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Meine Abenteuer unter den Indianern nebst dem, was meinem Begleiter, dem portugiesischen Kapitän, begegnet.
Nachdem wir einiges Wildpret gegessen und aus der Kalabasche getrunken hatten, bemalte mich der Kapitän schwarz, indem er zugleich da und dort in meinem Gesicht und auf meinen Schultern eine rothe oder weiße Linie anbrachte. Ich erwies ihm den gleichen Dienst, worauf wir wieder nach unsern Rudern griffen und schräg auf die Küste abhielten. Die Fluth war uns entgegen, und wir konnten kaum gegen sie Stand halten. Als wir in einer Entfernung von etwa hundert und zwanzig Ruthen an einer baumlosen Bucht vorbeikamen, beschlossen wir, zu landen, um einen großen Stein an Bord zu holen, den wir auch bald fanden; dann ruderten wir wieder drei oder vierhundert Ellen in die See hinaus, befestigten unsere Erwerbung an dem Bugtau unseres Boots und brachten auf diese Weise das Canoe vor Anker. Nachdem uns dies gelungen, holten wir die Fischleinen heraus, beizten es mit etwas rohem Fleisch und fingen auf diese Weise mehrere Fische; dann aber steckten wir keinen Köder mehr an, sondern thaten nur, als fischten wir, bis endlich todt Wasser eintrat, durch das wir uns bestimmen ließen, unseren Anker aufzuziehen und wieder nordwärts zu rudern.
Nachts landeten wir an einem Fels in der Nähe des Gestades, beobachteten aber die Vorsicht, noch vor Einbruch der Dunkelheit zu recognosciren, ob keine Canoes oder Indianer an der Küste wären. In dieser Weise trieben wir's fünf Tage, während welcher wir an der Mündung von einigen Flüssen vorbeikamen. Wir hatten nun unserer Muthmaßung nach mehr als dreißig geographische Meilen an der Küste zurückgelegt; wie weit wir aber jetzt nordwärts standen, konnten wir nicht sagen, da wir stets den Windungen des Ufers gefolgt waren. Zweimal mußten wir landen, um Wasser einzunehmen; dies thaten wir jedoch stets bei Tag und beobachteten dabei die Vorsicht, den ganzen Leib zu schwärzen und vorher die Beinkleider abzunehmen. Unser Wildpret war bald alle, und wir mußten fortan von Fischen leben, wobei wir einen ziemlichen Vorrath über einmal kochten. Bei dem Sammeln von Brennholz liefen wir die größte Gefahr, weil wir für diesen Zweck an waldigen Strichen landen mußten; am sechsten Tage aber trafen wir zum erstenmal auf wirkliche Gefahr. Wie wir einen Vorsprung umluvten, begegneten wir einem andern Canoe, in welchem sechs oder sieben Männer saßen; sie waren, als wir ihrer ansichtig wurden, kaum dreihundert Ellen von uns entfernt. Die Indianer standen in ihrem Canoe auf, betrachteten uns sehr angelegentlich und ruderten dann – wahrscheinlich weil sie bemerkten, daß wir nicht zu ihrem Stamme gehörten, auf uns zu. Wir wendeten uns augenblicklich ab und ruderten fort. Die Indianer hatten gefischt, und zwei derselben zogen die Leinen auf, während die andern ruderten. Hierdurch gewannen wir zwar einen kleinen Vorsprung, aber sie hatten drei Ruder, während wir nur mit zweien versehen waren. Sie riefen uns zu und ruderten aus aller Macht, gewannen uns übrigens nicht viel ab, da sie zu sieben, fünf Männer und zwei Weiber, in dem Canoe saßen und dieses folglich sehr tief gehen mußte. Indeß kamen sie doch, trotz aller unserer Anstrengungen näher, weßhalb der Portugiese zu mir sagte:
»Ich glaube nicht, daß sie Waffen im Boot haben, denn wenn dies der Fall wäre, würden sie Gebrauch davon machen, da wir in Bogenschußweite sind. Wißt Ihr mit Bogen und Pfeil umzugehen?«
»Einmal verstand ich mich so ziemlich darauf,« entgegnete ich. Als ich nämlich Whynas Sklave war, pflegte sie sich oft mit mir im Bogenschießen zu üben, und ehe ich sie verließ, hatte ich eine ziemliche Geschicklichkeit in dieser Kunst gewonnen.
»Wohlan denn,« sagte er, »so laßt mich weiter rudern, während Ihr einen Pfeil auflegt. Jedenfalls wird eine solche Drohung nicht schaden.«
Ich entsprach dieser Anforderung, indem ich aufstand und ein Ziel faßte, als ob ich schießen wolle. Hierauf hörten die Indianer zu rudern auf, besprachen sich eine Weile, drehten den Schnabel ihres Canoes herum, und fuhren dem Ufer zu. Wie man sich denken kann, nahmen wir, nachdem ich Bogen und Pfeile weggelegt hatte, mit allem Eifer unsere Ruder wieder auf, so daß wir in einer Stunde von unsern Verfolgern nichts mehr sehen konnten. In dieser Weise setzten wir unsere Fahrt fort, ohne daß uns im Lauf der nächsten drei Tage ein weiteres Abenteuer zustieß. Aber am Mittag des vierten Tages überwölkte sich der Himmel, und es war alle Aussicht auf rauh Wetter vorhanden. Noch vor Abend hoben sich Wind und See, so daß wir uns nicht länger an der Küste halten konnten, an der sich bereits eine starke Brandung zeigte.
Es blieb uns daher nichts übrig, als ans Land zu laufen und das Canoe auf das Ufer zu holen, denn wir konnten nirgends einen schirmenden Einlaß entdecken. Die Dunkelheit war schon weit vorgerückt, als wir unser Fahrzeug durch die Brandung arbeiteten und ans Land gingen. Wir holten das Canoe eine Strecke weit einwärts und suchten, da das Wetter immer schlimmer zu werden drohte, unter dem Lee eines hohen Felsen Schutz. Der Wind tobte nun in heftigen Stößen und der Regen schoß in Strömen nieder. Um uns zu wärmen, machten wir den Versuch, Feuer anzuzünden, kamen aber nicht damit zu Stande, weßhalb wir uns auf eine der Bärenhäute legten und die beiden andern als Decken benützten, in diesem Zustande ungeduldig dem Morgen entgegensehend. Gegen die Dämmerung hin hatte sich das Wetter noch mehr verschlimmert, weßhalb wir nach einem besseren Bergewinkel für uns und unser Canoe spähten, und einen passenden Platz auch etwa fünfzig Schritte von unserem früheren Lagerplatze entdeckten. Zwischen zwei hohen Felsen befand sich nämlich eine schmale Kluft oder ein Durchgang, der sowohl für uns als für das Fahrzeug weit genug war und uns gegen Sturm und Wetter schützte. Hier angelangt bereiteten wir uns eine Mahlzeit, indem wir auf glimmenden Kohlen einen Fisch rösteten. Der Ort mußte uns zwei Tage bergen, denn erst nach dieser Zeit milderte sich das Wetter, obschon die See noch immer viel zu aufgeregt war, als daß wir das Canoe hätten ins Wasser lassen können. Wir beschlossen daher, noch einen Tag länger zu bleiben, trotzdem daß unsere Mundvorräthe verbraucht und die Wassercalabaschen leer waren. Am dritten Tage vernahmen wir zu unserem großen Erstaunen und Schrecken ganz in unserer Nähe den Knall einer Muskete, erkannten aber zugleich daraus, daß wir uns in nicht allzugroßer Entfernung von englischen Ansiedelungen befinden müßten, weil uns bekannt war, daß nur die Indianer in der Nachbarschaft von europäischen Niederlassungen Feuerwaffen führen konnten. Natürlich wußten wir nicht, ob der Schuß von Indianern oder von Weißen herrührte, und als sich der Knall in noch größerer Nähe wiederholte, schlich ich mich geduckt an der Seite des Felsen hin, um nachzusehen, wer wohl um den Weg sein möchte. Da entdeckte ich nun zu meinem großen Schrecken in einer Entfernung von etwa hundert Schritten fünf mit Musketen bewaffnete Indianer. Hastig zog ich mich wieder zurück; aber das Auge eines Wilden ist scharf – sie hatten mich bemerkt, und als ich dem Kapitän noch mittheilte, was ich gesehen, waren sie uns schon auf dem Leib. Wir hatten, selbst wenn wir dazu geneigt gewesen wären, keine Zeit, Widerstand zu leisten, und blieben daher ruhig sitzen. Sie kamen näher und betrachteten uns. Die Nässe hatte mir von Schultern und Rücken die Farbe großentheils abgewaschen, weßhalb einer der Indianer meine Achsel berührte und sagte:
»Uff! – Weißer Mann gemalt wie Indianer.«
Sie untersuchten sodann das Canoe sammt dessen Inhalt, sprachen unter sich Einiges, was augenscheinlich auf das Fahrzeug Bezug hatte, und schlangen sodann lederne Riemen um unsere Arme, worauf sie uns durch einen Wink zu verstehen gaben, daß wir ihnen folgen sollten. In dieser Weise wurden wir fortgeführt«
»Wir haben unser Möglichstes gethan – weiter konnten wir nicht,« sagte der Portugiese. – »Ich fühle, es ist jetzt Alles mit mir vorbei, und bald werde ich ruhen am Herzen meines Jesu.«
Die Brust war mir zu beklommen, als daß ich etwas hätte erwiedern können. Die Indianer zogen weiter, und ich folgte ihnen schweigend.
So ging es durch Wälder fort, die kein Ende nehmen zu wollen schienen, bis die Nacht einbrach. Jetzt machten die Indianer Halt, und während Einer als Wache bei uns blieb, entfernten sich die andern, um Brennholz zu sammeln. Sie hatten etwas Mundvorrath, boten uns aber nichts davon an. Eine Stunde später legten sie sich ums Feuer herum zum Schlafen nieder, und wir mußten die Mitte des Kreises einnehmen. Bald lagen sie in tiefem Schlafe – wenigstens hatte es so den Anschein – weßhalb ich zu dem Kapitän sagte:
»Habt Ihr Euer Messer? Wenn sie fortschlafen, so wollen wir noch eine Stunde warten. Dann aber zerschneidet den Lederriemen, welchen Euer Hüter in der Hand hat, und erseht die Gelegenheit; ich will meinerseits das Gleiche thun. Vielleicht gelingt es uns, zu entwischen.«
»Mein Messer habe ich wohl, aber der Indianer schläft nicht,« versetzte er. »Ich will warten, bis es so weit ist.«
»Durch welches Zeichen wollen wir uns zu verstehen geben, daß der Versuch gelungen sey?«
»Wenn Ihr fertig seyd, so hebt den Arm auf; ich thue im gleichen Fall das Nämliche. Hiebei lassen wir's; aber jetzt müssen wir uns ruhig verhalten, denn Ihr könnt drauf zählen, daß unser Gespräch sie alle aufgeweckt hat.«
Wir thaten sodann, als ob wir schliefen, und verhielten uns mehr als eine Stunde völlig ruhig; im Laufe dieser Zeit gewannen wir die Ueberzeugung, daß die Indianer schlummerten. Jetzt zog ich mein Messer heraus (denn die Indianer hatten nicht versucht, uns zu berauben) und zerschnitt den um meinen Arm laufenden Riemen, ohne daß der Indianer, welcher das andere Ende in seiner Hand hielt, erwachte. Ich blieb noch eine Viertelstunde ruhig, und nun erhob der Portugiese den Arm zum Zeichen, daß er frei sey. Ich lauschte achtsam und wie ich bemerkte, daß die Indianer wirklich schliefen, erhob ich gleichfalls den Arm.
Der Portugiese stand nun behutsam auf und schlich sich mäuschenstill an den Indianern vorbei, bis er aus dem Kreise war. Ich that dasselbe und deutete dabei auf die Musketen, welche neben den Wilden im Gras lagen. Er ergriff eine, ich eine andere, und so zogen wir uns auf einige Entfernung zurück.
»Wir müssen die übrigen Musketen gleichfalls haben,« sagte ich. »Bleibt wo Ihr seyd.«
Ich trat vorsichtig näher, nahm die andern Musketen auf und wollte eben damit wieder zurück, als sich einer der Indianer umwandte, als ob er erwache. Jetzt beschleunigte ich meine Schritte, eilte an dem Portugiesen vorbei und bedeutete ihm durch ein Zeichen, mir zu folgen; dann traten wir einige Schritte in den Wald hinein, von dem aus wir die Indianer beobachten konnten, ohne selbst gesehen zu werden. Der Portugiese wollte weiter, aber ich hielt ihn zurück und hatte Recht damit. Der Indianer raffte sich auf, half sich in eine sitzende Stellung, und als er bemerkte, daß wir entwischt waren, weckte er die Uebrigen. Sie sprangen auf und bemerkten, als sie umherschauten, daß alle Musketen fort waren. Es folgte nun eine Berathung, in welcher sie augenscheinlich zu dem Entschluß gekommen waren, uns zu verfolgen und wo möglich wieder zu ergreifen, denn sie gingen nach der Richtung des Meeres hinab.
»Jetzt müssen wir drei von den Musketen verbergen,« sagte ich flüsternd; »die andern behalten wir, um uns zu vertheidigen.«
Wir untersuchten die Gewehre und fanden, daß sie insgesammt geladen waren. Darauf sagte der Portugiese zu mir:
»Es sind ihrer fünf. Finden sie uns und wir schießen zwei Musketen ab, ohne tödtlich zu treffen, so sind wir ihnen auf Gnade und Ungnade verfallen. Aber auch selbst im günstigen Fall haben wir noch drei gegen uns, weßhalb wir besser thun, die Musketen zu behalten. Nehmt Ihr zwei auf Euch, ich will die andern drei tragen.«
Da ich ihm hierin Recht geben mußte, so willigte ich ein und wir gingen nun denselben Pfad, welchen die Indianer vor uns eingeschlagen hatten, nach der See hinunter. Wir liefen schnell, da wir wußten, die Indianer würden das Gleiche thun, obschon ein Zusammenzutreffen mit ihnen nicht wahrscheinlich war, da sie einen Vorsprung vor uns hatten. Allerdings kam uns dies sauer an; gleichwohl aber erschlafften wir nicht, und noch vor Tagesanbruch wurden wir am Saum des Waldes durch die Baumzweige hindurch der See ansichtig.
Sobald wir das etwa fünfhundert Schritte entfernte Ufer erreicht hatten, schauten wir umher, ob wir die Indianer nicht bemerken könnten; aber es ließ sich keine Seele blicken.
»Wir wollen, so lang es noch dunkel ist, auf der andern Seite um den Felsen herum gehen, wo wir verborgen waren,« sagte der Portugiese. »Sind sie dort, so können wir sie überrumpeln.«
Uns stets in dem Walde haltend, gingen wir ein paar tausend Schritte südlich und langten dann mit Tagesanbruch bei dem Felsen an. Ehe wir die Kluft betraten, sahen wir uns behutsam um; aber es war Niemand da, und das Canoe lag noch an seinem Platze.
»Sie sind nicht hier,« sagte ich, »wo mögen sie wohl seyn?«
»Gewiß nicht weit, versetzte der Portugiese. »Vermuthlich haben sie sich irgendwo verborgen und gedenken uns zu überraschen, wenn wir das Canoe ins Wasser bringen wollen und zu diesem Zweck die Musketen niedergelegt haben.«
»Ihr werdet wohl Recht haben. So warten wir eben in einiger Entfernung von dem Felsen, bis es ganz hell ist; dann sind wir doch gegen Ueberraschung gesichert.«
Wir thaten dies, und als die Sonne aufging sahen wir uns überall scharf um, ohne jedoch Jemand zu bemerken. Abermals gingen wir in die Schlucht und waren eben im Begriff, die Musketen niederzulegen und das Canoe zu fassen, als ich bemerkte, daß ein kleiner Stein niederrollte. Diese Wahrnehmung weckte in mir eine Ahnung der Wahrheit, weshalb ich dem Portugiesen zurief, er solle mit mir zurückkehren. Er entsprach meiner Aufforderung, und ich sagte ihm nun, ich sey überzeugt, daß die Indianer den Felsen erklettert hätten und auf dessen Gipfel lägen, um auf uns niederstürzen zu können.
»O dann fehlts nicht, daß sie dort sind,« versetzte er, als ich des niedergefallenen Steines Erwähnung that. »Wir wollen hinumgehen und sehen, ob wir sie entdecken können.«
Gesagt, gethan; aber die Wilden hatten sich zu gut versteckt.
»Was können wir jetzt thun?« fragte er. »Es wäre nutzlos, den Fels erklettern zu wollen, denn dies kann Niemand mit einer Muskete in der Hand.«
»Nein, gewiß nicht,« versetzte ich. »Und wenn wir den Versuch machen, das Canoe aus der Kluft zu holen, so stürzen sie auf uns herab.«
»Ich denke,« entgegnete er, »wenn wir hineingingen und das mehrere Ellen lange Schlepptau ergriffen, so könnten wir den Nachen herausholen. Ist er nur erst aus der Kluft, so sind sie außer Stand, sich zu rühren, ohne daß wir sie sehen.«
»Jedenfalls können wir den Versuch machen,« sagte ich. »Bleibt Ihr auf der Wache, während ich mich des Schlepptaus bemächtige und das Fahrzeug herausziehe.«
Es war klar, daß die Indianer dieses Manöver nicht erwarteten. Wir ließen die Musketenschäfte im Sande aufstehen, während die Läufe auf unsern Schultern ruhten, und bemächtigten uns in dieser Stellung des Schlepptaus, an welchem wir unter großer Anstrengung das Canoe mehrere Schritte aus dem Felsen herausbrachten. Dann ließen wir uns einige Minuten Zeit, um wieder zu Athem zu kommen, ohne übrigens die Augen von der Spitze des Felsens zu verwenden, um sogleich bemerken zu können, wenn sich dort etwas rührte. Nach dieser kurzen Rast nahmen wir unser Geschäft wieder auf und brachten das Fahrzeug wenigstens hundert Schritte weiter weg. Aber jetzt bemerkte ich zum erstenmal, daß die Bogen und die Pfeile nicht in dem Kahn lagen; sie mußten also von den Indianern weggenommen worden seyn.
»Dann müssen wir uns auf's Neue anstrengen,« sagte der Portugiese, als ich ihm diese Wahrnehmung mittheilte, »bis wir außer Bogenschußweite sind. Wir legen die Musketen in das Fahrzeug und schleppen so schnell wir können.«
»Dies geschah. Wir gewannen wieder hundert Schritte, ohne Halt zu machen; aber jetzt flog von der Höhe des Felsens ein Pfeil herunter, der sich vor meinen Füßen in den Sand bohrte.«
»Wieder angeholt!« sagte der Portugiese. »Wir sind noch nicht aus der Schußweite.«
Aufs Neue boten wir alte unsere Kräfte auf und gewannen weitere hundert Schritte; mittlerweile waren uns aber noch zwei weitere Pfeile nachgeflogen und einer derselben hatte den Arm meines Kameraden getroffen. Die Wunde ging jedoch nur durchs Fleisch, ohne den Knochen zu berühren, so daß das verletzte Glied noch recht gut zu brauchen war. Ein dritter Pfeil wurde uns nachgeschickt, erreichte uns aber nicht, und wir entnahmen daraus, daß wir uns nun in sicherer Entfernung befanden.
»Brecht die Fahne des Pfeils ab und zieht ihn durch den Arm,« sagte der Portugiese.
»Jetzt noch nicht,« versetzte ich. »Wenn ich dieses thue, so bemerken sie es und werden glauben, daß Ihr wehrunfähig seid. Dies könnte sie veranlassen, in der Vermuthung, daß sie es nur mit einem einzigen Mann zu thun hätten, auf uns einzustürzen.«
»Nun, 's liegt nicht viel daran,« entgegnete er. »Wir müssen jetzt unser Canoe weiter schleppen und es aufs Wasser bringen, wenn es uns anders gestattet wird. So weit hätten wir sie überlistet.«
Wir drehten nun den Schnabel des Fahrzeugs gegen die See hin und schleppten es langsam abwärts. Natürlich blieben unsere Augen stets auf den Fels geheftet, damit uns keine Bewegung der Indianer entginge; aber sie rührten sich nicht. Vielleicht fühlten sie, daß sie gegen uns keine Aussicht hatten, weil wir im Besitz sämmtlicher Feuerwaffen waren und das freie Gestade uns zu Statten kam. Ohne weitere Unterbrechung von Seite unserer Verfolger ließen wir den Kahn ins Wasser, und einige Minuten später fuhren wir, den Schnabel nordwärts gestellt, in sicherer Entfernung an dem Fels vorbei. Wir hatten noch keine Seemeile zurückgelegt, als wir bemerkten, daß die Indianer von dem Fels herunterstiegen und in die Wälder gingen.
»Laßt uns Gott preisen für diese wunderbare Rettung,« sagte ich zu dem Portugiesen.
»Ja wohl und auch dem Schutzheiligen danken, der mich beschirmt hat,« versetzte der portugiesische Kapitän. Gleichwohl ist's mir noch immer schwer ums Herz. Ich fühle, daß wir nur entronnen sind, um ein neues Ungemach über uns ergehen zu lassen. Mein Inneres sagt mir, ich werde Lissabon nie wieder sehen.«
Ich versuchte nach Kräften, ihn zu ermuthigen, aber vergeblich. Er erklärte mir, seine Ahnung sey zu lebhaft, und lasse sich durch keine Gründe zurückweisen. In der That schien er diesem Gedanken so großen Einfluß eingeräumt zu haben, daß seine Vernunft erlag. Er hatte gehört, wie die Indianer ihre Gefangenen zu verbrennen pflegten, und sprach daher vom Märtyrerthum am Pfahl, von dem er sich in großer Herrlichkeit aufschwingen werde zum Himmel, wo die ganze Schaar von Heiligen und Legionen von Engeln seiner harrten.
»Was nützt es, daß wir uns so am Ruder abmühen?« sagte er. »Gehen wir lieber unverweilt an's Land, um die Krone des Märtyrerthums zu erringen. Ich bin bereit und freue mich darüber, denn ich sehne mich nach dieser Stunde.«
Ich bot allen meinen Kräften auf, um ihn zu beruhigen, aber die Mühe war fruchtlos. Er war dabei so verrückt, daß wir dem Ufer allmählig näher kamen, weil er mit seinem Ruder gegen mich steuerte und ich dies nicht verhindern konnte. Den Pfeilschaft zog ich ihm durch den Arm, aber er schien keinen Schmerz zu empfinden, und als ich ihm Vorstellungen machte, daß er das Canoe so nahe ans Ufer halte, lächelte er nur, ohne eine Antwort zu geben.
Wir hatten die Strömung gegen uns und kamen deshalb nur langsam vorwärts; auch ärgerte es mich sehr, daß mein Gefährte so laut sprach, da die Indianer ihn hören mußten, und aller Wahrscheinlichkeit nach an der Küste hin uns folgten. Ihm steckte aber jetzt nichts mehr als das Märtyrerthum im Kopfe, und er erzählte mir, wie dem einen der Leib entzwei gesägt und ein anderer todt gezwickt, dieser verbrannt und jener gefoltert worden sey; kurz alle nur erdenklichen Todesarten gingen ihm den Tag über ohne Unterlaß durch den Kopf.
Viel davon schrieb ich dem Schmerz zu, den ihm sein verwundeter Arm verursachen mußte; aber gleichwohl ruderte er so kräftig, wie nur je. Wie die Nacht einbrach, bat ich ihn, seine Zunge zu zügeln; aber umsonst – es unterlag keinem Zweifel mehr, daß seine Vernunft Reißaus genommen hatte. Wie er so fortfuhr, ohne Unterlaß laut zu sprechen und zu rasen, hielt ich unser Geschicke für entschieden. Wir hatten weder Wasser noch Mundvorräthe irgend einer Art im Boot, weshalb ich den Vorschlag machte, wir sollten beilegen und fischen – aber schweigen müsse er dabei, da er sonst die Fische wegscheuche.
Dies beschwichtigte ihn für eine Weile; sobald wir jedoch vier oder fünf Fische an die Angel gebracht hatten, fing er wieder mit seiner Geschichte von den glorreichen Märtyrern an. Ich bat ihn, wenigstens für eine kurze Weile den Mund zu halten, und er ließ sich auch bewegen, dies vier oder fünf Minuten lang zu thun; aber dann brach er stets wieder in eine Ergießung aus, welcher ich auf's Neue Einhalt thun mußte. Endlich konnte er aus Mangel an Wasser nicht mehr sprechen; seine Lippen waren wie zusammengeleimt und die meinigen gleichfalls. Demungeachtet fuhren wir ein paar weitere Stunden zu rudern fort, bis ich zuletzt an dem Aufsitzen des Canoes bemerkte, daß er es auf die Küste gesteuert hatte. Wir stiegen ans Land, um Wasser zu suchen, und fanden auch, was wir wollten, in nicht großer Entfernung von dem Punkte, wo unser Fahrzeug auf den Strand gelaufen war.
Wir tranken nach Herzensgelüste, füllten die Kalabaschen und kehrten nach dem Canoe zurück; aber nun begann er wieder lauter als je zu sprechen. Höchlich darüber erzürnt, legte ich ihm die Hand vor den Mund und flehete ihn in flüsterndem Tone an, er solle sich doch ruhig verhalten; aber in demselben Augenblicke sprangen mehrere Indianer auf uns zu, bemächtigten sich unserer, und eine Minute später waren wir an Händen und Füßen gebunden.
»Ich wußte es,« rief der Portugiese, »ich wußte es, daß es so kommen würde. Nun, ich bin vorbereitet; seyd Ihr's nicht auch, mein lieber Freund?«
Ich gab keine Antwort. Ich fühlte, daß er in seiner Tollheit sein Leben wie das meinige geopfert hatte; aber es war der Wille des Himmels. Die Indianer ließen zwei der Ihrigen als Wachen bei uns und gingen nach dem Canoe herab, von dem aus sie mit ihren Musketen wieder zurückkamen. Ich bemerkte bald, daß es dieselben waren, welchen wir in der vorigen Nacht entkommen, und derjenige, welcher bei unserer ersten Gefangennehmung ein wenig Englisch gesprochen hatte, kam jetzt auf mich zu und sagte:
»Weiß Mann, gemalt wie Indianer, stiehl Gewehr – uff!«
Sobald die Indianer vom Canoe wieder zurückgekehrt waren, wurden unsere Füße losgebunden und wir abermals an den Lederriemen fortgeführt, die unsere Arme zusammenschnürten. Der Portugiese begann nun seine Sprache wieder zu finden und redete unablässig, ohne daß die Indianer es ihm wehrten – ein augenscheinlicher Beweis daß sie sich jetzt auf ihren eigenen Besitzungen befanden. Nach einem Marsche von vier Stunden zündeten sie Feuer an und legten sich wieder zur Ruhe nieder; aber diesmal nahmen sie uns die Messer ab und banden unsere Beine so fest, daß wir viel Schmerz erlitten. Ich wußte wohl, daß jede Vorstellung fruchtlos wäre, weshalb ich auch den Versuch dazu unterließ, und mein Gefährte schien darüber erfreut zu sein, daß der Riemen in sein Fleisch schnitt, denn er sagte:
»Jetzt nimmt mein Märtyrerthum seinen Anfang.«
Ach der arme Mann – doch ich will meiner Geschichte nicht vorgreifen. Wir marschirten drei Tage lang, ohne weitere Nahrung zu erhalten, als täglich eine kleine Portion getrockneten Maises, welche nur eben gegen Hungersterben zureichte. Am vierten Morgen, nachdem wir etwa eine Stunde gewartet, huben die Indianer ein schrilles barbarisches Geschrei an – ihr Kriegsgeschrei, wie ich später erfuhr. Es wurde in der Ferne von andern wiederholt, und etwa eine Viertelstunde später gelangten wir unter eine Gruppe von Wigwams (so heißen nämlich die Häuser der Indianer), wo uns bald ein großer Haufen von Männern, Weibern und Kindern umringte, die uns mit Hohnworten und Drohungen begrüßten.
Wir wurden in einen Wigwam geführt, der größer war, als die übrigen, und fanden daselbst mehrere ernst aussehende Indianer versammelt. In ihrem Kreise war ein Mann, der Englisch sprechen konnte und als Dollmetscher dienen mußte. Er fragte uns, woher wir mit dem Canoe kämen. Ich erwiederte darauf, wir kamen aus dem Süden, seien aber mit einem großen Schiff gescheitert und hätten das Canoe an der Küste gefunden. Damit hatte das Verhör ein Ende. Wir wurden hinausgeführt, und ungefähr eine Stunde später kam der Indianer, der bei unserer Gefangennehmung Englisch gesprochen hatte, mit zwei anderen zu uns, um uns einen schwarzen Anstrich zu geben. Er sagte dabei:
»Der weiße Mann liebt Farb' – schwarze Farb' gut.«
Erst später brachte ich in Erfahrung, die schwarze Farbe sey ein Zeichen unserer Verurteilung zum Tode. Sie nahmen uns die Beinkleider, diese einzige Gewandung, welche wir noch anhatten, ab und ließen uns nackt liegen. Zu meinem Erstaunen wollten sie nichts von dem Diamant, den ich in Leder eingenäht und um meinen Hals gehängt hatte; der Grund lag übrigens in der Thatsache, welche mir damals noch nicht bekannt war, daß die Indianer, welche große Stücke auf Zauberer und Amulette halten, selbst gar mancherlei Anhängsel tragen und diejenigen, welche sie an ihren Feinden finden, respektiren, ja sogar sich davor fürchten, weil sie glauben, der Besitz derselben könne ihnen Schaden bringen. Den Tag über wurden wir in einem Wigwam bewacht, am andern aber herausgeführt und unserer Bande entledigt. Sämmtliche Indianer mit ihren Weibern und Kindern hatten sich in zwei Reihen aufgestellt und trugen Keulen, Pfähle oder Stöcke in den Händen.
Wir wurden nun nach dem Ende der Reihe geführt und schauten erstaunt umher. Die Indianer machten uns Zeichen, die wir nicht verstanden, und während wir in bangen Zweifeln unseres Geschickes harrten, trat ein altes Weib, die mir schon einige Zeit drohend zugegrinst hatte – die häßlichste Kreatur, die mir je in Weibergestalt vorgekommen – zu mir heran, um mir einen Strohhalm ins Aug zu stoßen. Der Schmerz setzte mich so in Wuth, daß ich ihr vor den Magen einen Fußstoß versetzte, welcher sie eingeknickt auf den Boden niederstreckte. Allerdings erwartete ich für diesen Ausbruch meines Grimms im nächsten Augenblick scalpirt zu werden, aber ich hatte geirrt; die Indianer lachten blos, und einige andere Weiber schleppten die Alte weg.
Endlich näherte sich der Dolmetscher, und von ihm erfuhren wir, daß wir Spießruthen laufen sollten; sobald wir die große Hütte erreicht hätten, in welcher wir Tags zuvor von dem alten Indianer ins Verhör genommen wurden, seyen wir sicher und dahin müßten wir so schnell wie möglich zu kommen suchen. Der Portugiese, dem es noch so schlimm im Kopf spuckte, wie nur je, wurde nun vorwärts geschoben; er wollte nicht rennen, sondern ging langsam und war stolz auf die Schläge, die wie Hagel auf ihn niederschauerten; dazu hinderte er auch mich eine Zeitlang schnell zu laufen, bis ich an ihm vorbei war. Meine Peiniger hatten mich grausam zerfleischt und ich war ganz wahnsinnig vor Schmerz. Da bemerkte ich mit einemmal einen großen, hageren Indianer, der mit einer schweren Keule auf mich wartete. Ohne Rücksicht auf die Folgen stürzte ich an ihm vorbei, zugleich ihm einen so gewaltigen Faustschlag unter das rechte Ohr versetzend, daß er besinnungslos niederfiel, ohne je wieder aufzustehen, denn der Schlag hatte ihn getödtet. Bald nachher erreichte ich den Berathungs-Wigwam, und eine Weile später langte mein Begleiter an, an dem das Blut in Strömen niederfloß. Wir wurden sodann weggeführt und etwa zwanzig Schritte von einander mit den Hälsen an zwei Pfähle gebunden – eine Lage, in welcher wir die Nacht hindurch verbleiben mußten.
Der Portugiese verbrachte die Nacht mit Singen, ich in stummem Gebet. In der Ueberzeugung, daß uns der Tod bevorstehe, fürchtete ich mich nur vor dem Scheiterhaufen oder vor der Folter, denn ich hatte Einiges von den Sitten und Gebräuchen dieser Indianer gehört. Ich machte meinen Frieden mit Gott, so gut es ein armer Sünder konnte, betete um Gnade durch Jesus Christus, seufzte der fernen Geliebten mein Lebewohl zu und machte mich aufs Sterben gefaßt.
Am andern Morgen früh brachten die Indianer Brennholz und häuften es bundweise in einem Kreise von ungefähr vierzehn Schritten Halbmesser um die Pfähle auf. Dann gingen sie auf den Portugiesen zu, banden ihm hinten seine Hände und vertauschten den Strick, mit welchem er befestigt gewesen, gegen einen viel stärkeren, dessen eines Ende sie hinten an seinen Handgelenken, das andere an dem Pfahl anbrachten. Mich ließen sie vorderhand in Ruhe, und es war augenscheinlich, daß der Portugiese zuerst leiden sollte. Sie steckten sodann die Holzhaufen um den Pfahl her in Brand. Was sie damit wollten, konnte ich mir nicht denken, da die Flammen zu weit entfernt waren, als daß sie den Dulder hätten beschädigen können; indeß sah ich doch, wie sich leicht vorstellen läßt, in peinlichster Angst und Spannung zu, weil mir die Voraussetzung nahe genug lag, sein Schicksal werde auch das meinige seyn.
Während dieser erschreckenden Vorbereitungen schien der Portugiese sich der Scene sogar zu erfreuen.
»Ihr sollt jetzt sehen, mein lieber Freund,« sagte er zu mir, »was ich für den wahren Glauben zu dulden vermag. Sogar ein Ketzer, wie Ihr, wird durch mein Beispiel bekehrt werden, und wenn ich zum Himmel auffahre, werde ich Euch in meinen Armen tragen. Heran, ihr Teufel – heran, ihr Heiden, und seht, was ein Christ zu leiden im Stande ist.«
So sehr ich auch für ihn und mich selbst bangte, konnte ich doch nicht beklagen, daß seine Vernunft von ihm gewichen war, weil, meiner Ansicht nach, seine Leiden dadurch gemindert wurden; indeß erstickten seine Ausrufe bald unter dem lauten Gezeter der Indianer, welche jetzt insgesammt auf meinen unglücklichen Gefährten los stürzten.
Einige Augenblicke drängten sie sich so dicht um ihn her, daß ich nicht bemerken konnte, was sie trieben; als sie aber wieder auseinander wichen, sah ich, daß er reichlich blutete. Nase und Ohren waren ihm abgehauen und ein zerbrochener eiserner Ladstock stak ihm durch beide Wangen. Jetzt folgte eine Scene, die mir selbst bei der Erinnerung noch das Blut eisig durchläuft. Einige ergriffen brennende Pfähle und sengten damit sein Fleisch, Andere steckten ihm eine Menge von Splittern in die Haut, deren Enden sie anzündeten. Die indianischen Krieger schossen mit Musketen auf ihn, die nur mit Pulver geladen waren, so daß er an jedem Theile seines Körpers schrecklich verbrannt wurde, während die Weiber glühende Kohlen mit den Händen aufgriffen und ihn damit bewarfen, so daß der Grund, auf den er trat, eine einzige Masse glühender Asche war und er auf Feuer zu gehen schien.
Nun wurden rothglühende Eisenstücke herbeigebracht und sein Körper an allen Theilen versengt – seine Quälgeister suchten mit teuflischem Scharfsinn die Stellen auf, wo er am meisten Schmerz empfinden mußte. Endlich brachte einer das glühende Eisen an seine Augen und brannte sie ihm aus. Denkt Euch meine Gefühle bei dieser fürchterlichen Scene, deren Wiederholung in so kurzer Zeit mir selbst bevorstand; denkt Euch dabei ferner noch, Madame, wie seltsam es auch klingen mag, daß mein Gefährte nicht nur nicht vor der Folter zurückbebte, sondern sogar seine Quäler verlachte, indem er dabei Gott für seine Güte pries, daß er in dieser Weise ein Märtyrer des wahren Glaubens werden durfte. Ohne Widerrede bot er seinen Leib den für ihn bereiteten Qualen dar und jauchzte sogar dabei. Wie sehr Euch auch dieses Benehmen meines geisteskranken Freundes befremden mag, so schienen die Indianer doch großes Wohlgefallen daran zu haben.
Diese Folter hielt fast zwei Stunden an. Der Körper des Unglücklichen war überall von Brandmalen und Blut geschwärzt, während das versengte Fleisch einen schrecklichen Geruch verbreitete; aber er schien nachgerade völlig erschöpft und gegen den Schmerz fast unempfindlich geworden zu seyn. Wie zuvor ging er auf den brennenden Kohlen um den Pfahl herum und wußte augenscheinlich nichts mehr davon, wann ihm eine neue Qual angethan wurde. Die Hymnen, die er in portugiesischer Sprache sang, tönten nur noch matt, und bald nachher fiel er mit dem Antlitz auf die brennenden Kohlen nieder; aber selbst das Braten seines Gesichtes schien keine Wirkung auf ihn zu üben. Jetzt ging ein Indianer auf ihn zu, beschrieb mit seinem Messer einen Kreis um seinen Kopf und riß ihm den ganzen Skalp, Fleisch und Haare zumal, herunter. Nachdem dies geschehen war, hob das alte Weib, das ich vor meinem Spießruthenlaufen mit einem Fußstoße begrüßt hatte und das nun die Ohren des Unglücklichen an einer Schnur um ihren Hals trug, eine Handvoll brennender Kohlen auf und schüttete sie auf sein blutendes Haupt.
Dies schien ihn zu sich zu bringen. Er richtete den Kopf auf, aber seine Züge waren nicht mehr zu unterscheiden, da sein ganzes Gesicht wie eine schwarz gebrannte Kohle aussah. Aber zu meinem großen Erstaunen erhob er sich abermals auf seine Beine und wankte noch etliche Minuten umher, die Worte ausrufend:
»Nehmt mich auf, ihr glorreichen Heiligen! Ihr Engel Gottes, nehmt mich auf!«
Endlich sank er, den Rücken gegen den Pfahl gekehrt, wieder nieder, und einer der Indianer spaltete ihm den Schädel mit seinem Tomahawk. So endete das Leben und das Elend meines unglücklichen Gefährten. – Die Reihe kam jetzt an mich.
Nun, dachte ich, mein Leiden wird nur ein paar Stunden währen, und dann bin ich dem Bereich ihrer Bosheit entronnen. Möge Gott Erbarmen tragen mit meiner Seele.
Es fanden nun dieselben Vorbereitungen Statt. Ich wurde mit dem starken Tau befestigt, man band mir die Hände hinten fest, und das Holz ward in Flammen gesetzt. Mittlerweile redete einer der Häuptlinge die Indianer an. Sobald er damit fertig war, erscholl ein gellendes Geschrei, und das alte Weib, deren ich vorhin Erwähnung gethan, lief auf mich zu, indem sie ihre Hand auf mich legte und etwas sprach, was ich nicht verstehen konnte.
Auf dies hin zogen sich die Indianer, welche auf mich einzubrechen im Begriff standen, mit Zeichen der getäuschten Erwartung in ihren wilden Gesichtern, zurück. Die Häuptlinge begaben sich sodann in das Berathungshaus und ließen mich gebunden stehen, während das Holz um mich her fortbrannte und die Indianermasse außen einen Kreis bildete, als erwarte sie die Entscheidung der Häuptlinge. Nach einer Weile kamen drei Indianer, darunter der Dolmetscher auf mich zu, stießen das brennende Holz bei Seite und machten mich los.
Ich fragte den Dolmetscher, was er von mir wolle, und erhielt zur Antwort:
»Ihr tödten den Indianer da (er deutete dabei auf sein eigenes Ohr) und Ihr bringen ihn todt um. Squaw verlier ihren Mann – will einen andern – nimmt Euch statt seiner.«
Ich wurde nun nach dem Berathungshaus geführt und den Häuptlingen vorgestellt. Das alte Weib, welchem ich einen Fußtritt versetzt hatte, war gleichfalls zugegen. Der Indianer, welchen ich durch einen Schlag hinter's Ohr getödtet, war ihr Gatte gewesen, und sie hatte an seiner Statt auf mich Anspruch erhoben, welcher nach Landesbrauch als gerechtfertigt erschien; ich sollte deshalb ihr übermacht und in den Stamm aufgenommen werden. Freilich eine seltsame Sitte, daß ein Weib den Mörder ihres Mannes heirathen will – aber gleichwohl war es so, und dem Herkommen hatte ich es zu danken, daß ich von dem Marterpfahl befreit wurde, als ich es am wenigsten erwartete. Der erste Häuptling hielt nun eine Rede an mich, die mir verdolmetscht wurde; ich erfuhr daraus, daß ich jetzt der Mann von Manu sey und ihrem Stamm angehöre; ich müsse aber stark im Krieg seyn, fleißig jagen und meine Familie mit Wildpret versehen.
Man wusch mir sodann die schwarze Farbe ab, und nach ein paar weiteren Reden und Ceremonien wurde ich der garstigen alten Hexe überantwortet, deren Hals noch immer mit den beiden Ohren meines Gefährten verziert war. Ich würde zu viel behaupten, wenn ich sagen wollte, daß mir die Folter lieber gewesen wäre; gleichwohl aber hatte ich einen Abscheu gegen dieses Geschöpf, der nur durch den Schrecken vor einem so grausamen Tode überwältigt werden konnte. Ich sprach übrigens nicht, sondern ließ mich von ihr bei der Hand fassen und nach ihrem Wigwam führen. Sobald ich daselbst angelangt war, brachte sie mir etwas Wildpret, von dem ich gierig aß, denn ich hatte in 36 Stunden nichts genossen. Dann brachte sie mir die indianische Beinbekleidung und den sonstigen Zubehör, des indianischen Anzugs – wahrscheinlich lauter Gegenstände, die ihrem erschlagenen Mann gehört hatten. Erfreut, meine Blöße bedecken zu können, hüllte ich mich darein, dankte Gott für meine wunderbare Erhaltung und legte mich dann, vom Gehen und der Anstrengung im höchsten Grad erschöpft, nieder, um alsbald in einen tiefen Schlaf zu verfallen.
Ich erwachte erst am andern Tage wieder und bemerkte nun, daß mir die Alte mit Oel die tiefen Einschnitte rieb, welche die Lederriemen an meinen Handgelenken und Schultern zurückgelassen hatten. Sie setzte mir wieder Fleisch vor, und ich aß gierig davon, konnte sie aber nur mit Abscheu ansehen, und wenn sie gar versuchte, mich liebzukosen, wandte ich mich ab und spie aus – eine Behandlung, ob der sie sich murrend zurückzog. Ich hatte jetzt Muße zum Nachdenken. Mit Schaudern vergegenwärtigte ich mir die Scenen der jüngsten Vergangenheit und dankte Gott abermals für meine Befreiung. Wie oft hatte er mich nicht erhalten und gerettet – aus der Sklaverei in Afrika, aus meiner Haft im Tower, aus der hoffnungslosen Knechtschaft in den Minen, aus unserem Schiffbruch an der Insel und nunmehr nach so vielfältigen Gefahren aus der allerschrecklichsten, die mir mit einem grausamen Tod durch die Folter drohte. Ich empfand aus tiefster Seele, wie dankbar ich der waltenden Vorsehung seyn mußte, die mich so oft gerettet hatte und deren gnädigem Schutz ich mich auch für die Zukunft anheimgab.
Aber da war ich nun unter Wilden und mit einem Weibe verbunden, das ich verabscheute. Mein einziger Trost war der Gedanke: derselbe gütige Himmel, der schon so viel für mich gethan hat, wird mich seiner Zeit auch aus dieser Knechtschaft befreien. Inzwischen will ich nicht murren, sondern dankbar seyn. Meine Squaw (wie man die Weiber unter den Indianern nennt) kam nun auf mich zu und erbot sich, mich zu bemalen – ein Dienst, den ich mir um so bereitwilliger gefallen ließ, weil ich wohl fühlte, je bälder ich mich den Gewohnheiten der Wilden anbequemte, desto eher dürfte sich mir Gelegenheit bieten, zu entwischen; denn ich war entschlossen, den ersten besten Anlaß zur Flucht zu benützen.
Sobald sie meine Toilette beendigt hatte, trat ich aus dem Wigwam, um meine Umgebung zu mustern und mich sehen zu lassen. Die Indianer, welche außen umherschlenderten, begrüßten mich mit einem freundlichen: »Uff«, eine Sylbe, die unter ihnen sehr beliebt zu seyn schien. Endlich traf ich den Dolmetscher, mit dem ich mich zu unterhalten begann. Auf meine Frage, welcher Nation ich jetzt angehöre, erhielt ich die Antwort, »den Massowonicks«. Ich erkundigte mich nun weiter nach dem Umfang ihres Landes, und er erzählte mir viel, was ich nicht verstehen konnte; so viel aber entnahm ich daraus, daß der Stamm sehr mächtig war.
Ich hütete mich wohl, der Engländer Erwähnung zu thun oder auf Gegenstände anzuspielen, die auf eine englische Niederlassung Bezug hatten, wie sehr ich mich auch über derartige Gegenstände nach Auskunft sehnte; indeß erkundigte ich mich doch, ob sie nicht mit irgend einer andern Nation im Kriege lebten. Er antwortete mit Nein; sie hätten zwar früher andere Stämme bekriegt, lebten aber jetzt im Frieden, um sich gegen den weißen Mann vereinigen zu können, der ihnen ihr Land genommen habe.
»Ich bin jetzt ein Indianer?« fragte ich.
»Ja, und Du jetzt den weißen Mann vergessen,« sagte er. »Jetzt auch rothes Blut in Deinen Adern. Du heirathen Indianerweib und jetzt ganz dasselbe, was ein Indianer.«
»Darf der Indianer sein Weib schlagen, wenn sie zuviel spricht?« fragte ich.
»Viel sprechen, viel schlag,« sagte er.
»Wenn nun mein Weib zu viel redet, und ich sie schlage, was sagen eure Indianer dazu?«
»Sagen gut. Wenn Weib zu alt, so Ihr nehmt zwei Weib, eines mehr jung.«
Diese Mittheilung befriedigte mich sehr, nicht so fast, weil mir auch nur entfernt eingefallen wäre, sie zu einer Doppelehe zu benützen, sondern weil ich vielmehr einen unüberwindlichen Widerwillen gegen mein dermaliges Weib fühlte und bereits mich durch den Augenschein überzeugt hatte, was für eine Furie sie seyn konnte. Ich beschloß daher, ihr im Nothfall zu zeigen, daß ich ihr Herr sey, sintemal ich die Ueberzeugung in mir trug, sie werde im gegentheiligen Fall bald mich zu meistern suchen – und so stellte sich's auch heraus. Am dritten Tage nahm sie einen Bogen nebst Pfeilen herunter und bedeutete mir durch Zeichen, ich solle ausziehen und Lebensmittel zurückbringen. Da nichts mehr im Hause war, so hielt ich dieses Ansinnen für ganz in der Ordnung. Ich trat aus dem Wigwam und sah nun, daß viele junge Männer sich zu einer Jagdpartie anschickten, der ich mich anschließen sollte. Wir brachen auf und wanderten sechs Stunden, ehe wir auf dem Jagdgrund anlangten. Als der erste Hirsch an mir vorbeikam, dachte ich an Whyna und die Jagd in den afrikanischen Wäldern. Das Glück begünstigte mich und ich erlegte zwei Hirsche – zur großen Ueberraschung der Indianer, welche glaubten, ein Weißer wisse sich des Bogens und der Pfeile nicht zu bedienen. Die Folge davon war, daß ich sehr in ihrer Achtung stieg. Das Wildpret wurde zerlegt, und was wir nicht fortschaffen konnten, hingen wir an den Zweigen auf.
Wir kehrten dieselbe Nacht nicht zurück, sondern hielten bei einem großen Feuer unser Mahl. Am nächsten Morgen brachten wir insgesammt unsere Jagdbeute nach Hause; die meinige war so groß, wo nicht größer, als die eines jeden Andern, und dennoch ermüdete ich unterwegs nicht, denn ich war von Natur aus sehr kräftig und hatte mich in letzter Zeit in Folge der Anstrengungen abgehärtet. Sobald wir angelangt waren, wurden die Weiber und diejenigen Indianer, welche die Jagd nicht mitgemacht hatten, ausgesendet, um den Rest des Wildprets zu holen. Ich zog nun jeden Tag für mich aus und übte mich mit dem Bogen, bis ich besser eingeschossen war. Eine Muskete besaß ich nicht, wohl aber einen Tomahawk und ein langes Messer. Nach und nach erlernte ich auch Einiges von der Sprache der Indianer, in der ich unter Beihülfe des Dolmetschers bald gute Fortschritte machte. Noch ehe ich mich drei Monate unter meinen neuen Stammgenossen aufgehalten, hatte ich ihr Vertrauen und ihre Achtung gewonnen. Sie fanden, daß ich sehr gewandt und wohl im Stande war, meinen Unterhalt zu gewinnen; auch kann ich hier beifügen, daß ich noch vor Ablauf dieser drei Monate mein Weib gemeistert hatte. Als sie fand, ich wolle mir ihre Liebkosungen nicht gefallen lassen, wurde sie sehr böse und heftig; aber ich schlug sie zu Boden und zerbläuete sie unbarmherzig. Dies brachte sie zur Besinnung, und später behandelte ich sie mit großer Strenge als meine Sklavin, ein Benehmen, um dessen willen ich bei den Indianern nur um so beliebter wurde, da sie als Keiferin verrufen war.
Ihr werdet denken, Madame, daß dies kein schönes Benehmen gegen ein Weib war, welches mir das Leben gerettet; sie hatte jedoch dabei ihre eigenen Zwecke und würde, wenn ihr Mann nicht von mir erschlagen worden wäre, meine Ohren eben so gut als Zierrath getragen haben, wie die meines Gefährten. Und überhaupt blieb mir keine andere Wahl; ich mußte sie entweder freundlich behandeln und mich ihren ekelhaften Zärtlichkeiten unterziehen, oder sie durch Strenge in achtungsvoller Entfernung halten. Daß ich lieber den letzteren Weg einschlug, brauche ich kaum zu sagen. In ihrem neuen Gatten hatte sie eine schlimme Wahl getroffen, da sie sich dadurch nichts als Schläge und schlechte Behandlung zugezogen. Eines Tags, als ich mein Weib wegen des »Zuviel-Sprechens«, wie die Indianer sagten, aus dem Wigwam getrieben hatte, machte mir der Dolmetscher die Mittheilung, daß einer der Häuptlinge wünsche, ich solle seine Tochter heirathen; denn wie bereits bemerkt, waren meine Stammgenossen Polygamisten.
Dieses Ansinnen brachte mich in große Verlegenheit, denn ich kannte das Mädchen sehr gut. Sie war sehr anmuthig und hübsch und ich fühlte, daß meiner Treue gegen Amy eine große Gefahr drohte, wenn die Heirath statt fand; auch durfte ich es nicht wagen, eine so große Auszeichnung zurückzuweisen, wenn mir förmlich der Antrag gestellt wurde.
Ich gab dem Dolmetscher zur Antwort, daß ich mich durch die Absichten des Häuptlings sehr geehrt fühle, indeß fürchte ich doch, mein gegenwärtiges Weib werde das Mädchen sehr unglücklich machen, da diese die Herrin im Wigwam spielen wolle, und wenn ich nicht zu Hause sei, könne ich nicht sagen, wie die Alte sie behandle. Damit wurde das Gespräch abgebrochen.
Die kleine Indianerin hatte mir schon früher so viel Gunst erzeigt, als überhaupt ein Indianermädchen nur kund zu geben wagt, und ich konnte jedenfalls hieraus die Ueberzeugung gewinnen, daß ich ihr nicht unangenehm sei. Die Mittheilung des Dolmetschers brachte mich daher in eine sehr unbehagliche Stimmung. Ich tröstete mich jedoch mit dem Bewußtsein, wenn ich gezwungen werden sollte, das Mädchen zu heirathen, so sey die Untreue von meiner Seite unfreiwillig, folglich um deswillen zu entschuldigen; denn die Hoffnung, mich mit der Zeit mit Amy zu verbinden, verließ mich keinen Augenblick.
Eines Tags ging ich auf die Hirschjagd und kam in Verfolgung eines Bocks, den ich angeschossen hatte, von meinen Kameraden ab, ohne daß diese mich in freier Verfolgung meines Wildes hinderten. Die Spur verlor sich oft; aber ich fand sie stets wieder auf und folgte ihr, bis ich in der Nähe der Stelle, wo ich den Hirsch zum letztenmal gesehen, den Knall einer Muskete vernahm. Ich glaubte, ein Indianer habe das Thier erlegt, weshalb ich behutsam vorwärts trat; aber jetzt bemerkte ich, daß ein weißer Mann neben dem Thiere stand, welches zu seinen Füßen lag. Ich wich zurück, da ich nicht wußte, ob ich einen Freund oder einen Feind vor mir hatte; in der Ueberzeugung übrigens, er habe noch nicht Zeit gehabt, seine Muskete wieder zu laden, rief ich ihm, noch immer hinter einem Baume verborgen, ein Halloh zu.
»Seyd Ihr es, Evans?« rief der Mann zur Erwiederung.
»Nein,« versetzte ich; »aber es ist ein Engländer.«
»Nun, so zeigt Euch,« versetzte er.
»Ich bin wie ein Indianer gekleidet,« entgegnete ich, »da ich von den Indianern gefangen genommen wurde.«
»Wohlan, so kommt hervor,« sagte der Mann, der die Tracht eines Seefahrers trug.
Ich kam hinter dem Baum hervor, und als er meiner ansichtig wurde, nahm er seine Muskete auf.
»Fürchtet Euch nicht,« sagte ich.
»Fürchten?« versetzte er. »Ich möchte doch wissen, was ich fürchten sollte. Aber ich will auf meiner Hut seyn.«
»Recht so,« erwiederte ich.
Ich erzählte ihm sodann, wie ich von den Indianern gefangen worden und wie mein Leben erhalten geblieben, weil mich eines ihrer Weiber zum Manne gewählt habe; indeß sey mein ganzes Sehnen darauf hingerichtet, ihnen zu entkommen.
»Gut,« sagte er; »ich bin an Bord eines Schooners, der in dem Fluß unten vor Anker liegt. Einige von uns haben gelandet, um etwas Wildpret zu schießen, und ich bin von meinen Kameraden abgekommen. Indeß dachte ich mir nicht, daß sich so nahe an den englischen Ansiedelungen Indianer aufhielten.«
»Sind die Ansiedelungen so nahe?« erwiederte ich. »Ich weiß wahrhaftig nicht, wo ich bin. Allerdings ist dies nicht unser gewöhnlicher Jagdgrund; ich habe mich durch die Verfolgung des Thiers, das hier vor Euch liegt, eine große Strecke davon abführen lassen.«
»Dies kann ich mir denken, denn ich bin mehr als einmal hier am Lande gewesen, ohne je mit einem Indianer zusammenzutreffen. Ihr fragt, wie weit Ihr von den Ansiedelungen seyet? Genau kann ich Euch dies nicht sagen, weil sich die Ansiedler so weit ausgebreitet haben; aber von hier mögen es ungefähr acht oder zehn Meilen bis Jamestown seyn«
»Und in welchem Fluß liegt Euer Schooner vor Anker?«
»Ich kenne seinen Namen nicht,« versetzte der Mann; »ja, er hat vielleicht nicht einmal einen. Wir holen hier unser Holz und Wasser, weil der Strich ruhig und unbewohnt ist, wir also nicht mit unbequemen Fragen behelligt werden können.«
»Und was seyd Ihr?« fragte ich.
»Um Euch die Wahrheit zu sagen, man nennt uns die lustigen Corsaren, und wenn Ihr Lust habt, zu uns an Bord zu kommen, so denke ich wohl, daß sich ein Berth für Euch finden läßt.«
»Vielen Dank,« versetzte ich; »aber ich bin kein Freund von der See und würde Euch von keinem Nutzen seyn.« (Aus seiner Mittheilung entnahm ich nämlich, daß er zu einem Raubschiffe gehörte.)
»Haltet dies, wie Ihr wollt, es liegt nichts daran,« entgegnete er.
»Immerhin bin ich Euch für Euer freundliches Anerbieten dankbar,« erwiederte ich; »aber ich kann's an Bord eines Schiffs nicht lange aushalten. Wollt Ihr wohl so gut seyn, mir zu sagen, in welcher Richtung die englischen Pflanzungen liegen?«
»Gerade dahin,« entgegnete er. »Ich denke, wenn Ihr fünf oder sechs Stunden wandert, werdet Ihr bei einer oder der andern Pflanzung an Bord fallen. Genau in dieser Richtung. Geht nur Eurer Nase nach, alter Knabe, und Ihr könnt nicht fehlen.«
»Vielen Dank,« sagte ich. »Aber werde ich nicht auf Eure Kameraden treffen? Sie könnten mich für einen Indianer halten.«
»In dieser Richtung nicht,« versetzte er; »sie waren weit im Stern von mir.«
»So lebt denn wohl. Vielen Dank.«
»Lebt wohl, alter Knabe; und je eher Ihr Euch diese Farbe abreibt, desto bälder werdet Ihr wieder wie ein Christenmensch aussehen,« erwiederte der sorglose Pirat, während ich meines Weges weiter ging.
»Sein Rath ist nicht übel,« dachte ich, denn ich war nun entschlossen, so schnell wie möglich die englischen Ansiedelungen aufzusuchen. »Ich will ihm folgen, sobald ich einer englischen Wohnung ansichtig werde, aber früher nicht; denn ich könnte doch noch mit Indianern zusammentreffen.«
Ich war jetzt daran gewöhnt, weite Strecken ohne Unterbrechung zu verfolgen, weshalb ich den Piraten in kurzer Zeit weit hinter mir hatte. Meine Eile setzte ich bis zum Einbruch der Dunkelheit fort. Jetzt vernahm ich das Gebell eines Hundes, welches, mir ankündigte, daß er zu einer englischen Ansiedelung gehörte; denn die indianischen Hunde bellen nicht. Ich ließ mich durch die Töne leiten und zog behutsam weiter, bis ich nach einer Viertelstunde auf einem gelichteten Grund anlangte, der von einem Zaun umgeben war.
»Gott sey Dank!« rief ich, »daß ich endlich wieder unter meinen Landsleuten bin.«
Ich hielt es jedoch nicht für räthlich, mich zu einer solchen Stunde der Nacht mit meinem indianischen Anstrich zu zeigen, weshalb ich mich unter einem Baume niedersetzte und daselbst bis zum Morgen wartete. Dann sah ich mich nach Wasser um und wusch, nachdem ich einen Bach gefunden, meine Farbe ab, so daß ich wieder als das aussah, was ich wirklich war, nämlich als ein Weißer in indianischem Anzug. Ich ging sodann wieder nach der Lichtung hinauf und erblickte ungefähr hundert Schritte davon, auf der Höhe eines Berges, die Wohnung. Im Umkreise von etwa dreihundert Schritten waren sämmtliche Bäume geschlagen. Das Haus war aus schweren, ineinandergefügten Holzstämmen gebaut und hatte nur ein einziges, sehr kleines Fenster. Ich ging hinauf und klopfte an die noch verschlossene Thüre.
»Wer da?« rief eine rauhe Stimme.
»Ein fremder Engländer,« versetzte ich. »Ich bin eben erst den Indianern entkommen.«
»Na, wir werden bald sehen, was Ihr seyd,« entgegnete die Stimme. »James, gib mir mein Gewehr.«
Einige Minuten später ging die Thüre auf, und ich erblickte ein mehr als sechs Fuß hohes, hageres, grobknochiges Weib von so mannartigem Aussehen, wie mir nie ein ähnliches vorgekommen ist. Sie war die Sprecherin gewesen. Neben dem Feuerplatze saßen zwei Männer.
»Wer seyd Ihr?« begann sie abermals, die Muskete in einer Weise haltend, daß sie jeden Augenblick auf mich anlegen konnte.
Ich ertheilte ihr in wenigen Worten die geeignete Auskunft.
»Zeigt mir Eure Handfläche – weist her.«
Ich entsprach ihrer Aufforderung, über deren Grund ich mir keine Vorstellung bilden konnte; indeß erfuhr ich nachher, daß sie sich überzeugen wollte, ob ich nicht zu den nach den Ansiedelungen gebrachten Deportirten gehöre, da diesen in der Handfläche der Buchstabe R eingebrannt ist.
»Ah ich sehe, Ihr seyd kein Galgenvogel. Nun, so kommt herein. Aber seyd so gut, mir zuvor diesen Bogen und die Pfeile zu geben.«
»Ohne Bedenken, wenn Ihr es wünscht,« entgegnete ich.
»Es geht in dieser Welt nichts über die Vorsicht und obgleich Ihr sehr friedfertig und, trotz Eures indianischen Anzugs, gar nicht übel ausseht, so habe ich doch Leute gekannt, die ungeachtet einer eben so guten Außenseite mitunter recht schlimm waren. Na, kommt herein und laßt uns hören, was Ihr für Euch zu sagen habt. Jeykell holt mehr Holz herbei.«
Einer der Männer entfernte sich, um der Aufforderung Folge zu leisten, während der Andere, die Muskete zwischen den Knien, an dem Feuer sitzen blieb. Man hieß mich neben dem Feuer Platz nehmen, und das Weib, welches sich an der Seite des Mannes niederließ, wiederholte nun ihre Fragen, weshalb ich ihr mein Abenteuer von der Zeit an, als ich Rio verlassen, erzählte.
»Wir hören selten dergleichen Geschichten,« sagte sie. »Sie sind wie aus einem Buch. Aber was habt Ihr denn da um Euren Hals hängen? (Sie deutete dabei auf den Diamant in seiner Umhüllung). Eure Geschichte schweigt darüber.«
»Es ist ein Zauber, den mir mein Indianerweib gegeben hat, und der mich gegen Beschädigung vor wilden Thieren schützen soll. Kein Panther, Wolf oder Bär wird mich je angreifen.«
»Nun, wenn er solche Kraft hat,« versetzte sie, »so kann man ihn wohl in diesen Theilen tragen; denn Sommers gibts in den Wäldern wilde Thiere genug, und in Winternächten hat man sie auch um das Haus her. Was mich betrifft, so glaube ich nicht an Zauber. Nun, wenn sie auch nichts nützen, so können sie wenigstens nichts schaden, und so mögt Ihr den Eurigen denn meinetwegen behalten.«
»Darf ich fragen, wie weit es nach Jamestown ist?« sagte ich.
»Wie, schon jetzt nach Jamestown? Schätz wohl, Ihr hofft, heute Abend schon dort zu seyn?«
»Dies nicht gerade, mein gutes Weib,« versetzte ich. »Ich muß Eure Güte in Anspruch nehmen und Euch bitten, mir etwas zu essen zu geben, denn ich bin hungrig.«
»Gutes Weib? pah! Und mit Erlaubniß, wie untersteht Ihr Euch, mich gutes Weib zu nennen? Begrüßt mich als Mistreß, wenn Ihr etwas wollt.«
»Ich bitte um Verzeihung,« versetzte ich; »wohlan denn, Mistreß wollt Ihr mir etwas zu essen geben?«
»Ja. James, holt den Mehlkuchen und ein Stück eingesalztes Schweinefleisch. Dies könnt Ihr ihm zu essen geben, während ich die Kühe aus dem Gebüsch rufe.«
Die Mistreß, wie ich sie künftig nennen werde, stellte sodann ihre Muskete nieder und verließ die Hütte. Während ihrer Abwesenheit unterhielt ich mich mit dem Manne, den sie James genannt hatte, denn der Andere war ausgegangen. Auf meine Erkundigung, wie weit es nach Jamestown sey, entgegnete er, daß er dies nicht zu sagen wisse; er sey herüber deportirt und an den Mann der Mistreß, welcher vor zwei Jahren gestorben, auf zehn Jahre verkauft worden. Besagter Mann habe ein kleines Schiff besessen, in welchem er zu Wasser nach Jamestown zu gehen pflegte, und er, James, sey in diesem Fahrzeug nach der Ansiedlung gekommen. Zu Wasser möge die Stadt sechzig Stunden, zu Land aber nur halb so weit entfernt seyn; er wisse übrigens den Weg nicht und glaube auch nicht, daß es eine Straße dahin gebe, denn die Pflanzung stehe ganz abgeschieden und in großer Entfernung von jeder andern – von der nächsten vielleicht acht Stunden, und auch dahin gebe es keinen Weg, da Niemand anders als zu Wasser komme oder gehe.
»Aber stehen nicht die Ansiedler im Krieg mit den benachbarten Indianerstämmen?« fragte ich.
»Ja, schon seit drei oder vier Jahren. Die Indianer haben in den Pflanzungen großen Schaden angerichtet und viele Leute getödtet, die Ansiedler aber dafür strenge Züchtigung eintreten lassen.«
»Wie kommts aber, daß diese einsam stehende Pflanzung nie angegriffen wurde?«
»Weil der Mann der Mistreß ein guter Freund der Indianer war. Man sagt ihm nach, er habe, allen Gesetzen und Regulationen zuwider, sie mit Musketen und Munition versehen, die er von Jamestown brachte. Aber obschon er auf freundschaftlichem Fuß mit den Indianern stand, so läßt sich dies doch von der Mistreß nicht behaupten, denn sie hat Händel mit dem ersten Häuptling gekriegt, und es sollte mich nicht Wunder nehmen, wenn wir eines Tags angegriffen und insgesammt skalpirt würden.«
»Und was sagt die Mistreß dazu?«
»Oh, sie macht sich nichts daraus und nimmts mit einem ganzen Hundert auf, mögen es nun Indianer oder Weiße seyn. Ich habe nie ein solches Geschöpf gesehen – sie fürchtet sich vor Nichts.«
»Wer ist der andere Mann, den ich hier sah?«
»Oh er ist meines Gleichens. Wir waren unserer drei; aber einer fiel aus der Schaluppe über Bord und ertrank.«
»Und wie kann ich nun nach Jamestown kommen, mein guter Freund?«
»Da bin ich wahrhaftig überfragt; indeß denke ich, Ihr werdet nie dahin kommen, wenns nicht die Mistreß wünscht.«
»Wie, sie wird mich doch nicht mit Gewalt zurückhaltend«
»Ob sie dies wird? – Da kennt Ihr sie noch nicht. Sie ist im Stand, eine ganze Armee anzuhalten,« entgegnete der Mann. »Ich glaube nicht, daß sie Euch ziehen lassen wird – zwar weiß ichs nicht, aber so ist einmal meine Meinung. Sie braucht noch einige Arbeiter.«
»Wie, Ihr wollt damit doch nicht sagen, daß sie mich zur Arbeit zwingen wird?«
»Nach den Gesetzen der Ansiedelung hat sie ein Recht, Euch anzuhalten. Jeder der hier herumstreicht und nicht genügende Auskunft von sich geben kann, darf festgehalten werden, bis man Weiteres von ihm hört, denn er kann ein entlaufener Deportirter oder ein entlaufener Lehrling seyn, was im Grunde ziemlich dasselbe ist. Hinsichtlich Eurer erklärt sie vielleicht die von Euch gegebene Auskunft für nicht befriedigend, und Ihr müßt deshalb bleiben. Wollt Ihr nun nicht arbeiten, so erhaltet Ihr auch nichts zu essen.«
»Nun, wir wollen sehen, ob sie's im Stande ist.«
»Ob sie's im Stande ist? Wenn Ihr damit einen Zweifel in ihre Stärke ausdrücken wollt, so kann ich Euch sagen, daß sie Euch mit einer einzigen Hand bezwingen wird. Sie besitzt eine eben so große Entschlossenheit und Strenge, als sie mit körperlicher Kraft begabt ist. Ich will's lieber mit drei Männern aufnehmen, und das muß wahr seyn.«
»Was muß wahr seyn, James?« rief die Mistreß, die jetzt zur Thüre hereinkam. »Ich möchte doch auch die Wahrheit von Euren Lippen hören, denn das wäre etwas Neues.«
»Ich erzählte eben, daß ich hiehergeschickt worden sey, weil ich ein Taschenbuch gefunden habe, weiter nichts.«
»Ja, aber Ihr sagtet ihm nicht, wo Ihr es fandet – Ihr wißt, es lag auf dem Boden der Rocktasche eines Gentleman, Wie ich sehe, könnt Ihr der Wahrheit nur zur Hälfte die Ehre geben.«
Um mir Gewißheit zu verschaffen, in wie weit die Vermuthungen des Deportirten richtig waren, sagte ich zu ihr:
»Ich habe Bekannte in Jamestown. Wenn ich nur erst dort wäre, so könnte ich über Geld und alles Andere in beliebiger Ausdehnung verfügen.«
»Mag seyn,« versetzte sie; »aber ich fürchte, daß heute keine Post dahin abgeht. Nach Euren vielen Mühseligkeiten und Wanderungen sollte man glauben, daß es Euch lieb wäre, ein wenig hier zu bleiben und auszuruhen; wir wollen daher etwa im nächsten Frühjahr von Jamestown reden.«
»Ich will doch nicht hoffen, Mistreß, daß Ihr mich hier aufzuhalten gedenkt? Nach meiner Ankunft in Jamestown kann ich Euch für eine freundliche Behandlung und für jede Ungelegenheit, die ich Euch mache, gut bezahlen.«
»Mich bezahlen? Wozu brauche ich Geld? Es gibt hier keine Läden, wo mein Bänder, Kattune und Mousseline verkauft, und wenns auch der Fall wäre, so bin ich keine feine Madame. Geld! Ich habe weder ein Kind, dem ich es hinterlassen könnte, noch einen Mann, der es statt meiner verthäte. Junger Mensch, ich habe Säcke auf Säcke mit Dollars, denn mein Mann wußte hübsch zusammenzuscharren; aber sie nützen mich gerade so viel, als er in seinem Grabe davon hat.«
»Es freut mich, daß Ihr so reich seyd, Mistreß, noch mehr aber, daß Ihr Euch so wenig aus dem Geld macht und so wenig davon braucht. Wenn Ihr übrigens auch des Geldes nicht benöthigt seyd, so ist mir doch sehr viel daran gelegen, zu meinen Freunden zurückzukommen, die mich für todt halten und mich betrauern.«
»Na, sie werden wohl schon ausgetrauert haben, und ihr Leid ist jetzt vorüber; deßhalb wird sie Euer längeres Ausbleiben nicht in große Sorge bringen. Ich will's Euch unverhohlen sagen, daß Ihr nicht fortkommen sollt; gebt Euch daher zufrieden, und es wird Euch nicht gereuen.«
Sie sprach dies in so entschiedenem Tone, daß ich es im Hinblicke auf die Mittheilung des Deportirten für gerathen hielt, die Sache vorderhand nicht weiter zu verfolgen. Ich beschloß, eine kleine Weile zuzuwarten und dann, im Fall sie mich mit Gewalt zurückzuhalten wollte, zu fliehen. Dies konnte ich übrigens nur wagen, wenn ich im Besitz von Feuerwaffen war, und ich durfte nicht hoffen, eine derartige Waffe zu erhalten, so lange sie Argwohn hatte. Ich erwiederte deshalb:
»Nun, da Ihr mich durchaus nicht gehen lassen wollt, so habe ich nichts weiter zu sagen, als daß ich mich gedulden will, bis Ihr Euren Sinn ändert. Mittlerweile aber erlaubt mir, daß ich mich nach Kräften nützlich mache, denn ich möchte nicht als Müßiggänger mein Brod verzehren.«
»Ihr seyd ein sehr verständiger junger Mann,« entgegnete sie, »und sollt jetzt ein Hemd auf den Leib erhalten. Ich dächte Euer Aussehen könnte sich dadurch um ein Guttheil verbessern.«
Sie begab sich nun in das innere Zimmer, welches vermuthlich ihre Schlafkammer war, da die Hütte nur zwei Gemächer barg. Wie ich ihr nachsah, konnte ich nicht umhin, mich über ihre ganze Außenseite zu verwundern. Eine genauere Musterung überzeugte mich, daß sie mehr als sechs Fuß hoch war; auch hatte sie so breite Schultern und so sehnigte Arme wie ein Mann von dieser Größe. Ihre Brust war breit und ohne Busen, so daß ich fast an ihrem Geschlecht zweifelte und sie eher für einen Mann in Weiberkleidern hielt. Ihre Züge wären in kleineren Verhältnissen nicht übel gewesen, aber ihre Nase war zu lang, obschon im Uebrigen gerade. Sie hatte ein großes, mit dichten Brauen beschattetes Auge und einen wohlgeformten Mund mit guten, regelmäßigen Zähnen; aber letzterer war von einem etwas unheimlichen Schnitt, so daß man sich des Gedankens an eine Gute nicht erwehren konnte. Ihr Gang war fest und gebieterisch; jede ihrer Geberdungen bekundete Thatkraft und Stärke, und schon ihr Gespräch mit mir hatte angedeutet, daß ihr Geist eben so männlich war wie ihr Körper. Man konnte sie daher mit Fug ein »herrliches Ungeheuer« nennen. Nach einer Minute kehrte sie zurück und brachte ein gutes gewürfeltes Hemd und ein paar Segeltuchhosen mit, die ich mit Dank annahm.
»Für diejenigen, welche mir gefallen, habe ich noch weit mehr,« warf sie sorglos hin. »Wenn Ihr Euch angekleidet habt, so kommt mit mir; ich will Euch die Pflanzung zeigen.«
Nach einigen Minuten kehrte ich zu ihr zurück, worauf sie mich nach den Tabaksfeldern und Maisäckern führte, mir dabei Alles zeigend und erklärend. Auch von den Kühen, Schweinen und dem Geflügel mußte ich Einsicht nehmen. Da ich sie für mich zu gewinnen wünschte, so stellte ich viele Fragen und that dergleichen, als interessire ich mich für Alles, was ich sähe. Dies gefiel ihr sehr wohl und sie lächelte ein oder zwei Mal – aber welch ein Lächeln! Nachdem wir eine Stunde umhergegangen, kehrten wir wieder zurück und fanden die beiden Diener eifrig im Geschäft, indem der eine Mais aushülsete, der andere in dem Schopfe, wo der Tabak getrocknet wurde, sich zu thun machte. Ich stellte einige Fragen in Betreff des Tabaks – wie viele Fässer oder Ballen sie jährlich erziele, und erhielt zur Antwort, sie lasse denselben in Ballen bringen und verkaufe ihn nach Centnern.
»Der Landtransport von hier nach Jamestown muß wohl sehr beschwerlich seyn?« fragte ich.
»Ja wohl, und ich denke, wenn er in dieser Weise fortkommen müßte, würde er wohl nie anlangen,« versetzte sie. »Ich habe jedoch im Fluß drunten eine Schaluppe, die ihn verführt.«
»Wann ist die Zeit der Erndte und wann kann er transportirt werden?« fragte ich.
»'s ist jetzt an der Zeit,« entgegnete sie. »Alles, was Ihr in den Trocknungsschuppen gesehen habt, ist von diesem Jahr. In drei oder vier Wochen hat man die Erndte im Haus, und dann fangen wir an zu packen. Nach zwei Monaten kann ihn die Schaluppe verführen.«
»Aber ist es nicht sehr kostspielig, für einen solchen Zweck eine Schaluppe zu halten, die doch Leute zur Beaufsichtigung braucht?« fragte ich sie, um zu hören, was sie sagen würde.
»Die Schaluppe liegt vor Anker, ohne daß eine Seele an Bord wäre,« sagte sie. »Niemand kommt je den Fluß herauf. Ich glaube, sogar Kapitän Smith, der diese Niederlassung entdeckte, war nur ein einziges Mal hier. Dem Vernehmen nach liegt etwa vier Meilen weiter unten ein anderer Fluß, der gelegentlich von Buccaniern besucht wird. Mein Mann hatte mit ihnen zu schaffen, vielleicht mehr, als für sein Seelenheil gut war, aber dieser kleine Fluß wird nie besucht.«
»Dann verführen Eure Diener den Tabak?«
»Ja, ich lasse einen auf der Pflanzung und nehme zwei mit mir.«
»Aber Ihr habt ja nur zwei.«
»Bevor Ihr kamt, wohl – einer ist verunglückt; aber jetzt habe ich drei.« Und sie lächelte mir wieder zu.
Wenn ich nicht gefürchtet hatte, sie zu beleidigen, so würde ich zuverlässig zu ihr gesagt haben: »ich bitte, thut Alles, nur nicht lächeln.«
Der Gegenstand wurde jetzt abgebrochen. Sie rief Jeykell, der sich in dem Tabaksschuppen befand, und befahl ihm, ein paar Hühner zu schlachten und sie hereinzubringen. Nachdem wir in die Hütte getreten, bemerkte sie gegen mich:
»Ich kann mir denken, daß Ihr nach der großen Anstrengung müde seyd; jedenfalls seht Ihr ganz darnach aus. Geht hin und schlaft in einem von den Betten der Diener; auf die Nacht sollt Ihr ein eigenes erhalten.«
Da ich sehr erschöpft war, so kam mir dieser Vorschlag vollkommen erwünscht. Ich legte mich nieder und erwachte erst, als sie mich mit der Meldung weckte, daß das Mittagessen bereit sey. Auch ich ließ mich bereit finden und setzte mich mit ihr zu Tische – ein Vorzug, dessen sich die beiden Deportirten nicht erfreuen durften. Sie aß im Verhältniß zu ihrer Größe und dies ist genug gesagt. Nach dem Mahle verließ sie mich und ging mit ihren beiden Leuten der Landwirthschaft nach, während mir Muße blieb, über das Vorgefallene Betrachtungen anzustellen. Ich sah ein, daß ich vollkommen in ihrer Gewalt war und nur Aussicht zum Fortkommen hatte, wenn ich mir ihre Gunst errang, weshalb ich mir vornahm, dem gemäß zu handeln. Abends fand ich ein gemächliches Lager von Maisstroh in einem Vorzimmer, wo die beiden Diener schliefen. Dies war ein Hochgenuß, dessen ich mich lange nicht erfreut hatte. Ich verhielt mich mehrere Tage ruhig und that dergleichen, als ob ich vollkommen zufrieden sey. Die Mistreß verschonte mich mit schwerer Arbeit und benützte mich hauptsächlich zu Besorgung von Aufträgen; auch nahm sie mich häufig mit sich. An ihren Mahlzeiten durfte nur ich theilnehmen – kurz, ich wurde eher wie ein Freund und Gast als wie etwas Anderes behandelt, und hätte wahrhaftig keinen Grund gehabt, über meine Zurückhaltung Beschwerde zu führen, wenn ich mich nicht so angelegentlich nach England gesehnt hätte. Auch lag es augenscheinlich nicht in ihrer Macht, mich weiter zu befördern, da sie keine Mittel dazu besaß, bis die Schaluppe mit dem Tabak abfuhr. Eines Tages jedoch, als ich an dem Tabaksschuppen vorbeiging, hörte ich von den beiden Deportirten meinen Namen nennen. Dies bewog mich, Halt zu machen, und ich vernahm nun aus dem Munde desjenigen, der James hieß, die Worte:
»Verlaß Dich darauf, es ist bei ihr auf nichts Anderes abgesehen, Jeykell. Er wird unser Herr werden, mag er wollen oder nicht.«
»Na, es sollte mich nicht wundern,« versetzte der Andere. »So viel ist gewiß, daß sie bis über die Ohren in ihn verliebt ist.«
»Ganz richtig; Alles ist bei ihr wild – sogar die Liebe – und er wird es finden, wenn er ihrem Willen nicht entgegen kommt.«
»Ja gewißlich. Was mich betrifft, so wollte ich ihr lieber noch weitere zehn Jahre dienen, als ihre Liebe aushalten.«
»Und wenn man mir die Wahl ließe, ob ich ihr Mann werden oder am Galgen baumeln wollte, so würde ich dem Strick den Vorzug geben.«
»Ich beklage ihn aus dem Grund meines Herzens, denn er ist ein guter Junge, der manierlich zu sprechen weiß und obendrein auch recht sauber ist. Gewiß fällt ihm nicht entfernt ein, in welcher unglücklichen Lage er sich befindet.«
»Ja, gewiß nicht,« sagte ich zu mir selber, während ich von hinnen ging. »Barmherziger Himmel! wäre es möglich!«
Und als ich über ihr Benehmen, wie auch über das, was zwischen uns vorgegangen war, nachdachte, mußte ich nothwendig bemerken, daß die Deportirten nicht nur Recht in ihren Muthmaßungen hatten, sondern daß auch durch mich selbst die Hand geboten war, die Sache so weit zu bringen, weil ich mir ihre Geneigtheit zu sichern wünschte.
Noch am nämlichen Abend sagte sie zu mir:
»Als ich heirathete, war ich noch sehr jung – erst vierzehn, und ich lebte mit meinem Mann neun Jahre. Nun ist er schon mehr als ein Jahr todt.«
Dies geschah bei Tisch, während sie den Knochen eines wilden Truthahns abnagte, und in diesem weiblichen Bekenntniß aus einem so männlichen Munde lag etwas so Lächerliches, daß ich gute Lust hatte, meiner Heiterkeit hellauf Luft zu machen. Ich bezwang mich jedoch und entgegnete:
»Da seyd Ihr eine sehr junge Wittwe und Ihr solltet auf einen andern Mann denken.«
Sie erwiederte hierauf:
»Wenn ich je wieder heirathe, so darf es kein Mann seyn, der in die Hand gebrandmarkt ist. Nein, nein, mein Gatte soll im Stande seyn, beide Hände zu öffnen und sie zu zeigen.«
»Hierin habt Ihr vollkommen Recht,« lautete meine Entgegnung. »Auch ich möchte mich nicht so weit herabwürdigen, mit einer deportirten Person den Bund der Ehe einzugehen.«
Wenn ich über diese und viele andere Gespräche nachdachte, die zwischen uns vorgefallen waren, so blieb mir kein Zweifel mehr darüber übrig, daß die Deportirten in ihren Vermuthungen Recht hatten; ich verabscheute mich daher wegen meiner eigenen Blindheit.
»Nun,« sagte ich nach langer Erwägung zu mir selbst, »wenn sie mich durchaus heirathen will, so muß sie jedenfalls wegen des Pfarrers nach Jamestown gehen und bin ich einmal dort, so werde ich's einzuleiten wissen, daß der Handel so bald abgebrochen wird, als man nur einen Extra-Constabel beeidigen kann.«
Indeß befand ich mich immerhin in einer argen Klemme, denn in dem Weibe lag etwas Schreckliches und ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß ihre Rache todbringend seyn müßte. Die alte Indianer-Squaw war schon schlimm genug gewesen, aber diese neue Mistreß war noch tausendmal schlimmer. Welch' ein hartes Geschick, dachte ich, daß ich in dieser Weise gezwungen werden muß, gegen meinen Willen zu heirathen, während ich getrennt von derjenigen bin, die ich anbete. Ich hatte die Sache geraume Zeit erwogen, bis ich endlich beschloß, in meinem Benehmen keine Aenderung eintreten zu lassen; wenn aber meine Mistreß selbst weiter ginge, so wollte ich in die Wälder entfliehen und mich lieber dem Erbarmen wilder Thiere und wilder Indianer anheimgeben, als ihren Wünschen entsprechen. Als ich in die Hütte trat, fand ich sie allein.
»Alexander,« redete sie mich an (sie hatte nämlich meinen Taufnamen wissen wollen und nannte mich stets bei demselben) »es heißt die Wittwen müßten den Männern nachgehen und hätten das Recht dazu« (ich wurde blaß, denn ich hätte nicht gedacht, daß es so bald zu einer Erklärung kommen sollte). »Wie dem übrigens seyn mag, jedenfalls weiß ich so viel, daß eine Frau in meiner Lage nicht wohl erwarten kann, ein junger Mann in der Eurigen solle ohne Ermuthigung eine Werbung wagen. Nun habe ich schon lange Eure Gefühle und Wünsche bemerkt, Alexander und will Euch daher entdecken, daß die meinigen den Eurigen entsprechen (o wollte Gott, es wäre so, dachte ich). Ihr dürft Euch daher nur erklären und der Willfahrung versichert seyn.«
Furcht und Verzweiflung band mir meine Zunge. Ich konnte keine Antwort finden.
»Warum schweigt Ihr, Alexander? Glaubt Ihr, ich sey zu voreilig gewesen?«
»Nein,« stotterte ich. »Ihr seyd sehr gütig, aber dies kommt so unerwartet – so unvorgesehen – so unverhofft – ich weiß nicht, ob ich wache oder träume.«
Ihr seht hier die befremdliche Stellung der Geschlechter, Madame. Im gegenwärtigen Falle war ich das Weib.
»Ich möchte doch auch meine Freunde darüber berathen.«
»Berathen? den Kuckuck auch,« versetzte sie rasch. »Wen habt Ihr denn zu berathen? Ich hoffe, Alexander,« fügte sie bei, indem sie ihre breiten Zähne zusammenbiß, »daß Ihr mit mir nicht Euer Spiel treiben wollt.«
»Wem sollte auch dies je einfallen, Mistreß,« entgegnete ich. »Muß ich mich doch tief verpflichtet fühlen, daß Ihr mir einen solchen Vorzug zu Theil werden laßt.«
»Dies meine ich auch, Alexander. Wenn's Euch also so recht ist, so erklärt Euch,« erwiederte sie.
»Wenn ich auf so viel Güte vorbereitet gewesen wäre, so sollte dies schon geschehen seyn; aber ich habe mir selbst noch so viele ernste Fragen vorzulegen, und wenn es Euch genehm ist, wollen wir den Gegenstand morgen früh wieder aufnehmen. Ich kann Euch dann aufrichtig meine Lage mittheilen, und wenn Ihr dann Euern Antrag nicht zurücknehmt, so werde ich mich überglücklich schätzen, der Eurige zu seyn, sobald wir uns in Jamestown trauen lassen können.«
»Wenn Ihr damit andeuten wollt, Alexander,« versetzte sie. »daß Ihr in England schon ein Weib habt, so ist in dieser Ansiedelung nicht viel daran gelegen; denn wer hier lebt, ist frei von allen englischen Ehebündnissen, und was die Reise nach Jamestown betrifft, so wäre diese etwas ganz Unnöthiges. Wollten wir in den Ansiedelungen beim Heirathen auf den Pfarrer warten, so kämen wir nie dazu. Wir brauchen nichts, als einen Ehevertrag aufzusetzen und ihn mit Zeugen zu unterzeichnen. Ich bemerke übrigens, daß Ihr verwirrt seyd, und will daher morgen früh Eure Entscheidung hören.«
Meine Mistreß erhob sich sodann von ihrem Stuhl, ging in ihre Kammer und warf die Thüre mit mehr Nachdruck zu, als überhaupt meinen Nerven angenehm war. Ich ging ins Freie hinaus, um mich zu erholen und Betrachtungen anzustellen, welchen Weg ich in dieser verdrießlichen und gefährlichen Klemme einschlagen sollte. Von Heirathen war keine Rede – aber wie die Sache umgehen, die fast wie ein Angefallenwerden von Räubern aussah? Der Landstraßenheld sagt: »Dein Geld oder Dein Leben,« und die Forderung meiner Mistreß lautete: »heirathe mich oder ich bringe Dich um.« Es blieb mir nur noch eine einzige Hoffnung – die des Entwischens noch in der nämlichen Nacht, weshalb ich beschloß, meine Flucht zu bewerkstelligen und zu sehen, wie ich mich durch die Wälder schlüge.
Erst mit Einbruch der Dunkelheit kehrte ich zurück. Die Mistreß war in ihrem Zimmer und die beiden Deportirten saßen um das Feuer her. Ich nahm neben ihnen Platz und theilte ihnen flüsternd mit, die Mistreß sey unwohl; wir thäten daher gut, wenn wir zu Bette gingen und uns des Sprechens enthielten. Bei dem Gedanken, daß die Haustyrannin unwohl seyn könnte, machten sie große Augen, weil sie seit ihrem Hierseyn nie die Beschwerde, daß ihr etwas fehle, aus ihrem Munde gehört hatten; aber der Wink reichte zu. Sie begaben sich zu Bette und ich that unentkleidet dasselbe, bewachte aber stets die Spalten der Thüre zum Gemach der Mistreß, um zu sehen, wann sie ihre Lampe löschte. Etwa eine halbe Stunde später verschwanden die matten Lichtstrahlen, und ich entnahm daraus, daß sie zu Bette gegangen war. Ich harrte noch zwei Stunden länger, ohne daß ichs wagte, mich zu rühren. Die beiden Deportirten schnarchten laut und erstickten so aufs Wirksamste jedes leise Geräusch, das meine Bewegungen veranlassen konnten. Dann begab ich mich nach dem Schrank, packte alles kalte Fleisch zum Mundvorrath ein, nahm eine von den Musketen nebst einem Munitionsbeutel herunter, welch letzteren ich über meine Schulter warf, und schlich mich, das Gewehr in der Hand, leise nach der Thüre des Blockhauses. Hier stand mir die einzige Schwierigkeit im Weg; war ich einmal draußen oder fünf Schritte davon, so konnte man mir nichts mehr anhaben. Lautlos entfernte ich den schweren hölzernen Riegel und hatte jetzt nur noch den Querbalken niederzulassen, mit dem meine Hand bereits beschäftigt war, als ich plötzlich an der Kehle gefaßt und auf den Boden zurückgeschleudert wurde. Von der Heftigkeit des Falls war ich so betäubt, daß ich eine Weile besinnungslos da lag. Wie ich wieder zu mir kam, fühlte ich eine schwere Last auf meiner Brust, und bei Oeffnung der Augen fand ich, daß die Mistreß auf mir saß und den Deportirten Befehl ertheilte, von denen einer bereits die Lampe angezündet hatte.
»Um Gottes willen, geht herunter von meiner Brust,« sagte ich mit matter Stimme.
»Es soll geschehen, aber jetzt noch nicht,« versetzte die Mistreß. »Nun, James, gebt sie her.«
James reichte ihr sodann eine Kette hin, deren Gelenkschelle sie, während sie auf meinem Körper saß, um den Knöchel meines Fußes legte. Die Fessel schloß mit einer starken Feder und konnte ohne den dazu gehörigen Schlüssel nicht geöffnet werden. Endlich stand sie auf, und ich konnte freier athmen. Sie rief nunmehr den Deportirten zu:
»Geht ihr beide nach dem Tabaksschuppen und wartet dort, bis ich euch rufe. Finde ich euch nur um einen Fuß näher bei uns, so ziehe ich euch lebendig die Haut herunter.«
Die Diener liefen so schnell sie konnten, und als sie fort waren, begann die Mistreß:
»Ihr habt also entfliehen wollen? Das Heirathen war euch nicht anständig, und nun soll Euch eine Zukunft blühen, von der Ihr Euch wenig geträumt habt.«
»Ich hielt es für das Weiseste, was ich thun konnte,« versetzte ich. »Wenn ich denn einmal offen sprechen muß, so will ich Euch sagen, daß ich durch heilige Gelübde mit einer Andern verlobt bin, der ich selbst um Euretwillen nicht die Treue brechen darf. Ich gedachte Euch dies morgen mitzutheilen, fürchtete aber, Euch aufzubringen und deshalb wünschte ich ohne Antwort fortzugehen.«
»Gut, Sir; ich habe mich erboten, Euer Weib zu werden und Ihr wäret dadurch zu meinem Herrn und Meister geworden. Da Ihr so nicht wollt, mache ich Euch jetzt zu meinem Sklaven. Ich stelle es Eurer Wahl anheim – Ihr willigt entweder ein, mein Gatte zu seyn, oder bleibt, wie Ihr jetzt seyd, und habt die schwerste Arbeit zu verrichten. Sobald Ihr Euch eines bessern bedenkt und geneigt seyd, mein Erbieten anzunehmen, sollt Ihr wieder auf freien Fuß kommen, und ich werde Euch ein unterwürfiges Weib seyn.«
»So sagt Ihr eben,« entgegnete ich; »aber wenn Ihr mir im Laufe unserer Ehe zürntet, so würdet Ihr mich behandeln, wie Ihrs gerade erst gethan habt. Dieser Kette kann ich vielleicht eines Tages wieder ledig werden, aber einmal mit Euch verbunden, bin ich ein Sklave für immer.«
»Ihr werdet Euch bald eines Andern besinnen,« entgegnete sie. »Jetzt aber könnt Ihr ausgehen und Euch im Freien ein wenig verkühlen.«
Sie kehrte sodann nach ihrem Zimmer zurück, und ich erhob mich, um ihrem Rathe Folge zu geben. Aber als ich auf meinen Beinen stand, fand ich, daß an dem anderen Ende der zwei Ellen langen und sehr schweren Kette eine eiserne Kugel von ungefähr dreißig Pfund Gewicht befestigt war, so daß ich nicht gehen konnte, ohne diese Last, welche sich nicht schleppen ließ, in der Hand zu tragen. Ich hob die Kugel auf und ging aus dem Hause. Meine Furcht vor ihr war gewichen und hatte einer grimmigen Wuth Raum gegeben. Als ich jedoch ruhiger wurde und meine Lage überblickte, fand ich, daß sie hoffnungslos war, und der Gedanke an Amy, von der ich weiß Gott wie lange getrennt seyn sollte, rief mir bittere Thränen in die Augen. Ich hatte jetzt gar keinen Trost mehr, denn der Leser wird sich vielleicht erinnern, daß mir meine Bibel verloren ging, als ich von dem schurkischen Kapitän des Transcendant fast nackt ans Land gesetzt wurde.
Ich war nun zwanzig Monate von Liverpool fern und fürchtete in der That, den Gegenstand meiner Liebe nie wieder zu sehen. In dieser Einöde konnte ich Jahre lang meine Ketten schleppen müssen, ja, sogar unter der barbarischen Behandlung der Mistreß einen elenden Tod finden, denn ich wußte wohl, was ich zu erwarten hatte. Gleichwohl blieb mein Entschluß fest. Ich betete mit Inbrunst zum Himmel um Kraft und Beistand in der Zeit meiner Noth, und das Gebet stimmte mich ruhiger. Ich blieb die ganze Nacht im Freien, und als mit der aufgehenden Sonne die beiden Deportirten an ihre Arbeit gingen, zuckten sie nur, als sie meiner ansichtig wurden, die Achsel, ohne daß sie es wagten, mich anzureden. Endlich kam auch die Mistreß heraus. Sie begann mit Schimpfreden, auf die ich ihr keine Antwort gab. Dann stimmte sie einen milderen Ton an, aber ich blieb stumm. Endlich wurde sie ganz wüthend in ihrer Leidenschaft; sie schleuderte mich von sich und mißhandelte mich schrecklich mit Schlägen, so daß ich zu Boden sank. Jetzt setzte sie mir den Fuß auf den Nacken und blieb so gleich einer Furie stehen. Aber nachdem sie mich mit Schimpfwörtern überhäuft hatte, fiel sie plötzlich neben mir auf die Knie nieder, bat mich um Verzeihung, nannte mich ihren theuren Alexander, ihr Leben und flehte mich an, in ihre Wünsche zu willigen. Ich glaube wahrhaftig, daß es nie zuvor eine so verliebte Tigerin gegeben hat.
»Hört mich an,« versetzte ich. »Ich schwöre es Euch feierlich zu, daß ich Euch über diesen Gegenstand nie eine Antwort geben werde, so lange ich gefesselt bin.«
Sie stand auf und entfernte sich.
Es ist unmöglich, meine theuere Madame, Euch zu schildern, was ich im Laufe von mehr als sechs Wochen, während welcher ich in solcher Weise gefesselt war, von diesem Weib erdulden mußte; denn das einemal flehte sie zu mir, und im nächsten Augenblick warf sie mich zu Boden und mißhandelte mich mit Fußtritten. Nie ließ sie mich in Ruhe, und das Leben wurde mir zu einer bitteren Last, so daß ich sie oft bat, sie solle barmherzig seyn und meinen Leiden mit einemmale ein Ende machen. Auch ich hatte meine Wuthausbrüche, in denen ich sie anspie und alles nur Erdenkliche that oder sagte, um ihr meinen Haß und meine Verachtung zu zeigen. Zu andern Zeiten blieb ich stumm, und dies brachte sie stets am meisten auf. Meine Vorwürfe, ja Alles ließ sie sich geduldig gefallen, so lang ich nur redete; aber wenn ich bei einem hartnäckigen Schweigen beharrte, brach ihre Wuth stets bald in helle Flammen aus. Trotz der schlimmen Behandlung, die sie mir zu Theil werden ließ, hatte ich doch Mitleid mit ihr, denn sie liebte mich wirklich mit Innigkeit, obschon nach ihrer besonderen Weise.
In der siebenten Woche meiner Gefangenschaft an der Kette lag ich, weil mich die Mistreß aus dem Blockhause gejagt hatte, eines Morgens sehr früh in dem Tabaksschuppen und bemerkte bei dieser Gelegenheit unter den Bäumen, welche ungefähr dreihundert Schritte von der Hütte abstanden, zwei Indianer in ihren sogenannten Kriegsfarben – ein Anzeichen, daß sie in feindlicher Absicht da waren. Ich blieb vollkommen ruhig und hielt mich gut versteckt, um sie beobachten zu können. Die Deportirten hatten mir mehr als einmal mitgetheilt, daß wir einen Angriff der Indianer zu gewärtigen hätten, weil die Mistreß einem Häuptling, mit dem ihr Mann auf freundlichem Fuße gestanden, einen Schimpf angethan habe. Aus ihrer Erzählung von dem eigentlichen Hergang entnahm ich, daß ihre Voraussetzung vollkommen richtig war und die Wilden nicht versäumen würden, so bald als möglich die geschehene Verunglimpfung zu rächen. Ich war deshalb stets auf meiner Hut gewesen, ohne übrigens früher eines Indianers ansichtig zu werden. Die Mistreß, mit welcher ich in den Tagen unseres traulichen Verkehrs über die Sache gesprochen hatte, lachte stets bei dem Gedanken, daß man sie angreifen könnte, und sagte, die Wilden sollten nur kommen, wenn sie Lust hätten. Sie hatte gute Vorbereitungen zum Empfang derselben getroffen, da sich unter dem Dach der Hütte mit Moos ausgestopfte Schießscharten befanden, durch welche man den Feind bestreichen konnte, bis er nur noch vier Schritte von dem Blockhaus entfernt stand; auch waren andere Oeffnungen da, durch welche er sich in dieser größeren Nähe bearbeiten ließ. Das Fenster und die Thüre waren unbezwinglich, und wenn wir uns einmal in dem Blockhause befanden, so unterlag es keinem Zweifel, daß wir einen ernstlichen, vielleicht gar einen siegreichen Widerstand zu leisten vermochten. Daß bei der vorerwähnten Gelegenheit die Indianer das Blockhaus recognoscirten, war augenscheinlich, und daß sie dafür ihre guten Gründe hatten, konnte gleichfalls keiner Beanstandung unterliegen. Aus meinem Lauschwinkel hervor konnte ich nachgerade sechs Wilde unterscheiden, die nach einer Weile in die Wälder zurückwichen und verschwanden. Es war nämlich um jene Zeit der Hund zu mir herausgekommen, und wahrscheinlich hatte sie der Anblick des Thiers zum Rückzug bewogen, weil sie fürchteten, er könnte ihre Nahe verrathen. Ich wartete, bis die Deportirten herauskamen, und begab mich sodann ins Blockhaus, die Mistreß folgendermaßen anredend:
»Ihr habt mich gestern Nacht aus dem Hause getrieben, und ich komme jetzt, um Euch Böses mit Gutem zu vergelten. Als ich in dem Tabaksschuppen lag, sah ich im östlich gelegenen Wald sechs recognoscirende Indianer; ich mache Euch hiervon Anzeige, weil es ohne Zweifel heute Nacht zu einem Angriff kommen wird.«
»Und Ihr hofft wohl, durch diese Furcht vor einem Angriff in Freiheit gesetzt zu werden – ists nicht so?«
»Es liegt mir sehr wenig daran, ob dies geschieht oder nicht. Ich habe Euch oft gebeten, Ihr solltet meinem Elend ein Ende machen, und da dies nicht geschehen ist, so werde ich die Indianer segnen, wenn sie mir diesen Liebesdienst erweisen. Wenn Ihrs nicht thut, so wird mich ein Schlag von einem Tomahawk erlösen.«
»Sie sollen nur kommen mit ihren Tomahawks,« versetzte sie. »Ich schütze Euch dagegen, denn Niemand soll Euch befreien, als ich.«
»Wie Ihr wollt,« entgegnete ich. »Meiner Pflicht habe ich mich entledigt, indem ich Euch sagte, was ich gesehen habe. Ihr mögt nun Vorkehrungsmaßregeln treffen oder nicht – um meine Person bin ich unbekümmert.«
Mit diesen Worten nahm ich meine eiserne Kugel wieder auf und ging zur Thüre hinaus. Ich blieb den ganzen Tag im Freien und wußte daher nicht, ob die Mistreß Vorsorge traf; den Deportirten aber theilte ich mit, was ich gesehen hatte und rieth ihnen, sich nicht zu weit von dem Blockhause zu entfernen, weil sie sich dadurch einer großen Gefahr aussetzten.
Sie fragten mich, in welcher Richtung ich die Indianer gesehen hätte, und ich gab ihnen die betreffende Auskunft, indem ich ihnen die Stelle des Waldes andeutete; dann entfernten sie sich. Ich lebte der Ueberzeugung, daß der Angriff noch in der nämlichen Nacht stattfinden würde, und da der Mond erst drei Stunden vor Tagesanbruch aufging, so zweifelte ich nicht, die Wilden würden die Dunkelheit zu ihrem Werke der Zerstörung benützen. Ich hatte mir vorgenommen, mich durchaus nicht bei Vertheidigung des Blockhauses zu betheiligen, so lange ich gefesselt wäre; meiner Bande aber entledigt, wollte ich bis auf den letzten Augenblick kämpfen, um auf dem Platze erschlagen zu werden und nicht lebendig in die Hände meiner Feinde zu kommen, da mir in diesem Falle die Folter bevorstand.
Den Rest des Tages verließ ich das Haus nicht, und zu meinem Erstaunen blieb ich von der Mistreß völlig unbelästigt. Als es dunkel war, rief sie die Deportirten, erhielt aber keine Antwort; endlich kam sie heraus, um nach ihnen zu sehen und mich zu fragen, ob ich nicht wisse, wo sie sich befänden.
Ich entgegnete ihr, daß ich sie seit zwei Stunden nicht gesehen; ich habe geglaubt, daß sie im Hause wären.
»Habt Ihr ihnen etwas von den Indianern gesagt?«
»Ja,« entgegnete ich. »Ich äußerte gegen sie, daß wir uns auf einen ernstlichen Angriff gefaßt halten müßten, und rieth ihnen, sich nicht zu weit vom Blockhause zu entfernen, damit sie nicht abgeschnitten würden.«
»Die memmenhaften Tröpfe sind in die Wälder entlaufen und haben uns im Stiche gelassen, damit wir uns vertheidigen sollen, wie wir können.«
»Ich werde mich nicht vertheidigen,« erwiederte ich. »Hier bleibe ich, wo ich bin, um den Tod zu erwarten, dem ich nicht ausweichen will.«
»Kommt ins Haus,« sagte sie abgebrochen.
»Nein, ich will nicht,« versetzte ich.
»Ihr wollt nicht?« fragte sie, indem sie mit der einen Hand Kette und Kugel aufgriff, mit dem andern Arm mich um den Leib packte und mich auf diese Weise in das Haus trug.
»Nun, es ist nur ein kleiner Aufschub,« versetzte ich. »Sie werden sich endlich doch hieher Bahn brechen, und ich will hier sterben.«
»Wartet, bis sie erst da sind,« entgegnete die Mistreß. »Oder wollt Ihr damit sagen, daß Ihr mir in Vertheidigung des Hauses keine Beihülfe zu leisten gedenkt?«
»Gewiß nicht, so lange ich als Sklave an der Kette liege,« lautete meine Antwort.
Die Mistreß gab keine Erwiederung, sondern war mit Verriegeln der Thüre und des Fensters beschäftigt. Dann stellte sie Tische und Stühle so, daß man sie besteigen und durch die oberen Schießscharten Feuer geben konnte. Sie riß nun das Moos aus den Oeffnungen, nahm die sechs Musketen von ihren Nägeln herunter, untersuchte das Zündkraut der geladenen und lud diejenigen, welchen die Ladung fehlte. Dann legte sie einen Vorrath von Pulver und Blei auf den Tisch, brachte die Aexte heraus, damit sie zur Hand wären, untersuchte die Wasserkrüge, um sich zu überzeugen, ob die Deportirten sie ihrer Weisung gemäß gefüllt hatten, und nachdem Alles zur Vertheidigung vorbereitet war, trug sie die Lampe in das innere Zimmer, damit die Indianer durch die Spalten oder Schießscharten herein nicht entdecken möchten, wo sich die Bewohner des Blockhauses befänden. Alle diese Zurüstungen traf sie mit der größten Ruhe, und ich konnte nicht umhin, ihren Muth und ihre Fassung zu bewundern.
»Gibt es nichts mehr zu thun, Alexander?« fragte sie mit milder Stimme.
»Wo ist der Hund?« versetzte ich.
»Im Tabaksschuppen angebunden,« lautete ihre Antwort.
»Dann ist Alles in Ordnung,« entgegnete ich. »Der Hund wird ihre Ankunft melden, denn der erste Angriff wird den Tabaksschuppen treffen, da dies ein vorgeschobener Posten ist.«
»Alexander, versprecht Ihr mir, nicht entfliehen zu wollen, wenn ich Euch in Freiheit setze?«
»Von Versprechen ist keine Rede,« entgegnete ich. »Wenn Ihr mir die Kette abnehmt, habt Ihr nur Euere eigenen Zwecke im Auge, weil Ihr wünscht, daß ich Euch in Vertheidigung Eures Eigenthums Beihülfe leiste. Sind die Indianer abgeschlagen, so werdet Ihr mich wieder mit den Fesseln belegen.«
»Nein, nein, dies war nicht meine Meinung, so wahr ich lebendig hier sitze,« erwiederte sie. »Ich dachte nur, wenn wir gezwungen würden, uns aus dem Blockhaus zurückzuziehen, so würdet Ihr nie im Stande seyn, den Indianern zu entkommen, und ich wäre außer Stande, Euch zu retten; aber eher sollen sie mich in Stücke hauen.«
»Beantwortet mir nur eine einzige Frage,« sagte ich. »Könntet Ihr als eine gewissenhafte Person nur daran denken, Ihr hättet das Recht, in einer Zeit solcher Gefahr sogar einen Deportirten, der Euch bestohlen hat, in Fesseln zu halten? Und wenn Ihr Euch selbst mit nein antworten müßt, aus welchen Gründen handelt Ihr so gegen einen Mann, den Ihr zu lieben versichert? – Ich überlasse dies Eurem Gewissen.«
Sie blieb eine Weile stumm. Dann begann der Hund zu bellen und sie fuhr auf.
»Ich glaube, ich bin toll oder blödsinnig,« sagte sie, sich das Haar aus der Stirne streifend.
Dann nahm sie den Schlüssel zu der Fessel aus der Tasche ihres Kleides und setzte mich in Freiheit.
»Alexander –«
»Stille!« sagte ich, meine Hand auf ihren Mund legend »Jetzt ist keine Zeit zum Sprechen. Stille!« wiederholte ich flüsternd, »ich höre die Indianer – sie haben das Haus umringt.«
Ich bestieg nun einen der Stühle und sah durch eine Schießscharte hinaus. Es war sehr dunkel, aber da die Indianer auf dem Berge standen, und hinter ihnen sich ein klarer Himmel befand, so konnte ich ihre Bewegungen unterscheiden. Die obere Hälfte ihrer Körper war zu erkennen, und sie schienen Befehle von ihrem Häuptling zu erhalten. Dann rückten sie mit Aexten und Tomahawken der Thüre des Blockhauses näher. Die Mistreß hatte, als ich den Stuhl erstiegen, ihren Posten auf dem Tisch genommen. Ohne eine Sylbe zu sprechen, stiegen wir wieder herunter, griffen je eine Muskete auf und knieten vor den bereits beschriebenen unteren Schießscharten nieder. Nach weiterer Erwägung stieg ich abermals auf den Stuhl und flüsterte ihr zu, sie solle nicht feuern, bis ich es thue.
Die Indianer kamen an die Thüre und klopften in der kräftigen Weise, wie man in England Eingang zu verlangen pflegt. Da keine Antwort erfolgte, so begannen sie die Thüre mit ihren Aexten zu bearbeiten. Während dies vorging, faßte ich den Indianer aufs Korn, welchen ich für den Häuptling hielt und der allein auf dem Hügel stand. Mein Feuer war wirksam, denn er fiel augenblicklich.
Wie ich von dem Stuhl heruntersprang, drückte die Mistreß gleichfalls ihre Muskete ab. Jetzt nahmen wir ein paar andere Gewehre auf und kehrten nach den Schießscharten unten zurück. Mittlerweile machten die Axtschläge unablässig fort, so daß die Thüre erzitterte und der Staub in Schauern vom Dach niederfiel. Die Thüre bestand jedoch aus doppelten Eichendielen, die mit Eisen beschlagen waren, und ließ sich nicht so leicht durchhauen. Auch waren die Vorleghölzer sehr stark.
Es stund lange an, ehe wir einen weiteren Indianer zum Schuß bringen konnten; aber endlich gelang es, und während seine Kameraden seine Leiche fortschafften, schoß die Mistreß einen andern nieder. Jetzt hörten die Axtschläge auf, und die Wilden hatten sich augenscheinlich zurückgezogen. Ich begab mich ins innere Gemach und löschte die Lampe aus, welche ein mattes Licht verbreitete, um dadurch zu verhindern, daß wir nicht gesehen würden. Dann kehrten wir zum Tisch zurück und luden die Musketen im Dunkeln. Wie ich mein Gewehr auf den Tisch legte, sagte die Mistreß zu mir:
»Werden sie wohl wieder kommen?«
»Ja,« versetzte ich; »ich denke, sie werden nicht säumen. Wenn Ihr übrigens zu sprechen wünscht, so ist's besser, wir ziehen uns nach dem Feuerplatz zurück, wo wir vor Kugeln gesichert sind.«
Wir thaten dies und setzten uns auf der Asche nieder. Der Raum reichte gerade für uns Beide zu und die Mistreß ersah diese Gelegenheit, mich zu umarmen.
»Mein theurer Alexander,« sagte sie, »wenn ich tausend Leben hätte, würde ich sie für Euch hingeben.«
»Wir haben nur eines,« versetzte ich, »und dieses will ich Eurer Vertheidigung weihen. Mehr kann ich nicht thun.«
»Auf wen habt Ihr Feuer gegeben?« fragte sie.
»Ich glaube auf den Häuptling, der auf der Anhöhe Befehle ertheilte. Er fiel und wird vermuthlich todt seyn.«
»Dann könnt Ihr Euch darauf verlassen, daß sie sich zurückziehen werden,« sagte sie.
»Ich glaube nicht; wir dürfen uns darauf gefaßt halten, daß sie Rache zu nehmen suchen und müssen deshalb eines harten Kampfes gewärtig seyn.«
»Ei, was können sie uns anhaben? Es wird ihnen nie gelingen, durch die Thüre zu brechen, und sobald der Morgen aufdämmert, können wir sie zu Dutzenden niederschießen.«
»Ich zweifle nicht, daß sie es mit der Brandfackel versuchen werden,« entgegnete ich. »Der Wind ist hoch und kommt ihnen somit ganz zu Statten; ich vermuthe, daß sie jetzt fort sind, um Brennholz zu sammeln.«
»Und wenn sie das Blockhaus in Brand stecken, was können wir thun? An dies habe ich nie gedacht.«
»Wir müssen so lange innen bleiben, als es geht; dann machen wir einen Ausfall und kämpfen bis auf den letzten Athemzug. Doch Alles hängt jetzt von den Umständen ab. Laßt Euch durch mich leiten und ich will Euch retten, wenn ich kann.«
»Durch Euch leiten?«
»Ja, bedenkt, daß ich jetzt nicht mehr in Ketten bin, und obgleich Ihr den ganzen Muth eines Mannes besitzt, so seyd Ihr doch nicht so sehr an den Krieg gewöhnt, wie ich. In Zeiten der Gefahr habe ich oft das Commando geführt, Pläne entworfen und sie in Vollzug gebracht.«
»Ihr seyd stark und muthig; wie wenig ließ ich mir träumen, welch' einen Löwen ich gefesselt hatte,« versetzte sie. »Gut, ich liebe Euch darum nur um so mehr und will mich durch Euch leiten lassen, denn ich bemerke bereits, daß unter uns beiden Ihr der bessere Kopf seyd. Horcht! Was ist dies?«
»Die Sache nimmt ihren Verlauf wie ich voraussagte,« entgegnete ich. »Sie legen auf der Windseite (diese befand sich der Thüre gegenüber) Brennholz an die Stämme des Blockhauses. Wir müssen jetzt versuchen, ob wir nicht noch Einige weiter auf's Korn nehmen können,« fügte ich bei, indem ich aufstand und nach einer Muskete griff. »Bringt den Stuhl nach dieser Seite herüber, denn wir müssen durch die oberen Schießscharten Feuer geben.«
Wir blieben einige Zeit auf unseren Posten, ohne eines Indianers ansichtig zu werden; denn sie waren nach den Wäldern zurückgegangen, um weiteres Brennmaterial herbeizuholen. Endlich sahen wir sie mit weiteren Holzbündeln zurückkommen. Soviel ich unterscheiden konnte, mußten es wenigstens ihrer zwanzig seyn.
»Jetzt nehmt ein gutes Ziel,« sagte ich.
Wir Beide gaben fast im gleichen Augenblick Feuer und drei Indianer stürzten.
»Geschwind hinunter und reicht mir eine andere Muskete,« rief ich der Mistreß zu.
Sie bot mir ein Gewehr hin, griff selbst ein zweites auf und nahm ihren Posten wieder ein. Wir feuerten mehreremale – bisweilen mit, bisweilen ohne Erfolg; denn die Indianer mußten zweimal nach dem Gehölz abziehen, um Brennholz zu holen, ehe sie so viel beisammen hatten, als ihnen zureichend dünkte. Mittlerweile wurden die Holzstöße bis ans Dach des Blockhauses aufgeschichtet und unsere Schießscharten dadurch verschlossen. Wir begaben uns deßhalb nach der Thürseite hin, um zu sehen, ob nicht dort gleichfalls Indianer wären, konnten aber keinen entdecken. Nachdem wir uns in dieser Weise etwa fünf Minuten umgesehen, fing das Brennmaterial an zu prasseln, und der Rauch, der durch die zwischen den Stämmen befindlichen Ritzen hereindrang, sagte uns, daß Feuer angelegt worden war. Der Wind fachte die Flamme dermaßen an, daß sie bald durch jeden Spalt und jede Schießscharte hereinleckte. Das Blockhaus stand in Brand.
»Wir müssen uns jetzt nach dem Feuerplatze zurückziehen,« sagte ich. »Kommt hurtig, oder wir werden niedergeschossen.«
»Und warum dies?« fragte sie, indem sie meiner Aufforderung Folge leistete.
»Sie können durch die Schießscharten auf der Thürseite hereinsehen und uns so lange deutlich unterscheiden, bis sich die Hütte mit Rauch angefüllt hat. Auf letzteres werden wir nicht lange zu warten brauchen.«
»Aber sagt mir, was wir jetzt anfangen können? denn wenn der Rauch so fortmacht, werden wir nicht mehr im Stande seyn, miteinander zu sprechen.«
Dies sagte sie etwa fünf Minuten, nachdem wir in dem Feuerplatze gestanden hatten, wo unsere Köpfe durch den Schornstein gedeckt wurden.
»Es wird gut seyn, wenn ich Euch jetzt schon unterrichte,« entgegnete ich. »Der scharfe Wind treibt den Rauch in dicken Wolken leewärts; aber am stärksten wird der Qualm seyn, wenn das Dach in Brand steht. Auf der Windseite flackert es schon gewaltig und wir müssen warten, bis auch die Leeseite Feuer gefangen hat, denn dann ist die Rauchmasse am dichtesten. Es kommt hauptsächlich darauf an, für das Oeffnen der Thüre die rechte Zeit zu treffen und unter dem Deckmantel des Qualms zu entwischen. Kommen wir zu früh, so werden sie uns bemerken und niederschießen; säumen wir zu lange, so fällt das Dach auf uns nieder und wir werden zerschmettert oder zu Asche verbrannt. Es wird jetzt wohl am Besten seyn, den Feuerplatz zu verlassen und Alles bereit zu halten. Um uns Bahn zu brechen, wird uns die Axt als beste Waffe dienen; wir wollen uns deshalb damit vorsehen. Wenn wir uns der Thüre nähern und den Mund an eine der Schießscharten legen, so können wir freier athmen und zu rechter Zeit die Thüre entriegeln. Seyd Ihr mit mir einverstanden?«
»Vollkommen,« erwiederte sie. »Ihr seyd in der That ein Mann und ich bin nur ein Weib.«
Wir verließen den Feuerplatz, tasteten nach den Aexten, bis wir sie gefunden hatten, begaben uns in die Nähe der Thüre und setzten den Mund an die unteren Schießscharten. Da der Rauch oben hin fegte, so konnten wir freier athmen. Ich blickte hinaus und bemerkte, daß mit Ausnahme von etwa sechs Schritten leewärts von der Hütte eine dichte Rauchwolke auf eine weite Strecke am Boden hinrollte, und wenn wir nur diese unbeachtet erreichen konnten, so war die Rettung wahrscheinlich. Ich entfernte daher das Vorlegholz und legte meine Hand an den Bolzen, um mit jedem Augenblick zum Aufbruch bereit zu seyn. Die Blockhütte stand nun allenthalben bis zum Dach hinauf in Flammen. Ich stieß die Mistreß an und ergriff dann ihre Hand, während ich an der Schießscharte meine Beobachtungen fortsetzte. Endlich wurde die Hitze fast unerträglich; aber jetzt trieb ein Windwirbel den Rauch dicht an die Leeseite der Hütte zurück, so daß Alles verdunkelt wurde. Ich sprang auf, öffnete die Thüre und schleppte die Mistreß nach. Die schwarze Masse verbarg uns vollkommen vor unsern Feinden und nun liefen wir Hand in Hand mit möglichster Geschwindigkeit in dem Qualme fort, bis wir wenigstens hundert Schritte von dem Blockhause abgekommen waren. Die Indianer ließen sichs nicht träumen, daß wir nicht mehr drinnen seyen. So flüchteten wir uns weiter, bis der Rauch allmählig lichter wurde, und nun sagte ich zu der Mistreß, sie solle rennen so lieb ihr das Leben sey, denn die Indianer würden bald entdecken, daß die Hausthüre offen stehe und wir entwischt seyen. So stellte sich's denn heraus; wir hatten noch etwa hundert Schritte bis zum Wald, als ein gellendes Geschrei der Wilden den Beweis lieferte, daß sie unsere Flucht entdeckt hatten und nun im Nachsetzen begriffen waren. Wir erreichten das Gehölz, und wie ich mich einen Moment umwandte, um zurückzusehen, bemerkte ich, daß wenigstens vierzig oder fünfzig Indianer in voller Jagd nach uns begriffen waren – der Vorderste ungefähr zweihundert Schritte hinter uns.
»Jetzt gilts zu laufen, Mistreß,« sagte ich. »Wir dürfen uns nicht länger bei den Händen halten, denn es geht durch den Wald. Fort! wir haben keine Zeit zu verlieren!«
Mit diesen Worten riß ich meine Hand aus der ihrigen und sprang vorwärts, während sie mir in möglichster Eile nachfolgte, augenscheinlich mehr besorgend, ich möchte ihr entwischen, als daß sie von den Indianern aufgegriffen werden könnte. Sobald ich etwa hundert Schritte im Walde zurückgelegt hatte, wandte ich mich plötzlich rechts und floh mit voller Hast in diese Richtung, weil ich auf diese Weise die Indianer zu täuschen hoffte und im minder dichten Wald das Rennen leichter ging. Die Mistreß folgte mir auf den Fersen und würde mir nachgerufen haben, wenn ihr nach den ersten Paar tausend Schritten nicht der Athem versagt hätte. Ich machte nun die Bemerkung, daß ich schneller auf den Beinen war, als sie. Mochten sie ihre Kleider belästigen, oder war sie vielleicht nicht so sehr an Leibesübung gewöhnt – kurz ich hörte sie mir nachkeuchen. Leicht hätte ich sie jetzt im Stiche lassen können, aber ich fürchtete, sie möchte mir zurufen, und wenn sie dies that, mußten die Indianer sie hören und dadurch über die eingeschlagene Richtung aufgeklärt werden; hatten sie dann einmal meine Fährte, so konnten sie dieselbe bei Tagesanbruch auf jede Entfernung hin verfolgen. Ich ermäßigte deshalb meine Eile, so daß die Mistreß mir in einem Abstand von ungefähr zehn Schritten nachkommen konnte. Nachdem wir eine gute Wegstunde zurückgelegt hatten, bemerkte ich, daß sie nicht mehr weiter konnte. Zu sprechen war sie außer Stande, und da ich fortlief, ohne auch nur ein einzigesmal zurückzuschauen, so konnte sie mir auch keine Zeichen geben. Ich lief deshalb eine Viertelstunde mit geringerer Geschwindigkeit weiter, damit sie mir nachkommen und ich selbst für eine neue Anstrengung meinen Athem sparen konnte. Von den Stimmen der Indianer hörten wir längst nichts mehr, und es war klar, daß sie die von uns eingeschlagene Richtung nicht entdeckt hatten. Dies gab mir die Ueberzeugung, daß man auch die Mistreß nicht mehr hören konnte, mochte sie so laut schreien, als sie wollte, weshalb ich allmählig meine Eile beschleunigte, bis ich sie nicht mehr hinter mir schnauben hörte. Dann bot ich meine volle Geschwindigkeit auf, und einige Minuten später vernahm ich aus einiger Entfernung, wie sie meinen Namen rief. »Nein,« dachte ich, »die Kugel und die Kette sind noch nicht vergessen, und wenn Du in dem Blockhause glaubtest. Du habest einen Löwen losgelassen, so wirst Du finden, daß der Befreite in den Wäldern zum Hirsch geworden ist.«
Ich machte dann für einige Augenblicke Halt, um wieder zu Athem zu kommen, wartete aber nicht lange, weil ich fürchtete, auch die Mistreß möchte sich erholen. So ging es denn wieder aufs Neue in voller Hast. Der Gedanke an die indianische Folter oder an die vier Pfähle der liebenswürdigen Mistreß verlieh mir eine Ausdauer, deren ich mich selbst nicht für fähig gehalten hätte. Noch ehe der Morgen anbrach, hatte ich meiner Berechnung nach wenigstens acht Wegstunden, wo nicht mehr zurückgelegt.
Der Schweiß lief in Strömen an mir nieder, und zuletzt konnte ich kaum mehr ein Bein dem andern nachschleppen, so daß ich um Tagesanbruch meine Flucht aufgab, mich auf den Boden niederwarf und die Axt fallen ließ, die ich auf dem ganzen Weg getragen hatte. So lag ich mehr als eine halbe Stunde da, jeder Bewegung unfähig und von brennendem Durste gequält. Endlich erholte ich mich wieder, und da ich wohl wußte, die Indianer würden sich in drei oder vier Haufen zertheilen und jeden Strich der Wälder durchspüren, in denen sie mit Tagesanbruch wahrscheinlich meine Spur entdeckten, so erhob ich mich wieder, um aufs Neue meine Anstrengungen aufzunehmen. Wie ich umherschaute, bemerkte ich, daß ich genau an der Stelle war, nach welcher ich den Hirsch verfolgt hatte, und wo ich mit dem lustigen Corsaren, wie er sich nannte – demselben, der mir den Weg nach der Pflanzung wies, zusammengetroffen war. Beim Umwenden sah ich unten den Fluß, und da er mir gesagt hatte, die Indianer kämen nie hieher, so beschloß ich in diese Richtung zu gehen, in welcher ich zum mindesten eine Muschel und Wasser finden konnte. Nach einer halben Stunde erreichte ich den Saum des Waldes und erblickte etwa vierhundert Schritte vor mir den Fluß, der auf eine ziemliche Strecke von der Mündung her von freiem Land begrenzt war. Die Strömung war dort sehr schnell, und als ich am Ufer angelangt war, trank ich bis ich nicht mehr konnte. Dann erhob ich mich wieder und ging, über mein weiteres Beginnen Erwägungen anstellend, nach der Mündung hinunter. Anders als zu Wasser nach Jamestown zu gelangen, erschien mir als eine Unmöglichkeit, und wahrscheinlich war hier kein anderes Fahrzeug, als etwa das eines Piraten zu treffen. Sollte ich zu einem Seeräuber an Bord gehen? Ich hatte augenscheinlich keine andere Wahl und durfte mich glücklich schätzen, wenn mir nur diese sich darbot.
Mittlerweile war ich an der Mündung des Flusses angelangt, und wie ich in die See hinausschaute, sah ich einen Schooner vor Anker. Er mochte eine gute Seemeile entfernt liegen und mußte wohl ein Piratenschiff seyn. Sollte ich an Bord gehen oder nicht? – Und im bejahenden Falle, wie gelangte ich dahin? Alle Boote waren aufgeholt, und ich vermuthete, der Schooner habe eben erst den Fluß in der Absicht verlassen, sobald Wind eintrete, weiter zu segeln; denn in demselben Augenblicke herrschte eine völlige Windstille. Der Fluß lief an seiner Mündung sehr schnell, und ich dachte, unter solcher Beihülfe wohl das Fahrzeug schwimmend erreichen zu können, da es gerade in der Strömung lag.
Gleichwohl zögerte ich. Ich mochte etwa zwei Stunden am Ufer gelegen haben, um zu sehe«, ob nicht ein Boot ans Land geschickt wurde; aber wie ich, noch immer zaudernd, am Flußrande mich zufällig umwandte, bemerkte ich drei Indianer, die in größter Eile nach mir herunterkamen. Jetzt bedachte ich mich nicht länger, sondern stürzte in den Strom und war schon ein paar hundert Ellen weit, ehe sie das Ufer erreichten. Ich hielt auf den Schooner ab, und die Strömung lief so schnell hinaus, daß ich nach einer halben Stunde in dessen Nähe anlangte. Ich schwamm auf das Kabel zu, klammerte mich daran und schrie laut. Dies bewog einen von der Mannschaft, über die Buge zu schauen. Man warf mir einen Boolienknoten zu, in welchem ich mich fest machte, und so wurde ich an Bord geholt.
Man brachte mich jetzt nach dem Hinterschiff, damit ich Auskunft über mich gebe, und ich entsprach diesem Ansinnen, indem ich in kurzen Worten erzählte, ich sey von Indianern verfolgt worden und hieher geschwommen, um mein Leben zu retten.
»Haben wir uns nicht schon früher gesehen?« sagte eine rauhe Stimme.
Ich blickte auf und erkannte den lustigen Corsaren, mit dem ich am Ufer zusammengetroffen war.
»Ja,« versetzte ich. »Als ich Euch begegnete, war ich den Indianern entwischt und Ihr zeigtet mir den Weg nach den Pflanzungen.«
»Hat seine Richtigkeit,« sagte er. »Seine Erzählung ist wahr. Hatten's die Indianer, die wir eben erst am Gestade gesehen, auf Euch abgesehen?«
»Ja,« antwortete ich.
Ich erzählte sodann, wie sie unser Blockhaus angegriffen hatten und wie ich entkommen war.
»Das ging ja herrlich, und Ihr seyd eine gute Seemeile weit herausgeschwommen. Das muß wahr seyn, Feuer und Wasser können Euch nichts mehr anhaben. Ihr seyd just der Mann für uns. Was für eine Geschichte habt Ihr denn da um Euern Hals hängen?« fügte er bei, indem er den ledernen Beutel mit dem Diamanten anfaßte.
Ein plötzlicher Gedanke kam mir jetzt zu Hülfe, und ich entgegnete:
»Dies ist meine Glückshaube. Ich wurde mit einer Glückshaube geboren und habe sie stets bei mir getragen, weil sie vor dem Ertrinken schützt.«
»Dann ist's kein Wunder, daß Ihr so weit schwimmen konntet,« erwiederte der Mann.
Ihr müßt nemlich wissen, Madame, daß manche Kinder mit einer Membrane über dem Gesicht geboren werden, die man eine Glückshaube nennt, und es ist ein gewöhnlicher Aberglaube unter dem gemeinen Volk, solche Leute können nie ertrinken, namentlich, wenn sie im späteren Leben ihre Glückshaube am Leibe trügen. Die Matrosen sind in vielen Dingen gar abergläubisch, namentlich aber in diesem Punkte, und die um meinem Hals hängende Glückshaube wurde von ihnen respektirt wie von den Indianern, als sie glaubten, ich trüge in dem Lederbeutel einen Zauber oder eine »Medizin« wie sies nennen.
»Na,« sagte der lustige Corsar, »da Ihr Feuer, Wasser und Laufen in Fülle gehabt habt, so denke ich, es wird Euch nicht leid thun, jetzt auch etwas Zwieback und ein Glas Grog zu kriegen. Dann thut Euch ein, und morgen wollen wir weiter mit Euch reden.«
Sehr vergnügt über diese Aufforderung, ging ich hinab; aber denkt Euch mein Erstaunen, als, wie ich noch bei meinen Erfrischungen saß, zwei von den Portugiesen zu mir kamen, die in der Schebecke Schiffbruch gelitten hatten und von dem Kapitän des Transcendant nebst mir in dem kleinen Boote nach der Küste geschickt worden waren. Ich freute mich sehr, sie wieder zu sehen, und sie erzählten mir nun, nach vielen Mühseligkeiten und Leiden seyen sie ganz ausgehungert ans Ufer dieses Flusses heruntergekommen, wo der Pirat sie aufgenommen habe; seitdem seyen sie stets an Bord gewesen, weil sie nie Gelegenheit zum Wegkommen gefunden, so sehr sie sich auch danach gesehnt hätten. Ich bat sie, nicht zu sagen wer ich wäre; sie sollten nur angeben, ich sey früher ein Schiffsgefährte von ihnen gewesen. Sie versprachen mir dies, und da ich jetzt sehr müde war, legte ich mich nieder, um einzuschlafen. Erst am andern Morgen erwachte ich wieder, und wie ich die Augen öffnete, fand ich, daß das Fahrzeug unter vollen Segeln gegen Süden steuerte. Den lustigen Corsaren, wie ich ihn genannt habe (sein eigentlicher oder angenommener Name war Toplift) sah ich auf einer Kanone des Hinterschiffs sitzen. Er rief mich zu sich und ich redete ihn mit der Frage an:
»Seyd Ihr der Kapitän?«
»In Ermangelung eines besseren, ja,« versetzte er. »Ich habe Euch schon vor Monaten gesagt, was wir sind, und es ist also nicht nöthig, wieder davon zu sprechen. Wollt Ihr mit uns halten?«
»Ich will ganz aufrichtig gegen Euch seyn,« entgegnete ich. »Die dringlichste Nothwendigkeit hat mich an Bord Eures Schiffes getrieben, ohne daß ich von seiner eigentlichen Bestimmung unterrichtet war, und nun will ich Euch nur eine einzige Frage vorlegen, Capitän: – würdet Ihr hier seyn, wenn Ihr in England viele gute Freunde und reichlich Geld zur Verfügung hättet?«
»Nein, gewiß nicht,« antwortete er.
»Nun, in dieser Lage befinde ich mich. Bin ich einmal in England, so habe ich Geld genug, um davon zu leben, und viele Freunde. Natürlich sehne ich mich daher nach meiner Heimath zurück und möchte nicht gerne an Bord dieses Schiffs meinen Hals in Gefahr bringen.«
»Dies ist wohl wahr,« versetzte er, »aber es gibt noch andere Rücksichten. Meine Leute werden keinen Menschen an Bord lassen, der nicht den Eid der Treue leistet, und wenn Ihr diesen nicht schwört, kann ich Euch nicht beschützen – sie werfen Euch über Bord. Wir führen keine Passagiere.«
»Ich kann dies glauben und will daher in so weit Treue schwören, daß ich euch nie verrathen und nie gegen Einen von euch als Zeuge auftreten werde. Es wäre meinerseits der größte Undank, wenn ich etwas der Art thäte. Auch will ich, so lange ich an Bord bin, jeden Dienst erfüllen, den Ihr mir zuzuweisen für gut haltet, denn ich möchte nicht gerne mein Brod umsonst essen.«
»Gesetzt aber den Fall daß es zu einem Gefecht käme?«
»Hier waltet freilich eine Schwierigkeit vor,« erwiederte ich. »Gegen ein englisches Schiff werde ich nie kämpfen.«
»Wenn wir aber von den Angehörigen einer andern Nation angegriffen werden und es wäre die Gefahr einer Niederlage zu besorgen?«
»Je nun, in letzterem Falle würde ich mit den übrigen baumeln müssen, und da will ich denn doch lieber alle meine Kräfte aufbieten, um mein Leben zu retten. Handle sichs übrigens um Sieg oder Niederlage, so werde ich gegen meine Landsleute nie eine Kugel abfeuern oder einen Stutzsäbel ziehen.«
»Gut; ich kann nicht anders sagen, als daß Eure Bedingungen billig sind.«
»Ich denke, weiter könnt Ihr nicht von mir verlangen,« entgegnete ich; »namentlich, da ich auf jeden Antheil am Prisengeld verzichte.«
»Ich will mit den Leuten darüber sprechen und ihre Meinung hören; aber beantwortet mir jetzt eine einzige Frage – seyd Ihr nicht ein Seemann?«
»Ich will Euch in allen Stücken die Wahrheit mittheilen – ja ich bin ein Seemann und habe einen Kaper kommandirt. Ich diente viele Jahre aus Kaperschiffen und habe manchem harten Kampfe angewohnt.«
»Dacht ich mirs doch,« versetzte er. »Aber sagt mir jetzt – wart nicht Ihr der Mann, der dem französischen Kaperkapitän zu Bordeaux jenen Possen spielte?«
»Allerdings,« entgegnete ich; »aber wie könnt Ihr davon wissen?«
»Weil ich der Mate eines gekaperten Kauffahrers war. Ich sah Euch drei oder viermal an meinem Schiff vorbeikommen, denn wir mußten, ehe wir ins Gefängniß abgingen, Quarantäne halten. War mir's doch gleich, als ob ich Euch kennen müsse.«
»Ich brauche nichts geheim zu halten.«
»Nein; aber ich muß Euch aufrichtig sagen, daß Euch meine Leute nicht aus dem Schiff lassen werden, wenn sie all dieß wissen. Falls Ihr Lust dazu habt, so könnt Ihr sogar ihr Kapitän werden, denn mit mir sind sie nicht zufrieden. Unser Kapitän, dessen Offizier ich war, fiel vor ungefähr sechs Monaten, und ich muß selbst auch sagen, daß ich zum Commando nicht tauge – ich bin zu weichherzig.«
»Ha, Ihr seht mir nicht darnach aus,« versetzte ich lachend.
»Ich verstehe mich nicht aufs Aeußere, aber 's ist eine Thatsache,« entgegnete er. »Sie sagen, im Falle des Ergriffenwerdens hätten sie alle die Verurtheilung zu gewärtigen, weil ich die Mannschaft der genommenen Schiffe nicht umbringe und so ihr Zeugniß unmöglich mache; ich kann mich übrigens nicht zu kaltblütigem Mord entschließen. Zwar bin ich schlimm genug, denn ich raube auf hoher See und schone auf hoher See kein Menschenleben, wenn es zum Fechten kommt; aber ich sage ihnen stets, ich sey außer Stande, einen überlegten Mord zu begehen, sey dies nun zu Wasser oder zu Land. Wenn Jemand anders das Schiff leiten könnte, so würde ich im Augenblick abgesetzt werden.«
»Ich freue mich, Euch so sprechen zu hören, Kapitän, denn unter solchen Umständen kann ich mich leichter in meine nunmehrige Lage finden. Gut; ich habe Euch nun gesagt, was Ihr von mir zu erwarten habt, und so muß ich es jetzt Euch überlassen, mit Eurer Schiffsmannschaft zurecht zu kommen.«
»Es wird eine schwierige Aufgabe seyn,« entgegnete er nachsinnend.
»Sagt ihnen,« versetzte ich, »ich sey einmal der Kapitän eines Schiffs wie dieses gewesen (im Grunde ist der Unterschied zwischen einem Piraten und einem Kaper nicht so groß, als Ihr denken mögt) – und deshalb wolle ich mich nicht unter das Commando irgend eines Andern stellen.«
»Wenn sie dies hören, übertragen sie Euch den Befehl dieses Fahrzeugs.«
»Ich werde das Anerbieten zurückweisen und meine Gründe dafür angeben.«
»Gut, ich will ihnen die Mittheilung machen und überlasse es dann Euch, mit ihnen fertig zu werden; aber es gibt einige verzweifelte Schurken darunter,« setzte er in gedämpftem Tone bei.
»Dies kann ich mir denken,« entgegnete ich. »Ich überlasse es Euch nun, mit ihnen Rücksprache zu nehmen.«
Toplift that dies und theilte ihnen mit, ich sey ein Piraten-Kapitän, der sein Schiff verloren habe und an den Strand geworfen worden sey; indeß weigere ich mich, in anderer Eigenschaft als in der des Kapitäns der Mannschaft mich anzuschließen, da ich unter Niemanden stehen wolle. Er fügte sodann bei, daß er mich von früherher kenne, und erzählte sodann die Geschichte vor Bordeaux, als ich den Kaper kommandirte; auch erfuhr ich später, daß er mich bei dieser Gelegenheit über alle Gebühr herausgestrichen hatte.
Nachdem die Mannschaft ihn angehört hatte, begab sie sich nach dem Vorderschiff, um eine Berathung zu halten, und kam dann wieder zu Toplift zurück, mit der Erklärung, daß ich den Eid leisten müsse.
Toplift entgegnete, er habe mich bereits dazu aufgefordert, aber von mir eine abschlägige Antwort erhalten. »Sprecht übrigens selbst mit ihm,« fügte er bei. »Ruft alles Volk nach dem Hinterschiff und hört an, was er zu sagen hat.«
Dies geschah, und ich wurde vorgefordert.
»Ich habe den Leuten mitgetheilt, was Ihr gesagt habt, Sir – entschuldigt, ich kenne Eure Namen nicht.«
»Ich habe keinen Namen,« versetzte ich stolz. »Man nennt mich ›Kapitän‹ – dies ist mein Name.«
Ich hatte mir nämlich vorgenommen, Madame, eine barsche Rolle zu spielen, weil ich wußte, daß man auf diese Weise mit Leuten, wie ich sie jetzt vor mir hatte, am Besten zu Stande kömmt.
»Gut so, Kapitän; ich habe der Mannschaft mitgetheilt, daß Ihr den Eid nicht leisten wollt.«
»Ich einen Eid leisten?« versetzte ich mit Geringschätzung – »ich, der ich gewöhnt bin, Andern Eide abzunehmen? Bisher habe ich stets Andere in Pflichten genommen, um sie mir Treue schwören zu lassen – hievon werde ich nicht abgehen.«
»Ihr wollt damit doch nicht sagen, Kapitän Toplift, daß er mit uns an Bord bleiben dürfe, ohne den Eid zu leisten?« sagte ein wildaussehender Strolch. »Er muß schwören, Kapitän Toplift, was Ihr auch dagegen haben mögt.«
»Kapitän Toplift,« sagte ich mit Ruhe, »gestattet Ihr einem aus Eurer Mannschaft eine derartige Sprache? Wäre ich Kapitän dieses Schiffs gewesen, so hätte ich ihm unverweilt eine Kugel durchs Gehirn gejagt. Ihr wißt nicht, wie man mit solchen Halunken umgehen muß; ich aber weiß es.«
Kapitän Toplift war augenscheinlich sehr erfreut, in dieser Weise von mir unterstützt zu werden; denn wie sonderbar es auch klingen mag, so war doch nicht zu verkennen, daß die Haltung einer Person, welche man im Nu hätte über Bord werfen können, einen bedeutenden Eindruck übte. Die Männer wichen verdutzt zurück, und Toplift ergriff nunmehr das Wort.
»Kapitän, Ihr habt mir eine gute Lehre gegeben, und ich will Vortheil davon ziehen. Ergreift diesen Kerl und legt ihn in Eisen.«
»Ha!« rief der Mann als er bemerkte, daß ihn Niemand berührte, »ich möchte doch wissen, wer es wagen wird, der Katze die Schelle anzuhängen!«
Er zog seinen Säbel.
»Wenn Ihr es wünscht,« sagte ich zu Kapitän Toplift, »so will ich dieses Amt übernehmen.«
Dann trat ich rasch auf den widerspenstigen Piraten zu und sprach:
»Laßt dies, mein guter Freund, denn damit reicht Ihr nicht aus. Ich bin daran gewöhnt, mit dergleichen Kunden umzugehen, und weiß sogar mit Leuten fertig zu werden, die viel schlimmer sind, als Ihr.«
Eh es der Kerl gewahr wurde, war ich ihm auf dem Leib, packte ihn am Gurt, warf ihn rücklings zu Boden und setzte ihm den Fuß auf den Hals.
»Legt diesem Menschen augenblicklich Fesseln an,« rief ich mit gebieterischer Stimme. »Unterstehe sich Einer, zu widersprechen. Packt diesen Kerl, ihr Herrn,« fuhr ich gegen die beiden Portugiesen fort, welche jetzt vortraten und ihn unter dem Beistand von Anderen, die sich nunmehr gleichfalls anschlossen, abführten.
»Sind noch mehr Meuterer hier?« fragte ich. »Wenn dies der Fall ist, so sollen sie vortreten.«
Niemand rührte sich.
»Meine Jungen,« fuhr ich fort, »es ist vollkommen richtig, daß ich mich geweigert habe, zu schwören, denn Eide gibt es nicht für die Befehlshaber, sondern für diejenigen, welche gehorchen müssen. Ich bin übrigens nicht der Mann, der euch verrathen könnte. Ihr wißt, wer ich bin – haltet ihr es überhaupt nur für möglich?«
»Nein, nein,« versetzten die Seeräuber.
»Sir,« ließ sich dann Einer aus ihrer Mitte, welcher der Vorlauteste und Unverschämteste gewesen war, vernehmen, »wollt Ihr unser Kapitän seyn? – Nur ein einfaches Ja, denn Ihr seyd ein Mann von dem Schlage, wie wir ihn brauchen.«
»Ihr habt bereits einen Kapitän und in wenigen Wochen commandire ich ein eigenes Schiff,« versetzte ich. »Aus diesen Gründen ist's mir unmöglich, Euer Erbieten anzunehmen. So lang ich übrigens an Bord bin, will ich Kapitän Toplift nach allen meinen Kräften Beistand leisten, und weiter könnt Ihr nicht verlangen. Aber jetzt, ihr Leute, laßt euch von einem Manne, der den Dienst von lange her kennt, einen Rath ertheilen: kehrt zu eurer Pflicht zurück; denn in einem Schiff, wie dieses, hängt Alles vom strengsten Gehorsam ab. Auch für Euch habe ich einen Rath, Kapitän Toplift: schießt den ersten besten, welcher sich wie der nun in Ketten liegende Schurke benimmt, über den Haufen. Bootsmann, abgepfiffen!«
Ich wußte nicht, ob der Bootsmann diesen letzteren Befehl befolgen würde, und ebensowenig, ob dann von Seiten der Mannschaft ein entsprechender Gehorsam zu erwarten war. Indeß hatte ich doch die Befriedigung, daß beides geschah, und die Männer zogen sich ruhig zurück.
»Nun, Kapitän Toplift,« sagte ich, »Euch habe ich keinen Schaden gethan, mir selbst aber einen guten Dienst erwiesen.«
»Ja wohl,« versetzte er. »Kommt mit in die Kajüte hinunter.«
Daselbst angelangt fuhr er fort:
»Ihr habt den meuterisch'sten Schurken im Schiff zu Paaren getrieben und mein Ansehen gekräftigt. Aus Eurem Benehmen gewinnen sie die volle Ueberzeugung, Ihr seyet das, wofür Ihr Euch ausgebt, und wenn ich Euch zur Seite habe, so fühle ich wohl, daß ich mit diesen Kerlen besser zu Stande kommen werde, als bisher der Fall war. Um sie übrigens auf ihrem Glauben zu lassen, müßt Ihr natürlich mit mir in der Kajüte speisen; auch kann ich Euch Kleider anbieten – nicht von den meinigen, sondern von denen des früheren Kapitäns, die für Eure Figur besser passen werden.«
Ich ließ mir dies gerne gefallen, hüllte mich in die schönen Kleider, welche er mir anbot und begab mich bald nachher mit ihm aufs Deck, wo ich von den Seeräubern mit der größten Achtung empfangen wurde. In der Kajüte wurde für mich eine Hängematte angebracht und ich befand mich stets in Gesellschaft des Kapitän Toplift, welcher zwar ein rauher, aber gutherziger Mann war und jedenfalls nicht für das Commando eines Schiffs paßte, das in einem derartigen Dienste segelte und eine solche Bande von Elenden an Bord hatte. Er erzählte mir, er sey vor drei Jahren von einem Piratenschiff genommen worden, und weil man fand, daß er ein Schiff zu lenken verstund, so habe man ihn mit Gewalt zurückgehalten; endlich habe er sich an seine Stellung gewöhnt.
»Wir Alle müssen leben,« sagte er, »und ich hatte kein anderes Mittel mehr, mich fortzubringen, obschon ich nicht bergen kann, daß mir mein Gewissen wegen dieses Handwerks oft Vorwürfe machte. Jetzt bin ich freilich daran gewöhnt, und Gewohnheit versöhnt den Menschen zuletzt mit Allem, nur nicht mit kaltblütigem Mord und einen solchen werde ich nie dulden.«
Auf meine Frage, wo sie zu kreuzen gedächten, antwortete er:
»An dem spanischen Festland.«
»Aber wir leben doch jetzt mit den Spaniern im Frieden,« versetzte ich.
»Davon habe ich kaum etwas erfahren,« sagte er. »Nicht daß uns viel an einem solchen Frieden läge, denn wir greifen allenthalben zu; aber ich weiß, Ihr habt dabei meine Stellung im Auge, und will Euch daher unverhohlen sagen: ich zog diesen Kreuzgrund blos deshalb vor, damit wir nicht mit englischen Schiffen zusammenträfen, da diese an der spanischen Küste selten sind. Es wäre mir aus dem Grunde meines Herzens lieb, wenn ich nicht auf diesem Schiffe wäre.«
»Ich zweifle nicht daran, daß es Euch Ernst damit ist, Kapitän Toplift. Aber angenommen, Ihr führet in eine der Strommündungen von Jamaika – Eure Leute würden dann nicht wissen, wo wir sind, und wenn wir mit einem Boot ans Land gingen, so könnten wir sie im Stich lassen. Ich will für Euch sorgen und darauf Bedacht nehmen, daß Ihr Euren Unterhalt wieder in ehrlicher Weise gewinnen könnt.«
»Gott segne Euch dafür, Sir,« entgegnete er. »Ich will versuchen, was ich kann. Die Sache muß reiflich besprochen werden, denn meine Kameraden könnten etwas argwöhnen, und dann wäre Alles mit uns vorbei.«
Wir liefen abwärts, bis wir in die Breite der virginischen Inseln gelangten, und änderten dann unseren Kurs nach Jamaika hin. Der erste und zweite Mate holten in der Regel Kapitän Toplifts Ansichten ein und theilten dieselben der Mannschaft mit; wenn nun diese nicht damit zufrieden war, so sprach sie ihre Meinung aus und die Stimme der Gesammtheit fand Geltung. Obgleich nun die Seeräuber nichts von der eigentlichen Schifffahrt verstanden, so hatten sie doch zureichende Kenntnisse von Karten und Kursen, um die Aenderung der Richtung zu bemerken, weshalb sie denn auch nach dem Grund fragten.
Kapitän Toplift entgegnete, er befolge hierin meinen Rath, denn ich habe ihm versichert, daß wir an der Hinterseite der Insel Jamaika zuverlässig mit einigen reichen spanischen Schiffen zusammentreffen würden; wir brauchten nur in irgend einem Winkel eine Weile liegen zu bleiben, denn jetzt kämen sie aus dem Süden nach der Havanna, wo sie sich zu einen Convoy sammelten.
Diese Antwort wurde für befriedigend erkannt, wie aus ihrem heiteren Gehorsam zu entnehmen war; wir liefen daher nach Jamaika hinunter, fuhren dicht an der Küste auf, kürzten die Segel und legten bei. So blieben wir drei oder vier Tage liegen, um durch eine allzufrühen Entweichungsversuch nicht Argwohn zu erregen, und endlich theilte Kapitän Toplift, den Matrosen mit, ich habe den Vorschlag gemacht, in einer verborgenen Bai Anker zu werfen; wir könnten dann zuverlässig die spanischen Schiffe sehen, wenn wir einen Ausluger nach den Bergen hinaufschickten. Dieser Plan fand Beifall, und wir segelten längs der Küste hin, um einen bequemen Ankerplatz aufzusuchen.
Während wir noch hiemit beschäftigt waren, ließ sich ein Schiff blicken, auf das wir augenblicklich mit vollen Segeln Jagd machten. Da es uns nicht zu vermeiden suchte, so hielten wir bei seinem Näherkommen ab, um es näher untersuchen zu können. Jetzt hißte es an seinem Piek eine gelbe Flagge auf (es war nämlich eine hermaphroditische Brigg, und dies setzte uns nicht wenig in Verlegenheit) Gleichwohl steuerten wir auf das Fahrzeug zu, das, mit Ausnahme seiner Segel, sehr liederlich aussah. Beim Näherkommen bemerkte es vermuthlich, daß wir seine Signale nicht beantworteten und daß wir nicht das erwartete Schiff waren, weshalb es plötzlich seinen Kurs vor dem Wind änderte und alle Segel, die es führen konnte, ausbreitete. Wir setzten sogleich unser Tuch, um Jagd zu machen, und kamen dem Flüchtling schnell nach. Mittlerweile bedienten sich der Mate und ich des Fernglases, und ich machte die Entdeckung, daß das fremde Schiff nichts Anderes war, als der Transcendant, dessen Kapitän uns, als wir in dem Boote waren, so grausam behandelt und uns sowohl unser Geld, als unsere Kleider geraubt hatte. Ich rief die Portugiesen herbei und forderte sie auf, durch das Glas das Fahrzeug zu mustern und mir ihre Ansicht mitzutheilen. Das Ergebniß ihrer Untersuchung entsprach vollkommen dem der meinigen.
»Wenn wir nur erst diesen Schurken gefaßt haben, so wollen wir ihn mit seiner eigenen Münze wieder bezahlen,« sagte ich und gab unverweilt Anweisungen zu einer besseren Segelstellung, denn es war mir jetzt angelegentlich darum zu thun, ihm nachzukommen.
Die Matrosen des Schooners waren sehr erfreut über meinen Eifer, und aus der Behendigkeit, mit welcher sie mir Folge leisteten, konnte ich wohl entnehmen, wie angelegentlich es ihnen darum zu thun war, daß ich ihr Kapitän werde. Nach zwei Stunden standen wir in Schußweite und schickten der Brigg aus unseren Buggeschützen eine Kugel nach. Mit dem Rennen war nun weiter nichts mehr zu erholen, weshalb sie beilegte, und als wir neben, Bord auffuhren, war der Kapitän mit seinem Boote bereit, zu uns an Bord zu kommen. Ich hielt mich anfangs bei Seite, um zu hören, was er sagen würde. Er brachte seinen liebenswürdigen Sohn mit, und als Kapitän Toplift ihn auf dem Deck begrüßte, sah er sich mit den Worten um:
»Ich glaube, ich bin recht daran, obschon ich fürchtete, ich habe mehr als einen Mißgriff begangen. Ohne Zweifel gehört Ihr zum Freihandel?«
»Ja,« versetzte Toplift.
»Dachte ich mir's doch, Kapitän; aber ich hoffte mit einem andern Schooner zusammenzutreffen, der dem Eurigen sehr ähnlich ist und gleichfalls im Freihandel segelt. Deshalb gab ich das Signal, denn ich gedachte, ihm das abzunehmen, was er gerne losgeschlagen hätte. Vielleicht führt auch Ihr etwas Derartiges, was sich nicht gerade mit Sicherheit zeigen läßt – zum Beispiel Kirchensilber und dergleichen, an Bord. Ich zahle in baar Geld – so halte ich's stets.«
Wie sich später herausstellte, Madame, hatte dieser Schurke nicht nur selber viele Jahre den Freihandel oder Seeraub betrieben, sondern auch die Gelegenheit ersehen, sich mit einer großen Geldsumme, welche der Mannschaft gehörte, davon zu machen. Mit diesem Raube hatte er die Pflanzung in Virginien und die Brigg gekauft, die er jetzt kommandirte. Obgleich er den Freihandel selbst nicht mehr betrieb, stand er doch im Einvernehmen mit einem Seeräuber-Kapitän, mit dem er zu Port-Royal ausgemacht hatte, er wolle an der Hinterseite der Insel mit ihm zusammentreffen und ihm diejenigen Gegenstände abnehmen, die der Pirat in baar Geld umzusetzen gedachte. Natürlich trug er bei einem solchen Verkehr Sorge, daß der Hauptgewinn ihm verblieb.
So hatte er es schon mehreremal getrieben, und da er seine Ladung zu Port-Royal für baare Thaler verkaufte, so war er immer mit Geld versehen, um das zu bezahlen, was der Pirat loszuwerden wünschte. Jetzt aber war er dem Löwen in den Rachen gelaufen; denn nicht nur ich und die beiden Portugiesen konnten ihn wegen Raubs belangen, sondern zu noch größerem Unglück für ihn befanden sich auch drei von der Piraten-Mannschaft an Bord, welche von ihm um ihre Habe betrogen worden waren und ihn augenblicklich wieder erkannten.
Da Kapitän Toplift wußte, wie ich von ihm behandelt worden war, so hielt er es für an der Zeit, mich ihm gegenüber zu stellen; er entgegnete ihm daher auf die Frage, ob's nichts zu verwerthen gebe:
»Ihr müßt Euch darüber bei dem Kapitän erkundigen. Hier ist er.«
Der Kerl wandte sich gegen mich um, sah mich an, machte große Augen und blieb stumm; sein Wechselbalg von einem Sohne aber rief jetzt:
»So wahr als eine Kanone knallt, er ist's, Vater – das fehlt nicht.«
»Oh, Du Satansbraten, Du kennst mich also?« rief ich. »Ja, er ist's. He, alle Mannschaft nach dem Hinterschiff.«
Die Seeräuber kamen eiligst zusammengelaufen, da sie nur auf diesen Aufruf gewartet hatten, um gegen den Kapitän des Transcendant Zeugniß abzulegen.
»Hört an, ihr Jungen,« sagte ich; »Einige von uns trafen auf diesen Schurken, nachdem wir verunglückt waren und unser Schiff verloren hatten. Statt aber sich zu benehmen, wie es jeder Seemann gegen den andern verpflichtet ist, raubte er uns Alles, was wir hatten, und schickte uns nackt und bloß triftig, damit wir von den Indianern erschlagen würden. Von jenem ganzen Haufen sind nur drei übrig geblieben, ich und die beiden Portugiesen, die ihr vor etwa vier Monaten an Bord nahmt; alle übrigen haben einen kläglichen Tod gefunden. Einer von uns wurde in schauderhafter Weise von den Indianern verbrannt, und ich bin nur mit Noth einem gleichen Schicksal entronnen. Die Entscheidung, was mit einem solchen Elenden anzufangen ist, überlasse ich euch.«
»Es sind noch mehr Zeugen gegen ihn vorhanden, Kapitän,« riefen die Seeräuber; und nun traten Vier aus dem Haufen, die Erklärung abgebend, er sey mit dem Geld der Mannschaft, zu welcher sie gehört hatten, entwichen und habe sie um die Summe von fünfundzwanzig tausend Dollars bestohlen.
»Was habt Ihr für Euch vorzubringen?« sagte ich zu ihm.
»Daß ich ein verwünschter Thor war, mich in dieser Weise fangen zu lassen?«
»Was werden sie wohl thun, Vater?«
»Vermutlich uns baumeln lassen,« versetzte er.
»Kapitän Toplift,« sagte ich, »das Commando dieses Schiffes kommt nicht mir zu, und ich überlasse es daher Euch, das Schicksal dieses Schurken zu bestimmen.«
Mit diesen Worten wollte ich mich nach der Kajüte hinunterbegeben, als der Bube des Kapitän vom Transcendant auf mich zulief und zu mir sagte:
»Ich möchte mit Euch allein sprechen, Sir.«
»Was führst Du im Schilde, Peleg?« rief sein Vater.
»Ich will versuchen, ob ich nicht Euer Leben retten kann, Vater,« antwortete er.
»Da mußt Du viel Grütze haben. Junge, wenn Dir dies gelingen soll,« bemerkte einer der Matrosen höhnend.
Ich gestattete dem Knaben, mir nach der Kajüte zu folgen, und fragte ihn sodann, was er vorzubringen habe.
»Ich habe Euch etwas mitzutheilen, was für Euch werthvoller ist, als das Leben von hundert Knaben, wie ich bin.«
»Von Knaben wie Du? Ei, ich glaubte, Du seyest heruntergekommen, um das Leben Deines Vaters zu retten?«
»Pah,« versetzte er, »laßt ihn immerhin hängen, denn er ist doch für den Strick geboren. Ich bin da, um für mein eigenes Leben zu sprechen, und habe nur so gesagt, um ihn zum Besten zu haben.«
»Du bist ein hoffnungsvoller Jüngling,« erwiederte ich. »Doch laß hören, ob Du im Besitz einer Mittheilung bist, die Deinen eigenen Hals dem Stricke entziehen kann.«
»Es handelt sich aller Wahrscheinlichkeit nach darum, Euren eigenen zu retten,« entgegnete der Bube, »und Leben für Leben ist nicht mehr wie billig.«
»Wohlan, so laß hören,« versetzte ich.
»Nein, Ihr müßt mir zuvor Euer Versprechen geben. Wenn's seyn muß, so kann ich so gut baumeln, wie mein Vater; aber es wäre mir doch lieber, es unterbliebe, weil ich weiß, wo er all sein Geld verborgen hat.«
»Ich kann kein Versprechen geben,« entgegnete ich.
»So werde ich auch nichts sagen,« versetzte er. »Ich gehe wieder auf's Deck und sage meinem Vater, ich sey nicht mit Euch zurecht gekommen.«
Und bei dem letzten Theil dieser Rede lachte der furchtlose kleine Schurke hell hinaus bei dem Gedanken, daß er seinen Vater, wie er's nannte, zum Besten gehabt habe.
Es ist ein vollkommen wahres Sprichwort: Erziehe ein Kind für die Laufbahn, die es einschlagen soll, und es wird nicht davon abgehen; aber mit noch größerer Sicherheit kann man darauf zählen, daß der Schüler den ihm ertheilten Weisungen am allertreuesten anhängen wird, wenn man ihn auf unrechte Wege führt. Konnte es wohl einen maßgebenderen Beweis für diesen Satz geben, als das Benehmen dieses jungen Schurken? Aber sein Vater hatte ihn so gemacht, und erndtete auch diesen Lohn dafür.
»Halt,« sagte ich; denn ich hatte bedacht, daß im Grund kein Anlaß vorhanden war, den Knaben zu hängen, wie denn auch eine Jury aller Wahrscheinlichkeit nach ihn freigesprochen haben würde. »Halt,« sagte ich; »Du behauptest eine Mittheilung von größter Wichtigkeit machen zu können?«
»Sie wird mit jeder entschwindenden Minute wichtiger,« versetzte er. »Ich will Euch Alles mittheilen und Euch in die Geheimnisse meines Vaters einweihen – gegen ihn kann ich jetzt Alles unverhohlen sagen.«
»Wohlan denn,« entgegnete ich, »wenn Du wirklich etwas Wichtiges zu eröffnen hast, so will ich Allem aufbieten, um Dein Leben zu retten. Auch zweifle ich nicht, daß meine Bemühungen erfolgreich seyn werden.«
»Ich zweifle gleichfalls nicht daran, da ich sonst nicht zu Euch gekommen seyn würde,« erwiederte er. »Gut also: der Vater kam an die Hinterseite der Insel, um, wie er bereits gesagt hat, mit einem Seeräuberschooner ein kleines Geschäft abzumachen; auch theilte er Euch mit, er habe dies früher schon oft so gehalten, aber gleichwohl ist er nicht ganz mit der Farbe heraus gegangen. Als wir zu Port-Royal waren, begab sich mein Vater zu dem Kapitän eines dort liegenden königlichen Schiffes, welches die Weisung hat, dem Seeraub zu steuern. Gegen diesen Kapitän nun machte er sich für eine gewisse Summe anheischig, ihm unsern Handelsfreund in die Hände zu spielen.«
»Wie! er wollte seinen Freund, den Seeräuber, verrathen?«
»Ja. Es wurde so ausgemacht, daß mein Vater am heutigen Tag an die Rückseite der Insel kommen sollte. Er wollte dann den Handel in die Länge ziehen und das Seeräuberschiff so lang in der Bai aufhalten, daß das königliche Schiff plötzlich herankommen und es nehmen konnte. Dies war die Absicht meines Vaters, aber jetzt habt Ihr ihn in Euren Fängen. Das königliche Schiff wird in ungefähr zwei Stunden um jene Spitze kommen; wenn Ihr euch also hier betreffen laßt, so werdet Ihr so sicher, als ich noch auf meinen Beinen stehe, genommen und aufgeknüpft. Sind dies nicht wichtige Neuigkeiten und ist's nicht der Mühe werth, daß man sich darum erkundigt?«
»Allerdings, wenn sie wahr sind, Junge.«
»Oh, ich wills beweisen, denn ich gehe stets mit dem Vater, und er vertraut mir in Allem. Ich sah das unterzeichnete Papier. Das königliche Schiff führt den Namen Vestalin und der Kapitän unterzeichnete mit dem Namen Philipp Musgrave.«
»Ha!« rief ich und wandte mich ab, denn ich wünschte nicht, daß der Knabe die Aufregung bemerke, in welche mich diese Kunde versetzt hatte. Sobald ich mich wieder erholt hatte, sagte ich zu ihm:
»Junge, ich will Dir mein Versprechen halten. Bleib hier unten, während ich aufs Deck gehe und für Dein Leben Fürsprache einlege.«
»Darf ich nicht ein bischen aufs Deck hinauf?« sagte er.
»Ah, Du möchtest Deinem Vater Lebewohl sagen? Nein, nein, 's ist besser, Du ersparst Dir und ihm diesen schmerzlichen Abschied.«
»Nein, ums Lebewohlsagen ists mir nicht zu thun; damit kann ich warten, bis es vorüber ist. Aber ich habe noch nie einen Menschen hängen sehen, und da bin ich denn neugierig und möchte ein wenig hinaufgucken.«
»Pfui, Du junges Ungeheuer!« rief ich und eilte dann das Deck hinauf, denn die Kunde, welche ich erhalten halte, war zu wichtig, als daß sie nicht augenblicklich hätte benützt werden sollen.
»Nun, Kapitän, hat der Knabe das Leben seines Vaters gerettet?«
»Nein,« versetzte ich mit lauter Stimme.
»Dann hinauf mit ihm,« riefen die Seeräuber; denn der Strick war schon seit einiger Zeit um seinen Hals gelegt und über die Nocke geschlungen. Einige Männer standen an dem Tau und erwarteten nur meine Rückkehr auf das Deck. Im Nu baumelte der Kapitän des Transcendant in der Luft – und gewiß, wenn je ein Schurke sein Geschick verdiente, so war es dieser Mann. Eine Weile nachher wandte ich mich um und bemerkte den hoffnungsvollen Buben, der zusah, wie die Leiche seines Vaters unter den Bewegungen des Schiffes hin und her pendelte.
Vergeblich spähete ich nach einer Thräne in seinem Auge; er verrieth keine Spur irgend einer Erregung. Als er meinen finsteren Blick bemerkte, eilte er wieder in den Raum hinunter.
»Meine Jungen,« sagte ich zu den Matrosen, welche sich insgesammt auf dem Deck befanden, »ich habe eine Nachricht von so großer Wichtigkeit erhalten, daß ich Euch empfehlen möchte, das Schiff triftig zu kappen und ohne den mindesten Zeitverlust davon zu segeln.«
»Wie, ohne Beute gemacht zu haben?« riefen die Seeräuber; nach dem Transcendant hinsehend.
»Ja. Wenn Ihr klug seyd, dürft ihr hieran nicht denken.«
Auf diese Entgegnung riefen sie insgesammt aus, daß dies unmöglich sey; sie müßten die Beute haben, und ich sey ja nicht der Kapitän des Schiffs. Diese und andere Aeußerungen zeigten, wie bald man an Bord eines Piratenschiffs seine Popularität verlieren kann.
»Ich habe Euch meine Absicht mitgetheilt, meine Leute, und wenn Ihr hören wollt, warum ich so spreche –«
»Nein, nein, Boote hinaus,« riefen Alle und eilten gleichzeitig fort, um die Boote nieder zu lassen. Es war nämlich ganz windstill, und sie wollten den Schooner durch Schlepptaue an die Seite des Transcendant bringen.
»Ihr könntet eben so gut in den Wind reden, als diesen Leuten Vorstellungen machen, wenn ein Raub zu erholen ist,« sagte Toplift in gedämpftem Tone zu mir.
»Kommt mit mir in die Kajüte hinunter,« versetzte ich »und ich will Euch dort sagen, was ich gehört habe.«
»Ei, gehen sie nicht fort, um die Brigg zu plündern?« sagte Junker Peleg, als wir hinunterkamen. »Ich weiß, wo meines Vaters Dollars sind.«
Mit diesen Worten eilte er aufs Deck hinauf.
Ich machte eine kurze Bemerkung über die Verderbtheit des Knaben und theilte dann Kapitän Toplift mit, was ich aus seinem Munde erfahren hatte.
»Gleichviel,« entgegnete er, »sie würden doch unter keinen Umständen auf Eure Warnung geachtet haben. Die Bootsmänner, welche mit dem Kapitän herkamen, haben verlauten lassen, daß Geld an Bord sey, und nach einer solchen Kunde hats mit allem Ansehen des Befehlshabers ein Ende.«
»Ich glaube übrigens, daß mir der Junge die Wahrheit mitgetheilt hat,« entgegnete ich.
»Und was gedenkt Ihr zu thun?«
»Wenn man mirs gestattet, so bleib ich ruhig unten,« versetzte ich.
»Aber ich kann dies nicht,« versetzte er. »Sie würden mich über Bord werfen.«
»So kämpft eben so flau, als Ihr nur immer könnt,« entgegnete ich.
»Ja, dies will ich,« sagte Kapitän Toplift »und einer so überlegenen Streitkraft gegenüber können wir nicht lange Stand halten. Indeß will ich Euch andeuten, wo Ihr Euren Posten wählen müßt.«
»Wo?« fragte ich.
»Am Eingang des Pulvermagazins, denn so wahr als wir hier stehen, sie werden lieber das Schiff auffliegen als sich nehmen lassen. Freilich nicht Alle, aber zwei oder drei darunter haben sich vorgenommen, im Falle der äußersten Bedrängniß so zu handeln, und sind entschlossen genug dazu. Meine Pistolen sind hier. Ihr habt nur diese Thüre zu öffnen und befindet Euch dann in dem Gange zum Pulvermagazine. Seht,« fügte er, die Thüre öffnend bei, »hier ist die Lucke, durch welche das Pulver heraufgeboten wird.«
»Verlaßt Euch darauf, ich werde auf der Hut seyn. Ist der Schooner genommen und befinde ich mich noch am Leben, so braucht Ihr für Euch nichts zu fürchten, Kapitän Toplift.«
»Laßt uns jetzt wieder aufs Deck gehen.«
»Ich komme nach,« versetzte ich.
»Dem Himmel sey Dank, endlich bin ich allein!« sagte ich zu mir selbst. »In welcher Lage befinde ich mich und in welchen bangen Zweifeln muß ich leben, ehe die nächsten vier und zwanzig Stunden vorüber sind. Mein Bruder hier – vielleicht keine vier Seemeilen von dieser Stelle und im Besitz des Commandos eines Schiffs, welches das Fahrzeug anzugreifen gedenkt, an dessen Bord ich mich befinde. Daß wir genommen werden, bezweifle ich nicht; aber welcher Gefahr bin ich ausgesetzt? Eine Kugel kann mir den Tod bringen, das Schiff fliegt vielleicht auf, ohne daß ichs hindern kann, oder die Angreifenden schlachten erbarmenlos Alles nieder. Wollte Gott, es wäre entschieden. Jedenfalls hält man mich längst für todt, und unter dem Haufen von Leichen kann ich nicht erkannt werden.«
Ich begab mich sodann zu dem Verschlusse und nahm eine Kleidung von grobem Segeltuch heraus, denn ich war entschlossen, falls mich der Tod ereilte, in der Tracht eines gemeinen Matrosen zu fallen, damit ich so über Bord geworfen würde. Dann begab ich mich aufs Deck, denn ich hatte das Kratzen der beiden Schiffswände vernommen und wußte nun, daß sie neben einander lagen.
Welch eine Verwirrung, welche ein Getümmel an Bord des Transcendant, während auf dem Schooner selbst Niemand zurückgeblieben war, als ich und Toplift. Ich kann nicht sagen, ich hätte nie eine ähnliche Scene gesehen, da es an Bord eines Kapers ebenso zuzugehen, pflegt. Wenn sichs um Beute handelt, so benimmt sich der gemeine Matrose so toll, wie der Soldat. Nach einer halben Stunde war Alles aufgebrochen, die Mannschaft in Stücke gehauen und der Thalerhaufen aufgefunden; der junge Peleg hatte nämlich denselben angezeigt und davon seinen Antheil verlangt, dafür aber einen Säbelhieb erhalten, der ihm das rechte Ohr abtrennte und ihn schwer in der Schulter verwundete. Indeß blieb der Arm noch immer brauchbar, und während der Mann, der ihn also beschädigt hatte, sich über den Thalerhaufen niederbeugte, um ihn mit beiden Händen herauszuheben, stieß ihm der Knabe sein Messer tief in die Seite, so daß er tödtlich verwundet niedersank. Der Sturm auf die Dollars nahm jedoch alle dermaßen in Anspruch, daß man auf Peleg nicht weiter achtete. Er schlich sich von hinnen und kehrte an den Bord des Schooners zurück. Wir sahen, daß er reichlich blutete, stellten aber keine Frage an ihn, weshalb er im Vorderschiff ruhig die Leiter hinunterstieg.
»Was hat der junge Spitzbube wohl getrieben?« sagte Toplift.
»Vermuthlich hat es wegen der Beute Händel gegeben, weil er glaubte, er habe an das Geld seines Vaters ein größeres Recht als jeder andere.«
Außer dem übrigen Raub halten die Piraten nicht verabsäumt, nach dem Branntwein zu sehen, und noch vor Ablauf einer Stunde waren drei Viertheile derselben mehr oder weniger betrunken. Sie hatten viele gute Kleider gefunden und stolzirten nun in mit Gold verbrämten Westen und bordirten Röcken, die sie über ihre schmutzigen Kittel anzogen, umher. Das Getümmel steigerte sich mit jeder Minute, und endlich rief Toplift, der sich mit dem Fernglase umgesehen hatte:
»Bei Allem, was heilig ist, dort kommt es!«
Ich nahm das Fernrohr aus seiner Hand und sah das königliche Schiff. Es war ein großes schönes Fahrzeug mit achtzehn oder zwanzig Kanonen und kam, ungefähr drei Seemeilen von uns, um die Spitze herum. Wir lagen noch in der Windstille, und da das Königsschiff den Wind mit sich herab brachte, so war, augenscheinlich an ein Entkommen nicht zu denken.
»Was können wir jetzt thun?« sagte Kapitän Toplift. »Sollen wir es herankommen lassen, ohne den Leuten etwas zu sagen, oder ist's besser, wenn wir sie auf die Gefahr aufmerksam machen und sie überreden, an Bord zurück zu kehren und Vorbereitungen zu treffen?«
»Ihr müßt selbst am besten wissen, wie Ihr zu handeln habt, denn die Sache geht mich nichts an,« versetzte ich. »In einer Stunde ists dunkel und früher kann das Schiff nicht eintreffen. Ich möchte wohl ein Gefecht vermeiden und, wenns anginge, mich in aller Stille von dem Schooner fortmachen; aber ich fürchte, dies ist jetzt unmöglich.«
»Nun, ich muß an Bord der Brigg gehen und das Volk in Kenntniß setzen; denn wenn es zuletzt dahinter kommt, werden wir über Bord geworfen.«
Kapitän Toplift begab sich sodann auf die Brigg, rief diejenigen, welche noch nüchtern waren, auf und theilte ihnen mit, daß ein königliches Schiff herabkäme und keine drei Seemeilen mehr entfernt sey. Diese Ankündigung machte der Verwirrung und dem Lärm größtentheils ein Ende, indem die Seeräuber theilweise an Bord des Schooners zurückeilten, die Betrunkenen aber sich nur mit Mühe bewegen ließen, ihrem Beispiel zu folgen.
Endlich befanden sich alle an Bord, und der Schooner, der sich von der Brigg losgemacht hatte, wurde nun für den Kampf vorbereitet; nur mußte Toplift in Besetzung der Posten eine Aenderung eintreten lassen, da diejenigen, welche das Pulver heraufbieten sollten, sämmtlich betrunken waren. Endlich war der Schooner schlagfertig; die Briese halte ihn gleichfalls erreicht, und die Corvette stand jetzt nicht weiter als eine Seemeile von uns. Aber es war jetzt völlig dunkel geworden, da es in diesen Strichen keine Dämmerung gibt. Es wurde sofort eine Berathung gehalten in Betreff des Kurses, den wir einschlagen könnten, um das königliche Schiff wo möglich zu vermeiden, und das Ergebniß lief darauf hinaus, daß wir gegen die Küste hin steuern wollten, um so an demselben vorbeizukommen. Waren wir gesehen worden, so ließ sich ein Kampf nicht umgehen; andernfalls aber konnten wir vielleicht entwischen.
Demgemäß wurde das Steuer umgestellt und quer vor den Bugen der Corvette hin abgehalten; aber wir hatten noch keine Viertelstunde in dieser Richtung gesteuert, als auf dem Transcendant Flammen ausbrachen, da das Schiff von den betrunkenen Seeräubern in Brand gesteckt worden war. Bald nachher verbreitete das Feuer auf große Entfernung hin ein so starkes Licht, daß wir die Corvette deutlich sehen konnten und natürlich auch von ihr bemerkt werden mußten, denn sie änderte augenblicklich ihren Kurs, um uns nachzukommen.
So blieb uns denn keine andere Wahl, als der Kampf, und die meist betrunkene Mannschaft erklärte, sie wolle fechten, bis der Schooner unter ihr versinke. Nach einer Viertelstunde stand uns die Corvette ganz nah, und wir eröffneten unser Feuer, das in ihre Masten und Raaen einschlug. Jetzt begab ich mich in den Raum hinunter. Ich hatte meine Kleider gegen diejenigen umgetauscht, in welchen ich an Bord geschwommen war, und blieb jetzt ruhig in der Kajüte. Einige Minuten später begann die Corvette ihr Feuer, und die Kugeln thaten gewaltige Wirkung. Das Geschrei der Verwundeten mengte sich mit dem Toben der Betrunkenen; aber die Mannschaft des Schooners setzte ihr Feuer mit großem Eifer fort und hielt sich ungemein tapfer in dem ungleichen Kampfe. Nach einer Weile stürzten einige Männer nach der Kajüte herunter. Ich befand mich an der Thüre, welche zu dem Pulvermagazingange führte, und bot das Pulver hinauf, da ich hierdurch gegen jede Beobachtung gesichert wurde und für einen aus der Mannschaft gelten konnte, welcher zu diesem Dienst beauftragt worden war. Die Männer riefen:
»Wo ist der Kapitän? Warum kommandirt er nicht im Kampfe? Toplift ist ein alter Narr und weiß nicht, was er treibt.«
Ich gab keine Antwort, sondern fuhr fort, den Rücken ihnen zugewandt, das Pulver heraufzubieten. Da ich meinen Anzug gewechselt hatte, so erkannten sie mich nicht, sondern eilten wieder nach dem Deck hinauf.
Die Corvette lag nun neben dem Schooner und gab ihre vollen Lagen mit verhängnißvoller Wirksamkeit; die Kugeln bohrten sich überall durch, so. daß man unten eben so viel Gefahr lief, wie oben, und es war augenscheinlich, daß sich der Schooner nicht viel länger halten konnte. Dennoch setzte er sein Feuer mit großer Entschlossenheit fort, da die Mannschaft nachgerade wieder nüchtern geworden war. Indeß war schon mehr als die Hälfte der Seeräuber getödtet und verwundet, desgleichen das Geschütz durch die Trümmer und Leichen so gehemmt, daß die Benützung sehr erschwert wurde. Auch hörte ich, als eben die Corvette eine krachende Breitseite gelöst hatte, den Ruf:
»Haltet einen Augenblick ein mit dem Feuern und räumt die Decken.«
Dies geschah. Man warf, während die Corvette noch drei volle Lagen gab, die Leichen über Bord, kappte die niedergefallenen Spieren sammt dem Takelwerk und bemannte auf's Neue das Geschütz, worauf der Kampf mit dem früheren Eifer wieder aufgenommen wurde. Ich konnte nicht umhin, den Muth dieser Elenden, der nicht seines Gleichen fand, zu bewundern; aber aller Widerstand war vergeblich, und so zogen sie eben den Tod an ihren Kanonen jenem vor, der ihnen am Galgen drohte.
Das Geschrei der Seeräuber und das Krachen ihres Geschützes nahm allmählig ab. Die Streiterhaufen wurden mehr und mehr durch das Feuer des Feindes gelichtet, so daß eine Kanone nach der andern ihre Thätigkeit einstellen mußte. Die Seiten des Schooners waren so zerrissen, daß das Wasser in Masse hereinströmte und schon bis zum Pulvermagazin heraufgestiegen war. Ich hörte die Rufe der Enterer und das Zusammenprallen der beiden Schiffe; dann stürzten die Seeräuber nach dem Raum hinunter, und einer kam nach dem Hinterschiff in den Gang des Pulvermagazins. Es war der nämliche Kerl, den ich auf dem Halbdecke niedergeschlagen und in Eisen gelegt hatte.
»Kommt mit,« rief er den andern zu, »wir wollen die Corvette und uns, Alles miteinander, zum Teufel schicken. Aus dem Weg da.«
»Zurück!« rief ich.
»Zurück!« entgegnete er, seine Pistole nach dem Magazin hin anlegend.
Ich schlug ihm den Arm in die Höhe und die Pistole ging los, mit ihrer Kugel das Gebälk oben treffend.
»Zum Teufel mit dir,« rief er, »wer bist du? Doch ich habe noch eine Pistole.«
Er versuchte, sie aus seinem Gürtel zu ziehen, aber ehe er damit zu Stande kam, hatte ich ihm aus der Waffe, die ich bereits gespannt hielt, eine Kugel durchs Gehirn gejagt.
Seine Gefährten fuhren zurück; ich hielt ihnen eine zweite Pistole vor, und rief ihnen zu:
»Wer hieher kommt, ist ein Mann des Todes.«
Während ich so sprach, setzte die Mannschaft der Corvette, welche inzwischen die Decken geräumt hatte, ihren Angriff auch nach dem Schiffsräume fort, und die Seeräuber liefen davon, um sich zu verbergen. Als ich die Matrosen des königlichen Schiffes herankommen sah, sagte ich zu ihnen:
»Setzt eine Wache über das Pulvermagazin, denn es ist bereits der Versuch gemacht worden, das Schiff in die Luft zu sprengen.«
»Wer seyd Ihr?« versetzte ein Offizier.
»Ein Gefangener,« versetzte ich.
»Wohlan denn, so nehmt ihn auf's Deck und zwei von euch sollen hier bleiben. Schließt die Luke des Pulvermagazins und haltet Wache.«
»Dem Himmel sey Dank, daß dies vorüber ist,« dachte ich, als mich ein Matrose am Kragen nach dem Deck führte und mich einigen seiner Kameraden überantworteten, die mich an Bord der Corvette brachten.
Von der ganzen Mannschaft des Schooners waren nur achtzehn oder neunzehn übrig geblieben, und diese wurden im Raume der Corvette untergebracht, wo ich auch den Kapitän Toplift, obwohl von einem Splitter schwer verwundet, antraf. Da blieben wir denn, von zehn Mann bewacht, mehr als eine Stunde, bis wir aus dem Gespräch auf dem Deck entnahmen, daß der Schooner versunken war. Jetzt wurden die Kanonen der Corvette wieder festgemacht, an die Matrosen ihre Branntwein-Rationen ausgetheilt, die Wachen bestellt und im Laufe der Nacht blieb Alles ruhig. Der Rückblick auf die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden hatte mich anfangs in große Aufregung versetzt, aber allmählig wurde ich ruhiger. Ich fragte einen von der Wache, wer der Kapitän der Corvette sey.
»Was geht dies Dich an, Du Galgenvogel?« versetzte er.
»Ich dächte, eine höfliche Frage verdiene auch eine höfliche Antwort,« entgegnete ich.
»Ja, so ist's wohl bei ehrlichen Leuten Brauch, aber wenn Du nicht willst, daß ich Dir meinen Stutzsäbel bis an's Heft in die Kehle stoße, so halt Dein Maul.«
Ich brauchte indeß die Frage nicht zu wiederholen, denn ich hörte einen der Offiziere auf dem Deck sagen:
»Kapitän Musgrave hat es befohlen.«
Dies befriedigte mich. Ich legte mich mit den übrigen Gefangenen nieder und sah dem Anbruch des Tages entgegen, der allen meinen Mühseligkeiten ein Ende machen sollte. Bald lag Alles um mich her in tiefem Schlafe. Seltsam, daß Männer, welche nach wenigen Tagen, vielleicht am anderen Morgen schon einem schimpflichen Tod durch den Strang entgegensahen, so gut schlafen konnten – aber es war so, während ich meinerseits, der ich doch allen Grund zur Annahme hatte, meine Leiden dürften bald vorüber seyn, kein Auge zu schließen vermochte. Die Luftschlösser übrigens, die ich baute, gaben mir im Laufe der Nacht hinreichend Beschäftigung, und ich fühlte mich noch mehr erfreut, als endlich der Tag anbrach. Nachdem die Mannschaft ihr Frühstück eingenommen hatte, wurde Befehl ertheilt, sämmtliche Gefangene aufs Deck zu bringen. Eine Wache führte uns hinauf und wir mußten in einer Reihe antreten. Ich sah mich nach meinem Bruder um, aber er befand sich nicht auf dem Deck. Nur der erste Lieutenant war da, welcher mit mehreren anderen Offizieren und dem Schreiber, der Feder und Dinte mit sich führte, die Namen der Gefangenen aufnehmen sollte.
»Wer war der Kapitän dieses Schiffes?« fragte der erste Lieutenant.
»Ich, Sir,« versetzte Toplift; »aber sehr gegen meinen Willen.«
»Oh, natürlich; jedermann an Bord ist gegen seinen Willen da gewesen. Wie heißt Ihr? Schreibt seinen Namen auf, Mr. Pearson. Sind noch andere Offiziere am Leben?«
»Nein, Sir,« entgegnete Toplift.
Sodann wurde Jeder um seinen Namen befragt und dieser ausgezeichnet. Ich war der Letzte, denn in der Begier, meinen Bruder zu sehen, hatte ich mich vorne hingestellt, während die Befragung am andern Ende der Reihe ihren Anfang nahm.
»Wie heißt Ihr?
»Ich gehöre nicht zu dem Schooner,« versetzte ich.
»Kann mir's denken. Ihr seyd aus den Wolken herunter an Bord gefallen.«
»Nein; ich schwamm an Bord des Schiffes, um mein Leben zu retten.«
»Dann seyd Ihr wohl aus dem Regen in die Traufe gekommen, mein guter Gesell, denn Euer Leben ist jetzt verwirkt.«
»Dies glaube ich kaum, Sir,« versetzte ich. »Ich bin sogar vollkommen vom Gegentheil überzeugt.«
»Still jetzt mit Eurem Geplauder, mein guter Freund; es ist uns blos um Euren Namen zu thun.«
»Den sollt Ihr haben, Sir, wenn Ihr ihn braucht,« lautete meine Erwiederung. »Ich heiße Alexander Musgrave und bin der ältere Bruder Eures Kapitäns, Philipp Musgrave. Ich werde es Euch Dank wissen, wenn Ihr in seine Kajüte geht und ihm mittheilt, daß ich hier bin.«
Der erste Lieutenant und die Offiziere fuhren erstaunt zurück und Kapitän Toplift mit den Piraten erging es ebenso. Der Lieutenant wußte nicht, sollte er meine Angabe für einen bloßen Vorwand nehmen oder nicht, und wie er noch unschlüssig dastand, redete ihn Kapitän Toplift folgendermaßen an:
»Ich weiß nicht, ob der Gentleman ist, was er sagt; so viel aber hat seine Richtigkeit, und alle diese Männer hier können es so gut bezeugen, wie ich, daß er an Bord schwamm, um den Indianern zu entrinnen, und daß er sich nie der Mannschaft angeschlossen hat. Man wollte ihn statt meiner zum Kapitän machen, aber er hat dieses Ansinnen mit Entschiedenheit zurückgewiesen.«
»Ja,« stimmte die Gesammtheit der Seeräuber ein; »ganz so verhält sich die Sache.«
»Ich will Euern Auftrag besorgen, Sir,« entgegnete nun der erste Lieutenant.
»Zur besseren Versicherung will ich meinen Namen auf einen Papierstreifen schreiben, den Ihr dem Kapitän überbringt,« fuhr ich fort. »Er kennt meine Unterschrift.«
Nachdem dies geschehen war, entfernte sich der erste Lieutenant mit dem Papier und begab sich in die Kajüte. Nach einer Minute kehrte er wieder zurück und forderte mich auf, ihm zu folgen. Eine Minute später lag ich in den Armen meines Bruders. Anfangs konnte keiner von uns sprechen. Endlich aber begann Philipp:
»Dem Himmel sey gedankt, daß Du noch am Leben und wohl bist. Ich und so viele Andere haben Dich für todt gehalten; aber daß ich Dich nunmehr an Bord eines Piraten finden muß, auf einem Schiffe, welches ich mit Kugeln durchbohrte, von denen jede Dir hätte den Tod bringen können! Gott sey Dank, daß ich nichts von Deiner Anwesenheit an Bord wußte, ich hätte sonst nicht meine Pflicht erfüllen können. Ich will Dich jetzt nicht fragen, wie Du auf dieses Schiff kamst, denn damit schließt ja die Geschichte Deiner Erlebnisse, die Du mir von der Zeit an mittheilen mußt, als Du Rio verließest. Gib mir zuerst das Allgemeine, später können wir uns mehr aufs Einzelne einlassen.«
»Man hat also in Liverpool meine Briefe von Rio erhalten?«
»Ja; nachdem man Dich für todt gehalten, war man sehr erfreut über diese Kunde von Dir. Doch ich will meiner Geschichte nicht vorgreifen und auch jetzt nicht nach der Deinigen fragen; vorderhand ist's genug, mein theurer Alexander, daß Du noch am Leben bist und ich Dich wieder in meinen Armen halte.«
»Nur eine einzige Frage,« versetzte ich.
»Ich weiß schon, was Du meinst. Sie ist körperlich wohl; ihr Geist aber leidet sehr um Deinetwillen. Ihr Vater und Andere haben ihr Vorstellungen gemacht und ihr bewiesen, es sey unmöglich, daß Du noch lebest, weil von der Schebecke, in welcher Du ausgesegelt sehest, nie wieder etwas gehört worden sey. Gleichwohl kann sie sich des Glaubens nicht entschlagen, daß Du noch unter den Lebenden weilest, und trägt sich unaufhörlich mit der Hoffnung, Dich wieder zu sehen. Aber eben diese Hoffnung, deren Erfüllung so lange zögerte, hat ihre Wangen sogar mehr als gewöhnlich gebleicht, und sie ist augenscheinlich sehr leidend, da sie nur in Dir lebt. Nachdem Du übrigens dies weißt, mußt Du mit mir in mein Gemach kommen und mir gestatten, daß ich Deine Außenseite so in Ordnung bringe, wie sie meinem Bruder ziemt. Ich glaube nicht, daß in unserer Größe ein sonderlicher Unterschied stattfindet, wie augenfällig er auch in der Zeit gewesen seyn mag, als wir uns zum letztenmal sahen.«
»Vielen Dank, Philipp; aber ehe ich meinen äußeren Menschen adonisire, möchte ich doch mein inneres Verlangen ein wenig beschwichtigen, denn offen gestanden, ich habe fast vier und zwanzig Stunden nichts genossen und bin deshalb so hungrig, daß ich mich Dir sehr zu Dank verpflichtet fühlen würde, wenn ich etwas zu essen erhalten könnte, während Du nach den Kleidern siehst.«
Philipp klingelte und befahl dem Steward, etwas zu essen und zu trinken zu bringen. Nachdem ich mir in dieser Weise gütlich gethan hatte, brauchte ich noch eine weitere Viertelstunde, mir den Pulverdampf und den Schmutz des Piratenschiffs vom Leibe zu schaffen, worauf ich, da mein Bruder keine anderen Kleider an Bord hatte, eine von seinen Uniformen anlegte. Als ich so ausgestattet herauskam, sah ich nichts weniger als einem Seeräuber ähnlich.
»Ehe wir wieder allein mit einander kosen,« sagte Philipp, »muß ich Dich doch den Offizieren als meinen Bruder vorstellen.«
Dies geschah in aller Form. Der erste Lieutenant entschuldigte sich wegen seiner rauhen Rede; aber ich erklärte ihm, es sey kein Grund dazu vorhanden, da ich ohne Zweifel zu jener Zeit so ziemlich wie ein Seeräuber ausgesehen habe.
»Jedenfalls mehr als jetzt, Sir,« versetzte er.
»Beiläufig, Bruder,« sagte ich, »unter den Gefangenen befindet sich ein Mann, der kein Pirat ist, obschon er von den Seeräubern dazu gezwungen wurde, die Stellung ihres Kapitäns zu übernehmen. Ich will Dir zu einer andern Zeit auseinandersetzen, wie dies zuging. Darf ich für ihn um freundliche Behandlung bitten? Sein Name ist Toplift – und auch zwei Portugiesen sind darunter, die früher meine Leidensgenossen waren.«
»Dein Fürwort reicht zu,« entgegnete Philipp. »Setzt diese Leute in Freiheit und laßt für sie Sorge tragen,« fügte er gegen den ersten Lieutenant bei. »Wir wollen die Einzelnheiten ihrer Geschichte gelegentlich hören.«
Ich blieb ungefähr zehn Minuten auf dem Deck und kehrte dann mit meinem Bruder nach der Kajüte zurück.
»Was hast Du denn auf meinem Ankleidetische liegen lassen?« fragte Philipp, indem er den Lederbeutel betrachtete, welcher den Diamanten enthielt.
»Dies gehört mit zu meinen Erlebnissen, Philipp,« versetzte ich, »und dürfte wohl ein gar wichtiges Stück daraus seyn. Ich glaube nicht, daß ich im Stande bin, Dir ein Geschenk damit zu machen, aber wir wollen sehen.«
»Es hat nicht den Anschein, als ob es besonders werthvoll sey,« entgegnete er.
»Jedenfalls bitte ich Dich um den Gefallen, es sorgfältig aufzubewahren und einzuschließen,« erwiederte ich.
»Wenns Dir Ernst ist, gut,« sagte er, und zog bei diesen Worten eine Schublade heraus, in welche er den Beutel legte. Dann fügte er bei: »Jetzt Deine Geschichte, Alexander.«
Ich begann und theilte ihm Alles mit, wovon der Leser bereits unterrichtet ist. Das Mittagessen unterbrach zwar meine Erzählung, aber nachdem dies vorüber war, nahm ich sie wieder auf. Nachdem ich damit zu Ende gekommen, drückte er sein Erstaunen aus und stellte noch viele Fragen. Unter Anderem sagte er:
»Und der kleine Elende, der Sohn des Kapitäns vom Transcendant, ist er an Bord?«
»Ich habe ihn nicht gesehen,« versetzte ich, »weshalb ich vermuthen möchte, daß er außer Stand war, sich zu rühren, und daher in dem Schooner unterging.«
Dies war auch wirklich der Fall gewesen.
»Du hast mir in der That eine seltsame Geschichte erzählt,« sagte Philipp, »und bist oft in einer wahrhaft wunderbaren Weise entronnen. In der That, Du mußt ein gefeiertes Leben haben und scheinst erhalten geblieben zu seyn, um den Beweis zu liefern, daß Amys Ueberzeugung, Du seiest noch am Leben, wohl begründet war. Doch jetzt kommt die Reihe des Erzählens an mich, während die Rolle des Zuhörens Dir zufällt. Als ich Dich zum letztenmal sah, war ich Lieutenant auf Kapitän Levees Schooner, und wir hatten bald nachher ein Gefecht mit einem spanischen Schiff von sehr überlegenen Streitkräften, denn es war mit dreißig Kanonen bewaffnet. Da wir gegen solches Metallgewicht nicht aufzukommen hoffen durften, so legten wir am Bug an und enterten. Den Spaniern wollte diese Art von Kampf, wobei ihnen so nahe auf den Leib gerückt wurde, nicht gefallen, weshalb sie uns bald im Besitz ihres Decks ließen. Als Kapitän Levee seine Prise einbrachte, wurde er zum Kapitän einer Fregatte von dreißig Kanonen ernannt, und ich folgte ihm als erster Lieutenant. Später bekämpften wir ein Schiff von gleicher Streitkraft, über das wir den Sieg davon trugen, und ich wurde mit dem Einbringen der Prise beauftragt. Kapitän Levee gab mir gute Zeugnisse, und ich wurde zum Kapitän einer kleinen Brigg ernannt. Doch laß mich zuerst mit Kapitän Levee zu Ende kommen. Er kaperte eine Gallione, die ihn zu einem reichen Mann machte, und gab dann das Kommando seines Schiffs auf. Er theilte mir bei dieser Gelegenheit brieflich mit, daß er bisher all sein Geld verschwendet habe; nun aber sei sein Vorrath so groß, daß er ihn zu behalten gedenke. Später kaufte er sich ein großes Gut, nahm eine Frau, und ist wie ich glaube sehr glücklich.«
»Möge er es lang bleiben, denn er verdient es,« versetzte ich.
»Um nun auf mich wieder zurückzukommen: ich wurde auf meinen nunmehrigen Posten geschickt, und da ich Kunde erhielt, das Schiff, an dessen Bord Du jetzt Dich befindest, liege in einer Bai unfern von der Havannah vor Anker, so lief ich ein und recognoscirte. Es hatte die spanische Flagge aufgezogen, und ich that das Gleiche. Die Luft war windstill, und ich lag beinahe zwei Seemeilen weiter außen. So wurde ich denn irrthümlicherweise gleichfalls für einen Spanier gehalten, und der Kapitän dieses Schiffs – oder – um richtiger zu sprechen, der spanische Kapitän der spanischen Brigg kam heraus, um mir einen Besuch abzustatten, entdeckte aber seinen Irrthum erst, als er an Bord war. Ich hielt ihn und die Mannschaft seines Bootes fest. Die Windstille hielt bis zum Abend an, und als endlich eine Briese aufsprang, stellte ich den Schnabel der Brigg gegen die Bai hin, als ob ich ankern wollte. Der Wind war leicht, und es wurde dunkel, ehe ich neben Bord des Spaniers anlegte. Dort war man auf nichts vorbereitet, denn die Mannschaft meinte, ihr Kapitän speise mit einem alten Freunde, und dachte nichts Anderes, als daß wir Spanier seien. So kamen wir in Besitz der Decken, ehe die Matrosen zu ihren Waffen greifen konnten, und ich brachte meine Prise heraus, ohne daß man eine Ahnung davon hatte, sie sey gekapert worden. Der Admiral übertrug mir nun das Kommando dieser Brigg, das ich jetzt neun Monate führe; sie ist übrigens sehr schadhaft, und ich wurde deshalb nach Hause beordert – auch würde ich bereits ausgesegelt seyn, wenn nicht jener Schurke, der Kapitän des Transcendant, eine Mittheilung gemacht hätte, welche mich bewog, die Rückseite der Insel zu untersuchen. Ich ließ mir wenig träumen, welch' ein Glück mich hier erwartete. Soviel über meine Person. Halte mich nicht für einen Egoisten, weil ich zuerst von mir selbst spreche, denn ich räume blos mit der minder wichtigen Mittheilung auf, um dann ungehemmt zu dem übergehen zu können, was für Dich das meiste Interesse hat. Die Amy langte wohlbehalten mit ihrer werthvollen Ladung an. Der Kapitän berichtete, er habe an dem Orte wohin Du ihn bestellt, so lange gewartet, bis er durch einen Orkan verschlagen worden sei; da er hiedurch weit von seinem Weg abgekommen, habe er sich nach dem Aufhören der Bö nicht für berechtigt gehalten, mit einer so werthvollen Ladung länger zu bleiben, sondern sei nach Liverpool geeilt. Er hatte hierin vollkommen Recht, und sein Benehmen wurde von Mr. Trevannion gebilligt, der mit jeder Stunde Deiner Ankunft entgegen sah. Es verlief eine Woche, ohne daß Du erschienst, und man gerieth nun um Deinetwillen in große Unruhe. Die Wochen wuchsen zu Monaten an, und man glaubte nun, derselbe Orkan, welcher die Amy so weit von ihrem Wartplatze abgeführt hatte, müsse Dein Fahrzeug umgestürzt haben. Wie Du Dir denken kannst, wurde Whyna von Mr. Trevannion und seiner Tochter sehr freundlich aufgenommen und gewann bald ihre Liebe; aber sie sehnte sich nach Deiner Ankunft und die Kunde von Deinem Tod erschütterte sie so sehr, daß sie sich nachher nie wieder erholte. Allerdings sagte ihr auch das Klima nicht zu, und sie wurde im Laufe des Winters von einem schlimmen Husten befallen; indeß glaube ich doch, daß ihr Dein Verlust am meisten zusetzte. Nachdem sie sich etwa achtzehn Monate in England aufgehalten hatte, starb sie an der Schwindsucht.«
»Arme Whyna!« sagte ich mit einem Seufzer.
»Alexander,« fügte Philipp bei, »vielleicht ist es am besten, daß es so ging; denn das arme Mädchen liebte Dich aufrichtig und wenn sie noch am Leben wäre, und sich bei Miß Trevannion, aufhielte, so würde sich das arme Geschöpf bei Deiner Heirath, die natürlich nach Deiner Rückkehr stattfinden wird, wenn der Himmel nicht etwas Anderes beschließt, sehr unglücklich fühlen. Zwar mag der Gedanke, sie hätte Miß Trevannion Nebenbuhlerin sein können, uns abgeschmackt erscheinen; aber gleichwohl hatte sie dieselben Gefühle und würde gewiß denselben Schmerz erduldet haben, wie jedes andere Weib, gleichviel, welcher Farbe es angehört. Ich denke daher, ihr Tod war eine glückliche Fügung des Himmels. Ehe Deine Briefe von Rio einliefen, welche von Deinem Mißgeschick und Deiner glücklichen Befreiung aus der Sklaverei Meldung thaten, sah ich Mr. Trevannion und seine Tochter nur ein oder zweimal. Sie waren beide sehr niedergeschlagen, und Mr. Trevannion sprach davon, er wollte sein Geschäft aufgeben und sich nach seinem Gute in der Nähe von Liverpool zurückziehen. Da ich mit Amy in einem regelmäßigen Briefwechsel stand, so erfuhr ich, daß er dieses Vorhaben zur Ausführung brachte; er hatte seine Angelegenheiten eben abgeschlossen, als Dein Schreiben von Rio nebst einer sehr bedeutenden Anweisung auf dem portugiesischen Staatsschatz einlief. Ich brauche kaum zu sagen, daß diese Kunde groß Freude verbreitete. Amy lebte wieder neu auf und ihr Vater beklagte bitterlich, daß er sich vom Geschäft zurückgezogen hatte, weil er das Ganze Dir hätte übermachen können. Das Geld, das Du von Rio einsandtest, betrachtete er als Dein Eigenthum; auch hat er von dem Tage an, an welchem Du als Associé in sein Geschäft tratest, die Dich betreffende Quote bei Seite gelegt, denn er wußte nicht, daß Du einen so werthvollen Diamanten unter Indianern, Ansiedlern und Seeräubern vor aller Augen am Leibe mit herumtrugest. Daß ich über jene Nachricht eben so erfreut war, wie sie, wirst Du mir wohl aufs Wort glauben, und obgleich ich nach Westindien aussegeln mußte, hoffte ich doch jeden Tag auf einen Brief, der mir Deine Ankunft in England meldete. Denke Dir daher mein Leid, als mir geschrieben wurde, man höre, obschon Du bereits drei Monate Rio verlassen, nichts von Dir und befürchte daher, daß Dir ein Unfall zugestoßen sei. Monat um Monat liefen immer niederschlagendere Briefe ein und Mr. Trevannion sprach seine Ansicht dahin aus, daß die Schebecke gescheitert seyn müsse; nur Amy hielt an der Hoffnung fest, daß Du noch lebtest. Ich gebe zu, daß ich Dich für todt hielt, und Du kannst Dir daher meine freudige Ueberraschung denken, als mir Dein Namenszug auf jenem Papierstreifen die Ueberzeugung gab, Du seiest nicht nur am Leben, sondern sogar mit mir an Bord desselben Schiffes.«
Mit diesen Nachrichten konnte mein Bruder Philipp meine Geschichtserzählung erwiedern, und es war schon spät als wir uns zur Ruhe begaben. O, wie betete ich jene Nacht aus dem Innersten meines Herzens, dankte dem Himmel für seine gnädige Führung und flehte zu meinem Schöpfer, er möchte mir den Becher nicht wieder entreißen, nachdem ich ihn bereits an die Lippen gesetzt hatte. Als ich am andern Morgen aufstand, fand ich, daß Philipp bereits auf dem Deck war, weshalb ich ihm dahin folgte.
»Bei diesem Winde werden wir bald zu Port-Royal anlangen,« sagte er. »Ich hoffe, den Admiral noch dort zu treffen.«
Ich besprach mich mit den Offizieren und ging dann ins Schiff hinunter, um nach Toplift zu sehen. Er lag in der Hängematte, und hatte heftiges Fieber; auch verursachte ihm seine Wunde große Schmerzen, obschon der Arzt sagte, daß keine Gefahr vorhanden sei.
»Toplift,« redete ich ihn an, »Ihr dürft Euch beruhigen, denn mein Bruder hat mir versprochen, daß Ihr nicht mit den Uebrigen gerichtet werden sollt. Er zweifelt nicht, daß Ihr noch Dank erndten werdet für Eure Dienste, wenn er dem Admiral das Ganze mitgetheilt habe.«
»Dank erndten?« versetzte Toplift. »Ich schätze mich schon überglücklich, wenn ich nur nicht gehangen werde.«
»Dies habt Ihr nicht zu befürchten,« erwiederte ich. »Beruhigt Euer Gemüth, damit es auch mit Eurer Genesung schneller von statten gehe.«
»Na, Sir, dann habt jedenfalls Ihr mein Leben gerettet, denn wäret Ihr nicht an Bord gekommen, so würde Niemand ein Fürwort für mich eingelegt oder überhaupt nur geglaubt haben, daß ich nicht ein eben so schlimmer Seeräuber sei, wie die Andern. Freilich muß ich auch die beiden Portugiesen ausnehmen.«
»Im Nothfalle werden sie gleichfalls zu Euren Gunsten Zeugniß ablegen; indeß glaube ich nicht, daß außer der meinigen eine weitere Aussage erforderlich ist, da diese dem Admiral genügen wird. Ich versprach Euch, es solle Euch nicht an den Mitteln gebrechen, Euer Auskommen zu finden, und dieses Versprechen wiederhole ich Euch jetzt.«
»Ich danke Euch, Sir,« entgegnete er, und ich verließ ihn sodann, um in der Kajüte mein Frühstück einzunehmen.
Am folgenden Tag warfen wir vor Port-Royal Anker. Mein Bruder machte Meldung von dem, was vorgegangen, und der Admiral ließ die gefangenen Seeräuber aus unserem Schiffe abholen. Nur Toplift durfte auf meinen und meines Bruders Bericht nicht ausgeliefert werden, sondern blieb in Freiheit und erhielt die Erlaubniß, auf einem beliebigen Staatsschiff kostenfrei die Fahrt nach England mitzumachen. Es ist kaum nöthig, zu sagen, daß er dieses Erbieten freudig annahm; er blieb mit mir in dem gleichen Schiff. Auch die beiden Portugiesen wurden in Freiheit gesetzt. Drei Tage nach unserer Ankunft zu Port-Royal segelten wir nach England aus und warfen nach einer schnellen Fahrt, die zwischen fünf und sechs Wochen dauerte, zu Spithead Anker. Mein Bruder konnte sein Schiff nicht verlassen, weshalb ich ihn bat, er möchte nach Liverpool schreiben und dahin die Meldung ergehen lassen, er habe Nachrichten von mir erhalten und wisse, daß ich noch lebe; ich sei gescheitert in der Nähe der englischen Ansiedelungen von Virginien, den Indianern in die Hände gerathen und denselben wieder entkommen; so viel er glaube, befinde ich mich jetzt in Jamestown.
Ich hielt eine derartige Vorbereitung für zweckmäßig, weil eine allzu plötzliche Nachricht über den wahren Thatbestand für den schwächlichen Gesundheitszustand meiner Amy gefährlich werden konnte. Ich blieb bei meinem Bruder in Portsmouth, bis die Antwort zurück kam. Mr. Trevannion schrieb an Philipp, seine Mittheilung habe Amy so zu sagen wieder aus dem Grabe aufgerichtet, denn sie sei in eine tiefe Schwermuth verfallen, die durch nichts zu bannen gewesen; er habe vorsichtig den Gegenstand zur Sprache gebracht, seine Tochter allmählig vom Inhalt des Schreibens unterrichtet und ihr zuletzt, nachdem sie ruhiger geworden, den Brief selbst übergeben. Am Schluß drückte er die Hoffnung aus, er hoffe, ich werde bald anlangen, denn wenn mir nun wieder ein Unfall begegne, so würde seine Tochter den Tod davon haben, da sie nicht mehr Kräfte genug besitze, um die Kunde eines neuen Wechselfalls zu ertragen. Meiner Aufforderung gemäß schrieb nun Philipp wieder, er habe von einem Kameraden einen Brief erhalten und daraus erfahren, daß ich wohlbehalten an Bord sey; ich werde mit dem Schiff desselben einige Tage nach Einlaufen seines Schreibens in England anlangen.
Alles weitere Verfahren Philipp überlassend, begab ich mich jetzt nach London, wo ich zuerst meine Garderobe in Ordnung brachte und dann einen bekannten jüdischen Juwelenhändler besuchte, dem ich meinen Diamant zeigte; ich bat ihn, er möchte ihn wägen und abschätzen. Der Juwelier war über den Anblick eines solchen Steins sehr erstaunt und erklärte, nachdem er ihn gewogen und sorgfältig untersucht hatte, daß er einen Werth von 47 000 Pfund besitze, vorausgesetzt, daß für einen so kostbaren Artikel sich ein Käufer finden lasse.
Ich entgegnete ihm, daß ich kein Kaufmann sey und nicht herumreisen könne, um gekrönten Häuptern den Diamant zu zeigen; wenn er mir übrigens einen annehmbaren Preis dafür zahle, so wolle ich ihm das Kleinod ablassen; er könne dann darüber verfügen, wie er für sich selbst am besten Vortheil daraus zu ziehen hoffe. Er bat mich nun um die Erlaubniß, mich mit zweien seiner Freunde besuchen zu dürfen, damit auch sie den Diamanten sehen könnten; wenn er sich mit diesen berathen habe, wolle er mir Antwort geben. Wir bestimmten für diesen Zweck den Mittag des folgenden Tages, und dann verabschiedete ich mich.
Am andern Tag um zwölf Uhr stellte er sich mit zweien seiner Glaubensgenossen bei mir ein. Sie wogen den Stein abermals aufs Sorgfältigste, untersuchten ihn bei starkem Lampenlicht, um das Wasser zu prüfen und die etwaigen Mängel zu entdecken, berechneten den Gewichtsabgang, welchen das Kleinod durch das Schleifen erleiden würde, und boten mir nach einiger Berathung achtunddreißigtausend Pfund an. Da mir dieses Erbieten sehr annehmbar erschien, so schloß ich den Handel mit ihnen ab, und am andern Tag war die Sache bereinigt. Ich erhielt die Zahlung theilweise in klingender Münze, theilweise in Wechseln auf den Staatsschatz und machte nun Philipp schriftliche Mittheilung über das, was vorgefallen war. Seltsam, daß ich von zwei Sklaven in den Minen so werthvolle Vermächtnisse erhalten mußte – von dem armen Ingram einen so kostbaren Diamanten und von dem andern Engländer eine alte Bibel, die mich zu einem aufrichtigen Christen machte – eine Erbschaft, gegen welche der Edelstein nur als Tand zu betrachten war.
Philipp wünschte mir zu dem Verkauf des Diamanten Glück und theilte mir mit, daß er auf seinen Brief eine sehr befriedigende Rückantwort in Beziehung auf Amys wiederhergestellte Gesundheit erhalten habe; darauf sey wieder ein Schreiben von ihm abgegangen, in welchem er meine glückliche Ankunft in England gemeldet und die Nachricht beigefügt habe, daß ich bald in Liverpool eintreffen werde. Er rieth mir, ich möchte unverweilt dahin gehen, weil die Sehnsucht und die bange Erwartung Amy's Gesundheit nachtheilig werden könnten. Ich traf daher meine Vorbereitungen zur Abreise, kaufte Pferde, versah mich mit vier kräftigen, gutbewaffneten Dienern, welche mich begleiten sollten, und ließ durch einen Erpressen einen Brief abgehen, in welchem ich den Tag bestimmte, an dem ich auf Mr. Trevannions Landsitz eintreffen würde.
Ich hielt mich noch zwei Tage in London auf, um meine Angelegenheiten ins Reine zu bringen und dem Expressen Zeit zu lassen, damit er vor mir ankäme, denn ich gedachte sehr schnell zu reisen. Diese Zögerung in London gab übrigens Anlaß zu einer wichtigen Entdeckung. Ich unterhielt mich in dem Kaffeehause auf dem St. Paulsplatze mit einem von Kapitän Levee's Offizieren, den ich kannte, und als dieser mich mit dem Namen Musgrave anredete, drehte sich ein eingehutzeltes Männchen in schwarzem Anzug, welches am Fenster stand, um, kam auf mich zu und sagte zu mir:
»Sir, als Fremder muß ich um Entschuldigung bitten, aber da ich hörte, wie Euch Euer Freund hier Musgrave nannte, so möchte ich mir wohl die Frage erlauben, ob Ihr mit dem Baronet Sir Richard Musgrave, welcher in Cumberland lebte, verwandt seyd?«
»Lebte, sagtet Ihr Sir? so ist er also todt?«
»Ja, Sir; er ist vor sieben Monaten gestorben, und wir fahnden nach seinem Erben, den wir nicht auffinden können.«
»Ich kannte die Familie sehr gut,« versetzte ich, »da ich in Beziehung zu ihr stehe. Natürlich muß sein ältester Sohn Richard der Erbe seyn, da die Besitzungen Majoratsgüter sind.«
»Sein ältester Sohn Richard ist todt, Sir. Wir haben beglaubigte Dokumente, welche dies beweisen, und außerdem ist auch sein zweiter Sohn Carl gestorben. Er kam sehr krank in die Heimath zurück und verschied in dem Hause eines der Gutspächter. Sein dritter Sohn Alexander Musgrave ist's, nach dem wir uns vergeblich umsehen. Er ist jetzt Erbe der Baronie und des Besitzthums, aber wir haben alle Spur von ihm verloren. Wie wir hören, ist eben erst ein Kapitän Philipp Musgrave aus Westindien zurückgekehrt, vermuthlich der vierte Sohn; aber ehe wir ausfindig machen können, was aus Alexander Musgrave wurde und ob er noch am Leben oder todt ist, sind uns für jedes Handeln die Hände gebunden. Ich habe heute Kapitän Musgrave geschrieben und ihn um alle ihm zuständige Auskunft gebeten, ohne übrigens bis jetzt eine Antwort erhalten zu haben. Vermuthlich stelle ich eine unnütze Frage an Euch, Sir?«
»Nicht so ganz, Sir, denn ich bin der Alexander Musgrave, den Ihr sucht.«
Wirklich, Sir? aber wie könnt Ihr Eure Identität gegen uns beweisen?«
»Durch das Zeugniß meines Bruders, des Kapitäns Philipp Musgrave, in dessen Schiff ich kürzlich aus Westindien angekommen bin. Ich zweifle übrigens nicht, daß seine Antwort auf Euren Brief Euch zufrieden stellen wird. Hier ist ein Schreiben von ihm an mich, aus welchem Ihr entnehmen könnt, daß er mich mit ›mein theurer Alexander‹ anredet und mit den Worten ›Dein Dich liebender Bruder Philipp Musgrave‹ schließt.«
»Dies ist in der That vollkommen genügend, Sir,« erwiederte der Gentleman, »und es bedarf nur noch der Antwort Eures Bruders, um die ganze Sache ins Reine zu bringen. Erlaubt mir, Sir, Euch zu der Erbschaft des Titels und des Eigenthums Glück zu wünschen. Vermutlich werdet Ihr nach Einholung der nöthigen Beweise nichts dagegen einzuwenden haben, mich nach Cumberland zu begleiten, wo Ihr ohne Zweifel noch Vielen bekannt seyd.«
»O ja, das ist allerdings der Fall,« entgegnete ich; »gleichwohl aber kann ich vorderhand nicht mit Euch nach Cumberland gehen. Ich breche übermorgen in einer wichtigen Angelegenheit nach Liverpool auf und darf diejenigen, welche meiner Ankunft harren, nicht täuschen.«
»Es muß in der That eine sehr wichtige Angelegenheit seyn, Sir, wenn sie Euch hindert, von einem Titel und viertausend Pfunden Jahresrenten Besitz zu nehmen,« versetzte er. »Doch hier ist meine Adresse; ich hoffe sobald wie möglich von Euch zu hören, da ich in London bleibe, bis ich den Erben nach dem Besitzthum bringen kann.«
Der Mann kam mir jetzt vor, als zweifle er an der Richtigkeit meiner Angabe. Er hielt es nicht für möglich, daß ich die Besitzergreifung eines großen Eigenthums einem andern Geschäfte hintansetzen konnte, und da er dies für so gar sonderbar zu halten schien, so sagte ich zu ihm:
»Sir, ich bin lange außerhalb England gewesen und habe eine Braut, welche in der Nähe von Liverpool lebt. Sie erwartet schon einige Zeit etwas von mir zu hören, weshalb ich einen Expressen absandte und ihr meine Ankunft auf einen bestimmten Tag ankündigen ließ. Ich kann sie nicht warten lassen und muß Euch noch außerdem bemerken, daß mir ohne sie der Besitz des Titels und der Güter nur wenig Freude machen würde.«
»Ich ehre Eure Gesinnung, Sir,« entgegnete er mit einer Verbeugung, »und glaube von Herzen, daß es eine sehr würdige Dame seyn muß, welche solche Gefühle einzuflößen im Stande ist. Nur hoffe ich, Ihr werdet nicht zu lange in Liverpool bleiben, da der Aufenthalt in London sehr kostspielig ist und ich gerne nach Cumberland zurückkehren möchte.«
Ich wünschte sodann dem Gentleman Lebewohl, und begab mich nach meiner Wohnung. Zuvor hatte ich dem Herrn in Schwarz meine Adresse mitgetheilt, für den Fall, daß er mich vor meiner Abreise noch zu besuchen wünschte.
Am andern Tage erhielt ich einen Brief von Philipp, nebst einem Einschlusse – dem Schreiben des vorerwähnten Gentleman, welcher Campbell hieß und ein Rechtsgelehrter war. Mein Bruder theilte mir mit, was er ihm geantwortet hatte, und wünschte mir zum Antritte der Titel und des Besitzthums Glück. Etwa eine Stunde später erschien Mr. Campbell mit Philipps Brief, den er für vollkommen genügend erklärte, da er vor jedem Gerichtshof Geltung haben müsse. »Aber,« fügte er bei, »ich möchte über etliche Einzelnheiten eine Frage an Euch stellen.«
»Auch ich wünsche Einiges zu erfahren, Mr. Campbell. Ich habe in meiner Jugend Euren Namen gehört, obschon ich mich nicht erinnern kann, Euch je gesehen zu haben.«
»Ich war früher der vertraute Berather Eures Vaters, Sir,« versetzte er; »aber in späterer Zeit hat aller Verkehr zwischen uns aufgehört. Erst als er auf dem Sterbebette lag, bereute er den thörichten Schritt, den er gethan, und die Ungerechtigkeit, welche er sich hatte zu Schulden kommen lassen; er ließ mich deshalb rufen, – sehr zum Aerger der Lady Musgrave, welche mich sogar nach meiner Ankunft hindern wollte, ins Haus zu kommen, wenn ihr dies nicht durch die Gehorsamsverweigerung der Diener unmöglich geworden wäre.«
»Und meine Schwestern Janet und Mabel?«
»Sind beide wohl und zu sehr schönen Mädchen herangewachsen. Euer Vater zernichtete die Urkunde, welche der Lady Musgrave ein großes Leibgeding aus dem Besitzthum zusicherte, und sie ist jetzt in Betreff ihres Unterhalts ganz von Euch abhängig. Wann hofft Ihr von Liverpool abkommen zu können?«
»Dies weiß ich selber kaum; indeß werde ich's natürlich ehestens möglich zu machen suchen.«
»Meine eigenen Angelegenheiten fordern meinen Aufenthalt in London noch für einen Monat, Sir. Die Eurigen bleiben mittlerweile in statu quo, denn es ist Alles unter Siegel gebracht und Lady Musgrave hat sich entfernen müssen. Zwar würde ich vorgezogen haben, mit Euch unverweilt nach Faristone-Hall zu reisen und Euch in Besitz zu setzen, aber unter obwaltenden Umständen könnt Ihr es ganz nach Eurer Bequemlichkeit halten. Auf alle Fälle will ich übrigens brieflich die Anzeige machen, daß Ihr aufgefunden seyd und bald auf dem Gute eintreffen werdet.«
Mr. Campbell stellte nun noch einige Fragen an mich, die ich befriedigend beantwortete, und dann begrüßte er mich zum erstenmale mit meinem Titel, indem er sagte:
»Sir Alexander, ich gebe mir nunmehr die Ehre, mich von Euch zu verabschieden.«
Am nächsten Morgen trat ich meine Reise an und beeilte sie so sehr, als die Geschwindigkeit der Pferde es nur gestattete. Am fünften Tage traf ich auf Mr. Trevannions Landsitz ein, der etwa vier Stunden von Liverpool entlegen war. Als ich die Kastanien-Allee hinaufritt, bemerkte ich an einem oberen Fenster eine weibliche Gestalt, welche sich bald nachher eiligst zurückzog. Ich stieg ab und wurde an der Thüre von Mr. Trevannion umarmt, der mich unter Thränen bewillkommte, meine Hände ergriff und mich in ein Zimmer führte, wo ich meine angebetete Amy traf. Sie warf sich mir an die Brust und weinte, als ob ihr das Herz brechen wollte; aber ihr Schluchzen war eine Aeußerung der Freude, und als sie ihre Augen gegen mich aufschlug, leuchteten sie von Wonne, während ein himmlisches Lächeln ihre schönen Lippen umspielte. Ich drückte sie an mich und fühlte jetzt, daß ich für alle meine Leiden mehr als belohnt war; mein Herz klopfte vor Dankbarkeit und Liebe.
Es stand einige Zeit an, ehe wir uns so weit fassen konnten, um in ein längeres Gespräch einzugehen, und dann fragte mich Amy nach dem Grunde meiner langen Abwesenheit. Wir setzten uns auf das Sopha nieder; Amy auf der einen, ihr Vater auf der andern Seite, und so begann ich meine Erzählung.
»Ihr seyd also, seit wir das letztemal von Euch hörten, in den Ehestand getreten?« sagte Amy lächelnd, als ich mit meiner Geschichte zu Ende war.
»Allerdings,« versetzte ich; »indeß hoffe ich, ich werde meine zweite Frau ein wenig besser behandeln, als meine erste.«
»Ich erwarte dies gleichfalls,« erwiederte Amy. »Dennoch fürchte ich sehr, Eure virginische Mistreß könnte herüberkommen und Ansprüche an Euch erheben.«
»Ich halte dies nicht für sonderlich wahrscheinlich. Aus dem Umstande, daß die Indianer mich bis ans Ufer herunter verfolgten, möchte ich entnehmen, daß sie von den Wilden aufgefunden wurde.«
»Und was mag aus ihr geworden seyn?«
»Dieß kann ich natürlich nicht sagen; indeß vermuthe ich, daß sie ritterlich gestorben ist und bis auf den letzten Augenblick mit ihrer Axt gekämpft hat.«
Denselben Abend hatte ich noch eine lange Unterredung mit Mr. Trevannion. Er theilte mir mit, was er mit dem Gelde angefangen habe, welches er als mein Eigenthum betrachtete, und ich übergab ihm die Summe, welche ich für den Diamant erhalten, zur Aufbewahrung. Ich sprach dann mit ihm über unsere Heirath und bat ihn, dieselbe nicht länger zu verschieben.
»Mein lieber Musgrave,« versetzte er, »Das Glück meiner Tochter hängt so sehr von ihrer Verbindung mit Euch ab, daß ich nur sagen kann, es ist mir recht, wenn sie schon morgen stattfindet. Ihr wißt, daß ich die höchste Achtung gegen Euch hege, und habt den Beweis dafür in dem Umstand, daß ich in diese Heirath willigte, ohne auch nur nach Eurer Familie und Eurer Verwandtschaft zu fragen. Uebrigens dürfte es doch jetzt an der Zeit seyn, daß Ihr mir in Betreff dieser Punkte einige Auskunft ertheiltet.«
»Mein theurer Sir, wenn Ihr Erkundigungen anstellen wollt, so werdet Ihr finden, daß die Familie Musgrave im Norden eines großen Ansehens genießt und daß das Haupt davon Sir Richard Musgrave, Baronet von Faristone-Hall in Cumberland, ist oder war. Ich bin ein naher Verwandter von ihm und kann dafür zureichende Beweise aufbringen.
»Dies genügt vollkommen,« versetzte Mr. Trevannion. »Ich überlasse es nun Euch, morgen Eure Sache bei Amy anzubringen. Für heute gute Nacht.«
Am folgenden Morgen theilte ich Amy mit, ich habe seit meiner Ankunft in England den Tod meines Vaters erfahren, weshalb es nöthig sey, daß ich nach dem Norden reise, weil Familienangelegenheiten meine Abwesenheit forderten.
»Ist's Euch Ernst?« versetzte sie.
»In meinem Leben nie mehr. Meine Anwesenheit ist unbedingt nöthig, und ich traf mit dem Rechtsfreund unserer Familie das Abfinden, daß ich in weniger als einem Monat dort seyn wolle.«
»Es ist eine weite Reise,« entgegnete Mr. Trevannion. »Und wie lange gedenkt Ihr auszubleiben.«
»Dies kann ich unmöglich sagen,« versetzte ich. »Jedenfalls nicht länger, als durchaus nöthig ist.«
»Ich glaube nicht, daß ich Euch gehen lassen werde,« sagte Amy, »denn man darf Euch nicht trauen, wenn man Euch aus den Augen läßt. Ihr seyd zum Abenteuern geboren und laßt gewiß wieder ein paar Jährchen nichts von Euch hören.«
»Ich gebe zu, daß dies mein Unglück ist,« erwiederte ich. »Aber Ihr seht so blaß und schmächtig aus, Amy; eine Luftveränderung würde Euch sehr gut thun. Wenn nun Ihr mit Eurem Vater mich begleitet? In der That, Mr. Trevannion, es ist mein vollkommener Ernst. In dieser lieblichen Jahreszeit könnte ihrer Gesundheit nichts so zu Statten kommen, als eine solche Reise, und dann, Amy, behaltet Ihr mich ja unter Euren Augen.«
»Der Ausflug gefiele mir recht wohl,« versetzte sie, »aber –«
»Ich weiß, was Ihr sagen wollt. Der Gedanke gefällt Euch nicht, als Amy Trevannion mit mir zu reisen. Ihr habt Recht. Ich will daher den Vorschlag machen, daß Ihr mich als Amy Musgrave begleitet.«
»Ich bin damit einverstanden,« sagte Mr. Trevannion.
»Auch Ihr müßt einwilligen, Amy; unsere Hochzeit soll ganz im Stillen vollzogen werden. Ich weiß, so ist's Euch lieber, und auch Euer Vater wird dieser Ansicht seyn. Ihr macht dann die Reise als meine Gattin mit, und wir werden uns nie wieder trennen.«
Amy gab keine Antwort, bis ihr Vater sagte:
»Amy, es ist auch mein Wunsch, daß es so geschehe. Bedenke, es ist das letztemal, daß Du Deinem Vater zu gehorchen hast; ärgere ihn also nicht durch eine Weigerung.«
»Gewiß nicht, mein theurer Vater,« versetzte Amy, indem sie ihn küßte. »Ich gehorche Eurem letzten Befehle mit Freuden. Und oh – wenn ich bisweilen ein störrisches Mädchen gewesen bin, so bitte ich Euch, daß Ihr mir in diesem Augenblicke Alles verzeiht.«
»Mein liebes Kind, ich habe nichts zu verzeihen. Möge Gott Dich segnen. Mr. Musgrave,« fügte er bei, indem er ihre Hand in die meinige legte, »wenn sie eine so gute Gattin wird, als sie eine gute Tochter war, so erhaltet Ihr in ihr einen wahren Schatz.«
Ich fühlte, daß der alte Mann hierin die volle Wahrheit sprach.
Es wurde nun verabredet, daß die Trauung acht Tage später stattfinden und ganz im Stillen vollzogen werden sollte. Es bedurfte hiebei keines prunkenden Brautschmucks, da Niemand dazu eingeladen wurde. Ein Geistlicher ward für den festgesetzten Tag zu Vornahme der Feierlichkeit herbeibeschieden, und Amy reichte mir in dem Salon ihre Hand, ohne daß weitere Zeugen zugegen gewesen wären, als Humphry und zwei andere vertraute Diener.
Nach der Trauung ersuchte mich der Geistliche, ihm nach dem anstoßenden Zimmer zu folgen, und bedeutete mir sodann, es sey nöthig, daß er ein Heiraths-Certifikat ausstelle, welches in die Pfarrbücher eingetragen werden müsse. Er habe mich deshalb bei Seite gerufen, damit ich ihm genau meinen Namen, Stand u. s. w. angebe.
»Mein Name ist Alexander Musgrave, wie Ihr gehört habt, als Ihr uns trautet.«
»Ja, ich weiß dies; indeß muß ich doch umständlicher fragen. Habt Ihr keinen anderen Namen, und ist dieser derselbe, den Ihr stets geführt habt und auch in Zukunft führen werdet?«
»Nicht ganz,« entgegnete ich. »Diesen Namen habe ich zwar bisher geführt, aber in Zukunft wird es nicht mehr der Fall seyn.«
»Wie habe ich Euch dann anzureden?«
»Als Sir Alexander Musgrave, Baronet von Faristone-Hall in Cumberland.«
»Gut,« sagte er; »weiter brauche ich nicht. Und die Dame, Eure Gattin, hat sie einen andern Namen, als Amy?«
»Ich glaube nein.«
Der Geistliche stellte sodann das Heiraths-Certifikat aus, unterzeichnete es, nahm sich eine Abschrift davon für die Registratur, und wir kehrten in den Salon zurück.
»Hier ist der Trauungsschein, Madame,« sagte er. »Die Dame muß ihn in Verwahrung nehmen, und deshalb überantworte ich ihn Euch, Mylady.«
»Mylady ist Euch für Eure Güte sehr verbunden,« versetzte Amy, weil sie glaubte, der Geistliche scherze.
Sie hielt das Certifikat zusammengelegt, wie es ihr gegeben worden, eine Weile in der Hand, bis sie endlich die Neugierde oder vielleicht der Umstand, daß sie nichts Anderes zu thun hatte, bewog, es zu öffnen und es zu lesen. Ich sprach eben mit dem Geistlichen und belohnte ihn für seine Mühe mit einem schönen Geschenke; wie ich übrigens bemerkte, daß sie das Papier auseinanderschlug, beobachtete ich ihre Züge. Sie las und stutzte. Ich wandte mich ab, als ob ich sie nicht bemerke, dann ging sie auf ihren Vater zu und ersuchte ihn, das Dokument zu lesen,
Der alte Gentleman nahm seine Brille heraus, und es war sehr ergötzlich zu sehen, wie er seine Tochter anblickte, während ihm die Brille von der Nase herunterfiel. Dann kam er auf mich zu, deutete auf das Certifikat und sagte:
»Mit Erlaubniß, wie habe ich in Zukunft meine Tochter anzureden?«
»Hoffentlich als Amy, Sir; nur wenn Ihr etwa bös auf sie seyd, müßt Ihr sie Lady Musgrave nennen. Mein theurer Vater, ich bin, wie Euch dieses Certifikat angibt, Sir Alexander Musgrave von Faristone-Hall und der Besitzer eines schönen Landeigenthums. Ich erfuhr dies erst bei meiner Ankunft in London, und wenn ich es bis jetzt verheimlichte, so geschah es nur, um Amy die Befriedigung zu geben, daß sie mich aus reiner, uneigennütziger Liebe geheirathet habe.«
»Dies war sehr, sehr freundlich von Euch, Alexander, und ich danke Euch aus aufrichtigem Herzen dafür.«
»Und nun begreift Ihr, meine theure Amy, warum ich wünschte, daß Ihr mich nach Cumberland begleitet. Ihr sollt daselbst von Eurem künftigen Aufenthalt Besitz nehmen und in die Stellung eintreten, der Ihr zur so großen Zierde gereichen werdet. Hoffentlich habt Ihr nicht im Sinne, Vater,« fuhr ich fort, »Euch von uns zu trennen. Dasselbe Dach soll uns stets decken, so lange es dem Himmel gefällt, uns am Leben zu erhalten.«
»Möge Gott euch beide segnen,« entgegnete Mr. Trevannion. »Freilich kann ich nicht von Euch scheiden und muß deshalb wohl folgen.«
Eine halbe Stunde später ersuchte ich Amy und Mr. Trevannion, bei mir niederzusitzen, da ich ihnen noch eine andere Erzählung mitzutheilen hatte – nämlich die Aufklärung des Grunds, warum sie mich in meiner früheren Lage gefunden hatten. Es handelte sich dabei um den Umstand, welcher mich und später meinen Bruder Philipp bewogen hatte, das väterliche Dach zu verlassen und den Entschluß zur Reife zu bringen, mit eigenen Kräften uns durch die Welt zu kämpfen. Meine Berichterstattung lautete wie folgt:
»Sir Richard Musgrave, mein Vater, vermählte sich mit einer jungen Dame von hoher Herkunft, einer Miß Arabella Johnson, und lebte mit ihr, wie ich allen Grund zu glauben habe, fast fünf und zwanzig Jahre sehr glücklich, bis es Gott gefiel, sie abzurufen. Ich kann mich meiner Mutter noch recht gut erinnern, denn obschon ich mit meinem Bruder bei einem einige Stunden entfernt wohnenden Privatlehrer in Pension war, so kam ich doch viel nach Hause, und sie starb erst in meinem sechzehnten Lebensjahre. Ich kann nur sagen, daß ich nicht glaube, es habe je eine anstandsvollere, liebenswürdigere und tugendhaftere Frau gegeben. Aus dieser Ehe erzielte mein Vater vier Söhne und zwei Töchter – den Aeltesten Richard, Carl, mich und Philipp. Meine beiden Schwestern, welche Janet und Mabel hießen, waren die jüngsten seiner Kinder. Um die Zeit, als meine Mutter starb, diente mein ältester Bruder in der Armee – ein Beruf, den er aus Neigung erwählt hatte, da er natürlich als Erbe des Titels und der Baronie, welche reine viertausend Pfund jährlich abwarf, nicht nöthig gehabt hätte, Dienste zu nehmen. Mein zweiter Bruder Carl, der ein abenteuerliches Leben liebte, war im Auftrage der Compagnie nach Ostindien gegangen, wo er eine hohe Stellung einnahm. Ich und Philipp, der um vier Jahre jünger ist, als ich – wir beide waren mit den Schwestern zu Hause. Ich übergehe meinen Schmerz über den Tod meiner Mutter und will jetzt mehr von meinem Vater sprechen. Er war ein gutmüthiger, schwacher Mann, der sich leicht leiten ließ – eine Eigenschaft, die während der Lebzeiten meiner Mutter und unter ihrer Führung von keinem Belang war; aber nach ihrem Tode gestaltete sich die Sache ganz anders. Er blieb ein Jahr lang ruhig in seinem Hause, begnügte sich mit Ueberwachung der Verbesserungen aus seinem Gute und war in letzter Zeit so preßhaft geworden, daß er die Jagdbelustigungen aufgab. Die Milchkammer war jetzt eines seiner Hauptsteckenpferde, und da traf sichs denn, daß ein junges Mädchen, die Tochter eines Arbeiters, mit unter den Milchmägden beschäftigt war. Sie hatte allerdings ein sehr gutes Aussehen und nicht jene stämmige Figur, welche Leuten von ihrer Lebensclasse in der Regel eigen ist. Sie mochte ungefähr siebzehn Jahre zählen, war von schmächtiger Gestalt und besaß eine Außenseite, die kaum verfehlte, auf den Vorübergehenden den Eindruck der Schönheit und Sittigkeit zu machen. Sie war jedoch nicht, was sie schien, sondern im Gegentheil über die Maßen verschmitzt, arglistig und, wie sich später herausstellte, mit einem maßlosen Ehrgeiz behaftet. Mein Vater, der ein etwas verliebtes Temperament hatte, wurde von ihr angezogen und befand sich bald unaufhörlich in der Milchkammer; auch waren seine Aufmerksamkeiten so auffallend, daß die übrigen Mägde sie Mylady zu nennen pflegten. Einige Monate, nachdem mein Vater seine Vorliebe für dieses Mädchen augenfälliger hatte werden lassen, äußerte sich bei ihm der erste Gichtanfall, der übrigens nicht lange dauerte; denn nach sechs Wochen war er wieder auf den Beinen und nahm seine Aufmerksamkeiten gegen das Mädchen wieder auf. Ich und Philipp, wir beide, befanden uns bei dem Privatlehrer, und da wir, wenn wir zu Hause anlangten, von Anderen erfuhren, was vorging, so spielten wir ihr thörichter Weise viele Possen und ärgerten sie, so viel wir nur konnten. Später erlitt mein Vater einen neuen Anfall, und da er sein Zimmer nicht verlassen konnte, so verlangte er, daß das Mädchen ihn pflege. Was bei dieser Gelegenheit vorging, kann ich nicht sagen: so viel aber ist gewiß, daß die unglückliche Leidenschaft meines Vaters und vermuthlich auch der Ehrgeiz des Mädchens sich mehr und mehr steigerten; denn etwa sechs Monate nachher wurde die Tochter eines Taglöhners zur Würde einer Lady Musgrave erhoben. Sie war damals achtzehn, während mein Vater nicht mehr weit von den Siebenzigen stand.
»Als diese unpassende und herabwürdigende Verbindung bekannt wurde, zog sich Gentry und Aristokratie der Grafschaft von meinem Vater zurück und brach allen Verkehr mit ihm ab. In kurzer Zeit hatte die schlaue Person ganz und gar die Herrschaft über den alten Mann gewonnen. Er sah sich nur glücklich, wenn er sie sah, und kannte keinen andern Willen als den ihrigen. Ihr Vater wurde mit der ganzen Familie in ein gutes Haus in der Nachbarschaft untergebracht, wo sie sich ganz wie Leute von Stand geberdeten. Der treue alte Rentbeamte wurde entlassen und ihr Vater an dessen Stelle gesetzt, obschon der Mann weder lesen noch schreiben konnte und überhaupt völlig unpassend für das Amt war. Mein Vater ließ es zu, daß seine Gattin einen maßlosen Aufwand machte. Da gab's nun neue Livreen, neue Equipagen, Diamanten, Kleider, wie sie für den Hof gepaßt hätten, und überhaupt jeden nur erdenklichen Luxus, so daß die Mittel meines Vaters dadurch weit überboten wurden. Jetzt zeigte sie sich ganz in ihrer wahren Farbe. Rachsüchtig und im höchsten Grade tyrannisch entließ sie alle die früheren Dienstleute und quälte diejenigen, welchen sie grollte. Gleichwohl aber konnte mein armer Vater nichts als Vollkommenheiten in ihr sehen. Vier Monate nach der Hochzeit kamen Philipp und ich wieder nach Hause. Unsere neue Stiefmutter hatte nicht vergessen, wie wir sie früher behandelt hatten, und benahm sich gegen uns mit großer Härte, indem wir nicht an dem Tisch unsers Vaters speisen durften und nur die gewöhnlichste Kost erhielten; führten wir dann bei dem alten Herrn Beschwerde, so läugnete sie alles ab, was wir über sie aussagten. Wie wir nun fanden, daß sich der Vater nicht bewegen ließ, uns Gehör oder Glauben zu schenken, so versuchten wir alles Mögliche, uns an ihr zu rächen, und ärgerten sie eben so sehr, wo nicht mehr, als sie uns, indem wir von ihrer gemeinen Herkunft und ihrer früheren Beschäftigung sprachen. Wir trotzten ihr, verdarben aber dadurch uns selbst das Spiel, denn nach einem nutzlosen Widerstand von Seite meines Vaters setzte sie ihren gebieterischen Willen durch, und er ließ mich rufen, um mir zu erklären, ich sei ein solcher Bösewicht geworden, daß er mich nicht länger als seinen Sohn anerkenne. Er warf mir eine Börse zu und bedeutete mir, dies sei Alles, was ich von ihm zu erwarten habe; ich solle augenblicklich das Haus verlassen und mich nie wieder vor ihm sehen lassen. Ich antwortete erbittert und ohne, auf die gebührende Achtung Rücksicht zu nehmen: es sei allerdings hohe Zeit, daß der Sohn eines Gentleman und einer Lady das Haus verlasse, wenn eine so niedrig geborene Kreatur die Herrin spielen dürfe. Mein Vater schleuderte mir im Zorn seine Krücke nach dem Kopf, und ich verließ das Zimmer.
»Als ich in den Gang hinaus kam, begegnete ich ihr; sie hatte augenscheinlich gehorcht und war nun voll Jubel.
›Jetzt spielst allerdings Du den Meister, Du Hexe,‹ sagte ich in meiner Wuth, ›aber warte nur, bis mein Vater todt ist; dann folgst Du mir wieder in die Milchkammer.‹
»Ich will mein Benehmen nicht vertheidigen, indeß mag doch der Umstand zu meiner Entschuldigung dienen, daß ich damals noch nicht siebenzehn Jahre zählte. Freilich dachte ich in jener Zeit nicht, daß sie in der Folge ganz von meiner Gnade abhängen würde, aber dennoch war es so, da, wie ich aus Mr. Campbells Mund wußte, mein Vater vor seinem Tode die Papiere vernichtet hatte, welche ihr ein großes Leibgeding aus dem Besitzthum zusicherten. Ich packte meine Kleider zusammen, steckte die Börse mit zwanzig Guineen, die mir mein Vater gegeben hatte, zu mir und brach auf, um mich an Bord eines Kauffahrers zu begeben, weil ich auch etwas von der Welt zu sehen wünschte. Sechs Monate später kam ich zu Liverpool an Bord eines Kapers. Mit dem Rest meiner Geschichte seyd Ihr bereits bekannt.
»Sobald sie ihr Müthchen an mir gekühlt hatte, kam die Reihe an meinen Bruder; er war übrigens damals noch zu jung, als daß man ihn in die Welt hinaus hätte schicken können, weshalb sie noch zuwartete und ihre Zeit gut benützte, um durch alle ihr zu Gebot stehenden Mittel ihn meinem Vater zu entfremden. Drei Jahre später gelang es ihr, auch seine Verweisung zu erwirken, und Ihr wißt, wie ich ihn auffand. Alle diese Umstände waren in der Nachbarschaft und unsern Verwandten wohl bekannt; indeß nahm nur eine einzige darunter, meine Tante, hievon Anlaß, meinen Vater zu besuchen. Sie besprach sich lange mit ihm, und er willigte endlich ein, daß meine Schwestern mit ihr ziehen und unter ihrer Obhut bleiben durften. Das ungestüme Temperament meiner Stiefmutter, ihre Erpressungen und die gebieterische Haltung, die sie jetzt auch sogar gegen ihn anzunehmen begann, hatten bis zu einem gewissen Grade meinem Vater die Augen geöffnet, obschon auch hierfür die mitwirkende Thätigkeit meiner Tante erforderlich war. Er bemerkte, daß sie überall nur sich selbst im Auge hatte, ohne sich überhaupt sonderlich um ihn zu kümmern. Ihre wiederholten Versuche übrigens, ihn zu bewegen, daß er für den Fall seines Todes ein Dokument zu ihren Gunsten unterzeichne, waren erfolgreich, und erst nachdem sie sich durch ihr Benehmen ihm ganz entfremdet hatte, warf er, den Verlust seiner Kinder beklagend, die Urkunde ins Feuer. Etwa drei Jahre nach meiner Entfernung aus dem väterlichen Hause wurde mein ältester Bruder, welcher von den Vorfällen in der Familie wohl unterrichtet war und bei der Armee blieb, weil er nicht nach Hause gehen wollte, ehe sein Vater gestorben wäre, durch eine Kanonenkugel getödtet, und mein zweiter Bruder erlag vor etwa einem Jahr einem Fieber; er befand sich damals als Resident am Hof eines ostindischen Fürsten. Von allen diesen Todesfällen erhielt ich erst bei meiner Ankunft in London Kunde. Natürlich ist mirs jetzt angelegentlich darum zu thun, nach Cumberland zu kommen, wäre es auch nur, um die Folgen der Bosheit dieses Weibes zu vereiteln und denjenigen einen Ersatz zu geben, welche sie so grausam behandelt hat. Ich hege zwar keine Rachsucht, fühle aber wohl, daß ich Gerechtigkeit walten lassen muß.«
»Und ich will Euch mit Freuden begleiten,« sagte Amy, »um Euch in diesem guten Werk zu unterstützen. Auch möchte ich sehen, wie sie sich jetzt gegen einen Mann benimmt, den sie so sehr verfolgte und der jetzt über ihr Schicksal zu gebieten hat.«
»Hierin traue ich mir selbst nicht, Amy. In Betreff ihres Geschicks sollt Ihr die entscheidende Stimme haben, und was Ihr beschließt, soll unwiderruflich seyn.«
»Ich weiß das Compliment, das Ihr mir macht, vollkommen zu schätzen,« versetzte sie, »möchte aber doch lieber, daß die Sache auf dem Wege der Berathung zur Entscheidung käme. Wir wollen dabei meinen Vater um seinen Beistand angehen.«
Vierzehn Tage nach unserer Hochzeit brachen wir in einer von sechs schönen schwarzen Rossen gezogenen Kutsche nach London auf und ließen uns bei dieser Gelegenheit durch acht berittene und bewaffnete Livreediener begleiten. Am siebenten Tage langten wir wohlbehalten an, und nun wollten wir uns einige Ruhe gönnen, ehe wir nach Cumberland aufbrächen. Meine Tante, welche, ohne daß ich früher davon Kunde hatte, in London sich aufhielt und bei der Königin einen Ehrenposten begleitete, hatte meine beiden Schwestern Janet und Mabel bei sich. Nachdem ich sie so viele Jahre nicht gesehen, umarmten sie mich mit Wärme und versprachen mir, sie wollten mir bald nachkommen und ihren Wohnsitz in der Halle nehmen. Amy gefiel ihnen ungemein gut; indeß theilten sie hierin nur die allgemeine Ansicht, denn es war unmöglich, sie zu sehen, ohne ihren Anstand und ihre Schönheit zu bewundern. Meine Tante erwies uns alle Aufmerksamkeit und stellte uns Sr. Majestät vor, welche so gnädig war, Lady Musgrave in sehr schmeichelhaften Ausdrücken zu begrüßen. In London schloß sich uns auch Bruder Philipp an, der sein Schiff abgelohnt hatte. Am Tage nach seiner Ankunft sagte ich zu ihm:
»Philipp, von den vier Brüdern sind nur noch wir beide übrig. Erinnerst Du Dich noch, was ich Dir sagte, als Du Dich damals, wie ich an Bord des Schiffes mit Dir zusammenkam, nach dem Diamant erkundigtest?«
»Ja; Du meintest Du werdest nicht in der Lage seyn, mir ein Geschenk damit zu machen.«
»Meiner Ansicht nach war ich es auch damals nicht, Philipp, aber jetzt ist dies anders geworden. Ich habe Mr. Trevannion ersucht, die Summe von achtunddreißigtausend Pfund, welche ich für den Diamanten erlöste, auf Deinen Namen sicher anzulegen. Du brauchst keine Bedenken zu tragen, das Geschenk anzunehmen, Philipp, denn Du weißt, daß ich es jetzt erschwingen kann.«
»Ich nehme keinen Anstand, mein theurer Alexander, denn ich würde dasselbe für Dich thun und weiß auch, daß Du es nicht ausschlagen würdest. Gleichwohl ist dies kein Grund, daß ich Dir nicht für Dein edles Benehmen von Herzen dankbar seyn sollte.«
Philipp begleitete uns auf unserer Reise nach Cumberland. Sie war um der schlechten Wege Willen sehr ermüdend, obschon wir dabei durch die schöne Landschaft reichlich schadlos gehalten wurden. Nach sechs Tagen langten wir in der Halle an, in welcher Mr. Campbell, der mich nach meiner Ankunft in London besucht hatte, bereits vor mir eingetroffen war, um Vorbereitungen für unsern Empfang zu treffen, der in vollem Maße das Gepräge der Begeisterung trug. Unsere Nachbarn machten uns ihre Glückwunschbesuche und waren sehr erfreut, in einem Wesen wie Amy die künftige Gebieterin des Haushalts zu finden.
Sobald das erste Gewühl und die Aufregung vorüber war, berieth ich mich mit Mr. Campbell über den Stand der Angelegenheiten, um Alles ins Gleiche zu bringen.
Zuerst handelte sichs darum, vielen Ansprucherhebenden Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die entfernten alten Diener aufs Neue einzustellen, den unbilligerweise ausgewiesenen Pächtern neue Pachtungen zu versprechen u. dgl. mehr; sobald aber dies geschehen war, kamen wir an die Frage, was mit der verwittweten Lady Musgrave geschehen sollte. Als sie nach dem Tode meines Vaters die Entdeckung machte, daß die mehrerwähnte Urkunde im Beiseyn von Zeugen den Flammen übergeben worden war, gerieth sie ganz außer sich vor Wuth; gleichwohl aber säumte sie nicht, augenblicklich die Familienkleinodien und alles Werthvolle, dessen sie habhaft werden konnte, an sich zu bringen. Von diesem Treiben erhielt Mr. Campbell Kunde und traf noch in Zeiten ein, um sie zu hindern, ihren Raub mit fortzunehmen. Er legte Alles unter Siegel, ließ die Halle aufs Sorgfältigste bewachen, und Mylady mußte sich nach dem Haus ihres Vaters begeben, wo sie sich noch immer aufhielt. Bei meiner Ankunft sandte sie zu mir, flehte mein Mitleid an und berief sich darauf, daß sie, was immer auch ihre Fehler gewesen seyn mögen, gleichwohl die gesetzliche Gattin meines Vaters sey, weshalb sie hoffe, die Achtung gegen sein Andenken werde mich bewegen, ihr einen Gehalt anzuweisen, wie er einer Lady Musgrave gebühre. Amys früherem Vorschlag zufolge wurde nun eine Berathung abgehalten und auch Mr. Campbell als viertes Mitglied beigezogen. Wir kamen dabei zur Entscheidung, er solle ihr unter der Bedingung, daß sie mit ihrer Familie zwanzig Stunden weit von Faristone wegziehe, jährlich dreihundert Pfund auszahlen und diese Rente fortlaufen lassen, so lange sie sich gebührend benehme und nicht wieder heirathe. Ueber diese letztere Clausel beschwerte sie sich sehr. Der Aufforderung meines Vaters gemäß hatte Mr. Campbell den Vater der Lady Musgrave seiner Rentbeamtenstelle entbunden und den alten Verwalter wieder in seinen Posten eingesetzt; vor seiner Entlassung mußte übrigens Ersterer noch gewisse Summen ersetzen, über die er keine Rechnung abzulegen wußte.
Ich habe jetzt meine ereignißreiche Geschichte mitgetheilt und will nur noch beifügen, daß ich mich nach so mancherlei Mühsalen viele Jahre eines ungetrübten Glückes erfreute. Meine beiden Schwestern haben gute Partien getroffen und meine drei Kinder sind ganz so, wie ein Vater nur wünschen kann. Dies, meine theure Madame, waren die Wechselfälle in dem Leben eines »Kaperschiffers,« und ich unterzeichne mich jetzt als
Euer
gehorsamster
Alexander Musgrave.