Mackay
Der Schwimmer
Mackay

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9

Koepke mußte den Brief aufsetzen, in dem Felder seinen Austritt anmeldete. Kein Entwurf genügte dem im Innersten Gekränkten. Sogar der übliche »Schwimmergruß« am Ende mußte fortbleiben und wurde durch das steife »Hochachtend« ersetzt. Endlich entschied er sich für die kürzeste Fassung. Trotzdem dauerten Vorbereitungen und Ausführung der Abschrift fast eine Stunde. – Daß Koepke zugleich mit ihm austrat, war ebenso selbstverständlich, wie nebensächlich.

Es war kaum bekannt geworden, daß Felder den S.-C. B. 1879 verlassen wollte, als sich bereits mehrere der ersten Berliner Schwimmvereine um seine Mitgliedschaft bewarben. Alle wären stolz darauf gewesen, den Meisterschwimmer ihr eigen zu nennen. Aber Felder hatte bereits entschieden, und es war mehr ein Zufall, als Absicht, der ihn den Klub »Hecht« wählen ließ. Er traf eines Abends mit mehreren der ihm gut bekannten Mitglieder zusammen, ein Wort gab das andere, und Felder war sein Mitglied, ehe er sich dessen versah. Es war kein besonders hervorragender, aber geachteter und strebsamer Verein, der sich natürlich mit dem S.-C. B. 1879 in keiner Beziehung messen konnte, aber doch auch nicht zu jenen kleinen Klubs gehörte, die lediglich aus Vereinssimpelei entstanden waren und das Schwimmen nur so nebenbei betrieben. Er setzte sich in seiner Herrenabteilung meist aus kleinen Gewerbetreibenden und Beamten, in seinen jüngeren Leuten aus deren Angehörigen und Bekannten zusammen und bildete gewissermaßen eine große Familie.

Für Felder war die Art und Weise entscheidend, mit der man ihm entgegenkam. Man betrachtete seinen Eintritt als hohe Ehre und nahm die Gelegenheit sofort wahr, den Tag als Fest zu feiern, wie man überhaupt in geselligen Zusammenkünften groß war.

Felder gebot von der ersten Stunde an unumschränkt in allem, was er wollte und wünschte. Das war nun zwar niemals mehr, als Beteiligung an jeder irgendwie bedeutsamen Schwimmkonkurrenz. Denn jetzt, wo er sich endgültig auf dieses, sein Gebiet, beschränkte, war seine Eifersucht, unumschränkt auf ihm zu herrschen, größer als je. Keiner widersprach seinen Wünschen. Dafür erwartete man Wunderdinge von ihm, als Geringstes einen ganz neuen Aufschwung des Klubs.

Der Anfang war vielverheißend. Man leerte die Kasse willig, um Felder auf möglichst viele auswärtige Feste senden zu können, und freute sich kindlich an den eroberten Preisen, mit denen man das noch recht kahle Klubzimmer schmückte. So siegte er im Laufe der Sommermonate nacheinander: im Schwimmen um die »Havelmeisterschaft«, bei dem neben ihm nur noch einer startete; in Magdeburg im Schwimmen um die »Elbmeisterschaft«, die er nun schon zweimal sein nannte; in dem großen »Müggelseeschwimmen«, einem heißen Kampfe; in Hannover, wo er allein an den Start ging, und daneben in mehreren lokalen Veranstaltungen der Berliner Klubs. Er unterlag eigentlich nur ein einziges Mal, als er auf dem Gastschwimmen des »Triton« sich von dem Favorit dieses Klubs im Brustschwimmen zu dessen eigenem Erstaunen schlagen ließ.

Aber die Kämpfe dieses Jahres standen unter keinem günstigen Zeichen und nicht auf der Höhe derer der Vorjahre. Die Europameisterschaft wurde nicht in England ausgefochten, sondern in Wien. Als Felder im August dort hinreiste, fand er weder von England, noch von Italien Konkurrenten vor. England hatte, wie gewöhnlich, keine entsandt, und der italienische Meister, mit dem er nun schon zweimal so erfolgreich gerungen und der Stein und Bein geschworen, ihn beim dritten Male unterzukriegen, war nicht erschienen. Er sei krank, hieß es... Deutschland hatte überhaupt keinen geschickt außer ihm. Es konnte nichts Besseres tun. Aber die Freude an der diesjährigen Europameisterschaft war Felder getrübt. Er wäre nur zufrieden gewesen, wenn er sie gegen die ersten Meister der Welt auch diesmal hätte verteidigen können, vor allem gegen jenen australischen Schwimmer, von dessen phänomenalen Leistungen die internationalen Sportblätter so viel sprachen, dessen Rekord über die 1000-Meter-Strecke den seinen um zwei Minuten übertraf und dessen Porträt deshalb in der letzten Nummer des »Sport im Bilde« neben das seine gestellt war. Aber der war nicht gekommen und auch nicht erwartet worden... Er messe sich nur in Australien und England, hieß es.

Als Sieger kehrte er zurück, mit Jubel empfangen. Als Sieger ging er auch aus dem diesjährigen großen Verbandsschwimmen in Charlottenburg hervor, wo er einen doppelten Triumph davontrug. Denn hier führte er zum ersten Male die neuen schwarz-gelben Farben gegen die blauweißen ins Feld. Der S.-C. B. 1879 wagte es und hatte zum Schwimmen über dreihundert Meter – wie früher ihn – ein Mitglied gemeldet. Felder lachte, als er es hörte. – Gegen ihn! – Man wollte ihn ersetzen? – Man sollte sich täuschen. Er wollte ihnen zeigen, was sie an ihm verloren hatten. Und es machte ihm ein grausames Vergnügen, den früheren Klubgenossen, mit dem er so manches Mal zusammen im Spiel geübt hatte, noch neben sich liegen zu lassen, als die anderen drei Konkurrenten schon längst hinter ihnen geblieben waren, ihm zu erlauben, bis auf Körperlänge ans Ziel zu kommen, schon die Rufe zu hören, die früher ihm gegolten, und ihn dann unter dem tosenden Beifall der Schwarz-Gelben und aller Zuschauer um diese eine Körperlänge zu schlagen, indem er mit seinem gefürchteten und berühmten Anschlag ans Ziel ging...

An diesem Abend, als er neben diesem 300-Meter-Siege auch noch den neu gestifteten »Kaiserpreis« für den »Hecht« erwarb und seine neuen Genossen nicht genug tun konnten, ihm ihre Freude und Dankbarkeit zu beweisen, während der S.-C. B. 1879 in corpore das Lokal der Preisverteilung verließ, genoß er ganz das Gefühl der Genugtuung gesättigter Rache.

Aber in nächster Zeit, in den langen Tagen und Wochen zwischen den großen Festen, sonst stets so ausgefüllt durch ruhige Arbeit und frohen Verkehr mit lieben Freunden, fühlte er mehr als je, was er in diesem Sommer verloren. Keinen der beiden Schläge – die ersten, die er in seinem Leben empfangen, – vermochte er zu verwinden: weder die Niederlage im Springen, noch den Verlust seines Klubs. Der eine hatte ihn noch trotziger und eifersüchtiger gemacht, obwohl sie ihn tief verletzt; aber an dem anderen litt er. Es war eine Wunde, die sich nicht schließen wollte.

Denn unter seinen neuen Genossen fühlte er sich fremd. Wie als Knabe schon, war er auch jetzt noch nicht imstande, sich schnell an neue Menschen anzuschließen und im Verkehr sich leicht zu geben. Das wurde natürlich auf der anderen Seite ebenfalls empfunden und manche Versuche vertraulicher Annäherung hörten von selbst auf.

Felder war nicht mehr zufrieden und glücklich. Noch standen seine Siege ganz auf der Höhe derer vom Vorjahre. Er schwamm noch ebenso tadellos, sein Stil war unanfechtbar, wie seine Siege, aber sie machten nicht mehr dasselbe Aufsehen wie bisher. Man hatte sich an sie gewöhnt und erwartete nichts anderes von ihm. Er selbst legte ihnen nicht den Wert mehr bei, wie früher. – Manche sagten, eine gewisse Gier und Rücksichtslosigkeit habe sich seiner bemächtigt, die ihm früher nicht eigen gewesen sei.

Vielleicht täuschten sie sich, weil er nicht mehr so ruhig war, wie sonst, nicht mehr mit derselben frohen Unbekümmertheit und Heiterkeit an den Start ging. Aber in einem hatten sie recht: Felder war wirklich ein anderer geworden. Er war nicht mehr zufrieden, nicht mehr glücklich.

Außerdem beschlich ihn jetzt zuweilen ein ganz neues Gefühl, das er nie vorher gekannt hatte: er fühlte sich einsam.


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