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Die Zeit, in welche uns diese Memoiren versetzen, ist keine sehr entfernte, aber doch ist sie bei weitem nicht so bekannt, als sie es zu sein verdiente. Denn es enthält jene, durch den Namen der Bluthochzeit so furchtbar ausgezeichnete und verworrene, ihrem Zusammenhange und inneren Triebfedern nach schwer zu ergründende Epoche, in mehr als einer Rücksicht den Keim und die Erklärung sogar der neuesten Begebenheiten.
Wer sich diese deutlich zu machen strebt, dessen Nachdenken wird natürlich auf den Charakter der französischen Nation geleitet. Ein Bedürfnis, welches durch die sogenannte, alles nur auf den gegenwärtigen Zweck und Zustand beziehende Staatengeschichte gar nicht befriedigt werden kann; mehr durch die Memoiren, besonders die älteren, wie wohl auch hier eigene Benutzung und Beurteilung erfordert wird.
Über den Nationalcharakter aber, dessen interessanteste Entwicklungsepoche die gegenwärtigen, eben dadurch merkwürdigen Memoiren betreffen, sei es erlaubt, folgende allgemeine Erinnerung voranzuschicken.
Man irrt, wenn man, wie es gewöhnlich geschieht, den Charakter der Nation, so ganz als ein menschliches Naturprodukt betrachtet, das man nur ebenso in seiner aus mannigfaltigen Eigenschaften unauflöslich bestehenden Einheit auffassen, in seiner allmählichen Entstehung verfolgen, aus seinem inneren Zusammenhange erklären könne, wie andere nach aller Charakteristik dennoch unbegreiflich scheinende Individuen der organischen Welt. Zwar gibt es Nationen wie einzelne Menschen, deren Charakter fast gar nicht durch Absicht und Willkür modifiziert, sondern nur ein reines Produkt ihrer eigentümlichen Natur zu sein scheint. Aber nicht mit allen ist dies der Fall, und in der Geschichte keiner Nation ist die absichtliche Behandlung ihrer Sitten und ihrer Denkart so sichtbar als in der der französischen; mit keiner Nation hat man wohl je so willkürliche Veränderungen und äußerst gewagte Versuche vorgenommen als mit dieser; zuerst unter Ludwig XIV., da man ihr in der Mitte der äußersten Geschmacklosigkeit, eine Bildung und Kunst andichten wollte; und dann wieder während der Revolution, da man ihr mit der äußersten Gewaltsamkeit eine Freiheit zu erschaffen suchte.
So notwendig es nun ist, bei der Geschichte einer solchen Nation, die Hauptaufmerksamkeit auf die lenkenden Absichten zu wenden, und so natürlich das Interesse diese Richtung nimmt, so darf es doch auch nicht übersehen werden, daß der Naturcharakter einer Nation, trotz jener absichtlichen Umbildung dennoch immer seine Rechte behauptet; und oft gerade dann, wenn die Willkür am gewaltsamsten zu Werke geht, gleichsam die innersten, verborgensten Triebfedern und Eigenschaften des natürlichen Charakters hervorgetrieben und sichtbar werden. Die Anwendung auf die Revolution gibt sich von selbst, und gewiß wird der Leser der gegenwärtigen Memoiren mehr als einmal nicht bloß an die Schreckenszeit erinnert und zur Parallele aufgefordert werden, sondern auch manches finden, was die neueren Begebenheiten der Zeitgeschichte durch jene älteren wirklich erklärt. Und nicht bloß von dem Terrorismus und den Intrigen der Revolution, auch von der seichten und steifen Eitelkeit, welche die Zeit Ludwigs XIV. bezeichnet, wird man überall Spuren finden.
Nicht so anziehend können diese Memoiren sein als die von der Johanna d'Arc, welche wir vor einem Jahre den Lesern vorgelegt haben, in der Überzeugung, daß die authentische Darstellung einer ebenso einzigen als herrlichen Erscheinung ohne weitere Beziehung ein allgemeines Interesse haben müsse. Ungleich belehrender aber können die Memoiren der Margaretha von Valois für denjenigen sein, der sie mit Aufmerksamkeit liest.
Die Geschichte der Johanna kann nur noch den Eindruck machen wie ein Gedicht; so ganz fremd ist sie der jetzigen Zeit, daß selbst die Möglichkeit eines solchen Enthusiasmus auf diesem Boden zweifelhaft erscheinen muß. Die Epoche aber, in welche Margaretha uns einen so tiefen Blick tun läßt, liegt unsrer Zeit näher. Die Geschichte dieses brutalen Karl IX., dieser ruchlosen Katharina von Medizis, alle diese eitlen und kleinen Menschen, unter denen Heinrich IV. als ein großer Mann erscheinen konnte; diese allgemeine Verwirrung, diese offenbaren Greuel, innere Schlechtigkeit und Niedrigkeit in den engen Raum zusammengedrängt; das ist wie ein verworren-verschlungenes, aber sich selbst deutlich aussprechendes Bild, wo alle die unwürdigen Intrigen, die uns jemals hier zum Unheil und zur Eitelkeit ersonnen wurden, in einen Brennpunkt zusammentreffen, so wie auch alle die Entsetzlichkeiten, wodurch die Geschichte dieser Nation, selbst in den neuesten Zeiten noch, das Erstaunen der Beobachter erregte.
Den Verstand und Stil der Margaretha wird das Buch selbst am besten kennen lehren. Auch werden ihre Memoiren wie ihre Geschichte es deutlich machen, warum diese Königin, mit so großen Ansprüchen geboren, mit dieser ausgezeichneten Bildung und allbewunderten Schönheit, ebenso talentvoll und verführerisch wie ihre Jugendfreundin Maria Stuart, und nur auf eine andere Art auch ebenso unglücklich; warum sie mit allen diesen Vorzügen begabt, dennoch keine größere Rolle in der Geschichte gespielt hat.