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Im Rücken der Stadt der Sultanin Zobéide, die uns so plötzlich dort oben ihre unzähligen Kuppeln gezeigt hat, und die einer großen kupferroten Erscheinung gleicht, liegen diesmal wirkliche Wolken, sie bilden diesen tief schwarzen Hintergrund; – Wolken, durch die der Blitz immer wieder seine blasse Zickzacklinie zieht. Das Unwetter, dem wir kaum entronnen sind, das Unwetter des Staubes und des Sandes, setzt seinen Weg nach der Wüste zu fort, wir sehen seinen schweren Schleier, seine dantische Dunkelheit hinter uns am Horizonte dahinfliehen. Immer mehr klärt es sich auf, immer mehr nehmen die Umrisse an Bestimmtheit zu, die Gegenstände werden wirklich, wir durchkreuzen jetzt die Felder der Oase, die Korn-, die Mohn-, die Reis- und die Baumwollfelder, die ziemlich unter dem Unwetter gelitten haben. Was die Stadt anbelangt, so erschien sie auf den ersten Blick hin wunderbar, aber wir lassen uns nicht mehr täuschen, wie alles andere, so ist auch sie nur ein Trümmerhaufen. – Es handelt sich jetzt darum, dort hineinzudringen, und dies ist nicht leicht; für einen Reiter wäre es schon schwierig, aber für einen vierspännigen Wagen ist es ein Rätsel; lange müssen wir suchen, müssen uns für einen Weg entscheiden, müssen diesen aufgeben und einen neuen einschlagen: Nirgends haben diese menschlichen Ameisen, die Iraner, in dem Maße überraschend und eifrig gearbeitet, haben so tief gegraben, wie gerade hier. Zwischen den Trümmern der vielen Lehmmauern, von denen fast keine mehr aufrecht steht, die man nie wieder aufbauen wird, zwischen den Bächen mit ihrem ausgehöhlten, tiefen Bett, besonders aber zwischen den zahllosen Löchern, aus denen man die Bauerde genommen hat, und die nun ewig klaffend daliegen werden, läuft kein einziger Weg, führt kein einziger Pfad. Eins meiner äußeren Pferde fällt in einen Keller, zieht beinahe das ganze Gespann und uns selbst mit sich, aber es bleibt mit seinem Zaumzeug hängen und es gelingt ihm, wieder hochzuklettern – und schließlich erreichen wir das Tor.
Dumpf grollt der Donner, als wir in die Stadt eindringen, die dunkel und gewaltig daliegt; Moscheen, Türme, altertümliche, schwere, vierkantige Pyramiden mit stufenförmigen Etagen, wie man sie bei einigen indischen Tempeln sieht, ein kühner Lehmhaufen, der heute inmitten seines Verfalls noch groß erscheinen will.
Wir fahren über einen Platz, wo ein Derwisch in weißem Gewande mit einem langen zinnoberrot gefärbten Bart zwanzig sehr artigen Kindern, die auf Steinen im Kreis um ihn sitzen, den Koran erklärt.
Wir sehen ein Minarett von wenigstens sechzig Meter Höhe, groß und einsam steht es da, es ist erschreckend schief, ist schiefer als der Turm von Pisa (dies ist der Hinrichtungsort der Ehebrecherinnen; man stürzt sie von oben herab, und zwar von der sich neigenden Seite, um ihnen den Augenblick, der dem Fall voraufgeht, um ihnen den leeren Raum, in den sie stürzen werden, noch schrecklicher erscheinen zu lassen).
Und dann folgen die großen gotischen Spitzbogen und die Nacht der Basare. Alles, was in Kachan lebt und lärmt, hat sich hier unter diesen Gewölben zusammengefunden, in diesen langen, hohen Schiffen, in denen man kaum sehen kann, wo Hunderte von großen Kamelen, die noch ihr lockiges Winterfell tragen, den Platz versperren. Um dort durchdringen zu können, mußten wir unsere beiden äußeren Pferde abspannen, denn wir nehmen zu viel Raum in der Breite ein, und außerdem machen uns die zwei Pferde, die wir behalten haben, noch Sorge genug, sie fürchten sich vor den schreienden Stimmen, sie fürchten sich vor der Nähe der Kamele; trotz der Anstrengung des Tages sind sie schwer zu zügeln, sie bewegen sich nur in Sätzen und Sprüngen vorwärts. Der Donner rollt immer lauter, und als wir durch den Basar der Kupferschmiede fahren, wo die Arbeiter ihre letzten Hammerschläge vor Hereinbruch der Nacht mit doppelter Wucht herabsausen lassen, wird der Lärm so ohrenbetäubend, daß unsere Tiere scheuen; wir müssen aussteigen und ausspannen. Und dann sind wir wehrlos gegen die Kaufleute, die auf uns eindringen, sich unserer Hände bemächtigen und uns mit sich fortziehen. Nirgends sahen wir so viele rotgefärbte Bärte, so hohe schwarze Hüte; alle Leute gleichen Astrologen. Wir mögen wollen oder nicht, wir müssen ihnen folgen; bald finden wir uns in den fast unterirdischen Seidenspinnereien wieder, wo die Arbeiter Katzenaugen haben müssen, wenn sie sehen wollen; bald unter freiem Himmel, auf einem Hof, dessen rotblühende Granatbäume ein wenig Licht hindurchfallen lassen, dort packt man zu unseren Füßen die Schätze Aladins aus, die damascierten Waffen, die Brokatstoffe, die Schmucksachen, die Edelsteine. Besonders lange hält man uns bei den Teppichverkäufern gefangen, wir werden gezwungen, eine Kalyan zu rauchen und eine Tasse Tee zu trinken, man breitet die unvergleichlichen Gewebe Kachans vor uns aus, die wie das Gefieder der Kolibris schillern; jeder Gebetsteppich stellt ein Gebüsch mit zahllosen Vögeln dar, dessen Äste sich symmetrisch in dem Portal einer Moschee verzweigen, und immer ist die Farbenzusammenstellung ein Wunder. Die Preise sind stets zu Anfang übermäßig hochgeschraubt, wir erheben uns voller Entrüstung und wollen aufbrechen; dann hält man uns am Ärmel zurück, zündet unsere Kalyan wieder an, und zwingt uns zum Sitzen. In dieser Weise geht übrigens stets die Komödie des orientalischen Kaufhandels vor sich.
Es ist dunkel, als wir endlich die große Karawanserei erreichen, wo unser Wagen schon angelangt ist; eine ganz verfallene Karawanserei natürlich, aber von einer solchen monumentalen Größe, daß kein Basilikaportal sich in der Ausdehnung mit diesem blauen, von Fayencen bekleideten Eingang messen kann. Ein alter Mann mit blutrotem Bart führt uns nach den oberen Zimmerchen, durch die zu dieser Stunde der Gewittersturm fegt.
Hier kreuzen sich die Wege, die von den westlichen Wüsten nach Kachan führen, und die Wege, die bis zum Kaspischen Meer laufen: Ein beständiges Kommen und Gehen von Karawanen herrscht infolgedessen in dieser Stadt. Als der Tag zur Neige geht, sehen wir unter uns, durch den Spitzbogen des Portals, wenigstens zweihundert, in einer langen Reihe aneinander gebundene Kamele hineinströmen; seltsame Kamele, mit barbarischer Pracht ausgeschmückt, sie tragen Federbüsche auf dem Höcker, Hahnenfedern auf der Stirn, Fuchsschwänze an den Ohren, unechte Halskrausen aus aufgezogenen Muscheln. Die Kamelreiter, ihre Führer, haben alle flache, typisch mongolische Gesichter, sie sind mit kleinen, kurzen, buntgestreiften Röcken bekleidet, und ihre Kopfbedeckung besteht aus einer riesengroßen Pelzmütze. Dieser ganze Zug scheint geradeswegs von Djellahadah, aus Afghanistan, zu kommen, scheint die unendlichen Salzebenen durchquert zu haben und zieht jetzt, majestätisch und langsam, mit Glockengeläute hinein. Es sind so viele Tiere, daß es ganz dunkel ist, als die letzten erscheinen, die beim Licht der Blitze so unwirklich anzuschauen sind. In einer nahen Moschee singt man mehrstimmig ein Lied, eintönig wie das Brausen des Meeres. Und alle Geräusche vereinen sich, um uns in unseren ersten Schlaf hinüberzutragen: die religiösen Lieder, der Name Allahs, den man mit süßer Schwermut in den verschiedensten hohen Tönen singt, das Glockengeläute der Karawanen, das Grollen des sich entfernenden Donners, das Plätschern des Regens, und die leisen Klagen des Windes in den Mauerspalten.
Mittwoch, 23. Mai.
Heute legen wir einen achtstündigen Weg durch die einsamste aller Einöden zurück. Abends wird vor einem armseligen Weiher haltgemacht; zehn kleine Lehmhäuser, denen ein heller Bach Leben zuträgt, einige winzige Kornfelder, ein Gebüsch von drei oder vier Maulbeerbäumen, über und über besät mit weißen Maulbeeren; das ist alles, soweit das Auge sieht im ganzen Umkreise, nichts als Wüste. Die Leute scheinen sehr arm zu sein, und wahrscheinlich ist der Ort ungesund, denn sie sehen leidend aus. In dem Loch, unserem Zimmer, haben die zutraulichen Schwalben mehrere Nester über dem Kamine gebaut; streckt man den Arm aus, so könnte man die Jungen erreichen, deren kleine Köpfe alle sichtbar sind.
Und wir kommen gerade an dem Tage an, als die Ältesten des Dorfes – etwa zehn vertrocknete alte Leute – bestimmt haben, ihre erste Maulbeerernte abzuhalten. Dies soll zur Stunde der Vesper, der Kalyan und des süßen Müßigganges vor sich gehen, zur Stunde, wo wir mit zwei oder drei Hirten in der Tür der verfallenen Herberge sitzen, und dem sanften Gemurmel des einzigen, herrlichen Flusses lauschen und die Sonne an dem weiten Horizont untertauchen sehen. Die wenigen Kinder sind alle zerlumpt und blaß, sie schließen einen Kreis um die verkrüppelten Maulbeerstämme, die man jetzt schütteln will, und diesmal leuchtet die Freude der Erwartung in ihren sonst so schwermütigen Augen auf. Bei jedem Stoß fällt ein Regen von Früchten auf den traurigen, harten Boden herab, und die Kleinen stürzen sich wie Sperlinge, denen man Körner hinstreut, darüber, während der magerste der Greise die allzugroßen Leckermäuler zurückhält und mit Strenge darüber wacht, daß die Teilung gleichmäßig geschieht. Diese Bäume sind der einzige Schatz im meilenweiten Umkreise; und höchstwahrscheinlich denkt man in dem einsamen Dorf wochenlang im voraus an die Ernte, die in der Dämmerstunde vor sich geht, die man sich für die langen Maienabende aufspart . . . Ist das Fest vorüber, so senkt sich die kalte Nacht herab, die Abgeschiedenheit macht sich noch fühlbarer. Diese kleine menschliche Ansiedlung kennt keine Mauern, wie sie die Oasen des Südens umgeben; die Tür zu unserer Herberge läßt sich nicht einmal schließen, und mit dem Revolver in der Hand schlafen wir ein.
Donnerstag, 24. Mai.
Frühmorgens brechen wir auf, um noch heute abend die Stadt zu erreichen, wo die heilige Fatime, die Enkelin des Propheten, ruht.
Nach fünf- oder sechsstündigem Weg, in einer strahlenden Wüste, deren Pfade mit Gerippen besät sind, gegen zwölf Uhr mittags, um die Stunde des Blendwerks und der Luftspiegelungen, leuchtet dort hinten, in der unbestimmbaren Ferne, ein Gegenstand auf, etwas, was sich dem Auge, den Sternen gleich, nur durch seine Strahlen zeigt; ein aufgehendes Gestirn, eine goldene Kugel, eine Feuerkugel, etwas ganz Ungeahntes, etwas nie Gesehenes.
– Koum! sagt der Rosselenker, indem er mit dem Finger darauf zeigt . . . Also dies ist die berühmte goldene Kuppel, die in der mittäglichen Sonne funkelt, die einem Leuchtfeuer mitten am hellen Tage gleicht, die die Karawanen aus tiefer Wüste heranlockt . . . Sie erscheint und verschwindet wieder, ganz nach Laune des hügeligen Bodens, und nachdem wir mehr als eine Stunde in dieser Richtung dahingetrabt sind, ohne daß wir uns ihr merklich genähert hätten, ist sie plötzlich nicht mehr sichtbar.
Es ist vier Uhr nachmittags, als wir die Bäume der Oase Koum, die Kornfelder und schließlich die Stadt entdecken; ein gewaltiger, grauer Trümmerhaufen, und immer und überall Schutt, Spalten und Risse. Natürlich sieht man, wohin das Auge auch fällt, die verschieden gestalteten Kuppeln, Zinnen und Minaretts, graubraune Türme, rosenrote Türme, die von einem blauglasierten Turban bedeckt zu sein scheinen. Und jede aufragende Spitze ziert ein Storch, gravitätisch steht er in seinem Nest. Hier gibt es viele verlassene Gärten, die mit Granatbäumen angefüllt sind, deren Boden durch die fallenden Blütenblätter blutrot gefärbt wird . . . Aber wo ist die goldene Kuppel, das Grab der Fatime, das wir von weitem zwischen den Luftspiegelungen des Mittags sahen? Wir müssen geträumt haben, denn nicht die geringste Spur von ihr ist sichtbar.
Von Zeit zu Zeit, beim Rollen unseres Wagens, beim Läuten unserer Schellen, öffnet sich eine Tür, und irgendeine Frau zeigt ihr eines Auge, die Hälfte ihres stets hübschen Gesichtes, um zu sehen, was sich dort zuträgt. Ungefähr zwanzig kleine Kinder, alle wunderbar schön, mit Amuletts behangen, mit brandrot gefärbten Haaren, laufen hinter uns her, ganz erstaunt über unser Gespann, und mit diesem Gefolge halten wir unseren Einzug in dem Basar. Von neuem hüllt uns das plötzliche Dunkel der Basare ein, während zwanzig langer Minuten haben wir die größten Schwierigkeiten zu bestehen, immer wieder streifen wir inmitten der zottigen Kamele ein Hindernis nach dem anderen, und unsere vier Pferde schnauben, der Moschusgeruch erfüllt sie mit Abscheu. Dort drängen sich die schön gekleideten Iraner, die Afghanen, mit den spitzen Mützen, die Beduinen Syriens, deren Kopf glänzende Seidenstoffe und seidene Bänder schmücken; die verschiedensten Leute, eine große Menge hält sich hier auf, und kaum kann man die Hand vor Augen sehen.
Aber dann gelangen wir durch den Ausgangsbogen in die helle Abendluft hinaus, und endlich liegt die strahlende Kuppel wieder vor uns, ganz nah thront sie inmitten einer feenhaften Umgebung, die, um uns zu blenden, von irgendeinem Zauberer aufgebaut zu sein scheint. An dem Ufer eines ausgetrockneten Flusses, an dem Bett aus weißen Kieseln, über das eine Bogenbrücke mit einem Fayencegeländer führt, breitet ein märchenhaftes Panorama sich aus; in bunter Reihe, in wilden Verschlingungen, übereinander aufgetürmt sind hier die Portale, die Minaretts und die Kuppeln, alles trieft von Gold; alles, was unmittelbar über dem Erdboden liegt, ist aus blauer Glasur, alles was sich vom Erdboden erhebt, ist aus grüner Glasur, hat jenen metallischen Glanz, der auch dem Schwanz des Pfaues eigen ist; in dem Maße, wie der Bau in die Luft hinaufsteigt, zeigt er ein immer reicheres Gold, er endet schließlich nach dem Himmel zu in goldenen Spitzen. Neben den wirklichen Minaretts, die groß genug sind, daß die Muezzine dort zum Singen hinaufsteigen können, gibt es zahllose schmächtige Spindeln, in die man nicht hineinklettern kann, auch sie streben aufwärts und glänzen wie Goldschmiedearbeit. So neu, so schön, so flammend, so überraschend liegt dies alles in dieser Stadt der Trümmer und des Staubes . . .
Mitten in der Pracht und dem Glanz wachsen tiefrote Bäume, überall blühende Granatbäume; man könnte sagen, es habe Korallenperlen geschneit. Und im Hintergrunde zeichnen sich die hohen Gipfel, zweimal höher als unsere Alpen, beleuchtet von der untergehenden Sonne, rosenrot von einem meergrünen Himmel ab.
Meine Augen haben schon so unendlich viel gesehen, aber sie erinnern sich an nichts, das so überwältigend, so phantastisch, so ausgesprochen orientalisch war, wie dieser Anblick, den uns das Grab der heiligen Fatime gewährte, an einem Maienabend, als wir aus einem dunklen Schiff heraustraten.
Es gibt also in Persien noch Dinge, die nicht verfallen sind, und die man noch heute, wie in den Zeiten zu Tausendundeiner Nacht, aufbauen und wiederherstellen kann.
Der Schah Nasr-ed-din ließ im neunzehnten Jahrhundert die heilige Moschee, wo heute sein Vater und seine Mutter neben Fath-Ali-Thah und der Enkelin des Propheten ruhen, mit unsinnigem Luxus vollständig neu herrichten, ließ sie mit goldenem Mosaik bekleiden.
Die Karawanserei ist scheinbar noch weit entfernt, sie liegt an der anderen Seite der Bogenbrücke, des wasserlosen Flusses. Darum schicken wir den Wagen voraus, und bevor die Sonne untergeht, wollen wir die Moschee besehen.
Ein gewaltiger, seltsamer Platz dient ihr als Vorhof; er stellt gleichzeitig einen alten, staubigen Friedhof und einen lärmenden Hof der Wunder dar. Das scheinbare Pflaster, die langen Fliesen, auf denen man geht, sind dicht nebeneinander liegende Gräber, der Boden ist angefüllt von den Gebeinen aller Zeiten, er ist mit menschlichem Staub vermischt. Und da die Reliquien der heiligen Fatime zahllose Pilger anziehen, da sie Wunder wirken, so ist hier aus allen Teilen Persiens ein trauriges Völkchen zusammengelaufen, um sich ringsumher niederzulassen. Neben den Verkäufern der Rosenkränze und der Amulette, die an der Erde ihre Waren auf Lumpen ausbreiten, zeigen die verkrüppelten Bettler ihre blutigen Gliederstümpfe; andere entblößen ihren Aussatz, ihre Krebsgeschwüre, oder ihre brandigen Wunden, die mit Fliegen bedeckt sind. Derwische mit langen Haaren schreiten singend vorüber, das Auge gen Himmel gerichtet; andere lesen mit wilder Begeisterung in den alten Büchern. Alle sind in staubige Lumpen gekleidet, alle sehen ungastlich und angsteinflößend aus; derselbe Fanatismus spricht aus dem zu feurigen Auge und aus dem erloschenen Auge.
Mitten auf diesem Platze, auf diesem Gräberfelde, umgeben von der grauen, schmutzigen, lumpengekleideten Menge, erscheint der frische Glanz einer solchen Moschee noch unwahrscheinlicher.
Im Innern des Heiligtums wird ein unausdenkbarer Reichtum herrschen, aber wir Ungläubigen sind ohne Erbarmen davon ausgeschlossen, und wir müssen an dem Tor der äußeren Umzäunung stehenbleiben . . . Aber diese Mauer ist schon von oben bis unten mit Glasur bekleidet und herrlich anzuschauen; sie umschließt eifersüchtig – wie die Mauer eines persischen Gartens ihre Bäume umschließt – die Minaretts und die Spindeln aus grüner und goldener Glasur, die gleich schlanken Stämmen aus der Erde hervorschießen und die eigentliche Moschee und die funkelnden Kuppeln einrahmen.
Das Volk quält uns, es schleppt seine Wunden, seinen Gestank und seinen Staub hinter uns her, es verfolgt uns bis an das Tor, wo es uns mit hundert schrecklichen Händen zurückhalten würde, wollten wir weiter vordringen. Auf der Schwelle stehenbleiben und von dort aus Umschau halten, ist alles, was uns erlaubt wird.
Der Sockel des Gebäudes ist aus weißem Marmor, er stellt eine gerade Reihe von Vasen dar, Vasen, aus denen alle Blumen hervorzusprießen scheinen, die unter der Glasur an die Wände gemalt sind; Rosenzweige, Irispflanzen beginnen kaum einige Fuß hoch über dem Boden; sie schlingen sich an den blauen Arabesken empor, wie es die Kletterpflanzen an einem Baumgeländer tun würden, sie steigen aufwärts und vereinen sich mit dem goldenen Mosaik der Friese und der Kuppeln. Ich glaube nicht, daß es auf der Welt – vielleicht mit Ausnahme der Tempel des heiligen Berges Japans – ein Gebäude gibt, das von außen mit einer solchen Pracht, mit einem solchen Glanz der Farben bekleidet wäre, wie dieses Grabmal es ist, das man hier, in der alten Stadt der Trümmer und des Staubes, zwei Schritte von den Wüsten entfernt liegen sieht.
Freitag, 25. Mai.
Während des Schlafes hatten wir vergessen, in welcher unvergleichlichen Nachbarschaft wir uns befinden, und auf welche Herrlichkeiten unsere elende Herberge zeigt. Die Tür der Terrasse öffnen und vor sich das Grab der heiligen Fatime bei Sonnenaufgang liegen sehen, das ist ein selten ergreifender Anblick: über den ganz mit Korallen besäten Bäumen, den rotblühenden Granatbäumen, erhebt sich ein Bauwerk von orientalischer, fast übertriebener Anmut, es glitzert von oben bis unten wie die Gewänder des Schah-Abbas; goldene Spitzen, goldene Kuppeln, blaue und rosenrote Spitzbogen; Türme und Türmchen mit so wechselnden Lichtern, daß sie den Vögeln der Inseln entlehnt zu sein scheinen; und hinter dem allen die Ruinen und der leblose Horizont der Einöden.
Die Stadt Koum hatte bei unserer Abreise noch eine andere Überraschung für uns in Bereitschaft, eine wirkliche Landstraße liegt vor uns, sie ist gepflastert wie bei uns, wird von zwei kleinen Gräben und einer Reihe Telegraphenstangen eingerahmt, sie führt durch die unendlichen Felder. Und sie erscheint uns als der Gipfel der Zivilisation.
Zwar reicht sie nicht weit, und im Laufe des Tages befinden wir uns von neuem in der tiefen Wüste, wo der Pfad sich kaum auf dem Sand, in den glänzenden Salzfeldern, zwischen den vielen Luftspiegelungen, abzeichnet. Aber unser nächtliches Quartier, umgeben von Weiden und Platanen, in dem Weiler einer grünen Oase, hat nichts mehr von der wüsten Karawanserei an sich, die wir vorzufinden gewohnt sind; dies ist fast eine Herberge, wie man sie in unseren europäischen Dörfern antrifft, mit einem Gärtchen, und einem Gitter am Rande des Weges. Das ganze Land liegt übrigens so zuversichtlich, so alltäglich da.
Aber trotzdem ist die sich herabsenkende Nacht noch voller Reize, und man fühlt jetzt, daß die Wüste nicht weit entfernt sein kann; die Gebetsstunde hat etwas Rührendes in diesem kleinen Garten unter den Linden und den Weiden, mit seinem Kuckucksruf und seinem Froschgequak; während die persischen Katzen mit ihrem langen, seidigen Fell leise in den dunklen Alleen umherstreichen, knien die Reisenden nieder, oft sieht man die Armen in ihren baumwollenen Gewändern neben den in Kaschmir gekleideten Reichen auf ein und demselben Teppich knien.
Sonnabend, 26. Mai.
Unser Himmel ist dasjenige, was sich am meisten verändert, je mehr wir uns dem Norden nähern, die unvergleichliche Klarheit der Luft, unsere beständige Augenweide, ist für immer verschwunden.
Man glaubte nicht mehr an den Regen, und heute ist er da. Während unserer siebenstündigen Etappe fällt er als feiner Sprühregen auf uns herab, ganz wie der Regen in der Bretagne. Wir legen uns in einem alten, kalten Hause mit triefenden Mauern zur Ruhe nieder, das verlassen und einsam im Hintergrunde eines gewaltigen Gartens steht. Wie gestern ruft der Kuckuck, quaken die Frösche. Das Haus ist umgeben von jungen Pappeln, von Rosensträuchern, von Ligustrum, von langen Gräsern. Und der Sturm zerzaust das zarte, junge Maiengrün.
Mit Mißtrauen und Bedauern werden wir morgen in Teheran einziehen; nach den alten Hauptstädten aus früheren Zeiten, nach Ispahan und Chiraz, wird uns diese Stadt gar zu modern, gar zu wenig persisch erscheinen.
Sonntag, 27. Mai.
Im Regen, unter einem dunklen Himmel, brechen wir auf. Unmerklich neigen sich die Pfade, und so steigen wir schließlich in die weniger verlassenen, in die grüneren Ebenen hinab. Korn- und Heufelder, aber immer noch keine Bäume, zuweilen Streifen Landes von klebriger, weißlicher Erde, wo nicht einmal das Gras mehr wachsen kann. Unsere ganze Umgebung ist wirklich häßlich. Die Schönheit liegt über uns, zwischen den schwarzen Wolken; wenn die Sonne durchbricht, zeigen die schrecklichen Berge uns in einer schwindelnden Höhe ihre langen Schneegewänder, und schließlich sehen wir durch einen Spalt, höher, als wir ihn zu suchen wagten, die Spitze des Berges Demavend, der Teheran überragt; er ist mehr als sechstausend Meter hoch, und niemals legt er sein leuchtendes weißes Leichentuch ab.
Trotz des eisigen Regens und der winterlichen Kälte begegnen wir vielen Menschen: Karawanen, gespensterhaften Frauen auf Eselinnen oder zu Wagen; Reitern in schönen Tuchkleidern, die schon ganz das Äußere von Städtern zeigen. Man fühlt, daß man sich der Hauptstadt nähert, und unser Kutscher hält an, zieht einen Haufen roter Bänder aus seinem Sack hervor und schmückt hiermit die Mähnen unserer vier Pferde, denn es ist Sitte, daß man also geziert nach einer glücklich überstandenen Reise zur Stadt hineinfährt.
Zu beiden Seiten des Weges stehen jetzt schmächtige, arme Bäume: verkrüppelte Ulmen, stark von der Kälte mitgenommene Granatbäume; beklagenswerte Maulbeerbäume, die auf jedem Ast zwei oder drei Straßenjungen schaukeln, und diese tun sich gütlich an den kleinen, weißen Früchten. Jetzt haben wir die endlosen Friedhöfe erreicht; auf der schrecklichen, weichen, grauen Erde, wo auch nicht der kleinste Grashalm wächst, ziehen sich die Kuppeln der Grabgewölbe oder die einfachen, fast immer verfallenen Gräber in langen Reihen dahin.
Ein Sonnenstrahl zeigt uns zwischen zwei Regengüssen, rechts an unserem Wege eine Kuppel aus funkelndem Golde, die an das Mausoleum der Fatime erinnert: es ist die Moschee des Schahs Abd-ul-Azim, eine heilige Stätte und zugleich der unverletzliche Zufluchtsort der persischen Verbrecher; vor zehn Jahren fiel der Schah Nasr-ed-din hier unter dem Dolch eines Abenteurers.
In diesem Lande, wo die Bäume nicht von selbst wachsen, werden sie oft groß und prächtig, wenn die Menschen sie neben ihre kleinen Bewässerungskanäle zwecks Beschattung ihrer Wohnungen pflanzen. Das Dorf der Vorstadt, durch das wir in diesem Augenblick hindurchfahren, liegt ganz in Grün getaucht, und Teheran dort vor uns scheint noch heute den Namen »die Stadt der Platanen« zu verdienen, den man ihr im dreizehnten Jahrhundert gab. Aber wir, die wir bis jetzt daran gewöhnt waren, die Städte in Licht gebadet, zwischen den Luftspiegelungen in strahlender Pracht auftauchen zu sehen, wir finden, daß dieser Haufen kalter, grauer Häuser, unter einem trüben Regenhimmel gelegen, seltsam unfreundlich wirkt!
Immer zahlreicher werden die Vorübergehenden. Alles Leute, die uns kreuzen und die die Stadt zu verlassen scheinen. Wahrscheinlich die alljährlich wiederkehrende Frühlingsauswanderung; der Sommer in Teheran ist so dürr und ungesund, daß die Hälfte der Bevölkerung sich im Mai entfernt, um erst im Herbst zurückzukehren. Gespanne aller Art ziehen vorbei – und alle biegen sie aus vor den toten Pferden, deren Bauch die Geier geöffnet haben, und die jetzt in kurzen Zwischenräumen auf der Landstraße liegen, ohne daß jemand daran dächte, sie zu entfernen.
Wie dunkel ist alles oberhalb der Hauptstadt Irans! Wolkenwände, hinter denen man Bergwände ahnt, füllen den Himmel mit ihren fast erschreckenden Massen an. – Und stets sieht man durch denselben Spalt den Demavend, der uns in verschwommenen Umrissen seine silberne Spitze auf einem dunklen Hintergrund zeigt, man sieht, daß dies keine Wolke, daß es etwas »Festes« ist, daß es zu der Gattung der Felsen gehört, aber es scheint zu hoch hinaufzuragen, als daß es der Erde angehören könnte, man möchte fast sagen, es neige sich vorwärts . . . Wahrscheinlich ist es ein Teil eines fremden Gestirns, das sich geräuschlos hinter dem Nebelvorhang nähert – und die Welt wird untergehen . . .
Die Tore Teherans. Sie leuchten in dem klatschenden Regen. Von vier kleinen ornamentalen Türmchen werden sie geschmückt, und diese sind fein wie Peitschenstiele, und das Ganze bedeckt ein Überzug von glasierten Ziegeln, gelbe, grüne, schwarze Ziegel, die zu einer Zeichnung zusammengestellt sind, wie man sie auf der Haut der Eidechsen oder Schlangen sieht.
In der Stadt erwartet uns die schon geahnte Enttäuschung. Durch die Regengüsse sind die Gäßchen, die bis zur Herberge führen, in schmutzige Flüsse verwandelt, sie laufen zwischen Steinhaufen dahin, und diese kennen keine Fenster, sie sind trübselig und farblos, und bei ihrem Anblick liefe man am liebsten davon.
Das Wirtshaus aber ist das Schlimmste von allem; die jämmerlichste Karawanserei war besser als dies dunkle, alte Zimmer, das auf einen feuchten Garten, auf triefende Bäume zeigt. Und ich begrüße die liebenswürdigen Herren der Gesandtschaft als Befreier, denn sie bieten mir die Gastfreundschaft des französischen Hauses an.
Die Gesandtschaft ist wie alle anderen schon aus Teheran geflohen, zwei Meilen von den Mauern entfernt, am Fuße des weißgekleideten Demavends hat sie sich für den Sommer auf dem Lande niedergelassen, und dorthin werden auch wir heute abend übersiedeln, wenn mein Gepäck, das noch mit meiner Nachhut auf den irgendwo steckengebliebenen Pferden schwebt, angekommen sein wird.
Inzwischen will ich mich ein wenig in dieser Stadt umsehen, die ich gerne so bald wie möglich verließe.
Hier gibt es nichts wirklich Altes, nichts wirklich Schönes. Vor hundertfünfzig Jahren war Teheran noch ein unbekannter Flecken, aber da kam Agha Muhammed Khan, der Eunuchenfürst, der den Thron an sich gerissen hatte, auf den Einfall, die persische Hauptstadt hierher zu verlegen.
Zuerst nach den Basaren. Sie sind groß und sehr besucht. Dieselben gotischen Gewölbe, wie wir sie schon überall sahen; man verkauft hier ungeahnte Mengen von jenen Teppichen, die nach einem neuen Verfahren gewebt und gefärbt werden, und die im Vergleich zu den Teppichen Ispahans, Kachans und Chiraz' gar zu gewöhnlich erscheinen.
Wir wollen den Sonnenschein zwischen zwei Regengüssen benutzen, um auf die Dächer zu klettern, von wo aus man einen allgemeinen Überblick hat. Immer wieder sieht man auf zahllose kleine Terrassen und Kuppeln herab, aber es fehlt das Licht, das ihnen in den alten, unveränderten Städten, aus denen wir kommen, jenen unvergleichlichen Zauber verleiht, die Kuppeln der Moscheen sind grün oder vergoldet, statt wie im Süden in blauem Türkis zu erstrahlen, die beiden rosenroten Türme aber, die dort hinten aufragen, bezeichnen den Palast des Schahs. – In diesem Augenblick treten die Berge aus den Wolken hervor, und diese Werke, von Menschenhand erbaut, erscheinen winzig klein, wie sie dort am Fuße der erdrückenden Felsmassen liegen. Seine Majestät der Schah ist soeben nach Europa abgereist, und sein Palast mit den rosenroten Türmen liegt verlassen da. Wir haben nicht die Erlaubnis, ihn heute zu besehen. Aber wir wollen es trotzdem versuchen.
Die Wächter, gutmütige Burschen, lassen uns in die Gärten eintreten, die in diesem Augenblick ganz ausgestorben und deshalb besonders reizvoll sind. Diese Gärten bestehen eigentlich nur aus Seen, aus ruhigen, schwermütigen Spiegeln, umgeben von Fayencemauern, auf denen die Störche einherstolzieren. Das Wasser ist in Persien eine große Seltenheit, und deshalb auch eine große Verschwendung, und gerade die Fürsten sparen innerhalb ihrer Mauern nicht damit. Die Gärten des Schahs bestehen fast ausschließlich aus Wasserbassins, die von alten Bäumen und Blumen eingerahmt sind, und in denen sich die Lilienbeete, die hundertjährigen Rüstern, die Pappeln, die riesengroßen Lorbeerbäume, die hohen, eifersüchtigen, die glasierten Mauern widerspiegeln. Alles in dieser königlichen Wohnung, deren Herrscher in fernen Landen reist, ist eingezäunt, verschlossen, leer und schweigend, einzelne Türen sind versiegelt, die Vorhänge sind herabgelassen, sie verdecken alle Fenster, alle Öffnungen des Hauses, die auf die eingefriedigten Seen hinausgehen, – Vorhänge aus gesticktem Leinen, feste große Vorhänge, wie die Segel einer Fregatte. An den Wänden zeugen die modernen Glasurbekleidungen, auf denen man Figuren oder Rosenzweige dargestellt sieht, von einem kläglichen Rückgang in der persischen Kunst, aber trotzdem ist der allgemeine Eindruck noch reizvoll, und entzückend ist ihr Spiegelbild auf der Wasserfläche zwischen den umgekehrten Bäumen und dem Grün. – Es regnet nicht mehr; am Himmel zerteilen sich die Wolken und fliehen dahin; in diesem sehr entlegenen Winkel, wo die vertrauensvollen Wächter uns allein umherstreifen lassen, genießen wir den hellen Nachmittag.
Der gewaltige Vorhang, der hier durch viele Stricke gehalten wird, verbirgt den Thronsaal; dieser ist so alt wie der Palast selbst und ist, nach altem Gebrauch, in seiner ganzen Breite geöffnet, um es dem Volk zu ermöglichen, von weitem ihr Götzenbild sitzen zu sehen, der marmorne Sockel – ohne Treppe, damit die Menge nicht dort hinaufsteigt – hebt den Thron ungefähr zwei Meter über die Gärten empor, und davor spiegelt sich ein großes, viereckiges Wasserbassin, um das sich an hohen Feiertagen alle Würdenträger aufstellen, und wenn der Herrscher erscheint, funkeln dort die prächtigen Burnusse und die Edelsteinagraffen in schweigender Pracht durch das Dunkel des Saales hindurch.
Wir möchten diesen Saal gern sehen. Mit einem Wächter, der ungefähr weiß, was für Leute er vor sich hat, stiften wir ein unschuldiges Komplott, wir klammern uns an die Vorsprünge des Marmors, wir schwingen uns hinauf und gleiten unter dem herabgelassenen Vorhang hindurch, – und wir betreten den Platz.
Hier ist es natürlich ganz dunkel, weil das einzige Licht durch diese große Öffnung fallen soll, die heute durch einen dichten Vorhang abgeschlossen ist. Als erstes unterscheiden wir den Thron, nah, ganz am Rande steht er da; er zeigt eine Altertümlichkeit, die wir nicht erwartet hatten, weiß hebt er sich von der allgemeinen rot und goldenen Ausschmückung ab. Es ist dies einer der geschichtlichen Throne der Mogol-Kaiser, eine Art Estrade aus Alabaster mit goldenen Linien, die von den aus einem Block gehauenen, kleinen, seltsamen Göttinnen und Ungeheuern gehalten wird; der gewöhnliche Springbrunnen, unumgänglich notwendig für die Einrichtung eines persischen Herrschers, nimmt den Vordergrund dieser Estrade ein, wo sich der Schah, bei besonders festlichen Gelegenheiten, auf einem mit Perlen besetzten Teppich sitzend, dem Volke zeigt; sein Kopf ist mit Edelsteinen überladen, und er stellt sich, als rauche er die Kalyan, – eine Kalyan ohne Feuer, auf die man gewaltige Rubinen legt, um die glühende Kohle nachzuahmen.
Wie in den alten Palästen Ispahans, so hebt sich auch hier ein Spitzbogen, der den Herrscher mit einem Heiligenschein umgeben soll, von dem durchsichtig weißen Thron ab. Er ist, ganz in der Art wie die Decken, mit einem Netz von Arabesken und einem Regen von kristallenem Stalaktit verziert. Und dies alles erinnert an die Zeiten der Sophis-Könige; stets ist es dieselbe bezaubernde Grotte, in die die persischen Prinzen ihre Räume zu verwandeln bemüht waren. Zu beiden Seiten des Saales sieht man die Schahs früherer Jahrhunderte auf Fresken verewigt. Männer mit strammsitzenden Goldbrokatgewändern, unnatürlich jung und schön, mit geschweiften Augenbrauen, mit schwarzgeränderten Augen, mit langen Bärten, die von ihren rosenroten Wangen in einer schwarzen, seidigen Welle bis zu den Edelsteinen ihrer Gürtel herabfließen.
Einer von uns hebt abwechselnd eine Ecke des großen Vorhangs in die Höhe, um einen Lichtstrahl in diesen Halbschatten hereinsickern zu lassen; und alsbald leuchten die kristallenen Stalaktite an der dunklen Decke gleich Diamanten auf. Wir haben uns eigentlich einer Übertretung schuldig gemacht, befinden uns auf Schleichwegen, aber das macht diesen heimlichen Spaziergang noch reizvoller. Und eine Katze, eine wahrhaftige Katze – wenn die Perser dies lesen, mögen sie mir diese unschuldige Zusammenstellung der Wörter verzeihen –, eine schöne Angorakatze, gut genährt, zutraulich, an Liebkosungen gewöhnt, ist in diesem Augenblick der alleinige Herrscher der kaiserlichen Pracht, eine Katze sitzt auf dem Thron und sieht uns mit größter majestätischer Herablassung kommen und gehen.
Als wir den Saal verlassen, machen wir noch einmal einen Gang um die Wasserbassins, dasselbe Schweigen, dieselbe ewige Ruhe wie vorhin herrscht hier auch jetzt. Leise gleiten die Schwäne über die blanken Flächen dahin, sie ziehen Linien und Kreise, die das Spiegelbild der hohen, rosenroten Fayencewände, der großen Zypressen, der großen Lorbeerbäume, der Blumen, der schwermütigen Sträucher zerschneiden. Sonst rührt sich nichts in dem Palast, nicht einmal die Zweige, denn es ist windstill; man hört nur die Tropfen von den nassen Blättern zu Boden fallen.
Als der Tag sich zu Ende neigt, verlassen wir Teheran in der entgegengesetzten Richtung durch das Tor, durch das wir heute morgen unseren Einzug hielten; aber der Anblick ist auch jetzt derselbe, dieselbe grün, gelb und schwarze Glasurbekleidung, dieselben zebraartigen Streifen einer Schlangenhaut.
Und bald rollt unser Wagen durch eine kleine Wüste, über Steine, über einen grauen Boden dahin; ein schrecklicher Leichengeruch weht uns entgegen: Gebeine liegen dicht gesät auf der Erde, Leichname, in den verschiedensten Verwesungsstadien begriffen, bedecken den Boden, dies ist der Friedhof der Tiere, der Pferde, der Kamele und der Maultiere. Tagsüber wird dieser Platz von den Geiern heimgesucht, nachts treffen sich hier die Schakale.
Wir fahren auf den Demavend zu, der jetzt ganz frei daliegt; wie kaum ein zweiter Berg der Welt ruft er einen gewaltigen Eindruck hervor, weil ihm nichts auf seinem Wege nach dem Himmel zu folgt; mehr als um die Hälfte ragt dieser Schneekegel einsam über die ganze andere Kette hinaus. Zu seinen Füßen sieht man den grünen Flecken einer Oase, auch sie liegt schon hundert oder hundertfünfzig Meter höher als die Stadt, und dorthin sind die europäischen Gesandtschaften während der heißen Jahreszeit geflüchtet.
Wir verlassen jetzt die kleine Wüste mit ihren Geiern und stoßen zuerst auf einige größere Gehölze, die die fleißige Menschenhand geschaffen hat, sie sind von Mauern umgeben: hier liegen die Sommerwohnungen der vornehmen Herren und die Lusthäuser ihrer Haremsdamen. Der aufsteigende Weg ist bald ganz schattig, er wird von Granatbäumen eingerahmt, von fruchttragenden Maulbeerbäumen, die die Straßenjungen in den langen Gewändern plündern, und endlich erreichen wir die schon von weitem erspähte Oase. In diesem Lande, wo alle Gärten, alles Buschwerk künstlich ist, freut man sich, einen richtigen kleinen Wald, ganz wie bei uns daheim, zu sehen, in dem die Bäume von selbst gewachsen zu sein scheinen, einen Wald, der Strauchwerk, Moose und Farnkräuter hat. – Die französische Legation liegt in diesem Eden, am Fuße des Schneeberges, zwischen Sumpfpflanzen, schlanken Pappeln, langen Gräsern, und um das Haus herum fließen kühle Bäche; man hört den Kuckuck rufen, die Eule schreien; dies ist die ganze Frühlingsbotschaft, der ganze zitternde Reiz eines Frühlings, der sich später als der unsere einstellt, der von kurzer Dauer ist, auf den eine sengende Jahreszeit folgt. Und sobald die Nacht hereinbricht, erschaudert man wie im Winter unter dem Blütendach dieses Waldes.
Montag, 28. Mai.
Um ein Uhr nachmittags verlasse ich das kühle Gehölz, um in die Stadt hinabzusteigen und Besuche zu machen. Teheran ist bei Sonnenschein, der es auch in der Regel verschönert, weniger häßlich als gestern, wo es regnete und Wolken den Himmel bedeckten. Seine Alleen sind mit hundertjährigen Rüstern bewachsen, seine Plätze werden von riesengroßen, altehrwürdigen Platanen beschattet, und auch hier findet man noch entlegene Winkel, die einen orientalischen Reiz besitzen. Überall zeigen sich kleine Läden, in denen die friedlichen Handwerke früherer Zeiten geübt werden. Die Mosaikarbeiter neigen sich über die Tische herab und suchen ihre winzigen Kupfer-, Gold- und Elfenbeinstücke zusammen. Die geduldigen Maler, mit den feingeschnittenen Gesichtern, verzieren die langen Schreibzeugkästen, die länglichen Kästen, in denen die Spiegel der Damen, die Kästen, in denen die heiligen Bücher aufbewahrt werden; mit leichter, sicherer Hand streuen sie die goldenen Arabesken darüber hin, tuschen sie die seltsamen Vögel, die Früchte, die Blumen an. Und die Miniaturmaler schaffen immer von neuem in den verschiedensten Stellungen die kleine Person, die eine Rose zwischen den Fingern hält, die stets die gleiche zu sein scheint, die seit dem Jahrhundert des Schah-Abbas nicht gealtert hat: sehr rosige, sehr runde Wangen, fast keine Nase, fast kein Mund, nur ein paar schwarze Samtaugen, gewaltig große Augen, deren dicke Brauen über der Nase zusammenwachsen. – Es gibt übrigens noch in Wirklichkeit diesen Typ der persischen Schönheit; zuweilen habe ich ihn einen kurzen, blitzähnlichen Augenblick gesehen, wenn ein Windstoß einen Schleier hoch wirbelte; und man sagt: daß einige Prinzessinnen bei Hof ihn noch in seiner idealen Vollkommenheit bewahrt haben . . .
Von allen den Alleen, die mit alten Rüstern bepflanzt sind, mündet die schönste in einen der Eingänge des Palastes; das Tor der Diamanten genannt. Und dieses Tor gleicht einer Art Zauberhöhle, die mit langsam sich bildenden, unterirdischen Kristallisierungen geschmückt ist. Von den Wänden tropft der Stalaktit herab, die Säulen sind mit ungezählten kleinen Spiegelstückchen, kleinen geschliffenen Facetten ausgelegt, und dies alles glitzert bei Sonnenschein in den Farben eines Prismas.
Ich kehre heute nach dem Palast zurück, um dem jungen Thronerben Persiens, Seiner Kaiserlichen Hoheit Choah-es-Saltaneh meinen Besuch abzustatten, er will mich in Abwesenheit seines Vaters empfangen. Leider sind die Salons, in die man mich hineinführt, auf europäische Art möbliert, und der zwanzigjährige Prinz, der mich so liebenswürdig begrüßt, scheint sich wie ein eleganter Pariser zu kleiden. Er ist zart und sehr verfeinert; seine großen, schwarzen Augen mit den fast zu schönen Wimpern erinnern an die Augen seiner Vorfahren, deren Gemälde man in dem Thronsaal sah; wäre er in Goldbrokat gekleidet und mit kostbaren Gemmen geschmückt, so würde er ihr vollkommenes Ebenbild sein. Er hat in Paris gewohnt, hat sich dort amüsiert und weiß als ein kluger Mensch davon zu erzählen, er hält sich auf dem laufenden mit der künstlerischen Entwicklung Europas, und die Unterhaltung mit ihm ist leicht und lebhaft. In sehr kleinen Sèvrestassen reicht man uns Tee. Trotz der Anweisungen, die für die Abwesenheit des Herrschers erlassen sind, trotz der verschiedenen versiegelten Türen, hat Seine Hoheit die Güte zu befehlen, daß ich morgen den ganzen Palast besichtigen kann.
Mein zweiter Besuch gilt dem Großvezir, der morgen für mich ein Diner veranstalten will. Auch dort werde ich aufs liebenswürdigste empfangen. Übrigens, lägen die kostbaren seidenen Teppiche nicht auf der Erde, trüge man hier nicht die kleinen Astrachanmützen auf der Stirn, die letzten Spuren eines orientalischen Kostüms, so könnte man sich in Europa wähnen. Wie schade ist dies, und welch eine Geschmacksverirrung . . . Diesen Nachahmungstrieb würde ich schon bei den Hottentotten oder bei den Kaffern verstehen. Aber wenn man die Ehre hat, ein Perser oder ein Araber oder ein Hindu oder selbst ein Japaner zu sein, – mit anderen Worten, wenn man uns mehrere Jahrhunderte in den verschiedensten Dingen der verfeinerten Lebensführung voraus ist, wenn man zu den Leuten gehört, die lange vor uns sich rühmen konnten, eine wunderbare Kunst, eine Architektur, eine große Anmut der Sitten, der Hauseinrichtung, der Kostüme zu besitzen, – so ist es wirklich verfehlt, uns nachahmen zu wollen.
Dann besuchen wir einen der vornehmsten Prinzen Teherans, den Bruder Seiner Majestät des Schahs. Sein Palast liegt in einem Park junger Pappeln, die so lang und schlank sind, wie das biegsame Schilf, der Park wurde für schweres Geld angelegt, es kostete viel, das Wasser von den Bergen hierher zu führen. Die unteren Säle sind ganz mit Spiegelfacetten ausgelegt, sie werden durch lange, von der Decke herabhängende Stalaktittrauben verziert, und erinnern den Beschauer an die Fingalhöhle, aber sie glitzern weit mehr als die wirklichen, zeigen einen überirdischen Glanz. Der Prinz empfängt uns im ersten Stockwerk, wo hinauf uns eine breite, blumengeschmückte Treppe führt; er trägt Uniform, hat einen weißen Bart, sieht vornehm und zuvorkommend aus und streckt uns eine tadellos weiß behandschuhte Hand entgegen. (Soweit die Fremden sich dessen erinnern können, hat man ihn nie ohne diese stets zugeknöpften, stets neuen Handschuhe gesehen, – und scheinbar will er dadurch vermeiden, die Finger eines Christen zu berühren, denn er soll hinter seinem zuvorkommenden Äußeren einen wilden Fanatismus verbergen.) Die Säle des vornehmen, persischen Herrn sind in europäischem Stil reich ausgestattet, aber die Mauern zeigen eine Glasurbekleidung, und auf der Erde liegen immer wieder die glänzenden, samtartigen Stoffe, die Teppiche, so kostbar wie man sie sonst nirgends mehr sieht. Auf einem Tisch steht ein Imbiß in Bereitschaft: Karaffen mit klarem Wasser, etwa zwölf große, wertvolle, rote Schalen mit den verschiedensten Frühlingsfrüchten, die eine ist mit Aprikosen, die andere mit Maulbeeren, eine dritte mit Kirschen gefüllt, Himbeeren, ja sogar rohe Gurken, auf die die Iraner so lecker sind, hat man aufgetischt. Und wie in dem Schloß, reicht man auch hier den Tee in sehr feinen Sèvrestassen. Wir sitzen vor einer großen, mit Fenstern verschlossenen Maueröffnung, man sieht über den Park, über den Wald junger Pappeln hinaus, die sich gleich einer Wiese von hohem Schilf im Maienwinde bewegen, man sieht auf den Demavend, dessen silberner Kegel in den Himmel hinaufragt. Der Prinz erzählt von seinen Jagden, von den Gazellen- und Pantherjagden in den benachbarten Bergen. An einem klaren Herbsttag ist es ihm gelungen, so erzählt er, die äußerste Spitze des Demavend zu erreichen, der hier vor uns liegt: »Obgleich es kein trübes Wetter war, sah ich doch nichts von der Welt unter mir, es war mir, als beherrsche ich den leeren Raum selbst. Und als dann die Luft noch durchsichtiger wurde, zeichneten sich die Umrisse der Erde allmählich ab, ein ergreifender Anblick; sie erschien hohl, man glaubte sich in der Mitte einer ausgehöhlten Halbkugel zu befinden, deren scharfe Ränder bis zum Himmel hinanstiegen.«
Um abends wieder in die französische Legation zurückzukehren, muß ich, wie immer, durch die schrecklich kleine Wüste fahren, wo die Karawanentiere verwesen.
Endlich erreichen wir den Fuß des Berges, und diesmal halten wir an, um eins der bezaubernden Paradiese aufzusuchen, die von Mauern eingeschlossen sind, und die den stets verborgen gehaltenen Prinzessinnen als Zufluchtsort dienen sollen; – das älteste von allen liegt heute verlassen da, es wurde von Agha Mohammed Khan, dem Gründer der jetzigen Dynastie der Kadjaren, angelegt.
Eine Reihe ansteigender Gebüsche, Wasserbassins und Terrassen führen zu einem schwermütigen Lustschlößchen hinan, in dem einst so viele schöne Gefangene geschmachtet haben. Man ist ganz überrascht, zu sehen, wie sicher und üppig die Vegetation sich hier entwickelt hat, die von Menschenhand an diesen Platz getragen wurde, während die Bäume draußen, außerhalb der Mauer, jämmerlich von Wind und Kälte mitgenommen erscheinen. Hier gibt es riesengroße Lorbeerbäume, ihre abgerundeten Kronen gleichen einer Blätterkuppel, hier gibt es Zedern, gewaltige Rüstern. Rosensträuche, mit Zweigen, so dick wie Schiffstaue, stehen in voller Maienblüte, sie klammern sich an die Stämme der Bäume an, und überziehen diese gleichsam mit einem Kleid von Rosen. Die Erde ist mit Moos, mit den Blütenblättern der echten und wilden Rosen bedeckt, ist, zur größten Freude der Vögel, von weißen Maulbeeren übersät. Zahllose Wiedehopfe und Häher, auf die niemals Jagd gemacht wird, hüpfen in den Steigen umher, ohne sich vor uns zu fürchten; die Wiedehopfe sind besonders geheiligt in diesem Gehölz, denn die Seele irgendeiner sagenhaften Prinzessin soll lange in dem Körper eines dieser Tiere gewohnt haben, oder wohnt vielleicht noch heute dort, was man aber nicht mit Bestimmtheit zu sagen vermag . . . Der alte, kleine, verschlossene Palast, der auf dem höchsten Punkt des schattigen Parkes, auf der höchsten Terrasse erbaut wurde, fällt jetzt unter dem Zahn der Zeit zusammen, im Sande und auf dem Moos glänzen Glasur- und Spiegelstückchen, die Teile einer früheren, einer zerbrechlichen Dekoration . . . Und was ist aus den Schönen geworden, die an diesem mißtrauischen, geheimnisvollen Ort gewohnt haben, den Schönsten aller Schönen, die unter Tausenden erlesen wurden? Ihr vollkommener Körper und ihr wunderbares Antlitz, ihre einzige Daseinsberechtigung, die sie liebenswert machten, und um deretwillen man sie eingeschlossen hielt, wo sind sie geblieben in ihren Gräbern? Zweifellos dort, unter irgendeinem kleinen, vergessenen Stein ruhen ihre Gebeine.
Dienstag, 29. Mai.
Heute sollen mir die Säle des Schlosses zu Teheran gezeigt werden, dank dem Befehl des jungen Prinzen.
In den Gärten, im Umkreise der Wasserbassins, herrscht dasselbe Schweigen wie gestern und vorgestern; und auch die Schwäne ziehen dieselben Kreise zwischen den Spiegelbildern der rosenroten Mauern und der großen dunklen Bäume.
Hier gibt es sogar einen Saal mit alten Gobelins, auf denen Nymphentänze dargestellt sind. Viel zu viele europäische Sachen, wohin das Auge blickt, an den Wänden hängen zahllose Spiegel, eine richtige Spiegelausstellung; die verschiedenartigsten Spiegel in Rahmen, aus dem letzten Jahrhundert, mit ganz gewöhnlicher Vergoldung, Spiegel, überall Spiegel, wie bei den Möbelhändlern dicht nebeneinander aufgehängt. Um sich dies erklären zu können, muß man wissen, daß diese Stadt erst seit zwei oder drei Jahren eine fahrbare Straße besitzt, die sie mit dem Kaspischen Meer und mit Europa verbindet; alle Spiegel wurden in Sänften auf steilen Pfaden unter zwei- bis dreitausend Meter hohen Bergen herbeigetragen; wie viele also müssen unterwegs zerbrochen sein, damit ein einziger heil ankommen konnte, und dieser war dann natürlich ein sehr wertvoller Gegenstand! Vielleicht sind die Perser durch diese unzähligen Glassplitter zum erstenmal auf den Gedanken gekommen, die glänzenden Stalaktite als Ausschmückung zu verwenden, mit denen es ihnen gelungen ist, etwas so Überraschendes und einzig Dastehendes zu schaffen.
Eigenartig in diesem Palast sind übrigens nur die mit Eiszapfen behangenen Gewölbe, eine unerschöpfliche Phantasie hat es verstanden, hier Abwechslung hineinzutragen. Und alles, was wir heute sehen, kann sich nicht im entferntesten mit dem noch in reinem persischen Stil erbauten Thronsaal messen, den wir den ersten Tag auf Schleichwegen betraten.
Im ersten Stockwerk liegt eine Galerie, sie ist so groß, wie die Säle des Louvre und enthält viele kostbare Gegenstände. Der Fußboden, aus rosenroten Fayencen, verschwindet unter seidigen Teppichen, Probestücke verschiedener Zeiten und verschiedener Stile Persiens. Eine übertriebene Menge von Kristallkronleuchtern hängen in langen Reihen dicht nebeneinander, ihre zahllosen Glasstückchen vereinen sich mit den Stalaktiten des Gewölbes und rufen den Eindruck eines zauberhaften Regens, eines Wasserfalles hervor, der noch, bevor er herabstürzte, zu Eis erstarrt ist. Und die Fenster zeigen hinaus auf die traurigen Gärten, auf die ruhigen Spiegelflächen der Wasserbassins. In den Glaskästen, auf den Etageren, den Seitentischen, überall, liegen tausend verschiedene Gegenstände, aus dem Anfang der jetzigen Dynastie stammend: goldene Uhren, mit Edelsteinen besetzt, mit kunstreichen Mechanismen und kleinen Automaten versehen, Weltkarten aus Gold, mit Diamanten übersät; Vasen, Schüsseln, Service aus Sèvres, aus Meißen und aus China, lauter Geschenke der Könige und Kaiser an die Herrscher Persiens. In Abwesenheit des Schahs werden ungezählte Kostbarkeiten in verschlossenen Truhen in den Kellern aufbewahrt; unter der Erde, in den Gewölben des Schlosses, schlafen zahllose Edelsteine von unschätzbarem Wert. Aber ganz im Hintergrunde der Galerie steht in der Mitte des letzten, mit Kristall behangenen Bogens das Wunder aller Wunder, es ist zu schwer, als daß ein Diebstahl möglich wäre, man hat es ohne Hülle, ohne Decke, wie irgendein beliebiges Stück Möbel auf den Fußboden gestellt: der alte Thron der Großmoguln, der einst im Palast von Delhi in dem wunderbaren, durchbrochenen Marmorsaal seinen Platz hatte. Er besteht aus einer Estrade aus schwerem Gold, von zwei oder drei Meter Länge, seine acht goldenen Füße sind wie Reptilien gewunden, an seinen vier Seiten bilden Blumenzweige in erhabener Arbeit eine Kante, ihre Blätter sind aus Smaragden, ihre Kronblätter aus Rubinen oder Perlen hergestellt. Auf diesem sagenhaft schönen Sockel prangt in stolzer Pracht ein seltsamer Sessel aus Gold, der ganz mit großen Blutstropfen besprengt zu sein scheint. – Dies sind geschliffene Rubinen in Cabochonform; über der Lehne strahlt eine Sonne aus riesengroßen Diamanten, sobald man Platz nimmt, wird sie durch einen Mechanismus gedreht, und alsdann glitzert und funkelt sie wie ein herrliches Feuerwerk.
Heute abend findet das Diner statt, das Seine Exzellenz, der Großvezir, mir zu Ehren zu geben geruht.
Eine ganz nach europäischer Art gedeckte und mit Blumen geschmückte Tafel; Minister in schwarzem Frack und weißer Binde, mit Großkordons und Orden; dies sah man schon überall. Außer den Kalyans, die zum Nachtisch die Runde bei den Gästen machten, gleicht dies Mahl ganz demjenigen, das unser Minister der auswärtigen Angelegenheiten – der bei uns die Stelle des Großvezirs einnimmt – irgendeinem durchreisenden Fremden in seinen Räumen am Quai d'Orsay geben würde. Zwischen dieser Stadt und Ispahan liegen nur hundert Meilen wüsten Landes, durch das wir in Etappen gereist sind, aber es trennt sie auch drei Jahrhunderte wenigstens, drei Jahrhunderte menschlicher Entwicklung.
Mittwoch, 30. Mai.
Auf dem neuen, fahrbaren Weg kann man mit einem Wagen in vier oder fünf Tagen von Teheran an das Ufer des Kaspischen Meeres nach Recht kommen, und von Recht mit einem russischen Dampfer nach der Petroleumstadt Baku, die an der Schwelle Europas liegt. Aber es ist nicht immer leicht, sich diesen Wagen, und noch weniger leicht, sich die Pferde zu verschaffen, gerade jetzt, wo die kürzlich erfolgte Abreise Seiner Majestät des Schahs und seines Gefolges alle Pferdeställe auf den Poststationen geleert hat.
Und während man von morgens bis abends für mich nach den unauffindbaren Wagen sucht, wird das kleine Gehölz der französischen Legation von jüdischen Kaufleuten überschwemmt, die immer wie durch ein Wunder von der Gegenwart eines Fremden benachrichtigt werden. Sie steigen von Teheran zu uns hinauf, die einen auf einem Maulesel, die anderen auf einem Klepper, wieder andere zu Fuß, gefolgt von Lastträgern, die schwere Ballen schleppen; vor den kühlen Veranden, im Schatten der Pappeln, breiten sie, um mich zu locken, ihre alten Teppiche, ihre seltenen Stickereien aus.
Donnerstag, 31. Mai.
Es ist gelungen, mir einen schlechten Wagen mit vier Pferden und einen Packwagen für mein Gepäck, mit abermals vier Pferden, zu verschaffen. Ich fahre durch die unfreundlichen Ebenen, unter den traurigen Wolken dahin, hinter denen die wunderbaren, die schreckeneinflößenden Berge verborgen liegen.
Freitag, 1. Juni.
Noch immer keine Bäume. Gegen Abend fahren wir in Kasbine ein, eine Stadt von zwanzigtausend Einwohnern, inmitten der Kornfelder gelegen, eine Stadt mit Fayencetoren, eine alte persische Hauptstadt, einst war sie sehr bevölkert, heute liegt sie in Trümmern da; in ihren, schon ein wenig europäischen Straßen sieht man die ersten Schilder mit russischen Buchstaben.
Sonnabend, 2. Juni.
Eins meiner Pferde ist über Nacht gestorben, in aller Eile muß ein neues gekauft werden. Meine beiden Kutscher sind betrunken, und sie spannen erst an, nachdem man sie mit Stockschlägen bedroht hat.
Immer weniger einsam erscheinen die Ebenen; die Wiesen sind mit Blumen übersät, ungezählte, schwarze Schafe weiden hier; die Kornfelder leuchten goldig, turkomanische Nomaden ernten dort. Der Wind ist nicht mehr so empfindlich, die Sonne nicht mehr so brennend, wir sind schon ein wenig von unserer gewöhnlichen Höhe herabgestiegen. Es ist wunderbar schön, so schön wie bei uns an hellen Junitagen. In der Mittagsstunde kehren die Luftspiegelungen noch einmal wieder, sie verdoppeln die Schafe auf den Wiesen und lassen die Hirten zu Riesen anwachsen.
Vor dem kleinen Dorf Kouine, wo wir für eine Nacht ausruhen werden, sehen wir endlich Bäume wachsen; große, mehr als hundertjährige Nußbäume werfen ihre Schatten auf die Wiesen, die mit ihren Esparsetten rosenrot daliegen. Und trotz des gewaltigen Zaubers der Wüsten läßt man sich doch von der Anmut dieser Landschaft rühren.
Sonntag, 3. Juni.
Alle meine Iraner sind betrunken. Meine neuen Diener, die ich in Teheran angeworben habe, sind betrunken. Meine beiden Kutscher sind noch betrunkener als am gestrigen Abend; sie haben ihre Mützen verkehrt herum aufgesetzt und fahren uns ebenso verkehrt in den Bergen umher. Vier Stunden lang wagen wir uns auf den sich dahinschlängelnden Pfaden vorwärts, wo uns Kamele und Maultiere den Weg versperren, und wo sich keine Felswand als Schutz gegen die Abgründe erhebt. Ich hatte die Angst vor dem Alkohol ganz vergessen, als ich mit meinen guten Tcharvadaren aus Mittelpersien reiste; aber jetzt sehe ich, daß mein neues Gefolge sich schon durch einen leisen Anflug europäischer Zivilisation auszeichnet.
Wir steigen immer mehr zu der normalen Durchschnittsfläche der Erde herab. Um die Mittagsstunde wird in einem paradiesischen Winkel, der schon ganz im Schutz gegen den zu scharfen Wind der Gipfel gelegen ist, haltgemacht. Diese Schlucht scheint unseren entwöhnten Augen einem irdischen Paradies zu gleichen. Große Feigenbäume, so gewaltig, so dicht belaubt wie die Banianenbäume Indiens, verzweigen sich und bilden über dem Wege ein Blättergewölbe; das Gras ist hoch und mit Kornblumen, mit rötlichen Kuckucksblumen übersät; die Granatbäume, die ihre wunderbare Blüte fast ganz beendet haben, streuen rote Korallen auf das Moos; ein sehr klarer Bach plätschert zwischen den hohen, lilagetönten Blumen. Dieser Ort muß im ganzen Lande bekannt sein, denn die verschiedensten Reisenden halten hier ihren Mittagsschlaf; auf dem weichen Teppich, den die Stengel der Gräser noch schwellender machen, sitzen Perser und Perserinnen, sie kochen ihren Tee, essen Früchte und Kuchen; die verschleierten Damen lüften mit einer Hand ihre weiße Maske und stopfen darunter Kirschen in den Mund; Tscherkessen mit Pelzmützen, mit einem langen silbernen Dolch, der gerade wie ein Degen ist, sitzen abseits unter einer Eiche, und die Turkomanen hocken um eine Schüssel und greifen mit den Fingern nach dem gekochten Fleisch. Es gibt hier kein Dorf, keine Karawanserei; nichts als ein altes Lehmhäuschen, das dem Teehändler gehört, und dessen drei oder vier kleine Knaben eifrig bemüht sind, die Leute draußen im Freien, im kühlen Schatten zu bedienen. Alles geht so natürlich, so lustig zu, denn jeder ist von der Schönheit des Platzes, der entzückenden Lage bezaubert, man sieht hohe Herren, in Kaschmirgewändern eigenhändig aus dem klaren Bach ihren kupfernen Becher oder ihren Samovar füllen, und die Bettler, zerlumpte, halbnackte Leute, haben die schönen Blätter auf ihre Beinwunden geklebt und warten darauf, daß man ihnen die Überreste des Mahls reichen wird. Im Schatten der großen Feigenbäume, auf hölzernen, mit roten Teppichen bedeckten Bänken bringt man uns unter, und dort nehmen wir, nach persischer Sitte hockend, unser Mittagsessen ein.
Aber plötzlich ertönt ein furchtbarer Lärm hinter dem überhängenden Berg am Himmel: ein Gewitter, das wir nicht sehen konnten, das heimlich herangeschlichen ist. Und sofort pladdert es auf das Blätterdach herab; Regen, Hagel, Wasserströme, Sintflut.
Rette sich, wer kann; in dem kleinen, dunklen Loch des Teehändlers drängen sich so viele Leute, wie nur hineingehen, zusammen, alles im bunten Durcheinander mit den Tscherkessen, den Turkomanen, den zerlumpten Bettlern. Nur die Damen sind anstandshalber draußen geblieben. Es regnet in Strömen; ein schmutziges, mit Lehm vermischtes Wasser fließt durch die Risse des Daches auf uns herab; der duftende Rauch der Kalyan vereint sich mit dem Rauch der auf dem Boden stehenden Öfen, wo die Kessel der Teetrinker warm gehalten werden; man kann nicht mehr atmen; wir wollen uns dem Loch nähern, das als Tür dient . . .
Von hier aus sehen wir die Damen unter den Bäumen, unter den Teppichen sitzen, die sie wie Zelte ausgespannt haben; ihre durchnäßten Schleier kleben drollig an den Nasen fest; der niedliche Bach ist zum Strom angewachsen, er bedeckt sie mit Schmutz; sie haben ihre Babuschen, ihre Strümpfe, ihre Hosen ausgezogen, und während sie noch immer züchtig das Gesicht verhüllen, zeigen sie ihre hübschen, sehr rundlichen Beine; – und trotzdem sind sie guter Laune, denn man sieht, wie ein kindliches Lachen ihre durchnäßten Formen schüttelt . . .
Wir schlafen nachts in einem traurigen Weiler, am Ende einer Brücke, sie führt über eine wilde Schlucht, über einen reißenden Gießbach dahin. Und ein Chaos von Bergen umgibt uns: Alle Stufen, die wir vom Arabischen Meer erklommen haben, um nach Persien hinaufzugelangen, müssen wir natürlich auf dieser Seite hinabsteigen, wollen wir das Kaspische Meer erreichen.
Kaum sind wir in das kleine, unbekannte Häuschen eingetreten, so kehrt auch der Donner, die Sintflut zurück. Und gegen Ende der Nacht beunruhigt uns ein beständiger Lärm, ein schrecklicher Höllenlärm, er wird nicht durch das Gewitter verursacht, sondern kommt von unten, aus dem Innern der Erde, möchte man sagen. – Es ist der Fluß unter uns, der plötzlich dreißig Fuß gestiegen ist, und der jetzt in furchtbarer Wut die Felsen peitscht.
Montag, 4. Juni.
Wir brechen morgens, bei einem noch drohend bewölkten Himmel auf. Eine Karawane, die von Recht hinaufsteigt, trägt uns schlechte Nachrichten zu: weiter unten sind die Brücken gesprengt, ist die Straße aufgerissen; vierzehn Tage, so behaupten die Kameltreiber, könne ein Wagen nicht dort passieren.
Und solche Abenteuer gehören mit zu den alltäglichen Dingen in dieser wilden Gegend, wo man für große Kosten eine viel zu eingeschachtelt liegende Straße erbaut hat, ohne den Strömen, die in einer Stunde anschwellen können, genügenden Platz zu lassen.
Der junge Erbprinz Persiens erzählte mir in Teheran, daß er in dieser Gegend von einem Unwetter überrascht worden sei und sich in Todesgefahr befunden habe; Blöcke, von denen der eine seinen Wagen in zwei Teile spaltete, fielen dicht wie Hagel von den Bergen herab, die Wasserfälle rissen sie mit sich.
Während der ersten vier Stunden fahren wir, ohne daß uns ein Unglück begegnet wäre, durch die traurige Gegend hindurch, die übrigens ebenso kahl ist wie die der hochgelegenen Ebenen. – Bis jetzt haben wir nur ausnahmsweise Bäume in den von der Natur bevorzugten Winkeln gesehen, wo sich etwas Dünger angehäuft hatte. – Aber nun versperrt ein ganzes Felsstück den Weg, über Nacht ist es gespalten und herabgestürzt. Persische Chausseearbeiter sind hier mit Stangen, Hebeln und Hacken tätig. Sie gebrauchen wenigstens einen Tag, so behaupten sie. Ich gebe ihnen eine Stunde und verspreche ihnen eine königliche Belohnung, wenn sie sich mit Eifer darüber hermachen: Die zu schweren Blöcke sollen sie auseinandersprengen, sollen sie bis an den Rand rollen und in die Abgründe hinabstürzen und Allah und Mohammed dabei um Hilfe anrufen. Kaum ist die Stunde verflossen, so haben sie auch ihre Arbeit beendet, und wir können passieren!
Nachmittags wagen wir uns auf gefährlichen Pfaden an den Abhängen eines senkrechten Berges vorwärts; von neuem grollt der Donner, setzt die Sintflut mit erschreckender Gewalt ein. Und bald sausen die Steine um uns herum, zuerst die kleinen, dann die großen, Blöcke, von denen ein einziger unsere Pferde zermalmen könnte. Wo Schutz suchen! Kein Haus in zwei Meilen weitem Umkreis, und außerdem, welche Dächer, welche Gewölbe könnten ähnlichen Stößen widerstehen? So laßt uns also hierbleiben und unser Schicksal erwarten.
Als das Unwetter sich gelegt hat und niemand getötet wurde, fahren wir in schnellem Tempo nach dem Meere zu hinab und erreichen allmählich ein feuchtes, baumreiches Persien; aber in keiner Weise gleicht dies dem Persien, das wir soeben verlassen haben. Und wir sehnen uns nach diesem anderen, dem großen, wirklichen Persien, wie es sich dort oben, hoch oben, schwermütig in seine alten Träume unter dem ewig gleichen Himmel einspinnt. Sogar die Luft, die Luft hier unten, die wir doch unser ganzes Leben lang eingeatmet haben, erscheint so drückend schwer und ungesund nach der belebenden Reinheit, in der wir uns zwei Monate aufhalten durften.
Und doch sind die Wälder, die Buchenwälder mit ihrem frischen Junilaub schön! Überall, wohin das Auge fällt, bedecken sie diese neuen Gipfel – die mehr als tausend Meter tiefer liegen als die wüsten Ebenen, aus denen wir kommen –, bedecken sie die Gipfel mit einem gleichmäßigen und wunderbar reichen Mantel. Nach dem Gewitter fällt ein leiser, ruhiger Regen auf dieses grüne Land. Alle Nebel, alle Wolken, die das Kaspische Meer heraufschickt, hält der riesengroße Backofen Irans zurück, und hier auf diesem schmalen Streifen verteilen sie sich und füllen ihn wie den Wald der Tropen mit schattigem Grün, während oben die weiten Ebenen strahlend und ausgedörrt wie immer bleiben. Wir erreichen abends ein Dorf, das zwischen Rüstern und blühenden Granatbäumen versteckt liegt; hier ist die Luft drückend, die Leute sehen abgemagert und blaß aus. Es regnet noch immer, sehr widerwillig und sehr teuer vermietet man uns einen Raum aus Lehm, wo der Fußboden aufgeweicht ist, und wo es fast ebenso regnet wie draußen. Außerdem wird uns mitgeteilt, daß eine Viertelmeile weiter die Brücke nachts durch den Strom mit fortgeschwemmt ist, und daß unsere Wagen nicht passieren können, – für morgen früh müssen wir zu fabelhaft hohem Preise Maultiere mieten. Eine Karawane, die durch den Fluß gewatet ist, zieht uns in einem seltsamen Aufzug entgegen, die Kamele sind bis an die Augen mit klebrigem Schmutz bezogen; sind zu unförmlichen, schuppigen Ungeheuern angewachsen, während die sie begleitenden Maultiere scheinbar durch Schlamm haben waten müssen. Und die Bauern tragen ungewöhnlich große Fische herbei, – fabelhafte Karpfen, phänomenale Forellen, die der angeschwollene Fluß auf den Ufern zurückgelassen hat.
Eine Stunde später herrscht Kampf und Blutvergießen unter meiner Dienerschaft, sie haben alle zu viel russischen Branntwein getrunken. Niemand ist da, der uns unsere Abendmahlzeit bereiten könnte. Von den Dorfbewohnern ist nichts zu erreichen. Mein armer Diener liegt fiebernd darnieder, und ich allein bin hier, um ihn zu pflegen und zu bedienen.
Und während der Weg durch die Wüsten des Südens, der allgemein als so gefährlich geschildert wird, ein Kinderspiel war, so erwartete mich das seltsamste Ungemach auf dieser alltäglichen Straße von Teheran, wo alle Welt passiert, aber wo die Perser durch die Berührung mit den Europäern unverschämte Kerle, Trunkenbolde und Diebe geworden sind.
Dienstag, 5. Juni.
Bei aufgehender Sonne beginne ich mein Tagewerk, indem ich dem Kutscher die Stockschläge zuerteile, auf die er wirklich Anspruch zu machen hat. Dann kommt die Reihe an die Maultiervermieter, sie fordern heute noch einmal soviel, als wir am Abend vorher abgemacht hatten, ich schmeiße sie hinaus.
Eine Schar Dorfbewohner bietet mir dann an, im Laufe des Vormittags aus Felsen, Baumstämmen, Stricken und so weiter eine provisorische Brücke zu erbauen; meine leeren Wagen wollen sie hinüberrollen, und dann sollen unsere Pferde, unser Gepäck und wir selbst durch den Fluß waten. Trotz des hohen Preises gehe ich auf den Vorschlag ein. Und mit Balken, Schaufeln, Haken, wie zur Belagerung einer Stadt ausgerüstet, ziehen sie von dannen.
Um die Mittagsstunde ist alles fertig. Meine beiden abgeladenen Wagen gelangen scheinbar durch ein Wunder über das Gerüst hinüber, und so auch wir; auch die Gepäckträger und unsere Pferde erreichen schließlich das andere Ufer, nachdem sie sich ganz, wie die Karawane gestern abend, von oben bis unten mit Schlamm bespritzt hatten. Man lädt auf, man spannt an; die jetzt nüchternen Kutscher nehmen ihre Plätze ein.
Und bis zum Abend reisen wir durch das Reich der Bäume, durch die eintönige, grüne Nacht, in einem wirklichen Wald, bei feinem, anhaltendem Regen. Die Tropen kennen kaum ein schöneres Grün, als wie es hier in dieser feuchten, stets bewässerten Gegend wächst. Ulmen, Buchen, alle voll entwickelt, alle mit Efeu umrankt, sie stehen dicht gedrängt, vereinen ihre prächtigen, frischen, blattreichen Zweige zu einem Dach, legen sich wie ein einziger großer Mantel über die Berge; man sieht in der Ferne, wie die kleinen, gleichmäßigen Gipfel mit den abgerundeten Umrissen sich aneinanderreihen, wie sie alle mit dem dichten Grün bekleidet sind, gleichsam, als trügen sie einen grünen Schafpelz.
Plötzlich hat sich die Landschaft verändert, überraschend ist es, im äußersten Norden dieses hochgelegenen, kalten, ausgedörrten Persiens eine niedrige, feuchte, laue Zone zu finden, wo die Natur so ganz unvermittelt an die erschlaffende Atmosphäre eines Treibhauses erinnert!
Der sich durch die Wälder dahinschlängelnde, stets sich abwärts neigende Weg wird wie bei uns instand gehalten, wie man es in den sehr beschatteten Gegenden unserer Pyrenäen findet; aber die Reisenden und ihre Tiere bleiben asiatisch: Karawanen, Kamele, Maultiere mit perlenbesticktem Sattelzeug, verschleierte Frauen auf kleinen, weißen Eselinnen.
Und jetzt trifft man gelegentlich am Rande des grünen Weges mehrere Häuser, die gar nicht in diesen Ort hineinzupassen scheinen. Häuser, ganz aus runden Balken erbaut, wie man sie am Rande des Ural und in den Steppen Sibiriens trifft. Und auf der Schwelle der Türen zeigen sich Männer mit flachen Mützen, blond und rosig, und ihr blaues Auge scheint nach all den schwarzen Augen der Iraner gleichsam von einem nördlichen Nebel verschleiert zu sein; das benachbarte Rußland, das diese Wege erbaut hat, stellte hier überall Beamte an, um die Straßen beaufsichtigen und instand halten zu lassen.
Gegen Ende der Etappe befinden wir uns in gleicher Höhe mit dem Kaspischen Meer (das, wie man weiß, noch dreißig Fuß über dem Wasserspiegel der anderen Meere liegt), und in der Dämmerung machen wir vor einer alten, aus Buchenstämmen erbauten Karawanserei halt, inmitten einer sumpfigen, mit Seerosen bewachsenen Ebene, wo Frösche und Wasserschildkröten hausen.
Mittwoch, 6. Juni.
Ein dreistündiger Weg heute morgen führt stets durch Grün zwischen Feigen- und Nußbäumen, Mimosen und Farnkräutern hindurch, bis man schließlich die kleine Stadt Recht erreicht, die nicht einmal mehr einen persischen Anstrich zeigt. Vorbei mit den Mauern aus Lehm, den Terrassen aus Lehm, vorbei mit den regenlosen Gegenden; die Häuser von Recht sind alle aus Stein und Fayence erbaut, ihre Dächer sind alle mit römischen Ziegeln bedeckt und springen zum Schutz gegen die Regengüsse weit hervor. Überall auf den Straßen sieht man Wasserpfützen, die Luft ist gewitterschwül!
Noch eine Stunde bis nach Piré-Bazar, wo die große Straße, die fast einzige Straße Persiens, endet. Dort fließt ein Kanal zwischen dem überhängenden, blühenden Schilf dahin, er ist wie eine chinesische Arroyo mit Barken überladen. Dies ist der Verkehrsweg zwischen Iran und Rußland, und es wimmelt auf diesem schmalen Wasserstreifen von einem ganzen seeliebenden Völkchen; ungezählte Bootsvermieter halten Ausschau nach der Ankunft von Reisenden und Karawanen.
Wir müssen eine der großen Barken mieten, und dann geht's vorwärts; unsichtbare Leute, hinter hohen Gräsern versteckt, wandern zu Land voraus und ziehen uns an einem Strick nach sich; und so gleiten wir ruhig unter einem Zelt dahin, streifen das Grün des Ufers, kreuzen viele andere Barken, die der unsrigen ähnlich sind, und die, wie wir, gezogen werden; sie tragen Leute und Gepäck, und in diesem kleinen Schilfgäßchen muß man sich vor ihnen in acht nehmen.
Endlich öffnet sich ein See vor uns, sehr groß, sehr blau, liegt er zwischen den Inseln der Gräser und der Seerosen inmitten einer ungezählten Schar von Reihern und Kormoranen da. Das andere Ufer dort unten zeichnet sich nur als ein schmaler, grüner Streifen ab, darüber sieht man den Horizont der stillen Wasser, den Horizont des Kaspischen Meeres. – Und man könnte glauben, dies sei eine japanische Landschaft.
Man betritt das neue Ufer, wo wieder hohes Schilf aufragt, wo die Kormorane und Reiher in dichten Scharen auffliegen. Zwischen dem See und dem Meer, zwischen dem fast zu kühlen Grün der Bäume, in dem Orangenhain, liegt eine kleine Stadt; sie hat einen leisen türkischen Anstrich, scheint, von weitem gesehen, lächelnd und hübsch und taucht an beiden Enden ins Wasser. Am Eingang ragt ein schönes Lusthaus aus rosenroten und blauen Fayencen auf, der letzte Gruß Persiens, es nennt sich »die strahlende Sonne« – und dient Seiner Majestät dem Schah als Absteigequartier, wenn er sich auf seine Reisen nach Europa begibt.
Die kleine Stadt heißt Enzeli; in der Nähe gesehen ist es ein schrecklicher Haufen moderner Läden, die dem Reisenden geöffnet sind, ein Zufluchtsort für Schurken und Lumpengesindel, weder Perser, noch Russen, noch Armenier, noch Juden, Leute von unbestimmbarer Nationalität, Leute, die die Grenze auszubeuten verstehen. Aber in den Gärten Enzelis blühen und duften Rosen, Lilien, Nelken, und die Orangenbäume wachsen voller Zuversicht am Ufer des Meeres, das keine Flut noch Ebbe kennt – wachsen inmitten des feinen Sandes, des ruhigen Gestades.
In diesem Enzeli müssen wir voller Ergebung auf ein russisches Schiff warten, morgen, die Stunde ist noch nicht festgesetzt, wird es uns nach Baku tragen. Von Baku braucht man nur über Tiflis durch Tscherkessien zu fahren, um in Batum anzugelangen, wo die Schiffe des Schwarzen Meeres die Reisenden nach Odessa oder nach Konstantinopel tragen, nach der Schwelle der großen europäischen Linien –, mit anderen Worten – hier ist der Endpunkt unserer Reise . . . Und abends, unter den Orangenbäumen des Ufers, beim leisen Wellenschlag des eingeschlossenen Meeres, werfe ich einen Blick zurück auf den Weg, den ich gegangen bin, und dort sehe ich noch einmal Persien liegen, das hohe, das wirkliche Persien, das Persien der Gebirgsregionen und der Wüsten. Über den Wäldern, über den schon sich verdunkelnden Wolken liegt es rosenrot da; noch für einen kleinen Augenblick leuchtet es in der Sonne auf, mich aber hüllt schon die Dämmerung ein. Von hier aus gesehen, bietet es uns denselben Anblick der endlosen Mauer, den es uns das erstemal bei unserem Aufstieg von dem Persischen Golf geboten; es ist weniger farbenprächtig, weil wir uns jetzt in den nördlichen Gegenden befinden, aber es hebt sich ebenso scharf in der selten klaren Luft von den anderen irdischen Gegenständen ab. Als wir von dem heißen Golf kamen, lag es vor uns, wir mußten es erklimmen, und es hielt alle seine ungeahnten Wunder für uns in Bereitschaft. Jetzt steigen wir hinab, nach einem Ritt von vierhundert Meilen durch die vielen Berge, über Spalten und Risse dahin. Es wird in der irdischen Entfernung und in der Vergangenheit der Erinnerung mehr und mehr verschwinden. Aber von all den Wundern, die unsere Augen erblickten, wird uns dieses am längsten vorschweben: Eine Stadt, in Trümmer zerfallen, dort oben in einer Oase von weißen Blumen, eine Stadt aus Lehm und aus blauer Glasur, unter den dreihundertjährigen Platanen, die in Staub zerfällt. Paläste aus Mosaik und aus wunderbaren Fayencen, die rettungslos zerbröckeln unter dem einschläfernden Plätschern der zahllosen kleinen, klaren Bäche, unter dem ewigen Gesang der Muezzine und der Vögel; – zwischen hohen, mit Glasur bekleideten Mauern, in alten Gärten voll blühender Rosen, mit Toren aus ziseliertem Silber, aus blassem Purpurrot; – das ist dies Ispahan des Lichts und des Todes, in die durchsichtige Luft der Bergesgipfel gehüllt.