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10. Eine Landung auf dem Mars

Sobald die Anziehungskraft des Mars auf die Sannah wirkte, verlangsamte sich ihre Umdrehungsgeschwindigkeit und als sie sich zuletzt auf den Planeten herabsenkte, hörte ihre Eigenbewegung ganz auf und ihr Schwerpunkt wurde in den Mittelpunkt der Marskugel verlegt; diesmal hatte Flitmore diese Änderungen vorausgesehen und dafür gesorgt, daß die Gesellschaft nicht wieder durch einen Sturz gegen die Wände oder gegen die Decke überrascht wurde.

Der Stoß, den die Landung verursachte, war im oberen Raume, wo sich alle zu dieser Zeit aufhielten, kaum spürbar.

»Wir werden vom Nord- oder Südpolzimmer aus aussteigen müssen«, erklärte der Lord: »Dort liegen die Ausgangspforten neben den Fenstern bei unsrer jetzigen Lage in waagrechter Linie, das heißt parallel zur Marsoberfläche, und mittels einer Strickleiter können wir hinabsteigen.«

»Lassen Sie mich als Ersten die Sannah verlassen«, bat Heinz.

»Nein, junger Freund!« widersprach Schultze: »Ich werde zuerst hinausgehen; wir kennen die Zusammensetzung der Marsatmosphäre nicht. Wer weiß, ob sie nicht auf unsre Lungen eine gefährliche, vielleicht tödliche Wirkung ausübt.«

»Eben deswegen will ich ja die erste Probe machen«, sagte Heinz.

»Nichts da!« polterte Kapitän Münchhausen: »Ich will zuerst hinaus; meine Lungen sind die verschiedensten Dünste gewöhnt und können am ehesten etwas aushalten.«

»Sie?« lachte der Professor: »Seien Sie froh, wenn Sie in normaler Luft schnaufen können! Überhaupt könnten Sie in der Öffnung stecken bleiben oder uns durch Ihr Gewicht die Strickleiter ruinieren. Sie kommen jedenfalls zuletzt daran.«

»Ich gehe voran!« entschied Flitmore: »Es ist dies sowohl mein Recht als meine Pflicht, da ich der Unternehmer der Weltfahrt bin.«

»Unter keinen Umständen darfst du dich einer solchen Gefahr aussetzen, Charles«, wandte nun Mietje ein: »Ich bitte dich, laß mich den ersten Versuch machen; ich kann ja gleich wieder zurück, wenn ich spüre, daß da giftige Gase sind.«

»Wenn die Herrschaften gütigst zu gestatten belieben wollten«, ließ sich der biedere John vernehmen, »so ist das alles nicht in der Richtigkeit, als daß vielmehr meine Person den Anfang zu machen hat, indem daß mein etwaiger Verlust auch am wenigsten wertvoll wäre.«

Aber Heinz Friedung machte diesem edlen Wettstreit ein Ende durch folgende vernünftige Bemerkung:

»Wir haben ja die beiden Affen, Dick und Bobs; schieben wir die vor: für sie ist auch am wenigsten Gefahr vorhanden, da ihr Instinkt sie davor bewahren wird, das Fahrzeug zu verlassen, wenn sie draußen keine gesunde Luft wittern.«

»Das ist die beste Lösung«, stimmte der Lord zu: »Daran hätten wir auch gleich denken können! Übrigens bin ich überzeugt, daß die Lufthülle des Mars sich höchstens in der Dichtigkeit von der irdischen unterscheidet.«

Die luftdicht schließende Tür des Südpolzimmers, in das man sich begeben hatte, wurde geöffnet; ein angenehmer frischer Luftzug strich herein. Vergnügt schwangen sich Dick und Bobs durch die Öffnung und turnten an den Rampen, die an der äußeren Hülle der Sannah angebracht waren, hinab.

»Es ist also keine Gefahr«, sagte Flitmore und befestigte mit Johns Hilfe die Strickleiter, um dann als erster, von seiner treuen Gattin gefolgt, den Abstieg zu wagen.

Nach Mietje kam Heinz und dann der Professor.

Schultze rief dem Kapitän zu: »Daß Sie sich nicht unterstehen, die Strickleiter zu betreten, ehe wir andern alle den sichern Erdboden erreicht haben, denn sonst könnte es uns schlimm ergehen, wenn die Stricke unter Ihrer Last reißen oder die Sprossen krachen und Ihre beträchtliche Masse auf uns herabstürzt.«

Aber Flitmore hatte bei Ankauf der Strickleitern Münchhausens Gewicht in Betracht gezogen. Wohl ächzten die Seile und die Sprossen bogen sich knarrend, als der Kapitän sie hinter John betrat; aber sie hielten vorzüglich.

»Na! Daß Sie nicht in der Türöffnung stecken blieben, nimmt mich Wunder«, lachte Schultze, als alle glücklich unten waren.

Flitmore aber erklärte: »Da ich von vornherein auf die Begleitung unsres werten Kapitäns hoffte, habe ich sämtliche Türenmaße nach seinen leiblichen Verhältnissen berechnet.«

»Das war vernünftig und edel von Ihnen, Lord«, erkannte Münchhausen in gutmütiger Heiterkeit an: »Freilich, unserm bösen Professor hätte es Spaß gemacht, mich hilflos und elend im Türrahmen stecken bleiben zu sehen.«

Inzwischen sah sich die Gesellschaft neugierig auf ihrem neuen Aufenthaltsort um.

Als erstes war ihnen aufgefallen, daß der Erdboden merkwürdig weich war: die Sannah hatte sich ziemlich tief in ihn eingegraben und bei jedem Schritt sank man ein.

Die Landschaft erschien sanft gewellt und die Bodenwellen liefen meist parallel und geradlinig, wurden aber zuweilen von langen Hügelrücken gekreuzt, die in andrer Richtung verliefen.

Zwischen den Erhöhungen befanden sich mehr oder weniger breite ebene Flächen, die versumpft zu sein schienen und mit einem Gewirr von dunklen Pflanzen bedeckt waren. Die Hügelrücken waren zum Teil kahl, meist aber mit Buschwerk und Wäldern bedeckt, vielfach auch mit Präriegras; nirgends aber sah man frisches Grün: die Gräser, die Blätter der Pflanzen und Bäume waren durchwegs gelb und rot oder rotbraun, so daß alles ein herbstliches Aussehen hatte, obgleich in diesen Marsbreiten zur Zeit erst der Frühsommer begann.

Da sich übrigens der Abend bereits herabsenkte, wurde John beordert, aus dem Weltschiff Zelte und Eßwaren herbeizuschaffen; denn alle freuten sich darauf, im Freien zu kampieren.

Brennholz war reichlich vorhanden; Feuer wurden entzündet zur Bereitung eines warmen Mahles und zur Abhaltung etwaiger wilder Tiere.

Alle, auch Mietje, waren mit Gewehren und Dolchmessern bewaffnet und mit Explosionskugeln versehen.

Flitmore wies auf die langgestreckten Sümpfe: »Sehen Sie, Professor«, sagte er: »Diese endlos erscheinenden dunklen Streifen, die teils nebeneinander her laufen, teils einander kreuzen, können sehr wohl bei großer Entfernung den Eindruck von Kanälen machen.«

»Aber die Veränderlichkeit der beobachteten Gebilde erklären sie nicht«, wandte Schultze ein.

»Vielleicht finden wir auch dafür noch eine Lösung«, meinte Heinz.

»Die Marsluft ist übrigens ganz herrlich«, rühmte der Kapitän tiefatmend: »Ich schlage vor, daß wir hier einen Luftkurort und eine Sommerfrische gründen: ausgezeichnete Geschäfte werden wir damit machen.«

Mietje erhob nun die Frage: »Wie lange wird die Nacht hier dauern.«

»Nicht viel länger als eine gewöhnliche Erdennacht«, belehrte sie Schultze: »Der Mars dreht sich um seine Achse in 24 Stunden, 37 Minuten und 22½ Sekunden. Dagegen sind die Jahreszeiten dahier verhältnismäßig lang: ein Marsjahr hat 668 Marstage, was etwa 682 Erdentagen entspricht. Auf der nördlichen Halbkugel, auf der wir uns befinden, hat der Frühling 191, der Sommer 181, der Herbst 149, der Winter 117 Marstage; auf der südlichen Halbkugel sind Frühling und Sommer viel kürzer, nämlich 149 und 147 Tage, aber auch viel heißer, weil der Planet in dieser Zeit der Sonne am nächsten kommt; der Herbst und Winter mit 191 und 181 Tagen sind dagegen dort um so kälter, da sie mit der Sonnenferne des Mars zusammenfallen.«

Nach eingenommenem Mahl wurden die Nachtwachen verteilt, und dann begab man sich zur Ruhe.


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