Jean-Baptiste Louvet de Couvray
Leben und Abenteuer des Chevalier Faublas – Zweiter Band
Jean-Baptiste Louvet de Couvray

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Ich hatte soeben die beiden hübschen Füße Ursula's zusammengebunden, ich hatte ihre Hände mit den Banden beschwert, von denen sie die meinigen befreit hatte; und mit schwerem Herzen bereitete ich das Sacktuch vor, das ihr den Mund bedecken sollte. »Noch einen Augenblick! ich will Ihnen Ihre letzten Anweisungen geben, ich will dieselben wiederholen, dass Sie dieselben wohl behalten. Geleitet von dem schwachen Scheine dieser Kerze, werden Sie in das Gewölbe kommen, das wir soeben miteinander durchgegangen haben.

»Einige Schritte von da wenden Sie sich, wie ich Ihnen gezeigt habe, links, dann werden Sie bald an die Fallthüre kommen, die wir mit so großer Mühe ausgehoben haben; ganz in der Nähe derselben, unter dem Schirmdach des kleinen Hofs, nehmen Sie die Leiter des Gärtners; endlich öffnen Sie mit diesem Schlüssel hier das Gartenthor, das Sie kennen, und möge der Himmel Sie vor jedem Unfall schützen! ach, ich vergaß noch eine nothwendige Vorsichtsmaßregel, ich vergaß sie, weil sie nur mich betrifft.

»Um es weniger zweifelhaft zu machen, dass Sie durch Gewalt von außen befreit worden seien, tragen Sie beim Hinausgehen Sorge, in den Eingang des Gefängnisses eine Ihrer Pistolen zu werfen, welche Ihnen die Landreiter so glücklicherweise gelassen haben.

»Gehen Sie, mein Engel, retten Sie sich, es ist schon spät! Lebewohl, göttlicher Jüngling! Deine Worte klingen mir wie himmlische Musik! Das Feuer Deines Blickes versengt mein Herz, meine Seele ruht in der Deinigen! bedecke mir das Gesicht und entferne Dich eilends!«

Es kam mir schwer an, sogleich zu gehorchen; dennoch musste ich mich wohl oder übel dazu entschließen.

Ich bedeckte ihren schönen Mund mit einem Sacktuch, das ich so auseinander legte, dass man glauben konnte, man habe dem armen Mädchen ihr Gesicht verhüllt, damit ihr Geschrei nicht gehört werden könnte.

Um die Zeit nicht mit unnützen Danksagungen zu verlieren, verließ ich sodann meine Befreierin, ziemlich beruhigt über ihr Los, was ihr auch begegnen mochte, aber noch in großen Sorgen um meine eigene Person.

Wie groß war meine Freude, als ich, nachdem ich das Gewölbe glücklich durcheilt, die Fallthüre geöffnet hatte, mich in einem Garten erblickte, den ich wieder erkannte. Mein Herz klopft so stürmisch, meine Augen füllen sich mit Thränen.

Ich sehe ihn wieder, diesen geliebten Spaziergang, wo meine angebetete Sophie seufzte! welche Gefühle empfinde ich! eine fromme Scheu! eine heilige, mit Rührung vermischte Ehrfurcht! diese Orte sind voll von ihrer Gegenwart und den Denkmalen unserer Liebe.

Hier schwärmte sie an dem Tage, da ich ihr meine Romanze sang. Auf diese Bank, die ich berühre, setzte sie sich in den Erholungsstunden, damit mir uns durch die Jalousien unseres Gartenhauses hindurch sehen konnten.

Auf diesem Platze hier kam ich fast alle Abende mit ihr zusammen; hier vermischten wir oft in gegenseitiger Herzensergießung unsere Seufzer und Thränen.

Hier, unter diesem schützenden Kastanienbaume, umarmte ich sie, die jetzt meine Frau ist. Wir waren Liebende, nun sind wir Gatten und wir schmachten getrennt.

Doch fort mit diesen traurig schönen Erinnerungen.

Großer Gott! der Tag beginnt zu grauen, und wenn man mich hier entdeckt, so bin ich verloren.

Ich lief nach meiner Leiter, stieg mit großer Mühe hinauf, in dem mich das lange Kleid, worin ich nach Ursula's Rath gekleidet blieb, sehr hinderte. Dessen ungeachtet hatte ich bereits die Zinne der Mauer erreicht, als ich, mich gegen die Straße hinabneigend, eine Patrouille erblickte, die hier auf und ab gieng.

Ich stieg schnell wieder herab und war in großer Verlegenheit, wie ich hinauskommen sollte. Ich konnte nicht daran denken, mich zu Herrn Fremont zu retten, bei dem ich zu gut bekannt war, und ich wusste nicht, wer das Haus bewohnte, das ich neben dem seinigen erblickte; aber der Eigenthümer mochte sein, wer er wollte, kein Aufenthalt konnte mir mehr Gefahr bringen, als der im Kloster; ich beschloss daher, meine Leiter längs der mittleren Mauer aufzupflanzen.

Um den gefahrvollen Gang mit weniger Schwierigkeit zu machen, will ich das weite Kleid ablegen, das alle meine Bewegungen hindert; allein ein leichtes Geräusch erschreckt mich; statt die Zeit mit Auskleiden zu verlieren, klettere ich so schnell als möglich hinauf, setze mich rasch rücklings auf die Mauer und ziehe die Leiter hinweg, um sie auf der anderen Seite aufzupflanzen.

In dem Augenblicke, wo ich sie in der Luft halte, glaube ich jemand an dem Gartenthore zu bemerken. Mein Schrecken vermehrt sich, meine Hand zittert, die Leiter entwischt mir und fällt; und so sitze ich denn in einem äußerst unbequemen Aufzug rücklings einer Mauer. Glücklicherweise bin ich nicht derjenige, für den ein Sprung von zehn Fuß hoch etwas schreckliches hätte; die Zeit drängt, hier ist nicht zu zögern, ich stürze mich hinab.

Beim Geräusch des doppelten Falles, von meiner Leiter und von meiner Person, kommt ein junges Mädchen im hübschen, zierlichen Hauskleide hinter einer Hagebuche hervor, wo sie verborgen war.

Anfangs gieng sie auf mich zu, plötzlich machte sie Halt, wie wenn sie eben so erschreckt als überrascht wäre, und bedeckte sich das Gesicht mit ihren beiden Händen, ehe ich nahe genug war, um ihre Züge zu unterscheiden.

Ich trete zu ihr, ich beruhige sie; und ihren Beistand anflehend, küsse ich ihre niedlichen Händchen eine nach der anderen und suche sie zu beseitigen, um das offenbar hübsche Gesicht zu sehen, das sie mir verbirgt.

»Eine Nonne!« sagte jetzt eine Stimme; »er ist's, in dieser Verkleidung! ha, Schurke, ich werde Dich lehren, meiner Geliebten den Hof zu machen!«

Während ich mich umdrehe, um zu sehen, woher diese drohende Stimme kommt, fühle ich, dass meiner Schultern sehr übel mitgespielt wird. Man bediente mich mit Stockschlägen.

Meine Angreifer waren zu drei. Jeder hielt mit seinem Schlagen inne, sobald ich, nachdem ich mich einige Schritte zurückgezogen, das furchtbare Instrument zeigte, womit ich mich gewaffnet hatte. Derjenige von meinen Gegnern, den ich zuerst ins Auge fasste, hatte kaum vierzehn oder fünfzehn Jahre.

Ich erkannte in ihm einen jener hübschen Buben, jener eleganten Jockeys, die majestätisch über die drohende Kuppel eines kolossalen Kabriolets gebeugt, artige Grimassen gegen die Vorübergehenden schneiden. Den zweiten würdigte ich bloß eines flüchtigen Blickes; es war einer jener bengelhaften Lakaien, die wir vornehmen Leute bezahlen, um Karten zu spielen, oder auf den Stühlen unserer Vorzimmer zu schlafen, und die sich in den Gesindestuben über uns lustig machen, um im Wirtshause das Geld des gnädigen Herrn zu verzehren und in den Dachstuben mit den Kammerfrauen der gnädigen Frau zu kurzweilen.

Der Dritte zog meine ganze Aufmerksamkeit auf sich; seine Kleidung war zugleich einfach und gewählt; in seiner Haltung hatte er einigen Adel und viel Anmuth; sein Gesicht behielt etwas achtungsgebietendes, trotz seines augenblicklichen Schreckens. Ich hielt ihn für den Gebieter der beiden andern.

»Mein Herr, wenn Sie es wagen, einen Schritt zu thun, wenn Sie sich nur ein Zeichen erlauben, wenn Ihre Leute nur den geringsten Widerstand versuchen, so schieße ich Sie nieder. Antworten Sie mir gefälligst: sind Sie Edelmann?«

»Ja, mein Herr.«

»Ihr Name?«

»Vicomte de Valbrun.«

»Herr Vicomte, ich werde Ihnen nicht sagen, wie ich mich nenne; nur so viel sollen Sie wissen, dass ich Ihnen in keiner Beziehung nachstehe. Dieses Abenteuer, dessen Anfang für mich unangenehm war, wird wohl glücklich für mich enden; es ist wahrscheinlich, dass Sie es nicht auf mich abgesehen hatten; aber Sie haben mich einmal auf eine unwürdige Weise beschimpft; mein Herr, es ist Ihnen ohne Zweifel nicht unbekannt, gekränkte Ehre erheischt Blut. Zum Unglück bin ich sehr in Eile, und habe nur eine Pistole. Doch werden wir, wenn es Ihnen genehm ist, unseren Streit auf der Stelle schlichten können.

»Vor Allem ersuche ich Sie, Ihren Bedienten und Ihren Jockey gefälligst hinwegzuschicken.«

Herr von Valbrun machte ein Zeichen und die beiden Bedienten entfernten sich.

Plötzlich war ich bei Herrn von Valbrun und ihm eine geschlossene Faust vorhaltend, sagte ich:

»Mein Herr, ich habe einige Geldstücke in der Hand; »gerade, oder ungerade?« wenn Sie errathen, so übergebe ich Ihnen die Pistole und Sie schießen.

»Errathen Sie nicht, Vicomte, so sind Sie ein Kind des Todes.«

»Gerade!« sagte er.

Ich öffnete die Hand, er hatte recht gerathen.

»Lebe wohl, mein Vater! meine Sophie! lebe wohl auf ewig –!«

Herr von Valbrun ergriff die Pistole, die ich ihm übergab, und rief:

»Nein, mein Herr, nein! Sie sollen Ihren Vater und Sophie wiedersehen.«

Er schoss in die Luft, dann sagte er:

»Merkwürdiger junger Mann, wer sind Sie denn? welcher Adel! welche Unerschrockenheit! es wäre zu unverzeihlich, wenn ich Sie wissentlich hätte beleidigen wollen. Bedenken Sie nur, dass der Zufall mich schuldig machte und gewähren Sie mir, ich bitte, Ihre Verzeihung.«

Ich reichte ihm meine Hand.

»Mein Herr,« sagte er, »ich werde nicht früher beruhigt sein, bis Sie mich über Ihre Gesinnungen völlig beruhigt haben.«

»Vicomte, Sie bitten mich um Verzeihung, während Sie mir das Leben so großmüthig schenkten. Ich werde entzückt sein, Ihre Freundschaft zu gewinnen.«

»Mit wem habe ich das Glück zu sprechen?«

»Ich kann es Ihnen nicht sagen; ich werde mich Ihnen zu einer geeigneteren Zeit zu erkennen geben; erlauben Sie, dass ich mich zurückziehe.«

»Wie? in diesem Kleide? kommen Sie mit mir, ich werde Ihnen einen Anzug geben lassen; es ist die Sache eines Augenblickes.«

In der That war es unmöglich, dass ich in den Kleidern, worin ich steckte, weiter gieng; ich nahm daher das Anerbieten des Vicomte an.

Indes war das junge Mädchen, das den ganzen Lärm verursacht hatte, in einiger Entfernung geblieben und sagte kein Wort.

Herr von Valbrun rief sie: »Justine, warum kommen Sie nicht näher, was soll dieses fortwährende Verstecken?«

Bei diesem Namen, der so sanft meinem Ohre klang, unterbrach ich Herrn von Valbrun.

»Justine nennt sie sich? es wäre wirklich sehr merkwürdig – Herr Vicomte, erlauben Sie mir, einen Zweifel aufzuklären?«

Er versicherte mich, es würde ihm Vergnügen machen.

Ich näherte mich dem jungen Mädchen, und da es hell genug war, um die Züge unterscheiden zu können, so erkannte ich dieses hübsche, putzige Gesichtchen, dessen pikantes Andenken mich zuweilen beunruhigt hatte.

»Wie? wahrhaftig. Du bist's, meine kleine Justine?«

»Ja, Herr von Faublas, ich bin's.«

Vicomte von Valbrun: »Herr von Faublas! er ist hübsch, edel, tapfer und großherzig. Er glaubt sich am Rande des Todes und nannte Sophie! hundertmal hätte ich ihn erkennen sollen.« Indem er meine Hand ergriff, sagte er:

»Wackerer, ehrenfester Chevalier, Sie rechtfertigen in jeder Beziehung Ihren glänzenden Ruf! ich wundere mich nicht, dass eine reizende Frau sich um Ihretwillen einen großen Namen erworben hat. Aber sagen Sie mir, wie sind Sie hier? wie wagen Sie es nach dem Aufsehen, das Ihr widerwärtiges Duell gemacht hat, sich in der Hauptstadt zu zeigen? ein großes Interesse muss Sie herführen. Herr Chevalier, schenken Sie mir Ihr Vertrauen und betrachten Sie den Vicomte von Valbrun als den ergebensten Ihrer Freunde. Für's erste, wohin gehen Sie?«

»In den Gasthof »zum Kaiser«, Straße Grenelle.«

»Ein möblirtes Hotel! und in dem bewohntesten Viertel von Paris! hüten Sie sich wohl! ohnehin sind Sie dort bekannt; wie könnten Sie es wagen, sich bei Tage blicken zu lassen? Sie werden keine zwanzig Schritte thun, ohne verhaftet zu werden.«

Der Vicomte hatte vielleicht Recht; aber ich fühlte nur das lebhafte Verlangen, den Augenblick zu beschleunigen, der mich mit Sophie zusammenführte; ich bestand daher auf meinem Vorsatze.

»So sei es denn,« sagte er, »aber erlauben Sie wenigstens, dass ich auf Kundschaft ausgehe, während Sie sich umkleiden. Justine, führen Sie den Herrn in das Toilettenkabinet, öffnen Sie ihm meinen Kleiderschrank und tragen Sie Sorge, dass ihm nichts abgeht.«

Als der Vicomte sich entfernt hatte, fragte ich Justine, was gegenwärtig ihre Beschäftigung sei, und was sie hier an diesem Orte, wo ich sie eben treffe, zu thun habe.

»Dies hier,« antwortete sie, »ist der Wohnsitz des Herrn Valbrun.«

»Ich verstehe. Du bist in diesen Räumen die kleine Göttin, der man huldigt. Du bist hübsch, dazu auch klug genug.«

»Herr von Faublas, Sie machen mir Komplimente.«

»Wie hat sich Dein Schicksal in so kurzer Zeit verändert.«

»Das Abenteuer der Frau Marquise hat mir eine Art Ruf verschafft; man stritt sich um mich vor drei Wochen. Von allen Bewerbern schien mir Herr von Valbrun der liebenswürdigste.«

»Sage mir aber, liebe Justine, was wolltest Du denn so früh in diesem Garten thun?«

»Den schönen Morgen genießen und Luft schöpfen. Übrigens, wenn der Herr Vicomte unfreundlich wird, um so schlimmer für ihn, ich komme nicht in Verlegenheit wegen Stellen.«

»Ja, Stellen in kleinen Lusthäusern?«

»Bei Gott! ich will einmal auf einen grünen Zweig kommen. Meinen Sie, ich wolle mein Leben lang Kammerfrau bleiben? weit lieber bin ich die Freundin eines Herrn, der mich anständig versorgt, und ...«

»Das heißt einmal solid denken, Justine! mit Ihrer schönen Berechnung verrathen Sie jedoch auf eine schändliche Art unsere Liebe, Treulose! Du vergaßt mich ganz, kleine Undankbare.«

»Oh, nein!« antwortete sie in schmeichelndem Tone, »ich bin entzückt über Ihre Rückkehr und dieses Zusammentreffen. Herr von Faublas, Sie können immer sicher sein, geliebt zu werden, sobald Sie gefallen wollen, und bei Ihnen werde ich mich gewiss nicht berechnend zeigen.«

»Dies ist sehr zärtlich gesprochen, mein Kind, auch sehr edel gehandelt; dennoch bleibt mir noch ein Zweifel. Hörst Du, dieser la Jennesse...«

»Sprechen wir nicht davon!«

»Im Gegentheil, sprechen wir davon, und lüge nicht! Mein Kind, er sollte Dich heiraten. Hast Du Deinen Zukünftigen so leichthin aufgeopfert?«

»Gewiss,« sagte sie lachend, »ich heirate jetzt bloß Leute von Stande.«

Ich wollte antworten, als Herr von Valbrun zurückkam.

»Lassen Sie sich nicht beifallen, auszugehen,« sagte er zu mir, »die Straßen sind genau bewacht! ich habe mehrere Wachen in diesem Stadtheile patrouillieren gesehen.

»Bringen Sie den Tag hier zu, ich will einige Freunde zusammenbringen; heute um Mitternacht werde ich zurückkommen, um in guter Gesellschaft Sie aufzusuchen, und wenn Sie mir einen wahren Dienst erweisen wollen, so werden Sie in meinem Hotel ein Asyl annehmen, das gewiss nicht verletzt werden wird. Sie, Justine, machen in meiner Abwesenheit die Ehren meines kleinen Hauses; ich befehle Ihnen, diesen Herrn wie mich selbst zu behandeln, und ich verzeihe Ihnen um seinetwillen Ihre Morgenspaziergänge. Justine, ich lasse zur Bedienung den Jockey und la Jennesse zurück.«

»Ah! Herr Vicomte, der große Junge, der im Garten neben Ihnen stand, dies ist la Jennesse?«

»Kennen Sie ihn?«

»Ja, wenn es derselbe ist, der dem Marquis von B... gehörte. Sprich doch, Justine, ist's nicht derselbe?«

»Ja, Herr von Faublas. Ein guter Mensch, ein vortrefflicher Bedienter.«

»Du hast ihn dem Herrn Vicomte gegeben?«

»Ja, Herr von Faublas.«

»Gut, mein Kind, sehr gut! Du hast ihm einen wahren Juwel geschenkt.«

Beim Abschied sagte mir der Vicomte, er werde, ehe er hinausgehe, sorgfältig alle Thüren verriegeln lassen, und empfahl Justine, niemandem, wer es auch sei, zu öffnen.

Als wir allein waren, fragte mich Justine schüchtern, durch welche Art von Unterhaltung ich meinen Morgen auszufüllen gedächte.

»Mein Kind, ich würde gern etwas frühstücken, wenn ich nicht große Lust hätte zu schlafen. Lass mir ein gutes Bett geben und sei besorgt, dass ich, wenn ich erwache, ein Mahl bereit finde.«

Sie erblasste, seufzte, weinte beinahe und sagte in klagendem Tone zu mir:

»Sind Sie denn böse über mich?«

»Nein, meine Kleine, ich bin Dir nicht böse, aber ich fühle ein großes Bedürfnis nach Ruhe.«

Sie seufzte stärker und fasste mich bei der Hand und führte mich in ein bequemes Schlafzimmer, das an Pracht der Möbeln dem eleganten Boudoir der Frau von B... nichts nachgab. Und auch ich seufzte in diesem Augenblicke, allein dies galt der Erinnerung. Justine blieb stehen, sie schien nachdenklich und betrachtete mich aufmerksam.

Ich bat sie, sich zurückzuziehen, sie ließ es sich zweimal wiederholen und gehorchte endlich, indem sie mir einen Blick zuwarf, der mehr sagte, als alle Vorwürfe.

Ich lag noch nicht im Bette, als man mir eine Tasse Chocolade brachte.

Endlich, für diese Aufmerksamkeit der Hausfrau, nahm ich mir vor, ihr meinen Dank abzustatten, als ich sie in einem sehr leichten Morgenkleide hereintreten sah.

Bereits wie eine große Dame, ließ das liebliche Geschöpf die Läden so schließen, dass auch kein Lichtstrahl durchdringen konnte. Die tafftenen Vorhänge wurden zugezogen, man stellte die Kerzen vor die Spiegel, Wohlgerüche brannten im Rauchpfännlein. Dies geschah Alles, ohne dass man mir ein Wort auf meine viele Fragen antwortete; aber als der Jockey sich zurückzog, sagte mir Justine, ihre erste Pflicht sei, dem Herrn Vicomte zu gehorchen und ihr sehnlichster Wunsch, mit dem Herrn Chevalier Frieden zu schließen.

Sie gab sich alle Mühe, mich mit den zärtlichsten Liebkosungen zu überhäufen, denn ich war sehr traurig und niedergeschlagen, indem ich dachte, dass alle meine Drangsale, alle Verfolgungen, die ich ausgestanden, um meine geliebte Gattin endlich wieder in meine Arme schließen zu können, so jämmerlich daran scheiterten, dass ich nun abermals wie ein Übelthäter mich verbergen müsse, da man mir des unseligen Duells wegen überall auflauerte.

Ich war müde zum Sterben, denn da ich sechsunddreißig Stunden lang mit der Post gefahren, von tausend Besorgnissen gequält, endlich von meinen Verfolgern eingefangen und schmählich in ein Klostergefängnis eingesperrt wurde, wo ich durch die glückliche Dazwischenkunft Ursula's abermals meine Freiheit erlangte, war ich zur äußersten Kraftlosigkeit verurtheilt, die damals meine Schmach und Justinens Verzweiflung ausmachten.

»Ah!« sagte endlich das arme Kind in einem Tone, der ihre Beschämung und Überraschung ausdrückte. »Herr von Faublas, wie finde ich Sie verändert!«

Es schien mir, als ob dieser, der zärtlichen Wahrhaftigkeit Justinens entfahrene Ausruf den Tadel gegen mich rechtfertige, und ich beschloss klüglich, ohne weitere Bemerkungen einzuschlafen.

Justine ließ mich ruhig einschlafen, offenbar fest überzeugt, dass es ihr durchaus nichts nützen würde, wenn sie sich die Mühe nähme, mich aufzuwecken. Indes blieb sie fortwährend bei mir; ich sah sie nicht, denn die Kerzen waren ausgelöscht; wahrscheinlich hatte ich schon lange geschlafen. Es schien mir Essenszeit zu sein, denn ich fühlte einen lebhaften Hunger; mein erstes Wort drückte mein erstes Verlangen aus; ich bat Justine, mir etwas bringen zu lassen.

Sie schickte sich an mich zu verlassen, als sich an der Thüre, die gegen die Straße führte, ein Lärm erhob, der mich erschreckte; man klopfte mit verdoppelten Schlägen.

La Jennesse sprang herbei und sagte uns mit zitternder Stimme, es werde Einlass im Namen des Königs verlangt.

»Geh, mein Justinchen! Edle, dulde nicht, dass man sogleich öffne! gib mir Zeit, mich zu retten!«

»Zu retten! wohin?«

»Ich weiß es nicht, aber lass nur öffnen. Hier in den Garten hinaus.«

»Ich will Ihnen eine Leiter bringen lassen, steigen Sie über die Mauer rechts; und wenn unsere Nachbarin, die Frömmlerin Frau Desglins sich versucht fühlt, Sie eben so gut aufzunehmen, wie ich, so geben Sie sich Mühe, sie besser zu belohnen.«

»Justine, höre doch!«

»Nun ja!«

»Suche der Frau von B... Nachricht von mir zu geben. Ich weiß nicht, was aus mir werden wird; aber gleichviel, sage ihr immerhin, dass ich in Paris bin, und Du mich gesehen hast!«

Während dieses kurzen Zwiegespräches bringt man Licht, ich habe mich schnell des wesentlichen Stückes der Manneskleidung bemächtigt, eines Stückes, das unstreitig nothwendig war, um meine Flucht anzutreten. Ich habe nicht mehr Zeit, die Kleider anzuziehen, die Justine für mich zurechtgelegt hatte, ich nahm nur den Degen des Herrn von Valbrun; in einer Sekunde ist meine Rechte mit dem schützenden Schwerte bewaffnet, und meine Linke trägt, statt des Schildes, das nothwendige Kleid.

Ich schwinge mich auf die Treppe, stürze in den Hof hinab und fliege dem Ende des Gartens zu.

La Jennesse folgt mir mit der Leiter, er legt sie an, ich steige hinauf. Beim Anblick mehrerer Männer, die soeben mit Fackeln in den Hof des Vicomte traten, fühle ich, dass ich keinen Augenblick zu verlieren habe, und ohne lange das Terrain zu untersuchen, das ich doch nicht erkennen würde, indem die Nacht rabenschwarz ist, stürze ich mich kühn auf der andern Seite der Mauer herab. Werde ich wohl mit der kleinen Quetschung davon kommen, die ich am Beine erhalten habe?

Es ist wahr, dass ich auf feinem Sand gehe; aber ich halte dafür, dass es wenigstens zehn Uhr ist, ich bin von dichter Finsternis umgeben in einem Garten, den ich nicht kenne, das bloße Nachtkleid, womit ich mich bedeckt habe, schützt mich nicht vor Kälte, auch nicht vor dem gewaltig pfeifenden Nordwind; ich bin von tausend Besorgnissen gequält und sterbe vor Kälte.

Jedoch, warum den Muth verlieren? in Paris, wie überall, gibt es keine so schlimme Händel, aus denen sich nicht jeder Tölpel mit Geld ziehen könnte; wie viel mehr ein junger Mensch von Erziehung, wenn er seine volle Geldbörse und seinen Degen in der Hand hat.

So gehe denn, Faublas, gehe munter vorwärts und beschaue Dir ein wenig das Haus, das Du einige Schritte vor Dir gewahrst.

Ich gehe mit gemessenen Schlitten vorwärts, komme ohne Geräusch an und tappe leise am Hause herum.

Wie es geschah, dass man mich gehört hat, begreife ich nicht; aber kurz und gut, die Thüre wird mir geöffnet, und da ich kein Licht sehe, so trete ich zuversichtlich ein.

»Sind Sie es, Chevalier?« sagte eine Frauenstimme ganz leise zu mir.

Sogleich verstelle ich meine Stimme, die ich sehr sanft mache, und antworte in einem eben so geheimnisvollen Ton, wie der ihrige:

»Ja, ich bin's.«

Sie steckte aufs gerathewohl ihre Hand aus, die auf das Heft meines Degens stößt.

»Sie haben den Degen in der Hand?«

»Ja.«

»Werden Sie verfolgt?«

»Ja, gewiss, meine Liebe.«

»Sagen Sie es meiner Gebieterin nicht, sie würde in Angst gerathen.«

»Wo ist sie?«

»Wer? meine Gebieterin?«

»Ja, ich muss es wissen.«

»Sie wissen es ja!

»Sie können die ganze Nacht hier in ihrer Gesellschaft zubringen, der Herr ist nach Versailles gegangen, und wird erst morgen zurückkehren.«

»Gut, führe mich zu Deiner Gebieterin.«

»Wissen Sie denn ihr Zimmer nicht?«

»O ja, aber ich war sehr in Angst, ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht, führe mich.«

»Gut! hier, halten Sie meine Hand fest.«

Kaum haben wir zwei Schritte gethan, als die Kammerfrau eine zweite Thüre öffnet mit den Worten:

»Gnädige Frau, er ist's.«

»Du kommst heute sehr spät, lieber Flourvac,« mit diesen Worten empfieng mich die Herrin des Hauses.

»Es war unmöglich früher.«

»Sie haben Dich aufgehalten?«

»Ja, meine Liebe.«

»Wo bist Du denn?«

»Ich komme.«

»Warum zögerst Du?«

»Ich muss mich erst zurechtfinden, denn es ist so finster hier.«

Ich musste mit großer Vorsicht und Langsamkeit in einem für mich neuen Zimmer auftreten, wo zum Glück weder Feuer noch Licht war.

Endlich gelangte ich zu einem Divan, wo ich von zwei zarten Armen umschlungen ward, und die Unbekannte drückte die zärtlichsten Küsse auf meine Lippen.

»Oh! wie kalt Du bist!« sagte sie.

»Es stürmt fürchterlich draußen!«

»Mein lieber Chevalier!«

»Meine süße Freundin!«

»Die üble Jahreszeit wird Dich nicht hindern zu kommen?«

»Gewiss nicht.«

»Jedesmal, so oft Herr Desglins nicht zu Hause kommt?«

»Ja,« sagte ich, sie umarmend.

»Bathile wird Dich immer so benachrichtigen, wie heute.«

»Gut.«

»Ist es kein sinnreicher Einfall mit dem kleinen Lämpchen, das an Ihrem Fenster brennt?«

»Ja, bei Gott sehr sinnreich.«

»Und mit dem Stück Mauer, das ich einreißen ließ?«

»Ja, ich bin durch die Lücke gegangen.«

»Und Du wirst mehr als einmal hindurchgehen, denn unsere Nachbaren werden sie diesen Winter nicht ausbessern lassen.«

»Ohne Zweifel nicht.«

»Bist Du nicht erfreut, bei ihnen wohnen zu können?«

»Gewiss, theuere Freundin!«

»Du weißt, lieber Freund, dass mein Mann nach –«

»Versailles gegangen ist, ja.«

»Wir können die ganze Nacht beisammen bleiben.«

»Um so besser.«

»Lieber Chevalier, ich wusste wohl, dass es Dich erfreuen würde.«

»O, meine Freundin!«

»Du liebst mich noch immer, Flourvac?«

»Zärtlich.«

»Dennoch muss ich Dir gestehen, dass ich heute Nachmittag verdrießlich war, mein Engel.«

»Worüber?«

»Du bist in der Predigt nicht zu mir gekommen.«

»Unmöglich.«

»Aber heute früh war ich vergnügt, und Du?«

»Entzückt.«

»Die Messe hat Dir nicht lange geschienen?«

»Oh, nein.«

»Welche Freude gewährt mir Dein Anblick.«

»Und mir!«

»Du hast sehr wohl gethan. Deinen Stuhl neben den meinen zu rücken.«

»Nicht wahr?«

Jetzt wusste ich wahrlich nicht mehr, was ich antworten solle, um mich nicht durch falsche Zwischenreden oder längere Dialoge zu verrathen, denn wie anders wäre es möglich, dass sie endlich nach dem fremden Ton meiner Stimme nicht errathen sollte, welcher abscheulichen Täuschung sie zum Opfer fiel?

Der Kuss, den mir die Frömmlerin jetzt gab, schien mir der lebhafteste von allen. Ich hatte viele andere von ihr erhalten während ich bei dem misslichen Geschäfte, eine schwierige Unterhaltung fortzuführen, mir alle Mühe gab, nur kurz und einsilbig auf die vielen Fragen zu antworten, welche die getäuschte Unbekannte an mich richtete, fuhr sie fort die größten Zärtlichkeiten an mich zu verschwenden und ich versuchte es der gastfreundlichen Schönen, die mir so vollständig die Ehren ihres Hauses machte, meine Erkenntlichkeit zu beweisen. Indes wirkten ihre Reize mächtig auf mich, mein Blut fieng wieder an zu stürmen, und ich fand jene glückliche Regung wieder, die einige Minuten früher Justine zu gute gekommen wäre.

Plötzlich erschreckt sie heftig und sagte:

»Man macht Lärm; aber was ist denn das? wie! es ist die Stimme – es kann nicht sein... aber doch – guter Gott! ja, es ist die Stimme des Chevaliers! meines Geliebten! wie geht dies zu? ein Unbekannter! entsetzlich! ich bin verloren!«

Beim ersten Geräusch, das ich hörte, bei den ersten Worten, die sie ausgesprochen, habe ich mich eilends aufgerafft.

Während sie unschlüssig schwankt, lege ich schnell das nothwendige Kleid an, ergreife meinen Degen, gehe tappend vorwärts, stoße eine halbgeöffnete Thür auf; und wenn ich recht rechne, so muss ich jetzt in dem ersten Stocke sein, wo mich die wachstehende Kammerfrau empfangen hat.

Was meine Vermuthung bestärkt, ist, dass ich nicht weit von mir einen Mann höre, der hinter der Thür ungeduldig wird und ganz leise aber sehr deutlich unaufhörlich wiederholt:

»Öffne mir doch, Bathile.«

Indes hatte Frau Desglins einen Entschluss gefasst.

Sie verlässt ihr Schlafzimmer, geht auf den Treppenabsatz, wo ich bin, vorwärts und ruft mit erstickter Stimme den, welchen sie für ihren Geliebten gehalten hat.

Statt ihr zu antworten, mache ich Halt, und das Geräusch ihres Schrittes lässt mich vermuthen, dass sie, ohne mich zu berühren, an mir vorbeigegangen ist.

»Wer Sie auch sein mögen,« sagte sie jetzt, »hören Sie mich doch wenigstens an! richten Sie mich nicht ganz zu Grunde, fliehen Sie so, dass der Chevalier Sie nicht sieht; fliehen Sie, und ich verzeihe Ihnen, wenn Sie das Geheimnis bewahren.«

Dies war meine Absicht; ich gedachte mich hinauszustürzen, sobald die Thüre aufgehen würde, allein die unglückliche Frömmlerin öffnete sie zu spät.

Nachdem Frau Desglins zweimal den Schlüssel im Schlosse umgedreht, in demselben Augenblicke, wo Herr von Flourvac einen der beiden Thürflügel aufstößt, erscheint Bathile, die noch nicht zu Bette gegangen ist, durch das Geräusch, das sie hört, herbeigelockt mit Licht.

Welches Schauspiel für uns Alle!

Die Scene ist eine Art Speisesaal. Im Hintergrund, zu meiner Linken, stiert uns die Kammerfrau mit großen verwunderten Augen an; vor mir auf der Schwelle der Thüre, die in den Garten führt, sehe ich einen jungen Offizier starr vor Erstaunen, im Zwischenraum sinkt Frau Desglins bestürzt auf einen Stuhl und bedeckt sich das Gesicht.

Indes hat sie dies nicht so schnell gethan, dass ich nicht ihre Züge hatte unterscheiden können; und immer ganz mit dem Gegenstand beschäftigt, der mich am meisten interessiert, immer unfähig, den Eindruck zu verbergen, den der Anblick einer jungen Frau auf mich macht, rufe ich aus:

»Meiner Treu, sie ist hübsch.«

»Die Treulose!« antwortet der Offizier wüthend; »gewissenhafte Frömmlerin, Sie brauchen also Abwechslung.«

Ich will sprechen, ich will Frau Desglins rechtfertigen; allein der junge Mann, vielleicht zu lebhaft, hört mich nicht und zieht seinen Degen, dem der meinige sogleich begegnet.

An den ersten Stößen merke ich, dass der junge Flourvac nicht der Mann ist, sich mit mir zu messen; bald lebhaft gedrängt, sieht er sich genöthigt, mehrere Schritte zurückzuweichen; der Garten wird der Schauplatz des Kampfes.

Da ich hauptsächlich Boden gewinnen will, um mir einen schnellen Rückzug zu sichern, so rücke ich unaufhörlich gegen meinen Gegner vor, der, durch einen so kräftigen Angriff überrascht, sich immer weiter zurückzieht.

Wir gelangen an den Eingang einer Allee, die mir geräumig scheint; hier breche ich schnell den Kampf ab und nehme Reißaus. Mein eben so muthiger als ungefährlicher Gegner verfolgt mich, und da die Dunkelheit mir nicht gestattet, schnell zu laufen, so wird er mich bald einholen.

Ich kehre um, die Degen kreuzen sich auf's neue; der meines Gegners, von einer allzuschwachen Faust gehandhabt, springt hoch in die Lüfte; indes sind die beiden Frauen herbeigeeilt, sie ergreifen den Besiegten und halten ihn zurück; ich als Sieger wende mich und fliehe.

Ich gehe der Mauer entlang, die Lücke suchend, von der Frau Desglins gesprochen hat; endlich finde ich sie. Ich klettere hindurch, und befinde mich im Bereich der Nachbaren.

Jetzt fällt, um das Maß meines Missgeschicks voll zu machen, Schnee in dichten Flocken auf mich herab, und ich in meinem feinen Hemde, nur mit einem Beinkleide angethan, den Degen in der Hand, muss ich von Garten zu Garten einen mühsamen Spaziergang machen. Dieser währte länger, als ich gewünscht hätte, denn ich sehe mich am Ende des umfangreichen Besitzes des Nachbaren von einem Thore aufgehalten, das ihn schloss.

Sogleich war ich entschlossen; ich nahm munter meinen Degen in die Hand und fieng an, mit Stoß und Hieb gegen die Riegel zu fechten, gleich als wollte ich Alles über den Haufen werfen.

Bei dem Lärm, den ich machte, bellte ein Kettenhund.

»Oh, guter Hund, mein Retter! ohne Dich wäre ich vielleicht trotz meines Schwertes bis zum Tagesanbruch in meinem Gefängnisse geblieben, und Gott weiß! was man mit mir angefangen hätte, vorausgesetzt, man hätte mich noch lebend gefunden.«

Ein Mann kam herbei und öffnete mir das Thor.

»Ist noch einer da?« rief er; »der sonderbare Mensch!« rief er, »welche Kleidung für den Winter und dann diese feine Klinge,« so wunderte sich der gute Mann.

»Marsch, Herr Somnambul, gehen Sie auf Ihr Schlafzimmer und gönnen Sie wenigstens die Nachtruhe einem armen Pförtner, der sich den ganzen lieben Tag unseres Herrgotts plagen muss! ich bitte Sie gehorsamst, gehen Sie ins Bett; nicht dort, warten Sie doch, hier müssen Sie gehen.«

Ich befand mich also im Hause des Nachbars, des Magnetiseurs; nachdem ich die Treppe hinaufgekommen war, sah ich durch eine halboffene Thüre einen großen von Lampen erleuchteten Saal, viele der Reihe nach aufgestellte Betten, von denen mir keines leer schien. Endlich entdeckte ich eins und schlüpfte hinein; ich zog zunächst mein ganz vom Schnee durchnäßtes Beinkleid aus; aber ich hatte nicht vergessen, dass es meinen Schatz enthielt, und gebrauchte daher die Vorsicht, denselben unter mein Kissen zu verbergen, neben welches ich meinen Degen legte. Hierauf warf ich schnell mein von geschmolzenem Schnee durchdrungenes Hemd ab und legte es auf einen Stuhl; mit einer Ecke des Leintuchs trocknete ich meinen bereits beinahe mit Eis überzogenen Körper und streckte mich ganz entkleidet, wie ich war, behaglich auf zwei schlechte Matrazen, zufriedener, als ich das prächtige Bett des Vicomte von Valbrun bestieg; so wahr ist das gemeine Sprichwort, das uns täglich sagt, das Vergnügen sei eine Tochter des Schmerzes.

Ja, aber oft, wenn der Augenblick des lebhaften Schmerzes vorüber ist, so fällt die Menge kleinerer Schmerzen über uns her, und das Vergnügen ist schnell zu Ende.

Sobald eine zunehmende Wärme mein Blut wieder belebt hatte, sobald ich meine aufgethauten Glieder ohne Schmerz wieder rühren konnte, so bemächtigte sich statt der körperlichen Leiden die größte Unruhe meiner Seele; ich betrachtete mit Entsetzen die zahllosen Gefahren, die mich umringten. Ohne Zweifel von außen verfolgt, vielleicht im Hause selbst bedroht, was sollte aus mir werden? ich wusste wohl, in welche Art von Haus mich mein Geschick geführt hatte, und welche sonderbaren Leute es bewohnten! aber wie da bleiben? wie hinauskommen? und vor allem, wie den lebhaften Appetit befriedigen, den ich während meiner großen Besorgnisse einen Augenblick vergessen, sich jetzt wieder eingestellt hatte und mir ohne Unterlass zurief, dass ich nach den Strapazen einer langen Reise und einer kurzen Nacht den ganzen Tag über bloß eine Tasse Chocolade zu mir genommen hatte. –

Oh, meine Sophie! ohne Zweifel bin ich Deinem Schicksale Thränen schuldig! Du seufzest, getrennt von dem Gegenstand Deiner Zärtlichkeit; aber Dir ist das Gefängnis doch wenigstens bekannt, in welchem Du schmachtest; aber Du leidest, so lange Du meiner harrest, doch wenigstens keinen Mangel an Nahrung und Kleidern. Dein unglücklicher Gatte ist weit beklagenswerter; wie kann er sich auf diese Art für Dich erhalten? wie kann er Dich aufsuchen, mein geliebtes Weib?

Ich blieb in diese trostlosen Betrachtungen versunken, als mehrere Personen, die schnell hereingetreten, sich meinem Bette näherten, das sogleich umstellt war.

Was thun in dieser äußersten Gefahr? da keine Flucht möglich war, so beschloss ich, die Augen zu schließen und einen tiefen Schlaf zu affectieren, dessen wohlthuende Wirklichkeit sehr fern von mir war.

Unter den Ärzten, welche mein Bett umstanden, befand sich auch eine Dame; diese sagte:

»Meine Herren, binnen acht Tagen spätestens bürge ich Ihnen für seine vollkommene Heilung; noch mehr, ich will ihn in einer Viertelstunde ausfragen und ich versichere Sie, dass er schon somnambul sein und mir antworten wird.«

Sobald die Ärzte sich von meinem Bette entfernt hatten, beeilte ich mich, die Augen zu öffnen, um die junge Dame zu betrachten, die, wie mir schien, ehe sie mich verließ, mir die Hand ein wenig gedrückt hatte; ihre Stimme war mir nicht unbekannt, aber ich konnte mich nicht erinnern, wo ich ihre süßen Töne gehört hatte. Unglücklicherweise kehrte mir die Dame bereits den Rücken, als ich nach ihr blickte; doch glaubte ich diese elegante und schlanke Taille, die mich schon jetzt entzückte, irgendwo gesehen zu haben.

Ich folgte ihr fortwährend mit den Augen, als man ihr ankündigte, Madame Robin wünsche sie zu sehen. Sie befahl, sie herauszuführen, und sagte dann zu ihrer Umgebung: »Meine Herren, Madame Robin ist eine brave Frau; höchst wahrscheinlich hat sie uns heute Abend diesen schönen Truthahn mit Trüffeln geschickt, den wir uns morgen schmecken lassen wollen.«

Ein welscher Hahn mit Trüffeln, ach! ich hörte von ihm sprechen, während ich mich von Herzen gern mit einem Stück trockenen Brotes begnügt hätte.

»Guten Abend, Frau Robin!« sagte sie zu ihr.

Die andere antwortete:

»Ihre gehorsamste Dienerin, Frau Leblanc!«

»Sie wünschen Ihre geliebte Tochter zu sehen, Frau Robin?«

»Ja, Madame.«

»Gut, gehen wir in dieses Kabinet.«

Dieses Kabinet war gegenüber von meinem Bett; man ließ die Thüre offen, ich horchte und hörte:

»Fräulein Robin, schlafen Sie?«

Sie antwortete mit gedämpfter Stimme und in geheimnisvollem Tone:

»Ja.«

»Und doch sprechen Sie?«

»Weil ich somnambul bin.«

»Wer hat Sie eingeweiht?«

»Die Prophetin Frau Leblanc und der Doktor d'Uvo.«

»Was ist Ihre Krankheit?«

»Die Wassersucht.«

»Das Mittel?«

»Ein Mann.«

»Ein Mann für die Wassersucht?« sagte die Mutter Robin.

»Ja, Madame, ein Mann, die Somnambule hat Recht.«

»Einen Mann, der die Kraft haben muss, es zu sein; ich kenne welche, die bloß den Namen haben. Nichts von den alten magern hinkenden Burschen.«

»Hinkend,« fiel Frau Robin ein; »und doch hinkt dieser arme brave Herr Rifflart.«

»Pfui solcher Leute!« fuhr Fräulein Robin fort, »sie haben kein anderes Verdienst, als ein Mädchen ohne Vermögen zu nehmen.«

»Ah! ich dächte, liebe Tochter –«

»Still doch, Madame Robin!« rief Einer, »so lange die Somnambule spricht, muss man hören, ohne zu sprechen.«

Die Somnambule fuhr fort:

»Aber ein junger Mann von höchstens siebenundzwanzig Jahren mit braunen Haaren, weißer Haut, schwarzen Augen, rothem Mund, vollem rundem Gesicht, schön gewachsen, mit edlem Anstand, rüstig und munter.«

»Ah!« sagte Frau Robin, »dies ist das leibhaftige Bild des Sohnes von unserem Nachbar, Herrn Tubeuf, einem armen Teufel. – Ach, mein Kind, warum habe ich nicht Vermögen genug, Dich zu versorgen!«

Plötzlich entstand auf das Geräusch mehreren verlängerten Bst! Bst! ein tiefes Stillschweigen.

»Stille!« sagte Frau Leblanc, »der Gott des Magnetismus hat mich ergriffen, er durchglüht und begeistert mich! ich lese in der Vergangenheit, in der Gegenwart, in der Zukunft. Stille! ich sehe in der Vergangenheit, dass die Mutter Robin uns heute Abend einen welschen Hahn mit Trüffeln geschickt hat.«

»Das ist wahr,« antwortete sie.

»Schweigen Sie doch, Madame!« sagte Einer zu ihr.

»Ich sehe,« fuhr Frau Leblanc fort, »dass sie vor vierzehn Tagen ihre Tochter an den alten Knaben Rifflart verheiraten wollte, der schwächlich, zänkisch und hinkend ist.«

»Ein sehr liebenswürdiger Mann jedoch,« versetzte Frau Robin.

»Still doch, Frau Robin!«

»Ich sehe, dass die Tochter sich den jungen Tubeuf ausersehen hat.«

»Ja, aber so arm, so arm,« sagte die Mutter.

»Schweigen Sie doch, Frau Robin!«

»Ich sehe in der Gegenwart, dass die Mutter Robin in einer der Schubladen ihres großen Schrankes fünfhundert doppelte ...«

»Oh, mein Gott! fünfhundert doppelte ... sprechen Sie es nicht aus.«

»Fünfhundert doppelte Louisd'or in zwanzig Rollen verborgen hält.«

»Ach, warum sagen Sie es?«

»Aber still doch, Frau Robin!«

»Ich sehe in die Zukunft, dass, wenn die Mutter Robin nicht binnen vierzehn Tagen über acht Rollen verfügt –«

»Acht Rollen!«

»Still doch, Frau Robin!«

»Über wenigstens acht Rollen zur Verheiratung ihrer Tochter mit dem Sohne des Nachbars Tubeuf. Ich sehe – die Zukunft erschreckt mich ... ach arme Tochter und Mutter! wie beklage ich Euch! man wird den Schrank der Mutter öffnen, das Herz der Tochter wird geöffnet sein; man wird das Geld der Mutter rauben, die Ehre der Tochter wird geraubt sein, die Mutter wird aus Kummer über den Diebstahl sterben; die Tochter wird verzweifelnd in ein fremdes Land gehen und dort einen Sohn gebären!«

»Ach!« rief Frau Robin, von Entsetzen ergriffen. »Ach, ich will sie verheiraten! in der nächsten Woche will ich sie verheiraten! ja, in der nächsten Woche soll sie den Schurken von Tubeuf zum Mann nehmen.«

Mit diesem Entschluss entfernte sich Frau Robin, und einer der Doktoren geleitete sie höflich zurück.

Was ich hier schreibe, glaubte ich kaum, obschon ich es gehört hatte. Wiegte mich ein trügerischer Traum ein, mit seinen lustigen Gebilden, oder war kein Fünkchen von Vernunft mehr in meinem leeren Gehirn? von welcher Scene hatte mich der Zufall Zeuge sein lassen! Auf der einen Seite welche Mischung von Schamlosigkeit, Ungereimtheit und Charlatanerie; auf der andern, welche Unbildung und Dummheit! o, Menschen! so ist es denn wahr, dass ihr große Kinder seid? so ist es denn wahr, dass der erste beste Taschenspieler mit seiner Tasche ... Ich dachte über diese ewige Wahrheit nach in einem der kurzen und seltenen Augenblicke, wo die Weisheit sich mir nähern zu wollen schien; aber die Weisheit, die keinen Wohnsitz in meinem tollen Kopfe fand, entfernte sich eilig; und wie ihr schneller Hingang mir damals nicht gestattete, meine solide und tiefe Betrachtung zu vollenden, so kann ich jetzt die philosophische, epigrammatische und moralische Phrase nicht zu Ende bringen.

Man wird sehen, dass meine Gedanken eine ganz andere Richtung nahmen. Ich machte mir nicht eben zartsinnige, aber in meinen Umständen natürliche Vorwürfe, ein vom Hunger gepeinigter Mensch ist kein strenger Casuist.

Kaum war Frau Robin unten an der Treppe, als Frau Leblanc den Doktor bat, wieder an mein Bett zu kommen. Bei ihrer Annäherung beeilte ich mich wie das erstemal die Augen zu schließen.

Bald war die Prophetin bei mir, sie gebot Stillschweigen und verkündigte mit lauter Stimme das entsetzliche Orakel:

»Welche höhere Macht versetzt mich über die Wolken! Ich sehe in der Vergangenheit, dass der hier liegende junge Mensch immer ein kleiner Wüstling von gutem Hause war; dass er nicht zufrieden, zu gleicher Zeit eine schöne Dame und ein hübsches Fräulein zu besitzen, es sogar gewagt hat, bei einem recht artigen Zusammentreffen dem Herrn Baron, seinem sehr geehrten Vater, eine liebenswürdige Nymphe wegzuschnappen.

»Ich sehe in der Gegenwart, dass dieses verzogene Kind von Blasfau heißt.

»Ich sehe in der Zukunft, dass es nicht lange krank sein, und dass es mir sogleich antworten und somnambulisieren wird.«

An meinem wahren Namen, den die Prophetin mit bloßer Versetzung seiner zwei Silben sagte, an der Geschichte meiner Liebeshändel, die sie im Abriss erzählte, besonders aber an der geheimen Anekdote, an die sie mich boshaft erinnerte, erkannte ich endlich Coralie. Es war Frau Leblanc. Sie fuhr fort mir folgende Fragen vorzulegen:

»Schöner Jüngling, schlafen Sie?«

»Ja, aber ich spreche, weil ich somnambul bin.«

»Wer hat Sie eingeweiht?«

»Die liebenswürdigste der Frauen, die, deren hübsche Hand ich halte, die Prophetin.«

»Was ist Ihre Krankheit?«

»Heute früh war es Erschöpfung und außerordentliche Erschöpfung, heute Nacht hingegen ist es Liebe und Heißhunger.«

»Wie ist da zu helfen?«

»Man bringe mir sobald als möglich eine Flasche Perpignan und ein Stück von einem welschen Hahn mit Trüffeln.«

»Ah, ah!«

»Und dies im Zimmer der Prophetin, welche die Güte haben wird, mich unter vier Augen zu sprechen.«

»Ah, ah! Wie fein!«

»Ich werde ihr manche zur Fortpflanzung des Magnetismus wesentliche Dinge mittheilen.«

»Mein Freund Sie machen mich wirklich neugierig.«

O, Venus, Venus! Du wolltest zur Vergnügung des schönen Geschlechts und meiner Jugend, dass man in dem siebenzehnjährigen Faublas mehrere verschiedene Eigenschaften erblickte. Neben dem hübschen Gesichte eines jungen Mädchens gabst Du mir die Kraft eines gereiften Mannes. Du gabst mir Artigkeit und Lebhaftigkeit, Lustigkeit und Anmuth, seinen Weltton und die Beredsamkeit des Augenblicks; welche Gelegenheiten erzeugt die Geduld, welche sie erspäht, den kühnen Muth, der sie rasch ergreift, tausend verschiedene Reize, auf die ein geckenhafterer Mensch, als ich bin, stolzer sein würde, ungeachtet er sie vielleicht weniger benützte. Wenn Du willst, dass ich vom Kloster in Faubourg Saint-Germain von Haus zu Haus angehalten, am Wege zum Kloster im Faubourg Saint-Marceau, unaufhörlich gezwungen werde, zwischen einer vorübergehenden Untreue und einer ewigen Trennung zu wählen; dann, Göttin, erkläre ich Dir, dass ich bereit bin, dass nichts mich erschreckt, dass ich, und sollte ich untergehen, es versuchen will, zu meiner Sophie zu gelangen. Du aber sei eben so gerecht, als Du schön bist, setze die Mittel in Einklang mit den Schwierigkeiten, blicke auf die unaussprechliche Noth Deines Günstlings. O, wohlthätige Göttin! Du bist nicht bloß die Königin der Vergnügungen, man nennt Dich auch die Mutter der Liebe! Zwei Gatten, so lange sie noch Liebende sind, können deshalb Deines Schutzes nicht entbehren, nein, sie können Dir nicht unwürdig erscheinen.

»Schaue von der Höhe des Feuerhimmels ohne Eifersucht herab auf eine Sterbliche, die eben so schön ist, als Du; sie seufzt, sie sieht Dich an, sie erwartet mich. Würdige ihren Ritter eines günstigen Blickes, komm mir zu Hilfe, schütze mich in Gefahr, beseitige meine Feinde, führe mich in das ersehnte Asyl; vereinige mich wieder mit der theuersten Hälfte meiner selbst! dann wird unter Deinem Beistande ein lieblicher und reiner Weihrauch verbrannt; dann wird zum Danke dafür Dir eine köstliche Opfergabe gebracht werden, gleich würdig des Priesters, des Opfers und der Gottheit.«

Während ich dieses poetische Gebet spreche, vollendet die Prophetin ihren Gang in der Schlafkammer; bald zieht sie sich auf ihr Zimmer zurück und schickt nach mir. Ich begebe mich sogleich zu ihr.

»Ei, guten Abend, mein liebenswürdiger Stiefsohn!« sagt sie, indem sie mir ihre kleine Hand zum Kusse reicht.

»Guten Abend, meine reizende Stiefmutter!«

»Faublas, sage mir welches Abenteuer –?«

»Erzähle mir, Coralie, durch welche Verwandlung ich Dich hier treffe?«

»Mein Herr, ich bin verheiratet.«

»Auch ich bin verheiratet, Madame.«

»Siehst Du, mein jünger Freund, Du kommst ganz zur gelegenen Zeit, denn ein Ehemann ist eine dumme Sache, und ich habe einen Geliebten mir gewünscht.«

»Reizende Coralie, ich treffe Dich zur guten Stunde wieder, denn die Begegnung einer hübschen Frau kann mir nie missfallen, und zudem habe ich ein Asyl, eine Kleidung und ein Nachtessen nöthig.«

Frau Leblanc ließ mir einen Schlafrock geben und befahl aufzutragen; man brachte mir die so nothwendige Flasche und das so ersehnte Geflügel. Ich trank mit der Hast eines nüchternen Musikanten, der seit drei vollen Stunden ohne Unterlass in einem vornehmen Hause aufspielt und noch keinen Augenblick gefunden hat, Erfrischungen zu sich zu nehmen.

Ich aß mit der nimmersatten Gier eines magern Autors, der jeden Montag von einem fetten Buchhändler zur Tafel gezogen wird und dort periodisch für die ganze Woche speist.

Während ich so meine Zeit auf's nützlichste anwendete, erzählte mir Coralie mit kurzen Worten ihre Geschichte.

»Einige Tage nach der komischen Katastrophe, die mir Vater und Sohn zugleich raubte, wird ein ehrwürdiger Doktor bei mir eingeführt. Herr Leblanc macht mir den Hof, verliebt sich ernstlich in mich und bietet mir seine Hand an, die ich nicht ausschlagen kann, weil er reich ist. Ich heirate ihn also.«

»Du heiratest ihn?«

»Ja, in der Kirche! und was noch merkwürdiger ist, ich bin ihm seit drei Monaten treu; doch mir wird dies nachgerade langweilig; ich gestehe, ich bin nicht geschaffen, um nach dem Kalender der alten Männer zu leben.«

»In diesem Fall, Madame, fürchte ich sehr nicht zur guten Stunde gekommen zu sein, als Sie mir die Ehre erwiesen zu glauben.«

»Gut, verlangst Du Komplimente? sei nicht so bescheiden, Chevalier. Um auf Herrn Leblanc zu kommen; ich heirate ihn also. –

»Er führte mich in dieses Haus, das ich voll von eingebildeten Kranken und angeblichen Doktoren finde.

»Mein Mann, den der Magnetismus täglich reicher macht, bringt mir die famose Lehre bei, die ich wirklich sehr gut ausübe, weil sie mir Spass macht. Du weißt, mein Freund, wie gerne ich lache und mich auf Kosten derjenigen, die ich hintergangen, lustig mache. Übrigens bin ich auf Marktschreierbühnen aufgewachsen, und der Somnambulismus ist beinahe eine öffentliche Komödie; auf Ehre, bis auf den Ehestand, gefalle ich mir recht wohl in meiner neuen Lage. Coralie tanzt nicht mehr, aber sie magnetisiert; sie prophezeit. Du siehst, dass mir immer noch eine Rolle zu spielen übrig bleibt, und dass ich im Grunde nur den Schauplatz gewechselt habe.«

»Sehr gut, Coralie! aber jetzt, da ich gespeist habe, lass uns ein Wörtchen im Ernst sprechen; Du willst mich nicht in die Schlafkammer zurückschicken?«

»Gewiss nicht.«

»Du erlaubst also, dass ich bei Dir bleibe?«

»Du hast Geist, und es macht mir viel Vergnügen, in Deiner Gesellschaft zu sein,« dabei umarmte sie mich.

Ich gab der Frau Leblanc ihren Kuss zurück und nahm das einigermaßen stockende Gespräch folgendermaßen wieder auf:

»Wo ist Dein Mann?«

»In Baurais, wegen Familienangelegenheiten.«

»Und die Kammerfrau, wird sie nicht schwatzen?«

»Du hast Recht; wie unbesonnen ich bin! man muss sie ins Geheimnis ziehen.«

Mit diesen Worten klingelte sie. Die Zofe erschien; ihre Gebieterin sagte zu ihr:

»Hier ist ein Louisd'or, den ich Ihnen gebe, aber lassen Sie sich nicht beikommen, meinem Manne zu sagen, dass dieser Herr bei mir war; denn ich würde sagen, Sie hatten gelogen, ich jage Sie fort! nun gehen Sie.«

Nachdem sie diese wahrhaft heroische Rede mit dem majestätischesten Tone gesprochen, gieng Frau Leblanc in das Kabinet zurück, verriegelte die Thüre und nachdem sie mich stürmisch umarmte, führte sie mich zu einem schwellenden Sopha, wo wir ein paar der schönsten Schäferstunden verbrachten.

Es war gegen acht Uhr morgens, als Frau Leblanc mich in ein weites schwarzes Kleid steckte, das sie aus der Garderobe ihres Mannes für mich ausgesucht hatte.

Ehe ich einen Entschluss fasste, wünschte ich Herrn von Valbrun benachrichtigen zu lassen, in welche Zufluchtsstätte mein guter Stern mich geführt hatte. Der Auftrag war heikler Natur; Coralie wollte ihn selbst besorgen; allein sie war kaum fünf Minuten aus dem Hause, als ich sie zurückkommen sah.

Sie trat rasch in das Haus, schlug die Thüre zu, schob die Riegel vor und benachrichtigte mich mit erschrockener Miene, sie habe, als sie ausgehen wollte, auf der Straße die Stimme mehrerer auf einem Haufen stehenden Männer gehört. Der eine von ihnen hatte, indem er die Klingel des Hofthors zog, gesagt:

»Diese Nonne kann nicht weit sein, man muss in der Nachbarschaft Haussuchungen anstellen.«

»Sie holen schnell den Kommissär C... herbei; Du, Griffart, bewachst die Straße und diese Herren kommen mit mir hier herein; wir haben keine Erlaubnis nöthig, weil es eine Magnetiseur-Anstalt ist.«

Coralie hatte mich, während sie mir diese verdrießliche Nachricht brachte, nach einer geheimen Treppe geführt.

»Chevalier,« sagte sie zu mir, »Du kannst nicht über den Hof gehen, weil die Diener der Justiz bereits da sind.«

»Sie sind da, Coralie?«

»Ja, mein Freund; während er seine Befehle gab, hat der Mann des Gerichts angeklopft, mein Pförtner hat die Thüre aufgezogen; ich habe Zeit gehabt, hieher zu fliegen und Dich vor der Gefahr zu warnen.«

»Aber auf welchem Weg soll ich ihnen entrinnen?«

»Auf diesem hier, Faublas. Steige diese kleine Leiter hinauf, klettere auf das Dach, und ich bitte Dich, sei behutsam!«

»Sei ohne Sorgen!«

Sogleich schwinge ich mich auf die Leiter, steige hinauf, komme in die Dachstube, gehe zum Fenster hinaus, springe auf die Dachrinne und ziehe mich weiter mit der ängstlichen Vorsicht, die mir die Höhe und die Unebenheit des Bodens, den ich unter meinen Füßen habe, einflößen. Einige Minuten lang war ich von Abgründen zu Abgründen gegangen, als ich in einem Garten, auf den mein Blick fiel, einen Menschen entdeckte, der Lärm machte, als er mich bemerkte.

Ich beeilte mich ein Asyl in einer Hütte zu suchen, deren Eingang nur aus einem schlechten, mit papierenen Fenstern versehenen Rahmen bestand. Hier seufzte auf einem Strohlager ein junger Mensch, der mit schwacher Stimme zu mir sagte:

»Was willst Du hier? was begehrst Du von mir? Beständig das Opfer der ungerechten Verachtung der Menschen, werde ich also umsonst gehofft haben, wenigstens meine Qualen ihrem beleidigenden Mitleid entziehen zu können! Antworte, unbescheidener Fremdling, antworte! warum kommst Du durch Deine Gegenwart den Schrecken meiner letzten Stunde zu vermehren?«

»Unglücklicher! was sagen Sie? ich bin entfernt, Ihre Leiden verdoppeln zu wollen. Ach! warum kann ich Ihnen nicht einige Tröstungen bieten!«

»Ich will nichts, verlass mich! ich bin allzu unglücklich, ich will ohne Zeugen sterben. Verlass mich!«

Während er sprach, erwachte ein neben ihm liegendes Kind, das ich nicht bemerkt hatte, streckte die Arme gegen mich aus und rief:

»Ich habe Hunger!«

»Ach, armer Unglücklicher! wie? das Elend ...?«

»Das Elend.« unterbrach mich der junge Mann. »Das Elend! so ist es denn wahr, dass es Alles beflecken kann. Alles! sogar die Tugend selbst! ist es meine Schuld, wenn ich, durch den Zufall der Geburt, in die bedürftigste Klasse geworfen, meine Kindheit von tausend Mängeln gequält und zu allen Entbehrungen verdammt gesehen habe? ist es meine Schuld, wenn später alle meine Anstrengungen, das undankbare Schicksal zu beugen, vergeblich waren? wenn alle meine Arbeiten, so sauern Schweiß sie mich kosteten, schlecht bezahlt wurden; wenn alle meine Unternehmungen scheiterten, weil sie ehrlich waren; alle meine Gefahren für unedel galten, weil sie zu keinem Erfolge führten, und als ich mich endlich bis zum Advokaten aufgeschwungen und mir eine ebenso nützliche als ruhmvolle Laufbahn eröffnet zu haben glaubte, lag es dann an mir, dass ich auf lauter Mitbrüder stieß, die ihr Interesse darin finden, dem Talente, das sie beargwöhnen, zu schaden, auf lauter Prokuratoren, die nicht im Stande sind, ein Verdienst zu schätzen, das man ihnen nicht anpreist; dass ich keinen Freund hatte, der mir zehn Louisd'ors hatte leihen können, um einen Process zu kaufen? bin ich tadelnswert, weil ich mir eine Leidensgefährtin zugesellt, die mir dies Kind schenkte, das unser Elend vergrößert hat? wird man mich tadeln, dass ich für die Krankheit meiner Gattin zu viel ausgegeben habe, die an ihrem Übel starb, weil sie keine Ärzte hatte? Ach! wenn mein Leben in seinem elenden, von tausend Unfällen durchkreuzten Laufe, von zahllosen Kummerreisen bewegt und Qualen aller Art preisgegeben war, wer darf es wagen, die Schuld mir zuzuschreiben? dennoch bin ich die Zielscheibe ihres Hohnes gewesen, der Spott hat mich verfolgt, Erniedrigungen jeder Art haben mich erdrückt, ich habe Drohungen ertragen und Beschimpfungen verschlucken müssen, man hat mich mit Verleumdung und Schmach überhäuft; endlich haben sich Alle von mir entfernt. Alle haben meine Nähe geflohen, gleich als ob ich auf meiner Stirne das Zeichen der öffentlichen Verachtung trüge. – Großer Gott, der Du mich schwer geprüft! mächtiger Gott, der Du in den Herzen liesest! Du weißt, ob mein Betragen jemals die Verachtung der Menschen gerechtfertigt hat; Du weißt, ob ich nicht Alles gethan habe, was ich konnte, um meine Armut wenigstens achtungswert zu machen!«

»Wie! es hat Sie niemand unterstützt?«

»Nur einmal that ich mir, gedrängt von meiner großen Noth und durch die Gefahren dieses Kindes bestimmt, die Gewalt an, die Hilfe eines Mannes anzuflehen, der sich mein Protektor nannte.

»Wenn Sie wüssten, in welchem Ton der Grausame mich anfuhr, mit welcher Roheit er die Stimme erhob, wie er vor einem Haufen Bedienten sein Almosen hinwarf, wahrhaftig: ich habe diese Behandlung verdient, denn ich habe in dem Palast eines Reichen Schutz und Wohlwollen aufgesucht, man findet daselbst nichts als ein Almosen.

»Ich habe mein bis dahin vorwurfsfreies Leben durch eine Niederträchtigkeit befleckt. Ich habe Erbarmen erzwungen!

»Du, der mir zuhörst, wenn die Natur Dich mit einer starken Seele begabt hat, wenn Du Dir diesen Stolz des Charakters bewahrt hast, den das Bewusstsein eines reinen Lebens gibt und rechtfertigt, so fühlst Du, dass ich trotz der Schmach nichts annehmen konnte; Du fühlst, dass diese letzte Beschimpfung die unerträglichste von allen war, dass der Tod mein einziges Rettungsmittel war – nein, großherziger Unbekannter, behalte Dein Geld, ich sage Dir, es ist nicht mehr Zeit; aber ich gestehe es, Ihr Schmerz tröstet, Ihre Thränen rühren mich.« Er sah schmerzlich sein Kind an, schloss es in seine Arme und sagte:

»O, mein Kind! wenn Du wie ich Dein Leben lang zwischen Schande und Hunger kämpfen solltest, so wäre es ohne Zweifel besser, Du sänkest mit mir in mein Grab; aber der Himmel schickt Dir einen Befreier. O, mein Sohn! ich fühle mich ruhiger, ich überlasse Dich einem Adoptivvater; er ist, wie ich sehe, gefühlvoll und wohlwollend. Mein Herr, wachen Sie über seine Kindheit und lassen Sie mich sterben.«

»Warum sterben? welcher blinde Wahnsinn stürzt Ihre Jugend ins Grab? erbittert durch das Gefühl der Beleidigung, die ein unbarmherziger Mensch Ihnen zugefügt, sollte sich Ihr Herz dieser verdammenswerten und kleinlichen Eitelkeit erschlossen haben, die jede fremde Hilfe mit Verachtung zurückweist, die stolz diejenige verwirft, welche eine unbekannte Hand bietet? oder sollten Sie mich im Verdacht haben, ich könnte der Schmerzen innerlich spotten, über die ich Thränen vergieße?«

»Nein! die zarteste Theilnahme herrscht in Ihren Worten und auf Ihrem Gesichte; ich glaube, dass es noch einen Menschen auf der Erde gibt, der eines menschlichen Gefühles fähig ist.«

»Wohlan denn! so leben Sie für die Gesellschaft, die eine Ungerechtigkeit gegen Sie, Sie des Rechts nicht beraubt hat, Ihre Talente in Anspruch zu nehmen, deren Ausübung ihr nützlich werden kann; leben Sie für Ihren Sohn, den Ihr allzufrüher Tod schutzlos den Schlägen des Schicksals bloßstellen würde, das Sie so lange beschimpfte; leben Sie für mich, ja, gewiss! Ihr Kind wird das meinige sein; ja, ich werde es wiedersehen, aber ich wünsche, Sie beide wieder zu sehen. Mein Freund, beharren Sie nicht hartnäckig auf einem unseligen Entschluss; versagen Sie mir nicht das Versprechen, sich für Ihr Kind zu erhalten. Hören Sie mich! Seit mehr als einem Jahr in eine neue Welt geworfen, fortwährend durch Vergnügungen eines sehr leichtfertigen Lebens zerstreut, habe ich die Pflichten vernachlässigt, von deren Erfüllung mich nichts entbinden konnte. Ich gestehe es Ihnen, einzig mit mir selbst beschäftigt, habe ich diejenigen meiner Brüder ganz vergessen, an die ich hätte täglich denken sollen. Und wie viele ehrbare, jetzt rettungslos verlorene Familien hätte ich vielleicht mit einem Theil des Geldes aufrecht erhalten, das ich in meinen eitlen Vergnügungen verschwendet! und wie viele Unglückliche sind vielleicht zu Grunde gegangen, die ich von der Verzweiflung hätte retten können! mein Freund, ich bitte, helfen Sie mir diesen Fehler wieder gut zu machen, den ich mir nicht verzeihen werde; ich will Ihnen keine geringe Hilfe anbieten, die Sie nur auf einen Augenblick dem Schrecken Ihrer beklagenswerten Lage entzöge.

»Zweihundert Louisd'ors sind in meiner Börse; entlehnen Sie die Hälfte von mir.«

»Die Hälfte!«

»Entlehnen Sie, ich bitte Sie. Hundert Louisd'ors werden für Ihre dringendsten Bedürfnisse hinreichen und Sie in den Stand setzen, Ihre Talente zu vervollkommnen, und Ihnen Zeit lassen, die Gelegenheit abzuwarten, wo Sie sich zeigen und endlich einen Namen machen können.

»Hundert Louisd'ors werden vielleicht Ihr Glück gründen! nun denn, mein Freund, wenn Sie einmal in einer behaglichen Lage sind, so werden Sie ebenfalls Schmerzen zu lindern suchen; und sobald der erste Unglückliche Ihnen das Leben verdanken wird, werden Sie Ihrer Schuld gegen mich entbunden sein!«

»Oh, Wohlwollen! oh, Edelsinn!«

»Komm, mein Freund, raffe Dich zu neuer Thatkraft auf, nimm dieses Geld! fasse Muth, umarmen wir uns, tröste Dich! geh, ich weiß wohl, dass das Elend nur dann schmählich ist, wenn es aus eigener Schuld hervorgeht; und fast immer ist eine Wohlthat, wenn sie den Geber ehrt, auch für den Empfänger rühmlich.«

»O, mein Befreiungsengel! Gott selbst hat Dich zu unserer Rettung gesandt... siehst Du, ich werde jeden Tag zu seinen Altären gehen, ich werde dem Ewigen danken und die Segnungen des Himmels auf Dich herabrufen.«

Seine Stimme wurde von Schluchzen unterbrochen und das Kind fuhr mit seiner kleinen liebkosenden Hand über mein Gesicht.

»O, Augenblick voll Wonne! wie ließe sich Deine Seligkeit beschreiben!«

»Mein Herr,« fuhr der junge Mann, dessen Stimme sich wieder belebte, fort, »haben Sie die Güte mir zu sagen, wem ich das Leben verdanke?«

»Ich kann nicht.«

»Sie weigern sich, es mir zu sagen?«

»Glauben Sie mir, mein Freund, es ist mir in diesem Augenblicke unmöglich.«

»Mein Herr, nehmen Sie Ihr Geld zurück.«

»Aber, sind Sie von Sinnen?«

»Sie wollen sich meiner Erkenntlichkeit entziehen! mein Herr, ich nehme Ihr Geld nicht an.«

»So hören Sie doch zuvor die Gründe.«

»Mein Herr, ich nehme es nicht.«

»Nun denn, so will ich Ihnen ein grenzenloses Vertrauen beweisen. Ich nenne mich Chevalier von Faublas.«

»Chevalier von Faublas! Wie! ist er einer so großen Tugend und Hochherzigkeit fähig?«

»Wie soll ich das verstehen?«

»O, mein Wohlthäter, verzeihen Sie! ich bitte tausendmal um Verzeihung! ich beleidige Sie wahrhaftig ganz unwillkürlich.«

»Es ist wahr, mein Freund, dass meine ersten Abenteuer in der Hauptstadt einigen Lärm gemacht haben; deshalb verdammten Sie mich im voraus; vielleicht sind Sie etwas zu streng. Mein Freund! entschuldigen Sie die Thorheiten des aufwachsenden Alters, beklagen Sie die Leidenschaften der Jugend und warten Sie noch einige Zeit, ehe Sie mich richten; Sie kennen mich noch nicht.«

»Verzeihen Sie eine ohne Zweifel beleidigende Ausrufung. Ich kenne Sie, Herr Chevalier, und bin Ihnen meine ganze Achtung schuldig. Sie werden sich bessern, dessen bin ich gewiss, mit einem vortrefflichen Herzen kann man nicht lange irre gehen.«

Er ergriff meine Hand und küsste sie mehrere Male.

Ich umarmte ihn und fragte nach seinem Namen.

»Florval,« antwortete er.

»Florval, ich liebe Ihre edle Freimüthigkeit; sind Sie allen Ernstes geneigt, mich mit Ihrer Freundschaft zu beehren?«

»Welche Frage!«

»So werde ich Sie also in einer glücklicheren Zeit wiedersehen?«

»Wie, wollen Sie mich jetzt verlassen?«

»Florval, ich muss mich verbergen, ich weiß nicht, wie es mir ergehen wird, man verfolgt mich.«

»Man verfolgt Sie? möchten Ihre Feinde in nutzlosen Nachforschungen erschöpfen! möchte ihre Wuth erblinden! aber warum dieses Kleid? man hat Sie vielleicht bereits gesehen? warum nehmen Sie nicht ein anderes?«

»Wo soll ich es hernehmen, welches?«

»Sehen Sie diese schwarze Hülle hier im Winkel? es ist mein Advokatenkleid, es ist ein Ding, welches ich immer behalten musste. Heute früh gedachte ich es zu verkaufen; allein ich hatte die Kraft nicht, die Treppe zu erreichen. Und dann, was hätte man mir dafür geben wollen? es ist so schlecht! nehmen Sie es immerhin, es kann Sie vollkommen unkenntlich machen; verbergen Sie Ihren Rock darunter und lassen Sie Ihre Haare der ganzen Länge nach darüber wallen; sie sind noch ziemlich gepudert.«

Während ich mich mit meiner neuen Verkleidung beschäftigte, erlaubte ich mir, an Florval mehrere Fragen zu richten, die er schnell beantwortete.

»Sie sind also Advokat Florval?«

»Ach, ja, mein Herr.«

»Ich hatte diesen Beruf immer für eben so gewinnreich als ehrenvoll gehalten!«

»Ach, mein Herr, welches Handwerk! einen armen Teufel zur Vorausbezahlung zu zwingen, um ihn nicht verklagen zu müssen! für einen Prokurator Bittschriften zu schmieren. Consultationen zusammenschreiben, Facta notieren, bei allen Gerichtshöfen plaidieren und durch diese hastende Thätigkeit fünfzig magern Mitbrüdern das Blut aussaugen. Ach, mein Herr, welches Handwerk! Ich habe es zu sehr in der Nähe gesehen. Wer wollte sich damit abgeben, wenn man nicht zufällig von Zeit zu Zeit einen Unglücklichen zu vertheidigen hätte, mit Gefahr von der Liste gestrichen zu werden.«

»Florval, mein Freund, das Unglück macht Sie bitter.«

»Es ist wahr,« antwortete er beinahe lächelnd, »es ist wahr, dass man die Sachen nicht von der schönsten Seite betrachtet, wenn man seit zwei Tagen hungert. Herr Chevalier, Sie sind jetzt bald fertig – ich kann nicht auf die Straße gehen. Sie haben nichts für mich gethan, wenn Sie sich nicht die Mühe nehmen, mir einige Nahrungsmittel zu schicken.«

»Mein Freund, ich eile.«

Während er sprach, legte ich das Kleid so an, dass sein Alter weniger in die Augen stach. Ich steckte den einen Flügel in meine Tasche, während ich den andern unter den Armen hielt, so gieng Alles auf's beste, der kleine Advokat war verschwunden, ich sah aus wie ein Generalprokurator, denn ich gab mir die größte Mühe Alles elegant aufzuschürzen und die Löcher unter die Falten zu verbergen.

»Leben Sie wohl, Florval! wenn man Sie zufällig fragt, ob Sie von mir etwa eine Spur haben, ob Sie mich nicht auf meiner Flucht gesehen haben –«

»Lieber mich zu Tode peinigen lassen, als Sie der geringsten Gefahr aussetzen! aber werde ich Sie lange nicht wiedersehen?«

»Ich weiß nicht, Florval.«

»Herr von Faublas, vergessen Sie doch ja nicht denjenigen, der Ihnen alles verdankt.«

»Florval, ich werde meinen Freund nicht vergessen.«

»Leben Sie wohl, mein Wohlthäter, mein Befreiungsengel, leben Sie wohl!«

Und als ich am Ende des Ganges war, rief das Kind, seine sanfte helle Stimme anstrengend, mir zu:

»Adieu, guter Herr! Dich hat der liebe Gott geschickt, damit mein Papa und ich nicht sterben!«

Der Dank dieses unschuldigen Kindes, und der Gedanke, dass ich eben zwei Opfer dem Tode entrissen, beseligte mich derart, dass ich meine Augen von den süßesten Thränen überströmen fühlte, die sie je vergossen haben. Mein Herz ist voll von einem wonnigen Gefühle! Oh, unaussprechliche Freude, die man in Folge einer guten Handlung empfindet! Oh, überschwengliches Glück, von dem ich nur eine schwache Idee hatte! was will das heißen, durch einen andern austheilen lassen? – Man muss selbst geben.

»Meine Sophie! einst werden wir zusammen in die abgelegenen Wohnungen der Armen dringen. Dort werden wir das sich verbergende Elend entdecken, seinen peinlichsten Geständnissen zuvorkommen, die Unterstützungen mit den Bedürfnissen in Einklang zu bringen, die Schmerzen durch Tröstungen zu lindern wissen. Dort, mein entzückendes Weib, werden die durch Deine Wohlthaten genährten Unglücklichen Dir eine Huldigung nach Deinem Herzen bringen.

»Wie viel schöner wirst Du mir erscheinen, wenn ich Dich durch ihre geheime Leiden gerührt sehen werde, wenn Du stolz auf ihre Segnungen zurückkehren wirst! kaum werden sie mich bemerken, sie werden nur Dich sehen! Deine Hand werden sie küssen. Dich werden sie einen Engel der Befreiung nennen können! Du hast das himmlische Gesicht eines solchen, jeder Deiner Züge zeigt von einer göttlichen Seele. Meine Sophie, wäre die Zeit schon da, um alles dies in Erfüllung gehen zu sehen. Werde ich sie ja erleben, diese schöne beseligende Zeit, die ich durch meine leichtsinnigen Handlungen selbst hinausgeschoben habe?«

So nachdenkend gieng ich bis an die Thüre nach der Straße, wo die Gefahren, die mich umringten, meine Gedanken auf Gegenstände ganz anderer Art lenkten. Kaum hatte ich die schützende Schwelle verlassen, als mehrere Männer mir bereits nachfolgten. Besonders einer von ihnen erschreckte mich durch einen forschenden Blick, dann bald mit unentschlossener, bald mit entschiedener Miene abwechselnd sein tölpisches Auge auf mein erblasstes Gesicht und auf die gemeinen Gesichter seiner elenden Begleiter heftend, schien er sich mehrere Male mit ihnen zu berathen und mehrere Male zu ihnen zu sagen: Er ist's!

Ich sah den Augenblick, wo ich gefasst wurde. Überzeugt, dass ich mich nur durch einen kühnen Streich der Gefahr entziehen könne, nahm ich schnell eine zuversichtliche Haltung an, und da mir mein Gedächtnis zur rechten Zeit zur Hilfe kam, wiederholte ich mit lauter Stimme den Namen, den mir Frau Leblanc gesagt hatte.

»Griffart!« rief ich.

Der garstige Bursche, der mich beunruhigte, war eben dieser Herr Griffart.

»Was gibt's,« sagte er zu mir.

»Wie, Du erkennst mich nicht?«

»Weiß noch nicht.«

Jetzt nahm ich vornehme Miene an.

»Und Ihr, meine Herren?«

»Wenn's der nicht weiß,« antwortete einer von ihnen, »so wissen wir's auch nicht.«

Ich musterte die ganze Truppe vornehm über die Achseln, maß den Anführer von Kopf zu Fuß und sagte endlich:

»Wie! Ihr sauberen Herren, Ihr kennt den Sohn des Kommissärs C... nicht?«

Bei diesem verehrten Namen hätte man sehen sollen, wie meine Burschen, alle von Ehrfurcht ergriffen, plötzlich ihre wollenen Hüte oder baumwollenen Mützen herabrissen und mir unter den demüthigsten Entschuldigungen die gebräuchliche Reverenz machten.

Ich bezeuge mit meinem Kopfnicken meine Zufriedenheit, und mich an Griffart wendend frage ich:

»Nun denn, braver Bursche, was gibts neues?«

»Noch nichts, lieber Herr, aber es wird nicht mehr lange dauern. Ich glaube, wir haben sie auf dem Dache gesehen, das saubere Mädel, sie konnte leicht herunterpurzeln. Sie hat Mannskleider angezogen, aber das macht nichts, ich sage, sie soll den Griffart nicht am Narrenseil herumführen.«

»Und mein Lieber, wenn sie sich am Ende der Straße zeigt?«

»Ah! ich sage, wir kriegen sie. Der Eisenarm passt dort mit seinem Galgenschwengel auf.«

»Und auf dieser Seite hier?«

»Nützt alles nichts, die Allerweltsspürnase ist da mit seinen Spürhunden.«

»Hier, meine Kinder, habt Ihr etwas zum Frühstücken im Wirtshaus; Du, Griffart, ich beauftrage Dich, sogleich ein gutes Stück Brot, einen Braten und eine Flasche Wein einem gewissen Herrn Florval zu bringen, der hier in dieser Straße, jenem alten Hause im fünften Stocke wohnt. Was von meinen sechs Franks übrig bleibt, kannst Du mit Deinen Kameraden in der Schenke vertrinken.«

Alle diese Leute erschöpften sich in mehr plumpen als einfachen Danksagungen, ich fand ihre Geberden eben so knechtisch als ekelhaft und lächerlich. Als sie mich verlassen hatten, fragte ich mich: Auf der einen Seite Eisenarm mit dem Galgenstricken, auf der andern die Allerweltsspürnase mit Gefolge. – Soll ich's wagen, dahin zu gehen; soll ich mich einer zweiten Prüfung aussetzen? ich fürchte. – Diese angebliche Nonne, die sie verfolgen, hat, sagen sie, Mannskleider angezogen; wenn ich mich als Frau verkleiden könnte!

Ah! wer ist denn dieses einladende Frauenzimmer, das von seinem Fenster im zweiten Stockwerke aus höflich alle Vorübergehenden zu sich heraufruft? Gehen wir hin, vielleicht, dass mit Geld – gehen wir hin und sehen wir, es steht mir ja immer noch frei, wenn ich nichts Besseres thun kann, an's Ende der Straße zu gehen, um den Aufpassern den Sohn des Kommissärs vorzustellen. Also frisch gewagt, ich will hinaufgehen, es ist schlechte Gesellschaft, Faublas; aber es helfe, was kann!

Mit einem Sprung war ich bei dem Mädchen, das seine Thüre halb offen gelassen hatte. Sie sah mein schwarzes Kleid und glaubte den Teufel zu sehen. Der gellende Schrei, den sie ausstieß, musste von allen Leuten in der Nachbarschaft gehört werden. Da ich nicht im Sinne hatte, mir die Masse Liebhaber dieser modernen Aspasia auf den Hals zu laden, so zog ich, um sie zu beruhigen, schnell das feindliche Kleid aus. Ihre Todesangst legte sich, als sie mich versichern hörte, ich sei nicht der Kommissär. Noch ganz anders war es, als sie mich einen doppelten Louisd'or aus der Börse ziehen sah; die süßeste Hoffnung glänzte auf ihrem wieder ganz heiter gewordenen Gesichte. »Mein Kind, diese zwei Louisd'ors gehören Dir.«

»Ich will zuvor –« und schneller als der Blitz lief sie nach der Thüre, die sie verschloss, nach ihrem Fenster, über das sie eine fadenscheinige Leinwand ausbreitete, die weniger schwierige Leute Vorhang nennen würden; dann gieng sie in ihren Alkoven und rief:

»Kommen Sie doch!«

»Allzu gefälliges und allzu lebhaftes Mädchen, wenn Sie mich bis zum Ende hätten anhören wollen, so hätten Sie sich unnütze Demonstrationen erspart, die Ihrer Eigenliebe sehr sauer zu stehen kommen müssen.

»Wahrhaftig, mein Kind! Du hast meine Absichten falsch ausgelegt. Für die zwei Louisd'ors, die ich Dir biete, verlange ich bloß, dass Du mir Weiberkleider gibst und mich anziehen hilfst.«

»Recht gerne!« antwortete sie.

»Das ist prächtig! Du willst Alles, was man will!«

»Man muss seine Sache recht machen.«

»Was gibst Du mir da für Lumpen, ich will nichts davon, hörst Du, mein Kind, gib mir Deinen besten Putz, ich will ihn bezahlen, so hoch Du ihn anschlägst; die zwei Louisd'ors sind für das Geheimnis.«

»Das heißt gesprochen! so wahr ich ein ehrliches Mädchen bin, Fanchette wird Ihnen das glänzendste geben, was sie hat, sehen Sie!«

»Teufel, aber das ist galant, ein prächtiges Ballkleid.«

»Glaub's wohl! es gehörte einer großen Dame! eine schöne Marquise hat es getragen. Sie hat es ihrer Kammerfrau geschenkt und diese hat es an mich verkauft –«

»Dieses Kleid ist sehr schön! jemand von meiner Bekanntschaft hatte ein solches, es ist sehr schön!«

»So schön, dass ich fast nie wage, es anzuziehen! ohnehin ist es mir zu lang, ich will es Ihnen abtreten, wie ich es gekauft habe; vier Louisd'ors. Dann sollen Sie noch obendrein diesen großen schwarzen Hut sammt Federbusch haben, und überdies die Beweise meiner Freundschaft, wenn Sie wollen, weil Sie sehr artig sind.«

»Das Kleid und den Hut nehme ich gerne an; für das übrige danke ich verbindlichst.«

Das Kleid, welches mir Fanchette anzog, passte mir wie angemessen.

»Wie das Kleid Ihnen gut steht,« sagte Fanchette.

»Vollkommen, und je näher ich es betrachte – Sage mir, wer hat es Dir verkauft?«

»Eine Kammerfrau.«

»Weißt Du ihren Namen?«

»Ja, Justine.«

»Justine! eine Justine hat dieses Ballkleid an Dich verkauft?«

»Ja, Sie kennen sie, diese Kammerfrau?«

»Nein, durchaus nicht. Es gehörte einer Marquise, sagst Du?«

»Ja, Sie kennen sie, die Marquise?«

»Nein, dies Kleid, in der That, sicherlich es ist's.«

»Mir scheint es, mein Herr, dass Sie dieses Kleid wohl kennen und noch mehr die Person, welche es getragen hat, gestehen Sie nur. Sie wissen davon mehr, als ich ahne.«

»Ich versichere Dich, liebes Kind, Du machst vergebliche Kombinationen.«

»Alles scheint mir doch nicht in Ordnung zu sein, mein Herr.«

»Wer hätte mir vor einem Jahre gesagt, dass ich mich abermals damit verkleiden sollte, und an einem solchen Orte! Wie wunderlich es in der Welt zugeht! wie man sich wiederbegegnet.«

»Was murmeln Sie zwischen Ihren Zähnen?«

»Ich erinnere mich, dass ich es seiner Zeit Justinen zugestellt habe, die es der Frau von B... zurückgeben sollte; allein die Schelmin hat es als gute Prise angesehen. Wie doch Alles an's Tageslicht kommt!«

»Sprechen Sie laut.«

»Dies ist also das Kleid, das ohne Zweifel würdig unter den elegantesten geprunkt hat! dieses Kleid, das in unsern glänzendsten Zirkeln mit Ehre erschien, da ist es!«

»Wie sagen Sie?«

»An welchem Orte finde ich es und in wessen Besitz!«

»Ich bitte Sie, mein Herr, sagen Sie mir doch gütigst, warum hat Sie dieses Kleid plötzlich so sentimental gestimmt, was für Erinnerungen hat es in Ihnen geweckt, warum würdigen Sie mich nicht Ihres Vertrauens? Sie schweigen, auf meine Fragen haben Sie keine Antwort. Es scheint, Sie sind tief in dieses Geheimnis verflochten, welches ich nach Ihrem Gebahren vermuthe.«

»Welche Schmach hat die Tage seines so schnell vergangenen Ruhmes besteckt.«

»Sprechen Sie doch lauter, mein Herr, dass ich Sie verstehe.«

»Seltsamer Wechsel der menschlichen Dinge.«

»Ja, freilich, aber was soll dies heißen?«

»Sie, meine schöne Damen, die Sie friedlich schlafen im Vertrauen auf die Ehrerbietung, die man Ihren Tugenden zollt, und in der Sicherheit, die Ihnen die verschwiegene Treue Ihrer Dienerschaft einflößt; wagen Sie es noch, nach einem solchen Beispiel, wagen Sie es noch, zuversichtlich gegen uns zu behaupten, dass nichts, was Ihnen angehört, jemals an den Orten der Schmach sich befinden wird?«

»Ich verstehe Sie ja gar nicht. Warum so leise sprechen?«

»Reizendes Kleid, das mir meine herrliche Freundin lieh, galantes Kleid, womit ich mich einmal geschmückt habe, und das sie geschmückt hat, werde ich Dir heute einen schwachen Theil Deines früheren Glanzes wieder zurückgeben können?

»Siehst Du, Fanchette, hier sind die sechs Louisd'ors, die ich Dir schuldig bin. Thue mir den Gefallen und hole einen Fiaker; Du wirst mich darin bis an das Thor des Luxemburg begleiten. Wenn ich Dich dort verlasse, werde ich Dir noch einige kleine Thaler für Deine Mühe geben; aber spute Dich und hüte Dich wohl, jemand ein Wort zu sagen.«

»Ich verspreche es Ihnen. Ich liebe Sie, weil Sie so großmüthig sind, und ich sage: Sie haben Geist, denn Sie sprechen mit mir wie in den Büchern, ganz voll schönen Sachen, die ich nicht begreife.«

»Geh, Fanchette, lauf schnell!«

Sie war kaum fünf Minuten aus dem Hause, als ich den Schlüssel im Schlosse umdrehen hörte. Wie groß war aber meine Überraschung und mein Schrecken, als die Thüre aufgieng, und ich einen Unbekannten hereintreten sah, der so vertraulich, als wäre er zu Hause, mir guten Tag wünschte, ohne mich anzusehen, und Stock und Hut auf das Bett legte. Ich bemerkte, dass seine wankenden Beine ihn kaum trugen und dass er häufig zurücktaumelte, dass er sich an die Möbel anklammerte und an den Wänden anstieß.

Seine Zunge stammelte kaum; er ergriff einen Stuhl und setzte sich daneben, dann stand er wieder auf und machte nach einigen Flüchen die gescheidte Bemerkung für sich:

»Ich habe mich betrogen.«

Er fügte hinzu:

»Fanchette, ich bin überzeugt, dass Du unruhig warst, weil ich heute Nacht nicht zurückgekommen bin bis jetzt, es hat Dich empört! nun, ganz natürlich, meine süße Taube; aber es waren Leute im Gasthofe von England, und rechte Leute, sag' ich Dir ... Unser Nachbar, der Pastetenbäcker, war auch da, und dann der Haushofmeister des Herrn ... weißt ja! und lauter hübsche Leute! Denk nur, es hat gar keine Händel gegeben! nur einer hat einen andern todt gestochen, aber das war Alles. Es ist wirklich eine Freude in guter Gesellschaft zu sein; 's ist eine Freude in diesem Gasthof zu sein, da sind Leute, die sich ruinieren mit einem Anstand ... 's ist 'ne Pracht, sie zu sehen, besonders wenn man gewinnt. Ich habe gewonnen, ich! auf dem Heimwege ... Du darfst nicht glauben, ich habe zu viel getrunken; aber der Wein war nichts nutz, alle diese Wirte sind Hallunken, und dass ich Alles sage, der Wein war noch kein Jahr alt. Bin ich betrunken, ich? was meinst Du, Fanchette? wenn jemand betrunken ist, so geht er seitwärts.« Mit diesen Worten erhob er sich, um gerade auf mich zuzugehen; aber unwillkürlich gerieth er links und warf sich auf das Fenster, an dem er einige Scheiben zerbrach.

Nach vielen Umwegen gelangte er jedoch zu mir und sah mir einige Sekunden lang unter die Nase mit einer Miene, die mich sehr ergötzt haben würde, wäre ich weniger unruhig gewesen. »Ich bin's, das ist ja Deine Kammer und Dein schönes Kleid; aber wie dreht sich Alles vor meinen Blicken; wahrlich ich bin nicht bei Sinnen, bin ich denn betrunken? Du hast schwarze Augen und ich sehe sie blau! Du bist blond und kommst mir braun vor! Du bist klein und ich finde Dich groß; aber ich will Dich überzeugen, dass Du hübsch bist und dass ich Dein lieber Schatz bin.«

Er näherte sich, ich wich zurück; er folgte mir, ich stieß ihn zurück; er hielt mich, ich machte eine drohende Geberde; er gab mir einen Faustschlag, ich versetzte ihm zwei; er warf sich auf meinen Federbusch, ich fasste ihn bei den Haaren. Sein Sturz zog den meinigen nach sich – der Chevalier von Faublas auf dem Boden, wälzt sich im Staube mit dem gemeinen Liebhaber eines verrufenen Mädchens. Meine unbequeme Kleidung hinderte mich am Zuschlagen. Indes hätte der Sieg nicht lange unentschieden bleiben können, weil in unserer Art zu fechten der für mich ganz vortheilhafte Unterschied war, dass ich, ohne ein Wort zu sprechen, zu parieren suchte, ehe ich zuschlug, während der Schurke, der beständig fluchte wie ein Stallknecht, die Parade vernachlässigte und mich bloß zu treffen suchte und festhalten wollte.

Man kann sich daher denken, dass der gute Mann nicht wenige Streiche erhielt; aber ehe ich mich von ihm losmachen konnte, sprangen die Nachbaren auf das Geschrei, das er machte, herbei.

Entzückt, diese Gelegenheit zu finden, ihre verhassten Mieter los zu werden, begannen sie damit, dass sie uns mit Flüchen und Schlägen überhäuften; dann führten sie uns hinab und übergaben uns der Wache, die einer von ihnen herbeigeführt hatte.

Zwei Soldaten legten meinem Kameraden Handfesseln an, zwei Soldaten gaben mir die Hand; der Pöbel verhöhnte mich, die Kinder liefen mir nach. Am Ende der Straße zog ich triumphierend mitten durch die Aufpasser, die unter diesen prunkvollen Kleidern und in diesem ehrenvollen Zuge ihre angebliche, als Mann verkleidete Nonne nicht vermuthen. Aber wie viele Straßen durchliefen wir zu Fuß! wie viel auf dem Wege aufgehäufter Koth beschmutzte das reizende Kleid, dem ich seinen ursprünglichen Glanz zurückzugeben gehofft hatte, wie viele plumpe Worte hörte ich auf meinem Wege! Mit welcher Roheit schleppten mich meine ungehobelten Führer fort. Man befahl mich nach Saint-Martin zu führen.

Nach Saint-Martin! So ist es denn wahr, dass ich dahin geführt wurde! so ist es denn wahr, dass der frühreifste aller Jünglinge, derjenige, der sich mehrere Male in gewissen Fällen so vielen gereiften Männern weit überlegen gezeigt hatte, der, dessen Liebesglück noch immer die erstaunte Hauptstadt beschäftigte, der Chevalier von Faublas durch ein öffentliches Gericht für ein Mädchen erklärt und in ein Gefängnis geschleppt. Muth, Faublas; mit Gewandtheit und Gold konnte ich die Thore von Saint-Martin leichter sprengen, als die der Bastille ... allein vor Allem war Eile nöthig, ein Augenblick konnte mich in's Verderben stürzen.

In der Vorstadt Saint-Marceau, die nun zum zweitenmale der Schauplatz meines Ruhmes und meines Missgeschicks geworden, konnten tausend Zufälle die Spuren entdecken, die der Chevalier von Faublas auf seinem Wege gelassen hatte.

Nun heißt sich aufraffen und schnell einige Freunde zu Hilfe zu rufen. Freunde! ich habe in Paris nur noch Bekannte. Rosambert, nein, der hat mir einen zu garstigen Streich gespielt und übrigens ist er ja im Auslande.

Derneval ist noch weiter entfernt.

Frau von B... ist vielleicht noch nicht angekommen, und wenn sie auch hier wäre, wie könnte ich ihr Nachrichten zukommen lassen, ohne sie zu kompromittieren? aber meine geliebte Gattin? ihr! ach, ihr muss ich es zu wissen thun! Nein, Duportail ist hier und hat ohne Zweifel die Augen offen. Er kann die Briefe auffangen und mich noch einmal berauben ... nein, ich will kein Mittel, das mich der Gefahr aussetzt, meine Sophie zu verlieren ... Nun bleibt noch der Vicomte von Valbrun übrig.

In sein kleines Lusthaus darf ich nicht schicken; wo sein Hotel ist, weiß ich nicht. Der Bote mag sich erkundigen; schreiben wir dem Vicomte.

Nun dachte ich über die Mittel nach, wie ich wohl mein Vorhaben verwirklichen könnte, an diesem Orte, wo mir alle Hindernisse der Welt entgegentraten.

Es waren ungefähr zwei Stunden, dass ich über meine traurige Lage nachdachte, von der ich den Vicomte benachrichtigen wollte, als man Fanchette rief. Ich musste dem Rufe folgen, denn für Fanchette galt ich hier. So gelangte ich zur ersten Pforte. Hier sah ich eine elegante Dame, die mir zwei oder drei verächtliche Blicke zuwarf und in trockenem Tone befahl, ihr zu folgen.

Die Thore des Gefängnisses öffneten sich, meine stolze Beschützerin stieg ernsthaft in ihren Wagen und gab mir durch einen Wink mit dem Kopfe zu verstehen, dass ich auf dem Vordersitz Platz nehmen könne.

Ich gehorchte, wir fuhren weg; jetzt sagte ich, mich an die Unbekannte wendend:

»Madame, welchen Dank? ...«

»Sie sind mir keinen schuldig,« unterbrach sie mich.

»Aber, Madame, erlauben Sie –«

»Es ist wahr, dass ich Sie aus diesem saubern Orte gezogen habe, an den Sie nicht so übel passten, wie ich glaube; allein es geschah nicht, um Sie persönlich zu verbinden, das versichere ich Ihnen.«

»Indes, Madame –«

»Indes, Mamsell, ersuche ich Sie, mir zu glauben.«

»Warum wollten Sie die gerechte Huldigung ausschlagen?«

»Guter Gott! das macht Phrasen! ich liebe solche nicht, Mamsell. Plaudern wir nicht mit einander, wenn ich bitten darf.«

Es trat einen Augenblick Stille ein, während dessen ich mich ganz leise fragte, wer wohl diese unhöfliche Befreierin sei, die mir einen so großen Dienst erwies und mich doch so schlecht behandelte, wohin mich dieses neue Abenteuer führen und was aus mir werden würde.

Die schöne Dame, die mir Stillschweigen auferlegt hatte, befahl mir nun zu sprechen.

»Können Sie lesen?« fragte sie.

»Ein wenig, Madame.«

»Auch schreiben?«

»Ebenso.«

»Frisieren!«

»Die Frauen?«

»Ei, ja, ohne Zweifel!«

»Ziemlich anständig, Madame. Ist das Alles, was ich zu thun haben werde?«

»Genug, Mamsell; Sie vergessen, dass es Ihnen nicht zukommt, mich auszufragen.«

Bald hielt der Wagen vor einem sehr schönen Hotel an; die Unbekannte hieß mich in ein prächtiges Zimmer treten, wo ich Herrn von Valbrun traf.

»Guten Tag, lieber Faublas,« sagte er, mich umarmend; »sind Sie nicht zufrieden mit dem Eifer, den die Frau Baronin von Fonrose, Ihnen zu Gefallen, an den Tag gelegt hat?«

»Ach, ich habe ihn sehr in Unruhe versetzt, Ihren lieben Faublas,« rief sie lachend; »fragen Sie ihn, was er davon denkt, fragen Sie ihn, ob ich nicht bereits die Rache meines Geschlechts auszuüben begonnen habe. Lieber Chevalier, keinen Groll! erblicken Sie in mir nur eine hilfreiche Fee, die Sie Zauberern entführt hat; und um Ihre Erkenntlichkeit zu beweisen, küssen Sie mir ehrerbietig die Hand.«

Ich gehorchte der Baronin unter Danksagungen und wandte mich dann an den Vicomte:

»Herr von Valbrun, gehen wir!«

»Wohin?«

»Sophie aufzusuchen.«

»Ist Sophie in Paris?«

»In dieser Vorstadt, im Kloster, Straße ...«

»Um so besser, aber mäßigen Sie Ihre Ungeduld auf einen Augenblick und hören Sie mich! ich muss Ihnen sagen, was ich gethan habe, und mich mit Ihnen über die Maßregeln berathen, die wir jetzt zu ergreifen haben.«

»Herr Vicomte! ich hätte damit anfangen müssen, Sie meines innigsten Dankes zu versichern.«

»Haben Sie so große Eile, ihn mir zu beweisen?«

»Zweifeln Sie nicht!«

»Nun gut, so erweisen Sie mir den Gefallen, mich anzuhören.«

»Von Herzen gern; aber gehen wir!«

»Welche Hast! ich bitte, hören Sie mich!«

»Meine Sophie!«

»Wir werden sogleich auf sie zu sprechen kommen. Chevalier, ich bin heute um Mitternacht in mein kleines Haus zurückgekommen, wie ich Ihnen versprochen hatte. Justine hat mich durch Erzählung des Vergangenen in große Unruhe um Ihretwillen versetzt.

»Da ich nicht wusste, wie es Ihnen ergehen würde, und mich nicht weit entfernen wollte, um Ihnen bei Gelegenheit Hilfe bringen zu können, so beschloss ich, bei Justine zu bleiben.

»Die Kleine, die Sie sehr zu lieben scheint, stand fortwährend am Fenster gegen die Straße. Diesen Morgen glaubte sie, Sie zweimal in zwei verschiedenen Anzügen zu erblicken.

»Vor zwei Stunden endlich rief sie mir zu, Sie würden von der Wache fortgeführt; sie erkenne Sie unter Ihrer neuen Verkleidung um so besser, weil das Kleid, in das Sie sich gesteckt, ganz gewiss früher der Frau Marquise von B... gehört habe.

»Sogleich mischte sich unter den Pöbel, der Sie verfolgte, ein treuer Abgesandter, den ich beauftragt, so schnell als möglich zurückzukommen und mir zu melden, was Ihnen geschehen sei.

»Bei seiner Rückkehr war ich nicht wenig überrascht, zu erfahren, dass die angebliche Fanchette nach Saint-Martin geschickt ward. Ich bin sogleich zu Frau von Fonrose geflogen.«

»Und ich,« fiel die Baronin ein, »konnte nicht umhin, mich sehr für das Schicksal eines jungen Mannes von Ihrem Schlag zu interessieren. Ich bin sogleich auf das Polizeibureau gegangen, und Sie wissen, welchen raschen Gebrauch ich von dem Befehl machte, der Ihnen zu Gute kam, da er Ihre sofortige Freiheit verordnete.«

»Madame, empfangen Sie meinen innigsten Dank.«

»Herr von Faublas,« versetzte der Vicomte, »hören Sie mich zu Ende. Während die Frau Baronin auf die Polizei gieng, kehrte ich in die Vorstadt Saint-Marceau zurück, um Erkundigungen einzuziehen. Es ist nicht mehr von Dorothea die Rede, man spricht überall bloß vom Chevalier Faublas.«

»Wie?«

»Hören Sie weiter, die Erklärung einer gewissen Schwester Ursula, die, wie sie sagt, von den Entführern der Nonne misshandelt wurde, vermochte nichts gegen Sie; aber was Alles verrathen hat, ist die Klage eines gewissen Herrn von Flourvac, der im Garten des Magnetiseurs von einem jungen Menschen, der sich im Nachtkleide und mit dem Degen in der Faust geflüchtet, angegriffen worden zu sein vorgibt; ferner der Widerstand, den Frau Leblanc den Polizeidienern entgegensetzte, indem sie die Thüre ihres Zimmers lieber erbrechen ließ, als dass sie dieselbe öffnete; endlich die Angabe, zu der sich die wirkliche Fanchette genöthigt sah. Das Zusammentreffen so vieler außerordentlicher Umstände hat Sie verrathen, die merkwürdigsten Abenteuer sind auf Kosten des interessantesten jungen Mannes in Umlauf gesetzt worden. In zwei Stunden wird man Sie vielleicht in Saint-Martin aufsuchen, um Sie nach der Bastille zu bringen.

»Madame wird ohne Zweifel beunruhigt werden, allein sie steht gut mit dem Minister. Wenn man Sie nur nicht findet, so bin ich außer Sorgen.

»Die Freunde des Grafen G..., den einer Ihrer Sekundanten getödtet hat, dringen lebhaft auf seine Rache; aber ich habe ebenfalls Freunde, ich genieße einigen Kredit, wir werden die Sache beilegen können.«

»Indes will ich meine Sophie sehen, und sollte ich zu Grunde gehen!«

»Sie werden zu Grunde gehen, ohne sie zu sehen!«

»Ohne sie zu sehen!«

»Wenn Sie einen Schritt aus dem Hause wagen, so werden Sie verhaftet. Es ist kein Zweifel, dass die wachsamsten Diener der Polizei heute auf den Beinen sind. Warten Sie doch einige Tage!«

»Die Tage sind mir Jahrhunderte!«

»Würden Sie sie weniger lang finden in einem Staatsgefängnis, wo Ihnen sogar die Hoffnung entrissen wäre, Ihre Sophie wiederzusehen?«

»Sie ist meine Frau, Herr Vicomte.«

Die Baronin unterbrach uns:

»Chevalier, wenn Alles wahr ist, was man von ihr sagt, so wünsche ich Ihnen Glück.«

»Ganz wahr, Madame! man müsste lange suchen, bis man eine fände, die angebetet zu werden verdiente, wie sie.«

»Ich glaube Ihnen.«

»Eine, die der Zärtlichkeit und Ehrfurcht ihres glücklichen Gemahls würdiger wäre!«

»Chevalier,« versetzte der Vicomte, »erlauben Sie.«

»Eine, sage ich, die tugendhafter als meine Sophie ist.«

»Um Gotteswillen! die Zeit ist kostbar, fassen wir einen Beschluss. Versprechen Sie mir, sich nicht auszusetzen.«

»Ach! werde ich sie denn heute nicht sehen?«

»Bedenken Sie, dass Ihre Angelegenheiten jetzt gut gehen können, dass ich aber, wenn Sie einmal Gefangener wären, für nichts mehr zu stehen vermöchte. Chevalier, ich sehe, Sie denken nach, wie nun?«

»Vicomte, Sie sehen mich von Dank durchdrungen. In einer glücklichern Zeit wird mein Dank nicht minder lebhaft sein, und ich werde ihn besser ausdrücken können; heute will ich Ihnen dadurch einen Beweis davon geben, dass ich mich Ihrem Rathe füge. Herr von Valbrun, bestimmen Sie, was ich thun soll? ich werde gehorchen.«

»Chevalier, ich kann Ihnen in diesem Augenblick in meinem Hause kein Asyl bieten, weil man Sie sicherlich hier aufsuchen wird.«

»Warum soll der Herr nicht hier bleiben?« sagte die Baronin schnell.

»Weil er hier nicht mehr in Sicherheit wäre, Madame.«

»Glauben Sie, Vicomte?«

»Aber ich frage Sie selbst, was halten Sie davon?«

»Ich sehe nicht recht ein ...«

»Wie, Madame, nach dem Schritt, den Sie so eben gethan haben?«

»Oh, aber Vicomte! ...«

»Sie setzen mich in Erstaunen, Madame,« versetzte dieser etwas launisch. »Wenn Sie übrigens den Chevalier durchaus behalten wollen, so werde ich mich in diesem Augenblick bloß in seinem Interesse widersetzen. Sie wissen, dass ich nicht eifersüchtig bin.«

»Und doch,« antwortete sie, »liebe ich den spitzigen Ton, in dem Sie es sagen; er beweist, dass Sie mehr Anhänglichkeit an mich haben, als Sie gerne durchblicken ließen. Meine Herren,« fügte sie hinzu, »es ist spät; kleiden und frisieren wir vor Allem diese arme Fanchette, deren Putz in großer Unordnung ist.

»Sodann wollen wir in den Speisesaal gehen, wo wir nicht lange verweilen werden, und während des Essens kann jeder von uns drei über die Mittel nachdenken, diesen liebenswürdigen Chevalier zu retten, den Freund aller Frauen und Liebhaber der seinigen.«

Auf das erste Klingeln erschien eine Kammerjungfer, die entlassen wurde, sobald ich frisiert war. Jetzt hatte die Baronin die Gewogenheit, mir mit Hilfe des Vicomte von Valbrun, der uns nicht verließ, selbst eines ihrer hübschen Kleider anzuziehen, dem ich das auf immer beschimpfte Ballkleid aufopfern musste.

Als meine Toilette fertig war, reichte mir Frau von Fonrose ihre Hand, deren sich der Vicomte schneller als ich bemächtigte, und wir setzten uns zu Tische. Die Baronin, die aus ihrem tiefen Nachdenken nur hie und da aufgewacht war, um mich von Zeit zu Zeit ins Auge zu fassen, die Baronin brach das Stillschweigen durch ein schallendes Gelächter.

Der Vicomte fragte sie um die Ursache dieser plötzlichen Heiterkeit.

»Ich will sie Ihnen im Salon erklären,« antwortete sie sich erhebend.

Ich ärgerte mich beinahe über diesen raschen Aufbruch, denn ich hätte mir noch gern einige Gänge gefallen lassen.

»Ich hatte soeben,« sägte sie zu uns, »für dieses junge Mädchen einen Platz gefunden, für den sie in jeder Beziehung vortrefflich passt.«

»Einen Platz!« rief der Vicomte.

»Ja, das weibliche Factotum soll Gesellschaftsdame, Sekretär und Leserin bei Frau von Lignolle werden.«

»Bei der kleinen Gräfin?«

»Ja, wie ich sage.«

»Gesellschaftsdame bei der kleinen Gräfin! dies wäre zum Lachen.«

»Gleichviel! sie will eine, und diejenige, die ich ihr geben will, gibt, denke ich, keiner andern etwas nach.«

»Aber wegen Herrn von Lignolle!«

»Herr von Lignolle ist ein garstiger Mensch, dem ich schon lange nicht geneigt bin. Eine meiner vertrautesten Freundinnen wirft ihm eine Beleidigung vor, und zwar eine derartige, dass sie eine Frau nie verzeihen kann.«

»Fräulein Duportail,« fügte die Baronin hinzu, indem sie sich gegen mich wendete, »ich empfehle Ihnen die kleine Gräfin, sie ist jung und hübsch; etwas zu lebhaft, äußerst gebieterisch und launisch; hie und da kommt ihr die Grille in den Kopf, eine Viertelstunde lang die Spröde zu spielen. Sie will sich die gewöhnlichsten Witze nicht gefallen lassen, während sie einen Augenblick darauf mit der gleichgiltigsten Miene eine sehr leichtfertige Äußerung thun kann. Im übrigen macht sie Fehler, die sie zu Grunde richten werden, wenn sie nicht auf ihrer Hut ist.

»In ihrem Alter flieht sie die Welt; sie lässt sich nirgends sehen, und nur wenige haben das Glück sie zu Hause zu treffen. Ich glaube gern, dass diese haushälterische Zurückgezogenheit ihrem Gemahl nicht unangenehm ist; aber er verlangt sie nicht, denn sie gebietet im Hause. Ich will Ihnen nur zwei Worte über ihren dummen Ehegemahl sagen. Er ist ein dicker Mann, groß, aber schlecht gewachsen, er hat ein plumpes Gesicht, das vielleicht einmal hübsch war, aber nie Ausdruck hatte. Man versichert, mehrere Frauen haben sich Mühe gegeben, ihm zu gefallen; aber man weiß keine zu nennen, die er geliebt hätte. Dieser Herr hat sein Leben den Musen geweiht; er gehört zu den geringen Schöngeistern von Stande, von denen Paris wimmelt, zu den vornehmen Literaten, die durch vierzeilige, periodisch in den öffentlichen Blättern abgedruckten Gedichten in den Tempel der Unsterblichkeit zu gelangen glauben. Er wird sich in Sie vernarren, wenn Sie sich die Mühe nehmen, gegen die neue Philosophie zu deklamieren und Räthsel aufzulösen.«

»Wahrhaftig, Madame,« sagte Herr von Valbrun, »ein sehr meisterhaftes Porträt! ich erkenne darin den Pinsel einer beleidigten Frau.«

»Vicomte,« antwortete sie, »ich habe Ihnen nicht gesagt, dass ich es sei, die sich über ihn zu beklagen habe.«

»Jetzt sollte ich es fast glauben,« versetzte er, »aber was fiel Ihnen auch ein?«

Ich unterbrach sie beide, um ihnen die Einwendung zu machen:

»Statt Kammerfrau der Gräfin zu werden, könnte ich vielleicht anderswo unterkommen? wäre es nicht möglich, dass ich mit diesen Kleidern in das Kloster meiner Sophie dränge?«

»Für heute,« antwortete der Vicomte, »wäre die Gefahr schrecklich! und welche Möglichkeit, zu bleiben?«

Die Baronin unterbrach ihn:

»Warten Sie, denn ich interessiere mich für seine junge Frau. Chevalier, Sie führen mich auf einen Plan, dessen Erfolg unfehlbar ist. Morgen, ja, morgen verspreche ich Ihnen, selbst in Sophien's Kloster zu gehen und zu fragen, ob es nicht ein Zimmer gebe.«

»Für eine junge Witwe aus Ihrer Bekanntschaft, die Sie übermorgen selbst dahin begleiten würden, Frau Baronin?«

»Übermorgen, nein! aber am Ende der Woche.«

»Madame,« sagte der Vicomte, »wir können gehen, es wird Nacht; aber glauben Sie, Frau von Lignolle werde ihre Gesellschaftsdame noch so spät abends annehmen?«

»Ja, mein Herr, dafür lassen Sie mich sorgen.«

»Und wird sich Herr von Lignolle dieser Grille seiner Frau nicht widersetzen?«

»Sie wissen ja, dass der Herr keinen Willen hat, wenn die Frau spricht; Sie wissen, dass wenn die Gräfin ihr entscheidendes – Ich will – ausgesprochen hat, der Graf wollen muss. Gehen wir, Chevalier!« fügte sie hinzu; »Sie werden sich Fräulein von Brumont nennen.«

Wir giengen die Treppe hinab; als ich in den Wagen stieg, bemerkte ich, dass man einen Koffer hinaufpackte. »Er enthält Ihre Kleider und Wäsche,« sagte die Baronin zu mir.

Ich bat den Vicomte mich morgen bei Frau von Lignolle zu besuchen; er versprach mir, mit Anbruch der Nacht sich daselbst einzustellen, um mich von den Schritten der Frau von Fonrose zu unterrichten. Jetzt neigte ich mich gegen sein Ohr und sagte ihm in Vertrauen:

»Ich glaube Frau von B... ist wieder zu Hause. Könnte nicht Justine ihr Nachrichten von mir zukommen lassen und mir von ihr etwas näheres erfahren lassen?«

»Wohl ich werde es ihr auftragen; demnach interessiert Sie Frau von B... noch immer?«

»Nicht in der Art, wie Sie meinen; auf Ehre nicht! aber ich bin sehr neugierig zu erfahren, wie der Marquis sie empfangen hat.«

»Ich werde es so einzurichten trachten, dass ich es Ihnen morgen sagen kann.«

Obschon Herr von Valbrun nicht eifersüchtig zu sein behauptete, verließ er uns erst vor dem Hotel des Grafen.


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