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Der Mutter.


Ein Denkmal schrecklicher Stunden ist dieses Blatt.

Der Todesengel huschte durch unser Stübchen. Ich hörte das Wehen seiner Flügel. An Deinem Bette hielt er an, meine Mutter! Große Angst erfaßte mich und ich zitterte für Dich. Da ging der Engel noch gnädig vorbei und ich athmete auf. –

Ach, daß es dieser Stunden bedurfte, um mir zu zeigen, was Du mir bist, Mutterherz, und daß ich erst da lernte, Dich recht zu lieben!

... Ich sah Dich regungslos, starr und kalt. Geschlossen war der Mund, der an meiner Wiege mich in Schlaf gesungen, mich stammeln lehrte, mich mit Liebe mahnte und mich tröstete, als die Welt zum ersten Male mein Herz traf, es grausam traf. Nie mehr sollte ich sie hören, Deine traute Stimme, die so bedeutungsvoll in meine Seele geklungen ...

... Erloschen war das Licht der treuen Augen, die so oft liebevoll auf mir geruht, mich bewacht hatten. Nie mehr würden sie sich öffnen, Deine lieben, treuen Augen ...

... Ich sah Dich im schwarzen Sarge. Sie entzogen Dich dem Lichte, senkten Dich hinab in die dunkle Erde. Harte Schollen fielen auf Dich. Du löstest Dich auf, kehrtest zur Erde zurück – hin war Deine Menschlichkeit ...

... Nun war ich allein in der weiten, kalten Welt und hatte keinen Trost, keine warme Liebe mehr zu hoffen ...

... Da begriff ich, was ich verloren und empfand, was das Mutterherz ist. Das Göttlichste auf dieser Welt ist seine aufopferungsvolle, warme, mächtige, nie erlöschende Liebe ... Was ich sah, waren nur Bilder des erschreckten Geistes; sie haben glücklicherweise kein Leben. Doch meine Erkenntniß ist Wirklichkeit, die spät, doch nicht zu spät kam. Die Menschen schätzen die Dinge erst, nachdem sie dieselben verloren oder in Gefahr standen, sie zu verlieren. Also öffnete auch mir die Gefahr die Augen.

Du lebst, aber Du siechst. Die Aerzte sagen, Dein Herz sei ungewöhnlich groß geworden und Du könnest nicht mehr gesunden.

Ja, so mußte es kommen! Das ist die Krankheit des Mutterherzens. Die Sorge, die wir Dir bereitet, diejenige, die Du Dir um uns selbst machtest, wenn wir Dir fern waren, sie haben Dein Herz zerstört. Wie hast Du um uns gesorgt? Wer vermöchte die Qualen des Herzens, die Du ausgestanden, zu ermessen!

Aber Du hast nicht nur gelitten für uns, Deine Kinder, sondern für alle die Armen in der großen Welt, die Du nicht kanntest. Und das Unglück, das die Menschen anderer Zonen getroffen, das ganze Maß des Elendes und der Noth dieser Erde haben Dein Herz bluten gemacht. Du hast geweint und geklagt mit all' den Unglücklichen, die Du nie sahest und die nichts von Dir wußten. Werden wohl die Thränen, die immer auf die Unglückszeitungen tropften, Dir irgendwo angerechnet werden? Und ist es ein Wunder, daß es krank wurde, Dein treues, gutes Herz?

Und Deine Liebe wärmte nicht nur uns, sondern ihre Strahlen fielen in manche seufzende Seele und brachten Trost und werkthätige Hülfe. Selbst arm, fandest Du immer noch Aermere, oft selbst bedürftig, hattest Du doch stets noch etwas übrig für die Aermsten, welche von der Natur und den Menschen vergessen worden waren. Wenn die vereinigten Wünsche all' der unbekannten Armen, die Dich gesegnet haben, etwas vermögen, wie wirst Du reich belohnt werden!

Und doch traf Dich so schweres Schicksal, dennoch wurdest Du so oft verwundet von der Welt, die Dich nicht begreifen konnte. Du wirst Dich beschämt sträuben, diese Dinge zu gestehen, die Du vergessen hast. Laß mich nur Eines erzählen.

Da war eine arme, fremde Frau im Dorfe. Sie war groß und stark und arbeitete vom frühen Morgen bis am späten Abend für andere Leute auf dem Felde wie ein Mann. Sie hatte einen Sohn, der ihre einzige Freude war. Für ihn arbeitete sie stetsfort, an ihn dachte sie bei der Arbeit und erfrischte sich den Muth, für ihn entbehrte sie. Sie lebte von wenig und war von ganz einfacher Denkweise. Da sie aus ganz armer Familie und aus einer armen Gegend des Landes stammte, erschien ihr der verhältnißmäßige Wohlstand der Menschen um sie herum als großer Reichthum. Doch sie begehrte nichts davon. Aber der Sohn sollte sich aus seinem Stand, aus der ererbten Armuth erheben, es einmal besser haben als sie. Und sie brachte es zu Stande. Der Sohn der armen Taglöhnersfrau ging in feinen schwarzen Kleidern, wie die andern, einher. Er mußte nicht wie die Mutter über die Schollen dreinschlagen, sondern ging auf ein Bureau und schrieb. Er war ein »Herr.« Er war das Glück der armen Frau. Und ihr einziger Ehrgeiz war erfüllt, sie war stolz darauf, die Mutter eines »Herrn« zu sein, gleichwie sich Maria pries, Jesum geboren zu haben. Da bekam der Sohn eine unheilbare, ecklige Krankheit; langsam starb er dahin. Die Mutier pflegte ihn zärtlich, still, den Tod im Herzen, da ihr Stolz, ihre Hoffnung dahin ging. Die Not jedoch zwang sie, fort auf die Arbeit zu gehen. Nachts dann wachte sie beim Sohne und tröstete ihn, der nicht aus dem schönen Leben gehen wollte. Die Beiden waren in ihrer Armuth verlassen. Die Menschen scheuten sich, in die Nähe des Kranken zu treten. Da kamst Du, Mutter, die selbst eine schwere Bürde zu tragen hatte. Von des Tages Arbeit ermüdet, opfertest Du dennoch Deinen Schlaf und nahmst der unglücklichen, erschöpften Mutter die Pflege des Sohnes ab.

Und als das Ende des Jünglings nahte, als seine Seele sich davor bäumte, den Schritt in das unbekannte Land zu thun und zu scheiden von der schönen Erde, als seine scheidende Seele Bitterkeit ergriff darüber, daß seine Freunde ihn verlassen und er so einsam sterben müsse, da fiel sein Auge auf Dich, die außer der Mutter einzig ihm Gutes erwiesen. Und das ganze Gefühl der Jugend, die noch schlummernde Liebe, sie quollen auf und neigten sich dir zu und er streckte die Arme aus im einzigen mächtigen Verlangen, einmal im Leben einen Menschen liebend zu umfangen. Er küßte dich im Feuer reiner, mächtiger Liebe, den Glanz der überirdischen Welt in den Augen. – Dann drücktest Du ihm die gebrochenen Augen zu und schlossest aufschluchzend die unglückliche Mutter in Deine Arme. –

Verzeihe mir Mutter, daß ich Dich zu wenig geliebt, im Werktag der Seele Dich nicht genug begriffen, nicht stets empfunden habe die Größe des Mutterherzens! –


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