Lukian von Samosata
Totengespräche
Lukian von Samosata

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechsundzwanzigstes Gespräch

Menippos und Cheiron

Menippos: Wie ich höre, Cheiron, sollst du, wiewohl du von Geburt ein Gott bist, zu sterben verlangt haben.

Cheiron: Du hast die Wahrheit gehört, Menipp.

Menippos: Was kam dich für eine Liebe zum Tode an, den doch die meisten so unliebenswürdig finden?

Cheiron: Einem so verständigen Manne wie du kann ich es schon sagen. Die Unsterblichkeit hatte nichts Angenehmes mehr für mich.

Menippos: Wie? Es war dir nicht angenehm, das Sonnenlicht zu sehen?

Cheiron: Nein, Menipp! Für mich ist nichts Angenehmes ohne Mannigfaltigkeit. Immer einerlei Vergnügen ist meiner Meinung nach kein Vergnügen. Also immer zu leben, wie mein Fall war, und immer dieselbe Sonne zu sehen, und mich immer auf dieselbe Weise zu nähren, und zu sehen, wie die Jahreszeiten und alles, was sie mit sich bringen, immer sich selbst ähnlich in derselben Ordnung, eines hinter dem andern, in einer ewigen Reihe folgt, und immer heute voraus zu wissen, daß es morgen ebenso sein wird – das machte mir endlich Langeweile, und ich wurd' es schlechterdings überdrüssig; denn, noch einmal, das Vergnügen liegt nicht im Genusse der nämlichen Sache, wie angenehm sie auch sein mag, sondern entspringt aus der steten Abwechslung neuer Gegenstände.

Menippos: Wohl gesprochen, Cheiron! Aber wie findest du denn deine Lage hier im Orkus, seitdem du aus eigener Wahl hieher gekommen bist?

Cheiron: Nicht unangenehm, Menipp. Die allgemeine Gleichheit, die hier herrscht, hat etwas Populäres, das mir gefällt, und übrigens ist mir's ganz einerlei, ob es hell oder dunkel um mich herum ist. Außerdem bin ich hier, wo man weder hungert noch dürstet, des Essens und Trinkens überhoben, das da oben unentbehrlich war.

Menippos: Gib acht, Cheiron, daß du nicht gegen dich selbst anrennest und am Ende wieder auf eben dem Punkte bist, von dem du dich entfernen wolltest.

Cheiron: Wieso?

Menippos: Wenn du des Lebens da oben überdrüssig wurdest, weil alles immer das nämliche war, so wirst du es hier, wo auch alles immer das nämliche ist, bald satt werden und, um dich zu verändern, wieder in ein andres Leben ziehen müssen, welches, wie ich besorge, unmöglich ist.

Cheiron: Wie könnte sich einer denn also helfen, Menipp?

Menippos: Ich sehe nur ein Mittel und das, meines Wissens, nichts Neues ist: Ein Verständiger nimmt alles, wie es ist, behilft sich damit, wie er kann und hält nichts Unvermeidliches für unerträglich.


 << zurück weiter >>