Hugo Marti
Der Kelch
Hugo Marti

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16 Stille Stadt

I.
       

Es ist von jenen stillen Städten eine,
Die in verschneiten, wintergrauen Gassen
Die Schritte leis gedämpft verklingen lassen:

Geschweifte Giebel stehn im Abendscheine,
Wie alte Türen am geschnitzten Schreine
Und leuchten auf, bevor sie ganz erblassen.

Und hinter diesen Mauern leben Frauen,
Denen die Tage sich unendlich dehnen
Und die nun matt geworden sind vom Sehnen:

Die Hände müd im Schoß, vom Träumeschauen
Die Augen groß, so hören sie mit Grauen
Die Stille schwer sich an die Türe lehnen.

 
17 II.
       

Mondenlicht, so leise streifend
Meiner Kammer dunkle Dinge,
Und mit deiner Silberschwinge
Wand und Fliesen hell bereifend –

Wach aus meinen heißen Linnen
Lausch ich, wie die Stunden schreiten
Und aus fernen Dunkelheiten
Stumm ins weiche Licht zerrinnen.

 
18 III.
       

Was Leides mir ein Tag nun bringt
Ist wie ein fernes Glockenschlagen,
Das leis durch meine Nächte klingt,
Vom Winde hergetragen.

Es hallt in meinen tiefsten Traum
Und schattet schleierweich mein Leben,
Wie Frauenhände dunkeln Saum
Um lichten Teppich weben.

 
19 IV.
       

Wenn ich, so zwischen Licht,
In deine Stube träte –

Ich weiß, allabend faltest
Die Hände du, die leeren,
Vom langen Ausgestrecktsein schweren.
O welcher fernsten Öde zu
Schwingt sich der Weg, den im Staube du
Nach meiner Spur gebeugt nicht walltest? –

Und doch, wenn zwischen Licht
In deine Stille ich träte,
Höbe sich dein Gesicht
Aus innigem Gebete
Und sänke suchend nieder
Und staunete und kennte mich doch nicht,
Mich doch nicht wieder.


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