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Fünfter Akt

Ein Gemach im Schlosse.
Arkel, Golo und der Arzt in der Ecke des Zimmers, Melisande liegt ausgestreckt auf dem Bett.

Der Arzt

Sicher nicht durch diese unscheinbare Wunde findet sie den Tod; nicht ein Vöglein stürbe daran nimmermehr seid Ihr schuld an ihrem Tod, gnädigster Herr; darum bekämpfet Euren Gram ... auch ist's noch nicht gesagt, daß sie nicht am Leben bleibt ...

Arkel

Nein, nein, auf uns lastet unwillkürlich ein zu ängstliches Schweigen, ein düsteres Zeichen ... Seht nur hier, wie sie da schläft ... regungslos, regungslos ... ihre Seele erstarrt für ewige Zeit ...

Golo

Schuldlos traf sie mein Schwert! Oh, das könnte wohl starren Felsen Tränen entlocken! ... Sie liebkosten sich harmlos nach kleiner Kinder Art ... wie Geschwister es tun ... Und ich ... ohne Besinnung! ... Wider Willen hab ich es getan ... wider Willen tat ich's.

Der Arzt

Merket auf, mir scheint, sie wird erwachen ...

Melisande

Öffnet das Fenster ... öffnet das Fenster ...

Arkel

Genügt dir dieses Fenster hier, Melisande?

Melisande

Nein, nein, dort das große Fenster ... ich will schaun!

Arkel

Ist denn die Brise des Meeres nicht zu kühl für dich?

Der Arzt

Öffnet, öffnet ...

Melisande

Habt Dank ... Ist das die sinkende Sonne?

Arkel

Ja; es ist die Sonne, die sinket in das Meer; es ist spät! – Wie fühlest du dich jetzt, Melisande?

Melisande

Gut, gut! – Doch warum fraget Ihr darnach? Hab ich mich doch besser nie befunden ... – Doch bedünken will es mich, daß wohl etwas geschehn ist ...

Arkel

Was geschehn? – Ich verstehe dich nicht ...

Melisande

Selber versteh ich nicht mehr, was eben ich sprach, sehet nur ... auch was ich rede, weiß ich nicht ... und was ich wußte, weiß ich nicht ... ich sage nicht mehr, was ich will .

Arkel

Oh doch, oh doch ... Ich bin ja so froh, wenn ich höre, wie du so sprichst; hatte dich doch manchmal erfaßt ein Fieberwahn, und man verstand dich gar nicht mehr ... Siehst du, und jetzt ist das alles vorbei! ...

Melisande

Ich weiß es nicht ... Seid Ihr allein hier im Zimmer, Großvater?

Arkel

Nein, im Zimmer verweilet noch der Arzt, der dich geheilt hat ...

Melisande

Ah ..

Arkel

... und dann ist auch noch ein anderer da ...

Melisande

Wer ist es?

Arkel

's ist ... aber erschrick mir nur nicht ... tut er dir doch gar nichts zu leid, sei versichert ... und hast du Furcht, so geht er fort ... er ist niedergedrückt ...

Melisande

Wer ist es?

Arkel

's ist ... 's ist dein Gemahl ... Golo ist's.

Melisande

Wie, Golo ist hier? Warum hält er sich mir so fern?

Golo sich zum Bett schleppend

Melisande, Melisande!

Melisande

Golo, mein Gemahl? Hab ich dich doch beinahe nicht erkannt ... 's ist, weil ich in die Abendsonne geblickt ... Warum ist denn dein Blick so scheu? Du scheinst eingefallen und matt ... Ist es lange her, seit wir uns nicht gesehn?

Golo zu Arkel und zum Arzt

Bitte laßt uns nur ein wenig allein, versagt es mir nicht ... auf jeden Fall laß ich die Tür weit offen ... einen Augenblick nur ... denn ich möchte ihr noch etwas sagen; nimmermehr fänd ich Ruhe sonst im Grab ... Wollt ihr? – Nur ein Weilchen, dann kehret ihr wieder ... Schlaget die Bitte mir nicht ab ... gar zu elend bin ich ... Arkel und der Arzt ab – Melisande, hast du Mitleid mit mir, wie ich es empfand für dich? Melisande... willst du mir verzeihn, Melisande?

Melisande

Ja, ja, ich will verzeihen ... doch was soll ich verzeihn?

Golo

Ich tat dir viel zu leid, Melisande. Und ich kann dir nicht sagen das Leid, das ich schuf ... Doch seh ich klar, ich erkenn es heute klarer als je ... seit zuerst ich dich sah ... Ich selbst hab es verschuldet, das alles, was schon geschah, ... das, was geschehen noch wird ... Könnt ich alles dir sagen, sähest du klar, wie ich es seh, hell und klar, hell und klar! ... Doch ich liebte dich! ... ich liebte dich! ... Doch jetzt erleidet einer den Tod ... Ich bin's, der sterben will ... Und noch wissen möcht ich ... dich befragen möchte ich . Bist du mir auch nicht gram? ... Nur die lautre Wahrheit sag an: Einem, der zum Tode geht ... daß die Wahrheit ihm werd offenbar, denn er fände ja keine Ruh' im Grab ... Sprich, schwörest du, daß du die Wahrheit mir sagst?

Melisande

Ja!

Golo

Hast Pelleas du geliebt?

Melisande

Gewiß! Ich liebte ihn! Wo ist er?

Golo

Nein, du verstehst mich nicht, – oder willst mich nicht verstehen ... Wie mir scheinet ... mich bedünket ... Nun gut, hör an: Ich frage dich, ob du ihn mit verbotener Liebe geliebt? ... Sag an ... habt ihr euch an mir versündigt? Sprich, sprich, ja, ja, ja?

Melisande

Nein, nein, wir haben niemals uns vergangen. – Doch warum fragst du darnach?

Golo

Melisande! ... Die volle Wahrheit sag ... beim ew'gen Gott!

Melisande

Warum hätt ich die Wahrheit nicht gesagt?

Golo

Lüge jetzt nicht mehr, wo der Tod nahe ist!

Melisande

Wer ist dem Tode denn nah? ... Sag, bin ich's?

Golo

Du ... du und ich ... ich ja auch, gleich nach dir! ... Nur noch die Wahrheit brauchen wir ... endlich muß die Wahrheit an den Tag, hörest du! ... Alles, sag alles mir, daß alles ich verzeih! ...

Melisande

Warum naht mir der Tod? ... Nimmer wußt ich davon ...

Golo

Nun so wisse es jetzt ... es ist Zeit! ... Schleunig! schleunig! ... Künde sofort die Wahrheit! ...

Melisande

... die Wahrheit dir? ... die Wahrheit dir?

Golo

Komm zu dir, Melisande! ... Komm zu dir! ... Sag, wo bist du denn jetzt? Melisande, sag an! ... Er gewahrt Arkel und den Arzt an der Schwelle des Zimmers. Gut, gut, so kommt nur herein ... Sie sagte nichts, es ist ja nutzlos ... ihr Geist ist schon zu weit von uns ... Und ich erfahr es nie! ... Und so werd ich hier sterben wie ein Blinder! ...

Arkel

Was tatest du? ... ach, du tötest sie noch ...

Golo

Schon hab ich sie getötet ...

Arkel

Melisande ...

Melisande

Großvater, seid Ihr es?

Arkel

Ja, mein Liebling ... Was willst du, daß ich tun soll?

Melisande

Ist es wahr, daß der Winter anbricht?

Arkel

Und warum fragst du danach?

Melisande

Es ist so kalt, und ich sehe keine Blätter ..

Arkel

Dir ist kalt? ... Willst du, daß man die Fenster schließe ...

Melisande

Nein ... laßt sie offen, bis die Sonne versunken im Meer. – Langsam sinkt sie hinab, so ist nun der Winter gekommen?

Arkel

Du liebst den Winter nicht?

Melisande

Oh nein ... Ich fürchte mich vor dem eisigen Frost .

Arkel

Du fühlst dich wohl?

Melisande

Ja, ja; da die Angst und Qual von mir gewichen ...

Arkel

Willst dein Kind du nicht sehn?

Melisande

Welches Kind?

Arkel

Dein Kind, deine kleine Tochter ...

Melisande

Sagt, wo ist sie?

Arkel

Sie ist hier ...

Melisande

Ach, wie seltsam ... Die Arme heben kann ich nicht, sie zu fassen ...

Arkel

Das ist nur, weil du dich noch schwach fühlst ... Für dich will ich sie halten; o sieh nur ...

Melisande

Sie ist gar zu ernst ... dabei so schwächlich ... und das Weinen steht ihr nah ... wie sie mich jammert ... Nach und nach füllt sich das Zimmer mit den Dienerinnen des Schlosses, die sich längs der Wände aufstellen und in Schweigen verharren.

Golo brüsk auffahrend

Was ist los? Was für ein Aufzug! Was wollen all die Weiber hier? ...

Der Arzt

Es sind Eure Mägde ...

Arkel

Wer hat sie denn hierher gerufen?

Der Arzt

Ich sicher nicht! ...

Golo

Warum kamet ihr hierher? – Es hat euch ja doch niemand gerufen ... Was wollt ihr hier bei uns tun? Was soll es denn damit? Gebt Bescheid ... Die Dienerinnen antworten nicht.

Arkel

Mein Sohn, sprich nicht zu laut ... sie befiel der Schlaf; ihre Augen sind zu ...

Golo

Sollte sie? ...

Der Arzt

Nein, nein, o seht, wie sie noch atmet ...

Arkel

Dem Aug entquillen Tränen. Es sind Tränen der weinenden Seele ... Warum streckt sie so die Arme aus? Was verlangt sie?

Der Arzt

Nach ihrem Kinde sicher ... heftig kämpft in ihr die Mutter gegen ...

Golo

Wie, schon so bald? ach, schon so bald? – Saget die Wahrheit, redet, redet ...

Der Arzt

Vielleicht wohl ...

Golo

Unaufhaltsam? ... Oh, ... Ach, ich muß ihr noch sagen ... Melisande! Melisande! ... Laßt uns allein ... ich muß allein mit ihr bleiben! ...

Arkel

Nein, nein, kommt näher nicht ... Erwecke sie nicht durch ein fruchtlos Wort ... Du vermissest nicht der entschwindenden Seele ...

Golo

Hab ich es verschuldet? ... Ich hab's nicht verschuldet!

Arkel

O gib acht ... o gib acht ... Wir müssen leiser noch sprechen, leiser noch ... Nichts hemme mehr ihren Flug ... Denn die Seele des Menschen ist schweigsam ... trachtet ohne Geleit zu entschweben ... scheu und zaghaft duldet sie ihr Leid ... Doch unsre Trauer, Golo ... Ach, unsre Trauer an allem, was wir sehn ... Oh! Oh! ... Plötzlich sinken alle Dienerinnen im Hintergrunde des Zimmers auf die Kniee. Arkel wendet sich um: Nun, was ist?

Der Arzt

nähert sich dem Bett und betastet den Körper

Ja, sie haben recht ...

Arkel

Sah ich doch nichts ... Seid Ihr gewiß?

Der Arzt

Ja, ja!

Arkel

Und ich hörte doch nichts ... so schnell, so plötzlich ... Lautlos ist sie verschieden .

Golo schluchzend

Oh! Oh! ...

Arkel

O bleibe jetzt nicht hier, Golo ... Tiefes Schweigen fortan ehre sie ... So komme hinweg ... Es ist furchtbar, doch ist es nicht deine Schuld ... Dieses liebliche Wesen war so ruhig, so schüchtern und so schweigsam ... Ja, dieses arme kleine Wesen war voller Rätsel, wie wir alle ... Wie sie ruht, als wäre sie die ältere Schwester ihres Kindes ... So komm ... Auch das Töchterchen darf bleiben nicht im Totenzimmer ... Das Kind soll leben an der Mutter Stelle ... ihm bestimmte das Schicksal zu leben ...

 

ENDE


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