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Am Nachmittag besuchte ich draußen vor der Stadt – wir wohnten damals einige Wochen in Bukarest – den Frühjahrsmarkt, am Rande eines dieser schon halb ländlichen Viertel, wo die kleinen Häuser in wild überwucherten Gärten versteckt lagen und ihre verlumpte Armut nachlässig der grellen Sonne und dem dumpfen Schatten der staubigen Bäume hingaben. Hinter den Schaubuden, deren Trivialitäten gemeineuropäisch waren, dehnten sich weit und unregelmäßig auf dem freien Feld die offenen Schenken aus, schmucklose Holzbuden mit langen Tischen und Bänken, dazwischen festgestampfte Tanzplätze, Glücksspieltische, Bratöfen und Kaffeeherde. Durch die Gassen drängten sich die Bauern und Bürger der Vorstadt; die Zigeuner hockten in Haufen beisammen, bei Geige und Hackbrett; halbnackte Kinder trieben sich in Rudeln mit scheuen, mageren Hunden umher. Ueber all den dunkeln Gesichtern, bunten Flittern, raschen Gebärden und faulen Stellungen brannte groß die späte Nachmittagssonne.
Dort sah ich Tudoritza zum erstenmal. Sie saß mit andern Weibern und einem buckligen Geiger zusammen im kargen Schatten eines 39 Baumes, lehnte sich geruhig auf ihren rechten Ellbogen und blickte gleichgültig in die vorüberströmende Menge. Neben ihr stand ein flacher Korb voll verwelkender, roter Rosen im Gras.
Ich kehrte zweimal durch die Gasse zurück, ging am Baum vorbei, blieb stehen; aber ihre Augen hoben sich nicht auf zu mir, ihre Hände schoben nur langsam das Kopftuch über die schwarzglänzenden Haare nach vorn. Ich fuhr unruhig und verstimmt heim.
Am Abend nun, während ich ziellos durch das Gewühl der Hauptstraße schritt, rasselte an mir vorbei ein Wagen der Pferdebahn, der groß den Namen der Vorstadt trug, an deren Rand der Jahrmarkt abgehalten wurde. Ohne einen Entschluß gefaßt zu haben, merkte ich plötzlich, daß ich aufgesprungen war; ich lachte über mich, beschloß, bei der nächsten Haltestelle wieder abzusteigen, – da stand mir traumhaft klar und voll ernsten Zwangs das Erinnerungsbild der Zigeunerin vor den Augen, und ich erwog, wie von jäher Angst und Unruhe befallen, ob ich sie wohl wiedersehen würde, wenn ich so spät am Abend hinausführe.
Ich sah sie wieder, nachdem ich sie lange gesucht hatte: in den staubigen Gassen zwischen 40 den Schenken, im Gedräng der Gruppen, die um fiedelnde Zigeuner herum standen, auf den Tanzplätzen, wo das dumpfe Klatschen der stampfenden nackten Füße im Gegentakt zur hastenden Musik erscholl. Müde und umsonst war ich um erlöschende Feuer gestrichen, hatte in ihrem schwachen Schein die Gesichter der im Kreise hockenden Weiber und Männer zu lesen versucht. Langsam, um Mitternacht, war ich durch die letzten Buden gegangen, und meine Enttäuschung spottete meiner Ausdauer.
Sie saß am Eingang einer Schenke; der Blumenkorb stand vor ihr. Ich erkannte sie erst nur undeutlich, zögerte, trat ein paar Schritte näher; die Rosen leuchteten aus dem Dunkel.
Sie hob langsam den Kopf und ergriff den Korb. »Rote Rosen«, sagte sie und hielt die Blumen mir entgegen.
Ich wählte einige aus und legte ihr ein größeres Geldstück in die Hand. Sie zuckte die Achseln, lachte kurz und holte eine Handvoll kleiner Münze aus der Tasche. »Laß nur«, sagte ich rasch, »die Rosen sind das Geld wohl wert. Wie schön sie sind.«
Ihr braunes Gesicht wurde plötzlich straff und ihre dunkeln Augen funkelten wie die eines 41 spähenden Tiers. Ich sah, daß ihre Oberlippe die schimmernden Zähne nicht deckte. Die Wangen waren sehr schmal, über die Haut war viel Sonne, Wind und Regen gegangen. Ich dachte an einen jungen, biegsamen Baum.
Sie ordnete die Blumen im Korb mit ihren braunen, sehr schlanken Fingern, die keinen Ring trugen, und sah dann wieder zu mir empor. Ich sagte: »Die Rosen sind schön, aber du bist schöner als sie.«
Sie lächelte, fast gleichgültig, ein wenig erstaunt. Dann sprach sie rasch: »Wär ich noch jung –.« Ich blickte ihr ungläubig in die reglosen Augen. Sie nickte langsam.
Wir sprachen, beide in leichter Verlegenheit, vom Jahrmarkt, wie lange er noch dauern sollte, ob sie hier immer Blumen verkaufe, daß die Rosen teurer geworden seien und die andern Zigeunerinnen es besser verstünden, sie den Herren anzupreisen.
Ich hörte ihren Worten unaufmerksam zu, verstand auch einige Ausdrücke ihrer raschen Sprache nicht gut und schob gleichgültige Bemerkungen und Fragen hinzu. Ich sah ihr hell erhobenes Gesicht, ihre spielenden Finger, 42 und hörte plötzlich, daß ich deutlich und ruhig sagte: »Komm mit mir.«
Sie warf einen raschen und scharfen Blick rund umher, vom Eingang der Schenke bis ins tiefe Dunkel unter den Bäumen, und fragte dann leise: »Wohin?«
Ich stieß undeutlich den Kopf nach der Seite hin, wo getanzt wurde und von wo Musik abgebrochen herüberklang. »Trinken wir zusammen ein Glas«, schlug ich vor. »Hast du nicht Durst?«
»Durst und Hunger«, sagte sie rasch.
»Also komm. Magst du?«
Sie senkte den Kopf, spielte mit den Rosen im Korb. Nach einer Weile sagte sie, ohne mich anzusehen: »Man kennt mich dort drüben.«
Ich lachte. »Was kümmert es uns? Wenn es dir Freude macht.«
»Und was denken die Menschen dort von dir?«, sagte sie und blickte mich scharf an. »Die Herren sitzen nicht mit den Zigeunern an einem Tisch.«
»Komm«, wiederholte ich ungeduldig. »Willst du?«
Sie sah mich nochmals an, spähte lange nach einer Richtung hin in die Nacht hinaus und 43 flüsterte dann rasch: »Ich will. Warte beim großen Zirkus auf mich.«
Ich verließ sie, schritt zu den Buden hinüber. Hier war es stiller geworden. Die Menge war nach der Stadt zurückgeflutet oder hockte in den Schenken beisammen.
Ich stand im Dunkel neben dem großen Zirkuszelt und blickte in die Gasse hinaus, durch die ich gekommen war. Ich wartete; jede Gestalt, die im Schatten undeutlich sich regte, verfolgte ich mit schärfer spähenden Augen.
Es raschelte leise hinter mir im Gras; ich fuhr herum.
»Und nun?«, fragte sie. Ihre Zähne blitzten hell aus dem webenden Dunkel. Sie trat auf die Straße. Den Blumenkorb trug sie leicht auf der linken Schulter und stützte ihn mit ihrer Hand. Sie war größer, als ich gedacht hatte, und ging leise wiegend auf ihren nackten Sohlen.
Wir schritten nebeneinander her, hinter den bleich ragenden Rückwänden der Schaubuden.
»Wo gehn wir hin?«, fragte ich sie. »Du kennst dich hier besser aus als ich.« Ich zündete mir eine Zigarette an. Sie blieb vor mir stehen, zuckte mit der freien Schulter und griff gierig zu, als ich ihr die Dose spielend bot. Sie steckte 44 ihre Zigarette an der meinen an und packte mich dabei am Handgelenk; ich fühlte, fast erschreckend, ihre kühlen und etwas rissigen Finger an meinem Puls und dachte an die dornigen Blumen, die sie täglich in der Morgenfrische band.
Sie blies den Rauch langsam von sich. »Ich sage dir, daß mich dort alle kennen; es geht nicht.« Sie senkte den Kopf, als ich spöttisch lachte. Jähe Scham stieg verwirrend in mir auf. Ich ergriff ihre freie Hand am schmalen Knöchel, als wollte ich um Verzeihung für mein Lachen bitten. Sie wand ihren Arm langsam in meinem Griff hin und her und murmelte: »Schwach, schwach –!«
Mich durchfuhr wie ein Schlag der Gedanke: dieses Weib war kein Mädchen, es war eine Frau, die Kindern das Leben gegeben hatte, eine Mutter. Ich ließ ihre Hand fahren und sah in ihre großen, weitoffenen Augen.
»Bist du nun erzürnt«, fragte sie langsam, »weil ich nicht mit dir in der Schenke sitzen will? Wüßtest du, wie sehr mich dürstet! Und Hunger – du würdest mir sicher ein Stück Fleisch oder einen gebratenen Fisch geben lassen. Ich würde etwas nach Hause tragen, für morgen.«
45 Ich sprach rasch: »Morgen komme ich wieder. Dann gehen wir anderswohin, wo dich kein Mensch kennt. Willst du?«
Sie nahm den Blumenkorb von der Schulter und sagte leise: »Ich muß Rosen verkaufen.«
»Die bezahl ich dir alle«, lachte ich. »Das soll uns die Freude nicht verderben.«
Sie schüttelte den Kopf. »Wenn mein Mann es erfährt, schlägt er mich.«
Ich fühlte es heiß in mir aufsteigen: Scham, Wut, Leidenschaft. Ich bog meinen rechten Arm um ihre Hüften und zog sie an mich. Sie ließ es geschehen und wandte nur das Gesicht von mir weg.
»Dein Mann – dein Mann –«, stammelte ich. »Warum sprichst du von ihm?«
Sie sah mich an, fragend, staunend, wie ein Kind, das nicht begreift, warum man es schilt. Sie sprach: »Um ein Uhr wartet er bei der Schenke auf mich.«
Wir gingen auf und ab, immer hinter den Buden und Baracken. Sie spähte unablässig nach allen Seiten, wandte manchmal, wenn ein Geräusch sie erschreckte, plötzlich den Kopf, beugte ihn vor und zog die Stirne in Falten. Dann lachte sie wieder gegen mich und schritt 46 in meinem Arme weiter. Sie steckte sich eine zweite Zigarette an und stieß den Rauch schnaubend durch die Nase. Ich lächelte.
»Bist du mir böse?«, fragte sie jäh und blieb stehen. Sie drängte langsam ihren Leib an mich, ich nahm ihren Kopf in beide Hände, bog ihn zurück, daß das Tuch von den glänzenden Haaren in den Nacken glitt, und küßte ihre kühlen Lippen.
Sie sagte leise: »Ich danke dir« und war in der Dunkelheit verschwunden. Ich hörte kaum ihren enteilenden Schritt.
Damals schlug wie eine unbemerkt herangerollte Flutwelle das große Erstaunen über mich herein: diese Stunde, so nah sie im Verborgenen mit meiner Vergangenheit verknüpft sein mochte, riß mich herauf auf eine Höhe, von der aus ich, wie von Schwindel erfaßt, die seltsamen Windungen und den scheinbar so eigensinnigen Verlauf eines Lebensweges erblickte, der mir im gleichen Maße fremd und vertraut, mein eigener und zugleich ein andrer war.
Der folgende Tag war ein Traum, dumpf und voll aufbrechender und wieder erstickter Melodien. Dachte ich an die Zigeunerin, so 47 fragte ich mich, wie sie wohl mit dem Erlebnis fertig geworden sei; lachte mich aber sofort wieder aus ob dieser törichten Sorge. Ich versicherte meiner Eigenliebe, daß die vergangene Nacht für die braune, schlanke Frau nicht das erste Abenteuer dieser Art gewesen sei; und so weh es tat: ich bildete mir zeitweise ein, dieser Versicherung selber kühl und ehrlich zu glauben.
Als aber die sengende Frühsommersonne dem langen, hellen Abend gewichen war, hielt mich das Haus nicht mehr zurück. Der Lärm und das Gewirr des Jahrmarktes gab meiner innern Unruhe den nötigen Gegendruck von außen, der sie leichter tragen ließ. Ich hielt mich, ziellos umherstreifend, in der wogenden Menge auf und gab mich der uneingestandenen Erwartung hin, die Zigeunerin plötzlich und scheinbar zufällig unter den hundert fremden Gesichtern wiederzusehen. Und als es spät wurde, packte es mich wie würgende Angst; ich rannte hinter den Buden durch nach der großen Schenke hinüber.
Sie hatte auf mich gewartet. Ich sah es an dem leisen Lachen, das über ihr starres, braunes Gesicht lief, in dem nur die Augen lebten. »Ich 48 dachte, du kommest nicht wieder«, sagte sie furchtsam.
Ich lachte sie aus, sie aber fuhr ernsthaft fort: »Schöne Worte geben mir manche, es ist doch alles gelogen. Du bist nicht so.«
»Woher weißt du das?«, fragte ich mit täppischem Spott.
»Ich liebe dich«, sagte sie ganz leise und beugte tief den Kopf. Plötzlich hob sie ihn, sah mich an und lachte mit ihren weißen Zähnen.
»Komm, komm«, drängte ich.
»Und die Blumen?«, fragte sie und wies mir den Korb; er war noch zur Hälfte voll. »Bis morgen sind diese da welk, und ich habe noch kein Geld, neue zu kaufen.«
»Ich kaufe alle zusammen«, prahlte ich und warf, was ich an Geldstücken in der Tasche fand, in den Korb. Sie zählte die Münzen, sah mich groß an und sagte zaudernd: »Soviel – sind sie gar nicht wert.«
Als ich gleichgültig den Rücken drehte, blieb sie stille stehen, und als ich sie wieder anblickte, war ihr Gesicht ängstlich und gespannt.
»Was willst du dafür?«, fragte sie scheu.
»Eine rote Rose – und wissen, wie du heißt. Komm, sag es mir.«
49 Sie folgte mir langsam. Sie trug den Korb unter dem Arm; leicht stützte sie ihn auf ihre schmale Hüfte. Als ich im Dunkel hinter den Schenken stehen blieb, trat sie neben mich und blickte mich fragend an.
»Also, zuerst die Rose«, scherzte ich.
Sie senkte den Kopf, legte plötzlich ihre Hand auf meine Schulter und die Stirn neben ihre Finger und verharrte so.
»Was ist dir?«, fragte ich nach einer Weile. Mir war, als zucke ihr Leib.
Sie flüsterte: »Auch weiße Rosen habe ich und möchte sie dir geben, Nächte lang. Aber ich kann nicht, ich kann nicht.« Sie schüttelte heftig den Kopf.
Ich strich ihr über das Haar. Sie hob die Stirn: »Du bist gut zu mir.«
Dann gingen wir wieder im Dunkel auf und ab, sie lachte, nannte mir ihren Namen, sagte, daß sie ihn auch schreiben könne, und fragte mich, wie ich heiße. »Wie?« staunte sie. »Den Namen hörte ich nie. Du bist von ferneher.«
»Ja, von ferneher.« Ich erzählte von meiner Heimat, von Berg und Schnee. Sie lauschte, die Lippen halbgeöffnet, und sagte dann: »Ich liebe die Sonne.«
50 Sie lachte zeitweilig, spähte manchmal plötzlich scharf nach den Lichtern hinüber, legte mir rasch und heftig ihre Hand auf den Arm und hielt mich zurück. Als eine dunkle Gestalt langsam über die Straße ging, drückte sie sich eng zwischen mich und die Bretterwand; ich fühlte, wie sie zitterte.
»Du hast Angst?«, fragte ich. Sie nickte langsam mit dem Kopf. »Vor deinem Mann?«, spöttelte ich. Rasch zischte sie: »Sprich nicht von ihm. Er würde dich und mich schlagen, träfe er uns. Er kann uns töten.«
Ich biß mir in die Lippen. Ich wäre am liebsten, ohne nach rechts und links zu blicken, neben dieser Zigeunerin in eine der Schenken hinüber geschritten; hätte mich hingesetzt und einem Geiger gewinkt, uns aufzuspielen; hätten alle uns sehen mögen!
»Was treibt er denn, dein Mann?«, fragte ich nebenhin.
»Er spielt in den Schenken die Geige.«
»Hier draußen auf dem Jahrmarkt?«
»Manchmal, ja, und in der Vorstadt. An den Samstagen geht er in die Stadt, dann kommt er erst am nächsten Morgen wieder.«
»Und er schlägt dich, sagst du?«
51 »Manchmal, aber nicht so oft.« Sie hob den Kopf zu mir empor und lächelte.
»Wie sieht er aus? Ist er schön?« Nun sagt sie mir, daß sie ihn verabscheue, – hoffte ich.
»Ja, er ist schön«, flüsterte sie und sah von mir weg zur dunkeln Erde. Ich fühlte, daß sie log. Neben ihr mußte er häßlich erscheinen, vielleicht war er klein, vielleicht hatte er eine aufgestülpte Nase, vielleicht sogar einen Buckel und sah aus wie der Kerl, bei dem Tudoritza gesessen hatte, als ich sie zum erstenmal unter dem Baume sah. Ich richtete mich hoch in meinen Schultern auf, legte den Arm um sie und spottete: »Komm, gehen wir deinen Mann suchen; du mußt mir ihn zeigen, er soll uns aufspielen!«
»Weh«, kreischte sie leise und entwand sich flink meinem Arm. »Was redest du?« Sie lachte.
»Warum lachst du immer?«, fragte ich und zog ihr Gesicht näher. Augen und Zähne schimmerten matt aus der Dunkelheit.
»Hat meine Mutter nicht gelacht, da sie mich auf die Erde warf? Das bleibt mir nun so durchs ganze Leben.«
»Und deine Kinder, sind sie hübsch?«
52 Gleichmütig sprach sie: »Wie ich sie machen konnte, so sind sie. Du solltest sie sehen!«
»Ich möchte wohl«, sagte ich.
Wir schwiegen. Unsere Wünsche begegneten sich auf Umwegen, standen weit draußen im Unbekannten und fürchteten sich.
Wir gingen auseinander, jedes in die dunkle Nacht. Als sie mir mit der Hand winkte, glomm ihre Zigarette lustig auf. Es war zwei Stunden nach Mitternacht. Wenn sie nur die Blumen aus dem Korb schüttet oder das Geld versteckt, dachte ich bei mir; ich sah, wie ihr Mann sie mißtrauisch ausfragte. Da lachte ich laut in die Nacht hinaus. Die rote Rose in meiner Hand duftete stark. Morgenfrische lag schon in der Luft, als ich zwischen den schlafenden Gärten hindurch den weiten Weg nach Hause ging.
53 Die Tage in ihrer dumpfen, unbarmherzigen Schwüle waren nur matte, halbverträumte Ruhepausen zwischen den kurzen, aufflackernden Stunden der Nacht. Ich gab mich dem Abenteuer hin, ohne es durch meine Wünsche lenken zu wollen, und begnügte mich mit dem, was es mir schenkte: das Versteckt-Geheimnisvolle unserer Zusammenkünfte, das Geplauder und die jähe Angst der braunen Frau und ihren kühlen Mund mit den halboffenen Lippen und den blitzenden Zähnen.
»Weißt du noch, wie ich heiße?« fragte ich sie. Mit hochgezogenen Brauen sann sie nach, sah mich traurig aus ihrem gesenkten Gesicht herauf an und sagte leise: »Ich habs vergessen. Nein, ich konnte es nicht behalten. Aber was tuts! Hast du mich lieb?« Ich nahm ihren Kopf in beide Hände. »Mir ist manchmal so angst«, flüsterte sie und entwand sich mir.
Ich bemerkte, daß sie andere, weniger grelle Jacken trug und über dem Kopf ein schwarzes Tuch; dieses streifte ich ihr wohl manchmal herab, um ihre gelockten, über dem Nacken lose zusammengebundenen Haare schimmern zu sehen. Ihr Gesicht war ruhig und schmal und 54 behielt auch in der Nacht die dunkle Glut der Sonne auf der Haut wie eine reife Frucht.
Einmal als ich ihr sagte, wie schön sie sei, lachte sie nach ihrer Art leise auf und grub ihr Gesicht tief in die Rosen, die noch im Korbe lagen. Feucht und voll starken Duftes hob sie es dann und sagte, ohne Wehmut: »Du hättest mich früher sehen sollen! O wie hättest du mich geliebt!«Die Worte schmerzten mich und gingen mir tagelang nicht mehr aus dem Sinn.
Sie sah mich nun oft lange an, wenn ich still neben ihr her ging, aber sie fragte mich nie, warum ich schweige und ob ich traurig sei. Von ihrem Mann sprach sie auch nicht mehr. Da geschah es einmal, daß sie, ehe sie von mir weg in die Dunkelheit sprang, mir hastig ins Ohr flüsterte: »Morgen, da spielt er die ganze Nacht in der Stadt drinnen; komm, ich werde bei der letzten Schenke auf dich warten.« Ich sah sie groß an, ihre Augen brannten, so heftig redete ihr Gesicht selten. »So werde ichs machen,« fuhr sie fort und lachte, »ich werde ihm sagen, daß ich am Morgen in den Hallen keine Blumen mehr habe kaufen können. Er wird mir glauben. Komm schon früh am Abend«, bettelte sie und nahm meine Hand und grub 55 ihre Zähne darein. »Oder willst du nicht?«, fragte sie plötzlich ängstlich.
»Ich will«, sagte ich langsam und erschrak, als ich mich selber sprechen hörte.
Sie glitt ins Dunkel; als ich nach einer Weile wegschritt, stieß mein Fuß an etwas Weiches, Raschelndes, Ich bückte mich. Es waren Rosen, die sie achtlos aus ihrem Korb hatte fallen lassen, viele rote, feuchte Rosen.
Am nächsten Abend fuhr ich zum Jahrmarkt hinaus, – warum sollte ich nicht? Hatte ich ihr nicht versprochen, zu kommen? Ich kaufte einen schmalen silbernen Ring und von den besten Zigaretten; sie hatte mich um beides gebeten.
Als ich, noch in der Stadt, über einen der belebtesten Plätze fuhr, schien es mir plötzlich, ich sehe in der Menge ihre schmale Gestalt um eine Ecke biegen und verschwinden. Deutlich und genau erkannte ich den flachen Korb auf der Schulter, von der linken Hand leicht gehalten. Aber den trugen ja alle die vielen Blumenweiber, die abends durch die Straßen zogen. Aus einer Gartenschenke klang Geigenmusik; hier hinein mußte die Frau verschwunden sein, ich sah sie nirgends mehr auf der Straße. 56 Volk strömte durch das enge Tor ein und aus. Ich konnte nichts erkennen. Ich fuhr weiter. Zigeunerinnen glichen sich in Gang und Haltung; hundertmal hatte ich das beobachtet.
Auf dem Jahrmarkt streifte ich erst zwischen den Buden umher, sah da und dort längere Zeit zu und ging endlich zu den Schenken hinüber. Die Stelle, wo Tudoritza sonst saß und auf mich wartete, war leer und starrte mich fremd und seltsam an: wie das hilflose, verlegene Lächeln eines Menschen, dem etwas Gewohntes und Liebes fehlt. Ich ging weiter, bis dort hinaus, wo die armseligen letzten Schenken standen und wo nur selten ein Dudelsack oder ein verstimmtes Hackbrett klang. Wenige Männer und Frauen saßen an den langen Tischen; ich ging im Schatten und spähte scharf vor mich her. Ich ging ein Stück weit ins dunkle Feld hinaus und dachte, nun müsse sie aus der Nacht an mich springen wie ein behendes Tier. Ich ging durch die stille Gasse zurück und blickte unter die herniederhangenden Holzdächer, in den fahlen Schein der schwanken Laternenlichter, auf die paar müden Menschen. Ich ging wie im Taumel dreimal auf meinen eigenen Spuren um die letzte Schenke herum, blieb 57 stehen und umklammerte mit meinen Blicken die Schattengestalten, die aus der Ferne undeutlich herankamen und undeutlich ins Dunkel zurücksanken.
Die Zigeunerin sah ich nicht an diesem Abend. Müde schob ich alles Nachdenken von mir weg, als ich nach Hause fuhr; doch schon fürchtete ich, daß ich am nächsten Morgen mich selber könnte zur Klarheit zwingen wollen.
In der Stadt packte mich die Lust, in den Garten zu treten, wo ich abends die Frau mit dem flachen Korb auf der Schulter hatte hineingleiten sehen. Ich stieg aus dem Wagen, ging langsam auf das Tor zu und dann, gleichgültig und wie zufällig hineinblickend, daran vorbei. Ich hatte nicht den Mut einzutreten; ich fürchtete, sie drinnen zu finden. Die Frau am Abend hatte ihr doch sehr ähnlich gesehen: derselbe wiegende Gang, den Kopf gleich zur Seite geneigt, den Arm ebenso leicht zum flachen Korb emporgebogen. Eine unbarmherzige Traurigkeit kam über mich; da fühlte ich erst, daß ich die fremde, dunkle Frau liebte.
Als mir der Morgen mein schlaffes Gesicht im Spiegel zeigte, schnitt ich mir eine verächtliche Grimasse . . . »Natürlich hat sie dich 58 betrogen, Narr!« sprach ich laut zu mir. Es schmerzte nicht einmal so sehr. Ich konnte das Wort wiederholen, konnte sogar dabei lachen.
Abends schloß ich mich in meinem Zimmer ein, versuchte zu lesen. Ich warf das Buch hin und ging auf und ab. Die Luft war dumpf, durch die offenen Fenster stieß die warme Sommernacht herein, die Bäume standen dunkel und reglos, als lauschten sie tief. Langsam, langsam schritt die Nacht ums Haus. Sah ich hinaus, so schien sie scheu zurückzuweichen; sie hatte kein Wort für mich, nur Stille. Und einmal zitterte es wie Weinen von ferneher.
Träge rann der nächste Tag vorüber, zögernd glitt die Sonne über den weißen Häusern und staubig grauen Bäumen hinab, die Dämmerung zauderte und stand in langem Gespräch mit dem letzten Tagesschein, ehe sie in die dumpfen, glutausströmenden Gassen der Stadt schritt.
Da fuhr ich hinaus. Ich hatte mir meine Worte zurecht gelegt, ich wollte ihr sagen, daß ich gestern nicht hätte kommen können; es schien mir leichter, die Lüge auf mich zu nehmen, als sie von ihr zu hören.
Aber ich sah Tudoritza nicht. Ich strich durch alle Winkel des Jahrmarktes, ich trat 59 an die glimmernden Feuer, wo die Zigeuner hockten und Maiskörner rösteten. Mir war, als sollte ich jemand nach ihr fragen; alle kannten sie wohl. Ich wagte es nicht. Gehetzt und voller Unruhe kehrte ich heim; nun war es noch schlimmer geworden.
Solcher Abende folgten viele. Regenwetter setzte ein, es dunkelte früher; da fand ich mich allein auf den öden Plätzen des Jahrmarktes, in den kotigen, zerstampften Gassen zwischen den leeren Schenken. Die Lichter waren erloschen, die Leute schliefen, die Hunde schlichen hungrig umher und knurrten scheu mich an. Ich suchte nach der Frau, die rote Rosen verkaufte, und ich sah verzweifelt ein, wie lächerlich das war. Ein Schutzmann musterte mich lange; hielt er mich für einen Dieb? So weit war es gekommen. Ich biß mir in die Lippe und schämte mich. Es war mir zur hoffnungslosen Gewohnheit geworden, die Abende im Gewühl des Jahrmarktes zuzubringen; und war ich einmal draußen, so ging ich mit Sorgfalt an den lauten Fröhlichkeiten und Zerstreuungen vorüber und hockte in einer Kaffeebude oder Schnapsschenke, bis ich müde genug war, um stumpf und gedankenlos den weiten Weg nach Hause zu 60 wandern. Endlich vergaß ich sogar, nach ihr auszuspähen, sie zu suchen, und wenn ich an den Abenden hinausfuhr, war es ganz ohne Hoffnung, ganz ohne Ziel.
61 In einer solchen Stunde, als ich am Eingang der Gasse nicht weit von der großen Schenke saß, klang aus dem Lärm und Lachen plötzlich ein hastiger, halblauter Ruf: »Rote Rosen – wer kauft rote Rosen?« Ich fuhr herum, jäh sprang die lang ermattete Erregung in mir auf. »Rote Rosen«, klang es nochmals, ganz nahe, fast geflüstert. Tudoritza stand im Dunkel zwischen zwei Buden, sah mich aus ihren großen Augen an und legte langsam den Finger auf die Lippen.
Ich trat zu ihr, wollte sprechen und griff dann nach den Rosen in ihrem Korb, den sie mir rasch zum Auslesen hinbot. »Was ist mit dir?«, flüsterte ich. »Weshalb kamst du nie mehr? Jetzt rufst du mir, als sei nichts geschehen.«
Ich blickte flüchtig in ihr Antlitz, das starr blieb und nichts verriet. Ihre Lippen bewegten sich leise, nach einer Weile, und sprachen: »Warte dort drüben auf mich, bei den Schenken, – wenn du magst. Ich komme gleich.«
Unterdessen hatte ich eine Rose aus dem Korb gehoben; sie sagte laut: »Zwei Bani kostet sie«, und hielt mir die hohle Hand hin.
Verwirrt griff ich in die Tasche und bot ihr ein Geldstück; sie nahm es, holte eine Handvoll 62 Münzen hervor und zahlte mir mit lauter Stimme zurück. Als ich sie voll Erstaunen anblickte, sah ich, wie ihre Augen scharf und angstvoll umherspähten. »Geh«, flüsterte sie; ich schritt hinweg.
Nicht lange stand ich bei den Schenken, als ich sie schon herankommen sah. Sie war schlank, erschien mir schön wie früher, aber sie lachte nicht, wie sie es sonst getan, wenn wir miteinander vom Markte weg in die dunkle Nacht gegangen waren.
»Wollen wir etwas trinken?«, fragte sie laut.
»Ja, wenn du magst –«, antwortete ich. Mein Erstaunen wuchs; sie hatte ihre Angst verloren, ihre vorsichtig lauschende und spähende Art. Und doch sah sie unruhig mehrmals zurück, blieb stehen, ging rasch wieder weiter und zog mich in Kreuz- und Quergassen herum. »Ich kenne eine Schenke«, sagte sie nebenhin.
»Aber dein Mann?«, fragte ich plump und blieb stehen.
Sie zuckte die Achseln. Und dann, mit gesenktem Kopf, leise: »Er hat mich verlassen. Er ist weggegangen.«
Schweigend schritten wir weiter.
63 »Komm«, schlug ich vor, »gehen wir erst noch ein wenig in die Nacht hinaus, unter die Bäume, wo wir allein sind. Dort sollst du mir sagen, was geschehen ist.«
Sie folgte mir ein paar Schritte. Dann stand sie wieder still. »Ich kann es dir nicht sagen. Hast du mich nicht mehr lieb?« Sie blickte mich groß und fragend an, zum erstenmal wieder. Ich küßte sie.
»Warum weinst du? Willst du nicht sprechen?« Sie schüttelte den Kopf und legte ihn eng an meine Schulter. Sie bebte und schluchzte. Menschen gingen vorbei und gafften uns an. »Komm, wir können hier nicht stehen bleiben«, mahnte ich leise. Sie richtete sich langsam auf und ging still neben mir her, den Weg nach den Schenken zurück.
Ein kleiner, buckliger Kerl in einem schäbigen Frack mit schmutzigem Hemd und farbiger Halsbinde trat auf uns zu, blieb zwei Schritte vor uns stehen und lächelte. »Mein Bruder«, sagte sie leise und wandte sich weg. Sofort erinnerte ich mich, daß er mir schon damals aufgefallen war, als ich die Zigeunerin zum erstenmal gesehen hatte, an jenem Nachmittag unter dem Baum im Gras.
64 Er zog seine Mütze vom Kopf, machte ein paar Verbeugungen und sprang eifrig herzu, als ich ihm die Hand bot. »Freut mich sehr, gnädiger Herr«, sprach er rasch und lächelte. »Ist mir eine große Ehre. Meine Schwester hat mir von Ihnen erzählt.« Er rieb sich die Hände heftig, seine Gelenke knackten. Er hatte lange, kalte, knochige Finger.
»Du spielst wohl Geige?«, fragte ich. Er nickte erfreut. »Ciulac ist mein Name, Niculaie Ciulac, wenn Sie erlauben. Kennt mich jeder hier draußen, viele drinnen in der Stadt.« Er zog wieder die Mütze von den dichten, schwarzen Haarsträhnen, die ihm über die Stirne und hinter den Ohren bis auf die hochgezogenen, breiten Schultern hingen. Er trat an meine linke Seite, während Tudoritza zurückblieb.
»Dem gnädigen Herrn gefällt das Leben hier draußen bei uns«, lächelte er. »Erlauben Sie!«, und er wies mit seinen langen Fingern auf die kleine Schenke.
»Trinken wir ein Glas«, sagte ich und trat unter das Holzdach. Der Wirt lief herbei und wischte mit Schürze und Aermel über Bank und Tisch. Der Bucklige winkte der Zigeunerin und flüsterte ihr etwas zu. Sie zuckte die 65 Schultern, wandte den Kopf weg und folgte ihm langsam. Sie setzte sich mir gegenüber an den Tisch und versuchte zu lachen. Ich sagte: »Es freut mich, deinen Bruder kennenzulernen, Tudoritza.« Ich nickte ihr zu. Sie sah mich angstvoll an und schwieg.
Der Wirt trug eifrig Schnaps und Wein herbei. Wir tranken. Ich ließ Fleisch braten. Hungrig und mit Lust begann Tudoritza zu speisen. Sie wurde fröhlicher, als sie sah, daß ich mit dem Zigeuner zu spassen anhub; sie lachte ausgelassen, und ich fühlte, während ich mit Ciulac sprach, den Blick ihrer warmen, großen Augen auf mir.
»Spiel auf!«, unterbrach sie jäh unser Gespräch. Der Zigeuner blickte mich fragend an: »Wenn der gnädige Herr es wünscht?«
Ich nickte ihm zu. Er lief zum Wirt und kam mit einer Geige zurück. Er hatte sie also dort bereit gelegt. Ich schob diese neue Beobachtung zu den andern eigentümlichen Zeichen des Abends und bestätigte mir kalt und ruhig, daß mein Abenteuer in einen neuen Zustand eingetreten sei. Ich fühlte mich einem Plan gegenüber, den ich noch nicht durchschaute, da ich meine Gegenspieler und ihr Verhältnis 66 zueinander nicht klar erkannte und auch nicht wußte, welche Rolle Tudoritza spielte. Eines stand fest: sie spielte schlecht. Der Bucklige gab ihr Winke, sie beachtete sie nicht. Ich lächelte leise zu dem Spiel. Der Kerl machte mir Vergnügen.
Nun begann er seine Geige zu streichen. Seine langen Finger strichen die Saiten gut, sein Bogen hüpfte, wenn er die hastigen, wilden Tänze spielte, und glitt dann wieder flach und wiegend, wenn er dazu ein Lied sang. Dabei legte er den Kopf auf den Buckel zurück und ließ mich nicht aus den Augen, und wenn er den Bogen nach dem letzten Strich von den Saiten hob, zog er die Mütze und sagte grüßend: »Der gnädige Herr lebe hoch!«
Tudoritza lauschte, und ihr Leib wiegte sich manchmal leis im Takt der Tänze. Ich nickte ihr zu: »Tanz doch!« Sie schüttelte den Kopf und sah nach dem Buckligen hinüber. Dieser zuckte mit der Schulter, dann sagte er rasch: »Ein andermal, wenn es der gnädige Herr wünscht.«
»Also morgen«, bestimmte ich. Tudoritzas Augen leuchteten auf. Ich hieß den Buckligen wieder spielen, ließ neuen Wein bringen. So saßen wir lange beisammen.
67 Als ich aufbrach, begleiteten beide mich bis zur Vorstadt. Dort verließen sie mich. »Meine Schwester wohnt bei mir, seit ihr Mann weggegangen ist«, erklärte Ciulac, ohne daß ich ihn danach gefragt hatte. Ich hörte, wie er heftig auf sie einsprach, als sie beide im Dunkel verschwanden. Tudoritza hatte mir die Hand gegeben, ohne mich anzublicken, und sie mir flüchtig wieder entzogen.
Eine ganze Bande Zigeuner empfing mich am nächsten Abend, als ich, ziemlich spät schon, in die kleine Schenke trat, die der Wirt mit drei farbigen Papierlaternen geschmückt hatte. Die Männer grüßten mich laut, große, hagere Kerle, in zerlumpten Kleidern, mit langausgestrichenen Schnurrbärten in den dunkeln Gesichtern. Der Bucklige trat aus ihrem Kreis hervor und machte seine Verbeugungen. Die Weiber saßen an der Wand, einige mit Säuglingen im Arm, und schauten mich aus erstaunten Augen an. Unter ihnen erblickte ich Tudoritza; sie beobachtete mich lächelnd und befangen, dann trat auch sie zu mir und bot mir die Hand. Sie schritt stolz zu den Schwestern zurück, welche sie von der Seite her neugierig maßen.
68 Nachdem ich Schnaps hatte bringen lassen, griffen die Musikanten zu ihren Geigen und Hackbrettern und spielten mir auf. Da hielt es die Weiber nicht lang auf den Bänken; sie sprangen auf, legten die Kinder behutsam nieder und traten in den Kreis, der zwischen den Tischen freigelassen war. Sie faßten sich mit verschränkten Armen bei den Schultern, wiegten sich eine Weile hin und her und sprangen dann in den Reigen.
Ihre nackten Füße klatschten auf dem festgestampften Boden; langsam, in schleifenden Bewegungen, drehte sich der Kreis. Ihre Leiber wiegten sich weich in den Hüften, ihre Köpfe, dunkelbraun unter den gelben und roten Tüchern, warfen sie lachend weit in den Nacken zurück, daß die bunten Jacken sich eng über den Brüsten spannten. Wild und wilder strich der Bucklige seine Geige und trieb die andern Musikanten an, rascher stampften die Füße, enger drängten die Schultern zueinander hin, die Kopftücher glitten von den schwarzen Haaren, und die Zöpfe, mit roten Bändern im Geflecht, flogen durch die Luft wie schnellende Schlänglein. Glühend wirbelten die zirpenden Klänge über dem wogenden Kreis der Tanzenden, 69 flirrend wie die Sommersonne über dem Aehrenfeld, das ein heißer Atem bewegt.
Da erhob Tudoritza ihre Stimme und sang. Und alle fielen ein, sangen die Zigeunerhora mit, aber ihre einzelne Stimme klang trotzig und übermütig aus den andern heraus:
»Brenn mich doch und röste mich
Und auf Kohlen binde mich!
Magst du mich aufs Feuer tragen,
Will dir nicht den Liebsten sagen.
Magst du mich am Spieße braten,
Will den Liebsten nicht verraten.
Schlägst mir mit der Weidenrute
Brust und Augen, daß ich blute,
Will ich doch zum Pförtlein schleichen
Andern meine Lippen reichen.
Wirbst du auch mit Zaunpfahlhieben,
Werd ich doch den andern lieben.
Also will es halt mein Sinn, –
Trag ich Schuld, daß ich so bin?
Trauben wollen im Sommer blühn;
Wenn sie dann im Herbstlaub glühn,
Kommt den Amseln das Gelüste.
Gestern bin ich erst erblüht,
Noch nicht reif sind meine Brüste,
Doch von Feuer arg durchglüht.«
70 Mit einem jähen, schrillen Strich riß der Bucklige die Geige vom Kinn herunter. Tudoritza hatte die letzten Worte mit geller Stimme herausgesungen und so wild die Tänzerinnen nach sich gerissen, daß sie in tollem Wirbel herumstoben und alle kreischten und lachten. Nun hielten sie plötzlich inne, lösten die verschlungenen Arme und sahen zum Geiger hin, der ärgerlich sein Schnapsglas von sich stieß.
»Er liebt es nicht, wenn wir dieses Lied singen«, spottete ein Bursche und zuckte die Achseln. Ein altes Weib, das mit verschränkten Armen an der Wand gestanden und zugeschaut hatte, murmelte aus ihrem zahnlosen Mund: »Wenn du das Lied nicht hören magst, Niculaie, so bist du kein rechter Zigeuner und deine Mutter hat dich in einer bösen Stunde auf diese Erde geworfen!« Der Bucklige grinste dumm zu mir herüber: »Glaubt ihr etwa, euer Gebrüll erfreue den gnädigen Herrn? Nun laßt mich etwas spielen, das soll ihm besser gefallen.«
Die Zigeuner hockten rund um mich her, Tudoritza stand bei den Weibern und blickte aus ihren großen Augen unverwandt auf mich, ihr Atem ging heftig, sie hatte die Hände auf die Brüste gelegt. Der Geiger begann eine 71 süßliche Weise zu spielen und verschnörkelte sie ausgiebig, bis ich mit der Faust auf den Tisch schlug und rief: »Tanzen! Wir wollen tanzen!«
Lachend sprangen die Burschen auf und führten die Weiber in den Kreis, der Bucklige nickte und sagte: »Gut, wie der gnädige Herr befiehlt.«
Mich packte jauchzende Wut, ich trat zu Tudoritza, legte meinen Arm um ihre Hüften und zog sie zu den andern. Sie sträubte sich, zerrte mit den Fingern an meiner Hand und flüsterte: »Weh, nicht so!« Ich lachte, und auch ihre Lippen ließen lachend die weißen Zähne sehen.
Wir tanzten, lange, lange, und wenn die Geige lässiger werden wollte, schrie ich dem Buckligen zu: »Heißa, willst du schlafen? Noch ists zu früh!« Wir stampften die Erde und warfen unsere Körper weit zurück, wir schlossen uns eng zusammen und wichen wieder voneinander, und ich fühlte Tudoritzas sehnigen Arm sich hart und warm in den meinen schmiegen.
»Morgen abend komm, hörst du?«, flüsterte sie, während die andern sangen.
»Ja«, keuchte ich, »natürlich komme ich.«
72 »Nicht hierher«, fuhr sie noch leiser fort. »Nach Hause.«
Ich schwieg. Nach kurzer Weile machte sich Tudoritza aus meinem Arme los, trat zurück, sagte laut: »Ich bin müde.« Da hörten wir auf zu tanzen.
Ich setzte mich zum Buckligen: »Du spielst gut, aber deine Frau tanzt noch besser.« Er lachte voll Stolz und fingerte an den Saiten. Dann hob er jäh den Kopf: »Meine Schwester, gnädiger Herr.« »Deine Schwester, ja«, sagte ich gleichgültig. »Für mich ists dasselbe, verstehst du?« Ich rollte ein Silberstück zu ihm hinüber. Er steckte es ein und dankte.
Später rückte er näher zu mir heran, zupfte mich am Aermel und begann zu sprechen: »Ich bin ein Mann von Ehre.« Ich nickte und sah ihn fragend halb über die Achsel an. Er rutschte noch näher zu mir, knackte mit seinen langen Fingern und stieß mit dem Kinn vor sich hin, in der Richtung nach den Weibern hinüber, wo Tudoritza saß: »Ich muß mein Auge auf sie haben und sehen, was sie treibt. Ihre Ehre ist auch die meine.«
»Ja, mein Lieber«, sagte ich lachend. Ich fühlte Tudoritzas Blick schmerzvoll auf mir. 73 Der Bucklige flüsterte und sah mich von unten herauf an, und seine Finger machten rasch die Bewegung des Geldzählens. Ich hörte ihm nicht mehr zu, meine Sinne waren fern, ich dachte an den nächsten Abend, – da sah ich seine hastigen schmutzigen Finger und sagte roh: »Du willst dich für dein Weib wie für deine Musik bezahlen lassen?«
Er lächelte und schloß die Geige in den Arm. »Das eine wie das andere ist mir gleich lieb.« Und wieder fügte er rasch, fast ängstlich hinzu: »Du sprichst von meiner Schwester, Herr?«
Ich schmiß ihm noch ein Geldstück hin, das er lächelnd einsteckte. Dann ging ich zu Tudoritza und setzte mich neben sie. Der Bucklige trat an den Schenktisch und ließ sich Schnaps eingießen.
»Was flüsterte er?«, fragte sie leise. Ich nahm ihre kalten Finger in meine Hand und sagte, ebenso leise: »Du seist schön.« Sie drängte lächelnd ihren Kopf an meine Schulter: »Nein, sprich!« »Er behauptet, du seist seine Schwester.«
Langsam hob sie den Kopf, starrte vor sich hin, langsam löste sie ihre Finger aus meiner Hand, und als ich sie ansah, standen Tränen in ihren Augen. Sie erhob sich und ging hinaus.
74 Der helle Schein des frühen Morgens glitt fahl am Himmel herauf und stand graublau über den Dächern der Buden und in der stillen Schenkenstraße. Die Zigeuner schliefen, die Weiber kauerten am Boden längs den Wänden, die Kinder im Schoß, und die Männer hatten sich auf den Bänken ausgestreckt. Die Papierlaternen waren erloschen und hingen dunkel im blassen Licht.
Ich ging langsam nach Hause, an stillen Gärten vorbei. Ein Vogel zwitscherte. Die Luft war kühl; ich fröstelte, und meine Augen schmerzten mich.
75 Nun mußte es zu Ende gebracht werden. Müdigkeit und Ekel schlugen am nächsten Tag wie dunkle Schatten über mich; der geheime Haß des buckligen Geigers trat mir stumm und drohend entgegen, wo auch meine gehetzten Gedanken einen Ausweg suchten. Ich fühlte, wie schmerzhaft Tudoritza unter der Lüge litt und davon in einen unseligen Trotz getrieben wurde, der nicht gut enden konnte. Ich sah Gewalttat und Blut vor uns, ich sah wieder die roten Rosen im Jahrmarktsstaube liegen.
Als Tudoritza an diesem Abend, heftiger und schöner denn je zuvor, plötzlich aus dem Schatten der Schenke auf mich zutrat und mich am Arm mit sich fort zog, hatte ich nicht den Mut, ihr ruhig zu sagen, daß ich am nächsten Morgen in die Karpathenberge zu verreisen gedenke. »Später«, sprach ich zu mir. »Warum ihr die Freude der letzten Nacht verderben?« Es war feige.
Ich steckte ihr den silbernen Reif, den ich schon lange bei mir getragen hatte, an den Finger. Sie war verwirrt und dankte kaum, aber sie drängte sich näher an mich, ohne der Leute zu achten, die im Vorbeigehen erstaunt auf uns blickten. Sie hatte sich eine rote Rose hinters 76 Ohr gesteckt; die flammte dunkel aus ihren schwarzen Haaren und leuchtete über der schmalen, braunen Wange.
»Wie viele Liebhaber dich schon geküßt haben«, neckte ich sie. »Willig gibst du dich ihnen hin, und ihre Liebe liegt als Schmuck auf deinem Leibe.«
Sie blieb stehen, sah mich aus ihren großen Augen an, Tränen hingen an den Wimpern, die Lippen zuckten.
»Ist dein Leib nicht schlank wie ein Baum am Wasser, dein Gesicht nicht dunkel wie von freudigem Erröten, dein Gang nicht so leicht wie ein Tanz bei rascher Musik?«
»Du willst mir weh tun«, sagte sie leise. »Ich bin nicht so.«
Ich legte meinen Arm um ihren Leib. »Wind und Sonne und Regen – genossen sie dich nicht mehr als ich?«
Da lachte sie. »Du bist nicht neidisch auf sie. Sie nahmen dir nichts.«
»Nein«, sagte ich, »sie gaben dir mehr als sie nahmen.«
Wir gingen auf den Tanzplatz. Die Zigeuner grüßten mich, fast vertraulich, und flüsterten miteinander. Der Bucklige war nicht da.
77 Ausgelassen zog mich Tudoritza in den Reigen. Wir tanzten, bis wir müde waren. Wir setzten uns in die Schenke und tranken. Und tanzten wieder, bis unsere Gesichter heiß waren und unsere Arme eng ineinander verschlungen lagen.
»Komm nun nach Hause«, flüsterte sie. Wir verließen den Tanzplatz und den lauten Markt und gingen in die Nacht hinaus. Hinter uns versank das Schreien und die Musik; nur unser Blut sang.
Tudoritza führte mich an der Hand zwischen den Gärten hindurch, an den niederen Hütten vorbei, die hell schimmernd in den dunkeln Bäumen standen. Sie bog in einen Hof. Ein Hund kam auf uns zu, schnupperte an ihrem Rock und begann gegen mich zu bellen. »Schweig doch«, zischte sie; ich fühlte, wie ihre Hand in der meinen zu zittern begann. Knurrend trottete der Hund unter das niedere Vordach, das von Holzsäulen schief gestützt war.
Tudoritza ließ mich los und schlich leise weiter. Langsam fanden sich meine Augen in der Dunkelheit zurecht. Ich sah, wie die Frau, immer im Schatten gleitend, nach der Tür zu ging und mit tastenden Händen über dem 78 Türbalken nach dem Schlüssel suchte. Nun beugte sie sich zur Erde nieder, griff unter die Schwelle, richtete sich wieder auf und strich nochmals über den Balken. Wedelnd schmiegte sich der Hund an ihr Knie. Sie legte ihm eine Hand auf den Kopf und sah sich nach mir um. Ich trat zu ihr.
»Der Schlüssel ist nicht da«, flüsterte sie. Ihre Zähne knirschten, und ich sah im schwachen Licht der Nacht, wie die Züge ihres Gesichtes hart und von zornigem Haß gemeißelt waren. »Er hat ihn mit sich genommen«, zischte sie.
Dann wandte sie sich rasch ab, winkte mir mit der Hand und trat unter das Vordach zurück. Behutsam glitt sie an einen Holzschragen heran, beugte sich darüber und griff mit den Händen in Decken und Lumpen hinein, die darauf lagen.
»Hier schlafen sie«, sagte Tudoritza leise zu mir. Ich erkannte zwei Kinderköpfe, mit zerzaustem Haar und halboffenen Mündern. Ein Fäustchen krampfte sich geballt um einen Deckenzipfel.
Eines der Kinder regte sich ächzend im Schlaf. Lauernd neigte sich die Mutter darüber, schob ihre Hand unter seinen Kopf, zog 79 langsam einen großen Schlüssel hervor. Er blitzte matt auf.
Das Kind stöhnte leise. »Still, still«, flüsterte beschwichtigend die Frau. Dann richtete sie sich hoch auf, starrte aus ihren großen Augen auf mich und wies mir den Schlüssel. Sie wollte einen Schritt nach der Tür hin tun, aber da sanken ihr die Arme schlaff am Körper herunter, ihr Kopf neigte sich, der Schlüssel fiel klirrend auf die Steinplatten. Es war, als sinke ein Feuer erlöschend in die eigene Asche zusammen.
»Komm«, sagte ich und legte den Arm um ihren zitternden Leib. »Komm, gehen wir.« Langsam zog ich sie von den Kindern weg; willenlos, ihr Haupt auf meiner Schulter, wankte sie neben mir über den steinigen Hof. Der Hund begleitete uns, blieb dann stehen und trottete zögernd zu der Hütte zurück.
Tudoritza sprach kein Wort mehr. Sie antwortete mir nicht, als ich sie fragte, ob wir auf den Tanzplatz zurückgehen wollten, und setzte sich dort müde hin, ohne aufzuschauen.
Ich ließ sie eine Weile allein, trat in die Menge, die sich um die Tanzenden drängte, sah dem Reigen zu, pfiff lässig die Musik mit.
80 Als ich in die Schenke zurücktrat, saß der Bucklige neben Tudoritza und redete heftig auf sie ein. Er fuchtelte mit seinen langen Fingern vor ihrem Gesicht. Sie hielt den Kopf gesenkt und sah ihn nicht an; ihre Lippen waren eng aufeinander gepreßt.
Ich trat herzu. Der Geiger rückte an seiner Mütze. Ich setzte mich hin.
»Mein letzter Abend bei euch, Ciulac«, sagte ich ruhig. »Morgen reise ich.«
Er öffnete den Mund, starrte mich an, schwieg. Tudoritza blickte langsam auf, dann warf sie ihren Leib vornüber auf den Tisch und grub den Kopf in die Arme.
Ich ging wieder weg. Der Bucklige folgte mir, ergriff mich am Aermel und winkte mir, ihm zu folgen.
»Was willst du noch?«, fragte ich.
Er zog mich um die Ecke in den Schatten und flüsterte: »Warum reist der gnädige Herr weg? Will er nichts mehr von meiner Schwester wissen?«
»Lüg mich nicht mehr an!«, fuhr ich auf.
Er zuckte mit den Schultern. Dann rieb er die Finger aneinander. »Wir könnten uns 81 wohl einrichten«, lächelte er. Seine Hand hob sich langsam hohl zu mir empor.
Ich spuckte daran vorbei und wandte mich ab.
Sie tanzten immer noch, lauter und wilder als je. Der letzte Reigen wurde gespielt; nachher verlief sich die Menge in die Schenken.
Der Bucklige stand vor Tudoritza; er stampfte, wies hinauf auf mich, und stieß ihr mit der Faust gegen die Schulter. Seine Stimme war lauter geworden; ich hörte, wie er kreischte: »Er soll bleiben! Geh, halt ihn zurück!« Stumm schüttelte das Weib den Kopf und barg ihn wieder in den Händen.
Ich ging leise weg. Mir war, als hörte ich seine rohe Faust auf ihren schwachen, willenlosen Leib fallen.