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Von der Stelle aus, wo sie mitten im Walde stehen geblieben waren, erblickten sie kleine bläuliche Rauchsäulen, die durch die kahlen Aeste der großen Bäume gerade in die Höhe stiegen.
»Da sind wir,« sagte Adeline, »ich werde nachsehen, was die Holzfäller schaffen, und dann wollen wir sogleich nach Elbeuf zurückkehren, so daß ich noch heute abend zu Herrn Eck gehen kann.«
Im Walde vernahm man Axthiebe und von Zeit zu Zeit das Brechen der Aeste und dumpfes Dröhnen der erzitternden Erde, wenn ein großer Baum gefällt worden.
»Das sollte Geld einbringen,« sagte er, als er in den Schlag kam, wo die Holzfäller arbeiteten, »unglücklicherweise sind die Holzpreise jetzt so gedrückt.«
Die Arbeit seiner Leute hatte er schnell besichtigt, und sie kehrten rasch nach dem Schlosse zurück, wo sogleich die Pferde angespannt wurden. Es war noch nicht drei Uhr, sie konnten vor Einbruch der Nacht in Elbeuf sein.
Auf der ganzen Heimfahrt stellte Adeline von neuem die Bilanz auf, welche er heute morgen auf dem Herwege gezogen hatte; nur stellte er sie in entgegengesetztem Sinne auf. Bei dem Herweg nach Thuit stand alles in Frage, bei dem Heimweg nach Elbeuf lag die Sache nicht mehr verzweifelt, weit entfernt. Er häufte Beweis auf Beweis, um darzuthun, daß, wenn er Zeit gewänne, er die Mitgift, die er dem Vater Eck in Aussicht stellen müsse, werde beschaffen können.
»Sie wird vielleicht keine solche sein, wie er meint, aber schließlich genügen, daß er sich nicht zurückziehen kann. Du wirst sehen, mein Herz, du wirst sehen.«
Und er zählte ihr auf, was sie noch zu sehen bekommen werde. Nicht nur die Lage des Elbeufer Hauses würde eine günstigere werden, auch in Paris hatte man ihm vorgeschlagen, bei großen Unternehmungen sich zu beteiligen, wobei er mit seinen kaufmännischen Kenntnissen gute Dienste leisten konnte; er hatte stets abgelehnt, weil er sich bei allem, was Spekulation hieß, abseits halten wollte. Jetzt werde er auf die Vorschläge eingehen, die Zeit der Skrupel war vorbei; jene Geschäfte waren ehrenhafte, aus übertriebenem Zartgefühl, auch aus Liebe zur Ruhe und Unabhängigkeit hatte er sich nicht damit befassen wollen; jetzt werde er nicht mehr an sich denken, sondern nur an sie; die erste Pflicht eines Familienvaters sei, für das Glück seiner Kinder zu sorgen, es gäbe keine heiligere Pflicht als diese. Zu wiederholten Malen auch war sein Name bei Aufstellung neuer Ministerlisten genannt worden und stets war er aus Liebe zur Ruhe und Unabhängigkeit zurückgetreten. Jetzt werde er zugreifen: Tochter eines Ministers, das war ein Titel, welchen man der Morgengabe beifügen konnte.
Bertha hörte, mit den Augen am Munde ihres Vaters hängend, zu; ihr gepreßtes Herz erleichterte sich, die Hoffnung, der Glaube an die Zukunft kehrten ihr zurück; er konnte sich unmöglich täuschen und würde das, was er sagte, ausführen, was er versprach, würde sich verwirklichen. Sie lebte wieder auf. Gehörte sie auch zu den Geldmenschen oder war sie uninteressiert? Sie wußte es nicht, da sie sich niemals mit diesen Fragen beschäftigt hatte. Aber der Schlag, der sie heute morgen getroffen, hatte sie niedergeschmettert, und eben um nicht ihre innere Aufregung zu verraten, hatte sie darauf bestanden, ihre zwei Patchen am Tische bei sich zu haben. Indem sie sich mit ihnen beschäftigte, konnte sie nicht an sich selbst denken.
Als Frau Adeline sie ankommen sah, war sie über diese baldige Rückkehr erstaunt, da sie sie erst zum Diner erwartet hatte.
»Schon!«
Das konnte nur ihre Ungeduld vergrößern, zu erfahren, was zwischen dem Vater und der Tochter verhandelt worden war; aber so großes Verlangen sie danach hatte, war es ihr unmöglich, ihren Mann zu fragen, da die Mama in ihrem Sessel dabei saß.
»Wie durchnäßt du bist!« sagte sie, ihn betrachtend, »du mußt die Schuhe wechseln, ich werde mit dir hinaufgehen.«
Sobald sie in ihrem Zimmer waren, schloß sie die Thüre.
»Nun?«
»Sie liebt ihn.«
»Sie hat es dir gesagt?«
»Mehr als das; sie hat es nicht bloß gesagt, sie hat es mir mit einem Aufschrei des Schmerzes bekannt, als sie hörte, daß sie nicht seine Frau werden könne.«
»Ist es möglich!« rief sie voll Entsetzen aus.
»Du mußt dich daran gewöhnen, in ihr kein Kind mehr zu sehen, sie ist ein junges Mädchen.«
Er berichtete alles, was zwischen Bertha und ihm gesprochen worden war.
»Und nun?« fragte Frau Adeline ganz außer Fassung.
Er setzte seine Pläne auseinander.
»Und nachher? Wenn wir Zeit gewonnen haben, erscheint die Heirat gesichert?«
»Erleichtert.«
»Ich bitte dich, Constant, überlege wohl, bevor du das Leben, das du bis auf diesen Tag geführt, aufgibst. Du bist nicht der Mann, um dich in Spekulationen einzulassen, du bist zu gerade, zu ehrlich.«
»Glaubst du, daß ich mich in abenteuerliche Spekulationen stürzen und nicht alle Vorsichtsmaßregeln treffen werde?«
»Und du, glaubst du denn nicht, daß die Spitzbuben den ehrlichen Leuten über sind? Du würdest der erste sein, der trotz seiner Intelligenz und Klugheit sich betrügen und in den Strudel reißen ließe.«
»Soll ich denn nichts thun? Sei versichert, daß ich mich nur auf sichere Geschäfte einlassen werde.«
»Die sicheren Geschäfte sind es nicht, die großen Gewinn abwerfen.«
»Nun, ich verspreche dir, nichts zu unternehmen, ohne dich zu Rate zu ziehen; ich habe Hunderte von Gelegenheiten verpaßt, die uns ein stattliches Vermögen eingebracht hätten, ich will diejenigen benutzen, die sich von jetzt ab darbieten, das ist alles.«
»Die Zeit der schönen Gelegenheiten ist vorbei, du weißt es besser als ich.«
»Ich will zum Vater Eck gehen,« sagte er, um diese Bemerkungen kurz abzuschneiden, »sich Zeit zu nehmen, verpflichtet zu nichts.«
Adeline traf Bertha auf dem Vorplatze. Sie sagte nichts zu ihm, aber indem sie ihn umarmte, hielt sie seine Hand mit einem Drucke gefaßt, in welchen sie alle ihre Hoffnungen und zugleich ihre innige Erkenntlichkeit zu legen suchte.
Die Fabrik der Eck und Debs liegt nicht in dem alten Elbeuf, sondern in dem neuen, welches an Caudebec grenzt, da, wo weite Flächen nach dem Kriege die Errichtung eines industriellen Etablissements ermöglichten, derart, wie es heute gebräuchlich ist: isoliert, bequem zugänglich, frei gelegen, auf festem Untergrunde über leicht zu erreichendem Grundwasser, welches für das Waschen der Wolle, zum Entfetten und Walken der Stücke Tuch ausreicht. Sie ist aus roten und weißen Backsteinen erbaut und bildet ein ganzes Häuserviertel zwischen vier sich rechtwinklig schneidenden Straßen. Nach dreien dieser Straßen hin ragen hohe, von breiten Glasfenstern durchbrochene Mauern auf und nach der vierten zu öffnet sich, zwischen den Comptoirs und den Lagerhäusern, über welchen die Privatwohnung des Herrn Eck liegt, das große Thor, welches einen Einblick in einen viereckigen Hof gewährt, in dessen Hintergrund der Balancier der Dampfmaschine seine beiden Arme hebt und senkt.
Als Adeline am Thore ankam, war es schon lange dunkle Nacht, aber durch die Fenster fielen breite Lichtstrahlen, welche die Straßen weithin erhellten. Die Webstühle klapperten, die Spindeln drehten sich, aus dem Hofe erscholl das Geräusch der arbeitenden Maschinen und in dem Abzugsgraben floß ein Bächlein milchigen, rauchenden Wassers.
Als Adeline die Thüre des Comptoirs öffnete, sah er den Vater Eck und um ihn her seine zwei Söhne und einen seiner Neffen, über ihre Pulte gebeugt, arbeiten.
»Welche Stärke liegt doch in der Vereinigung!« sagte er, dem Vater Eck die Hand drückend und die jungen Leute freundlich grüßend.
»Die andern sind in der Fabrik,« sagte der Vater Eck, »auf ihrem Posten.«
Vor den jungen Leuten wollte Adeline für seinen Besuch einen Vorwand haben: »Ich komme, um Ihre feststehenden Webstühle anzusehen, meine Frau hat mir gesagt, daß Sie damit zufrieden seien.«
»Sehr zufrieden: ich werde Michel rufen lassen, damit er sie Ihnen zeige, das ist seine Sache.«
Er drückte auf den Knopf einer elektrischen Klingel und Michel kam sofort. Als er Adeline gewahrte, hielt er einen Moment überrascht und unschlüssig an.
»Herr Ateline ist da, um unsre feststehenden Webstühle zu besichtigen,« sagte der Vater Eck.
Während Michel Adeline und seinem Onkel folgte, fragte er sich, ob wirklich der Wunsch, die feststehenden Webstühle zu sehen, der Grund dieses Besuches sei. Das wäre recht befremdlich nach dem Antrage, der tags zuvor an Frau Adeline gestellt worden war. Aber so beklommen es ihm ums Herz war, blieb ihm doch nichts übrig, als abzuwarten.
Den Erklärungen, welche er Adeline über die von ihm an den Webstühlen angebrachten Verbesserungen gab, mangelte es an Klarheit; seine Gedanken waren anderswo.
Glücklicherweise kam ihm sein Onkel zu Hilfe: »Sie sehen, mein lieber Herr Ateline, wie mit zweihundert Spindeln diese Stühle fast ebensoviel leisten, als die alten Maschinen mit vierhundert Spindeln.«
Wenn übrigens Michel, während er sprach, zerstreut war, so war es Adeline nicht weniger, während er zuhörte; der eine wußte nicht recht, was er sagte, der andre dachte kaum an das, was er hörte.
»Er ist wirklich ein flotter Bursche,« sagte sich Adeline, indem er Michel betrachtete, »ich habe den jungen Mann noch nie so hübsch gefunden.«
»Er macht durchaus kein Gesicht, das mir Ungünstiges weissagt,« dachte Michel, indem er Berthas Vater verstohlen anblickte.
Und immerzu drehten sich schnurrend die Spindeln, während der Vater Eck die von seinem »kleinen« Michel erfundenen Verbesserungen rühmte.
Schließlich verließen sie die Webstühle und Spinnmaschinen, und während Adeline und der Vater Eck nebeneinander hergingen, blieb Michel zurück, um sich unsichtbar zu machen. Es war klar, daß man sich in seiner Gegenwart nicht aussprechen werde, es war daher das beste, sie miteinander allein zu lassen.
Als sie durch eine der Werkstätten schritten, nahm der Vater Eck einen Streifen Tuch, der in kleine Vierecke von verschiedener Farbe eingeteilt war.
»Was sagen Sie dazu?« fragte er.
Es war dies ein Streifen von Mustern, welche die Fabrikanten von Nouveautés zur Probe anfertigen, um das ihnen zusagende Muster herauszusuchen.
»Ich sage, daß Sie mich damit tot machen werden.«
Die Vater Eck stieß Adeline mit dem Ellbogen an, reckte sich gegen ihn in die Höhe und sagte, die Hand vor den Mund haltend, um von dem Arbeiter, an dem sie vorbeigingen, nicht gehört zu werden: »Sie tot machen, wir, o nein, im Gegenteil.«
Sie kamen auf den Hof hinaus.
»Sie wollen mit mir sprechen, nicht wahr?« fragte der Vater Eck.
»Ja.«
»Die Webstühle waren ein Vorwand: ich will Sie in mein Büreau führen.«
Wenn Adeline zu zaudern pflegte, um zu einem Entschlusse zu gelangen, so that er dies nie, wenn es galt, ihn auszuführen.
»Meine Frau hat mir Ihren Antrag mitgeteilt,« sagte er, sobald sie sich in dem Arbeitszimmer des Vater Eck niedergelassen hatten, »und wir fühlen uns dadurch sehr geehrt.«
»Ich, wir sind es, die sich durch die Verbindung mit Ihrer Familie geehrt fühlen, Frau Ateline muß Ihnen gesagt haben, daß dies das Ziel meines Ehrgeizes ist.«
»Ich wollte Ihnen gern eine bestimmte und unsern Gefühlen entsprechende Antwort bringen. Meine Frau und ich sind diesem Heiratsprojekte günstig gestimmt ...«
»Ah, mein teurer Herr Ateline!«
»Unglücklicherweise aber sind wir gezwungen, wegen meiner Mutter große Rücksichten zu nehmen. Sie kennen ihre Strenge in religiösen Fragen.«
»Ich weiß von meiner Mutter her, was diese Strenge zu bedeuten hat, und ich gestehe Ihnen, daß ich mit ihr über diese Heirat nicht einmal gesprochen habe. Für uns nicht weniger als für Sie stellen sich derselben Schwierigkeiten entgegen, denn es ist das erste Mal, daß einer von uns eine Christin zu heiraten gedenkt. Ich selbst konnte mich nur mit Rücksicht auf Michels Liebe entschließen. Sie wissen ja, was Vorurteile, Tradition und Stolz für eine Rolle spielen!«
»Sie werden daher verstehen, daß wir zögern, bevor wir mit meiner Mutter davon sprechen; wir müssen Vorsichtsmaßregeln gebrauchen, Vorbereitungen treffen, sonst laufen wir Gefahr, uns einem formellen ›Nein!‹ auszusetzen.«
»Ich verstehe.«
»Es ist auch gut, daß die jungen Leute sich besser kennen lernen; meine Tochter ist erst achtzehn Jahre alt und ich habe immer gewünscht, sie nicht zu jung zu verheiraten.«
»Bei uns, Sie wissen, heiratet man jung; meine Mutter hat sich mit fünfzehn Jahren verheiratet.«
»Kurz, ich bitte, daß Sie uns Zeit lassen.«
»Oh! versteht sich! Unsre jungen Leutchen können warten; ich, ich war auch fünf Jahre lang mit meiner Frau verlobt und hätte nötigenfalls noch länger gewartet.«
Er sagte das mit seinem gutmütigen Lachen.
In diesem Augenblicke vernahm man, wie eine Hand die Thüre des Arbeitszimmers aufklinkte.
»Draußen bleiben, draußen bleiben!« schrie Herr Eck, »draußen bleiben, was?!«
Trotzdem öffnete sich die Thüre und herein trat eine kleine, in Schwarz gekleidete Alte, ein Tuch um die Schultern, die Stirne von einem Samtstreifen, der unter der Elsässer Haube hervorschaute, verdeckt; in ihrem faltenreichen Gesichte lag ein Zug von Härte und gebieterischer Strenge, der aber durch einen Ausdruck von Leutseligkeit etwas gemildert wurde. Es war die alte Frau Eck.
»Ich glaubte, es sei ein Commis!« rief der Vater Eck aus, indem er sich rasch erhob und ihr mit allen Zeichen des Bedauerns und der Achtung entgegenging.
»Es ist gut,« sagte sie, »es macht nichts.«
Und sie wandte sich sogleich an Adeline: »Ich habe vernommen, daß Sie im Hause seien, und bin herabgekommen, um Ihnen meinen vollen Dank auszudrücken für die Worte, die Sie am Grabe meines Schwiegersohnes gesprochen haben; ich wollte es schon lange thun, aber Sie wissen, daß ich nicht ausgehe. Verzeihen Sie mir, daß ich Sie gestört habe; ich überlasse die Herren ihren Geschäften.«
Und sie ging stolz und ihre kleine, gebeugte Gestalt in die Höhe richtend hinaus.
»Ah! Herr Ateline, Herr Ateline,« rief der Vater Eck aus, als die Thüre sich wieder geschlossen hatte, »das, was meine Mutter soeben Ihnen zuliebe gethan hat, habe ich sie noch nie für jemand thun sehen. Die Sache steht gut, die Sache steht gut!«