Mackay
Der Schwimmer
Mackay

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6

Bisher hatte er von seinem Schwimmen nichts gehabt als sein Vergnügen. »Brotlose Künste!« sagte sein Vater eines Tages, als Franz wieder einmal sein Fortbleiben an einem ganzen Nachmittag und einem halben Abend mit nichts anderem zu entschuldigen wußte, und dieser konnte sich nur mit dem Gedanken über diesen Ausspruch trösten, daß sein Vater eben auch nichts vom Schwimmen verstehe. Er bedauerte ihn deshalb tief, denn für ihn gab es nur zwei Arten von Menschen: solche, die schwimmen, und solche, die nicht schwimmen konnten. Die letzteren waren für ihn eine untergeordnete Klasse von Menschen, jedes Mitleids würdig.

Nun aber – er stand in seinem dreizehnten Lebensjahre – brachte ihm seine Fähigkeit den ersten Erfolg in den Augen der Menschen, und einen schönen. –

Es war an einem Sonntagnachmittag, und Franz lag im Grase an der Spree nahe der Kirche in Stralau, die ihren grauen Turm aus alten Linden und Ulmen heraus neugierig in den wolkenlosen Himmel streckte. Franz war ganz allein. Seinen Freunden, die ihn zu einer Wasserpartie nach Sadowa überreden wollten, hatte er einen Korb gegeben – einmal, weil ein paar mitmachten, die ihm nicht paßten, da sie ihm zu rüdig waren; und sodann, weil er nur drei Sechser in der Tasche hatte, über die bereits anderweitig für morgen verfügt war. Zudem war er ganz gern allein, und die Pätschelei machte ihm nur dann Vergnügen, wenn sie mit einem regelrechten Bade verbunden war.

Franz also lag in dichtem Grase, sog an ausgerupften Halmen und ließ in augenblicklicher Ermangelung eines Besseren einen um den anderen seiner nackten Füße ins Wasser hängen. Erst harte es ihm Spaß gemacht, nach den Sommergärten von Treptow, die alle schwarz von Menschen waren, und auf die Spree, wo sich Unmengen von kleinen Boten, Kähnen und Seglern herumtrieben, hinauszuschauen, und er hatte sich vorgenommen, einmal aufzupassen, wie lange es wohl dauern würde, bis eine dieser meist von den ungeübtesten Händen gelenkten Schalen in den Kurs eines der schwerfälligen Dampfer kam, die einer nach dem andern menschenüberladen und unter ohrbetäubenden Geklingel spreeauf- und abwärts an ihm vorbeiführen. Denn alle Sonntage kamen hier einer oder mehrere Unfälle vor, und das Gottvertrauen, mit dem der Handlungsgehilfe aus NO und der Friseur aus SW, denen doch sonst vor jeder Berührung mit dem Wasser inner- und äußerlich graute, die Boote mit ihren Schönen beluden und direkt auf die Dampfer losfuhren, hatte etwas Rührendes. Aber, wie es immer ist: wenn wir auf ein Ereignis warten, kommt es nicht, und so wurde auch Franz bald müde, auf die Wasserfläche hinauszublinzeln, und er sah zur Abwechselung hinauf in den Himmel, indem er sich auf den Rücken warf.

Ob es wohl ein Wasser gab, das so tief und so blau war, wie dieser Himmel dort oben? Was mußte das für eine Lust sein, darin zu baden! – Er dachte an einen seiner Lehrer, der einmal von einem Märchen erzählt hatte. In dem kam ein Bergsee vor, der sollte »so tief wie das Meer und so blau wie der Himmel« sein. Aber Franz konnte sich keine rechte Vorstellung von einem Bergsee machen, und außerdem war es ja ein Märchen, das der Lehrer erzählte. Die Spree war immer dunkelbraun und schmutzig, und auch in dem Volksbad konnte man nicht auf den Grund sehen, auch dann nicht, wenn das Bassin gereinigt und mit frischem Wasser gefüllt war. Aber es mußte doch wunderschön sein, einmal in einem so ganz klaren, durchsichtigen Wasser zu baden...

Und da empfand Franz auch schon mit heftigem Unbehagen, daß er heute noch gar nicht im Wasser gewesen war. Wenn er es wagte? Aber das wäre doch wohl eine zu große Frechheit gewesen, am Sonntag, hier vor allen Leuten – wenn ihn da ein Schutzmann erwischte, würde es schöne Senge absetzen, und nicht die allein. Nein, er mußte schon warten, bis es dunkel geworden war, und dann auf dem Heimweg noch schnell einmal irgendwo hineinspringen. Weshalb waren doch nur alle Badeanstalten am Sonntagnachmittag geschlossen – das war doch zu dumm! – Wo alle anderen Vergnugungslokale geöffnet waren, blieben die, wo es das allergrößte gab, zu! –

Und wenn er nun doch jetzt sein Bad nähme! – Er getraute es sich, seine Kleider abzuwerfen, so lautlos ins Wasser zu schlupfen, unter ihm hin eine Strecke zu schwimmen, einmal aufzutauchen, um Atem zu schöpfen, und dann ebenso lautlos wieder zurückzuschwimmen, daß kein Mensch ihn bemerken sollte. Aber eine bodenlose Frechheit wäre es doch gewesen und wenn wirklich ein Schutzmann in der Nähe war – und immer war ein solcher Kerl irgendwo in der Nähe! – und die Kinder ein Geschrei erheben würden...

War da schon einer? – Schrieen die Kinder oder wer schrie so? – Franz sprang in die Höhe. Hatte er es nicht gleich gesagt? – Na ja, gleich der ganze Kahn um und alles ins Wasser! – Und ein Geschrei und Gerufe und ein Laufen – jetzt aber raus aus dem Hemde und ins Wasser! – Er fuhr durch das Wasser wie nie in kurzen, kräftigen Stößen. Er wollte schon auf den Kahn zu, als er – noch ein Stück von ihm entfernt – etwas auf dem Wasser kämpfen und untersinken sah: einen Jungen, ein paar Jahre jünger nur, als er selbst. Er erreichte ihn noch gerade und packte ihn beim Arm. Aber der klammerte sich auch gleich an ihm fest, und Franz hatte Mühe wieder loszukommen. Denn so ging das ja nicht. Er schrie ihm zu, ganz ruhig zu sein, er bringe ihn schon ans Land. Aber der andere war schon wieder mit dem Kopfe unter Wasser und hörte nichts mehr.

Da ließ ihn Franz einen Augenblick ganz los, griff ihn dann fest unter dem Arm und brachte nun den sich nicht mehr Sträubenden. – denn der hatte einstweilen genug Wasser geschluckt – langsam, aber in sicheren und kräftigen Stößen ans Land.

Dort streckten sich schon hundert Hände aus – nicht nach dem Retter, um den kümmerte sich keiner – sondern nach dem andern, und Franz war froh, daß man ihn in Ruhe ließ. Er suchte nach seinen Kleidern. Alles lag noch da, aber seine Jacke fehlte. Er suchte und suchte, ohne sie finden zu können. Erst wollte er Skandal machen. Doch dann hätten sich alle die Menschen, die sich dort um den Geretteten bemühten oder ihn neugierig umstanden, nach ihm gewandt und ihn ausgefragt. Fragen aber war ihm ein Greuel. Und es nützte ja doch nischt! – der seine Jacke mitgenommen hatte, der Halunke, war jetzt doch schon über alle Berge!

Er machte besser, daß er fort kam, denn er glaubte, einen Lehrer am Ufer erkannt zu haben. Nur keine Quatscherei! Er sah noch gerade, daß der Junge wieder aufrecht stand, den er herausgeholt; dann rannte er, was er konnte. Und als wirklich der Lehrer sich nach ihm umsah, war Franz längst verschwunden.

Er trottete in Hemdsärmeln nach Hause. Sein Bad hatte er ja nun gehabt. Aber als er mit gesenktem Kopf an den Scharen der sonntäglichen Spaziergänger die lange Straße längs der Spree nach Hause trabte, mußte er einmal doch die aufsteigenden Tränen hinunterschlucken, als er daran dachte, daß er nun ohne Jacke nach Hause kam, und an den Skandal, den es absetzen würde. Denn sagen, wie es wirklich gewesen war, das konnte er doch nicht.


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