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Vierzehntes Kapitel

Als Adeline von Elbeuf nach Paris zurückgekehrt war, hatte er einige von denen ausgesucht, welche ihm seiner Zeit Geschäfte vorgeschlagen hatten; aber man bringt es nicht fertig, von heute auf morgen aus einem vorsichtigen Kaufmann in einen spekulierenden Schwindler sich zu verwandeln, insbesondre wenn man sich die Freiheit, seine Auswahl zu treffen, vorzubehalten gedenkt. Unlängst hatte man ihn aufgesucht und angegangen; als er nun seinerseits sich anbot, hatte man ihn mit einem gewissen Mißtrauen angehört. Was hatte dieser Umschlag zu bedeuten? War er denn nicht mehr der, für den man ihn gehalten hatte? Was dann? Da er die Gelegenheit verpaßt hatte, mußte er es der Zeit überlassen, für neue zu sorgen, er mußte abwarten.

Das stimmte zu sehr mit der Logik der Dinge überein, als daß Adeline sich darüber gewundert hätte; er war nie so naiv gewesen, sich einzubilden, daß er sich bloß zu zeigen brauche, damit alle Thüren sich vor ihm aufthäten, und daß diejenigen, welche beim Mahle saßen, sich glücklich schätzten, ihm seinen Anteil am Dessert zu geben. Für Berthas Hochzeit war kein bestimmter Tag festgesetzt worden und einige Monate, einige Wochen mehr oder weniger hatten nichts zu bedeuten; der Ausspruch des Vater Eck, an den er sich nur lächelnd erinnern konnte, gewährte ihm Sicherheit: »Ich war mit meiner Frau fünf Jahre lang verlobt, und als wir uns heirateten, hätte ich nötigenfalls noch länger gewartet.«

Mit den fünfzigtausend Franken des Vicomte hatte er die dringendsten Wechsel des Hauses gedeckt; bevor andre fällig wurden, hatte er Zeit, seine Maßnahmen zu treffen, und es war wahrscheinlich, ja sicher, daß bis dorthin die Sache Bouteillier geordnet war. Dann wollte er die fünfzigtausend Franken zurückerstatten, denn die Rückzahlung einer derartigen Schuld durfte nicht verzögert werden. Nachdem ihm das Geld erst in so zuvorkommender Weise angeboten worden war, drückte ihn diese Schuld allerdings nicht sehr; aber er hatte doch das sonderbare, unerklärliche Gefühl, daß mit der Rückzahlung ihm ein Stein vom Herzen fallen werde.

Unglücklicherweise verliefen aber die Dinge in dieser Beziehung nicht, wie er es gehofft hatte, die Bouteilliersche Angelegenheit kam nicht in Ordnung, ganz im Gegenteil, und nach mehreren Gläubigerversammlungen, die, je häufiger sie aufeinander folgten, um so stürmischer verliefen, wurde auf Antrag einiger Gläubiger, welchen der von den Bouteilliers getriebene Luxus allzulange ein Dorn im Auge gewesen, der Konkurs erklärt. Der Schlag war für Adeline furchtbar gewesen, für ihn, der besser als irgend jemand das Konkursverfahren kannte. Wieviel würde die erste Rate betragen und wann würde man sie erhalten?

Er mußte sich daher nach einem andern Auswege umsehen, was in seiner Lage schwierig war; denn obgleich der Vicomte niemals die leiseste Anspielung wegen seines Darlehens gemacht hatte, so war doch klar, daß dasselbe nicht als eine Geldanlage von längerer Dauer, an welcher der Gläubiger ebensogut wie der Schuldner ein Interesse hat, betrachtet werden konnte; es war eine Gefälligkeit, nichts weiter.

Während er überlegte, wie er sich am schnellsten aus dieser unangenehmen Lage herauswickeln könne, glaubte er die Bemerkung zu machen, daß der Vicomte weniger ungezwungen, weniger heiter, weniger offen mit ihm verkehrte. Die Ursache dieses veränderten Benehmens war nicht allzu schwer zu erraten; er war erstaunt, daß er das Geld noch nicht zurückerhalten hatte; er war ärgerlich darüber.

Wer in jungen Jahren mit Not gekämpft hat, hat gelernt, sich wegen Schulden nicht zu beunruhigen und mit seinen Gläubigern sich abzufinden und sie, wenn das Geld fehlt, mit Versprechungen zu vertrösten. Aber das traf bei Adeline nicht zu; er war als ein vermögender Mann in die Welt getreten und fast fünfzig Jahre alt geworden, ohne jemand einen Sou schuldig zu sein. Wenn der Vicomte ihm gegenüber ein etwas gezwungenes Wesen an den Tag legte, so kam er dem Vicomte gegenüber geradezu in Verwirrung, weil er nicht wußte, wie er sich benehmen sollte, und keine Worte fand und sich selbst seines Stillschweigens schämte. Warum hatte er denn nicht den Mut, an die Frage kurzweg heranzutreten und sich offen zu erklären: »Denken Sie nicht, daß ich Sie vergesse, allein die Außenstände, auf welche ich rechnete, gehen nicht ein, aber bald ...?« Dieses »bald« war es, was ihm den Mund verschloß; er hatte niemals eine Verbindlichkeit eingegangen, ohne sie zu erfüllen, wie er niemals ein Versprechen gegeben hatte, das er nicht ernst nahm. Welche Verbindlichkeit konnte er denn eingehen, welches Versprechen konnte er denn geben, wenn er selbst nicht wußte, zu welchem Zeitpunkte er in der Lage sein werde, jene fünfzigtausend Franken zurückzuzahlen? Bald, ohne Zweifel, vielleicht heute oder morgen; aber dieses »bald« konnte er noch nicht in ein bestimmtes Datum übersetzen.

So lagen die Dinge, als eines Abends nach einem Diner bei Raphaëlla der Vicomte ihn unter dem Arm faßte und wie am Tage, an dem er ihm die fünfzigtausend Franken angeboten hatte, ihn nach der Rue Tronchet zu begleiten sich erbot.

»Machen Sie keinen Umweg,« sagte Adeline, welcher der ihm drohenden Unterhaltung entgehen wollte, »es ist kalt heute abend.«

»Ich habe dort zu thun.«

»Dann wollen wir rasch gehen,« sagte Adeline.

Und um dies Wort, welches seinen Lippen entschlüpft war, ohne daß er Zeit hatte, es zurückzuhalten, zu erklären, fügte er bei: »Damit wir uns warm laufen.«

Der Vicomte ging neben Adeline, gesenkten Hauptes, schweigend, in der Haltung eines Verliebten, der sich nicht zu erklären wagt, oder besser in der eines ehrerbietigen Sohnes, der seinem Vater ein heikles Geständnis zu machen hat.

Endlich entschloß er sich: »Sie sehen mich in großer Verlegenheit, mein lieber Herr Abgeordneter.«

Adeline mußte wohl oder übel etwas erwidern: »Meinetwegen?«

»Allerdings, weil Sie es sind, an den ich mich wende. Ah! Wenn es ein andrer wäre! Aber Sie, für den ich solche Hochachtung, so große Freundschaft, erlauben Sie mir den Ausdruck, hege – ich bin ganz verwirrt.«

»Aber sprechen Sie doch, ich bitte ... mein lieber Freund.«

Trotz dieses ermutigenden Zuspruchs trat abermals Stillschweigen ein.

»Verzeihen Sie meine Kühnheit,« sagte er, »ich leide darunter und schäme mich, etwas zu thun, was nicht zulässig erscheint; denn nichts ist unzulässiger, als an einen Dienst zu erinnern, den man einem Freunde zu leisten das Vergnügen gehabt hat. Mit einem Worte, es handelt sich um die fünfzigtausend Franken, welche anzunehmen Sie mir vor einiger Zeit die Ehre erwiesen haben ... ich hätte sie nötig ...«

Es trat eine Pause ein.

»Oh, nicht heute abend,« beeilte er sich lachend beizufügen, »auch nicht morgen, aber in einer Frist, welche Sie selbst bestimmen mögen, wenn anders es Ihnen paßt.«

Das Gefühl der Verwirrung und Erniedrigung war ein grausames für Adeline, und obgleich er sich oft den Augenblick, wo diese Frage gestellt werden würde, vergegenwärtigt hatte – daß er so peinlich sein werde, hatte er nie gedacht.

»Es ist an Ihnen, mir zu verzeihen,« sagte er, »ich hätte Ihnen schon längst jenes Geld zurückgeben sollen, allein es sind gewisse Umstände eingetreten ... ich habe auf Geschäfte gerechnet, aus denen nichts geworden ist, auf Außenstände, die nicht eingegangen sind, kurz, ich habe gewartet, aber weil Sie es brauchen ...«

Der Vicomte fiel ihm ins Wort: »Ich wäre nicht aufrichtig, ich wäre nicht Ihrer Freundschaft wert, wenn ich Ihnen nicht sagte, wie es kommt, daß ich des Geldes bedarf – das möge meine Entschuldigung sein, wofern es eine für mich gibt.«

»Ich bitte Sie.«

»Ich meinerseits bitte Sie, mich anzuhören. Sie wissen, wie wenig ich mich um Geldsachen kümmere; das kommt vielleicht daher, daß ich kein Vermögen habe, was man so heißt ein fundiertes Vermögen. Mein Vater hat drei oder vier durchgebracht und ich selbst habe das, welches ich von meiner Mutter erbte, stark angegriffen. Ich rechnete auf dasjenige meiner Tante aus dem südlichen Frankreich, aber Sie wissen, wie es an meine Schwester überging. Nun lebe ich von dem, was mir übrig geblieben ist, und es kommt mir oft genug vor, daß ich mich in Geldverlegenheit befinde. Dies ist gegenwärtig der Fall. Unter diesen Verhältnissen wäre ich sehr froh, wenn ich mein Einkommen vergrößern könnte, und da sich gerade eine Gelegenheit bietet, einiges Geld in einem ausgezeichneten Geschäfte anzulegen, es zu verdreifachen, zu vervierfachen, ist mir der Gedanke gekommen, mich an Sie zu wenden.«

»Morgen sollen Sie Ihr Geld haben,« erwiderte Adeline, der entschlossen war, sich die fünfzigtausend Franken um jeden Preis zu verschaffen.

»Morgen, mein lieber Herr! Wer spricht denn von morgen? Halten Sie mich eines derartigen Verfahrens für fähig? Das Geschäft, von welchem ich Ihnen sagte, ist noch nicht gemacht, es ist erst in Erwägung gezogen, und es genügt mir, zu wissen, daß ich an einem bestimmten Tage, welchen Sie festsetzen mögen, mein Geld bekomme. Das ist alles, um was ich Sie bitte. Niemals, glauben Sie es zu meiner Ehre, würde ich weiteres verlangt haben.«

Adeline atmete auf.

»Ich will nachsehen, welche Wechselverpflichtungen ich habe, und werde Ihnen morgen jenen Tag bezeichnen, oder was noch besser ist, ich werde Ihnen einen Wechsel zuschicken.«

Aber der Vicomte wollte nichts von einem Wechsel wissen. Stellte man in seinen Kreisen Wechsel aus? Nur ein Wort, das genügt. Darauf blieb er plötzlich stehen und rief, auf einen andern Gegenstand überspringend, aus: »Mir kommt ein Gedanke: Warum wollen Sie selbst das Geschäft nicht machen?«

»Welches Geschäft?«

»Meines.«

»Ich habe keine Mittel verfügbar.«

»Für Sie würde es sich nicht darum handeln, Geld einzuschießen, im Gegenteil.«

»Ich begreife nicht.«

»Ich habe mich mit Ihnen verschiedene Male über die Notwendigkeit der Gründung eines neuen Klubs unterhalten und Ihnen dargethan, wie nützlich dieselbe in jeder Beziehung wäre. Diese Idee ist nicht meinem Kopfe entsprungen, sie liegt in der Luft und viele andre außer mir haben sie gehabt, wie dies im allgemeinen immer so zu gehen pflegt. Allein die Gründung eines Klubs in Paris ist ein so bedeutendes Unternehmen, daß ich mich nicht allein damit befassen konnte. Zunächst bedarf es einer Ermächtigung und ich will von der Regierung nichts erbitten. Dann bedarf es großer Mittel, die ich nicht habe. Haben Sie eine kleine Vorstellung davon, wie groß diese Mittel sein müssen?«

»Durchaus nicht; Sie wissen, daß ich von diesen Dingen nichts verstehe.«

»Nun wohl, es ist nahezu eine Million nötig. Wissen Sie, daß der Jockeyklub an Miete hundertdreißigtausend Franken, der landwirtschaftliche Klub neunzigtausend Franken, der Cercle impérial zweihunderttausend Franken, die Cremerie fünfundvierzigtausend Franken, die Mirlitons siebzigtausend zahlen? Im Jockeyklub kosten die Gehälter des Personals sechzigtausend Franken, im Ganacheklub fünfzigtausend Franken; im Jockeyklub beziffert sich der Verlust auf die Tafel auf vierzigtausend Franken, im Unionklub auf fünfzehntausend Franken. Die Kosten der ersten Einrichtung betragen nicht weniger als dreihunderttausend Franken und diese Summe genügt noch nicht, denn die Kasse muß ansehnliche Fonds haben, aus welchen man den Spielern Darlehen machen kann; darin liegt der Erfolg. Ein Spieler, der fünfhunderttausend Franken bei der Diskontobank oder sonstwo liegen hat, zieht, wenn er spielen will, keine Tausendfrankscheine aus seiner Tasche, sondern er leiht bei der Klubkasse. Es muß daher dafür gesorgt werden, daß in dieser Kasse nie Ebbe ist, sonst geht das Spiel nicht flott vorwärts, und die Leute gehen nur dahin, wo es flott, toll zugeht. Ich gestehe ohne Erröten ein, daß ich diese Million nicht habe. So beabsichtigte ich denn denen, welche die Sache einfädeln wollen und die diese Million auch nicht haben, das Geld, über welches ich verfüge, zu bringen. Deshalb habe ich Ihnen meine Bitte vorgetragen. Aber jetzt nehme ich dieselbe zurück und stelle dafür eine andre: Nehmen Sie die Gründung des Klubs in die Hand, eines Klubs, der, wie ich es mir ausdachte, das Spiel versittlichen und seinen Teil dazu beitragen soll, Paris sein glänzendes Leben wieder zu verschaffen; stellen Sie das Gesuch um die Erlaubnis, sie kann einem Manne wie Ihnen nicht abgeschlagen werden; seien Sie sein Präsident.«

»Ich!«

»Gewiß, Sie, Constant Adeline, dessen Ehrenhaftigkeit und hervorragende Stellung, die er in der Industrie, im Handel, in der Politik einnimmt, man kennt, und Sie werden um Ihren Namen fünfhundert Personen vereinigen, die« – er zögerte einen Augenblick nach einem Ausdrucke suchend – »stolz auf die von Ihnen gegebene Anregung sind. Sie sprachen dieser Tage von großen Geschäften, die Sie unternehmen wollten – der Umstand allein, daß Sie den Vorsitz übernehmen, wird zur Folge haben, daß sie Ihnen zufliegen, und Sie brauchen ihnen nicht nachzulaufen. In der Politik spielen Sie eine Hauptrolle und man muß mit Ihrem Einflusse rechnen.«

»Aber mir geht alles ab, um in einem Pariser Klub den Präsidenten zu spielen, mir, dem größten Provinzialen.«

»Eben bei den Leuten aus der Provinz findet sich heutzutage die erste Eigenschaft, die erforderlich ist, um in einem Pariser Klub Präsident zu sein.«

»Welche?«

»Die Rechtlichkeit. Was viele Leute von den Klubs fernhält, ist die Furcht, bestohlen zu werden. Wenn man sich zu seinem Vergnügen an einen Spieltisch setzt, dann ist es nicht nach jedermanns Geschmack, den Polizeidiener zu machen und seinen Nachbarn auf die Finger zu sehen; mit einem Präsidenten, wie Sie, an der Spitze eines Klubs, hätte man volle Sicherheit und deswegen allein schon wäre der Erfolg jenes Klubs gesichert. Beim Spiel wird nur da gestohlen, wo sich Helfershelfer finden.«

»Wenn ich diese Eigenschaft besitze, so geht mir doch alles andre ab, und wäre es auch nur die Zeit.«

»Gewiß würde Ihnen diese Präsidentschaft eine gewisse Zeit wegnehmen, aber nicht so viel als Sie glauben mögen; übrigens würde man Ihre Zeit nicht in Anspruch nehmen, ohne Ihnen dagegen eine Schadloshaltung zu bieten. Solche Funktionen werden bezahlt; es gibt Präsidenten, die dreitausend Franken monatlich erhalten, das ist schon etwas.«

Sie waren beim Hause Adelines angekommen.

»Adieu!« sagte dieser.

Aber der Vicomte ließ ihn nicht los: »Schenken Sie mir noch einige Augenblicke,« sagte er, »der Vorschlag verdient, ich versichere Sie, ernstlich in Erwägung gezogen zu werden.«


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