Jean-Baptiste Louvet de Couvray
Leben und Abenteuer des Chevalier Faublas – Zweiter Band
Jean-Baptiste Louvet de Couvray

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Diesmal schien mir die Gefangenschaft erträglicher; es war mir doch eine Hoffnung vergönnt. Meine komischen, so sonderbar sich gestaltenden und die ganze Nacht hindurch grausam verlängerten Leiden waren ohne Zweifel ihrem Ende nahe.

Die Marquise musste ja bald zurückkommen. Dieser tröstende Gedanke belebte meinen Mut aufs neue; ich nahm einen Stuhl, stellte ihn vor die Türe und wartete ruhig. Bald hörte ich Lärm im Zimmer der beiden Ehegatten, es wurde schnell, laut und heftig gesprochen. Ich merkte, dass die Marquise, um ihren Gemahl los zu werden, Streit mit ihm angefangen hatte, und ich zweifelte nicht, dass es ihr bald gelingen werde, ihn aus der Fassung zu bringen. Allein, es kam ganz anders.

Nach ziemlich langem Wortwechsel verließ die Marquise ihr Zimmer und ging auf das meine zu. Bereits war sie am Ende des Ganges, ganz nahe bei dem Zimmer, in welches sie mich einschloss. Ich weiß nicht, wie es kam, kurz, sie blieb irgendwo hängen, glitt aus und stürzte so heftig zu Boden, dass der Schlüssel zu meinem Zimmer, den sie schon in der Hand hielt, mit Macht gegen die Türe flog. Meine unglückliche Geliebte stieß einen Schrei aus. Ihr Gemahl, der ihr auf dem Fuße nachfolgte, hob sie auf; mehrere Frauen sprangen herbei und brachten sie wieder auf ihr Zimmer. Einen Augenblick nachher schrie der Marquis: »Sie hat sich verletzt, alles soll aufstehen! Der Schweizer soll die Türe öffnen! lauft schnell nach dem ersten Wundarzt.«

Wie klopfte mein Herz in diesem traurigen Augenblicke! welche Unruhe verursachte mir der Unfall der Marquise! wie weh tat es mir, gerade jetzt eingeschlossen zu sein, nicht erfahren zu können, ob ihre Wunde gefährlich, ob ihr Leben bedroht sei. Meine Verlegenheit wuchs, als ich noch weiter dachte. Konnte Justine in der Unruhe und Verwirrung, welche dieser Unfall mit sich führen musste, ihre Gebieterin verlassen? dachte sie daran, mich zu befreien?

Die Zeit war kostbar, der Tag fing an zu grauen. Wenn es mir gelang, nach Hause zu entkommen, konnte ich Jasmin, so bald ich ihn sah, in das Haus des Marquis schicken und mich nach dem Befinden seiner Gemahlin erkundigen. Ich musste alle möglichen Mittel versuchen, um mich in Freiheit zu setzen.

Jetzt wurde die Haustüre mit großem Geräusch geöffnet, und ich wusste nun, dass eines der größten Hindernisse gehoben war, und hoffte auch die übrigen, die mir noch im Wege standen, zu überwinden. Zuerst bemühte ich mich vergebens den Schlüssel, der noch auf dem Korridor lag, zu mir hereinzuziehen, sodann die Schrauben am Schlosse loszumachen und dieses wegzureißen, allein, es war von außen festgemacht. Ich untersuchte noch das Schloss, und bemühte mich, es mit meinem Messer zu öffnen, da flüsterte mir la Jennesse, den ich an der Stimme erkannte, leise zu:

»Bist Du es, Justine? ich glaubte Dich bei Deiner Gebieterin, mach mir doch auf.«

Die Gelegenheit war zu schön, als dass ich sie hätte unbenutzt vorübergehen lassen können; ich bin sogleich entschlossen, überlasse das übrige dem Zufall, und spreche leise, um meine Stimme zu verstellen. Ich ahmte, so gut ich konnte, Justinens Stimme nach und indem ich so zu sagen die Worte durch das Schlüsselloch schlüpfen lasse, antworte ich:

»Bist Du es, la Jennesse? sag mir, was macht meine Gebieterin?«

»Es geht ihr gut, sie hat sich nur die Haut ein wenig aufgerissen; soeben sagt uns der gnädige Herr, dass der Wundarzt keine Gefahr gefunden habe. Aber wie kommt es, dass Du dies nicht weißt? mach mir doch auf!«

»Ich kann nicht, mein Lieber, die Frau Marquise hat mich hier eingesperrt.«

»Es ist nicht möglich!«

»Gewiss, der Schlüssel liegt draußen auf dem Boden, suche ihn!«

La Jennesse sucht und findet ihn, er öffnet die Türe, blickt mich groß an, und ruft:

»Mein Gott! dies ist der Teufel!«

Ich suche hinauszukommen; er schlägt nach mir mit der Faust, ich pariere und schlage nach, treffe auch so gut, dass der Schlingel hinter sich hinstürzt mit einer Schramme am Auge. Ohne mich zu bedenken, springe ich über ihn hinüber und die Treppe hinunter. Mein Gegner steht aber wieder auf und rennt mir nach. Schneller als er, weil ich nicht hinke und mich die Not treibt, stürze ich über den Hof; und schon ist die Türschwelle hinter mir. Schon glaubte ich mich gerettet, allein, als ich mich eben um eine Ecke wendete, fiel ich einer Patrouille der Pariser Scharwache in die Hände.

Der Anführer ließ mich arretieren. In der Tat, man konnte auch nicht abenteuerlicher aussehen. Gegen das Ende der Nacht hatten mich so viele Sorgen in Anspruch genommen, dass ich jetzt erst bemerkte, in welch' seltsamem Aufzug ich durch die Straßen lief.

Die eine Seite meiner Kleider verbrannt, die andere von Ruß beschmutzt, mein ganzes Gesicht vom Rauch schwarz, mein Kopf mit einer Schlafhaube von Justine bedeckt. Wie sollte man sich wundern, dass la Jennesse mich für den Teufel hielt! Trotzdem, dass ich selbst über mein trauriges Aussehen verwundert war, versicherte ich den Anführer, dass ich ein ehrlicher Mann sei. Er schien aber nicht aufgelegt, meinen Worten Glauben zu schenken; und zudem kam mittlerweilen la Jennesse mit seinen atemlosen Begleitern herbei.

Alle Bedienten umringten mich und schrien aus Leibeskräften den Soldaten zu, die mich einschlossen: »Arretiert ihn! es ist ein Schuft, ein Dieb! bringt ihn auf die Wache!«

Auf mein Begehren führte man mich auf der Stelle zu dem Kommissär des Stadtviertels.

Als der Kommissär hörte, dass es sich um Aufnahme einer Klage handle, konnte er seinen Verdruss, so früh aus dem Schlafe geweckt worden zu sein, kaum verbergen.

»Wer sind Sie, mein Freund?« fragte er mich.

»Mein Herr, ich bin der Chevalier von Faublas, Ihr ganz gehorsamster Diener.«

»Verzeihung, mein Herr, wo wohnen Sie?«

»Bei meinem Vater, dem Baron von Faublas, in der Straße l'Université.«

»Was treiben Sie?«

»Nicht viel, wie viele junge Leute von guter Familie.«

»Woher kommen Sie?«

»Aus einem Kamine.«

»Mein Herr, das ist ein unkluger Spaß, der Ihnen teuer zu stehen kommen könnte.«

»Nein, mein Herr, ich sage die Wahrheit, mein Anzug beweist es ja, sehen Sie her.«

»Wohin wollen Sie?«

»Zu Bette.«

»Hübsche Antwort! wo ist der Kläger?«

La Jennesse trat vor.

»Mein Freund, wie heißt Ihr?«

Ich antwortete an seiner statt: »La Jennesse.«

»Um Verzeihung, mein Herr,« entgegnete mir der Mann des Gesetzes, »ich rede mit diesem Menschen hier.« (Zu la Jennesse):

»Wo wohnt Ihr?«

»In dem Herzen der Kammerfrau einer Marquise,« antwortete ich wieder.

»Ich frage Sie nicht, mein Herr (zu la Jennesse): »Was treibt Ihr, mein Freund?«

»Er kurzweilt mit den Kammerjungfern in den Kutschen.«

Zornig stampfte der Kommissär auf den Boden, ganz verblüfft blickte mich la Jennesse an. Der arme Bursche konnte in seiner Verwirrung kaum die Fragen beantworten, welche unser Richter immerfort an ihn richtete. Übrigens gab er zu Protokoll, er habe mich in einer Kammer bei Fräulein Justine im Hause des Marquis von B... eingeschlossen gefunden, ich habe ein Schloss aufgebrochen, und ihm einen Faustschlag auf das Auge gegeben.

Der Mann des Gesetzes, der alles sehr wichtig nahm, hieß mich einen Augenblick Platz nehmen, sprach ein paar Worte mit seinem Schreiber, und einige Minuten nachher trat der Marquis von B... ein.

»Man benachrichtigt mich,« begann er mit erregter Stimme, »dass ein Dieb – – ah, ah, dies ist Herr Duportail.«

Kommissär: »Herr Duportail? diesen Namen gab der junge Herr nicht zu Protokoll an.«

Marquis (lachend): »Um Verzeihung, Herr Duportail, aber ich erblicke Sie in einem Aufzuge!... wie?... warum?...«

Faublas (dem Marquis ins Ohr): »Es ist mir ein närrischer Streich begegnet! ich werde es Ihnen erzählen.«

Marquis (ihn unentschlossen anblickend): »Ganz recht! aber hören wir doch das Protokoll.«

Der Kommissär fing an zu lesen. Ich nahm den Marquis bei Seite und sagte leise zu ihm:

»Ziehen Sie mich aus der Verlegenheit. Sie kennen ja meinen Vater! wenn er es erfahren würde! Wenn es sich der Kommissär hätte einfallen lassen, nach ihm zu schicken!«

Marquis (laut): »Ihr Vater ist endlich wieder aus Russland zurück?«

Faublas: »Jawohl!«

Marquis: »Bei Gott! es ist ein sonderbarer Mann! er ist nie anzutreffen, und Sie ebenso wenig. Ich war mehr denn hundertmal bei dem Arsenal.«

Kommissär: »Aber der Herr wohnt nicht beim Arsenal.«

Marquis: »Herr Duportail wohnt nicht beim Arsenal.«

Kommissär: »Der Herr heißt nicht Duportail.«

Marquis: »Er heißt nicht Duportail? das ist etwas anderes.«

Kommissär: »Lachen Sie, mein Herr, so lange Sie wollen! aber der Herr gab zu Protokoll, er wohne in der Straße l'Université und heiße Faublas.«

Marquis (erstaunt zurücktretend): »Wie! was! wer redet von Faublas?«

Faublas (dem Marquis ins Ohr): »Still! ich gab diesen Namen an, weil es sehr unangenehm ist, seinen eigenen Namen bei einem Kommissär anzugeben.«

Marquis: »Ich verstehe! – wie befindet sich Ihr Fräulein Schwester?«

Faublas (etwas traurig): »Ziemlich wohl.«

Marquis: »Als ich Sie einmal in der Oper traf, sagten Sie mir, Sie kennen diesen Herrn von Faublas nicht.«

Faublas: »Ja, ich redete damals vom Sohne! der ist ein liederlicher Bursche, der Vater aber ist ein wackerer Edelmann.«

Marquis: »Aber sagen Sie mir doch, wie kam es denn, dass meine Leute Sie verfolgten?«

Kommissär: »Herr Marquis, hören Sie doch das Protokoll, es ist sehr ernsthaft.«

Marquis: »Nun lesen Sie, ich höre!«

Faublas (zum Marquis): »Mein Herr, die Zeit verstreicht.«

Marquis: »Es wird ja nicht lange dauern.«

Faublas: »Ich werde es Ihnen ja erzählen.«

Marquis: »Ohne Zweifel! aber lasst doch hören, was meine Leute angaben. Sie können ganz ruhig sein! ich weiß wohl, dass Sie kein Dieb sind.«

Der Kommissär las die Angabe. Der Marquis ließ la Jennesse hereinkommen, der mit den anderen Bedienten im Hofe geblieben war. Dieser bestätigte alles, was er gesagt hatte, und brachte neue Nebenumstände vor, welche die Tatsachen, die ich nicht leugnen konnte, noch mehr aufklären mussten.

Marquis: »Der Herr war in Justinens Zimmer eingeschlossen? Ich war ja auch darin und habe ihn nicht gesehen.«

Faublas: »Ein Beweis, dass ich nicht da war, Herr Marquis.«

Marquis: »Aber meine Gemahlin ging auch hinein und blieb ziemlich lange darin, und diese hat Sie ebenso wenig gesehen, mein Herr.«

Faublas: »Wieder ein Beweis, dass ich nicht da war. (Zum Kommissar): »Mein Herr, Sie sehen, wie zweifelhaft die Anklage ist, die man gegen mich vorbringt. Erlauben Sie mir, dass ich weggehe.«

Kommissär: »Es tut mir leid; nein, mein Herr! Schildwache, besetzt die Türe!«

Faublas: »Was, mein Herr, Sie wollten –?«

Kommissar: »Sie treten in ein Haus ein, man weiß nicht wie, oder warum. Man findet Sie im Zimmer einer Kammerjungfer eingeschlossen! Das alles ist nicht klar. Ich für meine Person glaube, dass man Sie wegen Verführung anklagen könnte.«

Faublas: »Mein Herr, nehmen Sie die Anklage an, hören Sie die Zeugen, prüfen Sie die Beweise, aber verwerfen Sie, wie es das Gesetz will, trügerische Wahrscheinlichkeiten. Was Sie eine Vermutung nennen, ist höchstens eine Ungewissheit, namentlich, wenn es sich um die Ehre, ich will nicht sagen eines Edelmannes, eines Bürgers, oder eines Menschen überhaupt handelt.«

Marquis: »Erlauben Sie, wo haben Sie Justine kennen gelernt?«

Faublas: »Mein Herr, ich könnte zwar diese Frage ablehnen; allein, ich will Ihnen einen Beweis meines Vertrauens geben. Ich lernte Justine zu derselben Zeit kennen, da eine gewisse Frau Dutour, eine Bekannte Justinens, meine Schwester bediente.«

Marquis (mit zufriedener Miene): »Richtig, Sie sahen sie bei Fräulein Duportail.«

Faublas: »Ja, mein Herr.«

Kommissär (verdrießlich): »Wenn Ihr Fräulein Schwester Duportail heißt, so heißen Sie auch Duportail. Warum geben Sie falsche Angaben zu Protokoll?«

Marquis: »Das hat nichts zu sagen! ich weiß warum, ich weiß es. Lassen Sie immer den Namen Faublas in Ihrem Protokoll. (zu mir:) Ich will Sie durchaus nicht in Verlegenheit bringen, aber sagen Sie mir freundschaftlich, was wollten Sie in meinem Hause machen?«

Faublas: »Wie? Sie haben es noch nicht errathen? ich lernte Justine bei meiner Schwester kennen! man fand mich auf Justinens Zimmer – Die Kleine ist so hübsch.«

Marquis: »Ah, loser Vogel, Sie haben die Nacht bei ihr zugebracht! Die Marquise würde sich sehr freuen, wenn sie wüsste, dass der Bruder ihrer guten Freundin ihr Kammermädchen verführte. Aber, wie brach denn das Feuer bei Justine aus?«

Faublas: »Wir waren müde, wir schliefen.«

Marquis (lachend): »Sie werden schön erschrocken sein, als ich an die Thüre pochte.«

Faublas: »Das können Sie sich vorstellen.«

Marquis: »Aber wir haben Sie doch nicht gesehen, wo zum Teufel steckten Sie denn?«

Faublas: »Im Kamin.«

Marquis: »Aber meine Frau gieng ja noch einmal in Justinens Zimmer; also hat doch diese Sie gesehen.«

Faulblas: »Keineswegs! ich hörte sie kommen und kletterte wieder in den Kamin.«

Marquis: »Daran thaten Sie sehr wohl! meine Gemahlin kann nicht die geringste Unordnung leiden, nicht weil sie weniger nachsichtig wäre als eine andere, allein, Sie wissen ja, eine so rechtschaffene Frau kann sich nicht bloßstellen. Man mag thun, was man will, sie findet nichts daran zu tadeln, wenn es nur nicht in ihrem Hause geschieht, und selbst in diesem Artikel treibt sie die Gleichgültigkeit zu weit, manchmal entschuldigt sie die Schwächen ihrer Freunde. Apropos, mein Herr, ist Ihr Fräulein Schwester noch in Soissons?«

Faublas (nach einigem Nachdenken): »Ja, mein Herr!«

Marquis: »Wirklich? immer noch im Kloster?«

Faublas (den Verlegenen spielend): »Ja, mein Herr. Warum denn nicht?«

Marquis: »Ich frage, weil mir jemand sagte, er habe sie bei Paris begegnet.«

Faublas: »Bei Paris? dieser jemand hat sich getäuscht, meine Schwester war es gewiss nicht.

»Aber Herr Marquis, wir haben hier nichts mehr zu thun; ich dächte, wir giengen.«

Komissär: »Mein Herr, Sie haben hier noch etwas zu thun; ich erwarte noch jemand.«

Dieser jemand trat im nächsten Augenblick herein. Es war mein Vater. Der Mann des Gesetzes sagte zu ihm:

»Mit wem habe ich die Ehre zu reden, mein Herr?«

Baron von Faublas: »Mein Herr, ich bin der Baron von Faublas.«

Kommissär: »In diesem Falle habe ich Sie sehr um Verzeihung zu bitten. Ich ließ Ihnen sagen, dass ein junger Mann, der sehr hart angeklagt wurde, Ihren Namen angenommen und sich für Ihren Sohn ausgegeben habe, allein seine Angabe ist falsch. Es thut mir leid, dass ich Sie gestört habe.«

Marquis (zum Kommissär): »Wie, seine Angabe war falsch? bat ich Sie denn nicht, den Namen Faublas in Ihrem Protokoll stehen zu lassen? (Leise zum Chevalier:) Merken Sie denn nicht, was das für Folgen haben könnte? wenn dieser Kommissär einmal Ihren wahren Namen schreibt, so lässt er Ihren wirklichen Vater holen, und dies würde einen feinen Lärm setzen.

Bitten Sie Herrn von Faublas, er möcht Ihnen seinen Namen lassen, dadurch kann Alles beendigt werden.«

Chevalier von Faublas (zum Marquis): »Ich wage es nicht.«

Marquis: »Ich will es selbst sagen. (Zum Baron.) Sagen Sie doch, es sei Ihr Sohn.«

Erstaunt über Alles, was er sah, blickte der Baron bald den Kommissär, bald den Marquis und bald mich an. »Mein Herr,« sagte er endlich zu dem aufmerksamen Richter, »Ihre Sorgen sind nicht unnütz, meine Mühe ist nicht vergeblich. In dem Aufzug, in welchem ich diesen jungen Mann sehe, sollte ich ihn vielleicht nicht erkennen; aber der Ort selbst, wo ich ihn sehe, fordert Nachsicht von mir. Er hat Ehrgefühl und ist stolz. Wenn er einen dummen Streich gemacht hat, so ist er durch diese Untersuchung hinlänglich gestraft. Mein Herr, der junge Mann sagte Ihnen seinen wahren Namen, er ist mein Sohn!«

Marquis (zum Baron): »Gut, vortrefflich!«

Kommissär: »Dies verstehe ich wieder nicht. Ich werde Herrn Duportail holen lassen.«

Marquis (zum Chevalier): »Er versteht dies nicht, das glaube ich wohl.«

Baron (zum Kommissar): »Mein Herr, wenn ich Ihnen sage, dies sei mein Sohn –«

Marquis (zum Baron): »Ganz vortrefflich! Sehen Sie, Chevalier, er spielt seine Rolle ausgezeichnet.«

Chevalier (zum Marquis): »Oh, der Baron ist ein Mann von Einsicht, zumal da er großes Unrecht gegen uns gut zu machen hat.«

Kommissär (zum Baron): »Alles dies ist ganz gut, aber es liegt eine Klage vor.«

Marquis: »Ich stehe davon ab.«

Kommissär: »Dies ist nicht hinreichend, mein Herr; die Sache ist von der Art: das öffentliche Wohl ist dabei interessiert.«

Baron: »Das öffentliche Wohl ist interessiert? von was handelt es sich denn?«

Marquis: »Bah! eine Kleinigkeit; ein Liebeshandel.«

Kommissär: »Ein Liebeshandel?«

Marquis: »Nun ja, mein Herr, ein galantes Abenteuer, es ist nichts als ein solches, ich versichere Sie.«

Kommissär: »Mein Herr, es handelt sich um falsche Angaben, Einbruch, Verführung.«

Baron: »Dies ist nicht möglich! wer sagt das? wer wagt es auf diese Art die Ehre meines Sohnes, meines Hauses, anzutasten?«

Marquis (zum Chevalier): »Oh, wie er seine Rolle spielt, es ist erstaunlich. (Zum Baron:) Beruhigen Sie sich, mein Herr, es handelt sich bloß um ein Liebesabenteuer. Ihr Herr Sohn war in meinem Hause bei meinem Kammermädchen, und um sich zu retten, schlug er meinen Bedienten. Das ist alles.«

Baron (zum Kommissär): »Mein Herr, Sie wissen meinen Namen, meine Wohnung, Sie werden mir nichts in den Weg legen, wenn ich meinen Sohn fortnehme und mich für ihn verantwortlich mache.«

Marquis: »Auch ich stehe für ihn. (Zum Chevalier.) Ah, man muss nur den Kopf nicht verlieren.«

Kommissär: »Meine Herren, Sie sind persönlich gehalten, ihn auf Zeit und an den bestimmten Ort zu stellen.«

Baron: »Ah, selbst persönlich!«

Marquis: »Ja, persönlich! gehen wir!«

Wir giengen alle drei.

»Mein Herr,« sagte hernach der Marquis zu meinem Vater, »wie vortrefflich spielen Sie Komödie, wie natürlich, mit wie viel Wahrheit! Sie könnten Leuten von Fach Unterricht ertheilen. (Sich zu mir wendend.) Haben Sie gehört, wie er rief: Wer wagt es, die Ehre meines Sohnes und meines Hauses so anzutasten? seines Sohnes? er hätte mich am Ende selbst davon überzeugt, dass es so sei, wenn ich nicht die Wahrheit so gut wüsste.«

So lange der Marquis sprach, blickte ihn mein Vater mit einer Miene an, die mich sehr unterhalten haben würde, wenn ich nicht seine außerordentliche Reizbarkeit gekannt hätte; ich fürchtete, die lächerlichen Höflichkeiten des Herrn von B... möchten seinen Zorn erregen, aber er hielt sich zurück. Sein Wagen hielt vor der Thüre.

»Ohne Umstände,« rief er mir zu, »steigen Sie zuerst hinein.«

Der Marquis wollte mich zurückhalten.

»Wie,« sagte der Baron, »wollen Sie in diesem Aufzug, auf der Straße plaudern?«

Ich stieg in den Wagen, mein Vater setzte sich neben mich. Wir verabschiedeten uns höflich von dem Marquis, ließen ihn aber zu Fuße heim gehen.

»Warum wollen Sie denn durchaus die Nacht über nicht zu Hause bleiben?« sagte mein Vater. »Ist der Tag nicht lang genug? sehen Sie, welchen Gefahren Sie sich durch Ihren Ungehorsam aussetzen.«

Ich entschuldigte mich, so gut ich konnte.

»Sie zerstören Ihre Gesundheit,« fuhr der Baron fort.

»Ach, mein Vater, niemals habe ich diesen Vorwurf weniger verdient; wenn Sie wüssten, welchen unglückseligen Zufällen ich heute Nacht ausgesetzt war, welche Gefahren ich lief, wahrlich, Sie würden mich bedauern.«

»Mein Sohn, glauben Sie, Sie haben noch den Marquis von B... vor sich?«

»Gewiss nicht, mein Vater; gleichwohl versichere ich Sie, dass ich mir keinen Vorwurf zu machen habe; wenn Sie mir erlauben wollten. Ihnen zu erzählen...«

»Nein, mein Sohn, sparen Sie dies für Herrn von Rosambert auf.« Der Baron setzte hinzu: »Adelheid, Herr Duportail, Sie und ich sind auf morgen Mittag zu dem Herrn Herzog von ***, oben am Boulevard Saint Honoré eingeladen. Wenn das Wetter besser wird, werden wir bald aufbrechen. Sie drei machen dann vorher noch einen Spaziergang in den Tuilerien, während ich einen Augenblick ins Schloss gehe; ich habe mit Herrn von Saint-Luc einige Worte zu sprechen. Vergessen Sie das nicht und halten Sie sich zur rechten Zeit bereit.«

Auf meinem Zimmer traf ich Justine. Die Marquise war in Todesangst gerathen, als sie erfuhr, dass ein in Justinens Kammer verborgener Dieb verhaftet und zu einem Kommissär geführt worden sei, der dann sogleich nach Herrn B... schickte.

Sie hatte ihrer Kammerfrau, deren Schrecken eben so groß war, aufgetragen, in meine Wohnung zu gehen, meine Rückkehr dort abzuwarten und mich zu bitten, dass ich ihr alle Umstände eines Zusammentreffens, dessen Folgen ernsthaft sein konnten, ausführlich erzählen möchte.

Justine weinte, als sie erfuhr, dass ich sie aufgeopfert habe, um ihre Gebieterin zu retten.

»Ich sehe wohl ein,« sagte sie, »dass die Sache sich nicht anders machen ließ; aber der gnädige Herr wird sagen, man soll mich fortschicken, und meine Gebieterin, die bereits gegen mich eingenommen ist, wird vielleicht gerne diese Gelegenheit ergreifen, um mich wegzuschicken.«

Ich tröstete das arme Kind mit der Versicherung, dass ich ihr eine Stelle verschaffen und jedenfalls sie nicht im Stich lassen werde.

Sobald Justine weg war, wechselte ich die Kleider, machte eine vollständige Toilette und gieng dann zu Rosambert, dem ich die lustigen Begebenheiten der letzten Nacht erzählte.

Ich setzte hinzu, dass er, wenn er Adelheid sehen wolle, morgen früh in den Tuilerien, der sogenannten Allee des Frühlings, sich einfinden solle. Der Graf versprach, vor Mittag dort zu sein. Nachmittags erhielt ich einen Besuch von Derneval, der mir ankündigte, dass wir in der morgenden Nacht unter jeden Umständen ins Kloster gehen werden.

»Mein bester Faublas,« fügte er hinzu, »wir müssen uns jetzt trennen.«

»Wie? Sie erschrecken mich.«

»Die Angelegenheiten, die mich hier zurückhielten, sind beendigt; Alles ist zu dem großen Unternehmen bereit, auf das ich schon seit mehreren Monaten sinne. Morgen Nacht entführe ich Dorothea.«

»Ach, Derneval! und wie kann ich meine Sophie sehen, wenn Sie uns verlassen?«

»Haben Sie nicht Ihr Gartenhaus?«

»Ja, aber das Gitterthor am Garten?«

»Wahrhaftig! Sie haben Recht; daran dachte ich nicht.«

»Derneval, könnten Sie Ihren Freund und die Freundin Ihrer Geliebten der Verzweiflung preisgeben?«

»Nein, Chevalier, nein! wir werden nicht abreisen, bis Sie einen Schlüssel zu dem Thore haben; ich werde nöthigenfalls die Ausführung meines Planes um einen Tag verschieben. Beruhigen Sie sich, mein Freund!«

Derneval gieng und überließ mich den ganzen Abend und die ganze Nacht den trübsten Betrachtungen.

Er geht, sagte ich zu mir, er geht mit seiner Geliebten! und ich bleibe hier und werde meine Sophie vielleicht nie mehr sehen! wird Sophie es wagen, das Thor zu öffnen? wird sie es wagen, allein in den Garten zu kommen? und wird nicht Dorotheas Entführung ein fürchterliches Aufsehen in dem Kloster machen? wird man nicht die strengsten Maßregeln ergreifen, um für die Zukunft jeden ähnlichen Versuch unmöglich zu machen? wird nicht der Garten besser bewacht werden, als bisher? ach, meine theuere Sophie! so werde ich Dich künftig bloß noch zuweilen durch die Läden meines Gartenhauses hindurch sehen dürfen! ach, Derneval! ach, Dorothea! Ihr verlasset uns! haltet Ihr so Euer Versprechen? – Auf diese Art warf ich ohne alle Ahnung der Dinge, die da kommen sollten, Derneval seine schnelle Abreise vor, die ich selbst bald sehnsüchtiger wünschen sollte, als er.

In dieser Nacht war ein dichter Nebel. Der Baron, der ungewöhnlich früh aufstand, fand das Wetter nasskalt; er wusste nicht, ob er Adelheid abholen sollte, er fürchtete, seine liebe Tochter möchte sich erkälten. Ich bemerkte ihm, dass die Sonne die Luft erwärmen werde und es einen recht hübschen Herbsttag geben könne. Herr Duportail, der um zehn Uhr kam, war ebenfalls meiner Ansicht; wir holten alle drei meine Schwester in ihrem Kloster ab und begaben uns in die Tuilerien. Der Baron befahl seinen Leuten, uns am Pont-Tournant zu erwarten.

»Ich gehe zu Herrn von Saint-Luc,« sagte er zu uns; »promenieren Sie indessen.«

»In der Allee des Frühlings, mein Vater?«

»Ja, ich bin sogleich wieder bei Ihnen.«

Wir giengen mehrere Male auf und ab. Endlich erschien Rosambert. Er dankte es dem Zufall, der ihn in so angenehme Gesellschaft geführt habe; er sagte Adelheid alle Komplimente, die sie verdiente, und unterhielt sich eine Viertelstunde lang so angelegentlich mit der Schwester, dass der Bruder ganz vergessen wurde. Indes gab ich mir alle erdenkliche Mühe, seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.

Voll Ungeduld, ihn bei dem neuen Unglück, das meine Liebe bedrohte, um Rath zu fragen, nahm ich ihn beim Arm und bat ihn mir einen Augenblick zu schenken. Endlich hörte er mich an; wir verdoppelten unsere Schritte, ohne es zu merken. Meine Schwester, die uns nicht nachkommen konnte, blieb mit Herrn Duportail zurück. Erst am Ende der Allee fiel es uns ein, wieder umzukehren. Wir sahen Adelheid in großer Entfernung von uns, und von drei Männern umgeben; mir beeilten uns in ihre Nähe zu kommen. Bald erkannten wir in den zwei Neuangekommenen meinen Vater und Herrn von B..., die heftig mit einander sprachen.

»Vorwärts!« sagte Rosambert, »hier gibt es eine Verwechselung.«

Im Augenblick, wo mein Freund und ich ankamen, sagte der Marquis zu meinem Vater:

»Warum mischen Sie sich darein, mein Herr?«

»Warum ich mich darein mische? kennen Sie das Fräulein, das Sie insultieren, mein Herr?«

»Ob ich Fräulein Duportail kenne,« sagte der Marquis.

»Es ist meine Tochter, Herr Marquis, und nicht Fräulein Duportail. Herr Duportail hat keine Kinder.«

»Er hat keine Kinder, und wer war es denn, der bei meiner Frau in ihrem Schlafgemach war? wollen Sie mir das gütigst sagen, Herr Baron?«

»Was liegt mir daran!«

Marquis: »Mir liegt viel daran, und ich weiß, dass es Fräulein Duportail hier war. Sie ist ein wenig verändert, allein dies kann nicht anders sein, ich sagte soeben den Grund davon.«

Baron: »Den Grund davon! Sie wagen, es zu wiederholen! ... zum Teufel! ziehen Sie diesem Laffen hier (auf mich zeigend) ein Amazonenkleid an, und Sie werden sehen!«

Marquis (den Chevalier ansehend): »Wär's möglich?«

Indes theilte Herr Duportail und Rosambert ihre Aufmerksamkeit zwischen Adelheid, die in Thränen ausbrechen wollte, und den Baron, der in seiner Wuth nicht auf ihre Vorstellungen achtete.

Chevalier (sich dem Baron nähernd): »Bitte, mein Vater!«

Marquis: »Sein Vater!«

Baron (zu seinem Sohn): »Schweigen Sie, mein Herr! wissen Sie, was man zu Ihrer Schwester sagt? Ich komme eben dazu, wie man ihr Glück wünscht, dass sie nach ihrer Krankheit wieder so gut aussehe. Donner und Wetter! verkleiden Sie sich als Frauenzimmer, so viel sie wollen, und betrügen Sie Dummköpfe, so lange Sie können, aber hüten Sie sich, die Ehre Ihrer Schwester aufs Spiel zu setzen.«

Marquis (betrachtend den Chevalier): »Je mehr ich ihn prüfe – (Er machte eine drohende Geberde gegen ihn und geht auf Herrn Duportail zu.) Wenn Du keine Memme bist, so antworte mir. (Auf Adelheid zeigend.) Ist dieses Fräulein Deine Tochter? (Auf den Chevalier zeigend.) Ist dies der junge Mensch, den ich in Amazonenkleidung bei Dir gesehen habe?«

Herr Duportail (mit der größten Kaltblütigkeit): »Sie wissen vielleicht nicht, mein Herr, dass meine Geburt der Ihrigen zum mindesten gleich ist; aber ich bin sehr glücklich einigen Vortheil über Sie behaupten zu können. Ich werde nie die Rücksichten aus den Augen lassen, die sich Männer von Stand, auch wenn sie einander feindlich begegnen, schuldig sind; mein Herr, ich werde Sie nie dutzen. Was Ihre Fragen betrifft, so wünschte ich sie nicht beantworten zu müssen. Marquis, dieses Fräulein ist nicht meine Tochter, und dies ist der junge Mensch, den Sie in Amazonenkleidung bei mir gesehen haben.«

Der Marquis beobachtet einige Zeit ein düsteres Stillschweigen; dann gieng er auf mich zu, ergriff meine Hand und drückte sie heftig. Ein Blick von mir zeigte ihm an, dass ich ihn verstand.

Mein Vater bemerkte diese Zeichen, denn ich hörte, wie er ganz leise vor sich hin sagte: »Werde ich meine Aufwallung nie bemeistern können! blinder Zorn! unselige Hitze! wenn Du mich meinen Sohn kosten würdest!«

»Du hast mich schändlich betrogen!« sagte der Marquis mit gedämpfter Stimme zu mir, »morgen um fünf Uhr finde Dich beim Thore Maillot ein... Über Deinen Vater habe ich mich nicht zu beklagen, aber Duportail und Rosambert sind Deine Mitschuldigen; sag' ihnen, dass ich zwei von meinen Verwandten mitbringen werde, um sie zu züchtigen.

»Adieu, Du wirst sehen, dass ich mich zu rächen weiß!«

Mit diesen Worten entfernte er sich. Unser Streit hatte eine Menge Leute herbeigezogen, die uns umringten.

Adelheid zitterte am ganzen Leibe und konnte sich kaum halten; wir giengen so schnell, als ihre Schwäche es gestattete, nach dem Pont-Tournant, wo zwei Wagen uns erwarteten. Der Baron stieg mit meiner Schwester in den unsrigen; Rosambert nahm Herrn Duportail und mich in den seinigen auf; und um dem Volkshaufen, der uns nachfolgte, zu entgehen, erhielten die Kutscher Befehl, im Galopp davon zu fahren und erst nach langen Umwegen vor dem Hotel des Barons anzuhalten.

»Warum mussten Sie uns verlassen, meine Herren!« sagt jetzt Herr Duportail zu uns; »kaum waren Sie dreißig Schritte von uns, als Herr von B... zu uns trat.

»Er überhäufte mich mit Artigkeiten und richtete tausend Fragen an Ihr Fräulein Schwester, die nicht wusste, was sie antworten sollte. Ich gestehe Ihnen, dass ich selbst aus seinen Äußerungen nicht klug wurde. Ich hoffte, Sie würden zurückkommen und mich aus der Verlegenheit reißen. Herr von B..., der mir schon zwanzigmal zur Rückkehr meiner Tochter und zu ihrem guten Aussehen Glück gewünscht, Herr von B... wandte sich jetzt an Ihr Fräulein Schwester und sagte: »Auf Ehre Fräulein, Sie sind sehr gesund, ich finde Sie wenig verändert; es ist erstaunlich,« sagte er, »denn wenn ich recht rechne, so sind Sie vor der Zeit –« (hier dämpfte der Marquis die Stimme). Fräulein von Faublas stieß einen Schrei aus; ich rief entrüstet aus: »Sie wagen, es mein Herr!« Unglücklicherweise war der Baron bereits hinter uns und sagte mit wüthender Stimme: »Was nennen Sie vor der Zeit.....? Sie werden mir für diese unverschämte Äußerung Rede stehen!«

»Das Übrige wissen Sie so ziemlich, meine Herren; und diese furchtbare Scene,« fügte Herr Duportail mit einem Blicke auf mich hinzu, »wird ohne Zweifel verdrießliche Folgen haben.«

»Ja, mein Herr, ohne Zweifel wird dies der Fall sein. Morgen früh um fünf Uhr erwartet Herr von B... nebst zwei seiner Anverwandten uns alle drei am Thore Maillot.«

»Schon wieder ein Duell, schon wieder Blut!« rief Rosambert.

»Sehen Sie, Faublas,« sagte Herr Duportail zu mir, »sehen Sie die Folgen einer strafbaren Leidenschaft! morgen werden sich sechs wackere Männer um der Marquise von B... willen die Hälse brechen! morgen werden der Herr Graf und ich, der Kampf mag ausfallen, wie er will, für die Theilnahme an Ihren Verirrungen gestraft werden; wir werden dafür gestraft werden, denn so sehr ich mit Leib und Seele Krieger bin – ich habe dies hundertmal bewiesen – – so ist es doch sehr hart, sein Leben nicht anders retten zu können, als indem man einen Gegner aufopfert, den man oft hochschätzt. In wenigen Stunden werden Herr von Rosambert und ich das Blut zweier Männer vergießen, die wir vielleicht nicht kennen, die uns nie im geringsten beleidigt haben.«

»Mein Herr, ich bin mehr zu beklagen, als Sie, ich schlage mich mit dem Marquis, dem ich alles mögliche Leid zugefügt habe...!«

»Es ist sehr sonderbar,« fiel Rosambert ein, »dass ich bei dieser Affaire Ihr Kampfgenosse bin! es ist sonderbar, dass ich mich für Sie schlage, weil Sie mir eine Geliebte weggenommen haben; aber meine Herren, keine langen Betrachtungen mehr, wir haben keine Zeit zu verlieren. Morgen früh um sechs Uhr sind wir entweder todt, oder wir müssen das Königreich verlassen, was ebenfalls sehr hart ist.«

»Franzosen!« rief Herr Duportail, »Ihr, die Ihr mich gastlich empfangen habt, so werde ich denn nicht von Euch scheiden, ohne das weiseste Eurer Gesetze übertreten zu haben!«

»Meine Herren,« fuhr Rosambert fort, »wohin wollen wir fliehen?«

Ich antwortete rasch:

»Nach Deutschland!«

»Ja, nach Deutschland, wenn Sie wollen,« sagte Herr Duportail.

»So sei es denn nach Deutschland!« versetzte der Graf.

Wir kamen vors Hotel. Adelheid und der Baron giengen bereits die Treppe hinauf, Herr Duportail folgte ihnen in der Meinung, ich komme nach. Ich verabschiedete mich von Rosambert.

»Wie? wohin gehen Sie denn?«

»Zu meinem Freund Derneval; besorgen Sie das nöthige auf morgen.«

»Wird man Sie Abend nicht sehen?«

»Ich kann für nichts stehen; vielleicht komme ich erst morgen früh um vier Uhr zurück.«

Ich entfernte mich in dem Augenblick, wo Herr Duportail zurückkam, um mich abzuholen.

Ich kam mit so verstörter Miene zu Derneval, dass er mich sogleich fragte, was mir begegnet sei.

»Mein Freund, ich habe morgen eine Ehrensache; morgen sterbe ich, oder Sophie verlässt Frankreich mit mir. Die Postchaise, in der Sie Dorothea fortführen, muss auch Fräulein von Pontis mitnehmen.«

Derneval machte große Augen; wir beschäftigten uns den Rest des Tages mit Vorbereitungen aller Art, die unser großes Unternehmen erforderte. Ich hätte abends einen Augenblick nach Hause gehen können, allein ich fürchtete, von dem Baron zurückgehalten zu werden. Kurz vor Mitternacht versteckte ich meinen Degen unter einen Mantel; Derneval brauchte dieselbe Vorsicht. Wir machten uns in Begleitung von drei Bedienten, für deren Muth und Treue mein Freund bürgte, auf den Weg. Unter den Klostermauern angelangt, warfen wir ein großes Packet, das zwei vollständige Manneskleidungen enthielt, in den Garten, legten die Strickleiter an und befahlen zwei von unsern Bedienten, in einiger Entfernung Wache zu stehen, und dem dritten, schlag vier Uhr die Postchaise zu bringen.

Wir stiegen in den Garten. Derneval und Dorothea ließen mich mit Sophie allein. Wir setzten uns unter den Kastanienbaum.

Ich sah Sophie an, ohne ein Wort zu sagen, und benetzte ihre Hände mit meinen Thränen.

»Was bedeutet denn dieses Schweigen?« sagte sie. »Was sollen diese Thränen?«

»Sophie, diese Thränen verkündigen große Trauer. Weißt Du denn nicht, dass Dorothea uns verlässt?«

»Ja, aber sie hat uns zu lieb ihre Reise um einen Tag aufgeschoben.«

»Nein, liebe Sophie! ihre Reise ist nicht aufgeschoben; Derneval entführt sie noch diese Nacht.«

»Heute Nacht!«

»Ja, ich kann Dich nicht im Sprechzimmer sehen, ich werde Dich nicht mehr im Garten sehen können; so sind wir getrennt auf immer. Liebe Sophie, dies ist die letzte Nacht, die wir mit einander zubringen.«

»Die letzte!« rief sie mit trauriger Stimme.

»Ja, die letzte! Dorothea verlässt uns, sie lässt Dich allein; sie opfert Alles ihrer Zärtlichkeit für Derneval auf; Derneval ist glücklicher als ich!«

»Mein Freund! können Sie ein Glück wünschen, das mich das meinige kosten würde?«

»Sophie, dies ist die letzte Nacht, die wir mit einander zubringen.«

»So wollen wir sie so zubringen, mein Freund, dass wir uns morgen keinen Vorwurf machen müssen.«

»Morgen werden wir getrennt seufzen! und inzwischen sind Derneval und Dorothea auf dem Wege nach Deutschland!«

»Sie gehen nach Deutschland?«

»Ja, meine angebetete, geliebteste Freundin!«

»Ich bitte, erklären Sie sich doch.«

»Sophie, die Abreise Dorotheens ist das größte Unglück, das unsere Liebe bedroht.«

»Aber sagen Sie mir doch, Faublas, haben Sie mich nicht hundertmal versichert, dass Sie, sobald der Baron von Görlitz ankomme, ihn um seine Tochter bitten werden?«

»Die Einwilligung des Barons von Görlitz wird nichts helfen, wenn mein Vater nicht auch seine Stimme zu unserer Verbindung gibt.«

»Aber Ihr Vater wird dieselbe doch gutheißen, sobald der meinige –«

»Sophie, ich darf Sie nicht hintergehen, mein Vater bestimmt mir eine andere Gemahlin.«

»Eine andere Gemahlin! und Sie kündigen mir es an! Grausamer, ich erkenne Ihre Absicht! ich bin aufgeopfert!«

»Nein, meine Sophie, nein, beruhige Dich! ich erneuere Dir hier meine tausendmal wiederholten Schwüre! nie wird eine andere den Namen meiner Gattin tragen; aber wenn Du nicht die meinige bist, so hast Du es nur Dir selbst zuzuschreiben.«

»Mir selbst, erkläre Dich, mein Freund!«

»Ja, diese so ersehnte Verbindung, Du hast sie nicht nothwendig machen wollen!«

»Ich verstehe Sie nicht!«

»Wenn Du meine Wünsche erhört hättest –«

»Mein lieber Faublas, was sagen Sie mir da?«

»Ich hätte meine Sophie dem Baron von Faublas vorgestellt und zu ihm gesagt: Sie hat mein Wort, unsere Schwüre sind am Himmel geschrieben, es fehlt ihr nichts mehr, als der Titel meiner Gattin.«

»Wie, Faublas, ich sollte diesen Titel um diesen Preis erkaufen?«

»Du liebst mich also nicht mehr, wenn Du Dich dadurch entehrt glauben kannst! Grausame! auf was wartest Du denn? wir werden getrennt werden, bald wird man Dich in ein fremdes Land führen! ferne von mir. Sophie, öffne Deine Augen über die Gefahren, die uns bedrohen; Du kannst ihnen zuvorkommen. Du kannst Dich durch unauflösliche und heilige Bande mit mir vereinigen. Lass Dich erbitten, geliebteste Freundin.«

»Nein, nein! nie werde ich dies zugeben.«

Meine Bitten waren vergeblich. In Verzweiflung darüber, dass ich alle Hoffnung schwinden sah, überließ ich mich ganz meinem Schmerz.

»Ihr Schmerz zerreißt mir das Herz,« sagte Sophie. »In welche Verzweiflung sehe ich Sie versunken, mein Freund!«

»Sophie, nie war mein Schmerz tiefer und gerechter; die Stunden entfliehen, der Tag wird nur zu bald heraufziehen, und ich wiederhole Ihnen, dies ist das letztemal, das wir einander sehen!«

»O, Himmel! in welchem Tone er zu mir spricht, welch düstere Verzweiflung aus seinem ganzen Wesen athmet! Oh! mein Freund, wie schmerzlich sind Ihre Thränen! Sie sind grausam!«

»Sophie, ich weine jetzt, bald werden auch Sie weinen; bald wird eine traurige Nachricht sich in der ganzen Stadt verbreiten und bis in Ihre Mauern dringen, und Ihre späte Reue wird Ihnen Ihren Geliebten nicht wieder geben können.«

»Grausamer, Sie könnten Ihr Leben bedrohen?«

»Nein, nicht von meiner Hand wird der Todesstoß ausgehen, Sophie! wenn mein Leben Ihnen theuer wäre, so würde ich es gegen den Marquis von B... vertheidigen.«

»Großer Gott! Sie wollen sich schlagen!«

Sie fiel in Ohnmacht, ich verwendete alle Sorge auf sie, die ihre Lage erheischte. Sie schöpfte wieder Athem; dann lag sie in meinen Armen.

Es schlug vier Uhr, als Derneval zu uns kam. Ich lief ihm entgegen; er sagte zu mir, die Postchaise sei angekommen. Dorothea habe ihn auf eine halbe Stunde verlassen, werde aber bald wieder da sein, und sich in die Männerkleidung angethan haben.

Jetzt habe ich meine Sophie nur noch zur Flucht zu bewegen.

Ich kehrte zu meiner Geliebten zurück, zeigte ihr die für sie mitgebrachten Männerkleider und beschwor sie sich umzukleiden.

»Wie! warum?«

»Derneval und Dorothea reisen nach Deutschland; sagt Dir Dein Herz nicht, dass wir mit ihnen gehen?«

»Ich! ich sollte meinem Vater diesen tödtlichen Kummer bereiten? bin ich nicht schon strafbar genug?«

»Höre mich, liebe Sophie!«

»Nein, ich will nichts hören; nein. Grausamer, Sie haben mich zu Grunde gerichtet.«

»Sophie, meine theuere, meine einzig geliebte Sophie, warum zögerst Du jetzt noch, da Du Dich mir doch zu eigen hingegeben, da ich Dich in meinen Armen, hochbeglückt und Alles um mich vergessend gehalten, als mein einzig, mein angebetetes Weib?«

»Faublas, jetzt vermagst Du Alles über Deine Geliebte; habe Mitleid mit ihr!«

»O, meine theuerste Sophie; ich möchte Dir gerne eine grausame Angst ersparen, aber Du zwingst mich Dich zu erinnern, dass der Marquis –«

»Ach, mein Faublas!«

»Zittere nicht mehr für ein Leben, an das nun auch das Deinige geknüpft ist; Dein Gemahl wird siegen! die ganze Familie des Marquis würde er jetzt in die Schranken fordern! aber Du kennst die Gesetze des Landes nicht! – Sophie, wenn ich nach Überwindung des Gegners hier bleibe, so setze ich mich der Gefahr aus, den Kopf auf dem Schaffot zu verlieren.«

»Ich Unglückliche!«

»Sophie wir müssen fliehen, wir wollen nach Deutschland gehen; der Baron von Görlitz kann Deinen Geliebten nicht verweigern, und mein Vater wird mein Glück bestätigen; und jetzt, liebste Sophie, erlaube, Dass Dein Gemahl Dich ankleide!«

Es schlug drei Viertel, bis Sophie ganz reisefertig war.

Dorothea kam zu uns; Derneval ward ungeduldig und sagte, dass die Morgenröthe ihn nimmer in der Stadt antreffen dürfe, und ich vor dem Thore Maillot mich einzufinden habe!

»Wie, wir reisen nicht alle vier zusammen?« ruft Sophie.

»Geliebteste, die Ehre ruft mich; ich lasse Dich bei Dorothea, ich gebe Dich unter Dernevals Schutz. Derneval wird höchstens eine Post vor mir voraus haben, er muss mich in Meaux erwarten; in zwei Stunden bin ich bei Euch.«

Sophie wirft sich in meine Arme und ruft voll Verzweiflung:

»Ich lasse Dich nicht!«

Derneval stampft mit dem Fuße.

»Noch begünstigt uns der Nebel, aber der Tag wird uns hier überraschen.«

Ich riss mich aus Sophiens Armen.

»Faublas, wenn Sie mich verlassen, so gehe ich nicht.«

»Gut, Sophie, ich werde Dich nicht verlassen, aber jetzt eilen wir, um hinauszukommen!«

Derneval hatte vorausgesehen, dass es unsern Freundinnen schwer fallen würde, die Mauern an den Strickleitern zu erklettern, und deshalb zwei hölzerne Leitern bringen lassen. Dorothea schon längst auf ihre Entführung vorbereitet, war bald auf der Straße; aber Sophie wäre zwanzigmal zurückgefallen, wenn ich sie nicht unterstützt hätte. Vor der Postchaise angekommen wollte mich Sophie zuerst einsteigen sehen.

»Aber, Sophie, die Ehre ruft mich!«

»Die Ehre? Sie wollen sich also schlagen? Ich werde es nie zugeben!«

Während sie so sprach, schlug es fünf Uhr. Nie hatte es eine grausamere Lage gegeben, als die meinige in diesem Augenblicke.

In der Verzweiflung ziehe ich meinen Degen, um mich zu durchbohren. Derneval hält meinen Arm.

Sophie ruft zitternd:

»Gut! ich gehorche, ich gehe, ich will Sie nicht in eine so trostlose Lage bringen durch meine Thränen!«

Während man sie neben Dorothea setzt, sagte ich zu Derneval:

»Es ist fünf Uhr, wenn ich den Weg zu Fuß machen muss, so komme ich zu spät und bin entehrt. Ich will von einem Ihrer drei Reiter ein Pferd nehmen; er soll so schnell als möglich in meine Wohnung gehen, wo ich befehlen werde, dass man ihm das Pferd gebe, das man ohne Zweifel für mich bereit hält.«

Sophie neigte sich fast sterbend über den Schlag heraus.

»Mein Freund,« sagt sie, »führen Sie mich wenigstens auf den Kampfplatz.«

»Meine geliebte Freundin, beste Sophie, in zwei Stunden habe ich Euch eingeholt.«

»Theuerster Freund, liebster Gatte! sorge für Dich, vertheidige mein Leben!«

Ich sah die Postchaise davon fahren und gewann im stärksten Galopp die Straße l'Université. Jasmin erwartete mich am Thore des Hotels.

»Eilen Sie, lieber Herr, eilen Sie! der Herr Baron hat Sie auf allen Seiten suchen lassen; in Verzweiflung über Ihre Abwesenheit ist er selbst zu Pferde gestiegen und hat seinen Degen genommen; ich fürchte sehr, er will sich für Sie schlagen.«

»Ach, mein Gott! lass mich nicht zu spät kommen!«

Ich ritt spornstreichs davon; Jasmin galoppierte hinter mir her.

»Gnädiger Herr, warum nehmen Sie denn nicht Ihren guten Renner?«

»Es ist kein Augenblick zu verlieren! kehre sogleich um; es wird jemand kommen und ein Pferd verlangen, gibt ihm das meinige.«

In kurzer Zeit war ich vor dem Thore Maillot und sah den Baron von mehreren Personen umringt. Aus seinen Geberden schloss ich, dass er den Marquis herausforderte. Es schien mir, dass Herr Duportail, Rosambert und die beiden Verwandten des Herrn von B... sich diesem Kampfe widersetzten.

Sobald man mich sah, trennte man sich.

»Das wusste ich wohl!« rief Rosambert.

»Mein Sohn,« sagte der Baron, »Sie kommen zu spät!«

»Allzuspät, mein Vater, ohne Zweifel, da Sie selbst Ihr Leben aussetzen wollen!«

Herr von B... unterbrach mich:

»Hätte es sich darum gehandelt, das hübsche Mädchen zu spielen, so wärst Du früher bei der Hand gewesen. Komm, feiger, treuloser Weiberknecht! Dein Tod wird auf der Stelle meine Schmach rächen.«

Unsere Degen kreuzten sich. Die große Überlegenheit, die ich mir in der Fechtkunst erworben hatte, und die Kaltblütigkeit, die ich der Wuth des Marquis entgegensetzte, wogen den ungeheuern Vortheil, den ihm ein gefahrloser Angriff gab, zu meinen Gunsten auf. Beim Anblick meines Gegners war mir mein ganzes Unglück vor die Seele getreten, ich fühlte, dass ich schweres Unrecht diesem Manne angethan, und so sehr ich in mancher Beziehung zu entschuldigen war, so fühlte ich doch, dass ich mir mehr als einen Vorwurf zu machen hatte. Ich konnte mich nicht entschließen, das Leben eines Mannes zu bedrohen, dessen Eigenliebe ich tödtlich verletzt, dessen Ehre ich bloßgestellt hatte.

Zufrieden, seine Stöße zu parieren, ließ ich ihn sich in nutzlosen Anstrengungen erschöpfen, und verließ mich ganz auf meine Gewandtheit in der Hoffnung, er werde bald vor Mattigkeit aufhören müssen und sich glücklich schätzen, sein Leben dadurch zu retten, dass er sich für besiegt erkläre. Meine Hoffnungen wurden getäuscht. Mein Vater, der bei einem für ihn so schrecklichen Kampfe Zuschauer blieb, stand zehn Schritte von mir; ich konnte sehen, wie er die blitzschnellen Bewegungen unserer Degen mit unruhigen Blicken verfolgte. Mehr als einmal glaubte ich, er würde, vor Ungeduld übermannt, sich auf den Kampfplatz stürzen. Herr von B... suchte mit Drohungen und mit Schimpfworten seinen Zorn zu reizen und setzte mir mit einer Kraft zu, die ich nicht bei ihm gesucht hätte. Indes hatte er mir noch keinen Zoll breit Boden abgewonnen, und mein ruhiger Widerstand hatte seine Wuth bisher nur noch gesteigert.

Auf einmal bemeisterte er seine tolle Hitze und täuschte mich durch eine geschickte Finte; ich kam etwas zu spät zur Parade; das feindliche Eisen, nicht kräftig genug hinweggedrückt, streifte meine Brust, die sich plötzlich mit Blut färbte. Mein Vater stieß einen Angstschrei aus und zog seinen Degen; sogleich aber hielt er ein und zerbrach ihn zornig, und rief, indem er die Hände rang: »Mein Gott, habe Mitleid mit mir! erhalte mir meinen Sohn!«

Ich konnte den Anblick der Verzweiflung meines Vaters nicht ertragen. Der Marquis, dem ich nunmehr gewaltig zusetzte, vertheidigte sich tapfer, konnte aber den entscheidenden Stoß nur einige Augenblicke aufhalten. Sein Fall musste der Todesangst des Barons ein Ende machen. Indes sah ich meinen Vater fast zu gleicher Zeit mit dem Marquis zu Boden sinken.

Ich dachte mir, der Baron werde mich schwer verwundet glauben; nachdem ich zu ihm trat, entblößte ich meine Brust und sagte:

»Beruhigen Sie sich, ich bin bloß etwas gestreift!«

Mein Vater nahm mich in seine Arme und zeigte mir den Kampfplatz. Ich blickte umher und sah einen der Verwandten des Marquis bewusstlos am Boden liegen. Ein Wundarzt verband Rosambert, den Herr Duportail und mehrere Bedienten hielten.

»Wir machten Schlag auf Schlag,« sagte der Graf zu mir; »mein Gegner scheint nicht gefährlich verwundet zu sein, das ist mir lieb.«

Der Baron kam jetzt zu uns; er hörte, wie der Wundarzt uns versicherte, der Graf sei nicht tödtlich verwundet, könne sich aber dennoch nicht ohne Gefahr den Strapazen einer langen Reise aussetzen.

»Ich werde für ihn sorgen,« rief der Baron, »rettet Euch!«

»Ja, rettet Euch!« wiederholte Rosambert; »komm her, Faublas, umarmen wir uns, und jetzt lebe wohl!«

Mein Vater presste mich lange an seine Brust.

»Diese unglückliche Affaire,« sagte er zu Herrn Duportail, »macht unsere Pläne zu nichts; sei sein Vater, Lomzinski, bis ich zu Euch kommen kann! ich will Euch nicht länger aufhalten, meine Freunde, geht! hier sind treffliche Renner, die Euch in weniger als einer Stunde nach Bondy bringen, wo Ihr einen Wagen finden werdet. Ich habe bis Clayes Relais bestellt, erst in Meaux werdet Ihr Postpferde nehmen; reiset so schnell als möglich, bis Ihr in Luxemburg und in Sicherheit seid.«

Endlich machen mir uns auf den Weg; in Bondy treffen wir die Postchaise, den Kutscher meines Vaters und meinen treuen Jasmin. Die Relais folgten schnell auf einander bis Meaux; hier musste auch Derneval Postpferde nehmen; hier hatte er versprochen, eine Viertelstunde auf mich zu warten. Ich fragte, ob man nicht drei junge Herren in Begleitung von drei Bedienten gesehen habe. Man antwortete, sie seien vor einer halben Stunde abgereist. Dieselben Fragen, dieselben Antworten in Saint-Jean les deux-Jumeaux, in Montreiul-aux-Lions. Derneval hatte immer eine halbe Stunde vor mir voraus; offenbar fürchtete er, verfolgt zu werden, und beeilte sich; er hatte auch Recht; aber wie groß musste Sophiens Unruhe sein!

Herr Duportail, dem meine vielen Fragen und meine Geldverschwendung auffielen, fragte mich, warum ich an diesen Leuten ein so lebhaftes Interesse nehme.

»Mein Herr, es sind drei Brüder, die diesen Morgen wie wir eine Ehrensache abmachten. Ich muss sie nothwendig einholen. Wir wollen Reitpferde nehmen, wenn es Ihnen nicht unangenehm ist.«

»Aber mein Freund, wenn wir unsere Chaise zurücklassen, so müssen wir vielleicht den ganzen übrigen Weg zu Pferde machen.«

»Oh, ich fürchte die Strapaze nicht!«

»Und ich, mein lieber Faublas, bin daran gewöhnt.«

In Vivray ließen wir unsern Wagen und Jasmin zurück und stiegen zu Pferd. Wir holten Derneval erst eine halbe Meile über Normans ein. Sophie stößt einen Freudenschrei aus, als sie mich bemerkt, die Seligkeit eines kaum geahnten glücklichen Wiedersehens scheint sie zu überwältigen, sie streckt mir ihre Arme entgegen.

»Theuerste Sophie, liebste Freundin, mäßige den Ausdruck Deiner Zärtlichkeit; sie würde Dich verrathen! Herr Duportail folgt mir, bedenke, dass Du Dernevals Bruder bist.«

In Pont-à-Binson stieg Derneval ab, begrüßte Herrn Duportail, bat ihn seine Brüder zu entschuldigen, dass sie sich nicht zeigten, und sagte zu uns:

»Da es von Interesse ist, dass man unsere Spuren verliert, wenn man uns allenfalls auf diesem Wege verfolgt, so habe ich Maßregeln ergriffen, die Sie ohne Zweifel billigen werden. Zwei Meilen von Epernay werden wir die Pferde, die wir uns auf der nächsten Post geben lassen, zurückschicken, um bessere zu erhalten, die einer meiner Freunde, den ich vor mehreren Tagen davon benachrichtigt habe, sicher in Bereitschaft hält. Ein Seitenweg bringt uns nach Jalous. Auf der ganzen Route müssen hinlängliche Relais bestellt sein bis Sainte-Menehould, wo wir wieder Post nehmen. Aber meine Herren, als ich diese Maßregeln traf, um meine Flucht zu sichern, rechnete ich nicht auf Euch.

»Meinen Leuten ihre Pferde zu nehmen, um sie Ihnen zu geben, hieße unsere Escorte auf eine höchst unkluge Art schwächen. Zum Glück ist mein Wagen groß und bequem. Sie haben beide noch darin Platz, ich will ihn führen. Ich will Ihr Postillon sein.«

Herr Duportail ließ sich lange bitten, bis er endlich den Vorschlag annahm. Ich sagte leise zu Derneval, dass ich mich in einer sonderbaren Verlegenheit befinden werde.

»Mein lieber Derneval, Ihre angeblichen Brüder sind so hübsch! ich fürchte besonders die sanften Stimmen und die zärtlichen Zerstreutheiten Sophiens; Herr Duportail wird sich nicht lange täuschen lassen. Derneval, empfehlen Sie unseren Freundinnen, dass sie tief schlafen, wenn Herr Duportail und ich uns in den Wagen setzen. Es gibt kein anderes Mittel. Eine Unvorsichtigkeit wäre gefährlich, so dass man sich hier durch eine Unhöflichkeit helfen muss.«

Alles gieng, wie Derneval uns versprochen hatte. In einiger Entfernung von Epernay trafen wir ein Relai.

Welche Rührung empfand ich, als ich mich in dem Postwagen gegenüber von meiner Sophie sah! sie schien zu schlafen; durch eine leichte Berührung ihrer Kniee, die erwiedert wurde, wusste ich, dass meine angebetete Sophie für ihren Geliebten wache.

»Sind diese zwei jungen Leute Herrn Dernevals Brüder?« fragte mich Lowzinski sehr erstaunt.

»Er versichert es wenigstens.«

Herr Duportail fragte nicht weiter; aber ich bemerkte, dass er Dorothea nicht mehr ansah, dagegen keinen Blick von meiner Sophie abwandte, die ruhiger geworden, seit ich bei ihr war, und wirklich einschlief, während sie sich schlafend stellte.

Nach einer halben Stunde Stillschweigen sagte Herr Duportail zu mir, er glaube nicht, dass dies Dernevals Brüder seien.

Ich antwortete ruhig:

»Ich auch nicht.«

»Wie, Sie sagten mir doch –«

»Ja, weil er es mir gesagt hat; ich kenne seine Brüder nicht.«

»Faublas, ich glaube, es steckt ein Geheimnis darunter.«

»Bei Gott, ich glaube es auch!«

»Faublas, dies sind verkleidete Frauenzimmer.«

»Auf Ehre, mein Herr, ich wollte darauf wetten.«

Herr Duportail schwieg und betrachtete seit einer Viertelstunde meine Sophie immer aufmerksamer. Endlich zeigte er auf Dorothea und sagte:

»Diese hier ist hübsch; aber diese da!« (er zeigte auf Sophie und seine Augen flammten.)

»Ist weit hübscher, meinen Sie nicht so?«

»Ja, weit hübscher, und ihr Gesicht erinnert mich an vergangene Zeiten.«

»Dies Gesicht ist bezaubernd, finden Sie es nicht so?«

»Oh, ja, bezaubernd!«

Er stieß einen tiefen Seufzer aus und schwieg, die Augen fortwährend auf meine Geliebte gerichtet. Dann blieb Herr Duportail in eine tiefe Schwärmerei versunken, bis wir in Sainte-Menehould ankamen. Während der Postmeister umspannen ließ und unsere Leute zu überzeugen suchte, dass seine Mähren treffliche Pferde seien, gieng Herr Duportail auf Derneval zu und fragte ihn mit unsicherer Stimme, ob die beiden Damen, die noch im Wagen schliefen, seine Verwandten seien.

»Da ihre Verkleidung Sie nicht täuschen konnte,« antwortete Derneval, über diese wenigstens indiscrete Frage eben so verwundert als ich, »so will ich Ihnen sagen, mein Herr, dass die eine meine Frau ist, und die andere meine Schwester,« fügte er mit einem Blick auf mich hinzu.

»Welche ist Ihre Schwester, mein Herr?« fragte Herr Duportail weiter.

»Diese hier.« (Derneval zeigte auf meine Sophie.)

»Mein Herr, Sie haben eine sehr interessante Schwester; ihr Gesicht! Ich wünsch Ihnen Glück, dass Sie eine solche Schwester haben.«

Meine Verwunderung stieg mit jedem Worte, das Herr Duportail sagte. Ich weiß nicht, ob er es bemerkte, aber er nahm mich einen Augenblick auf die Seite und sagte zu mir:

»Faublas, bewundern Sie hier die außerordentliche Macht einer Leidenschaft, die ihren Gegenstand überlebt. Dernevals liebenswürdige Schwester interessiert mich im höchsten Grade, und wissen Sie auch warum? ich glaube in ihr die Gattin wieder zu sehen, die ich täglich beweine. Ja, mein lieber Faublas, beim ersten Blick auf sie sagte ich zu mir: »Dies ist Lodoiska!« Ich sage es noch jetzt, nachdem ich alle Züge dieses eben so schönen als geistigen Gesichts aufmerksam geprüft habe. Ja, mein Freund, so wäre Ihnen Pulawski's Tochter erschienen; als sie in Männerkleider mit ihrem Vater und ihrem Gatten vor den russischen Verfolgern floh. Etwas weniger jung, aber nicht minder schön, so war damals Lodoiska; die ganze leibhaftige Lodoiska athmet aus diesem reizenden Fräulein.«

Ich hörte Herrn Duportail mit heimlichem Vergnügen.

Überzeugt, dass er sich selbst über die Art der Gefühle, die ihn bewegten, zu täuschen suchte, konnte ich nicht umhin, einen gefühlvollen Mann innerlich zu beklagen, den sein Alter und seine Erfahrung schlecht gegen die gefährlichen Reize einer entstehenden Liebe vertheidigten; und doch pries ich mich selig über mein Glück, das mir ohne Zweifel noch tausend Nebenbuhler erwecken musste.

Indes wartete man nur noch auf uns; der Tag neigte sich, wir fuhren die ganze Nacht, am andern Morgen um acht Uhr kamen wir in Luxemburg an und stiegen im ersten Gasthofe ab. Während wir ein kleines Mahl einnahmen, verschwendete Herr Duportail die schmeichelhaftesten Komplimente an Sophie.

Er dachte nicht daran, dass sie Ruhe nöthig hatte, bis unsere, von der langen Reise erschöpfte Freundinnen den Wunsch äußerten, sich zurückzuziehen. Derneval hatte bei dem Wirte vier Zimmer bestellt; eines für die Damen, die unsern zwei neben an, das für Herrn Duportail ganz hinten im Gange.

Derneval nahm Dorothea bei der Hand; Lowzinski, schneller als ich, bemächtigte sich Sophiens, führte meine Geliebte bis vor ihr Zimmer und entfernte sich seufzend in das für ihn bestimmte.

Sobald wir ihn eingeschlafen glaubten, giengen Derneval und ich ins Zimmer unserer Freundinnen. Dorothea hatte sich eben zu Bette gelegt; Sophie war noch angekleidet und hörte weinend auf die Trostworte, die ihre Freundin an sie richtete.

Derneval sagte leise zu mir, ich solle sie wegführen.

»Komm, liebe Sophie, komm! lassen wir diese Liebenden allein; sie haben sich, wie wir, tausend Sachen zu sagen.«

Ich führte sie in mein Zimmer.

»So ist es denn wahr,« sagte sie, »dass ein Fehltritt immer andere schwerere nach sich zieht? so ist es denn wahr, dass ein unglückliches, durch ihr Herz verrathenes, durch eine thörichte Hoffnung getäuschtes Mädchen, so bald sie einmal einen unbesonnenen Schritt gethan hat, am Ende ihre heiligsten Pflichten verletzen kann? warum bin ich so oft in das unselige Sprechzimmer gekommen, warum habe ich Sie in dem Klostergarten empfangen?«

»Meine Sophie, es war die Liebe, welche Dich hinführte.«

»Wohl, aber ich liebte die Tugend nicht, ich habe mich leichtsinnig ausgesetzt.«

»Was sagst Du, Sophie, welch traurige Betrachtungen vergiften Dein Glück?«

»Mein Glück! – kann ich unter solchen Gewissensbissen glücklich sein?«

»Sophie, noch diesen Abend, Herr Duportail mag sagen, was er will, reise ich mit Dir nach Görlitz; wir werfen uns Deinem Vater zu Füßen ...«

»Nie, nie werde ich's wagen, ihm unter die Augen zu treten.«

»So liebst Du mich also nicht?«

»Ich liebe Dich! Faublas, mein theuerster Freund, mein Leben! ich fühle es nur zu gut, dass ein Gefühl der Reue mich in meinen eigenen Augen als gesunken hinstellt, bald werde ich es vor der ganzen Familie sein. Glaubst Du, mein Freund, Deine Sophie könnte das Leben ertragen, wenn ihr nicht ihre Liebe geblieben wäre? Ach, mein geliebter Faublas! meine Reue beleidigt Dich! meine Gewissensbisse erzürnen Dich, verzeih einem schwachen Weibe diese so sehr berechtigte Reue, komm und reiche mir versöhnend Deine Hand und habe Geduld mit mir!«

Ich schloss sie in meine Arme und bedeckte ihr schönes Gesicht mit glühenden Küssen. Plötzlich wurden wir durch einen schrecklichen Lärm erschreckt; ich hörte Derneval rufen:

»Zurück, ich zerschmettere jedem den Kopf, der hereinzudringen wagt.«

In diesem Augenblick befiehlt man mir die Thüre zu öffnen; ich erkenne mit eben so viel Erstaunen als Schrecken die Stimme meines Vaters. Sophie ringt verzweiflungsvoll die Hände, ich fasse Muth und öffne.

Herr Duportail tritt mit dem Baron von Faublas ein.

»Sind Ihre schändlichen Pläne endlich in Erfüllung gegangen?« sagte dieser. »Sie haben es also gewagt...«

In diesem Augenblick treten die, welche an Dernevals Zimmer klopften, in mein Zimmer. Ich erkenne Frau Münch.

»Er ist's! dieser ist's!« sagte sie zu einem Greise, der ihr folgte.

Der Unbekannte nennt mich einen ehrlosen Räuber und zieht seinen Degen. Ich springe nach dem meinigen und rufe:

»Wer ist denn dieser unverschämte Fremdling?«

Der Baron hält mich zurück und sagt:

»Unglücklicher, es ist ein Vater, der seine Tochter an demselben Tage in Paris abholen will, wo Sie dieselbe entführten.«

»Wie, es wäre – ?«

»Ich bin,« unterbrach mich der Greis, »ich bin der Baron von Görlitz.«

Bei diesem Namen stößt Sophie einen Angstschrei aus, schlägt die Vorhänge, hinter welche sie sich verbarg, zurück, streckt ihrem Vater die Arme entgegen und fällt in Ohnmacht.

»Das Vergehen ist also vollendet,« ruft Herr von Görlitz beim Anblick seiner Tochter.

Herr Duportail hat Mühe, meinen Vater zurückzuhalten, der mich mit Vorwürfen überhäuft. Der Baron von Görlitz ruft mir zu, ich solle mich vertheidigen.

»Du hast mein Alter entehrt, schändlicher Verführer, ich will mich rächen oder sterben.«

Er geht mit gezücktem Degen auf mich zu, ich werfe den meinigen zu seinen Füßen.

»Stoßen Sie zu, ich werde mich nicht gegen Sophiens Vater vertheidigen; aber beklagen Sie Ihre Tochter, hören Sie mich, hören Sie ihre Rechtfertigung! Sophie stirbt, lasst uns ihr zu Hilfe eilen.«

»Zu Hilfe?« antwortete der Baron, »hundertfältige Rache und Strafe soll sie treffen!«

Er geht mit bloßem Degen auf seine Tochter zu, ich stürze mich auf ihn und fasse ihn um den Leib.

»Unmensch, tödte mich! aber hüte Dich meiner Sophie nahe zu treten, ich würde sie selbst gegen ihren Vater vertheidigen. – Mein Herr, ich bitte, hören Sie mich an! Ihre Tochter ist unschuldig, ich habe sie verführt, ich allein bin sträflich.«

Während ich Herrn von Görlitz zu erweichen suche, während Herr von Duportail sich Mühe gibt mit meiner Sophie, und die Wuth meines Vaters zu besänftigen sucht, ist Sophie, um welche sich Frau Münch ebenfalls bemühte, zu sich gekommen, sie öffnete die Augen, aber beim Anblick ihrer Umgebung ist sie wieder in eine tiefe Ohnmacht gesunken.

In diesem Augenblick stürzt Derneval mit drei Bewaffneten in mein Zimmer und fragt in stolzem Tone, wer es wage, die Ruhe der Reisenden zu stören.

»Und was gehen unsere Händel Sie an?« entgegnete mein Vater in demselben Tone.

Ich weiß nicht, welche Antwort mein Waffenbruder auf der Zunge hatte; aber genöthigt meine Aufmerksamkeit zwischen mehrere, gleich theuere Gegenstände zu theilen, rufe ich Derneval zu:

»Mäßigen Sie sich, mein Freund! hier ist mein und Sophiens Vater.«

Derneval zieht sich mit seinen Leuten zurück, bleibt aber im Gange stehen.

Indes hat sich Herr von Görlitz gesetzt; an die Stelle des Zorns ist plötzlich eine scheinbare Ruhe getreten. Er beobachtete ein tiefes Stillschweigen; mit trockenem Auge blickte er bald meinen Vater, bald seine Tochter, bald mich an.

Ich glaube ihn der furchtbarsten Verzweiflung preisgegeben, denn ich weiß, dass große Schmerzen stumm sind und keine Thränen haben.

Mein Vater sucht ihn zu trösten. Ich fliege auf Sophie zu, um meine Bemühungen mit denen der Frau Münch zu vereinigen.

Herr Duportail ist nicht minder gerührt, nicht minder aufgeregt und nicht minder ängstlich als ich. In einem Augenblick wiederhole ich hundertmal den Namen meiner Geliebten; auf meine Stimme öffnet sie die Augen.

»Ach, Du hast mich zu Grunde gerichtet!« sagt sie; und dieser nur zu wahre Vorwurf vermehrt für mich die Schrecken dieses entsetzlichen Augenblicks.

Mein Vater sagt zu Herrn von Görlitz alles, wodurch er seinen Schmerz lindern zu können glaubt. Dieser unterbricht ihn unaufhörlich durch den grausamen Ausruf:

»Sie ist nicht meine Tochter!«

Herr Duportail vereinigt seine Bitten mit denen meines Vaters, er sagt zu Herrn von Görlitz:

»So hören Sie doch ihre Rechtfertigung. Ihre Tochter kann nicht ganz unschuldig sein, aber vielleicht verdient sie Nachsicht. Unter einem so interessanten Äußern kann kein verdorbenes Herz verborgen sein. Hören Sie ihre Rechtfertigung!«

Baron von Görlitz: »Meine Herren, ich wiederhole Ihnen beiden, dass sie nicht meine Tochter ist.«

Duportail: »Aber erklären Sie sich.«

Baron von Görlitz: »Sie ist nicht meine Tochter, ihre Gouvernante weiß es wohl; Frau Münch wird Ihnen sagen, dass ich sie an Kindesstatt angenommen habe, um ihr einen Theil meines Vermögens zu geben. Sie war kaum sieben Jahre alt, als meine geizigen Verwandten einen Versuch machten, sie zu vergiften; deshalb habe ich sie in Frankreich erziehen lassen.«

Duportail: »Sie ist nicht Ihre Tochter? kennen Sie ihre Eltern?«

Baron von Görlitz: »Ich hätte sie ohne Zweifel entdecken können; ich habe sie nicht gesucht; dies ist ein Verbrechen, das mir der Himmel nicht ungestraft hingehen lässt.«

Duportail (lebhaft): »Mein Herr –!«

Baron von Görlitz: »Mein Herr, haben Sie die Güte, mir einen Augenblick Aufmerksamkeit zu schenken.«

Man denke sich meine Unruhe während dieser merkwürdigen Erklärung. Sophie will sprechen, ihre Schwäche lässt es ihr nicht zu; sie kann kaum hören. Todesblässe bedeckt ihr Gesicht.

»Meine Herren,« fahrt der Baron von Görlitz fort, »ich habe mein Leben unter den Waffen zugebracht. Im Jahre 1771 diente ich den Russen, wir bekriegten die polnischen Rebellen.«

Duportail: »Die Russen bekriegten damals die Polen, weil dieselben ihre heiligen Rechte wahren wollten, und Sie, mein Herr, waren dabei im Jahre 1771?«

Baron von Görlitz: »Ja, mein Herr, aber Sie unterbrechen mich ja jeden Augenblick. – Nach einem blutigen Sieg forderte ich von einer ansehnlichen Beute nichts als ein Kind, das damals zwei Jahre sein mochte.«

Duportail steht auf und geht tief ergriffen zu Sophien, breitet seine Arme aus und ruft kaum seiner Sinne mächtig: »Ach, meine theuere Dorliska, mein geliebtes Kind!«

Baron von Görlitz (ihn zurückhaltend): »Dorliska? Diesen Namen fand ich auf einem kleinen Porträt, das ihr auf der Brust festgebunden war.«

Duportail (zieht schnell ein Porträt): »Mein Herr, sehen Sie das Gegenstück! o, meine Tochter, meine liebe Tochter.«

Baron von Görlitz: »Ihre Tochter, mein Herr, zeigen Sie Ihr Wappen.«

Duportail: »Hier, mein Herr, sehen Sie diesen Ring, er trägt mein Wappen; ebenso diese Petschaft.«

Baron von Görlitz: »Es ist das nämliche, das ihr unter der Achselhöhle graviert ist.«

Sophie stößt einen Schrei aus, sammelt ihre Kräfte und steht Herrn Duportail gegenüber, indem sie ihre Arme ausbreitet; Lowzinski umarmt sie weinend und bedeckt sie mit zärtlichen Küssen.

»Ach, meine liebe Tochter, so bist Du mir endlich wieder geschenkt; aber, an welchem Orte, in welchem Zustande finde ich Dich! welcher bittere Schmerz vergiftet den glücklichsten Augenblick meines Lebens! Dorliska! weißt Du, wer Deine Mutter war? Sie war Pulawski's Tochter, eines der tapfersten und aufopferndsten Patrioten, der sein Gut und Blut auf dem Altare seines unglücklichen Vaterlandes opferte. Das Andenken an Deine Mutter, meine theuerste und heldenmüthige Gattin, ist mir heilig. Mehrere Jahre lang hegte sie eine erlaubte und keusche Liebe zu mir, bis sie endlich nach vielen Kämpfen und harten Drangsalen meine Gattin wurde.

»Sie war eine zärtliche Mutter und hörte nicht auf Deinen Verlust zu beweinen; Dein Andenken erfüllte ihre letzten Augenblicke. Suche meine theuere Dorliska, suche sie überall! dies waren die letzten Worte, welche die sterbende Lodoiska sprach.

»Seit zwölf Jahren ist dies meine einzige Sorge; seit diesen langen zwölf Jahren habe ich mir kein größeres Glück gedacht, als das, meine angebetete Tochter wieder zu finden. Und jetzt, da ich sie in meinen Armen halte, seufze ich über sie und mich.

»Lodoiska, Du tugendhafteste der Frauen und achtungswürdigste der Mütter, wie würdest Du Deine Dorliska beklagen, die von einem so jungen heuchlerischen Jüngling, der leider der Sohn meines einzigen Freundes ist, verführt und getäuscht worden ist, wie würdest Du Lowzinski beklagen, der durch eine grausame Bizarrerie des Schicksals der Helfershelfer der Entführung seiner Tochter, der Zeuge ihrer Verirrung geworden ist!«

Herr Duportail wirft sich in einen Lehnstuhl, Sophie fällt ihrem Vater zu Füßen und ruft:

»Ja, Sie sind mein Vater, mein Herz sagt es mir! Ihre Großmuth beweist es mir! denn Sie erkennen Ihre unwürdige Tochter an.«

Herr Duportail stößt seine Tochter zurück und sagt mit abgewandtem Gesichte:

»Grausames Kind!«

Sophie ergreift eine seiner Hände; ich bemächtige mich der andern und sinke Lowzinski zu Füßen.

»Mein Herr, Ihr Schmerz tödtet mich! ich bin nicht mehr glücklich, wenn Sie trauern; meine Fehler werden empfindlicher, wenn dieselben meinem Freunde, dem Freunde meines Vaters Thränen abnöthigen!

»Lowzinski, Sie sind beschimpft; aber lassen Sie Ihren ganzen Zorn auf denjenigen fallen, der ihn verdient hat. Ihre Tochter ist unschuldig, denn wenn Sie wüssten, wie lange sie der Verführung widerstand.

»Lowzinski, Ihre Tochter ist unschuldig. Tilgen Sie Ihre Beschimpfung durch mein Blut. Sie, der ein gefühlvolles Herz hat, Sie, der weiß, wie weit die Leidenschaften einen feurigen jungen Mann, ein betrogenes Mädchen irre führen können! Lowzinski, seien Sie nicht unerbittlich, haben Sie Mitleid mit unserem Alter, entschuldigen Sie uns, verzeihen Sie mir! Sie können unsere Irrthümer wieder gut und unsere Vergehungen ungeschehen machen! führen Sie uns an den Altar! dort werde ich die Schwüre wiederholen, die mich an meine Sophie knüpfen; dort werden Sie Ihre Dorliska wieder finden.«

Mein Vater vereinigte seine Bitten mit den meinigen. Herr Duportail scheint gerührt, aber schweigt; doch sieht man, dass er auf eine Antwort sinnt.

Endlich umarmt er seine Tochter mit leidenschaftlicher Bewegung, blickt mich ohne Zorn an und verlangt in ruhigem Tone, es sollen Alle hinausgehen, er wünsche den Rest des Tages mit seiner Tochter allein zuzubringen.

Am andern Tage heiratete ich Dorliska.


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