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Der Sterlett

Hamburg, habe ich mir erzählen lassen, ist die Stadt in der Welt, wo man am besten ißt und trinkt. Auch sonst gibt es sehr wenige Dinge, die man nicht für Geld dort haben kann. Die Waren der ganzen Welt kommen auf Tausenden von Schiffen zur Elbmündung hereingesegelt.

Meine eigenen Erfahrungen gehen auch nach dieser Richtung, und ich denke stets mit aufrichtigem Dankgefühl an die Freigebigkeit der alten Hansastadt mir gegenüber zurück.

So fand ich, als ich das letztemal dort war, einen seltenen peruanischen Likör, der mir ein Ehrendiplom in dem Klub verschaffte, dem ich damals angehörte, dem »Allrussischen Verband der freien und überzeugten Alkoholiker«. Ein paar Gläser meines neuentdeckten Peru warfen nämlich ohne Pardon auch die überzeugtesten allrussischen Mitglieder unserer Brüderschaft unter den Tisch, und wir schmückten seitdem diesen Tisch mit der peruanischen Flagge und sangen stehend die Nationalhymne der Republik Peru bei unseren Zusammenkünften ab.

Ich entdeckte diesen außergewöhnlichen Likör durch einen reinen Zufall in Hamburg, als ich einmal vor einem großen, gastronomischen Geschäft stehen blieb, um mir die vielen ausgestellten exotischen Leckerbissen zu betrachten.

Ich wollte eben weiter gehen, als ich plötzlich ein Glasbassin mit einem einzeln schwimmenden Fisch entdeckte.

Was, dachte ich, was ist das? Wie bist du hierhergekommen? Bist du es oder bist du es nicht?

Doch, er war es tatsächlich; aber ein ganz kleiner, nicht viel mehr als die in der Haut versteckten kleinen, dreieckigen Knochenschilder mit den nadelscharfen Sägezacken. Es war ein kleiner Knorpelganoid, der einzige Fisch unter allen Freikiemern, dessen Skelett unverknöchert ist, ein Überlebender aus den Tagen vor der Sintflut. Ein Junger, Kleiner war es, von einem Pfund oder zwei, aber doch schon so groß, daß er zahnlos war; denn bei ihnen haben sie desto mehr Zähne, je jünger sie sind. Er stand so einsam und bedenksam im Wasser. O, ich wußte, an was er dachte. Er träumte von dem großen Strom, der ins Kaspische Meer mündet, oder vielleicht ins Weiße Meer oder ins Eismeer an der Todesküste Sibiriens. Denn in der Donau hatte er doch wohl nicht daheim sein und sich von einem Schuljungen in Ulm fangen lassen können ...?

Einerlei ... ich will mich nicht nach deiner Heimat durchraten, damit du nicht einen Schmerzenssprung gegen die Glaswand deines Gefängnisses machst, wenn du mich den Namen deines großen Heimatstromes flüstern hörst. Wohl weiß ich, daß du zählebig bist wie die Sehnsucht, daß man dich gefangen um die ganze Erde führen kann, daß du Luft atmen kannst, ohne zu sterben, und in der Pfanne zappeln über dem verzehrenden Feuer; aber ich will trotzdem den großen Strom nicht nennen vor dir, daß du nicht aufschwillst vor Raserei und groß wirst wie dein Onkel, der Stör, der die salzigen Meere durchfurcht, in deinen Strömen laicht und das Glasbassin sprengen würde, wenn er an deiner Stelle wäre. O nein! Ich will daran denken, wie ich deine Brüder und Schwestern und ihre Hunderttausende von Eiern verspeist, ihren bernsteingelben Saft getrunken habe, bis mir die Sinne vergingen ... Nein, es kann nichts nützen, daß du so schmerzlich zuckst mit deinem kleinen, beweglichen Knorpelmaul! Und jetzt geh' ich hinein und frage, was du kostest.

»Hundert Mark, Herr!« sagte der Gastronom hinter dem Ladentisch.

»Ja, es ist ein köstlicher Fisch, der köstlichste vielleicht auf der ganzen Welt, wenn ich so bedenke ... Hm ... Was ich sagen wollte ... Was ist das in der Flasche da droben?«

»Peruanischer Likör.«

»Ist er stark?«

»95 Prozent.«

»Daß er also ein Loch brennt, wenn man ein paar Tropfen in die Hand gießt?«

»Sehr wahrscheinlich.«

»Wird er hier getrunken?«

»Na–a ... Höchstens in weit vorgeschrittenen Fällen ...«

»Dürfte ich Sie um zwei Flaschen bitten ...«

Als ich wieder auf der Straße stand, sah ich noch einmal hinein zu dem Sterlett, eh' ich heim in meine Wohnung fuhr und dort anfing, im Zimmer auf und ab zu gehen überwältigt von Erinnerungen an die Dwina, das Land der Sehnsüchten ... für mich und den gefangenen Sterlett ...

Ja, das war mein letzter Sommer, als ich dort oben war, die letzten langen Tage, die ich sah, der letzten weißen Nächte Blendwerk ... Wann werd' ich euch wiedersehen? ... Selbst die kurzen Stunden, wenn die Sonne drunten war, waren so hell, daß man einen Brief lesen konnte, wenn man daran erwachte, daß man von der Hand geträumt hatte, die ihn schrieb ...

Durch mein Fenster gen Norden konnte ich die Sonne auf- und niedergehen sehen – so lange blieb sie am Himmel. Während sie drunten war, kamen große, goldgefleckte Himmelstiere über die Purpurgrenze des Horizonts gezogen, um auf den lotosfarbenen Sternenäckern zu weiden. Und wenn sie die Sternblumen auf den blaßroten Triften abgegrast hatten, wandten sie sich wieder gen Norden und prusteten, daß Dampf und Nebel aus ihren Rachen stand, Dampf und Nebel über dem dämmernden Diamantmorgen.

Das Haus, in dem ich wohnte, war von meinem Freund, dem Eismaler, erbaut. Er war ein Bauernsohn von der nördlichen Dwina und hatte in seiner Vaterstadt ein Holzschloß zum Gedächtnis für sich selber schon bei Lebzeiten errichtet. Wenn man vom Strom heraufkam, konnte man es auf dreißig Werst Entfernung auf dem hohen Hang liegen sehen. Dreißig leere Säle waren darin, voll vom Ruhm eines Mannes. Unter den ellendicken Balkenwänden pflügte die Dwina ihr meilenweites Stromland. In einem Jahrhundert pflügte sie ihren ganzen Acker, vom einen hohen Ufer zum andern, drüben, jenseits, wo man noch gerade eine Kirchenkuppel wie einen grünen Fleck gegen den blauen Himmel schimmern sah.

Sie trieb Wechselwirtschaft mit ihrem Tal, ließ brach liegen, düngte mit Schlamm und Morast und bereitete die Erde für Gras, mannshoch, schwer von Saft und Süße.

Ein paar Tage wohnte ich da. Wir gingen in den großen, schweigenden Wäldern, wo der Bär und der Wolf lautlos über die graugrünen Moosteppiche laufen. Wir tranken aus namenlosen Mineralwasserquellen, die Mühlenräder trieben in den Kirchspielen vergessener Waldtäler ... Wir lebten!

Eines Nachmittags wanderten wir den Strom entlang, um ihn aus der Nähe seine Erde mit tausend und abertausenden von Ochsenkräften pflügen zu sehen. Wo er fest zugriff, sah es aus, als ob klaftergroße, wasserblanke Quadersteine aus der Tiefe emporgesprengt und von der schäumenden Pflugschar zum Auffüllen auf eine mehlweiße Sandbank geschleudert würden. Aber wo er sich Zeit ließ, wo keine Ecken und Vorsprünge fortzupflügen waren, ging sie so gleichmäßig und gemächlich hinter ihrem Gespann her, daß es aussah, als könnte man es selber an einem Faden lenken ...

Blickte man hinüber nach dem andern Ufer des Strombettes, so vermochte man nur eben die Umrisse der Dinge zu unterscheiden. Aber einen Ruf trug die sonnenblanke Wasserfläche tönend hinüber. Ich weiß es; weil zwei Fischer unser »Ah–uh! Ah–uh! Ein Boot!« hörten und einen Knaben zu uns herüberschickten. Das Boot war nicht größer, als daß wir gerade darin kauern konnten, ohne daß Wasser hereinkam, wenn wir uns vollkommen unbeweglich verhielten, während der Knabe uns schräg über die Strömung ruderte.

Die zwei Fischer und der Knabe hatten auf einer kleinen Sandbank mit Weidengebüsch ihre Sommerwohnung. Sie bestand aus einem alten Boot mit dem Kiel nach oben und einer Feuerstelle davor.

»Gottes Hilfe und Guten Tag!« sagten wir, als wir an der Feuerstelle angelangt waren. »Wie steht es mit dem Fischfang?«

»O – so so – so so –«

»Habt ihr einen Fisch?«

»Einen kleinen Sterlett, meinen Sie?«

»Jawohl, einen kleinen Sterlett, so von fünf – sechs Pfund.«

»Das könnte schon sein. Wir können im Fischbehälter nachsehen.«

Und im Fischbehälter waren Sterlette für ein ganzes Vermögen. Die armen Fischer besaßen ein Vermögen in lebenden Sterletten. Keine kleinen, vergrämten Jungen wie der im Glasbassin, sondern große, göttliche Fische von der Art, wie sie auf die Tafel von Fürsten kommen.

Wir wählten uns einen von mittlerer Größe. Er hätte auf die Tafel eines kleineren Philanthropen gepaßt, der eben in den Adelsstand erhoben worden war ... Aber nun steckten wir ihn selber in den Kessel über der Feuerstelle der Fischer. Und während wir saßen und auf den Kessel starrten, wo der zerteilte Sterlett sich noch in dem kochenden Wasser krümmte und wand, ward soviel erzählt von seiner Lebensweise, daß mir war, als sei ich selbst zusammen mit ihm drunten im Strome gewesen ... Jawohl! Jetzt erinnere ich mich! ...

Als das Wasser so dunkel ward und gelbe Blätter den Strom hinabsegelten, hatte ein Zug von uns sich mit den Köpfen zusammen in ein tiefes Schlammloch gestellt. So standen wir in einem Kreis, den ganzen Winter, und schliefen, ohne von der Strömung bewegt zu werden, die über unser Lager wegging. An was wir dachten, weiß ich nicht mehr; aber ich glaube wohl, es waren Dinge, von denen man nicht spricht.

Wir wachten alle ungefähr gleichzeitig auf an einem scheuernden Geräusch im Wasser. Und als wir uns den Schlamm aus den Augen gerieben und den, der unsere Mäuler zusammenklebte, verschluckt und frisches Wasser durch unsere Spritzlöcher gespritzt hatten, merkten wir, daß es das Eis war, das auf dem Strom brach. Es war also Zeit, die Glieder zu strecken; und das taten wir. Ganz vorsichtig regten wir die Flossen. Einer von den jüngeren schlug sofort einen unanständigen Schlag mit der Schwanzflosse, daß den Alten der Knorpelstrang im Rücken schauderte. Wenn sie gekonnt hätten, sie hätten ihm die spitzen Schnauzen in die Seite gerannt, da, wo keine Knochenplatten sind; aber ihre Glieder schliefen noch, so daß es surrte, wenn sie sich bloß rührten. Nur einer von uns blieb mit dem Kopf im Schlamm stehen, als hätte er nichts gehört. Das war der Altmeister in unserm Zug. Letztes Frühjahr hatte er uns Jüngere alle weggejagt, wenn wir kamen und auch ein ganz klein bißchen beim Laichspiel mittun wollten. Und jetzt stand er da, ohne sich zu rühren, obschon es bald wieder Laichzeit war. Gegen die letzte Schlafzeit hin war er ein bißchen matt gewesen von der Bauchwunde, die er erhalten hatte, als er in einer weißen Nacht droben im Wasser sprang und Achter schlug um das lächerliche scharfe Ding, das an gewissen Stellen zu uns heruntergehängt wird. Es ist so scharf und glatt, daß man gar nicht davon wegbleiben kann, nicht einmal die Alten manchmal. Und wie gesagt, unser Altmeister trug eine Bauchwunde davon, weil er es nicht lassen konnte, bei einem seiner Achtersprünge den Leib dagegen zu reiben. Davon kommt es vielleicht, daß er stehen bleibt und noch immer Winterschlaf schläft ... Den andern fiel es auch auf, aber sie taten, als wäre nichts: es war ja seine Sache, wenn er weiter schlafen wollte, und wir Jüngeren durften dann vielleicht uns mehr am Laichspiel beteiligen.

Als wir uns zu Schwärmen ordneten, um gegen den Strom aufwärts zu streichen, vergaßen wir ihn gleich, so eilig hatten wir es, Frühjahrskost zu uns zu nehmen. Der Grund war voll von Mückenlarven und kleinen Würmern. Sobald wir nur das Maul vorstreckten, kam auch gleich etwas hinein. Wir schwammen und fraßen ununterbrochen, und je länger wir gegen den Strom schwammen, desto wärmer wurde es und desto mehr fraßen wir. Es war eine schöne Zeit ... Ich ward so stark in den Kiemen, daß ich alles Wasser im Fluß in einem Maulvoll schlucken und wieder ausblasen konnte, daß es schaumweiß um meine Spritzlöcher stand. Wenn ich der Würmer und Mückenlarven überdrüssig war, fraß ich feinen Schlamm, der am Grund lag und gärte. Ich fraß, daß ich manchmal ganz betrunken war; die andern auch. Und dann fingen wir an zu laichen. Wir laichten, daß ich gar nicht daran denken darf, laichten, solang wir konnten. Jedes Paar von uns hatte Hunderttausende von Eiern. Wir wurden so müde wie vor dem Winterschlaf. Und als wir nicht mehr konnten, hörten wir auf; aber da waren wir auch schon ganz oben bei der Rinne, durch, die des Altmeisters Vater und Mutter vor Hunderten von Laichzeiten aus ihrem eigenen Fluß in unseren gekommen waren. In ihrem Fluß, erzählte der Altmeister, ging die Strömung nach der andern Seite. Er konnte unsern Strom nie leiden, weil er entgegengesetzt ging von dem, in dem er Rogen gewesen war. Aber allein durch die Rinne zurückzugehen, das getraute er sich nicht, und wir andern hatten keine Lust, seinem Geschwätz nachzuschwimmen, namentlich mitten in der Laichzeit. Und wenn wir damit fertig waren, waren wir so süß und heiß im ganzen Körper, daß wir uns lieber mit dem Strom zurücktreiben ließen nach dem großen, kühlen Sommerwasser, statt in die Rinne des Alten zu kriechen. In der ersten Zeit, während wir wieder den Strom hinuntertrieben, dachten wir, wie nach dem Winterschlaf, bloß ans Fressen. Manchmal fraßen wir so viel, daß wir aus Wildheit mitten am Tag bis an die Oberfläche hinaufsprangen, obwohl wir in dieser Zeit gar nichts dort zu schaffen hatten. Übrigens hatten wir auch Verwendung für unsere Kräfte zu anderen Dingen. An manchen Stellen war die Strömung so stark, daß wir darunter durchkreuzen mußten, um nicht mitgerissen zu werden. Wenn wir müde waren, stellten wir uns mit dem Kopf gegen den Strom und schwammen auf einem Fleck. Herrlich war das, so still zu stehen und das Wasser sich gegen den Kopf stemmen zu fühlen. Hätte man es nicht besser gewußt, man hätte glauben können, man schwämme mit voller Kraft vorwärts. Viele leckere Dinge flossen uns geradeswegs ins Maul, wenn wir so standen und Wasser traten. Und wenn man horchte, hörte man seltsame Töne durchs Wasser singen. Am stärksten klang es, wenn einer von den großen Fischen, die ganz auf der Oberfläche schwimmen, über uns hinging. Er schaufelte das Wasser hinter sich mit seinen rollenden Flossen, daß es noch lang, nachdem er über uns weggeschwommen war, im Strom wirbelte und kochte. Er pfiff und zischte auch mit seinen Spritzlöchern. Ich hörte ja noch lieber, wenn das Wasser sachte auf einem scharfen Schilfblatt pfiff oder über die Kieselsteine rieselte, wo starker Fall war. Aber der Altmeister sagte einmal, das wären Jugendtorheiten. In dem Fluß, aus dem er als Rogen gekommen war, wären soviele von diesen großen Räderfischen, daß man an anderes zu denken hätte als an Träumereien. Sie spritzten etwas aus, was er Petroleum nannte, und das wäre nicht gut für die richtigen Fische drunten im Fluß. Man bekäme einen schlechten Geschmack im Mund und würde herb im Fleisch, so daß man nicht mehr recht schwimmfroh wäre, sagte er. Aber er hatte ja auch immer so viel zu sagen, namentlich seitdem er seine Bauchwunde hatte.

Nach und nach kamen wir fast alle hinunter in das große Sommerwasser im Strom; fast alle; denn hie und da waren ein paar Stück von uns in ein Gespinst mit feinen Maschen geraten, aus dem sie nicht wieder herauskamen und über das sie auch nicht wegspringen konnten. Und die blieben dann stehen, während wir weiter gingen. Wenn sie nicht noch dastehen, wenn wir zur nächsten Laichzeit wiederkommen, weiß ich nicht, was aus ihnen geworden ist. Aber das weiß ich – bis jetzt haben wir noch nie einen wiedergefunden, der so stehen geblieben ist. Was hatten sie auch in dem Gespinst zu schaffen! Übrigens waren auch ein paar von den jüngern von Hechten und Lachsen, die uns begegneten, zum Schwimmen mitgenommen worden. Besonders die Hechte fanden ein merkwürdiges Vergnügen daran, die Jüngeren von uns in sich hineinzunehmen und mit ihnen davonzuschwimmen, als ob sie nicht selber schwimmen konnten! Aber das waren nur die schwächsten und unselbständigsten, die so in einem andern Fisch schwammen. Was mich betrifft, so setzte ich immer volle Geschwindigkeit ein, wenn ich einen Hecht sah. Aber ich mag auch am liebsten selber schwimmen, und meine Knochenplatten sind schon stark und scharf.

Drunten in dem großen Sommerwasser war der Strom so breit, daß wir fast nie quer hindurch schwammen. Tagsüber hielten wir uns am Grund und fraßen. Weiter oben im Wasser war es nämlich so hell, daß einem die Augen weh taten. Gegen Abend tranken wir Wurm- und Pflanzenschleim, und wenn alle die kleinen Lichter droben in der Oberfläche anfingen zu scheinen, stiegen wir hinauf und sprangen durch sie hindurch. Es war so hübsch, die andern mit ihren grauen Rücken und blaßgelben Bäuchen durch die kleinen funkelnden Lichter da oben springen zu sehen. Ich liebte am meisten ein silberblaues Licht, das einmal im Monat über den ganzen Strom fiel. Ein paarmal stieg ich ganz durch das Wasser hinauf, so hoch, daß ich die Augen draußen hatte in dem seltsam Dünnen und Leichten, das über dem Wasserkörper ist, um zu sehen, woher das silberblaue Licht kam. Zeitweise leuchtete es schwächer. Das war, wenn es die gleiche Halbmondform hatte wie meine Schwanzverbrämung. Ich glaube sicher, es war der Widerschein meiner Schwanzflosse in dem trockenen Wasser über unserem nassen.

Aber das schönste von allem, was glänzte, war das scharfe, blanke Ding, das ab und zu ins Wasser herunterhing. Es war so glatt und fein geformt wie der Spalt in meiner Unterlippe. Ich weiß nicht warum, aber es erinnerte mich an die Laichzeit, droben am Ursprung des Stroms. Ich konnte nicht anders, ich mußte mich ihm nähern, darum herumspringen, dicht daran vorbeistreichen, bloß um ganz leicht daran zu rühren. Den andern ging es gerade so; und es hingen nachts genug von diesen blanken, verführerischen Dingern da, mehr als genug zum Spielen für uns alle. Fast jede Nacht kam es vor, daß einer von den unsern, mitten im besten Spielen und Springen, plötzlich still stand im Wasser, als wäre er von irgend etwas festgehalten. Ich schwamm mehrere Male unter denen durch, die so auf einmal mit Spielen aufhörten, und dann sah ich, daß das kleine Spielzeug ganz fest in ihrem gelbweißen Bauch saß. Es war so seltsam, sie so still und unbeweglich und glückselig stehen zu sehen ... Wenn wir andern morgens wieder auf den Grund gingen, blieben sie allein zurück, und wenn wir in der nächsten Nacht wieder heraufkamen, um weiter zu spielen, fanden wir sie nicht mehr.

Eines Nachts, als ich gerade nach Herzenslust mit dem blanken Ding spielte, verspürte ich plötzlich einen harten Ruck und einen süßen und bitteren Schmerz mitten durch. Ich stand sofort still im Wasser – konnte gar nicht anders. Und selbst wenn ich gekonnt hätte, so hätte ich mich doch nicht gerührt, solch ein Schmerz war es. Alles ward so wunderbar in mir. Es war wie mitten in der Laichzeit, am Ursprung des Stroms. Mir war, als sei ich ein ganz anderer geworden. Kleine leckere Dinge flossen an mir vorüber, ohne daß ich bei ihrem Anblick irgend etwas empfand. Die andern von den Unsern, die weiter spielten wie bisher, schienen mir plötzlich so fern und gleichgültig, als ob sie es gar nicht wären. Ich war so ganz entrückt von irgend etwas, ich wußte nicht, was. Im Anfang stellte ich mich gegen den Strom und schwamm ganz sachte, um nicht fortgerissen zu werden; aber nach und nach bewegte ich die Flossen immer langsamer und langsamer, und je langsamer ich sie bewegte, desto wunderlicher fühlte ich den Schmerz, bis ich zuletzt ganz aufhörte, mich zu bewegen. Und da entdeckte ich, als ich auf den Grund hinabsah, daß ich gar nicht von der Strömung mitgeführt, sondern mitten in ihr festgehalten wurde, von einer Kraft außerhalb mir selbst. Ich verstand es nicht und dachte auch bald nicht mehr darüber nach. Mir war, als würd' ich so groß, als wäre ich selber der Strom mit all seinem mächtigen Wasser. Und nach und nach ward es so hell, als würde ich selber und alles andere immer heller und heller. Plötzlich mußte ich aufhören zu atmen. Es strammte in meinen Kiemen, wie damals, als ich über eine Fischreuse sprang und einen Augenblick oben in dem trockenen Wasser war. Etwas umfaßte mich fest, daß es mir weh tat, und im selben Augenblick war ich wieder unten in einem kleinen, dunkeln Wasser. Es waren noch ein paar mehr von uns da, aber sie sagten nichts, standen nur müde und nachdenksam, wie ich selber.

Wie lang' ich in dem kleinen dunkeln Wasser war, weiß ich nicht. Aber als man mich herausnahm, konnte ich nicht atmen. Das neue, große, weiße Wasser, in das ich kam, war so trocken, daß ich fast zerplatzte. Aber ich vergaß das gleich; denn ich fühlte, wie ich in viele Teile zerteilt wurde. Es war, als würde ich zu vielen, vielen kleinen lebendigen Fischen, die doch alle ich waren. Wir kamen in ein kleines Loch, das mich an das gemahnte, in dem wir unsern letzten Winterschlaf schliefen, und wir und ich – ich meine mich selber und alle die andern, die entstanden waren, als man mich zerteilte – standen auch im Kreis herum, wie beim Winterschlaf. Ganz langsam wurde das Wasser kälter und kälter, so kalt, daß wir die Köpfe gegen den Grund stemmten, um nicht zu frieren. Nie ist ein Wasser so kalt gewesen! Zuletzt schmerzte es, wie Eis. Jetzt mußten wir den Winterschlaf schlafen. Ich ward so matt und schwer und schläfrig, und als ich eben am Einschlafen war, mußte ich an den Altmeister denken, der stand und den großen Winterschlaf schlief ... »Ich glaube jetzt ist er gar,« hörte ich seltsam unerwartet meinen Freund, den Eismaler sagen. »Wir wollen ihn vom Feuer nehmen, sonst verkocht er.«

Ich sah zu ihm auf, und er lachte, weil ich mit geschlossenen Augen dagesessen und den Kessel angestarrt hatte.

»Ja, die Luft ist stark hier,« sagte der eine Fischer gleichsam entschuldigend. »Jetzt wollen wir die Löffel spülen, daß Sie die Fischsuppe kosten können.«

Wir bekamen jeder seinen von langem Gebrauch blankgescheuerten Holzlöffel. Der Kessel wurde oben auf die Sandbank gestellt, und wir setzten uns darum herum. Sechs waren wir im ganzen. Jeder von uns hatte einen großen Runken Roggenbrot, mit grobem Salz bestreut, in der Hand.

»Ja, da will ich nur anfangen,« sagte der Eismaler, »sonst kommen wir überhaupt nicht zum Essen.«

Und langsam, der Reihe nach, begannen wir die Suppe zu schlürfen. Zu oberst schwamm eine dicke Lage Fett, golden wie geschmolzener Bernstein, duftend wie das harzschwere Rauschen durch Urzeitwälder. Die blasse Suppe darunter dampfte gegen den Gaumen, wie warmer Nebelbrodem des Stroms, wie der Atem des Wassers, die Seele aller Tiere der Tiefe da drunten ...

Ab und zu schloß einer von uns, wenn er den Mund voll Suppe hatte, die Augen, wie um sich zu besinnen, nach was sie schmeckte ...

»Gib' acht, daß du keine Knochenplatten verschluckst,« sagte der Eismaler. Er hatte ein Stück Sterlett im Löffel. »Wenn man die in den Hals kriegt, ist man fertig. Paß auf, sonst kann's dir schlimm gehen!«

»Ja, sonst kann es schlimm gehen!« wiederholte der wortkargste der Fischer. Er wollte' noch etwas sagen, schwieg es aber mit einem Mundvoll Fisch in sich hinein.

Und wir schwiegen alle, während wir mit den Löffeln kleine Stücke von dem Sterlett schnitten. Man hörte nur, wie jeder einzelne mit der Zunge arbeitete, um die kleinen Knochenkörner und die gefährlichen, dreieckigen Knochenzacken in der Haut vom Fleisch zu lösen und auszuspucken. Wir sahen alle starr vor uns hin, und nur die Lippen und die Zunge bewegten sich auf eine eigene scheue und gierige Art. Wenn ein fremder Wandersmann vorübergekommen wäre, er hätte sich wohl gefragt, was in dem Kessel sein mochte, und ob er nicht am besten daran täte, zu machen, daß er weiter käme, als hätte er nichts gesehen. Nach was schmeckte es, dies feine, milde, berauschende Fleisch! Welcher Widersinn lag in all diesen weichen Knorpelteilen und bernsteingoldenen Rückensaiten? Weshalb war er so unvollendet, so vorzeitlich, dieser Kopf, unter seinem schmalen Knochenpanzer?

War es nicht eine Erinnerung an eine eigene Art weißen und süßen und todverbotenen Fleisches? ... Wer weiß? ... Wer weiß wohl, an was wir uns erinnern, ohne es selber zu wissen! Wer weiß, warum mir war, als ob ein Sterlett aus der nördlichen Dwina nach Erschaffung der Welt schmeckte, nach Liebe, nach dem dunkeln und tiefen Blick, der mein Antlitz fahl macht ...

Ich weiß es nicht! ...

»Das ist rein des Teufels, wie der schmeckt!« stöhnte der Eismaler und legte den Löffel aus der Hand. »Und jetzt den Tee! Wir können ja umschichtig aus euren drei Tassen trinken. Was bekommt ihr übrigens für den Sterlett im Sommer?«

Derjenige von den Fischern, der bisher am wenigsten gesprochen hatte, schob bedächtig die Mütze in den Nacken, eh' er antwortete:

»O, so ungefähr immer gleich, einmal ein bißchen mehr, einmal ein bißchen weniger, je nachdem es Fische und Käufer gibt.«

»Also so ungefähr vierzig Kopeken das Pfund?«

»So ungefähr, ja.«

»Das ist eigentlich billig für solch einen Fisch, wenn man denkt, daß ...«

»… Ja, denkt, daß der Aufkäufer in Petersburg das Zehnfache dafür bekommt, gar nicht zu reden von anderen Orten. Aber je mehr sie ihn in der Wolga mit Petroleum und Netz verderben, desto mehr steigt hier der Preis. Unserer ist außerdem auch der feinste. Aber im übrigen müssen wir unsrem Herrgott danken, daß wir überhaupt etwas dafür bekommen.«

»Etwas dafür bekommen?«

»Jawohl, man hat ja kaum wagen dürfen ihn zu fangen, wie er zu uns kam. Die Leute meinten, es sei der leibhaftige Böse, der in den Strom gefahren sei. Später fing ein Fischhändler an, ihn aufzukaufen. Er hat ihn fast umsonst bekommen. Das mag wohl an die hundert Jahre her sein.«

»Richtig, ja! Das ist auch wahr! Aber hundert Jahr kann es doch nicht sein, seit die Kama und die Dwina durch den Jekaterininsky-Kanal verbunden sind. Das war ja ungefähr 1830, daß der gegraben wurde.«

»Hundert Jahr oder nicht – mein Großvater hat den ersten Sterlett hier im Strom gefangen, demnach, was mein Vater mir erzählt hat. Da kannst du selber nachrechnen.«

»So? Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich meinen Sterlett immer hier drüben bei dir gekauft.«

»Ja, da kannst du selber sehen ... Wie ich es sage – mein Großvater hat den ersten Sterlett hier im Fluß gefangen und ist daran gestorben. Seither hat es sich in der Familie vererbt.«

»Was du sagst! ... Gestorben ist er daran? ...«

»Verdammt will ich sein, wenn er nicht daran gestorben ist! ... Siehst du, er war Fischer, wie wir, ja, und lag mit seinem Kameraden das ganze Jahr über auf dem Strom, im Sommer im Boot und im Winter auf dem Eis, wenn er nicht in Geschäften nach Petersburg fuhr ... Wie sie nun an einem Sommermorgen hier draußen lagen und nach den Leinen sahen, merkt er, daß etwas Schweres so ganz still an einer von ihnen saß. Wie er sie hoch genug oben hatte, schob er das Netz darunter und gleich herein damit ins Boot; und da sieht er einen Fisch, wie er noch nie einen gesehen hatte. Es war ihm ordentlich ein bißchen sonderbar zumut, und garstig sind sie ja auch so auf den ersten Blick; aber mein Großvater war draußen gewesen auf See, mußt du wissen, und so nahm er sich zusammen und sah sich den Fisch an; denn das konnte er ja immerhin sehen, daß es ein Fisch war ... Sein Kamerad dagegen kam ganz außer sich und verlor vollständig den Kopf, und je ärger der Fisch mit dem Haken im Bauch im Boot sprang, desto schlimmer wurde es ihm ... Denn du mußt wissen, so fein und zart er drunten im Wasser ist und so still er an der Angel sitzt, so unbändig ist er, wenn er heraufkommt ... Großvater redete ihm gut zu, aber er bekreuzte sich bloß und wollte an Land, oder er würde in den Strom springen. Nun gibt es ja Leute, die einmal so sind, und jeder weiß auch, daß es Dinge gibt, vor denen man sich in acht nehmen muß, die man nicht berufen oder denen man nicht zu nah kommen darf ...«

Hier bekreuzte sich der Fischer ein paarmal.

»… Also ruderte Großvater ihn ans Land und ging selber heim mit dem Fisch. Aber sein Kamerad rannte durch die ganze Stadt und schrie, Großvater hatte den leibhaftigen Antichrist aus dem Wasser gezogen und mit nach Hause genommen. Weiter war nichts aus ihm herauszubringen. Na, da kamen denn ein paar von Großvaters Bekannten und sahen zu ihm hinein, um zu ergründen, wie die Sache zusammenhing, und da sehen sie denn auch das Untier wie besessen auf dem Boden in der Stube springen. Allem Anschein nach krümmte es sich vor dem Kreuz und dem Heiligenbild. Kann schon sein, daß die im Handumdrehen wieder draußen waren! Bald darauf war das ganze Dorf draußen versammelt. Der Dorfälteste klopfte vorsichtig an und redete mit Großmutter, aber sie getraute sich nicht etwas zu sagen, und so sah er denn zur Tür zu Großvater hinein.

›Was,‹ sagt er, ›Jefim Petrowitsch, hast du den da im Strom gefangen?‹

›Halts Maul!‹ rief Großvater. Denn jetzt war er nämlich ärgerlich.

›Jefim Petrowitsch, bedenk', was du tust! Zünd' die Lampe an vor dem Muttergottesbild, daß der Böse nicht Gewalt über dich gewinnt! Hüte dich vor dem Umgang mit unreinen Mächten!‹

›Da soll doch der Teufel ...!‹ Und Großvater schlug auf den Tisch. Er konnte bös fluchen, wenn es über ihn kam.

›Jefim Petrowitsch! ...‹

Im selben Augenblick zog Großvater den Sack von dem Korb, in den er den Fisch gelegt hatte, so daß der mit einem Sprung auf den Boden schnellte. Der Dorfälteste fiel rücklings zur Tür hinaus, und Großvater kam in eine solche Wut, daß er sein Messer nahm, dem Fisch den Kopf abschnitt und ihn hinter dem Dorfältesten und den andern draußen auf der Gasse herfeuerte. Aber siehst du, das war dumm von ihm; denn der Kopf ist ja doch das Beste am ganzen Fisch. Mittlerweile war der Dorfälteste wieder soweit zu sich gekommen, daß er den Popen aufsuchen konnte, und sie fingen gleich an die Glocken zu läuten und in Prozession mit allen Heiligenbildern an der Spitze zum Strom zu wallfahrten, um den Antichrist zu beschwören. Wie sie nun wieder vom Strom heraufkommen, bleibt der Pope vor unserem Haus stehen und besprengt es mit Weihwasser und liest das Gebet um Bewahrung vor dem Bösen und allem, was davon kommt.

Das paßte Großvater nun gar nicht! Er war jetzt ganz furchtbar zornig über die Geschichte mit dem Fisch, und wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, war nichts mehr mit ihm anzufangen. Das liegt in unserer Familie. Er steckt also den Kopf zum Fenster hinaus und bekreuzt sich vor den Heiligenbildern:

›Was wollt ihr hier, Freunde?‹ sagt er zu ihnen. ›Bin ich ein Affe oder eine Vogelscheuche, daß ihr da steht und glotzt? Oder habt ihr vielleicht den Teufel zum Schornstein herausgucken sehen?‹

Aber sie schwiegen alle.

›Daß ihr noch nie einen solchen Fisch gesehen habt, ihr Schafsköpfe,‹ sagt er weiter, ›das ist kein Grund sich aufzuführen wie die Narren. Wie ich auf See war, hab' ich noch viel schlimmere Fische gesehen, solche mit einer Blase mit Stacheln daran und andere mit einem Rad, mit einem Loch in der Mitte, und andere wie ein Kuhwanst mit Hundsaugen und Schlangen um den Hals. Und ihr macht ein Geschrei um so einen kleinen, niedlichen Fisch, wie ich einen hier drinnen hab'! Jetzt werd' ich euch was sagen, nämlich, daß ich euch alle zu mir einlade zum Fischessen, und dazu geb' ich eine Kanne Branntwein ...‹

›Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen!‹ Und der Pope erhob sein Kreuz gegen Großvater.

Aber da war es auch mit Großvaters Geduld zu Ende. Ein Teufelskerl war er, und jetzt konnte er sich nicht länger beherrschen:

›So fresse Euch der Teufel alle miteinander!‹ brüllte er ... ›Aber erst freß ich ihn selber, mit Haut und mit Haar! Und jetzt macht, daß ihr fortkommt, sonst ...‹

Damit packte er den kopflosen Fisch am Schwanz und streckte ihn zum Fenster hinaus. Zehn Pfund war er schwer, und das Blut lief an ihm herunter, so daß er ja garstig anzusehen war – so auf den ersten Blick. Kein Wunder, daß die Prozession im Nu wie weggeblasen war.

Großvater holte mit einem Satz den größten Wassereimer, und zur Tür hinaus damit. Wie er die Straße hinunterlief, rannten alle vor ihm davon. Drin in der Branntweinschenke versteckten sie sich unter dem Ladentisch, und er ließ seinen ganzen Wassereimer voll laufen und ging wieder. Daheim befahl er Großmutter, den Fisch aufzuschneiden und übers Feuer zu setzen. Aber sie wollte nicht, wie sehr er auch fluchte. Sogar wie er ein Tauende nahm und sie damit schlug, brachte er sie nicht dazu, daß sie den Fisch anrührte. Sie verkroch sich in eine Ecke, und da blieb sie liegen. Mein Vater, der mir das ganze erzählt hat, lag auf dem Ofen und sah zu. Großvater kochte also selber. Aber so recht freute ihn die Sache nicht. Denn jetzt war er ganz allein, gegen alle die andern, wenn nicht einmal seine eigene Frau zu ihm stehen wollte. Mein Vater hörte selber, wie er über sie schalt, während er den Fisch kochte. Ab und zu schenkte er ein Glas Branntwein ein aus dem Eimer und trank.

Wie der Fisch fertig war, bekreuzte er sich und setzte sich an den Tisch. Er nahm den ganzen Kessel auf einmal vor, alle zehn Pfund Fisch.

Mein Vater sagte, er hätte nie in seinem Leben, weder vorher noch nachher, etwas gegessen, was so gut schmeckte, wie der Fisch roch ... Denn du mußt wissen, daß ihm seiner Lebtag nicht ein Bissen Sterlett in den Mund kam, so viele er auch gefangen hat ... Als Großvater ein bißchen von der Suppe geschlürft hatte, langte er mit dem Löffel nach einem Stück Fisch, sah es ein paarmal an und biß hinein. Darauf aß er eine halbe Stunde lang, ohne vom Tisch aufzustehen, außer, wenn er hie und da den Eimer mit Branntwein holte und daraus trank. Als er, wie man sagt, satt war bis da ... der Fischer zog mit dem Finger eine Linie in der Höhe seines Mundes ... stand er auf, sah zum Fenster hinaus, machte seinen Gürtel ein bißchen weiter, steckte den Kopf in den Branntweineimer und soff wie ein Pferd. Dann aß er wieder ein bißchen, trank wieder und fing an zu singen.

Noch nie hatte ihn jemand singen hören bis dahin, und was er sang, verstand auch niemand; aber singen tat er. So aß und trank und sang er umschichtig, bis er auf einmal still schwieg, mit offenem Mund. Er hustete ein paarmal, setzte sich und röchelte ein paarmal, so wie wenn einer Kuh eine Rübe in den verkehrten Hals gekommen ist. Wie er damit aufhörte, saß er eine Weile still und dachte nach, bis er wieder anfing zu prusten und zu gurgeln. Und so ging das fort. Schließlich stand er auf und ging in die Ecke zu Großmutter. Er hob sie auf und strich ihr übers Haar ... Mein Vater sagte, es sei das einzigstemal gewesen, daß er ihn das hätte tun sehen. Und als er sie in die Stube geführt hatte, röchelte er: ›Ich habe mich an dem Satans Stör verschluckt ... Ich glaube, es ist aus ...‹

Darauf legte er sich auf die Bank, und Großmutter kniete neben ihm nieder und legte den Kopf auf seine Brust und weinte.

Plötzlich richtete er sich auf und stammelte: ›Der Junge!‹

Großmutter holte meinen Vater vom Ofen herunter, und wie er ganz dicht bei der Bank war, nahm Großvater seinen Kopf ganz nah zu sich her und flüsterte ihm ins Ohr:

›Fische für Mutter ... Es war ein Stör ... Den fang! ...‹

Eine Weile darauf starb er unter großen Qualen.

In der Stadt verstanden sie ja wohl, wie es zugegangen war: der Teufel hatte ihn geholt! ...

Großvater wurde vor dem Kirchhof begraben. Erstlich hatte er mit dem leibhaftigen Bösen Umgang gepflogen, und dann war er gestorben, ohne die heiligen Sakramente zu empfangen. Mein Vater hat mir gezeigt, wo sie ihn hingescharrt haben, noch am selben Abend, an dem er starb ... Ja, es geht manchmal wunderlich zu in der Welt ... Ja, ja ... wunderlich geht es manchmal zu in der Welt ...«

Der Fischer sah vor sich hin; dann fuhr er fort:

»Seit dem Tag scheuten die andern in der Stadt unser Haus. Und mein Vater, der ja kaum mehr war als ein Junge, konnte keinen Kameraden zum Fischen finden und mußte sich durchhelfen, so gut er eben konnte. Und das tat er! ... Wie er nun eines Tages nach seinen Haken sieht, holt er, so helf mir Gott! gerade einen solchen Fisch ins Boot wie der, an dem sein Vater gestorben war. Aber er nicht faul zertrat ihm gleich den Kopf mit dem Stiefel.

Am Abend ging er mit dem Fisch auf den Kirchhof und begrub ihn in geweihter Erde. Denn er dachte so: wenn sein Vater draußen vor dem Kirchhof liegen mußte, so war es am besten, der Antichrist lag drinnen. So konnte er wenigstens nicht mehr heraufkommen und noch mehr Unglück anrichten, weder bei den Lebenden noch bei den Toten ... Aber kannst du dir so etwas denken! Fast keine Nacht vergeht, ohne daß er einen oder mehrere von diesen Undingern an seinen Haken findet. Und einem nach dem andern zerquetscht er den Kopf und begräbt ihn in geweihter Erde. Einmal mußte es ja doch ein Ende haben mit der Teufelsbrut ... Eines Abends, als mein Vater mit solch einem Fisch ans Land kommt, begegnet ihm ein fremder Mann.

›Was hast du da?‹ sagt der Mann.

›Nichts ...‹

›Laß sehen ...‹

Mein Vater schweigt, verstehst du, und tut als wäre nichts.

›Fängst du viele solche?‹

›Was?‹

›Was tust du mit ihnen?‹

›Nichts ...‹

›Ich will dir einmal etwas sagen: für jeden solchen Fisch, den du fängst, groß oder klein, gebe ich dir 25 Kopeken in Silber.‹

›Wo bist du denn her?‹ sagt mein Vater zu dem Mann.

›Ich bin von Archangelsk, oder richtiger gesagt, vom Solowetzky-Kloster.‹

›Soll der Fisch ins Kloster?‹

›Jawohl, ins Kloster ...‹

Nun, darauf, meinte mein Vater, konnte er schon eingehen. Wenn der Fisch ins Kloster kam, so war das ja noch besser, als ihn auf dem eigenen Kirchhof zu begraben, zumal wenn er noch 25 Kopeken in Silber für jeden Fisch, groß oder klein, bekam. Und so fing er an, Sterlett zu fangen für Geld. Wenn er ein paar Stück im Fischbehälter hatte, schickte er sie mit irgendeiner Gelegenheit den Strom hinunter dem Mann in Archangelsk und bekam das Geld dafür. Später kamen andere Männer aus Petersburg, die sich auf Fisch verstanden, und nach und nach stieg der Preis bis gegen 40 Kopeken das Pfund, wie ich vorhin gesagt habe ... Aber rechne jetzt selber nach, ob es nicht hundert Jahre sind, daß der erste Sterlett hier im Strom gefangen worden ist? Viel fehlt nicht daran. Denn, wie gesagt, mein Großvater fing den ersten und starb daran. Nach ihm hat mein Vater gefischt, aber er ist ertrunken in dem Frühjahr, als das Eis so spät ging. Nach ihm habe ich gefischt und mein Sohn und sein Sohn ...«

Der Erzähler deutete auf den andern Fischer und den Knaben.

»… So kannst du es ja jetzt selber ausrechnen!«

Der Fischer schwieg, sah zu der sinkenden Sonne auf und sagte: »Aber ich habe mich gewiß verschwatzt. Wir müssen die Haken auswerfen ...«

Auch wir brachen auf, um neue Dinge zu erleben, und ich hatte den Sterlett ganz vergessen, bis ich ihn in einem Glasbassin in der alten Hansastadt schwimmen sah. Und hätte ich nicht die Hirnschale eines Sterletts und drei der gefährlichen Knochenplatten hier vor mir liegen auf meinem alten Sekretär, so könnten andere und ich selber glauben, das Ganze sei erdichtet. Aber so weiß ich ganz bestimmt, daß der Sterlett zählebig ist wie die Sehnsucht, daß man ihn um die ganze Erde führen kann, ohne daß er stirbt, selbst wenn nichts mehr von ihm übrig ist als eine Hirnschale und drei gefährliche Knochenplatten ...


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