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Margaretha von Valois

Voulez-vous cesser d'aimer?« hieß der erste Satz einer Rätselfrage, die Reine Margot einem Kavalier aufgab. »Possédez la chose aimée!« ist die Antwort, die sie gab. Sich und anderen. In theoretischen Wortspielen, wie sie, deren Mutter eine Medicäerin war, und der geistreiche Hof der Valois sie liebte. Und in einem langen Leben hat Margaretha von Valois, Tochter des Henri II. und erste Frau des Henri IV., dieses erotische Motiv als ihrer Weisheit letzten Schluß erkannt und befolgt.

Sechzehntes Jahrhundert, nicht achtzehntes. Eine Gesellschaft, die zwar schon tüchtig Ballett und Pantomime tanzt, und zwar Männer mit Männern so gut wie Herren mit Damen, in der aber der Degen nicht spielerisch gebraucht wird, und das Halbe noch nicht als Reiz gilt. Die Schale des Genusses muß immer geleert werden; dann erst ists gut. Besitzen, um von der Unruhe der Wünsche befreit zu sein, dem Trieb gehorchen, wohin er auch zielt, um die Spannung zu lösen – das ist Lebenswunsch. Hat man sein Begehren gestillt, graut ein anderer Morgen, oder vielmehr: es werden Lichter für eine andere Nacht angezündet. Starke Männer, starke Frauen mit robusten, zähen Gewissen lieben und bekämpfen einander.

Machte eine schöne Frau Gedichte, wußte ein Liebhaber zärtliche Worte, so vergaß man daneben doch die kräftigere Kost nicht. In der »Ruelle mal assortie«, einem Scherzdialog, den Margaretha wohl selbst geschrieben hat, sind die beiden Töne Platonismus und Sinnlichkeit, Praxis und Theorie schon bewußt kontrastiert. Die Königin, die an Herrn von Chanvallon überpathetische, lächerlich geschwollene Liebesbriefe schreibt, die von Bildung und Metaphern strotzen, zugleich aber aufrichtig wie nur je ein Weib die körperliche Lust aller Leidenschaft als Ziel der Existenz empfindet und das schließlich auch ausspricht, ist die nämliche Frau, die einen schönschwätzenden Mann jäh unterbricht, an bessere Zeitverwendung erinnert und ruft: Ohlala, das ist mir ein schöner Gallimathias … Seid Ihr blöde? … Braucht Euren Mund zu einem andern Geschäft! … hebt Euch die schöne Rederei für Eure Mätressen auf … Suchen wir lieber unter den unzähligen Arten zu küssen die süßeste, bei der man dann eine Weile bleibt … So – jetzt … jetzt ists recht … Ich bin verzückt … Jedes Plätzchen meines Leibes zittert vor Lust … Ich sterbe und werde bis über die Ohren rot … Nun seid Ihr in Eurem Element … Außer Atem bin ich … das ist besser als der Diskurs … Rien de si doux, s'il n'était si court!« Das ist die Sprache einer Frau, die wahrlich noch nicht gelernt hat, nur vor allem »Seele« zu sein, der es nicht einfällt zu behaupten, in der Liebe sei die Frau nur passives Opfer, oder dieses Tun sei Mittel zum Zweck, gottgefällige Handlung zur Mehrung der Welt, die ein christliches Weib lustlos aber demütig auf sich nimmt. Sie liefert sich dem Augenblick mit ihrem Temperament ganz aus, amoralisch, verlogen, weil die Lüge das Schwert der politische Intrigen treibenden Dame eines kriegerischen Hofes ist, und nur offenherzig in Dingen der Liebe, weil die ihrer Natur trotz allem wichtiger ist als Religionsstreit, Ehre, Ruhm.

Die Widersprüche, aus solcher Weise das Leben zu nehmen kommend, fehlen ja nicht, und vielleicht ist das der eigenste Reiz der Dokumente, die wir von Margaretha haben. Liest man darum nach- oder durcheinander die klaren, allerdings nicht wahren Berichte, die sie selbst in ihrer Autobiographie gibt, den schwulstigen Panegyrikus, in dem Brantôme ihr Leben feiert, ihre klugen Briefe an den König, ihre schmachtenden Episteln an ihren Liebhaber, dann zeitgenössische Historiker aus ihrem, Pamphletisten aus dem feindlichen Lager, schnöde Spottverse oder heiter ironische »Libellen«, wie sie um ihre Person sich noch ein Jahrhundert, nachdem sie starb, rankten, so könnte man oft und oft meinen, es sei gar nicht dieselbe Margaretha, dieselbe Margot, um die es geht. Die Jahreszahlen stimmen jedoch und die Tatsachen schließlich auch, nur sind sie eben recht verschieden gesehen; und die Wahrheit über unsere Königin? …

Wir haben sie hier gezeigt, wie sie sich selbst sah oder gesehen werden wollte, in dem Spiegel der von Friedrich Schlegel übersetzten Autobiographie: eine verfolgte Unschuld, der stets unrecht geschah. Die Monate nach der Hochzeit noch nicht wußte, ob sie Frau oder Jungfrau sei, aber zu solcher gespielten Naivität spöttisch lächelt. Dann in Brantômes Bildnis; nicht wie er sie sah. Das behaupten, hieße dem Biographen der Dames galantes und Dames illustres bitter unrecht tun. Sein Kapitel gibt das Porträt, von dem er annahm, ihr würde es gefallen. Es ist Geschichtschreibung eines Höflings, der eine noch Lebende preist und dem kein Wort groß genug ist. Die Adjektive »schön und herrlich«, die Superlative werden zu Tode gehetzt. Eine scharfe Erfassung ihrer Persönlichkeit kommt bei dieser Prosa-Ballade eines bezahlten Reklameminnesängers nicht heraus. Die menschlichen Beziehungen Margarethens zu König, Bruder, Mann, Mutter, Geliebten, Höflingen und Feinden werden fast noch verlogener konstruiert als in Margarethens eigenen Aufzeichnungen. Vergeßlichkeit ist Absicht. Das ist nun eben Politik, auftraggemäß zugestutztes document humain. Dies doch; denn wie viel läßt sich zwischen den Zeilen lesen, wie viel vom Weltbild und Lebensgefühl der Menschen damals aus Nebensätzen, welche die Freude am Tratsch, am Detail eingeschmuggelt, herausspüren! Schließlich erscheint sie als Briefschreiberin, auch da wahrhaftig nicht in einem reinen Spiegel. Der Ton ist, weiß Gott, weder unbefangen noch einfach, ob sie nun, allerlei Bildung auskramend, und immer in den allerhöchsten Registern, Rendezvous vereinbart, eifersüchtig oder sehnsüchtig ist, oder ob sie politische und persönliche Geschäfte eifrig und zähe verhandelt.

Wie aber, wie war sie wirklich? Ein vehementes, passioniertes Weib, bereit zu jeder Aktivität – der Liebe und der Intrige. Kein ideales Frauenbild, keine Heldin wie die Maria Stuart, mit der sie zusammen auferzogen wurde und der sie sich in schlechten Tagen selbst gern vergleicht. Der romantisch-historische Sinn Schlegels nennt ihre Art eine »wunderbare Mischung von Andacht und Leichtsinn«. Wir, besinnen wir uns nur immer wieder der Zeit, in die sie geboren wurde, möchten sie eine amoralische Natur nennen, in allem Geistigen sehr Weib, aber mit einer nach unseren Konventionen recht männlichen Weise, Liebe und Erotik zu treiben und zu werten. Der Firnis späterer Jahrhunderte ist noch nicht da; daß nur einer von der anständigen Dame geliebt werden soll, ist noch nicht einmal theoretische Forderung. Aber die guten alten Zeiten völliger Unbefangenheit, von denen ihre Mutter Katharina von Medici, gelegentlich die Tochter entschuldigend, spricht, wo man nicht gleich ins Gerede kam, wenn man ein wenig flirtete, die sind auch schon vorbei. Und in Tagen, wo die Mignons, die Favoris offen die Könige und den Staat beherrschten, der Ehemann ohne Besinnen als sein Recht von der Frau nicht bloß verlangte, sie solle seiner Geliebten beim Kindbett beistehen, sondern auch nett zu den männlichen Objekten seiner Neigung sein, hatte sich Margaretha, als Widerspiel zu jenem Herrn von Espernon, von dem Brantôme erzählt, er sei »halb König von Frankreich gewesen wegen der ausschweifenden Gunst, die ihm der König erwies«, aus pariser und florentiner Blut gemischt zu einer Frau entwickelt, die, im Verkehr der Geschlechter keine Kostverächterin, in unzähligen Passionen »sich auslebt«.

Eine gute Enkelin François' I. war sie sicherlich, des Herrschers, der noch als Greis leben und lieben gleichsetzte und sich mit Recht das Motto gab: Je suis curieux de sçavoir. Und sçavoir ist mit dem alttestamentarischen »Erkennen« zu übersetzen. Nein, Religion war damals nicht Ethik, und wenn man hundertmal zu Krieg und Massaker zog, um Katholiken oder Protestanten zur alleinseligmachenden Lehre zu bekehren, eine aus frommen oder sittlichen Motiven hergeleitete Pflicht zur Monogamie wurde von den Männern so wenig wie von den Frauen dieser Kreise anerkannt. Der Jeanne d'Albret, die Margarethas Schwiegermutter werden sollte, erschien der Hof ärger als die Hölle, als die sie sich ihn schon vorgestellt hatte: »Là, les hommes ne prient pas les femmes, mais ce sont les femmes qui prient les femmes«. Die Königin ist dann auch wahrhaftig auf nichts eifersüchtig, was ihr Sohn beginnen mochte: »Wozu ihn seine Laune (fantaisie) auch treibt, er sprach offen davon mit mir wie zu einer Schwester (!), da er gut wußte, daß ich durchaus nicht eifersüchtig war, nichts wünschend, als daß er zufrieden sei«. Und auf Margot ist man ihrer vielen Amouren wegen auch nur böse, wenns gerade in den politischen Kram paßt. »Auf offener Straße hätte sie …?« – Das gibt höchstens Gelegenheit zu einem Witz, bis der Tag kommt, wo man die Geschichte gegen sie ausnützen kann. Sogar eines Verhältnisses zu ihrem Bruder oder ihren Brüdern wird sie beschuldigt; wahr oder unwahr, die Notiz des »Divorce satyrique«, einer Flugschrift, die der König selbst veranlaßt hat, zeigt die Moral der Zeit: »Elle adjouta à ses conquestes ses jeunes frères, dont l'un, a sçavoir François continua cet inceste toute sa vie« heißt es dort, und dieses Divorce satyrique, das vielleicht boshafteste und zynischeste Pamphlet aller Zeiten, sagte nur, was alle Welt sich zuraunte.

Auf der anderen Seite: die Mignons. In L'Estoiles Journal liest man: Damals (1577) kam das Wort auf. Sie waren dem Volke odios wegen ihres Hochmuts, ihrer »accoustrements effeminées und der immensen Geschenke, die ihnen der König gab. Diese schönen Messieurs trugen lange gelockte, gekräuselte Haare, die aus ihren kleinen Sammethütchen hervorguckten wie bei Frauen, und da ihre Köpfe aus den ein Fuß langen gesteiften Halskrausen hervorkamen, sah das aus wie das Haupt des Täufers auf der Schüssel« … Sie trugen Ohrringe, und als einer ermordet wurde, schnitt ihm der König ein paar blonde Locken ab und nahm die Ohrringe aus seinen Ohren … Feminine, aber Mörder. Weichlich-kokette Mignons, aber nur zu bereit, den Spott, den Margaretha oft genug für sie hatte, sie und die Ihren durch Schwertstreiche und Ohrenbläserei bitter entgelten zu lassen. Nicht nur Frankreich hatte von dieser Wirtschaft zu leiden, sehr, sehr viele von den bösen Schicksalen, die der Königin zugefügt wurden, hatten hier ihre Quelle. Denn soviel auch geliebt wurde, ein sanfter Liebeshof war der der Navarra und Valois nicht. Man tanzt im Kriegslärm und nennt einen der Feldzüge guerre des amoureux. Und da geht nicht eines neben dem andern, weiche Zärtlichkeit und Blutrünstigkeit sind nicht getrennte Elemente, sondern die erotischen Schicksale sind auch die politischen. Und die Geschicke der Länder werden damals ausschließlich vom Hof bestimmt.

Zum König, ihrem Gemahl, – den ihr Naturell, allen Berichten nach, viel weniger reizte als die Legion der Männer verschiedenster Art, die sonst mit ihr in Beziehung gebracht werden, obgleich er durchaus nicht unempfänglich gegen Frauen war – als ihn einmal seine Liebesfreuden zu sehr geschwächt hatten, pflegt ihn Margot getreulich und darf sich rühmen, daß er ihr dafür stets dankbar war –, zum König also sagte Margaretha, »qu'un cavalier estoit sans âme quand il estoit sans amour«. Das ist ihr Lebensprinzip, und bis sie starb, hat sie von der Liebe – oder was sie und ihr Kreis eben so nannte – und deren Übung nicht gelassen. Und da man der Elfjährigen schon ein sehr intimes Verhältnis zu Henri de Guise nachsagen konnte – wer will da urteilen, ob auch alles, alles, was ihr die bösen Zungen, die Spottverse zuschrieben, wahr gewesen ist? Manchmal scheint die Quantität der Männer, die sie verbraucht haben soll, unwahrscheinlich. Ihre Zeit hat sie nun einmal sicherlich nicht verloren. Und daß eine Frau sich nur jenem Einen hingeben solle, aus Moral oder gar nach eigenem Gesetz, den sie liebe, ganz wirklich liebe, nun, das war weder die Mode der Zeit, noch entsprach es dem vehementen Temperament dieser Frau, die jahrzehntelang Königin der Mode und der Sitte, Jahre hindurch verschollene Gefangene, dann wieder gnädig aufgenommene, geschiedene Frau des Königs und Beschützerin der Gelehrten und Musiker, schließlich die unersättliche Gönnerin von Pagen und Stallknechten war, stets aber ein Weib hungerig nach erotischen Geschicken. Manchmal kommt sie, die man – im Ernst, nicht etwa anzüglich – Venus-Uranie nannte, weil sie so schön und so wissensreich war, einem vor wie ein Blaustrumpf, den's dann plötzlich nach dem Worte des Aristophanes »männert«. Und dann bedenkt man wiederum, daß sie die letzte eines aussterbenden Geschlechts war: eine Dekadente des sechzehnten Jahrhunderts.

Sie war sehr schön – das ist gewiß, wenn einen auch Brantômes Schwüre, die billig sind, argwöhnisch machen könnten. Nein, sie wars; selbst die Schwiegermutter, die sie vom ersten Augenblick an nicht mochte, weil sie die Ansteckung aus der Atmosphäre des Sündenpfuhls für ihren Sohn, Henri, den späteren König, fürchtete – wie schon gesagt: er brauchte Margots Belehrungen nicht, um die Freuden der Sinne zu entdecken und zu genießen, – weiß ihr nur nachzusagen, daß sie sich zu sehr schnürt. Aber schon als Vierzehnjährige hilft sie der Natur gehörig nach, ihr Gesicht ist »tout diapré« und geschminkt, Perücken zieht sie jederzeit dem eigenen Haare vor und treibt so viel Hautpflege, daß ihr die Haut zugrunde geht, was zuweilen eine gute Gelegenheit zu verliebten Badereisen gibt. Der Körper ist schön und gut gewachsen, und sie versteht sich herzurichten – so weit darf man Brantôme sicherlich glauben; auch daß sie was gelernt hat, Lateinisch sprechen und außer dem »gewöhnlichen« Französisch in komplizierten Perioden und Versen schwelgen kann, bezeugen ihre Werke: neben den Briefen eine Reihe von Rechtfertigungsschriften und Gedichte, die Gefühlen, die sie leicht in sich erweckte und noch leichter durch neue Erlebnisse verdeckte, modischen Ausdruck geben; wie schon erwähnt, wird ihr auch eine kleine Schrift »La ruelle mal assortie« zugeschrieben, ein Liebesdialog, in dem platonische Theorie gepredigt wird und sinnliche Praxis siegt. Gewiß zeigen schon ihre Memoiren eine ungewöhnliche Erzählungskunst; denn soviel sie verschweigt, so viel läßt sie erraten. Und wer nur ein wenig von ihrem wirklichen Leben wußte – die, für die sie schrieb, wußten recht viel – bewundert die diplomatische Kunst dieses Berichtes, jeder aber freut sich an geistreichen Wendungen und farbigen Schilderungen. Man mag mit Rühe diese Autobiographie der königlichen Dilettantin über das Werk des Berufsliteraten stellen, das sie veranlaßt hat. Margaretha schrieb ja ihre Lebensgeschichte als Antwort auf Brantômes Kapitel, über dessen Übertreibungen, Weißwascherei und einseitige Schmeichelei sie heimlich wohl gelächelt hat; sie war sicherlich die Frau, um solchen Reiz zu genießen, wie sie ja auch bis in die letzten Lebensstunden ein Doppelleben führte, passant des exercices de piété aux plaisirs les plus sensuels – nach Zurückgezogenheit, zerknirschter Devotion des Morgens kam rasch genug immer die Nacht, die Zeit für Orgien.

Ich glaube, man erwartet nun nicht von mir, daß ich Punkt für Punkt Margaretha oder gar Brantôme widerlege, die absolute Wahrheit an Stelle dessen setze, was sie später wahr haben wollte. Auch von den Kriegen wird in der Autobiographie genug erzählt, als daß hier nochmals ein Kapitel über diese Kriege gehandelt werden müßte. Es genügt vielleicht, ohne Vergleiche der historischen Dokumente mit den eigenen oder von Brantôme für sie vorgetragenen Berichten Licht auf ein paar Wendungen oder Kreuzwege ihres Lebens zu werfen, nachdem der Leser die anderen Dokumente ihrer Existenz gelesen hat, um eine Silhouette von Reine Margot zu geben und zu erweisen, daß sie nicht nur eifrige Christin, Märtyrerin ihres Glaubens, in politisch-kriegerische Kabalen verwickelte verfolgte Unschuld war, sondern Weib mit heißem rotem Blut, dem wenig von allen erotischen Möglichkeiten fremd geblieben ist. Nur dort, wo die Memoiren abbrechen, als es ihr schlecht geht, darf dann wohl ein wenig ausführlicher die ergänzende Erzählung einsetzen.

Als Kind, das keines mehr war trotz aller gespielten und häufig erstaunlich gut gelebten Naivität, liebt sie also Henri de Guise. Das geht offiziell nicht, das heißt, sie darf ihn nicht heiraten. Aber wenn sie auch später, als es wünschenswert scheint, ihre Ehe mit dem König für nichtig zu erklären, und man zu dem kirchlich so beliebten Mittel greifen will, sie erklären zu lassen, die Ehe sei gar nicht wirklich vollzogen worden, ihrer Mutter die bekannte Antwort gibt: sie verstehe nicht, was das bedeute, sie sei ja vorher noch nie mit einem Mann verheiratet gewesen – es scheint doch, daß schon diese Jugendliebe recht wenig platonischer Art war. Jedenfalls war nicht nur die Mutter und die Hofpartei über diese Beziehung höchst ungehalten, weil alle Bemühungen der Staatskanzleien, sie standesgemäß, also mit einem regierenden Herrn zu vermählen, so zum Beispiel mit dem König von Portugal, an dieser frühen und heftigen Neigung in Margarethens jungem Herzen scheiterten; auch ihr Bruder, der Herzog von Anjou, der früher ihr am nächsten gestanden war, zürnte den beiden – nicht aus Moral! – so heftig, daß eines Tages die kleine Margot, schon damals klug und kühl, Herrn von Guise zuredete, eine Andere zu ehelichen. Solche Lösung einer eigenen Beziehung war ihr sehr gemäß; auch Herrn von Chanvallon, sowie später einen seiner Nachfolger bei ihr, will sie ja dann verkuppeln. Ehe und Liebesabenteuer waren eben ganz verschiedene Dinge. Henri de Guise heiratet auch, und Margaretha scheint nicht gerade verzweifelt. Allerdings macht ihr der Ehemann weiter den Hof und erlaubt sich Intimitäten – »libertés françaises« nannte man derlei, und die Details lassen sich hier heutzutage nicht wiedergeben –, bis der Herzog von Anjou, nachdem schon der König den über seine Ehe hinaus getreuen Liebhaber ungnädig verjagt hatte, schwört, er werde ihn ins Gras beißen lassen, wenn er Margot noch ein einziges Mal ansehe. Nun fügt sich der junge Mann; wie Margaretha selbst die Entsagung trägt, davon wissen wir so gut wie nichts. In ihren Memoiren sucht sie eifrig darzutun, daß sie nie irgendein, nie auch nur das leiseste Verhältnis zu Henri de Guise gehabt habe, ja sie schweigt von der ganzen Sache.

Als die Verhandlungen mit Jeanne d'Albret, vor allem aber dem Papste, endlich so weit sind, daß die Höfe die Ehe mit Henri von Navarra, dem späteren König, beschließen, will sie als das junge Mädchen erscheinen, das gar keinen Willen hat. Wie später die Österreicherin Marie Luise, mit der ihre Persönlichkeit allerdings sonst gar keine Ähnlichkeit hat, als ihr Napoleon zum Gemahl präsentiert wird, ist sie die Prinzessin, die die Staatsraison als das Gesetz der Liebe ohne Zweifel und Zaudern anerkennt. »Je me resolus de l'aimer« – so charakterisiert sie ihre Stellung zum königlichen Gemahl. Aber sie sagt das nicht naiv, sondern im vollen Bewußtsein, daß diese Angelegenheit nur von der Klugheit, nicht von irgendwelchen Empfindungen oder gar Empfindsamkeiten beherrscht werden dürfe. Und man feiert jene Hochzeit, bei der der eine König mit den Mignons ein Ballett tanzt, der andere König so mit seinen Kleidern und dem Frisieren der Königin beschäftigt ist, daß die Messe erst spät abends gelesen werden kann, und die das Vorspiel zur Bartholomäusnacht ist. Margaretha erzählt von alledem in einem Ton, der zwischen Härte, Gleichgültigkeit und Freude am Abenteuer sonderlich genug schwankt. Wohl weiß sie besser um Kriegslärm und Gefahr Bescheid als nach ihr die Revolutionskönigin, die sagt, man solle dem Volk Kuchen geben, wenn kein Brot dasei. Es geht ihr ja auch nahe genug, fast siehts so aus, als hätte man auch ihr Leben dem Religionsstreit opfern wollen, und mit einiger Wahrscheinlichkeit wird behauptet, daß sie durch einen Fußfall das Leben des ihr eben angetrauten Königs gerettet habe. Aber sie erzählt denn doch ohne allzuviel Grauen, ja fast amüsiert, wie ein fremder Mann auf der Flucht vor den Mördern sich im Bett auf sie legt, sie, weil er voll Blut ist, sich ein anderes Hemd anziehen muß, und jemand, der die Situation mit ansah, lächeln mußte.

So fängt eine Ehe an, die wahrhaftig so gut wie nichts mit dem Liebesleben Margarethas zu tun hat. Wohl aber muß die junge Frau früh genug lernen, nicht nur der Gefahr selbst auszuweichen, sondern auch selbst Blut fließen zu lassen, wenn ein Feind nicht anders aus dem Wege will. Die »verfolgte Unschuld«, die sie nach ihren Memoiren ist, kämpft nicht nur mit Frauenwaffen, Wort, Intrige, Hingabe und Versagung. Dolche und Schwerter werden leicht bewegt. Da ist zum Exempel Herr von Guast, der in den am Tage der Hochzeit beginnenden und Jahrzehnte dauernden offenen und heimlichen, kleinen und großen Kriegen der Katholiken und Hugenotten, des Königs mit der Königin – sie waren ja verschiedenen Glaubens – eine große Rolle spielt. Er hat sie einmal wenig wohlwollend »reine des putains« genannt und, was vielleicht wichtiger war, immer und immer Zwietracht gesät, sie mit dem König, mit ihrer Mutter, ihrem Mann – die Ehe war eine Folge von ein wenig Zärtlichkeiten, viel gleichgültigen Tagen, Verachtungs- und Zornausbrüchen und Versöhnungen – veruneinigt, ihre Freunde und Freundinnen in den Tod geschickt, ihre Brüder, ihre Partei verfolgt. Ein Baron de Villaux befördert ihn schließlich in die Hölle und wischt den blutenden Degen am Kleid der Geliebten de Guasts ab. Ob nun Margaretha selbst es war, die diesem Gentilhomme-Meuchelmörder den Befehl zu solchem Gericht gab, ist nicht erwiesen, sicher aber, daß sie »den Arm dazu gereicht hat« und sehr zufrieden war, daß dieser Freund des Königs, der immer gegen sie gehetzt hatte, nicht mehr lebe; übrigens war der König selbst nicht allzu untröstlich über die Ermordung dieses Favoriten, der angefangen hatte lästig zu werden, und ließ den Mord ungesühnt.

Die beiden Eheleute hatten einander wenig vorzuwerfen. Die Zahl der Maitressen des Königs und seine unehelichen Kinder zählte man nicht mehr. Und Margot? Ihre eheliche Treue? Kann man sagen, daß sie den königlichen Gemahl »betrog«? Nein, wahrhaftig, denn er wußte, was sie tat, und er sowohl wie der König, ihr Bruder, kümmerte sich blutwenig um Treue, um die eigene so wenig wie die der Margaretha. Brauchte mans zu politischem Zweck, dann erst mußten die Ehebrüche, das Schandleben der Reine Margot herhalten. Briefe wurden abgefangen, die Königin gefangen genommen, durchsucht, schändlich behandelt und verstoßen, weil man aufdecken wollte, was alle Spatzen längst von allen Dächern pfiffen. Im übrigen trug Henri, bevor er König war, die Hörner leicht und machte nicht viel Wesens davon, ein kleiner gemeiner Witz über sein eheliches Geschick, Margarethas Wahllosigkeit entsprach dieser merkwürdigen Mannesnatur besser. Und schließlich Gefühlsangelegenheit war die Ehe eben nicht. Als es einmal dem König, ihrem Bruder, zu arg wurde, und es auch die Politik verlangte, er sie also verjagte, ohne Gruß auf der Landstraße an ihr vorbeiritt, man ihr den Hofstaat genommen hatte, weil Margarethas Frauen es zu arg getrieben hätten, gab es einen niedlichen Briefwechsel zwischen dem regierenden Bruder und dem Gemahl. »Die Könige sind dem ausgesetzt, betrogen zu werden, und die tugendhaftesten Fürstinnen sind nicht frei von üblen verleumderischen Nachreden,« schreibt der Bruder, um den großen Skandal, mit dem er Margaretha aus Paris hinausgejagt hatte, zu erklären. Und liebenswürdig fügt er hinzu: »Ihr wißt, was man Eurer Mutter nachgesagt hat.« Aber auch Henri IV. von Navarra versteht ironisch-gemein zu antworten. Zuerst dankt er für die liebenswürdige Fürsorge, die der König für seiner Frau Moral hat – man hatte der armen Margot die Larve vom Gesicht gerissen, ihr die Liste ihrer Liebhaber öffentlich vorgehalten und sie beschuldigt, ein Kind, das sie illegitimen Freuden verdankt hätte, nicht zum Leben gelassen zu haben –, erinnert daran, daß Margaretha die Ehre hat, des Sittenrichters und Königs Schwester zu sein, und will sie nun plötzlich – weil das zur Politik gut war – wieder bei sich haben. (Die Eheleute waren getrennt gewesen.) Und als man alles wieder vertuscht, der König sich entschuldigt, meint Heinrich von Navarra: »Der König tut mir zuviel Ehre an. In seinen ersten Briefen nennt er mich Hahnrei, in den folgenden fils de putain et je le remercie.« Das alles geschieht, weil die Mignons Margaretha und Herrn von Chanvallon, mit dem sie damals die Passion hat, nicht mögen, der König also aufgehetzt wird, dann aber die Staatsklugheit doch will, daß diese sonderbare Ehe erhalten bleibt. Vorläufig wenigstens noch. Es wird also hin und her verhandelt, und Margaretha muß sich auf den Landstraßen herumtreiben. Bald will sie ihr Mann nicht, weil er gerade eine Frau sehr liebt, bald soll sie doch zu ihm. Nur mit vieler Mühe wird Heinrich von Navarra schließlich bewogen, ein paar Tage mit ihr zuzubringen. Aber der Empfang ist böse. Sie heult, der Gemahl läßt sich von seinen Höflingen was erzählen, niemand kümmert sich um die schöne Margot, die ganz rotgeweinte Augen hat. Und dann lebt Margaretha in Agen, im Exil, wo sie der König nur selten besucht.

Hat sie's also wirklich so arg getrieben? Nun, ihr Sündenregister auch während der Ehe ist stattlich. Ein kaiserlicher toskanischer Botschafter Busini schreibt in seinem diplomatischen Bericht über jene Tage, die den eben geschilderten Zorn des königlichen Bruders und die Ungnade brachten: »Madame de Sauves« – das war eine Zeit lang ihres Mannes offizielle Geliebte, die ihr noch dazu gelegentlich den geliebten Chanvallon wegnahm – »dormit chaque nuit avec d'Amilly (favori de Monsieur) et Atrie avec le duc d'Anjou. La reine de Navarra elle aussie faisait grand bordel.«

Und das waren eben die Zeiten, in denen sie an Herrn von Chanvallon jene schmachtenden Venus-Uranie-Briefe voll mythologischem Unsinn und Schwulst schrieb. Aber er war ihr nicht der erste, nicht der letzte, nicht der einzige, wenn auch der, für den sie so etwas wie Gefühl gelegentlich aufbrachte. Aber vor und neben ihm erfreuten recht viel andere sich ihrer Gunst; glaubt man – und ich denke, man darfs – den Zeitgenossen, so war da unter anderen ein alter General, der in alle Schlachten außer einem von ihr gestickten Gürtel auch einen kleinen Hund, den sie ihm als sonderliches Liebespfand geschenkt hatte, als Talisman mitnahm, der schöne Herr Entraguet der, als sie Hochzeit hielt, vor Schmerz fast gestorben wäre; dann La Mole, ein Helfer in einer der unzähligen kriegerischen Intrigen, der um ihretwillen gefoltert, dann enthauptet wurde. Der auf dem Schaffot noch sagte: »Dieu ayt mercy pour mon âme et la bonne vierge! Recommandez-moi aux bonnes grâces de la reine de Navarra et des dames!« Zum Dank dafür holten in dunkler Nacht Margaretha und eine Freundin, die Herzogin von Nevers, die für ihren Teil die Geliebte eines zweiten, gleichzeitig geköpften Verschwörers gewesen war, die Leichen in ihren Karossen von der Richtstätte und begruben sie mit eigenen Händen. Ein Memoirenschreiber will sogar wissen, daß sie das einbalsamierte Herz dieses bis in den Tod Getreuen in einem ›vertugadin‹ auf hob, der an einem Nagel in ihrem Schlafzimmer hing, übrigens auch ›pochettes‹ für alle ihre übrigen ›amants trespassés‹ hatte. Es folgt im Verzeichnis dieser ersten Serie ihrer Liebhaber – nämlich der Freunde ihrer Jugend – Herr Saint-Luc, über den sich Margot beklagen mußte, denn er bekam um die Mitternachtsstunde immer und immer recht störende Koliken. Und noch der und jener, unter anderen Turenne, der in seinen Memoiren erzählt, er hätte sich vom König von Navarra entfernen müssen, um gewissen Passionen zu entgehen, die »Seele und Körper töten und dazu Schande und Verderbnis bringen«; nach dem oft zu zitierenden »Divorce satyrique« war allerdings nicht er der keusche Joseph, sondern Margaretha, zuerst in ihn verliebt, hatte dann »sa taille disproportionnée en quelque endroit« gefunden.

Auch eine Frau erscheint in dem Reigen der Personen, die für Margots Erotik Anlaß gaben: Françoise de Clermont, Herzogin von Uzès; zumindest sind die Briefe, die sie von der Königin erhielt und in denen sie »ma sibille« angesprochen wird, von einer ganz eigen getönten Zärtlichkeit durchtränkt.

Die Hauptfigur aber in diesem wechselreichen Liebeslustspiel, dessen Hintergrund Bürgerkriege, Massaker, Flucht vor dem Meuchelmord in dunkler Nacht, Ränke um den Königsthron geben, ist der schon genannte Herr von Chanvallon, an den die Liebesbriefe gerichtet sind, die wir mitteilten, diese Episteln, würdig einer précieuse ridicule. Von ihm hatte Margaretha, wie ihr Bruder, der König, behauptete, ein Kind, jenen Père Ange, der als Kapuzinermönch starb und um den sie sich sicherlich nie viel gekümmert hat. Muttergefühle haben in dem Rahmen ihrer Menschlichkeit gewiß keinen Platz. Und wie hochtrabend, wie groß auch die Liebesworte dieser Korrespondenz sind, sowohl Margaretha wie Herr von Chanvallon waren auch anderen Reizen zugänglich, selbst als sie sich sehr liebten und einander – mit Recht beide – eifersüchtige, von gespieltem Haß erfüllte Briefe schrieben. Sonderbar genug, gerade dieses Verhältnis, das der zu moralischen Wertungen Veranlagte der Königin am ehesten verzeihen würde, war immer und immer wieder Anlaß zu Vorwürfen, Spott und Verfolgung; ja es scheint, als hätte es zu dem Unglück, der Verbannung der Königin am meisten beigetragen, sie die Fürstenkrone Frankreichs gekostet. Es ist schon erzählt worden, wie ein Sturm der höfischen Ungnade sie aus Paris vertreibt, nach den Schlössern Agen, d'Usson, Issy, von wo sie sentimentale, verzweifelte Briefe an Chanvallon, Klagen über Geldmangel an alle Welt schreibt – das alles in den Zwischenpausen neuer sinnlicher Erlebnisse, die nun allerdings, je älter sie wird, desto weniger angenehm erscheinen.

Margot wird dick und wahllos. Sie hält sich einen Hofstaat von Gelehrten und Musikern, Pagen und anderem Mannsvolk, und die bitterbösen Worte des Pamphlets: »Tout est indifférent à ses voluptés et ne lui chaud d'âge, de grandeur ni d'extraction pourvu qu'elle soûle et satisfasse ses appétits et n'en a jusqu' ici depuis l'age de onze ans, dédit à personne« scheinen trotz allen Beschönigungsversuchen Wahrheit.

Warum, fragt man, wird von all dem Klatsch hier erzählt? Weiß man denn nicht, daß es immer leichtsinnige Frauen, aber auch immer Schandmäuler gegeben hat? Nun, es gilt eben eine Legende zu zerstören, mehr noch: den Charakter einer vielgenannten hohen Frau, ihr Lebens- und Liebesgefühl anzudeuten und von der Macht eine Vorstellung zu geben, die diese Frau, trotzdem sie so vielen gehörte, auf Männer immer wieder ausübte, und wie das die Geschicke von Völkern Jahrzehnte hindurch beeinflußte. Ein Beispiel. Sie steckt in Feindschaft und Kriegen mit dem König; der Vorwand ist wie immer der Religionsstreit. Sie wird von Guillaume de Beaufort, Marquis de Canillac, einem finster dreinsehenden Kriegsmann, auf Usson gefangen gesetzt, einer Feste, die Ludwig XI. »fin renard«, wie ihn Brantôme nennt, so sicher gestaltet hatte, daß ein Gefangener dort wenig Hoffnung auf freies Leben haben durfte. Usson wird ein unzugänglicher Ort genannt, wo »seul le soleil pouvait entrer de force«. Nun, Margot weiß manches Hindernis zu besiegen. Gleich tief von Liebe zu ihr erfaßt wie einer seiner Vorgänger, d'Aubiac, der, als er sie sah, ausgerufen hatte: »Könnte ich sie jemals besitzen, so wollte ich in der Stunde darauf mein Leben lassen!« und sie besaß und dafür von dem eifersüchtigen Marquis gehängt wurde – Friedrich Schlegel, der Margaretha ganz merkwürdig sieht, nennt dieses Schicksal sachlich: »sein Wunsch ward in allen Stücken gewährt« – und bis zum letzten Augenblicke ihren Muff küßte, dankbar seinem Schicksal – ebenso in sie verliebt wie dieser Romantiker also wird der finstere Marquis selbst auch der Gefangene seiner Gefangenen. Sie wird ihm wohl die gleiche Gunst geschenkt haben wie manchem anderen, wenn auch der und jener Historiker seine Liberalität der Gefangenen, die nun zur Herrscherin wurde, auf hochpolitische Motive zurückführt. Jedenfalls, Margaretha lebt als Königin auf Usson, betet fleißig, treibt Musik und liebt die Musikanten. Dabei wird sie, während der und jener ihrer Vielgeliebten jung stirbt, immer dicker und fetter. Die schöne Reine Margot hat allerhand Hautkrankheiten, aber sie führt noch rüstig weiter »la vie des débauches«. Nur vergißt sie nicht in die Kirche zu gehen, jetzt ist auch die Zeit, ihre Memoiren zu schreiben oder triste Klagelieder auf den oder jenen ihr zu früh entrissenen Mann. Allmählich haben sich die spottenden rimeurs ihrer Persönlichkeit und ihres Lebens bemächtigt. Herr von Pibrac, ihr Intendant, faßt eine jähe Leidenschaft zu ihr, indes sie es lieber sähe, daß er sich mit ihren Geldangelegenheiten beschäftige, die es allerdings sehr notwendig hatten. Das ist nun einmal einer, den sie verschmäht. Noch ein Jahrhundert später singt man deshalb, da er alle seine Würden vergeblich niedergelegt hatte, um nur der Königin anzugehören, die Verse:

»Reine Margot, Marguerite
Je m'en suis défait
Pour être à vous tout à fait.«

Älter geworden, wendet sie sich, – armseliges Geschick so vieler Frauen, die nicht resignieren können, – zu immer jüngeren Menschen. Und hat sie den einen begraben und eben in großen Gedichten das Gelübde abgelegt, nie mehr einem Mann zu gehören, so dauerts nicht lange, und zwischen den Schlachten des Krieges der Ligue, Verhandlungen mit dem Hof und dem Gemahl, der inzwischen König geworden ist, bezwingt sie der Reiz einer frischen Jünglingsstimme oder die Anmut eines Pagen. Wenn sie aber liebt, so geschiehts mit der Vehemenz einer Achtzehnjährigen. An diesem Leben ändert nichts die Verlassenheit ihres Aufenthalts, die Ungnade, in die sie offenbar gesunken ist, die Geldkalamität, die nicht aufhören will und schließlich so gut wie das einzige Band ist, das sie mit dem königlichen Gemahl verbindet. Die schöne Margot fängt an, einem leid zu tun. Sie spürt wohl auch selbst, wie ihr Lebensweg nach abwärts geht, und bricht ihre Memoiren ab. Freundlich gesinnte Geschichtsschreiber, wie der Verfasser des »Esprit de la Ligue«, meinen, das Beste, was man ihr zu liebe tun könne, ist, den Rest ihres Lebens mit Stillschweigen zu übergehen. Ich, Kind einer weniger mitleidigen Zeit, möchte die Kurve noch ein wenig weiterzeichnen.

Lange schon hatte der König die Ehe geschieden haben wollen. Sie lebten ja nicht zusammen, und trotz mancher wohl zu späten Bemühung konnte Margaretha Frankreich keinen Thronerben schenken. Sie ist nun eben eine jener Frauen, die so viel lieben, daß sie weder Zeit noch Kraft haben, Kinder zu bekommen. Henri IV. stand damals lange unter dem Einflusse der Gabrielle d'Estrées; die wollte er auch heiraten, aber so sehr auch alle Minister eine neue Ehe und zwar eine fruchtbare dem Könige wünschten und rieten, – Gabrielle sollte Margots Platz nicht einnehmen. Mit jener Offenherzigkeit, die der Ton des Jahrhunderts ist und – ich fürchte – manches hier Vorgebrachte brutaler erscheinen läßt, als es wohl war, antwortete de Saucy, ein Ratgeber des Königs, als der ihm seinen Plan, sich von Margaretha scheiden zu lassen um Gabrielle zu ehelichen, mitteilte: »Nein, putain pour putain, aber da ist doch die Tochter Henris II. noch besser als die der Madame Estrées, die im Bordell starb.« Und Margaretha selbst will auch trotz allem Wunsche, dem König gefällig zu sein, für diese Frau nicht in eine Scheidung willigen. Erst als Gabrielle rechtzeitig stirbt und alle Welt schreit, sie sei umgebracht worden – was Mongez Gelegenheit zu dem charakteristischen Worte gibt: »als ob die Großen nie eines natürlichen Todes sterben könnten« – willigt Margaretha von Valois in die Trennung einer Ehe, die längst keine mehr war. So wie man bei der Hochzeit mit dem päpstlichen Dispens ein wenig geschwindelt hatte, so half man sich jetzt. Am leichtesten wäre es gegangen, wenn der König gesagt hätte, was man Jahrzehnte vorher der blutjungen Königin in den Mund legen wollte: »die Ehe sei nie wirklich vollzogen worden«. Zu dem hübsch verlogenen Wort, das Margaretha damals als Antwort bereit hatte – es ist ja schon hier mitgeteilt worden –, liefert nun ironisch Henri IV. das Gegenstück: »Ganz Europa würde«, sagte er, »bei einer so galanten Fürstin und einem für die Frauen so passionierten Manne zweifeln, daß sie beide fähig gewesen seien, de tant de froideur dans l'âge bouillant de la jeunesse.« Die Hitzewelle der Jugend war ja nun allerdings für beide vorbei. Das hindert nicht, daß Margaretha noch einen rechtmäßigen Sohn ihres früheren Gemahls als Dauphin begrüßt, als sie nach langer Verbannung endlich wieder nach Paris darf. »Königin« heißt sie weiterhin, als sie der Krönung später beiwohnt, aber Königin von Frankreich, das ist Margot nie gewesen.

Äußerlich gestalten sich ihre Tage nun, nachdem sie abgedankt hat, besser. Die Geldnot hört auf, die Bürgerkriege, Religionskämpfe, Hofintrigen sind zu Ende gebracht. Sie wird ruhiger – in der Politik. Ihre Lebensführung ändert sie nicht. Der König, der nun – arme Margot! – mitleidige Worte für sie hat, nennt sie milde »peu menagère« und ermahnt sie, endlich aufzuhören aus Tag Nacht, Nacht Tag zu machen. Das tut sie nämlich trotz allen Andachtsübungen immer noch, und ohne Scheinheiligkeit erwidert sie auf diese freundliche Mahnung: Wird schwer gehen. Erstens ists Medicäererbsünde und zweitens alte, eingefleischte Gewohnheit.

Ganz in Form und Stil gerecht ist auch der kleine Witz, den der König macht, als Margaretha endlich nach Paris zurück darf. Er läßt sie an den Pforten der Residenz, in der nun die neue Königin Marie von Medici herrscht, in seinem Namen durch einen alten Bekannten bewillkommnen: durch Herrn von Chanvallon. Margot hält sich ausgezeichnet, sie hat zuviel Geist, um sich gedemütigt zu fühlen, hat wohl auch das Gefühl, ihr Leben gelebt zu haben und dafür nicht zu teuer zu bezahlen. Und das ist wohl die einzige Moral, die sie hatte. Während die zweite Gemahlin Henris IV. blaß ist und zittert, ist Margaretha liebenswürdig, und noch einmal bezwingt ihr Reiz alle Welt. Die Dichter besingen sogar ernsthaft ihre Rückkehr; allerdings, es gibt auch medisante Verse genug, umsomehr, da sie noch immer, noch immer von Abenteuern nicht lassen mag. Alt, krank, jetzt häßlich für alle jene, die nicht im Herzen die Erinnerung und vor den Augen die Illusion der verflogenen Jugend haben, läßt sie sich noch immer von Liebeshändeln umspinnen. Einer ihrer Pagen erschießt den andern, weil der eine gestern, der andere heute ihre Gunst genoß. Margaretha tut ein Gelübde, nichts essen, nichts trinken zu wollen, bevor der Mord gesühnt ist – man schreibt 1606, sie ist dreiundfünfzig Jahre alt, und mehr als vierzig Jahre spielt sie die Künste der Galanterie. Der verliebte, eifersüchtige Junge, der den Mord begangen hat, will nicht um Verzeihung bitten, so muß er sterben. Die bösen Leute behaupten sogar, sie sei so verzweifelt und zornig gewesen, daß sie gerufen habe: »Da, da, meine Strumpfbänder, erwürgt ihn!«, damit diese Liebestat nur möglichst rasch gerächt werde. Gewiß ist, daß sie aus ihrem Palais auszieht, um nicht an den Verlust erinnert zu werden. Und als sie eine neue Liebe hat – nun ist die Zeit für den Stallknecht gekommen – und der Günstling Bajaumont krank ist, darf der König im Gespräch mit den Hofdamen Margarethas, auf die sie übrigens stets eifersüchtig war, spotten: »Betet, daß er wieder gesund wird! Sonst kostets mich ein Haufen Gold, ich muß ihr dann ein neues Haus kaufen!«

Es ist nun wirklich schon arg, wie Margot »sich auslebt«. In ihren Diensten – erzählt ein Zeitgenosse – war dieser arme Bajaumont schwindsüchtig geworden, und als er nun noch in einem Streit verwundet wird, sagt der Arzt zu Reine Margot gerade heraus: »Auf jeden Fall müßt Ihr auf diese Dienste dieses Mannes verzichten. Die Heilung hängt von Euch ab. Er stirbt, wenn Ihr …« Dabei wußte sie schon selbst, wie sie aussah, verglich sich einer »anatomie«, sagte, sie hätte schon eine so lange Nase wie ihr Großvater Francois I., von dem sie übrigens die Vitalität in Liebesdingen geerbt hat. Man kann sich denken, welche »Chansons« nun über sie durch Paris laufen; sie ließ sichs wenig anfechten. Sie ging zur Messe und sündigte weiter. Am Ende ihres Lebens hatte sies wieder mit Musikern, einem Flötenspieler, den man Roi Margot nannte.

Vor ihr stirbt noch der König. 1614 wird sie krank, läßt, unsentimental wie immer, den ersten Stein ihres Grabmals in ihrer Gegenwart setzen. Im gleichen Monat stirbt sie dann. Ein kühler Briefschreiber notiert: »Ich vergaß Ihnen mitzuteilen, daß gestern um elf Uhr abends die Königin Margaretha gestorben ist. M. von Valavez war dort, zu einem letzten Besuch. Ich für meinen Teil verzichte, denn man drängt sich bei der Leichenschau wie bei einem Ballett, und es ist nicht so vergnüglich.« Wie bei einem Ballet! – Das war der Tod. Als sie Hochzeit hielt, tanzte der König Ballett. Dazwischen lag Einiges.

Die Dokumente ihres Lebens sind hier, wenn auch nicht vollständig, was nur ermüdet hätte, gesammelt worden, und ihr erotischer Charakter nachzuzeichnen versucht, weil Reine Margot eine Frauengestalt ist, wie sie die üblen Fanatiker des »Normalen« stirnrunzelnd über unsere »Entartung« nur dem zwanzigsten Jahrhundert zuschreiben wollen. Da ist sie, geboren 1553 und vom Tode bezwungen 1615, die letzte Blüte eines großen und an Anlagen aller Art reichen Geschlechtes: ein Weib, das ohne falsche, oft auch ohne jede Sentimentalität die Freuden der Sinne begehrte und sich eroberte, das unermüdlich nach den vielfältigen Erlebnissen der Erotik suchte. Ein Weib, schön und gebildet und sicherlich nicht »krank«, und hat für sich das Recht in Anspruch genommen, mit so vielen, als ihr Begehren sie trieb, ohne empfindsame Entschuldigungen vor sich selbst alle Möglichkeiten zu genießen von der Sexualität bis zur höchsten ihrer Natur möglichen Leidenschaft. Eine Moral zu ziehen, sie als hehres Beispiel aufzustellen, – das allerdings wäre Torheit.

W. Fred.

 

Als Grundlage der Übersetzung wurde genommen: die französische Ausgabe der Werke Brantômes aus dem Jahre 1823 »Oeuvres complètes du seigneur de Brantôme, accompagnées de remarques historiques. Nouvelle édition, collationnée sur les manuscrits autographes de la bibliothèque du roi, et augmentée de fragments inédits. Tome cinquième. Paris 1823« und die in Jena erschienene Übertragung ins Deutsche, die enthalten ist in der »Allgemeinen Sammlung historischer Memoires vom zwölften Jahrhundert bis auf die neuesten Zeiten, durch mehrere Verfasser übersetzt, mit den nötigen Anmerkungen versehen, und jedesmal mit einer universalhistorischen Übersicht begleitet, herausgegeben von Friedrich Schiller, Hofrat und Professor der Philosophie in Jena. Zweite Abteilung, zehnter Band«. Doch ist an Stil und Rechtschreibung manches geändert worden, damit jedermann ohne Schwierigkeit dieses Kapitel lesen kann, das der Margaretha von Valois den Anlaß gab, ihre – im ersten Bande veröffentlichte – Autobiographie zu schreiben.

 

Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig

 


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