Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel

Vereinsamt

Sir Wilfrid fühlte sich sehr unglücklich. Er war auf die Nachricht hin, daß Rosie entflohen sei, man wisse nicht wohin und mit wem, sofort nach London geeilt und hatte alle möglichen Nachforschungen angestellt, die sämtlich erfolglos blieben. Merkwürdig war es, daß er nicht an Chelsea dachte, aber der zuerst von seiner Mutter ausgesprochene und von seiner Frau und Mr. Parfitt lebhaft bestätigte Verdacht, daß Rosie nicht allein entflohen sei, lenkte ihn auf falsche Fährte. Nach einiger Zeit erhielt er ein paar kurze Zeilen von ihr, worin sie ihm versicherte, daß es ihr gut gehe und daß sie sich bei Menschen aufhalte, die sie sehr lieb haben und für sie sorgen. Der Brief trug den Poststempel eines kleinen Oertchens in Wales, wo die Schreiberin, wie sie ausdrücklich betonte, nie gewesen war. Sir Wilfrid schöpfte wohl einigen Trost aus dieser Mitteilung, empfand ihren Verlust jedoch nach wie vor aufs schmerzlichste. Er wurde mürrisch und launisch; er konnte es nicht ertragen, irgend einen Gegenstand zu sehen, den sie besessen oder gebraucht hatte; der Kutscher mußte ihren Pony verkaufen, das Boot, in dem sie rudern gelernt hatte, mußte im Boothaus verschlossen werden; er zerschmetterte eine wertvolle alte Porzellanvase, die Rosie täglich mit frischen Blumen auf seinen Schreibtisch gestellt hatte.

Mrs. Ewell erkannte bald, daß das Unheil, das sie durch ihre Strenge gegen ihr jüngstes Kind angerichtet hatte, ihnen allen Schaden brachte. Sir Wilfrid war durchaus nicht geneigt, Edith oder Fanny oder Laura oder Mary an Rosies Stelle zu sich zu nehmen. Er klagte seine Mutter und seine Frau offen an, ihn seiner Schwester beraubt zu haben, und erklärte, daß die Liebe, die er dieser nicht mehr erweisen konnte, keinem andern zu gute kommen solle. Seine Leidenschaft für Lena blieb aber von alledem unberührt; er war nach wie vor beherrscht von dem Zauber, den sie auf ihn ausübte. Allein die Stunden heißer Sehnsucht, wilder Glut und stolzen Glückes über ihren Besitz wurden seltener und ließen immer mehr ein Gefühl des Unbefriedigtseins zurück.

Lady Ewell war eine Frau, die in jedes Mannes Augen nur verlieren konnte, je näher er sie kennen lernte. Ihre Selbstsucht mußte auch dem Verbündetsten allmählich sichtbar werden, und so schlau sie war, gelang es ihr doch nicht, ihren Mangel an Wahrhaftigkeit lange zu verbergen. Die erste Lüge, aus der er sie ertappte, hatte eine Welt von Illusionen in ihm zerstört – er hatte so zweifellos an sie geglaubt und erholte sich nie mehr ganz von dem Entsetzen, mit dem diese Entdeckung ihn erfüllte.

Rosies Abreise hatte natürlich Anlaß zu großen Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen gegeben. Als die Nachricht von ihrer Flucht aus Surbiton anlangte und sich bewahrheitete, sprach sie in Ausdrücken so schneidender Verachtung von dem Mädchen, äußerte solch niedrige Verdächtigungen gegen das arme Kind, daß Sir Wilfrid ihr mit größter Strenge zu schweigen befahl.

»Zur Herrin dieses Hauses habe ich dich gemacht,« rief er empört, »und ich kann dich nicht abhalten, dich so zu betragen, daß meine eigne Familie es wie ein verpestetes fliehen muß, aber dazu bin ich nicht verurteilt, die gemeinen Anschuldigungen mitanzuhören, die du gegen dieselbe in Umlauf zu setzen beliebst. Du weißt, wie lieb ich Rosie habe, und wenn du einen Funken von Gefühl hättest, würdest du jetzt, wo ich in dieser tödlichen Angst um sie schwebe, ihren Namen lieber gar nicht nennen. Ein für allemal, nicht eine einzige der Geschichten, die du über sie vorbringst, glaube ich; sie kann gefehlt haben durch Unvorsichtigkeit und Unwissenheit, dann hättest du sie warnen sollen, das Kind!«

»Ein nettes Kind!« wiederholte sie höhnisch. »Sie läßt sich hübsche Dinge hier zu schulden kommen, und dann läuft sie davon, kein Mensch weiß wohin und mit wem! Und das nennst du ein Kind!«

»Lena, ich habe diese dunklen Andeutungen satt – sei so gut und sage mir wenigstens, was sie gethan hat? Nenne mir endlich den Namen des Mannes, daß ich mit ihm ins reine komme!«

Das war gerade das, was Lady Ewell vermeiden wollte. Sobald sie Dorsays Namen genannt hätte, würde sich Sir Wilfrid an diesen wenden, und sie wußte, daß der Kapitän ihre Darstellung der Sache nicht bestätigen würde. Sie hatte schon eine heftige Scene wegen ihrer Schwägerin mit ihm gehabt, und er hatte das Haus verlassen, indem er ihr Rache schwur für ihre eifersüchtige Wut. Lena wußte, daß er empört über sie war, aber sie hoffte immer wieder auf eine Aenderung seiner Gefühle. Seltsam genug, der einzige, für den dies kalte Herz wirklich empfand, war der Mann, der sie von Anfang an verachtet hatte und ihrer längst überdrüssig war. Hätte Lena sich nicht verheiratet und hätte der Kapitän nicht einigen Vorteil aus einer Freundschaft mit Sir Wilfrid Ewell zu ziehen gehofft, so hätte er sich längst nicht mehr um sie bekümmert. Und doch, nach ihrer Art liebte sie ihn und hätte ihm alles geopfert, selbst Rang und Reichtum, wenn er nur gewollt hätte.

Aber Jack Dorsay hatte durchaus keine Lust, sich eine solche Last aufzuladen. Solange sie vernünftig blieb, war es ihm dagegen ganz genehm, sich in ihrem Lächeln zu sonnen und die Gastfreundschaft ihres Gatten zu genießen; sobald ein Streit zwischen ihm und Sir Wilfrid entstanden wäre, hatte sie auf seine Gesellschaft für immer verzichten müssen.

Lena war sich alles dessen klar bewußt und sie handelte danach. Sobald ihr Gatte sie fragte, welcher von ihren Gästen mit Rosie sein Spiel getrieben habe, schlug sie die Augen nieder und schwieg. Ihr Schweigen sollte ihm sagen, daß sie es wisse und nicht verraten wolle; er faßte es jedoch anders auf.

»Wie ich mir dachte,« sagte er, »du bist unweiblich genug, das arme Mädchen zu verdächtigen; sobald ich Beweise fordere, verstummst du. Aber bedenke wohl, Lena, ich werde Rosie wieder finden und dann aus ihrem Munde die Wahrheit erfahren.«

»Und ihr mehr glauben, als deiner eignen Frau?«

»O, Lena, nein! Sieh, dein Verhalten in dieser trostlosen Sache hat mich so elend gemacht, daß ich vielleicht ungerecht wurde. Weil du mein eigen bist, warum kannst du nicht an ihre Unschuld glauben?«

»Deine und ihre Mutter schämt sich ihrer!«

»Ja, das ist hart und unmütterlich genug – mußt du sie nachahmen? Meine Frau soll ein echtes Weib sein, sanft, mild und warmherzig, wie es einem solchen zukommt.«

»Schade, daß du mich geheiratet hast; ich war das leider nie!«

»O, Lena, frevle nicht an dir selbst. Nie sah ich etwas Lieblicheres, Zarteres als dich. In diesem nämlichen Zimmer war's, wo ich dich zum erstenmal sah, ganz in duftigem Weiß mit Maiblumen in den Haaren und –«

»Um Gottes willen, Wilfrid, laß diese lächerliche Deklamation,« unterbrach sie ihn, »Es macht mir übel, von einem erwachsenen Menschen solche Mondscheinsimpeleien zu hören, wie von einem grünen Jungen.«

Ein Ausdruck tiefen Wehes erschien auf seinen Zügen.

»Lena, sei nicht so herb! Es kann dein Ernst nicht sein!«

»Es ist mein Ernst! Habe ich dir nicht hundertmal gesagt, wie ich solche Abgeschmacktheiten hasse. Wir sind verheiratet, damit hat derartiges Zeug ein Ende.«

»Du machst mich manchmal fürchten, daß damit auch Liebe, Hoffnung und Glück ein Ende haben – ein trauriges Ende für einen so seligen Anfang.«

»War der so selig? Ich dachte, wir hätten uns geheiratet, wie andre Leute auch, weil die beiderseitigen Verhältnisse zusammen paßten.«

»Ich habe dich geheiratet, weil ich dich liebte, Lena, und von dir geliebt zu sein glaubte, das weißt du.«

»Wirklich? Daran erlaube ich mir einige Zweifel. Du hast meine Schönheit geheiratet, ich – ich –«

»Doch nicht mein Geld, Lena?« fagte er mit heiserer Stimme.

»Hätte ich dich ohne dasselbe nehmen können, Wilfrid? Sei doch nicht gar zu unschuldig. Du wußtest so gut, wie jeder andre, daß du eine gute Partie warst, nachdem dir das Gut zugefallen war. Ohne dieses hättest du wohl schwerlich den Mut gehabt, noch einmal zu werben, nach meiner Abweisung.«

»Diese war doch nur deiner Mutter Schuld, du sagtest mir es ja.«

»Ach, was sagt man nicht alles, wenn einem der Hof gemacht wird! Jedenfalls hast du mich ja jetzt; genügt dir das etwa nicht?«

»Nein, Lena, es genügt mir nicht, daß du meinen Namen trägst. Ich will mein Weib haben, die Frau, die ich liebte, als ich fast noch ein Knabe war, von der ich geträumt, nach der ich mich gesehnt habe – jahrelang – und die mir ein beseligendes ›Ja‹ zugeflüstert hat, als ich sie auf der schimmernden Wasserfläche fragte, ob sie mich lieb genug habe, mein eigen zu werden. Das Weib und ihr ganzes Herz will ich haben, o Lena, sage mir, daß ich es besitze!«

»Mein lieber Wilfrid, du solltest mich nachgerade so weit kennen, um zu wissen, daß mir derlei Tiraden in den Tod zuwider sind. Wenn dir an meiner Liebe so viel liegt, so benimm dich vernünftig.«

Es lag nicht mehr bloße Gleichgültigkeit, es lag Widerwillen in ihrem eisigen Blick – von dieser Stunde an wußte Sir Wilfrid alles.

»Ich hätte es nicht für möglich gehalten,« sagte er leise, »ein Weib – und so herzlos.«

»Wilfrid, du bist mir wirklich ein Rätsel mit deiner Sentimentalität. Kein Wunder, daß du immer mager und elend aussiehst, wenn du dich über jede Kleinigkeit so aufregst.«

»Unter Kleinigkeiten verstehst du wohl meine Liebe und mein bittres Weh?«

»Wenn du sie für solche halten wolltest, wäre es bei weitem klüger! Heute nachmittag gehe ich in die Blumenausstellung, Madame Clane hat mir eine Loge angeboten. Kommst du mit?«

»Nein, danke,« sagte ihr Gatte, das Zimmer verlassend, »was du mir eben gesagt hast, läßt mich an nichts mehr Freude finden, höchstens am Sterben.«

»Kindisch!« rief sie ihm nach.

Er hatte vielleicht längst geahnt, was sie ihm heute so höhnisch ausgesprochen hatte, aber die Gewißheit war schwer zu ertragen. Niedergeschlagen und einsam wanderte er auf seinem Gut umher und brütete über sein Schicksal, und da kam ihm zum allererstenmal der Gedanke, daß er eine Strafe verdient haben möchte für seine Treulosigkeit gegen Hanna Warner.

Der erste Streit zwischen Mann und Frau ist selten der letzte, und obwohl Sir Wilfrid sein möglichstes that, den häuslichen Frieden zu erhalten, ward es ihm doch schwer genug gemacht, sich zu beherrschen. Lena reizte ihn, nicht durch das, was sie that, sondern durch das, was sie nicht that: sie nahm ihr hingeworfenes Wort, daß sie ihn um des Geldes willen geheiratet habe, nicht zurück, wie er gehofft hatte.

Zuerst versuchte er es, sie durch Liebenswürdigkeit dazu zu bewegen. Er benützte jede weichere Stimmung, in der er sie zufällig fand, und bat sie, jene Worte zurückzunehmen und ihm zu sagen, daß sie ihn lieb gehabt habe, wenn auch noch so wenig, damals als sie einwilligte, sein Weib zu werden. Aber Lena machte ihm die Freude nicht, nicht weil irgend welche Skrupel sie abgehalten hätten, ihm eine Unwahrheit zu sagen, sondern weil sie es nicht der Mühe wert fand, ihn zu täuschen, und weil sie voraussah, daß ihr Beharren ihr in Zukunft Unannehmlichkeiten ersparen werde. Wilfrid blieb unablässig zu Hause; nicht einmal Besuche ließ er sie allein machen; es war zu absurd und die Leute fingen bereits an zu sagen, daß er eifersüchtig sei. Wenn sie ihr ganzes Leben so zubringen sollte, das wäre undenkbar. Sie fuhr also fort, ihres Gatten Sentimentalität mit kaltem Wasser zu überschütten, bis er endlich schweigen lernte.

Man kann ein Marmorbild nicht immer anbeten, einige Gegenseitigkeit verlangt der Mann, selbst von seiner eignen Frau. So gelangte nun der arme Sir Wilfrid, mit seinem jungen, glühenden Herzen, allerdings nur langsam, aber dennoch zu der Ueberzeugung, daß seine Frau um so huldvoller gegen ihn war, je weniger er von Liebe zu sprechen wagte, und berührte das Thema nicht mehr. Wie anders war Hanna Warner gewesen! Zuweilen, wenn er allein umherritt oder ging, schweiften seine Gedanken zurück zu der Vergangenheit. Wie hatten Hannas Augen geleuchtet, wenn sie ihn in Chelsea begrüßte! Diese ruhigen, ernsten, tiefen Augen, wie hatte er sie Liebe strahlen sehen unter seinen Küssen, sich mit Thränen füllen bei einem Wort des Tadels und zornig aufflammen bei jedem Unrecht – so hatte er sie zuletzt gesehen. Er fragte sich hie und da, ob Hanna sich auch so verändert haben würde gegen ihn, wenn er sie zur Lady Ewell erhoben hatte, und sein Herz sagte »nein«.

Es lag keine Untreue gegen seine Frau in diesem Vergleich; er vergötterte das schöne, wertlose Geschöpf immer noch und hätte sie nicht von ihrem Platze entfernen mögen. Nur hätte er sein Leben fast gegeben für einen einzigen Blick der Liebe aus ihren Augen, wie ihm während seiner ersten Ehe so viele zu teil geworden waren. Was Hanna wohl jetzt that? Wie sie empfand? Ob die Wunde schon vernarbt war? Sir Wilfrid hätte es wissen mögen. Er war nun zwei Jahre verheiratet, zweimal waren die herbstlichen Blätter abgefallen, seit er von ihr geschieden war. Und in all der Zeit hatte er nicht gewagt, nach Chelsea zu gehen. Er hatte ihr nicht geschrieben, nicht nach ihr gefragt, ja nicht an sie gedacht, bis Lenas Kälte und Härte seine Gedanken gewaltsam zurücklenkten zu dem Mädchen, das er einst geliebt zu haben glaubte.

Einst geglaubt? Hatte er sie denn nicht geliebt? Und – und liebte er sie denn nicht noch? Er hatte sich freiwillig von ihr losgerissen, er hatte sie selbst außerhalb seines Bereiches gerückt und nun konnte er nicht verhindern, daß Wünsche und Gedanken zu ihr zurückeilten. Er sagte sich offen, daß wenn er noch einmal in der nämlichen Lage wäre wie damals, er wieder so handeln würde. Aber in dieser Liebe war etwas Unzerstörbares. Er gedachte an ihre stille, anspruchslose Hingebung, die er in jedem Augenblick hatte empfinden dürfen, und obgleich er sein schönes Weib nicht für eine Welt hergegeben hätte, ward er sich bewußt, daß noch ein stiller, warmer Winkel in seinem Herzen der armen, verlassenen Hanna gehörte.

Lambscote war ein herrlicher Sitz, und wenn der junge Besitzer sich in demselben glücklich gefühlt hätte, so wäre ohne Zweifel ein richtiger Landedelmann aus ihm geworden, der sich mit Schießen und Jagen und Fischen die Zeit vertreibt und nicht daran denkt, nach London zu gehen. Aber das Landleben mit Menschen, mit denen man nicht sympathisiert, wird unerträglich. Es gehört ein ruhiges Gewissen und ein sorgenfreier Sinn dazu, um die Stille und Einförmigkeit lieb zu gewinnen, und keins von beiden besaß der arme Wilfrid. Wollte er zu Hause bleiben, so trieb ihn Lenas Kälte und ihr immer wieder ausgesprochener Wunsch, allein zu sein, hinaus, und draußen da tauchte Hannas Bild immer wieder vor ihm auf mit seinem stillen Vorwurf. Schließlich zeigte ihm Lena ihren Entschluß an, für ein paar Monate mit Lady Otto nach Paris zu gehen – der Herbst in Lambscote sei zu melancholisch, machte sie geltend, und ihre Mutter finde sie sehr elend aussehend. Ihr Mann hatte in der kurzen Zeit ihrer Ehe Spanien, Italien und Frankreich mit ihr bereist, außerdem hatten sie verschiedene fashionable Seebäder besucht, trotz alledem bedurfte sie der Luftveränderung und die Luft in Somersetshire war Gift für sie. Es war richtig, daß Lady Ewells Gesundheit sich seit ihrer Heirat nicht gekräftigt hatte. Das alte Geschlecht der Ewells hatte zu Sir Wilfrids großem Leidwesen noch keine Aussicht auf Nachkommen, und Lena hatte mehr als einen bedenklichen Anfall von Herzklopfen gehabt – aus Schwäche und Blutarmut, wie die Aerzte sagten.

Natürlich gab sie um dessentwillen kein Vergnügen auf; sie tanzte, ging ins Theater und in Gesellschaft, so oft sie konnte, und ihr Gatte ahnte nicht, daß das Ziel all dieses Treibens und Jagens einzig Kapitän Dorsays Nähe war. Als er von dem Plan einer Reise nach Paris hörte, hielt er es für selbstverständlich, daß man auf seine Begleitung rechne.

»Die Zeit ist mir so unbequem als möglich, Lena,« sagte er stirnrunzelnd. »Du bist ja in diesem Jahre schon einmal in Paris gewesen und in Scarborough auch. Was in aller Welt willst du noch mehr? Es ist sehr unbedacht, mich mitten in der Jagdsaison von Lambscote fortzuschleppen; überdies weißt du ja, daß ich ein halbes Dutzend Herren eingeladen habe. Ich kann es wahrhaftig nicht machen.«

»Ja, wer will denn, daß du gehst? Ich gewiß nicht, und Mama denkt gar nicht daran und erwartet dich durchaus nicht; sie hat nur für sich und mich Zimmer bestellt, Sie möchte mir ein bißchen Abwechselung verschaffen, und wenn man seinen Haushalt mitschleppt, ist es keine.«

»Ohne mich willst du gehen, Lena? Und für wie lange?«

»Das hängt ganz von Mama ab – ich denke mir ein paar Wochen, vielleicht auch ein paar Monate. Du willst mich doch nicht in dieser Einöde gefangen halten?«

»Liebste! Nein! Nur – was soll ohne dich aus mir werden?«

»O, Wilfrid! Mach dich doch nicht lächerlich! Wenn du eine Frau wolltest, die die Nase nicht zum Haus hinausstreckt, warum hast du nicht deine Haushälterin geheiratet? Du mußt dir wirklich diese absurden Geschichten abgewöhnen; Mama sagt, wir werden uns noch dem Gelächter der ganzen Gesellschaft preisgeben; deshalb will ich auch fort, ich habe solchen Widerwillen dagegen.«

Als Sir Wilfrid vernahm, daß seine Leidenschaft für Lena von seiner Schwiegermutter kritisiert wurde, stieg heiße Zornes- und Schamröte in seinem Gesicht auf.

»Gut,« versetzte er barsch, »du sollst nicht mehr belästigt werden. Dich zu lieben, kann ich zu meinem Unglück mir nicht ›abgewöhnen‹, aber dir es zu zeigen werde ich mir nicht mehr zu schulden kommen lassen – Lady Otto kann sich beruhigen. Nur bitte ich, mich nicht zu tadeln, wenn ich mich vielleicht anderweitig entschädige.«

»Das gestatte ich dir mit dem größten Vergnügen,« lachte sie, »das würde mir sogar Spaß machen, und überdies ist es ja heutzutage Mode. Ein verliebtes Ehepaar ist absolut Rokoko und ebenso langweilig für die, welche es mit ansehen müssen, als für die Aermsten selbst.«

Er war im Begriff gewesen, das Zimmer zu verlassen, aber bei diesen Worten kehrte er mit finsterer Miene zu ihrem Sofa zurück.

»Nimm dich in acht, die Mode in diesem Punkt nicht mitzumachen, Lena!« rief er heftig, »denn ich bin der Mann nicht, der mit seiner Ehre spielen läßt. Du glaubst wohl, weil ich Thor genug bin, dir zu zeigen, wie lieb ich dich habe, ich würde dich thun lassen, was dir einfällt? Das ist ein großer Irrtum. Du kannst hingehen, wohin du willst, mit deiner Mutter und mit mir; du kannst mein Geld zum Fenster hinauswerfen, kannst jede Laune befriedigen – und brauchst mich nicht einmal mit einem Lächeln zu belohnen. Aber damit endet meine Schwäche. Wenn ich jemals entdecke, daß du deinen fashionablen Freunden Anlaß gibst, meine Blindheit zu verhöhnen, von dem Tage an bleibst du in Lambscote! Verstehst du mich? Ich habe dir meinen Namen fleckenlos gegeben und, bei Gott! du sollst ihn so erhalten!«

Lady Ewell lag mit geschlossenen Augen auf dem Sofa und hielt schweigend ihr Riechfläschchen an die Nase.

»Bist du fertig?« fragte sie, als ihr Gatte zu sprechen aufhörte.

»Ja – ganz fertig.«

»Dann hast du vielleicht die Güte, mich um Verzeihung zu bitten für die Beschimpfungen, mit denen du mich überhäuft hast,«

» Beschimpfungen? Was willst du damit sagen?«

»Genau das, was ich sage! Erst drohst du mir, dich in eine andre zu verlieben, und wenn ich dir mit einem harmlosen Scherz antworte, so wirfst du mir die gröbsten Beleidigungen hin, die ein Mann seiner Frau überhaupt zufügen kann. Ich fordere, daß du sie zurücknimmst und mich um Verzeihung bittest oder ich kehre sofort unter den Schutz meiner Mutter zurück.«

Sir Wilfrid war völlig verblüfft von diesem Angriff. Der Zorn hatte ihn aller Klarheit beraubt, und obwohl er sich bewußt war, Grund zu demselben gehabt zu haben, hatte er die eigentliche Ursache vergessen und war erschüttert über die Wirkung, die seine Worte hervorgebracht hatten.

»O, Lena!« rief er, an ihrer Seite niederknieend, »was habe ich denn gesagt? Vergib mir, mein Lieb – du weißt ja, wie wenig das aus meinem Herzen kam! Ich glaube unverbrüchlich an dich und vertraue dir ganz – meinst du, ich könnte leben, wenn es anders wäre? Aber die bloße Vorstellung, du könntest auch nur mit einem andern kokettieren wollen, macht mich elend. O, Liebste, kümmere dich nicht um das Gerede der fashionablen Welt – folge du immer deinem eignen Herzen – es wird dich nie irre leiten. Sag, daß du mir vergibst, Lena!«

Lady Ewell wünschte dieser häuslichen Scene baldmöglichst ein Ende zu machen; ihr Widerwille gegen legitime Zärtlichkeit war nicht gespielt und sie hielt wirklich die Küsse eines Gatten für ein notwendiges Uebel, für eine Art von Medizin, die man so rasch als möglich verschluckt. Sie gewährte ihm ihre Verzeihung mit ein paar undeutlich gemurmelten Worten, erhob sich rasch und zog sich in ihr Zimmer zurück. Selbstverständlich konnte ihr Sir Wilfrid mit diesem Schuldbewußtsein auf der Seele die Reise nach Paris nicht mehr abschlagen und sie ließ ihn recht unglücklich zurück.

Er hatte verschiedene Herren eingeladen und natürlich vorausgesetzt, daß die Hausfrau dieselben empfangen werde; überdies waren auch Damen gebeten, denen er nun abschreiben mußte, und die Herren mußten sich ohne deren Gesellschaft behelfen. Es genügte nicht, daß er der Haushälterin und dem Koch carte blanche für die Bewirtung gab; die Mahlzeiten waren vorzüglich, allein den meisten Männern muß doch zugestanden werden, daß sie etwas mehr verlangen, als die Befriedigung ihres Appetits. Obwohl der junge Wirt alles that, um es seinen Gästen behaglich und amüsant zu machen, waren die Abende doch lang und einförmig ohne Damengesellschaft und man zog sich meist zeitig zurück.

Lena und ihre Mutter waren etwa seit einem Monat in Paris, als Kapitän Dorsay ziemlich unerwartet in Lambscote erschien. Er war seit Rosies Abreise, seit einem Jahre, nicht mehr dort gewesen, und der Gedanke, ihn unversöhnlich beleidigt zu haben, war der Hauptanlaß von Lady Ewells Rastlosigkeit. Sie konnte ihr Herz nicht losreißen von diesem Manne, der sie so vollkommen durchschaute und sich geweigert hätte, sie zu besitzen, wenn der Gatte selbst sie ihm angetragen hätte.

Sir Wilfrid war einigermaßen überrascht, daß er kam, aber die Ueberraschung war eher eine freudige. Er ahnte nicht, welche Rolle der Kapitän im Leben seiner kleinen Schwester gespielt hatte, ahnte nicht, welchen Einfluß er über seine Frau besaß, und für Männer war er ein angenehmer Gesellschafter und guter Kamerad.

Dorsay war über Rosies Verschwinden, von dem er durch Lady Ewell alle Einzelheiten erfahren hatte, ernstlich bekümmert; er hatte ungewöhnlichen Anteil an der unschuldigen, kindlichen Seele genommen, die sich so vertrauensvoll vor ihm entfaltet hatte. Vielleicht, wenn Lady Ewell nicht dazwischen getreten wäre, hätte Rosie mehr und mehr Macht über ihn gewonnen und seine selbstische Natur wäre durch ihre Liebe gebessert und geheiligt worden. Wohl dem Mädchen, daß es nicht so gekommen war! Sie hätte ihn retten können, aber ihr Herz wäre gebrochen dabei – die Liebe eines solchen Mannes wird der Frau verhängnisvoll.

Er aber grollte Lena ernstlich; er hatte nie vergessen, was sie bei jener Gelegenheit ausgesprochen hatte und welche Macht es ihm über sie gab. Dieselbe auszuüben, fand er nicht der Mühe wert; das Wild, das dem Jäger in den Schuß läuft, ist ihm nicht sehr interessant. Es gab eine wirksamere Rache. Sie hatte einen reichen Mann: sie hatte ihn des Geldes wegen geheiratet und alles, was sie an ihm schätzte, war sein Besitz und seine Stellung. Wenn er sie dieser Güter berauben konnte, so sollte es geschehen. Er war arm – hatte zu wenig Ehrgefühl zum Arbeiten und zu viel zum Betteln: aber er hatte durchaus keine Skrupel, das Spiel als Einkommensquelle zu betrachten. Dorsay war ein professioneller Spieler, der nur um des Gewinnes willen spielte. Es gingen einige dunkle Gerüchte über die Mittel, deren er sich zu diesem Zweck bediente, aber sie waren von solchen ausgesprengt morden, die Geld an ihn verloren hatten, und fanden nur teilweise Glauben. Nach wie vor war der Kapitän bei Männern wie bei Frauen beliebt.

Sir Wilfrids Eifersucht auf ihn war vollständig verflogen. Einmal glaubte er noch immer an das falsche Geschöpf, das er sein Weib nannte, dann hatte er gar nie in Worten oder Blicken den leisesten Anhalt für seinen Verdacht gefunden. Lena war zu klug, sich in die Karten blicken zu lassen, und der Kapitän zwang sie, ihm mit der größten Gleichgültigkeit zu begegnen, durch die Drohung, Lambscote sofort zu verlassen, wenn sie sich eine Unvorsichtigkeit zu schulden kommen lasse. Er war über Sir Wilfrid sofort im klaren gewesen – das war der richtige Mensch für seine Zwecke. Ein grüner Junge, mit wenig oder gar keiner Erfahrung, der vom Glück unversehens überschüttet worden war und seine Mittel natürlich für unerschöpflich hielt.

Bei Gelegenheit seines ersten Besuches in Lambscote sagte er sich, daß seine Zeit noch nicht gekommen sei. Ein so wahnsinnig verliebter Mensch, wie Sir Wilfrid es in jenem ersten Stadium der Leidenschaft war, spielt vielleicht hie und da, um sich zu amüsieren, nicht um zu vergessen. Jack Dorsay verhielt sich abwartend; er wußte, daß früher oder später die Schuppen von des jungen Ehemanns Augen fallen mußten und daß er dann jedem dankbar sein würde, der ihm Mittel und Wege zeigte, eines wehen Herzens schlimmsten Feind zu bezwingen – das Denken.

Lady Ewell hatte ihren alten Freund unterwegs gesehen: sie hatte über eine Woche lang in London mit ihm kokettiert und war im festen Glauben, daß er ihr nach Paris folgen werde, abgereist. Aus ein oder zwei Aeußerungen hatte er geschlossen, daß sie und ihr Gatte nicht im besten Einvernehmen auseinander gegangen seien, und er dachte, daß es sich schon der Mühe verlohnen werde, in Lambscote zu rekognoszieren. Der Vogel mochte noch nicht reif genug sein zum Rupfen, aber man könnte ihn vielleicht etwas vorbereiten.

Der Baronet empfing ihn sehr freundlich; er war gedrückt und verstimmt und Jack Dorsay war der Mann, ihn und seine Gäste aufzuheitern. Am zweiten Abend nach seiner Ankunft – man hatte lustige Geschichten zum besten gegeben und Couplets gesungen und die Herren waren teils auf den Stühlen eingeschlafen, teils zu Bett gegangen – ging Sir Wilfrid mit dem Kapitän auf der mondbeschienenen Terrasse auf und ab und machte ihm einige vertrauliche Mitteilungen über seine Frau. Nicht, daß er ihr einen Vorwurf gemacht hätte, aber er beklagte es, daß Lady Otto nicht einen andern Zeitpunkt für ihre Reise gewählt habe. Dorsay nahm es sehr ernst. Als alter Freund der Familie durfte er sich wohl eine Bemerkung erlauben.

»Sie nehmen mir's doch nicht übel, wenn ich etwas sage, lieber Freund?« sagte er vertraulich. »Sie wissen ja, ich kenne die Familie St. Blase von alters her. Mein Vater und der Herzog waren Schulkameraden und dieser betrachtet mich ganz als Sohn. Lady Ewell sehe ich noch vor mir in ihren weißen Kinderkleidchen, als ich ein langer Schuljunge in Eton war, Weil ich sie so genau kenne, darf ich Ihnen einen Rat geben – lieben Sie Lena – ach Sie verzeihen! aber wir standen einst wie Bruder und Schwester miteinander – lassen Sie sie nicht zu viel bei ihrer Mutter.«

»Ja, wie soll ich das verhindern? Sie ist ihr einziges Kind, und so gut und lieb meine Frau ist, leicht zu lenken ist sie nicht immer.«

»Das brauchen Sie mir nicht zu sagen!« erwiderte Dorsay lachend. »Aber eben daran ist nur die Mutter schuldig. Sie hat sie verzogen und ihr den Willen gelassen in allem – was nicht ihren eignen Plänen zuwiderlief, dann natürlich war der Teufel los. Lady Otto hat den ungünstigsten Einfluß auf Ihre Frau.«

»Aber Lena scheint sehr an ihrer Mutter zu hängen?«

»Weil sie ihr jetzt den Willen läßt. Nun, da sie sicher unter die Haube gebracht ist, mischt sich Lady Otto in nichts mehr; nun sind Sie verantwortlich. Und wenn Sie Ihre Autorität nicht gebrauchen, so – so thun Sie mir leid!«

»Was konnte ich machen? Lady Ewell hatte nun einmal ihr ganzes Herz an diese Reise gehängt.«

»Sie hätten Sie zwingen müssen, zu bleiben und Ihre Gäste zu empfangen.«

»Aber sie fühlte sich krank –«

»Unsinn! Weibertaktik!« lachte der Kapitän, »Verzeihen Sie, Ewell, aber ich bin so viel älter als Sie und kenne Lena so viel länger. Sobald man ihr die Zügel läßt, reißt sie aus; schön, sehr schön, aber eigensinnig wie alle schönen Weiber. Sie sind der Mann und müssen die Oberhand haben, aber anders angreifen müssen Sie das.«

»Raten Sie mir, Dorsay, ich will Ihnen folgen, wenn ich kann. Ich weiß, es ist Narrheit, ihretwegen so unglücklich zu sein. Vielleicht hat sie Ihnen gesagt – Sie sind ja ihr Freund – daß ich mich zwei Jahre vorher schon in sie verliebt hatte und einen Korb bekam. Als sie ihren Sinn änderte, da bildete ich mir ein, sie habe mich so lieb, wie ich sie. Nun sind wir kaum zwei Jahre verheiratet und Lambscote ist ihr schon entleidet; sie will, daß wir in die Stadt ziehen. Was soll ich thun?«

»Nichts, als was Sie wirklich selbst für richtig halten. Hören Sie mich an. Lena liebt Sie kein bißchen mehr, wenn Sie sie verwöhnen – im Gegenteil. Die Frauen wollen beherrscht sein und sie fühlen den Zaum gern. Lassen Sie sie bei ihrer Mutter; thun Sie, als ob es Ihnen gleichgültig wäre. Nehmen Sie ein paar möblierte Zimmer in London zu Ihrer Bequemlichkeit und fahren Sie hin, so oft Sie Lust haben. Sie treten in meinen Klub ein und Sie werden sehen, wie das erfrischt und aufheitert.«

»Allein, ohne meine Frau –«

»Um die handelt sich's ja gerade. Sie wird Sie noch einmal so gut behandeln, wenn sie weiß, daß Sie eine Zuflucht vor ihren Launen haben. Ich kenne sie, Ewell, kenne die Weiber alle. Kniet man vor ihnen, so setzen sie einem den Fuß auf den Nacken; faßt man ihr Handgelenk und zeigt ihnen, daß sie sich nicht mehr rühren können, so bitten sie um Gnade. Kein Weib liebt den Mann, der nicht ihr Herr ist.«

»Ich denke, ich will Ihren Rat befolgen – wenigstens was die Zimmer in London betrifft. Mit Lena könnte ich mich hier für immer einpuppen, aber Weihnachten – allein – in dem großen Hause – schrecklich!«

Der Kapitän ließ keine Sinnesänderung aufkommen; immer wieder kam er auf den Plan zurück und malte ihm dies Leben so glänzend, daß Sir Wilfrid nicht mehr begriff, wie er es ohne London hatte aushalten können. In Ermangelung der Damen waren die Karten selbstverständlich die abendliche Unterhaltung, und es war fabelhaft, wie treu das Glück Sir Wilfrid blieb und welche Summen er dem Kapitän abgewann. Er war zuletzt ganz unglücklich darüber, da er seines Freundes Verhältnisse wohl kannte, und bat ihn insgeheim, das Geld wieder anzunehmen. Aber Dorsay lachte, mit seinem frischen, ehrlichen Lachen, und versicherte, daß er ihm das alles und mehr wieder abnehmen werde, worauf Sir Wilfrid ehrlich beteuerte, daß ihm das eine große Beruhigung und Freude wäre.

Sobald die Fasanen geschossen und verspeist waren und seine Gäste sich entfernt hatten, fuhr er mit Dorsay nach London und machte sich dort heimisch und ansässig für die Wintermonate.

Es war dies keine sehr angenehme Nachricht für Lady Ewell. Lambscote verlassen und eine Junggesellenwohnung in London, das sah sehr nach einer Emancipation aus und Lady Otto verweigerte ihr obendrein noch jede Teilnahme.

»Ich habe dir ja gesagt, wie es kommen würde, als du darauf bestandest, mit mir nach Paris zu gehen. Du hattest kein Recht, deinen Mann und dein Haus gerade jetzt im Stich zu lassen, und Sir Wilfrid beweist dir jetzt, daß er auch im stande ist, sich auf eigne Faust zu unterhalten. Du wirst dein Spiel verlieren, Lena, und wirst es bereuen. Von Woche zu Woche wartest du auf den Kapitän – o bitte, versuche nicht, mich zu täuschen – und er kommt nicht, und nun willst du erst nach Neujahr zurück, weil du hoffst, er werde an Weihnachten kommen, und er kommt nicht, und wenn du wartest bis zum jüngsten Tage.«

»Aber wo kann er denn sein? Was kann er denn treiben?« fragte Lena, dem Weinen nahe.

»Er ist in London bei deinem Manne. General Westerley hat mir geschrieben, daß er sie beide in einem Klub getroffen habe, wo zweifelhafte Existenzen aller Art verkehren. Von Dorsay wundert mich das nicht, aber von Ewell hätte ich Besseres erwartet, doch die Männer sind alle gleich. Der General sagt, daß man darüber spreche, Sir Wilfrid in solcher Gesellschaft zu sehen; das ist zu arg. Du hast das Recht nicht, ihn sich selbst zu überlassen, damit er zu Grunde gerichtet wird.«

»Ich will ihn nicht mehr lange allein lassen,« versetzte die Tochter. »Ein Monat mehr oder weniger wird nicht viel ausmachen und nach Neujahr werde ich mit dir nach London zurückkehren. Aber nach Lambscote gehe ich nicht – ich hasse das Haus und kein Mensch wird mich bewegen, dort zu leben.«


 << zurück weiter >>