieg, furchtbarer vielleicht als die einfache altväterische Liebe.



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