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Dienstag, 17. April.
In der Dämmerung liegt unser Nomadengepäck ausgebreitet auf der Erde, durchnäßt von dem Sprühregen, trostlos anzuschauen. Der Wind fegt unter den sich hochauftürmenden drohenden Wolken dahin. Die weiten Sandflächen, in die wir uns jetzt auf gut Glück hineinstürzen sollen, heben sich hell vom Horizont ab; die Wüste ist weniger dunkel als der Himmel.
Eine große Segelbark, die wir in Bender-Bouchir geheuert haben, wirft uns hier an der Schwelle der Einsamkeiten aus, auf das glühende Ufer des Persischen Golfes, wo Menschen aus unserem Klima die fiebergeschwängerte Luft kaum atmen können. Und hier ist der Ausgangspunkt, wo sich gewöhnlich die Karawanen bilden, die nach Chiraz und Mittel-Persien aufsteigen sollen.
Wir waren vor ungefähr drei Wochen auf einem Schiff von Indien fortgefahren, das uns jetzt langsam an der Küste entlang vorwärts trägt, indem es sich auf den schweren und heißen Gewässern dahinschleppt. Und seit mehreren Tagen sehen wir am nördlichen Horizont eine Art endloser Mauer, die, bald blau, bald rosa, uns zu folgen scheint, und die auch an diesem Abend sich vor uns aufgetürmt hat. Der Rand Persiens, das Ziel unserer Reise, das, zwei- oder dreitausend Meter über dem Meeresspiegel, in den ungeheuren Höheflächen Asiens ruht.
Der erste Empfang auf persischem Boden war für uns kein freundlicher: Als wir von Bombay ankamen, wo die Pest wütete, mußten mein französischer Diener und ich dort fünf Tage in Quarantäne liegen, allein auf einer sumpfigen kleinen Insel; eine Barke brachte uns jeden Abend die nötigen Lebensmittel, die uns vor dem Hungertode schützen sollten. In einer Backofenhitze, inmitten der Qualen des heißen Sandes, den uns das benachbarte Arabien sandte, inmitten der rätselhaften Winde, mußten wir lange dort leiden. Tagsüber von der Sonne zu Boden gedrückt, mit Bremsen und giftigen Fliegen bedeckt, nachts die Beute ungezählten Ungeziefers, das das Gras verpestete.
Als wir endlich in Bender-Bouchir, der Stadt der Trauer und des Todes, mit ihren verfallenen Mauern, mit ihrem unheilvollen Himmel, einziehen durften, trafen wir in aller Eile unsere Vorbereitungen, kauften Lagergegenstände, mieteten Pferde, Maultiere, Maultiertreiber, die, um wieder mit uns zusammenzutreffen, heute morgen aufbrechen mußten; sie hatten eine Bucht zu umschreiten, wir aber schnitten zu Wasser eine ganze Ecke ab, um auf diese Weise einen Marsch in der glühenden Sonnenhitze zu vermeiden.
So haben wir uns also an der Schwelle der Wüste niedergelassen, gegenüber einem ganz verfallenen Dorf, wo die Leute in Lumpen gehüllt auf Mauertrümmern hocken und rauchen und unserem Treiben zuschauen.
Lange Unterredungen mit unseren halbnackten Schiffern, die uns auf ihren triefenden Schultern ans Land getragen haben, denn die Barke mußte wegen der Sandbänke ungefähr hundert Meter vom Ufer entfernt liegen bleiben. Lange Unterredungen mit dem Ortsvorsteher, der von dem Gouverneur von Bouchir den Befehl erhalten hat, mir eine berittene Begleitmannschaft zu stellen, und schließlich mit einem »Tcharvadar« (dem Anführer meiner Karawane), dessen Pferde und Maultiere hier sein sollten, die aber nicht ankommen.
Von allen Seiten der weite Raum, den der Wind bewegt, der Raum der Wüste oder des Meeres. Und wir befinden uns ohne Schutz, unser Gepäck liegt zerstreut auf dem Boden. Und der Tag erlischt langsam über unserer Verwirrung.
Einige Tropfen Regen. Aber in diesem Lande achtet man nicht darauf; man weiß, daß es nicht regnen wird, daß es nicht regnen kann. Die Leute, die rauchend auf den Ruinen saßen, haben soeben ihr Moghreb-Gebet gesprochen, und die Nacht sinkt herab, Unheil verkündend.
Wir warten auf unsere Tiere, die noch immer nicht kommen. In der Dunkelheit tönen von Zeit zu Zeit die Glöckchen zu einem Glockenspiel zusammen, und jedesmal flößen sie uns Hoffnung ein. Aber nein, es ist irgendeine fremde Karawane, die vorüberzieht; zu zwanzig oder dreißig, die Maultiere streifen uns; um sie daran zu verhindern, unser Gepäck und uns selbst zu zertrampeln, schreien unsere Leute – und alsbald verschwinden sie, dem fernen Nebel entgegen. (Wir sind hier am Eingang zu der Straße von Bouchir nach Ispahan, einer jener großen Straßen Persiens, und dieser kleine, verfallene Hafen ist ein sehr besuchter Durchgang.)
Endlich kommen sie an, die Unsrigen, auch sie mit lauttönenden Glöckchen.
Eine Nacht, die immer dichter wird, unter einem niedrigen, unruhigen Himmel.
Alles liegt auf der Erde durcheinander geworfen. Die Tiere machen Sprünge, schlagen hinten aus – und die Zeit schreitet fort, wir sollten uns eigentlich schon längst auf dem Marsche befinden. Zuweilen hat man im nächtlichen Alpdruck ähnliche unlösbare Schwierigkeiten zu überwinden gehabt, hat vor diesen unentwirrbaren Hindernissen, inmitten wachsender Nebel gestanden. Wirklich, es erscheint unmöglich, wie so viele verschiedene Dinge, Waffen, Decken, Geschirre, die in aller Eile in Bouchir gekauft und nicht eingepackt wurden, und die jetzt hier im Sande verstreut liegen, in einer solchen Nacht wie der heutigen so schnell auf glöckchenbehangenen Maultieren verladen werden können, die dann in einer langen Reihe, eins hinter dem anderen in der schwarzen Wüste untertauchen.
Indessen, man geht an die Arbeit, indem man von Zeit zu Zeit innehält, um Gebete zu sprechen.
Die Gegenstände in große Karawanensäcke von buntbemalter Wolle verstauen, dieselben zuschnüren, umwinden, wägen, das Gewicht jedes Tieres abmessen – das alles geht unter dem Scheine zweier kleiner, jämmerlich anzuschauender Laternen, inmitten des unruhvollen Dunkels vor sich. Kein Stern, keine Öffnung dort oben, durch die der geringste Strahl fällt. Die Windstöße wirbeln mit klagendem Geheul den Sand auf. Und während der ganzen Zeit ertönt hinter der Szene das Geläute der Schellen und Glöckchen; unbekannte Karawanen ziehen vorüber. Jetzt führt mir der Ortsvorsteher drei Soldaten zu, die mit meinen Dienern und meinen Maultiertreibern diese Nacht meine Wache ausmachen sollen. Die beiden kleinen Laternen, die man auf die Erde gestellt hat, und die die Heuschrecken anziehen, zeigen mir von unten in unbestimmtem Licht die beiden Ankömmlinge: hohe schwarze Hüte über feinen Gesichtern, lange Haare und lange Bärte, weite Kleider mit einem Einschnitt in der Taille und mit Ärmeln, die wie Flügel herunterhängen . . .
Endlich gelingt es dem Mond, dem Freund der Nomaden, das schwarze Chaos zu entwirren. In einem jähen Riß, am Rande des Horizontes geht er riesenhaft und rot auf und enthüllt im selben Augenblick die noch nahen Gewässer, auf denen sein Widerschein sich zu einem blutigen Tuch verlängert (eine Ecke des Persischen Golfes), enthüllt auch die Berge dort unten, die er zu einer Silhouette ausschneidet (die große Kette, die wir morgen besteigen müssen). Sein wohltuendes Licht ergießt sich über die Wüste, macht den Unmöglichkeiten des Alpdrucks ein Ende, befreit uns von den unlösbaren Verwirrungen, zeigt uns einander, Gestalten, die sich von dem weißen Sand in schwarzer Zeichnung abheben, und vor allen Dingen, sondert uns ab, uns die Gruppen, die für dieselbe Karawane bestimmt sind, von anderen gleichgültigen Gruppen oder Wegelagerern, die hier und dort Aufstellung genommen haben und deren Gegenwart uns überall beunruhigte.
Neuneinhalb Uhr. Der Wind legt sich. Es teilen sich die Wolken, die Sterne kommen zum Vorschein. Alles ist eingepackt, verladen. Meine drei Soldaten sitzen im Sattel und halten ihre langen Gewehre gerade vor sich hin. Man führt uns unsere Pferde zu, auch wir sitzen auf. Unter fröhlichem Geläute setzt meine kleine Karawane sich in Bewegung, ein kleiner unordentlicher Haufe, aber schließlich schlägt sie durch die grenzenlose Ebene eine bestimmte Richtung ein.
Eine Ebene von grauem Schlamm, der gleich nach dem Sande beginnt, eine Ebene von Schlamm, den die Sonne getrocknet hat, und der mit Eindrücken übersät ist: Wege von hellerem Grau, die unzählige Fußtritte im Laufe der Jahre getreten haben, das sind die Pfade, die uns führen, und die sich vor uns in dem unendlichen Raum verlieren.
Sie befindet sich auf dem Marsch, meine Karawane. Und sechs Stunden Weges liegen vor uns, dann werden wir unser Quartier um drei oder vier Uhr morgens erreichen.
Trotz des entmutigenden Aufbruchs, der niemals ein Ende zu nehmen schien, befindet sie sich auf dem Marsch, ziemlich schnell, ziemlich leicht und behend zieht sie dahin, durch den unbestimmten Raum, dessen Ausdehnung durch keinen Merkstein begrenzt wird.
Noch nie zuvor war ich früher in tiefer Nacht durch die Wüste gereist. In Marokko, Syrien, in Arabien schlug man stets noch vor der Stunde des Moghreb sein Lager auf. Aber hier ist die Sonne so vernichtend, daß weder Menschen noch Tiere eine Reise am hellen Tage aushalten könnten: diese Wege kennen nur nächtliches Leben.
Der Mond geht am Himmel auf, schwere Wolken, die noch nicht verschwunden sind, hüllen ihn von Zeit zu Zeit in geheimnisvolle Nebel.
Meine Begleitung bilden lauter Fremde, Silhouetten, deren Umrisse echt persisch erscheinen; die Gesichter sind alle neu für mich, diese Kleidung, diese Rüstungen sehe ich zum erstenmal.
Unter eintönig harmonischem Geläute dringen wir allmählich in der Wüste vor: Große Glocken mit ernstem Ton, die unter den Bäuchen der Maultiere hängen, kleine Glöckchen und Schellen, die sich in einem Kranz um ihren Hals winden. Und ich höre auch die Leute meines Gefolges, wie sie in den hohen Tönen des Muselmanns ganz leise singen, als träumten sie.
Meine Karawane ist schon ein abgeschlossenes Ganzes geworden. Ein abgeschlossenes Ganzes, das sich zuweilen in einer langen Reihe ausdehnt, dessen einzelne Glieder unter dem Mond, in der grauen Unendlichkeit weiten Abstand voneinander nehmen, aber das sich dann unwillkürlich wieder schließt, das sich von neuem zu einem geschlossenen Körper formt, so eng, daß man sich gegenseitig mit den Beinen streift. Und man faßt Zutrauen zu diesem instinktiven Zusammenhang, so daß man nach und nach die Tiere laufen läßt, wie es ihnen beliebt.
Allmählich klärt sich der Himmel auf; mit einer Geschwindigkeit, die diesen Zonen eigen ist, zerteilen sich die Wolken dort oben, die so schwer erschienen, ohne Regen zu spenden.
Und in dieser Einöde strahlt jetzt der Vollmond, wunderbar und einsam. Die ganze heiße Atmosphäre ist gebadet in seinen Strahlen, die ganze sichtbare Ausdehnung ist überflutet von einer weißen Klarheit.
Es kommt zuweilen vor, daß irgendein launenhaftes Maultier sich hinterlistig entfernt, daß es, man weiß nicht warum, eine verkehrte Richtung einschlägt; aber es ist leicht zu erkennen, da es sich mit seiner Last, die wie ein großer buckliger Rücken aussieht, schwarz inmitten dieser ruhigen, hellen Fernen abhebt, wo weder ein Felsen noch ein Grasbüschel die gerade Fläche unterbricht; einer unserer Leute läuft ihm nach und führt es zurück, indem er mit geschlossenem Mund den langen Schrei ausstößt, der hier der Ruf der Maultiertreiber ist.
Und die leise Musik unserer Reiseglocken fährt fort, uns mit ihrer süßen Eintönigkeit einzuwiegen; das unaufhörliche Glockenspiel in dem unaufhörlichen Schweigen schläfert uns ein. Einige der Leute schlafen jetzt ganz; ausgestreckt liegen sie wie tot auf dem Halse ihres Maultieres, den sie mechanisch mit beiden Armen umschlingen. Ihr bewußtloser Körper ist durch ein Nichts aus dem Sattel zu werfen, und ihre langen nackten Beine baumeln herunter. Andere sitzen noch aufrecht und singen ohne Unterbrechung zu dem Geläute der hängenden Glocken, aber vielleicht schlafen auch sie.
Wir haben jetzt die Zonen des rosa Sandes erreicht, mit einer seltsamen Regelmäßigkeit ist er gezeichnet, auf dem getrockneten Schlamm des Bodens zieht er sich in zebraartigen Streifen dahin, und die weite Wüste gleicht einem großgemusterten Teppich. Und vor uns am Horizont, aber noch weit entfernt, liegt die Gebirgskette mit ihrer senkrechten Mauer, die die erstickenden Regionen hier unten begrenzt und die den Rand der weiten Hochebene Asiens bildet, den Rand des wirklichen Persiens, den Rand von Persien, Chiraz und Ispahan: dort oben, zwei- oder dreitausend Meter über den todbringenden Ebenen, ist das Ziel unserer Reise, das Land, das wir ersehnen, aber das so schwer zu erklimmen ist, das Land, wo unsere Mühen ein Ende haben werden.
Mitternacht. Etwas, das einem erfrischenden Windhauch ähnlich ist und uns nach der Backofenhitze des Tages erquickend erscheint, wirkt plötzlich wie befreiend auf uns. Über die rosa und grau gemusterte unendliche Ebene ziehen wir wie hypnotisiert dahin.
Ein Uhr, zwei Uhr morgens. Wie auf dem Meere in Nächten, wenn man Wache geht, alles bei schönem Wetter leicht erscheint, und man nur das Schiff gleiten zu lassen braucht, so auch hier. Man verliert das Bewußtsein von der Dauer der Zeit, bald erscheinen die Minuten lang wie Stunden, bald sind die Stunden kurz wie Minuten. Übrigens ist auch hier nicht mehr zu sehen als auf dem ruhigen Meer, nichts hebt sich in der Wüste ab, das uns den zurückgelegten Weg angeben könnte.
Ich schlafe sicher, denn das kann nur ein Traum sein! . . . Ganz in meiner Nähe reitet ein junges Mädchen auf einem Esel, der Mond enthüllt mir ihre wunderbare Schönheit. Sie trägt einen Schleier und einen Madonnenscheitel. Um Schritt zu halten, bewegt der Esel seine kleinen Beine in leisem Trab vorwärts . . .
Aber nein, sie ist wirklich von Fleisch und Blut, meine hübsche Reisebegleiterin, und ich, ich wache! . . . Und dann kommt mir in dem ersten Augenblick der Verwirrung der Gedanke, daß mein Pferd meinen Halbschlaf benutzt hat, um mich davonzutragen und sich irgendeiner fremden Karawane anzuschließen.
Indessen erkenne ich zwei Schritt von mir entfernt einen der Soldaten meiner Begleitmannschaft, und dieser Reiter vor mir ist ja mein Tcharvadar, der sich im Sattel umdreht und mich mit seinem ruhigsten Lächeln begrüßt . . . Rechts und links von uns reiten andere Frauen auf anderen kleinen Eseln; es ist ganz einfach eine Schar Perser und Perserinnen, die von Bender-Bouchir zurückgekehrt sind und jetzt der Sicherheit wegen um die Erlaubnis gebeten haben, mit uns diese eine Nacht reisen zu dürfen.
Drei Uhr morgens. Auf der hellen Ebene zeichnet sich vor uns ein dunkler Fleck ab und nimmt an Größe zu. Die Palmen, das Grün der Oase, unser Marschquartier, und wir sind angelangt.
Vor einem Dorfe, vor schlafenden Hütten steige ich mechanisch ab, ich schlafe stehend, von einer guten, gesunden Müdigkeit heimgesucht. Unter einer Art Scheune, die mit Stroh bedeckt ist und in die die Mondstrahlen hineindringen, schlagen meine persischen Diener in aller Eile kleine Feldbetten für meinen Diener und für mich auf, nachdem sie hinter uns ein durchsichtiges, plumpes aber sicheres Gitter geschlossen haben. Ich sehe dies alles nur unbestimmt und sinke dann in einen traumlosen Schlaf.
Mittwoch, 18. April.
Vor Tagesanbruch wurde ich von Männer- und Frauenstimmen geweckt, die ganz in der Nähe und ganz leise mit meinem Dolmetscher flüsterten. Sie baten sehr bescheiden um die Erlaubnis, das Tor öffnen und hinausgehen zu dürfen.
Wie es scheint, ist das Dorf von Mauern und Schanzwerken umgeben, fast befestigt, gegen die Strolche der Nacht und gegen die Bösewichte. Und wir lagen nun am Eingange, am einzigen Eingange, unter dem Schutzdach des Tores. Und diese Leute, die uns mit Bedauern weckten, waren Hirten, Hirtinnen: Es ist an der Zeit, die Herden auf die Weide zu treiben, denn der Sonnenaufgang ist nah.
Sobald die Erlaubnis gegeben und die Pforte geöffnet wurde, ergoß sich ein ganzer Strom von Ziegen und schwarzen Böcklein, die sich in dem engen Gang an uns scheuerten, zwischen uns hindurch, an unseren Betten entlang; man hört ihr anhaltendes Meckern, hört das leichte Trappeln der ungezählten kleinen Hufe auf dem Boden, sie riechen nach dem Stall, nach dem Gras, nach den würzigen Düften der Wüste. Und dieser Zug ist so lang, es sind ihrer so unendlich viele, daß ich mich schließlich frage, ob ich Halluzinationen habe, ob ich träume: Ich strecke die Arme aus, um mich davon zu überzeugen, daß es wirklich ist, um den Rücken, die harte Wolle der vorüberströmenden Tiere zu befühlen. Alsbald folgt die Schar der Esel und der Füllen, auch sie scheuern sich an uns entlang, aber schon habe ich eine weniger klare Vorstellung von ihnen, denn von neuem versinke ich in die Bewußtlosigkeit des Schlafes.
Vielleicht eine Stunde später werde ich wieder geweckt; aber diesmal durch ein brennendes Gefühl an den Schläfen, es ist die blendende Sonne, die an die Stelle des Mondes getreten ist. Kaum aufgegangen, sendet sie schon ihre sengenden Strahlen auf uns herab. Unsere Hände, unsere Gesichter sind schwarz von Fliegen. Und eine Schar kleiner Babys, braun und nackend, hat sich um unsere Betten versammelt; ihre jungen, lebhaften, weit offenen Augen starren uns in höchstem Erstaunen an.
Schnell müssen wir aufstehen, um irgendwo im Schatten einen Schutz zu suchen.
Ich miete bis zum Abend ein Haus, das man für uns in aller Eile leert. Geborstene Mauern, aus Lehm, der unter dem Atem der Wüste zerbröckelt, Stämme von Palmen als Deckenbalken, Palmenblätter als Dach und eine Gittertür aus dem Gewebe der Palmen.
Kinder kommen wiederholt, um uns zu besuchen, sehr kleine Kinder, fünf oder sechs Jahre alt, ganz nackend und wunderbar schön. Sie begrüßen uns, halten Reden und ziehen sich wieder zurück. Wahrscheinlich sind es die Kinder des Hauses, die sich ein wenig als zu uns gehörig betrachten. Sogar die Hühner bestehen darauf, einzutreten, und schließlich erlauben wir es ihnen. Und um die Stunde der Mittagsruhe kommen auch die Ziegen herein, um sich in den Schatten zu legen, und wir wehren ihnen nicht.
Öffnungen in der Mauer dienen als Fenster, durch die der Windhauch wie der Atem eines Feuerschlundes streift. Sie zeigen auf der einen Seite nach der blendenden Wüste, auf der anderen nach den Kornfeldern, wo die Ernte schon begonnen hat, und nach der persischen Mauer dort unten, die sich während der Nacht sichtbar dem Himmel genähert hat. Nach dem langen nächtlichen Marsch möchte man in der Mittagsstille und der allgemeinen Müdigkeit gern schlafen. Aber ungezählte giftige Fliegen sind hier, sobald man sich nicht rührt, bedecken sie Gesicht und Hände, man wird schwarz übersät von ihnen; so viel es auch kosten mag, man muß sich bewegen, muß den Fächer in Schwingungen versetzen.
Um die Stunde, wo die Schatten der Lehmhäuser länger werden, gehen wir hinaus, um uns vor die Tür zu setzen. Und bei allen Nachbarn tut man dasselbe. Das Leben beginnt sich zu regen in diesem bescheidenen Hirtendorf; die Männer schärfen ihre Sensen, die Frauen sitzen auf Strohmatten und spinnen die Wolle ihrer Schafe; mit sehr gemalten Augen sind sie fast hübsch, diese Mädchen der Wüste, scharf heben sich ihr Profil und die reinen Linien der Rasse Irans ab.
Auf einem schweißtriefenden Pferd kommt ein hübscher junger Mann herangesprengt; die kleinen Kinder unseres Hauses, die ihm ähnlich sehen, eilen ihm entgegen, sie bringen ihm frisches Wasser, und er küßt sie; es ist ihr Bruder, der älteste Sohn der Familie.
Jetzt schreitet ein Greis mit weißem Haar auf mich zu, alle verneigen sich vor ihm, man eilt herbei und breitet den schönsten Teppich des Dorfes aus, auf den er sich setzen soll; aus Ehrfurcht ziehen die Frauen sich unter tiefen Verbeugungen zurück, und Männer, mit langen Gewehren und langen Bärten, die ihn begleiten, bilden einen schreckeneinflößenden Kreis um ihn: es ist der Häuptling der Oase; an ihn hatte ich einen Brief, mit der Bitte um Begleitmannschaft für die folgende Nacht gesandt, und er sagt mir jetzt, daß er mir vor Sonnenuntergang drei Reiter zur Verfügung stellen wird.
Sieben Uhr abends; eine durchsichtige Dämmerung hat sich herabgesenkt, es ist die Stunde, wo ich aufzubrechen gedachte. Trotz der langen Unterredungen mit meinem Tcharvadar, dem es gelungen ist, mir noch ein Maultier und einen Maultiertreiber mehr aufzudrängen, würde alles bereit sein, wenigstens würde nicht viel mehr fehlen; aber die drei Reiter, die mir versprochen waren, stellten sich nicht ein, als man sie ruft, ich habe schon meine Boten nach ihnen ausgesandt, aber auch diese kommen nicht wieder. Wie gestern, wird es auch heute dunkle Nacht, bevor wir aufbrechen können.
Bald acht Uhr. Wir warten noch immer. Desto schlimmer für die drei Reiter. Ich werde auch ohne Begleitung reisen; ich rufe nach meinem Pferd, und dann aufgesessen! . . . Aber plötzlich wird das kleine Dorf, wo man nichts mehr sehen kann, und das schon von meinen Leuten angefüllt ist, von einem Strom schwarzer Herden überflutet, die blökend heimkehren. Die unabsichtlichen und lustigen Püffe Tausender von Schafen, Ziegen und Geißlein trennen uns voneinander, bringen uns vollkommen in Verwirrung. Sie laufen zwischen unseren Beinen hindurch, sie bahnen sich unter den Bäuchen der Maultiere einen Weg, überall dringen sie vor, schmuggeln sich ein, und immer wieder kommen noch neue hinzu.
Und als endlich der Zug ein Ende nimmt, nachdem der Platz sich geleert hat, das Vieh zur Ruhe gegangen ist, da begegnen wir einem neuen Abenteuer: wo in aller Welt ist mein Pferd? Während der allgemeinen Verwirrung, die durch die Ziegen hervorgerufen wurde, hat der Mann, der es hielt, es laufen lassen; das Tor des Dorfes war geöffnet, und so ist es entflohen; mit dem Sattel auf dem Rücken, dem Zügel um den Hals, ist es in die freie Wüste hineingaloppiert . . . Zehn Männer stürzen hinterher, um es einzufangen, sie lassen alle unsere anderen Tiere los, die sofort eine heillose Verwirrung anstiften und auch im Begriff sind, auf und davon zu gehen. Wir werden niemals aufbrechen.
Acht Uhr und darüber. Endlich führt man den Flüchtling zurück. Er ist sehr aufgeregt und ungeduldig. Und wir verlassen das Dorf, indem wir uns unter den Balken bücken, die das Schirmdach des Tores bilden, hinter dem wir in der letzten Nacht geschlafen haben.
Zuerst sind wir an allen Seiten von großen Dattelbäumen umgeben, deren schwarze Federbüschel sich von dem reichen Sternhimmel abheben.
Aber bald treten sie nur spärlich auf, die großen Flächen zeigen uns von neuem ihre ruhige Kreislinie, die durch kein Hindernis unterbrochen wird. Als wir gerade im Begriff stehen, die Oase zu verlassen, pflanzen sich drei bewaffnete Reiter vor mir auf und begrüßen mich; meine drei Beschützer, denen ich schon nachgetrauert hatte. Es sind dieselben Silhouetten wie gestern, schöne Gestalten, hohe Hüte und lange Bärte. Und nachdem wir eine seichte Stelle durchwatet haben, bildet meine Karawane endlich eine geschlossene Linie, die durch den unbegrenzten Raum, durch das Ungewisse der nächtlichen Wüste zieht.
Die unebene Wüste ist heute noch ungastlicher als gestern. Der Boden ist schlecht, er flößt kein Vertrauen mehr ein. Die tückischen, schneidenden Steine machen unsere Tiere straucheln. Und ach! der Mond wird noch lange nicht aufgehen. Zwischen den fernen Sternen sendet Venus allein, die glänzend und silbern dort oben steht, ein wenig von ihrem Licht auf uns herab.
Nach zweiundeinhalb Stunden Weges erreichen wir eine andere Oase, die viel größer, viel grüner ist als die des gestrigen Tages. Wir streifen sie, ohne einzudringen, aber eine wunderbar kühle Luft weht uns hier entgegen, in der Nähe der Palmen, unter denen man Bäche fließen hört.
Elf Uhr. Endlich verkündet hinter dem Berge dort unten – es ist noch immer derselbe Berg, dem wir uns stündlich nähern, und der den Rand der Felsenküste Irans darstellt – endlich verkündet hinter dem Berge ein helles Licht, daß der Mond, der Freund der Karawanen, erscheinen wird. Er geht auf, rein und schön, sendet ein Meer von Strahlen herab und zeigt uns die Nebel, die wir bis jetzt nicht haben sehen können. Es sind nicht mehr, wie in den letzten Tagen, Schleier von Staub und Sand, es sind wirkliche köstliche Wasserdämpfe, die sich dicht über dem Boden der ganzen Oase lagern, als wollten sie in diesem kleinen bevorzugten Himmelsstrich Menschen und Pflanzen zum Leben erwecken, während überall sonst im ganzen Umkreis Trockenheit herrscht; sie haben sehr bestimmte Formen, man könnte fast sagen, gestrandete Wolken, die greifbar geworden sind; ihre Umrisse leuchten auf in demselben blassen Gold wie die luftförmigen Flocken, die dort oben nahe dem Monde hängen; und darunter tauchen die Stämme der Datteln auf, mit ihren Zweigen, die sie zu schwarzen Sträußen geordnet haben. Dies ist keine irdische Landschaft mehr, denn der Boden ist verschwunden, nein, vielmehr glaubt man es mit einem Garten der Fata Morgana zu tun haben, die sich am Himmel zeigt.
Ohne dort einzutreten streifen wir Boradjoune, das große Oasendorf, dessen weiße Häuser unter schillernden Nebeln und dunklen Palmen liegen. Zwei persische Reisende, die gebeten hatten, sich uns anschließen zu dürfen, lassen mich wissen, daß sie hier haltzumachen gedenken, sie nehmen Abschied und verschwinden. Und wo sind meine drei Reiter, die sich mir mit einer so schönen Verbeugung vorstellten? Wer hat sie gesehen? – Niemand. Sie haben Reißaus genommen, bevor der Mond aufging, um nicht gesehen zu werden. So ist meine Karawane bis auf die allernotwendigsten Glieder zusammengeschmolzen: mein Tcharvadar, meine vier Maultiertreiber, meine zwei persischen Diener, die ich in Bouchir gemietet hatte, mein treuer Diener und ich. Zwar habe ich einen Brief an das Oberhaupt von Boradjoune bei mir, der mich berechtigt, drei neue Reiter zu fordern; aber der wird schon schlafen, es ist nach elf Uhr, und das ganze Dorf scheint zur Ruhe gegangen zu sein; wir würden unendlich viel Zeit verlieren, wenn wir die Flüchtlinge durch neue ersetzen wollten, die dann schließlich auch noch bei der ersten Biegung der Wüste das Weite suchen könnten. So Gott will, laßt uns lieber alleine ziehen, der helle Mond beschützt uns.
Und hinter uns schwindet die Oase, das ganze Blendwerk der goldenen Wolken und der schwarzen Palmen erlischt; – statt dessen eine Wüste, deren Schrecken mit jedem Schritt vorwärts größer werden, und in der man den Mut verlieren muß. Löcher, Höhlen, Spalten; ein wellenförmiges, hügeliges Land; ein Land mit großen zerklüfteten und rollenden Steinen, wo die Pfade bergauf, bergab führen, und wo unsere Tiere bei jedem Schritt straucheln. Und auf diese ganze schimmernd weiße Landschaft fällt das volle Licht des weißen Mondes.
Der frische Hauch, der von den Bäumen und den Bächen zu uns herüberwehte, ist nicht mehr zu spüren; von neuem begegnen wir der glühenden, trockenen Hitze, die auch um Mitternacht nicht nachläßt.
Unsere aufgeregten Maultiere gehen nicht mehr in einer Reihe, einige laufen davon, verschwinden hinter den Felsen; andere, die zurückgeblieben sind, geraten plötzlich in Angst, weil sie sich verlassen sehen, sie traben, was sie nur können, um sich dem Zug anzuschließen und scheuern dabei rücksichtslos mit ihrer Last gegen unsere Beine.
Die schreckeneinflößende Felswand Persiens, die sich stets vor uns auftürmte, hat sich jetzt, wo wir ihr näher gekommen sind, um das Doppelte vergrößert. Sie zeigt sich uns in ihren Einzelheiten, zeigt mehrere aufeinander liegende Stockwerke, und den ersten Absatz werden wir bald erreichen.
Es ist gar nicht möglich, in aller Ruhe hier seinen Weg zu verfolgen und sich den Träumen hinzugeben, was sonst den Reiz der flachen, eintönigen Wüsten ausmacht; in diesem schrecklichen Durcheinander von Steinen, wo man sich verloren glaubt, muß man unaufhörlich über das Pferd, über die Maultiere, über alles wachen; – wachen, wachen, selbst wenn der unbezwingbare Schlaf uns die Augen schließt. Gegen diese Lähmung anzukämpfen, die plötzlich die Arme, die Hände kraftlos macht, so daß sie die Zügel nicht mehr halten können, gegen diese Lähmung anzukämpfen, die die Gedanken verwirrt, dies Bestreben wird schließlich zu einer wirklichen Angst. Man versucht alle Mittel, die Stellung zu wechseln, die Beine auszustrecken, oder sie nach Art der Beduinen auf den Kamelen vor dem Sattelknopf zu kreuzen. Man versucht abzusteigen, – aber alsbald wird man bei dem schnellen Marsch durch die vielen Steine verwundet, das Pferd nimmt Reißaus, und man verliert den Anschluß in dieser großen, weißen Einöde, wo man in dem Chaos von dunklen Felsen kaum einander zu sehen vermag. So schwer es einem auch fallen mag, man muß im Sattel bleiben.
Mitternacht findet uns am Fuße der Gebirgskette Persiens, schrecklich von unten ist sie in dieser Nähe anzuschauen; eine gerade, steile Wand von dunklem Braun, deren Falten, Löcher, Höhlen, deren ganzes stummes, riesenhaftes Gewirr, der Mond rücksichtslos bloßstellt. Diese schweigenden, leblosen Felsmassen atmen uns eine schwere Hitze entgegen, die sie während des Tages von der Sonne aufgesogen haben, oder vielmehr, die sie von dem großen unterirdischen Feuer entleihen, das auch die Vulkane speist, denn sie riechen nach Schwefel, nach dem Schmelzofen und nach der Hölle.
Ein Uhr, zwei Uhr, drei Uhr, wir schleppen uns am Fuße der riesenhohen Gebirgswand dahin, die die Hälfte des Himmels über unseren Häuptern verdunkelt; rötlich braun richtet sie sich vor diesen weißen Steinfeldern auf; der Geruch von Schwefel, von faulen Eiern, den sie ausströmt, wird unerträglich, sobald man an den großen Spalten, an den großen klaffenden Höhlen vorbeikommt, die aussehen, als wenn sie bis zu den Eingeweiden der Erde reichten. Inmitten eines unendlichen Schweigens, in dem sich das Getrampel unserer bescheidenen Karawane und die mit geschlossenem Munde ausgestoßenen Schreie unserer Maultiertreiber zu verhallen, sich zu verlieren scheinen, schleppen wir uns noch immer durch die Schluchten und Spalten dieser blassen Wüste dahin. Hin und wieder sieht man einige schwarze Gestalten, deren Schatten der Mond auf die weißen Steine zeichnet; man könnte sagen, es seien Tiere oder Menschen, die sich dort aufgestellt haben, um uns aufzulauern, aber wenn man sich ihnen nähert, ist es nur Buschwerk, verkümmertes, verkrüppeltes Gesträuch. Überall herrscht eine Backofenhitze, man erstickt, man ist durstig. Zuweilen hört man das Wasser in den Felsen der höllischen Mauer brodeln, und in der Tat sprudeln ganze Ströme daraus hervor, die man durchwaten muß; aber das Wasser ist lau, verpestet, unter den Mondstrahlen erscheint es von weißlicher Farbe, und es verbreitet einen schwefligen Gestank, den man nicht einatmen kann. In diesen Bergen müssen ungeheure, ungeahnte metallische Reichtümer liegen, die bis jetzt von keinem Menschen ausgebeutet wurden.
Zuweilen glaubt man dort unten die Palmen der ersehnten Oase zu erspähen – die sich diesmal Daliki nennen wird –, und wo man endlich seinen Durst löschen und sich zur Ruhe begeben kann. Aber nein; immer wieder sind es die traurigen Sträucher und nichts weiter. Man ist besiegt, man schläft im Sattel ein, man hat nicht mehr den Mut, vergebliche Ausschau zu halten, man vertraut sich dem Instinkt des Tieres und dem Zufall an . . .
Diesmal täuschen wir uns indessen nicht; vor uns liegt wirklich die Oase; diese dunklen Wände können nur die Palmenreihen, diese kleinen weißen Vierecke nur die Häuser des Dorfes sein. Und um uns von der Wirklichkeit der noch fernen Dinge zu überzeugen, um uns den Willkommsgruß entgegenzurufen, dringt jetzt das Gebell der Hunde, der natürlichen Wächter, die schon unsere Ankunft gewittert haben, dringt auch das helle Morgenständchen der Hähne durch das große Schweigen des anbrechenden Tages an unser Ohr. Es ist drei Uhr morgens.
Bald befinden wir uns auf den schmalen Wegen des Dorfes, zwischen den Stämmen der herrlichen Palmen, und endlich öffnet sich vor uns die schwere Pforte der Karawanserei, in die wir uns, wie in einen schirmenden Zufluchtsort, durcheinander hineinstürzen.
Donnerstag, 19. April.
Ich weiß nicht, ob ich wache oder schlafe . . . Seit einem Augenblick habe ich das unbestimmte Gefühl, als befände ich mich inmitten einer Schar von singenden Vögeln, die so dicht an mir vorüberfliegen, daß ich den Wind ihrer Flügel spüre, wenn sie mich streifen . . . Und in der Tat, es sind geschäftige Schwalben, die ihre Nester an den Balken meiner niedrigen Decke gebaut haben! Die Nester sind voll von Jungen. Wenn ich meine Hand ausstrecke, würde ich sie fast berühren. Durch meine Fenster – die weder Scheiben noch Läden haben, um sie zu schließen – fliegen und kommen sie mit fröhlichem Gezwitscher; und die Sonne geht auf! Jetzt kehrt die Erinnerung wieder; ich befinde mich in der Oase Daliki, ich bewohne das Ehrenzimmerchen der Karawanserei. Gestern abend wurde ich auf einer an die Außenseite des Hauses angebrachten Treppe in diese kleine Wohnung geführt, die nur aus weißgekalkten Lehmwänden besteht. Meine beiden Perser Yomsouf und Yakout beeilten sich, unsere Feldbetten aufzuschlagen und unsere Decken auszubreiten, während mein Diener und ich vom Schlaf überwältigt warteten und gierig aus einem Kruge frischen Wassers tranken.
Die Hitze ist hier schon weniger schwer als am Rande des schrecklichen Golfes, und es ist so strahlend schön! Mein Zimmer, das einzige des Dorfes, das nicht im Erdgeschoß liegt und das seine Umgebung bis zu einem gewissen Grade beherrscht, ist durch seine vier kleinen Fenster den vier Winden zugänglich. Ich liege inmitten der frischen, grünen Dattelbäume, unter einem flachsblauen Himmel, der von sehr leichten Wölkchen von weißer Wolle übersät ist. Auf der einen Seite türmt sich etwas Dunkles, Riesenhaftes, etwas Rotbraunes so hoch auf, daß ich den Kopf zum Fenster hinausstecken und in die Höhe sehen muß, um sein Ende mit den Augen zu erreichen: es ist die große Kette Irans, die dort ganz in der Nähe uns fast zu überdachen scheint. Auf der anderen Seite erstreckt sich das Dorf, ganz in der Ferne schimmert ein Stückchen der Wüste durch die vielen schlanken, gleichmäßigen Stämme der Palmen hindurch. Der Schrei der Hähne, das Gezwitscher der Schwalben ertönt um die Wette. Die kleinen Lehmhäuser haben spitzbogige Türen in rein arabischem Stil, und flache, terrassenförmige Dächer, auf denen das Gras so üppig wie in den Feldern wächst. Die schönen Mädchen der Wüste treten ins Freie, um ihre Toilette unter offenem Himmel zu machen, sie sind nicht verschleiert, setzen sich auf irgendeinen Stein vor ihrer Wohnung und scheiteln ihr schwarzes Haar. Man hört die Gerätschaften der Weber klappern. Da dieser Ort sehr besucht, und da es die Ankunftsstunde der kaufmännischen Karawanen ist, die allnächtlich langsam diese Wege dahinziehen, so ertönen jetzt von allen Seiten die Glocken der Maultiere, die der Karawanserei entgegeneilen, und die mit geschlossenem Munde ausgestoßenen Rufe der Maultiertreiber; den hohen schwarzen Hut der Perser weit auf dem feinen dunklen Kopf zurückgeschoben, schreiten die Führer leichtfüßig und fröhlich heran.
Nachmittags wiederholte lange Wortstreitigkeiten mit meinem Tcharvadar. In Bouchir hatte ich nach der Karte beschlossen, den Marsch heute abend zu verdoppeln, er hatte sich geweigert, war in Aufregung geraten, war nur durch Drohungen zum Nachgeben zu bewegen gewesen, nachdem er zuvor Miene gemacht hatte, auszureißen, ohne den Kontrakt zu unterschreiben. Heute da ich mich von der Verfassung der Wege überzeugt habe, ziehe ich vor, nur 6 Stunden zu marschieren, um, so wie er es zuerst vorgeschlagen hatte, in dem Dorfe Konor-Takté ausruhen zu können – und jetzt ist er derjenige, der nicht darauf eingehen will. Schließlich, als mir die Geduld reißt, rufe ich aus: »Übrigens bleibt es so, wie ich gesagt habe, aus dem einfachen Grunde, weil ich es will, und damit ist die Unterredung beendet!« Sein fein gemeißeltes Gesicht klärt sich plötzlich auf, und er spricht lächelnd: »Wenn du sagst: ich will, so kann ich nur antworten: es sei.«
Er stritt um zu streiten, um die Zeit totzuschlagen, einen anderen Grund hatte er nicht.
Sechs Uhr abends. Meine drei neuen Begleiter, die mir das hiesige Oberhaupt gestellt hatte, treten an; sie haben schöne geblümte Kleider aus Baumwolle und sehr alte Gewehre. Zum erstenmal seit der Abreise bricht meine Karawane noch am Tage, bei den letzten roten Strahlen der Sonne, auf. Und wir verlassen ruhig die Oase, wo unter hohen Palmen an den Ufern der klaren Bäche zahllose, fast ausnahmslos hübsche Frauen mit ihren kleinen Kindern sich der Süße des melancholischen Abends hingeben.
Alsbald beginnt die Einsamkeit des Sandes und der Steine. Die lange persische Felsenküste, in die wir uns endlich über Nacht hereinstürzen werden, erstreckt sich, so weit das Auge reicht, bis ans Ende des unermeßlichen Horizontes; man kann sagen, sie sei von mutwilliger Hand mit grellen, schreienden Farben angestrichen, Gelb-orange oder Gelb-grün wechseln in seltsamen Streifen mit einem Rotbraun ab, das die untergehende Sonne bis zum Unmöglichen und Schreckhaften steigert, ganz in der Ferne gehen die Töne ineinander über, um als ein wunderbares Violett, der Farbe des Bischofgewandes, wieder zu erstehen.
Wie in der letzten Nacht riecht dieser ungeheure Wall Irans auch heute nach Schwefel, nach unterirdischem Feuer. Man hat den Eindruck, daß er mit giftigen Salzen, mit Stoffen gesättigt ist, die dem Leben feindlich sind; er nimmt die Farben vergifteter Dinge an, er zeigt sich in Formen, die Furcht einflößen. Außerdem hebt er sich von einem drohenden Hintergrunde ab, denn die eine Hälfte des Himmels ist schwarz, schwarz wie die Sintflut oder der Weltuntergang: wieder eins jener falschen Gewitter, die in diesem Lande heraufsteigen, als wenn sie alles vernichten wollten, aber die, man weiß nicht wie, verschwinden, ohne jemals einen Tropfen Wasser zu schenken. . . . Ein Mensch, der niemals unser Klima verlassen hat, und den man ohne irgendwelche Vorbereitung hierher führen, ihn vor eine Erscheinung von solcher Kraft und Größe stellen würde, dieser Mensch könnte sich nicht freimachen von der Angst vor dem Unbekannten, von dem Gefühl, nicht mehr auf Erden zu sein, oder von dem Schrecken des Weltunterganges . . .
Der wellenförmigen Wüste, durch die wir seit zwei Tagen geritten sind, folgt ein Abhang, der bis zum Fuße dieser Berge hinaufführt, die jetzt über unseren Häuptern zu hängen scheinen; von dem Punkte aus gesehen, wo wir stehen, liegt die weiße Ebene der Wüste schon unter uns; bis ins Unendliche dehnt sie sich vor unseren Augen aus, hebt sich blaß von dem drohenden Himmel ab, und zwei oder drei fernliegende Oasen sind als gar zu grüne Flecken, mit einem grellen Grün, wie man es auf chinesischen Aquarellen sieht, hineingezeichnet.
So trostlos wie die Wüste, von der wir jetzt Abschied nehmen, auch aussehen mag, so gastfreundlich und leicht zugänglich erscheint sie im Vergleich zu dieser Gebirgswand, die sich dort geheimnisvoll und drohend unter den schwarzen Wolken erhebt, als wolle sie niemandem Zutritt gewähren.
Zu der Stunde, wo die blutrote Scheibe der Sonne hinter dem Horizont der Ebenen untertaucht, öffnet sich jäh ein großer dunkler Einschnitt in der persischen Mauer, zwischen den zwei- bis dreihundert Meter hohen senkrechten Felswänden.
Wir reiten dort hinein. Eine plötzliche Dämmerung senkt sich auf uns herab, fällt von den überhängenden Felsen, als sei sie ein Schleier, in den wir ganz unerwartet eingehüllt werden. Das Schweigen, die Schallempfindlichkeit steigern sich in demselben Maße wie der Schwefelgeruch. Und die Sterne, die man noch vor kurzem nicht entdecken konnte, erscheinen alsbald, als hätte man sie alle gleichzeitig angezündet, und als würden sie aus der Tiefe eines Brunnens geschaut; sie stehen am hellen Zenit, den die Gewitterwolken noch nicht erreicht haben.
Eine ganze Stunde lang, bis es dunkle Nacht geworden, dringen wir unter großen Anstrengungen in dem Lande der geologischen Schrecken durch das Chaos der wilden, zerklüfteten Steinmassen vor; immer folgen wir demselben Spalt, derselben Kluft, die tiefer und tiefer in die Weichen des Berges einschneidet, gleich einem endlosen sich schlängelnden Geheimgang. Dort sind Löcher, Steinhaufen, steil ansteigende Wege, und dann wieder jähe Abhänge, mit scharfen Biegungen über tiefen Schlünden. Mitten in dies Gewirr hat der jahrhundertelange Durchzug der Karawanen unbestimmte Pfade gezeichnet, deren Spur unsere Tiere trotz der Dunkelheit nicht verlieren. Von Zeit zu Zeit ruft man sich, zählt man nach, zählt die Begleiter von Daliki und sich selber; man reiht sich enger aneinander, man macht halt, um Atem zu schöpfen. Durch die Nebel, die uns umgeben, hören wir die unterirdischen Wasser brodeln, hören die Donner rollen, die Wasserbäche fallen. In diesen Schlünden, wo man von allen Seiten von heißen Steinmassen eingeschlossen ist, herrscht eine Backofenhitze, und manchmal glaubt man zu ersticken, wenn man den Geruch der Schwefelgruben einatmet. Aber noch gefährlicher zu passieren sind die Wege, dort, wo Granitplatten, gleich reihenweise aufgestellten Tischen, zur Hälfte aus dem Boden hervorspringen und schmale, tiefe Zwischenräume bilden, in die das Bein eines Maultieres, wenn es unglücklicherweise dort hineingeraten sollte, wie in einer Falle gefangen säße. Und über diese Steine hinweg muß man in der Dunkelheit seinen Weg suchen.
Eine Stunde relativer Ruhe gewährt uns der Ritt über einen weißlichen Boden am Ufer eines schlafenden Baches entlang . . . Ein unheilvoller Fluß, der weder Baum noch Schilf noch Blumen kennt, sondern der sich geheimnisvoll und wie verwünscht dahinschleppt, so eingeschlossen, daß die Sonne niemals dort hinunter dringen wird. Jetzt spiegelt er ein kleines Stückchen Himmel mit einigen Sternen zwischen den umgekehrten Bildern der großen schwarzen Gipfel wider.
Und nun schließt sich der Weg vor uns, das Tal wird vollständig abgesperrt durch eine senkrechte, drei- bis vierhundert Meter hohe Mauer.
Wir haben uns also verirrt, das ist klar, uns bleibt nichts weiter übrig, als denselben Weg zurückzugehen, auf dem wir gekommen sind . . .
Mein Tcharvadar muß wahnsinnig sein, er schickt sich an, dort hinaufzuklettern, treibt sein Pferd eine Art Treppe hinauf, die wohl für die Ziegen berechnet sein mag, und behauptet, dies sei der Weg! . . .
Anmutig verneigen meine drei Begleiter sich vor mir und nehmen Abschied. Sie dürfen uns nicht weiter folgen. Denn, sagen sie, das hieße die Grenze ihres Gebietes überschreiten. Ich glaube, daß sie mich genau wie ihre Brüder gestern im Stich lassen. Aber weder Drohungen noch Versprechungen vermögen hier etwas auszurichten, sie machen kehrt, und wir sind uns selbst überlassen.
Und in der Tat ist diese undenkbare Treppe der richtige Weg; ich muß es ja schließlich glauben, weil alle es bestätigen. Offenbar ist dies der einzige Pfad, der dort hinaufführt nach jenem geheimnisvollen und unzugänglichen Chiraz, wo wir vielleicht nach den anstrengenden Ritten dreier weiterer Nächte uns endlich in der gesunden und erfrischenden Höhenluft ausruhen dürfen. Dies ist die weite Straße vom Persischen Golf nach Ispahan!
Wenn man einem vernünftigen Mann, der unsere europäischen Begriffe betreffs Wege und Reisen mitbringt, diesen kleinen Trupp Pferde und Maultiere zeigen würde, ihm zeigen würde, wie die Tiere sich anklammern, wie sie an der senkrechten Mauer eines solchen Berges hinaufklettern, so müßte er glauben, irgendeinem phantastischen Hexenritt nach dem Brocken beizuwohnen.
Dies mühsame Klettern, bei dem man sich die Knochen zerschlagen kann, dauert mehr als zwei lange Stunden. Schon allein das Sitzenbleiben im Sattel erfordert unaufhörlich große gymnastische Anstrengungen; unsere Tiere – die übrigens einen seltenen Instinkt und wunderbare Vorsicht an den Tag legen – tasten in der Dunkelheit mit ihren Vorderfüßen umher, tasten über ihren Kopf hinweg, suchen einen Vorsprung, an den sie sich anklammern können, als hätten sie Krallen und ziehen sich dann mit einer geschmeidigen Anstrengung der Schenkel hinauf. Und so sieht uns jede Minute ein kleines Stückchen höher über dem Abgrund schweben, der in der Tiefe gähnt. Die sogenannten Fußpfade, denen wir folgen, steigen in sehr kurzen Zickzacklinien mit scharfen Biegungen hinan, derart, daß sich der eine immer unmittelbar über dem Kopfe des anderen befindet, alle schmiegen wir uns dicht gegen die steile Felswand, und wenn einer der Vordermänner straucheln und in den Schlund hinabstürzen sollte, so würde er die anderen mit sich reißen, und viele würden gleichzeitig verunglücken. Mit all den Steinen, die sich unter unseren Füßen loslösen, und die in dem Maße, wie wir uns von dem gähnenden Schlund dort unten entfernen, immer länger werdende Kaskaden und Lawinen bilden, mit all diesen eisenbeschlagenen Hufen, die über die Steine dahinschrammen, die ausgleiten und wieder Boden fassen, tragen wir einen großen Lärm hinein in das feierliche Schweigen. Wenn in dieser Gegend Räuber auf der Lauer liegen, so müssen sie uns schon von weitem hören können. Meinen Diener, dessen Leben mir anvertraut ist, lasse ich vor mir reiten, um wenigstens sicher zu sein, daß er, so lange ich seine Silhouette sehen kann, nicht mit seinem Pferd hinter meinem Rücken in die tieferliegenden Täler gestürzt ist. Zuweilen strauchelt ein Maultier mit seiner Last und fällt zu Boden, alsbald stoßen unsere Leute lange Warnungsrufe aus, und dann rette sich wer kann: wenn es den Abhang herunterollt und im Fallen alle, die hinter ihm sind, mit fortreißt, dann würde sich eine Lawine bilden, die aus uns, unseren Maultieren und allen unseren Tieren zusammengesetzt wäre.
Die Pfade, von denen wir uns nicht entfernen dürfen, sind im Laufe der Jahrhunderte von nächtlichen Karawanen getreten, sie sind so schmal, daß man sich auf ihnen wie eingeschachtelt in einer Schlitterbahn befindet, zwischen Felsen, die den Reiter an beiden Seiten einzwängen, an denen man sich die Knie wund stößt. Wiederum hat diese schreckliche Treppe zuweilen nicht den geringsten Schutzrand, und dann sieht man lieber gar nicht hinab, denn stockdunkle Schlünde gähnen fast unmittelbar uns zu Füßen, Schlünde, deren Grund jetzt so weit entfernt ist, daß man fast sagen könnte, es sei die unendliche Leere selbst. In dem Maße wie wir vorwärts schreiten, wechselt, verändert sich das Bild unter dem unbestimmten Licht der Sterne; dort öffnen sich riesenhafte Talkessel, mit eingestürzten Seiten, dort ziehen wir an großen überhängenden Steinen vorbei, deren Formen nur undeutlich in der Nacht zu erkennen sind, sie neigen sich vor und scheinen uns zu drohen. Von Zeit zu Zeit erfüllt ein Leichengeruch die glühende, schwere Luft, während eine unbewegliche Masse uns den Weg versperrt: ein Pferd oder Maultier irgendeiner früheren Karawane hat sich das Rückgrat gebrochen, und man hat es hier verwesen lassen; wir müssen darüber hinwegreiten oder einen gefährlichen Umweg wagen.
Zum Schluß unserer zweistündigen Qual erhellt eine große Klarheit den östlichen Himmel. Gottlob, es ist der Mond, der uns aus dieser Finsternis erretten will.
Und wie soll ich die Erlösung beschreiben, die wir empfanden, als wir uns plötzlich von dem großen Schweigen umgeben, auf einem freien leichten Boden wiedersahen! In demselben Augenblick, wo man dem Schwindel der Abgründe, dem Absturz in das schwarze Nichts, wo man dem Ersticken in den Steintälern entflieht, in demselben Augenblick atmet man auch eine reinere, wunderbar frische Luft ein. Man befindet sich auf einer Ebene – einer Ebene, die tausend bis zwölfhundert Meter über dem Meeresspiegel liegt – und an Stelle der Wüste, die wir eben verlassen, erstreckt sich hier das blühende Land, erstrecken sich die Kornfelder, die ungemähten Wiesen mit ihrem wunderbaren Duft. Der Mond, der aufgegangen ist, zeigt uns überall Mohn und Gänseblümchen. Auf breiten Wegen reitet man friedlich über die weiche Erde und über das Gras dahin, begleitet von einer Wolke von Leuchtkäferchen, gleichsam eingehüllt in einen harmlosen Funkenregen. Wir befinden uns hier auf der ersten Stufe, auf der ersten Terrasse Persiens, und wenn wir eine zweite Bergwand überschritten haben werden, die sich dort hinten vom Himmel abhebt, dann haben wir endlich die Hochebene Asiens erreicht. Es ist übrigens eine Erleichterung zu sagen, daß man diese schreckliche Treppe nicht wieder hinabzusteigen braucht, wir werden nämlich auf den besuchteren nördlichen Straßen über Teheran und das Kaspische Meer zurückkehren.
Vor uns hören wir Glockengeläute, die Schellen der Maultiere: eine andere Karawane, die in entgegengesetzter Richtung reist, und die uns jetzt kreuzt. Man hält an, um Worte zu wechseln, um unter dem schönen Mond einander in Augenschein zu nehmen, und der neue Tcharvadar, der herannaht, ruft mit einem Freudenschrei den meinen mit Namen: »Abbas!« Die beiden Männer fallen sich in die Arme und halten sich lange umschlungen: es sind Zwillingsbrüder, die auf den Fahrstraßen als Karawanenführer leben, und die sich scheinbar lange nicht begegnet waren.
Der jetzt eintönige Weg und die vollkommene Sicherheit treiben uns nach so viel gesunder Ermüdung unwiderstehlich dem Schlaf in die Arme, und in der Tat, wir schlafen auf unseren Pferden . . . Zwei Uhr morgens. Mein Tcharvadar kündet Konor-Takté, unser heutiges Nachtquartier, an.
Ein befestigtes Dorf, in einem Wald von Palmen gelegen, die Pforten der Karawanserei, die sich vor uns auftun, und sich hinter unserem Rücken schließen: das alles sehe ich undeutlich, wie im Traum . . . Und dann ist alles erloschen, wir versinken in die Ruhe der Bewußtlosigkeit . . .
Freitag, 20. April.
Ich erwache in dem weißgekalkten Zimmer der Karawanserei von Konor-Takté. Ein Kamin verkündet, daß wir die Regionen der ewigen Hitze verlassen und Gegenden erreicht haben, die sich eines Winters rühmen können.
An der Decke scheinen zahllose kleine rosa Eidechsen zu schlafen, andere spazieren harmlos und zutraulich auf unseren Decken herum. Draußen hört man die Schwalben, die vor Freude jauchzen, wie sie es bei uns zur Zeit des Nistens tun. Durch die Fenster sieht man die Sträucher unserer Gärten, rosa Oleander und blühende Granatbäume, und auch reifes Korn, Felder, die den unseren gleichen. Keine erstickende Schwüle mehr, keine Fieberdünste oder Schwärme giftiger Fliegen; man fühlt sich fast schon befreit von dem verwünschten Golf, man atmet wie in unseren Ländern an einem schönen Frühlingsmorgen.
Um fünf Uhr abends brechen wir auf, nachdem wir einen Teil des Tages geschlafen haben. Wir gebrauchen ungefähr eine Stunde, um das ländliche Gefilde zu durchschreiten, wo die Ernte reif steht, wo Männer und Frauen die Sichel in der Hand, im goldenen Korn zwischen Mohn und Rittersporn die Ähren zu Garben binden; alle Blumen Frankreichs findet man hier plötzlich, tausend Meter über dem Meeresspiegel wieder. Wie eine Leinwand, die im Hintergrunde dies Paradies begrenzt, erhebt sich senkrecht eine zweite Stufe der persischen Mauer, eine Art hoher, dunkler Umzäumung, ein Wall, auf den wir zusteuern, den wir diese Nacht überwinden wollen.
Die Sonne steht schon tief am Himmel, als wir in das Gewirr dieser neuen Mauer, durch blutrote und schwefelgelbe Felsen in einen engen Spalt, der gradeswegs in die Hölle zu führen scheint, eindringen. Und im selben Augenblick umgibt uns eine feindliche, eine wunderbar schreckensreiche Welt, eine Welt, wo keine Pflanze mehr sprießt, sondern wo sich überall große, zerklüftete Steine, von lebhaftem Gelb oder tiefem Rotbraun gefärbt, erheben. Brausend durchschneidet ein Bach diese Landschaft der Schrecken; seine milchigen Gewässer, die mit Salzen durchtränkt und von metallischem Grün gefleckt sind, scheinen ein Gemisch von Seifenschaum und Kupferoxyd. Man hat das Gefühl, daß man hier in die Geheimnisse der mineralischen Welt eindringt, daß man die verschwiegenen Zusammenstellungen erlauscht, die dem organischen Leben vorangehen und es vorbereiten.
Am Ufer dieses vergifteten Flusses, an dem wir zur Stunde des Sonnenunterganges entlang reiten, liegt ein großes, dunkles Dorf, ein Lagerplatz vielmehr, ein Haufen plumper, schwärzlicher Hütten, in deren Umgebung kein Gras, nicht einmal grüne Moose wachsen. Und Frauen treten dort heraus, kommen heran, um uns zu betrachten, sie sehen spöttisch und feindlich gesonnen aus; ein dunkler Schleier verbirgt ihr Haar, sie sind sehr schön, haben freche gemalte Augen, und sind weit brauner, von einem ganz anderen Typus als die hübschen Schnitterinnen der Oase . . . es ist dies unsere erste Begegnung mit den Nomaden, die zu Tausenden im Süden Persiens auf den Hochländern leben, sie sind nicht zu unterjochen, sind Räuber, die mit der Waffe in der Hand die seßhaften Dörfer plündern, die zuweilen stark befestigte Städte belagern.
Es ist die Stunde, wo die Herden heimzukehren pflegen, und von allen Seiten eilen sie dem Nachtlager zu, sie steigen herab aus höheren Zonen, wo man zweifellos bessere Weiden findet; durch verschiedene Spalten in den großen Felsen sehen wir Scharen von Ochsen und Ziegen senkrecht heruntergleiten, sehen sie wie schwarze Bäche hinabrollen. Alles von derselben schwarzen Farbe, die Herden der Nomaden, die Dächer ihrer traurigen Hütten, und die Kleidung ihrer Frauen. Und die Hirten, große, wilde, stolz dreinschauende Gesellen, kehren auch zurück, neben dem Hirtenstab tragen sie über der Schulter ein Gewehr und am Gürtel Säbel und Hirschfänger. In der Dämmerung, am Ufer dieses schreckeneinflößenden Flusses, in einem schmalen, von Felsen überdachten Tal, stoßen wir auf alle diese Menschen und Tiere, einen Augenblick gerät unsere Karawane in Unordnung, und eins unserer Maultiere, das ein Stier mit den Hörnern gestoßen hat, wirft sich mit seiner Last zu Boden.
Die Nacht findet uns in einer wilden Gegend wieder, sie ist noch schrecklicher als gestern, erscheint noch gefährlicher, weil sich das Chaos immer von neuem ändert. Überall sieht man frische Felsstürze, sieht man Querrisse, die sich erst kürzlich gebildet haben. Und zuweilen schweben über unseren Köpfen große Steinblöcke, von denen man annehmen kann, daß sie am Vorabend losgelöst und irgendwie im vollen Lauf aufgehalten sind; ohne ein Wort zu sagen, deutet der Tcharvadar mit erhobenem Finger darauf hin, und indem wir unseren Schritt verlangsamen und ein unwillkürliches Schweigen beobachten, reiten wir an den drohenden Gestaltungen vorbei.
Wir steigen immer weiter aufwärts an dem Lauf der Bäche, der Wasserfälle entlang, die ein Längsbett gegraben haben, zuweilen aber benützen wir auch die von den Karawanen ausgetretenen Pfade. Unaufhaltsam hören wir in der zunehmenden Dunkelheit der Nacht das Wasser unter den lärmenden Hufen unserer Tiere plätschern; und dazwischen tönt das heisere Gequake der sich anrufenden Frösche. Vergebens sucht man den Schritten des Hintermannes zu folgen, inmitten dieser gewaltigen Steine verliert man sich immer wieder aus dem Auge.
Eine Sternennacht, aber vor allem ist es die seltsam glänzende Venus, die getreulich ihr sanftes Licht auf uns herniederstrahlt. Um Mitternacht hatten wir schon eine beträchtliche Höhe erreicht, und auf unbestimmten, überhängenden Pfaden, die so glatt wie Glas sind, reiten wir unmittelbar am Saume, ganz am Rande der Abgründe dahin.
Und zum Schluß stehen wir am Fuße eines senkrechten Berges, ähnlich dem, den wir gestern kennenlernten, dieselben schrecklichen kleinen Zickzacktreppen, dieselben schwankenden Stufen. Unsere Pferde stehen auf den Hinterbeinen, klammern sich wie die Ziegen an das Gestein an, von neuem müssen wir länger als eine Stunde die schwindelnden Kletterversuche, den unwahrscheinlichen Ritt nach dem Brocken wagen, es geht mitten durch den Gestank der verwesten Maultiere hindurch, die längs der Mauer aufgeschichtet liegen.
Wie gestern haben wir auch heute die Freude der plötzlichen Ankunft auf dem Gipfel, die Freude, ganz unerwartet eine Ebene, Land und Weiden wiederzufinden. Wir sind seit der vorhergehenden Etappe ungefähr sechshundert Meter höher gestiegen, und zum erstenmal seit dem Aufbruch erquickt uns eine wirkliche Frische, eine himmlisch labende Ruhe.
Aber heute ist die Ebene nur eine lange Terrasse, am Fuße der dritten Bergstufe gelegen, die man hier ganz in der Nähe sieht; eine lange Terrasse, eigentlich nur ein Balkon, dessen Tiefe kaum mehr als eine halbe Meile beträgt; irgendein Riß, wie ihn die geologischen Stürme gebildet haben; allmählich hat sich dort Dünger angesammelt, und so ist hier im Laufe der Jahre ein hängender Garten, ein kleines von der übrigen Welt abgeschiedenes Arkadien entstanden. Wir reiten durch die Mohngefilde dahin, deren Blüten sich während der Nacht zu großen, weißseidenen Kelchen erschlossen haben, wir streifen die Kornfelder, die Sonne hat die Ähren noch nicht gereift wie dort unten, und am Tage müssen sie in wunderbarem Grün aufleuchten.
Nach einstündigem, friedlichen Ritt erscheinen Lichter zwischen den Bäumen, und in der Ferne bellen die Wachthunde: es ist Konoridjé, das Dorf, wo wir die Nacht beschließen werden; bald unterscheidet man zwischen den schönen Datteln, die es beschatten, die kleine Moschee, die vielen weißen Terrassen, die in dem Sternenlicht bläulich leuchten. Hier muß ein nächtliches Fest gefeiert werden, denn man hört jetzt Trommeln und Pfeifen und von Zeit zu Zeit den Freudenschrei einer Frau, der ebenso gellend ist wie der Schrei der Mauren in Algier . . .
Es ist mir nicht möglich zu sagen, welch ein Reiz des Orients und der Vergangenheit dies kleine einsam gelegene Land erfüllt und es jetzt um Mitternacht, wo wir uns seinen hohen Palmen nähern, mit jenen alten, kindlichen Melodien durchflutet. Aber mein Diener, ein Matrose, der keine bilderreichen Gleichnisse kennt, und der die Wörter immer nur in ihrer absoluten Bedeutung gebraucht, drückt mir sein schüchternes Entzücken in den ganz einfachen Sätzen aus: »Das Dorf hat eine Luft, . . . eine verzauberte Luft!«
Sonnabend, 21. April.
Beim strahlenden Sonnenaufgang hört man das jauchzende Konzert der Schwalben, Spatzen und Lerchen. Ganz klar ist der Himmel, ganz klar liegt die weite Ferne da, in dem Dorf und in den Feldern herrscht eine paradiesische Ruhe. Man befindet sich hier fünfzehn- bis achtzehnhundert Meter über dem Meeresspiegel, in einer so reinen Luft, daß man sich wie durchflutet fühlt von neuem Leben und neuer Jugend. Und es ist wie ein Zauber aufzuwachen und ins Freie zu gehen.
Über dem Lehmschuppen, wo unsere Maultiere mit unserm Vieh zusammengepfercht stehen, haben wir in dem einzigen hohen Zimmer geschlafen – natürlich auch zwischen Lehmwänden – und heute morgen bieten uns die Dächer der Karawanserei, die wie eine Wiese mit Gras bewachsen sind, einen herrlichen Spazierplatz.
Auf den benachbarten Dächern, wo gleichfalls Gras wächst, haben Männer sich niedergeworfen, um zu dieser Stunde ihr erstes Tagesgebet zu sprechen, mit ihren langen, in der Taille einschneidenden Gewändern, ihren wallenden Ärmeln und ihren tiaraförmigen Hüten, gleichen sie in ihren bescheidenen Kleidern den Silhouetten der Weisen aus dem Morgenlande. Hinter den kleinen Häusern, mit den dicken Mauern und spitzbogigen Türen, sieht man weit in die ruhige, abgeschlossene Ebene hinein, man sieht die grüne Fläche des Getreides, in die einige blühende Mohnfelder ihre weißen Linien ziehen – und immer sieht man die Bergkette Irans, die in dem Maße, wie wir steigen, sich zu vergrößern, in den Himmel zu wachsen, stets neue Steinschichten vor uns aufzutürmen scheint.
Karawanen, die die ganze Nacht gereist sind, nähern sich, sie kommen von Chiraz herab oder steigen wie wir von Bender-Bouchir auf. Das Geläute der Maultierglöckchen, das von verschiedenen Seiten ertönt, fällt in das Morgenständchen der Vögel ein. Die Hirten treiben die Herden schwarzer Ziegen dem Berge zu. Auf den Dorfstraßen galoppieren geschmeidige, bärtige Reiter, sie sind mit langen, altmodischen Steinschloßgewehren bewaffnet. Das Leben spielt sich hier ab wie in vergangenen Zeiten. Dies kleine, verlorene Land, das in erster Linie von der glühenden Wüste, dann von zwei bis drei Terrassen mit ihren Abgründen und schließlich von den wilden Bergen beschirmt ist, dies kleine Land hat sich eine glückliche Unveränderlichkeit bewahrt.
Ach! die Ruhe, die dort herrscht! Und der Gegensatz zu Indien, das wir soeben verlassen haben, zu dem armen, entweihten, geplünderten Indien mit seinem manufakturellen Betrieb, wo schon die schreckliche Ansteckung der Fabriken und der Eisenwerke wütet, wo schon die Bevölkerung der Städte kriecht und leidet unter dem Peitschenhieb dieser aufgeregten Herren des Westens, mit ihren Korkhelmen und »kakifarbenen Anzügen«! Unter dem schönen goldenen Licht verlassen wir um die fünfte Stunde nachmittags das verzauberte Dorf, um auf die im Hintergrund gelegenen Berge zuzureiten. Wir durchschneiden die friedliche, ländliche Hochfläche, die von allen Seiten eingeschlossen erscheint.
In dem Augenblick, wo wir uns in die Schluchten begeben, um noch eine Stufe höher zu gelangen, geht die Sonne für uns unter, aber die uns umgebenden Gipfel leuchten weiter in seltsamem Rosa. Und dort, um den Eingang zu bewachen, ragt ein altes Kastell mit Mauern und Zinnen auf, und auf allen Türmen stehen Wächter in langen persischen Gewändern: es erinnert an irgendein Bild aus der Zeit der Kreuzzüge.
Weniger schroff, als in den letzten Nächten, ist diesmal der Hohlweg. Zwischen den mit Bäumen, Gras und Blumen bewachsenen Felswänden steigt unser Pfad weder zu steil noch gar zu gefährlich an.
Und so erreichen wir bald ohne große Schwierigkeiten eine ungeheure Hochfläche, deren Luft gesättigt ist von dem Duft des Heues. Bis jetzt waren wir dieser wirklichen Frische, die man hier einatmet, noch nicht begegnet, aber wir kennen sie daheim an schönen Maienabenden. Man sollte glauben, daß man sich auf diesem Weg, der seit unserem Aufbruch ununterbrochen ansteigt, in Riesenschritten dem Norden näherte. Wir reiten ganze vier Stunden durch diese Ebene, bevor wir die Etappe erreichen, und nach dem Chaos von Steinen, mit denen man sich die letzten Abende hat herumschlagen müssen, ist es jetzt eine Überraschung, bequeme Wege zu betreten, zwischen rosa blühendem Klee und Windhafer dahinzuwandeln. Als aber die Nacht vollständig hereingebrochen ist, erwacht doch allmählich das Gefühl in uns, daß wir uns in einer großen Einsamkeit befinden. In Europa gibt es keine Strecken, wo meilenweit soviel leerer Raum und soviel Schweigen herrscht, – und plötzlich fällt es uns ein, daß dieser Platz übel berüchtigt ist.
Neun Uhr abends. Unwillkürlich fühlt man nach dem Revolver: fünf mit Gewehren bewaffnete Leute, die im Gras am Grabenrand lagerten, erheben sich und umzingeln uns. Nach ihrer Aussage sind es ehrliche Wächter, die von Kazeroun, dem nächsten Dorfe, ausgeschickt sind, um die Reisenden zu beschützen. Seit längerer Zeit, so erzählen sie uns, werden die Karawanen geplündert, und sechs Maultiertreiber wurden in der vorigen Nacht an dieser Stelle überfallen. Deshalb werden sie uns jetzt auf höheren Befehl zwei bis drei Meilen weit begleiten.
Dies erscheint ein wenig verdächtig, auch leuchten die Sterne nicht genug, um ihre Gesichter erkennen zu können. Da sie aber doch mehr wie gutmütige Kerle aussehen, so nehmen wir ihr Anerbieten, uns zu begleiten, an; sie zu Fuß, wir langsam reitend zu Pferde; man raucht zu zweien dieselbe Zigarette, was hierzulande eine Höflichkeitsform bedeutet, und man schwatzt.
Anderthalb Stunden später tauchen fünf ähnlich bewaffnete Männer, die im Hinterhalt lagen, zwischen dem hohen Gras auf und gehen auf uns zu. Es sind also wirklich Wächter, und wir sollten jetzt unsere Begleitung wechseln. Die ersten fordern jeder 2 CransDer Cran ist ein Geldstück ungefähr von dem Wert eines Frank. Es ist das einzige gebräuchliche Geldstück in Persien, und da man mehrere Tausend davon mit sich führen muß, ist das eine der Widerwärtigkeiten und der Gefahren der Reise. als Bezahlung, vertrauen uns der Fürsorge der anderen an und ziehen sich dann unter tiefen Verbeugungen zurück.
Von Zeit zu Zeit durchschneidet ein lustig fließendes Bächlein den unbestimmten Pfad, dem wir in dem hohen Gras zu folgen versuchen, dann hält man an, befreit die Pferde oder Maultiere von der Trense und läßt sie trinken.
Ungezählte Sterne stehen am Himmel, und überall fliegen die Leuchtkäferchen, von denen die Luft erfüllt ist, umher; so ähnlich sehen sie einem Funkenregen, daß man fast erstaunt ist, nicht das leise Knattern des Feuers zu hören.
Wir reiten in einer langen Reihe durch den weißen Mohn, dessen große Blumen uns streifen; es ist fast Mitternacht, da sehen wir ganz in der Ferne einige Lichter, später riesengroße, eingezäunte Gärten auftauchen, endlich haben wir Kazeroun erreicht. Und wir begrüßen die ersten Pappeln, deren hohe Stämme sich weithin erkennbar von dem nächtlichen Himmel abheben, sie künden uns die wirklich gemäßigten Zonen an, in denen wir jetzt atmen dürfen.
Von nun an führen die Karawansereien den Namen Garten; und in diesen paradiesischen Gegenden des immer schönen Wetters sind es in der Tat Gärten, die man den Reisenden bietet, um sich dort auszuruhen.
Eine große, spitzbogige Pforte gewährt uns Einlaß zu einem eingemauerten Gehölz, das für die Nacht unser Ruheplatz sein wird; es ist fast ein Wald, mit geraden Alleen aus blühenden Orangebäumen, sofort berauscht uns der starke Duft. Im Vordergrund sitzen die Karawanenreisenden in Gruppen zerstreut auf den Teppichen und kochen über einem Reisigfeuer ihren Tee, und weit im Hintergrunde verlieren sich die Alleen im Dunkel.
Der Wirt hält es indessen nicht für richtig, daß die Europäer wie die Eingeborenen im Freien unter den Orangenbäumen schlafen, er hat deshalb unsere Feldbetten in ein kleines Zimmer über dem großen Spitzbogen des Einganges bringen lassen, und dort übermannt uns sofort der Schlaf.
Sonntag, 22. April.
Das kleine Zimmer war wie alle Zimmer der Karawansereien vollständig leer, und eine unbeschreibliche Unsauberkeit herrschte dort. Die aufgehende Sonne zeigt uns die Lehmwände, die der Rauch geschwärzt hat, und die mit langen persischen Inschriften übersät sind. Den Fußboden bedeckten alte Salatblätter, Kehrricht, Unflat, Eulenfedern und Schmutz. Aber durch die Risse des Daches, wo das Gras sprießt, dringen die goldenen Strahlen der Sonne, die Düfte der Orangenbäume, das Morgenständchen der Schwalben. Drum einerlei, wie auch das Lager aussehen mag, wir können sogleich hinabsteigen, können in all die Pracht hinausfliehen.
Unten strahlt das wunderbare Gehölz in hellstem Morgenschein wieder, darüber spannt sich ein unvergleichbarer Himmel, der durchzittert ist von dem jauchzenden Lied der Schwalben. Man atmet eine feuchte, belebende, schmeichelnde Luft ein. Die großen Orangenbäume mit dem dichten Laub werfen einen blau-schwarzen Schatten auf den Boden, der von ihren Blumen übersät ist. Alle Karawanenreisenden, die über Nacht in den Alleen geschlafen haben, wachen voller Wohlbehagen auf, bleiben aber noch auf ihren schönen Teppichen aus Yezd oder Chiraz liegen, denn sie werden wie wir erst bei Sonnenuntergang aufbrechen; wir sind also darauf angewiesen, in diesem wunderbar frischen Gehege, das den Gasthof darstellt, den Nachmittag zusammen zu verbringen und Bekanntschaft zu machen.
Bald kommen aus der Stadt die Bäcker und Teekocher hierher. Sie stellen ihre Samowars, ihre winzigen, vergoldeten Tassen im Schatten auf und machen sich dann daran, ihre langohrigen »Kalyans«, die persischen Pfeifen, deren Rauch einen einschläfernden Duft verbreitet, in Ordnung zu bringen.
Und während unsere Pferde und Maultiere ringsumher friedlich grasen, schwindet der Tag für uns und für unsere zufälligen Reisegefährten in einer einzigen großen Ruhe dahin. Unter den schattenden Zweigen der Bäume rauchen wir, verträumen wir im Halbschlaf die Zeit, bieten wir uns gegenseitig in ganz kleinen Tassen den sehr süßen Tee, das ständige Getränk der Perser, an.
Von einem ganz eigenartigen Zauber ist der Friede, der um die Mittagsstunde herrscht, unter den Orangenbäumen wohnt auch dann noch die grüne Dämmerung, aber draußen funkelt und brennt die Sonne und überflutet mit ihrem Feuer die ausgedörrten Berge, zwischen denen Kazeroun eingeschlossen liegt.
Die Mitglieder meiner kleinen Karawane lernen sich jetzt allmählich näher kennen, mein Tcharvadar Abbas und sein Bruder Ali sind meine Kameraden geworden, die mir bei der Kalyan Gesellschaft leisten, und mit denen sich gut plaudern läßt; alles erscheint so viel leichter, das abendliche Aufladen, die Anordnungen vor dem Aufbruch, und kaum denkbar ist es, wie schnell man sich an das gesunde Wanderleben, sogar an die elenden, immer neuen Nachtquartiere gewöhnt, die man stets erst mitten in der Nacht schlaftrunken erreicht
Um vier Uhr treffen wir in aller Ruhe unsere Vorbereitung zum Aufbruch. Zwei bis drei Männer, die auf der Erde hocken und ihre Kalyan rauchen, zwei bis drei neugierige kleine Kinder, ungezählte fröhliche Schwalben, das sind unsere Zuschauer. Der Räuber wegen stellt das Oberhaupt des Landes uns vier stark bewaffnete Männer als Schutz, sie geben uns das Geleite, und so reiten wir hintereinander in einer langen Reihe unter dem schwarzen, verfallenen Spitzbogen hindurch, der die Pforte zu diesem zauberhaften Garten bildet.
Wir müssen zuerst Kazeroun durchqueren, das wir gestern abend noch nicht gesehen haben. Eine kleine Stadt, aus alten Zeiten; umgeben von Pappeln und grünen Palmen, lebt sie unverändert weiter. Zwischen den hohen, blühenden Gräsern tummelt sich gleich am Eingang eine Schar von Kindern – ganz kleine Knaben, die schon die langen Gewänder und hohen schwarzen Hüte der Männer tragen – sie spielen mit ihren Ziegen und wälzen sich in dem Windhafer und zwischen den Gänseblümchen umher. Die Kuppeln einiger bescheidener weißer Moscheen ragen hervor. Man sieht die fest verschlossenen Häuser, auf deren Dächern und Terrassen Gras und Blumen so üppig sprießen wie in den Wiesen. Das Ganze aber wird beherrscht von den Gärten, den Orangewäldern, die von hohen, eifersüchtig schirmenden Mauern mit den alten spitzbogigen Türen umschlossen sind. Schöne bewaffnete Reiter tummeln ihre Pferde auf den Straßen. Aber die Frauen gleichen geheimnisvoll in Trauer gekleideten Schatten, der schwarze Schleier, der sowohl ihr Gesicht wie auch ihren Körper verhüllt, zeigt kaum die immer grüne oder gelbe Pluderhose, und die gleichfarbigen Strümpfe, die oft sehr stramm über den zarten Knöchel gezogen sind. Wir hatten bis dahin nur die Bäuerinnen mit den unverschleierten Gesichtern kennengelernt, es ist das erstemal, daß wir in eine Stadt gelangen, wo sich uns Städter von einem gewissen eleganten Anstrich zeigen.
Auf der Erde befinden sich noch Plätze, die keinen Rauch, keine Maschinen, keinen Dampf, keine Hast, die keine Eisenwerke kennen. Und von allen Winkeln der Welt, die die Geißel des Fortschrittes verschont hat, kann gerade Persien sich rühmen, die schönsten zu besitzen – wenigstens will es uns Europäern so scheinen –, denn die Bäume, die Pflanzen, die Vögel und der Frühling tragen dort dieselbe Gestalt wie bei uns, man glaubt kaum in der Fremde zu sein, fühlt sich vielmehr in der Zahl der Jahre zurückversetzt.
Nachdem wir die letzten Gärten Kazerouns hinter uns gelassen haben, reiten wir zwei Stunden schweigend durch eine seltsam fruchtbare und frische Ebene. Gerste, Roggen, Weizen, grüne Weiden, erinnern in ihrer Üppigkeit an »das Land der Verheißung«, und ein süßer Duft von Heu und Kräutern durchschwängert die stille Abendluft . . .
Wir vergessen die Höhe, in der wir uns befinden, als die Felsen sich plötzlich zu unserer Rechten auftun. Unter uns liegt eine andere weite Ebene mit einem wundervoll saphirblauen See, das Ganze wird eingeschlossen von Bergen, die weniger drohend sind, als die der letzten Tage; sie erinnern an die wildesten Partien unserer Pyrenäen.
In diesen See verliert sich der Fluß, der aus Ispahan kommt; als wolle er die Stadt der alten Herrlichkeiten noch mehr von allem Leben absondern, ergießt er sich in keinen Strom, mündet er in kein Meer, sondern erlischt hier in diesem Gewässer, das ohne Abfluß ist, dessen Ufer nicht bewohnt sind.
Von einer ziemlichen Höhe aus beherrschen wir den See und die Ebene, obgleich auch diese zweifellos ungefähr zweitausend Meter über dem Meeresspiegel gelegen sind. Und ein seltsam schwarzes Knäuel hebt sich von den Weiden ab; von hier oben aus gesehen, könnte man zuerst annehmen, daß es ein vorüberziehender Insektenschwarm sei, aber es sind Nomaden, die sich dort zu Legionen mit ihrem Vieh eingefunden haben. Wie immer, schwarze Kleider, schwarze Zelte, schwarze Herden: Tausende von Schafen und Ziegen, aus deren Wolle man die persischen Teppiche, die ungezählten Decken, Säcke, Quersäcke und Lagergegenstände webt. Jedes Jahr im April findet eine große Völkerwanderung aller Nomadenstämme nach den hochgelegenen weidenreichen Ebenen des Nordens statt, und erst im Herbst steigen die Hirten wieder zu den Ufern des Persischen Golfs hinunter. Ihre gemeinsame Bewegung hat jetzt begonnen; mein Tcharvadar kündet mir an, daß ihr Vortrab schon in den Schlünden, die nach Chiraz zu hinaufführen, uns voraufgeht, und daß wir uns darauf gefaßt machen müssen, morgen mit ihnen zusammenzustoßen: es sollen übrigens böse Gesellen sein, und übel kann man mit ihnen aneinandergeraten.
Die Nacht bricht herein, und von neuem müssen wir uns zwischen den Felsen einen Weg suchen, der uns sechs- bis achthundert Meter höher hinaufführen soll, wo die nächste Etappe gelegen ist. Von unten aus der Ebene, die heute von den vielen weidenden Tieren, den vielen wilden Hirten überflutet ist, dringt das Geräusch eines lauten primitiven Lebens zu uns herauf; man hört die Tiere blöken, brüllen, wiehern, hört die Hunde heulen, und auch die Männer senden ihre lauten Rufe und Befehle in die Nacht hinein, oder aber sie schreien nur, schreien wie Tiere, aus lauter Lebenslust und Lebensübermut, ohne Ziel und ohne Zweck. Die Luft, die in dem Maße hellklingender wird, wie die Dämmerung zunimmt, ist durchzittert von dieser furchtbaren Symphonie.
Überall werden in der Ferne, in den Biwaks der Nomaden Holzfeuer angezündet, sie verraten uns in diesen vielen Schlünden, auf diesen vielen Hochebenen die Gegenwart von Menschen, die man hier nicht vermutete. Wir ziehen mitten durch die Planetenbahn der wandernden Stämme hindurch, und als wir zum letztenmal hinabsehen, einen Blick auf die Ebene und den dunklen See werfen, da leuchten uns ungezählte Feuer entgegen, und man könnte glauben, dort unten läge eine nimmer endende Stadt.
Sobald wir aber wirklich in dem nächtlichen Engpaß vordringen, gibt es weder Lichter noch Stimmen, noch sonst etwas. Die Nomaden sind noch nicht angelangt, und wir haben unsere gewohnte Einsamkeit wiedergefunden. Über unseren Häuptern erheben sich seltsam durchlöcherte Felsen, die versteinerten Blumen, Sternkorallen oder riesenhaft großen, schwarzen Schwämmen ähneln. Und von neuem beginnt das verwegene Klettern der letzten Nächte, der fast senkrechte Aufstieg inmitten der bröckelnden Felswände. Zwei Stunden turnen unsere Pferde und Maultiere fast aufrechtstehend die Treppen über den Abgründen hinan; wieder hört man auf den sich loslösenden Steinen das Schrammen der beschädigten Hufe, die sich an jedem Vorsprung anzuklammern versuchen – und wir sind dem ewigen Stoßen, dem ewigen »Schenkelanziehen« des Tieres ausgesetzt, wenn es sich mit den Vorderfüßen hochzieht, in beständiger Angst, herabzugleiten, zurückzurollen, in den Abgrund hinunterzustürzen. Endlich, um zehn Uhr, werden wir am Eingange zu einem wiesenreichen Tal, mit seinem sanft sich neigenden Abhang von allen Strapazen erlöst. Hier liegt eine kleine, viereckige Festung, in der ein Licht scheint. Es ist der Stand für die wachhabenden Soldaten, die den Räubern und Nomaden wehren sollen. Man macht halt, und man tritt ein, besonders da hier die berittene Begleitmannschaft zu wechseln ist; wir lassen unsere vier Leute, die uns in Kazeroun gestellt wurden, zurück und ersetzen sie durch vier andere ausgeruhte und frische Kräfte.
Im Innern dieser einsamen Festung wurde ein fröhlicher Abend gefeiert. Um den kochenden Samowar gruppiert, sang man Lieder und rauchte, und sobald wir eintreten, reicht man uns in winzigen Tassen Tee. Drei Reisende, drei Reiter mit langen Gewehren, sitzen dort, sie wollen wie wir nach Chiraz, und bieten uns ihre Begleitung an, und so brechen wir in einem großen Trupp auf.
Nach dem schrecklichen Gewirr, dem wir kaum entronnen sind, ist ein Ritt in diesem neuen Tal, auf einem gleichmäßigen, mit Blumen übersäten Boden eine wahre Wohltat. Man könnte fast glauben, daß man sich auf dieser leicht ansteigenden Fläche einem verzauberten Schlosse näherte, so wunderbar ist der Weg inmitten des großen Schweigens der Nacht, er gleicht einer Allee, die man für die Promenaden der Märchenprinzessinnen gepflanzt hat, einer Allee, eingeschlossen von buntblühenden Felswänden. Es stehen auch Bäume dort, die in der Dunkelheit unseren Eichen ähnlich sehen; riesenhaft große Bäume, seit Jahrhunderten müssen sie dort wachsen. Aber bescheiden stehen sie in großen Abständen auf dem Rasen, oder bilden vereinzelte Gruppen, die in ihren Umrissen künstlerisch schön wirken. Auf dem dichten grünen Teppich hört man nicht mehr den Schritt der Karawane. Von rechts, von links, von den Wipfeln der Bäume senden die Sumpfeulen uns vereinzelte kleine Töne herab, Töne, wie sie eine Schilfflöte hervorzuzaubern vermag. Es wird kühl, immer kühler, fast ist der Temperaturwechsel zu empfindlich für uns, die wir kaum den heißen Regionen dort unten entstiegen sind, aber es erfrischt und verscheucht die Müdigkeit. Und übervoll weißblühende Sträucher durchschwängern die Luft mit ihrem süßen Duft. Aber höher als all dieses stehen die Sterne, sie feiern ein großes, schweigendes Fest und entfalten eine große, glitzernde Pracht. Und alsbald beginnt der Regen der Meteore, sie erscheinen weit leuchtender als sonst, wahrscheinlich, weil wir hier dem Himmel näher sind, und gleichen kleinen Blitzen, die eine bleibende Bahn hinterlassen, und manchmal, wenn sie vorüberschießen, glaubt man, das Geknatter von Gewehrfeuer zu hören.
Von all den Gegenden, durch die wir mitten in der Nacht geritten sind, und die wir niemals am folgenden Morgen wiedersehen, die wir uns niemals bei hellem Tageslicht vorstellen konnten, gleicht auch nicht eine der heutigen; noch nirgends sind wir einem solchen Frieden begegnet, nirgends hat das Geheimnisvolle eine ähnliche Gestalt angenommen . . . Die Majestät der großen Bäume, die kein Windhauch bewegt, das nimmer endende Tal, die bläuliche Durchsichtigkeit der Nebel flüstert unserer Einbildungskraft leise einen Traum des griechischen Heidentums zu: Hier mußte die Heimat der seligen Schatten gewesen sein, und in dem Maße, wie die Stunden verrinnen, werden die elysäischen Gefilde, die finster schweigenden Wälder heraufbeschworen, in denen nur die Toten ihre Zwiegespräche halten.
Aber um Mitternacht zerreißt plötzlich der Zauber; von neuem versperren wild zerklüftete Berge unseren Weg, und ein kleines Licht, das man kaum dort oben unterscheiden kann, zeigt uns die Karawanserei, die es zu erreichen gilt. Wieder beginnt das waghalsige Klettern unter dem ohrenbetäubenden Lärm der Steine, die sich loslösen, die abbröckeln und herniederrollen, wieder muß man all die Erschütterungen, all die Stöße auf den unermüdlichen Tieren erdulden, Schritt für Schritt tasten diese sich vorwärts, gleiten oft mit allen vieren aus, aber stürzen eigentlich nie ganz zu Boden.
Steigen, immer höher steigen. Seit unserer Abreise sind wir scheinbar auch zuweilen abwärts gestiegen, denn sonst würden wir uns jetzt fünf- bis sechstausend Meter über dem Meeresspiegel befinden, und ich schätze, daß wir höchstens dreitausend Meter erreicht haben.
Das Nachtquartier nennt sich diesmal Myan-Kotal, es ist kein Dorf, nur eine Festung, die, wie ein Adlernest auf einer einsamen Bergspitze errichtet ist; den Reisenden und deren Tieren bietet sie zwischen ihren dicken Mauern einen sicheren Schutz gegen die Räuber, das ist aber auch alles.
Wir dringen durch eine Pforte, die sich unmittelbar hinter uns schließt, in die mit Zinnen versehene Festung ein; überall liegen Pferde, Maultiere, Kamele, Karawanensäcke bunt durcheinander. Und von all den aus Lehm erbauten Nischen, die die Zimmer der Karawanserei vorstellen, ist nur noch eine einzige frei; diesmal müssen wir also mit den Leuten schlafen, wir haben nicht einmal so viel Platz, um unsere Feldbetten aufzuschlagen; übrigens ist es uns ganz gleichgültig, in aller Eile strecken wir uns der Länge nach auf der Erde aus, schieben einen Ballen unter den Kopf, decken uns warm zu, denn die Luft ist eisig, und liegen mit Ali, Abbas und mit den persischen Dienern durcheinandergewürfelt zusammen. Sofort überschleicht uns eine unwiderstehbare Müdigkeit und trägt uns alle in die Bewußtlosigkeit des Schlafes hinüber.
Montag, 23. April.
In diese kleine, niedrige, von Rauch geschwärzte Grotte, wo wir wie tot daliegen, sickern schon lange die Sonnenstrahlen durch Löcher und Mauerrisse hinein, ohne daß jemand von uns sich gerührt hätte. Wie durch einen Nebel hören wir die uns schon vertrauten Laute: in dem Hof den Lärm der aufbrechenden Karawanen, die mit geschlossenem Munde ausgestoßenen Rufe der Maultiertreiber, und auf den Mauern das Morgenständchen der Schwalben, – das diesmal unzählige kleine Kehlen in jubelnder Lebensfreude in die Lüfte schmettern. Wir aber liegen an derselben Stelle, auf der wir gestern niederfielen, regungslos ausgestreckt da, eine seltsame Erstarrung hält uns gefangen.
Aber nachdem wir endlich unsere Behausung verlassen haben, erfüllt uns der erste Anblick, der sich uns bietet, mit Bestürzung und Schwindel. Wir waren ja mitten in der Nacht angekommen, und konnten deshalb etwas Derartiges nicht vermuten. Die Luftschiffer, die nach einem nächtlichen Aufstieg früh morgens erwachen, müssen eine ähnliche überwältigende und fast erschreckende Überraschung empfinden.
In unserer Umgebung ist nichts, was die unendliche Ausdehnung der Dinge unseren Blicken verbergen könnte. Wir brauchen nur die Augen zu öffnen, um uns der schwindelnden Höhe bewußt zu werden, zu der uns unser ansteigender Ritt durch die vielen Hohlwege, an den vielen Schlünden vorbei, und während so vieler Nächte, geführt hat; wir haben in einem Adlernest geschlafen, denn wir beherrschen die Erde. Zu unseren Füßen neigen sich ungezählte Gipfel – einst wurden sie alle von den kosmischen Stürmen nach ein und derselben Richtung gebeugt. Ein grelles, allbeherrschendes, ein schreckliches Licht fällt von einem Himmel herab, der sich noch nie zuvor so tief geoffenbart hat; es überflutet die vielen sich neigenden Berge, und mit der gleichen Deutlichkeit, so weit das Auge auch reicht, hebt es die einzelnen Formen der Felsen, die ungeheuren Kämme hervor. Zusammen, und von dieser Höhe aus gesehen, scheinen die scharfen und wie vom Winde gebeugten Gipfel in ein und derselben Richtung zu fliehen, sie gleichen einer riesengroßen Welle, die auf ein Meer von Steinen gehoben ist, und so täuschend ist diese Bewegung nachgeahmt, daß man sich fast von so viel Ruhe und Schweigen verwirrt fühlt. – Aber seit hundert, seit hunderttausenden von Jahren weht dieser Sturm nicht mehr, braust er nicht mehr, ist er erstarrt. – Und nirgends sieht man ein Zeichen von Leben, keine menschliche Spur, nichts, was Wald oder Gras verkünden könnte, einsam stehen die Felsen hier und herrschen, und wir schauen auf den Tod herab, aber der Tod ist voller Liebe und Glanz . . .
Jetzt liegt die Festung schweigend da, die andern Karawanen sind aufgebrochen, und sie erscheint fast ganz verlassen. In einem Winkel des von Mauern umgegebenen Hofes, wo nur unser Geschirr und Gepäck liegt, sitzen die Wächter der Festung, zwei Männer in langen Kleidern, sie rauchen schweigend ihre Kalyan, haben die Augen zu Boden gesenkt und sind unempfänglich für diese erhabene Aussicht, die sie nicht mehr zu sehen vermögen. Würden die Schwalben nicht singen, man hörte in dieser großen, schallempfindlichen Leere nicht den geringsten Laut.
Alles in dieser hochgelegenen Karawanserei ist derb, rauh und verwittert; die bröckelnden Mauern sind fünf bis sechs Fuß dick, die alten gespaltenen Türen haben Eisenbeschläge und armdicke Riegel, sie erzählen von Belagerung und Verteidigungen. – Außerdem befindet sich hier eine seltsame Schwalbenstadt: an allen Dächern, allen Gesimsen entlang bilden die sich aneinanderreihenden Nester wirkliche kleine Straßen; sie sind alle fest verschlossen und haben nur eine winzige Tür. Und da es die Jahreszeit des Ausbesserns, des Brütens ist, sind die kleinen Tiere sehr beschäftigt, jedes fliegt schnurgerade, ohne sich zu täuschen, in sein eigenes Haus, – das nicht einmal mit einer Nummer versehen ist.
Die immer tote Mittagsstunde führt uns wilde Gesellen, stark bewaffnete Reiter zu. Reisende, die im Vorübergehen in der Festung haltmachen, um sich einen Augenblick im Schatten auszuruhen und zu rauchen. Ganz in unserer Nähe unter den Steinbogen lassen sie sich mit tiefen Verbeugungen nieder. Schwarze Hüte, schwarze Bärte, dunkle assyrische Gesichter, die der Wind der Berge gebräunt hat, lange, blaue Kleider, ein Patronengürtel, der um die Hüften geschlungen ist. Sie riechen nach wilden Tieren und nach Wüstenminze. Auf wunderbare Teppiche, die sie unter den Sattel ihrer Pferde geschnallt hatten, setzen oder legen sie sich; wie sie uns erzählen, sind es die Frauen, die die Wolle also zu färben und zu weben wissen, – die Frauen dieses hochgelegenen, ein wenig phantastischen Chiraz, das wir wahrscheinlich morgen abend endlich erreichen werden . . .
Und bald hüllt uns der einschläfernde Rauch der Kalyans ein und steigt in die frischen reinen Lüfte der Gipfel. Mitten im Hof, in dem leeren Viereck, das die Sonne überflutet, schwirren die Schwalben hin und her, ihre kleinen schnellen Schatten zeichnen Tausende von Hieroglyphen auf den weißen Boden. Unter uns aber liegt immer noch der Schwindel der Gipfel, die riesengroße, versteinerte Welle, die noch in Bewegung zu sein, die noch zu fliehen scheint . . .
Um vier Uhr wollen wir aufbrechen, aber wo in aller Welt ist Abbas? Er wollte unsere Tiere holen, die zwischen den Felsen weideten, und er kommt nicht wieder zum Vorschein. Man wird unruhig, alle meine Leute suchen in den verschiedensten Richtungen den Berg ab; und ihre Rufe, ihre langen singenden Rufe, die sich Antwort geben, stören das gewöhnliche Schweigen der Gipfel. Endlich findet man ihn wieder, findet man Abbas, den Verlorenen, wieder, er kommt von weitem heran und führt ein Maultier, einen Flüchtling, mit sich. Um viereinhalb Uhr wird der Aufbruch stattfinden können.
Ich hatte zu meiner Begleitung drei Soldaten verlangt, wozu ich nach den Anordnungen des Oberhauptes von Bouchir berechtigt war, aber da es hier in dieser Gegend keine gibt, habe ich mich statt dessen mit drei Hirten aus der Umgegend zufrieden erklärt, und jetzt führt man sie mir vor: Wilde Gesichter, bis auf die Schultern herabfallendes Haar, vollständige Räubertypen; zerlumpte Kleider aus wunderbar stilvollen alten Stoffen, lange Steinschloßgewehre, an denen ein Amulett hängt, der Gürtel gespickt von Hirschfängern.
Und in einer langen Reihe ziehen wir über Geröll, über Pfade dahin, auf denen man sich den Hals brechen kann, ständig begleitet von einer Herde Büffel, die uns fortwährend mit den Hörnern streifen. In der seltsamen Klarheit des Raumes sieht man auch in der Ferne alle Einzelheiten, das große Gewirr der Berge und der Abgründe enthüllt sich unseren Blicken, breitet sich fügsam vor uns aus. Hier und da in den Falten der großen geologischen Risse, die die Abendsonne mit ihrem Rot sanft färbt, schlafen die wunderbar blauen Flächen, die Seen. Wir beherrschen alles, unsere Augen nehmen die Unendlichkeit auf, wie es die Augen der hochkreisenden Adler tun, unsere Brust weitet sich, um immer mehr von dieser reinen Luft einzuatmen.
Nachdem wir etwa fünfhundert Meter hinabgestiegen sind, sehen wir plötzlich zur Stunde des Sonnenunterganges, eine weite, grasbewachsene Ebene vor uns liegen, die in ihrer Einförmigkeit dem Meere gleicht, und die von den senkrechten Wänden der Gebirgsketten eingeschlossen wird. Das grüne Gras ist mit schwarzen Punkten übersät, man könnte fast glauben, zahllose Mückenschwärme hätten sich hier niedergelassen: es sind die Nomaden! Ihr Geschrei dringt zu uns herauf. Zu Tausenden liegen sie dort mit ihren ungezählten schwarzen Zelten, ihren ungezählten Büffelherden, mit ihren schwarzen Rindern und ihren schwarzen Ziegen. Und wir sollen mitten durch diesen Schwarm hindurchreiten.
Wir gebrauchen anderthalb mühevolle Stunden, um diese Ebene zu durchkreuzen, wo die Hufe der Tiere in die weiche, fette Erde einsinken. Das Gras ist üppig, dicht; der Boden heimtückisch, mit Wasserlachen und Sümpfen durchzogen. Und unaufhörlich sind wir von Nomaden umringt, die Frauen eilen scharenweise herbei, um uns zu sehen, und die jungen Leute galoppieren auf Pferden, die wilden Tieren ähnlich sind, neben uns her.
So reich dieser grüne Teppich, der sich in gleicher Pracht nach allen Richtungen hin ausdehnt, auch sein mag, wie ist er nur imstande, so zahllose Parasiten zu ernähren, die ausschließlich von ihm leben, und deren Kauwerkzeuge in ungezählter Menge ihn ohne Unterbrechung scheren? Das Wasser, das diesen Pflanzenreichtum unterhält, das überfließende und tückische, zwischen Schilf und zarten Gräsern verborgene Wasser, quillt unter jedem unserer Schritte auf. Und plötzlich fällt eins der Maultiere mit seiner Last zu Boden, seine Vorderfüße sind bis zu den Knien in dem Schlamm eingesunken; sofort stürzt eine Schar junger Nomaden in schwarzen Tunikas, gleich einem Schwarm schwarzer Raben, der sich auf ein sterbendes Tier niederläßt, mit lautem Geschrei heran, – aber sie wollen uns nur zu Hilfe kommen; sehr schnell und geschickt lösen sie die Zügel, befreien das gefallene Tier von seiner Last und richten es wieder auf; ich brauche mich nur bei der ganzen Runde zu bedanken und Silbermünzen auszuteilen, die sie nicht einmal verlangt haben, und die sie nicht ohne einen gewissen Stolz in Empfang nehmen. Und doch hatte man behauptet, daß diese Leute bösartig und es gefährlich sei, ihnen zu begegnen!
Es ist fast Nacht, als wir am Ende der feuchten grünen Ebene den Fuß der himmelhohen, überhängenden Felswand erreichen, aus der ein schäumender Fluß hervorspringt, den wir durchwaten müssen; das Wasser geht den Pferden bis an die Brust. In einer Vertiefung liegt ein Dorf verborgen, eng schmiegt es sich an den steilen Berg, ein Dorf, ganz aus Steinen erbaut, mit Wällen, Zinnen und Türmen; alles Sachen, die man kaum unterscheiden könnte, – so plötzlich dunkel ist es unter dem Vorsprung dieser schreckeneinflößenden Felsen, – wenn nicht rot aufflackernde Freudenfeuer die Häuser, die Moschee, die Zinnen erleuchteten. Im Kreise um diese Feuer spielen die Dudelsäcke, schlagen die Trommeln, und man hört auch den grellen Schrei der Frauen; eine große Hochzeit wird hier gefeiert.
Jetzt müssen wir unsere Begleiter wechseln, die drei bewaffneten Hirten, die wir in Myan-Kotal aus dem Adlerhorst mitgenommen haben, werden gegen drei andere Männer vertauscht; diese aber – Leute von der Hochzeitsgesellschaft – müssen an den Haaren herbeigeschleift werden, bevor sie sich dazu bequemen, aufzusitzen. Und es ist schwarze Nacht, als wir uns endlich, wenigstens für vier Stunden Weges, in einen dunklen Wald begeben.
Hier ist es kalt, wirklich kalt, was wir nicht genügend vorgesehen hatten, und bei unserer leichten Bekleidung wird uns frieren. Zwei unserer neuen Hüter benutzen dies dunkle Dickicht, um kehrtzumachen und zu verschwinden. Ein einziger bleibt bei uns, er reitet neben mir und wird uns sicher treu bis zu der Etappe begleiten. Dieser Wald ist unheimlich, übrigens auch übel berüchtigt; unsere Leute sprechen kein Wort und sehen sich oft um: die alten, zu dieser Stunde ganz schwarzen Bäume, mit ihren verkümmerten, verkrüppelten Formen, bilden zwischen den Felsen seltsame Gruppen; bei dem unbestimmten Licht der Sterne folgen wir den schwankenden Pfaden, die sich weißlich auf dem grauen Boden abzeichnen: wir reiten durch traurige Lichtungen, und tauchen wir von neuem im Walde unter, so erscheint uns dies noch furchterweckender; überall gibt es Schlupfwinkel und manch einen günstigen Hinterhalt.
Um zehn Uhr hören wir plötzlich ein Geräusch: Reiter, die nicht zu uns gehören, traben hinter uns her und scheinen uns zu verfolgen. Wir halten an, wir fassen sie ins Auge. Und dann erkennen wir sie an der Stimme; es sind dieselben Reisenden, die gestern abend unsere Gefährten waren. Warum hatten sie sich den ganzen Tag unsichtbar gemacht, und woher tauchen sie jetzt auf? Trotzdem nehmen wir wie gestern ihre Begleitung an.
Um Mitternacht verlassen wir den Wald und reiten in eine Steppe hinein, die endlos zu sein scheint, und wo ein eisiger Wind uns entgegenweht. Etwas sehr Weißes liegt auf dem Boden ausgebreitet. Sind es steinerne Tafeln, sind es große Tücher? – Ach, es ist Schnee, überall weiß beschneite Flächen.
Endlich haben wir die Hochländer Asiens erreicht, seit sieben Tagen klettern wir zu ihnen hinan. Diese Steppe scheint in den Himmel überzugehen, der wie ein schwarzer Ballen Seide aussieht, und auf dem die großen Sterne fast ohne Strahlen glänzen, als läge zwischen ihnen und uns kaum jenes sehr luftförmige, sehr durchsichtige Etwas. Unsere Füße und Hände sind vor Kälte erstarrt, trotzdem überfällt uns nach all den vielen Anstrengungen der letzten Nächte ein unbezwingbares Schlafbedürfnis, zum erstenmal seit unserer Abreise haben wir wirkliche Leiden zu ertragen, jeden Augenblick entfallen die Zügel den erstarrten Fingern, die sich, gegen unseren Willen, als seien sie abgestorben, von selbst öffnen.
Ein Uhr morgens. Ganz empfindungslos und fast erfroren, müssen wir wohl zu Pferde geschlafen haben, denn wir sahen die Karawanserei nicht auftauchen, und trotzdem ist sie ganz nahe, ragt unmittelbar vor uns auf, ein befestigtes Schloß könnte man sie nennen, mit Türmen geschmückte Mauern, ganz verlassen in dieser öden Einsamkeit gelegen, ruft sie den Eindruck von etwas riesenhaft Phantastischem hervor. Rings umher auf der Steppe liegen Hunderte von grauen Gestalten, sie gleichen einem Wald großer Steine, aber unbestimmt hört man das Geräusch des Atmens, riecht das Leben: es sind schlafende Kamele und Kamelhüter, die sich, in Decken eingehüllt, zwischen den unzähligen Warenballen ausgestreckt haben. Zwei oder drei Karawanenstraßen kreuzen sich am Fuße dieser befestigten Karawanserei; hier ist scheinbar ein ewiges Kommen und Gehen; im Innern wird alles überfüllt sein. Indessen öffnet man uns die eisenbeschlagenen Türen, die unter den Schlägen des schweren Klopfers laut widerhallen: wir treten in den Hof ein, wo Tiere und Leute durcheinander, wie auf dem Schlachtfelde nach einer Niederlage zusammengewürfelt liegen; und noch schneller als gestern fallen wir dem Schlaf in die Arme, strecken uns ohne Rangunterschied im Hintergründe einer Lehmhütte aus, unbekümmert um das Gewühl, den Schmutz, um das sehr wahrscheinliche Ungeziefer.
Dienstag, 24. April.
Um neun Uhr morgens bei herrlichstem Sonnenschein, beratschlagen mein Tcharvadar und ich uns in dem befestigten Schloß unter den Bogengängen des Hofes. Beendet sind die Streitigkeiten zwischen uns beiden, wir sind die besten Freunde von der Welt, und niemals zündet er seine Kalyan an, ohne mich einige Züge daraus tun zu lassen.
In diesem Hof herrscht dasselbe Gedränge wie am gestrigen Abend. Einige Maultiere liegen, andere stehen; Tausende von Karawanensäcke hat man hier aufgestellt, sie sind alle von gleicher Farbe, alle aus grauer Wolle, alle schwarz und weiß gestreift, und alle hat der Staub der Wege mit seiner rötlichen Schattierung überzogen: Das ganze trägt eine traurige, neutrale Farbe, aber zuweilen wird diese von einem wunderbaren Teppich unterbrochen, der wie etwas ganz Alltägliches unter einer Gruppe gleichgültiger Raucher ausgebreitet liegt.
Nach meiner Verabredung mit Abbas wollen wir das Schloß Kham-Simiane mitten am Tage verlassen, um die letzten zehn bis zwölf Meilen, die uns noch von Chiraz trennen, zurückzulegen. Die Luft ist kühl, die Sonne ist nicht mehr so gefährlich wie dort unten, und ich habe die nächtlichen Reisen herzlich satt.
So rüsten wir denn gleich nach der Mittags-Kalyan unsere Karawane zum Aufbruch, und kaum ist es zwei Uhr, als wir auch schon den zinnenverzierten Mauern den Rücken kehren. Alsbald breitet sich die herbe Einsamkeit vor unseren Augen aus. Traurig und unfruchtbar liegt sie in der großen Klarheit unter einem blauen Himmel da. Und die Schneeflächen gleichen weißen Tüchern, mit denen man den Boden bedeckt hat. Hoch in den Lüften kreist ein Adler. Die Sonne brennt, und der Wind ist eisig. Wir befinden uns fast dreitausend Meter über dem Meeresspiegel.
In einem Schlupfwinkel des Bodens liegt ein wilder Weiler, ungefähr zehn Hütten sind dort aus Felsblöcken erbaut, ganz niedrig sind diese Hütten, dicht schmiegen sie sich dem Erdboden an, denn man fürchtet hier die Windstöße, die über diese Hochländer dahinfegen. Am Rande stehen einige kaum belaubte ganz schlanke Weiden, der Wind hat sie gebeugt. Und das ist alles. Soweit auch das Auge reicht, nichts hebt sich hervor in dieser lichtreichen Wüste.
Nach Chiraz, wo wir gegen Abend ankommen werden, steigen wir friedlich auf einem unmerklich sich neigenden Pfade hinab; wir sind überflutet von Licht; allmählich verschwindet der Schnee, und von Stunde zu Stunde fühlen wir, wie die Kälte den lauen Lüften weicht. Wir begegnen keinem lebenden Wesen, mit Ausnahme der großen kahlen Geier, die auf der Karawanenstraße sitzen und darauf lauern, daß man ein vor Müdigkeit umsinkendes Tier ihren Klauen anvertraut; wenn wir uns ihnen nähern, fliegen sie auf, aber kaum hat man sie verscheucht, so lassen sie sich von neuem auf der Straße nieder und verfolgen uns mit den Augen. Die blassen Blümchen, die kurzgestielten Pflanzen sind auf diesen Steppen zuerst nur spärlich gesät, aber bald vermehren sie sich, reihen sich aneinander an und bilden schließlich unter unseren Schritten einen wunderbar duftenden Teppich. Und dann beginnen die Sträucher unserer Heimat, Tamarinden, knospender Weißdorn, blühender Schlehdorn. Der Kuckuck ruft, und wäre nicht der unendliche, immer weite, immer ursprüngliche Horizont, so könnte man sich nach Südfrankreich versetzt glauben. In alten Zeiten muß der Frühling Galliens einen ähnlich friedlich-schönen Anblick gewährt haben . . . Und jetzt stoßen wir auch auf einen Fluß, einen wunderbar durchsichtigen, einen kristallklaren Fluß. An seinem Ufer stehen vereinzelte kleine Weiden, erhebt sich eine dichte Weidenwand, aber der Fluß fließt einsam in seinem Bett über die weißen Steine dahin, und unempfänglich scheint er für all das schüchterne Grün dieser Weidengebüsche zu sein, wahrscheinlich wird er schließlich als Wasserfall in weniger hoch gelegene, in weniger reine Regionen hinabstürzen, wird er sich bei den vielen Berührungen beschmutzen; aber hier, wo er mitten durch den zeitlosen Rahmen fließt, der seit Anbeginn der Welten also gewesen sein muß, hier haftet diesem klaren Wasser, ja, wie soll ich mich ausdrücken, etwas Jungfräuliches, etwas Geheiligtes an.
Nach dreistündigem Marsch erhebt sich ganz einsam am Rande unseres Weges ein kleiner mit Zinnen versehener Turm: ein Wachtposten, wo wir zwei weitere Soldaten als Verstärkung zu erlangen hoffen; aber nichts rührt sich, und die Pforte bleibt geschlossen. Indessen kommt oben im Turm zwischen zwei Schießscharten der weißhaarige Kopf eines Greises, der den hohen Hut der Magier trägt, zum Vorschein: »Soldaten,« ruft er in spöttischem Ton, »Ihr fordert Soldaten? Ja! die sind alle ausgezogen und machen Jagd auf die Räuber, die uns vier Esel gestohlen haben. Hier sind keine Soldaten, und Ihr müßt Euch ohne sie behelfen! Glückliche Reise!«
Bei Sonnenuntergang machen wir halt und verzehren unsere Abendmahlzeit auf einer der alten gastlichen Bänke vor der Tür einer Karawanserei, eines befestigten Schlosses, das wie Kham-Simiane einsam gelegen ist, und den Eingang zu einer neuen Ebene beherrscht. Und dies ist endlich die Hochebene von Chiraz, die in alten Zeiten von den Dichtern besungen wurde, dies ist das Land des Saadi, das Land der Rosen.
Von hier aus gesehen erscheint die hochgelegene Oase, die wir zur Stunde der Dämmerung erreichen werden, seltsam friedlich und üppig wild zugleich; das Gras ist dort dicht und mit Blumen übersät, die Pappeln stehen in dichten Gruppen und fast könnte man glauben, es seien Buchenhaine von weichem, tiefem Grün. Dieselben Farbentöne, die sich bei uns im April über Bäume und Wiesen senken, sieht man auch hier, aber die Luft ist von einer Klarheit, die wir nicht kennen, und über dem Paradies mit seinem jetzt schon in Schatten getauchten Grün, sind die großen, alles einschließenden Berge zu dieser Stunde in tiefem Rot gebadet, ein Anblick, der in unseren Ländern und bei unserem Klima unmöglich wäre.
Durch diese sanft sich neigende Ebene, wo die Luft allmählich ganz still geworden ist, setzen wir unseren jetzt immer leichter werdenden Ritt fort, und ungefähr vier Meilen weiter, ziehen sich in der frischen, sternenklaren Nacht zu beiden Seiten unseres Weges die langen Mauern der Gärten dahin: die Vorstädte von Chiraz! Kein Lärm, kein Licht, kein Schritt, der den Wanderer verkündet. Die Ausläufer der alten mohammedanischen Städte zeigen, sobald die Dunkelheit anbricht, immer dasselbe seltsame Schweigen, von dem wir Europäer uns gar keine Vorstellung machen können.
Die Mauern bezeichnen die Karawansereien, obgleich sie eigentlich nur einen Pappelwald einzuschließen scheinen; und dort klopfen wir zwei-, dreimal an große spitzbogige Türen an, die sich kaum öffnen, um eine Stimme antworten zu lassen, daß alles überfüllt sei. Die hohen Gräser, die Kräuter, die Gänseblümchen überwuchern die Wege; in dieser Dunkelheit, in diesem Schweigen duftet alles nach Frühling.
Des Kampfes müde geben wir uns mit einer Karawanserei für Arme zufrieden, wo wir über den Ställen einen kleinen Winkel mit Lehmwänden finden, der sich in keiner Weise von unseren früheren elenden Herbergen unterscheidet.
Natürlich kenne ich keine lebende Seele in dieser verschlossenen Stadt, in die ich heute abend nicht eindringen kann, und die übrigens, wie ich weiß, auch keinen einzigen Gasthof besitzt. Aber in Bender-Bouchir hat man mir ein versiegeltes Zauberbuch – ein Empfehlungsschreiben an den Vorstand der Kaufmannschaft, eine gewichtige Persönlichkeit von Chiraz, mitgegeben, zweifellos wird dieser mir eine Wohnung besorgen können . . .
Abends, 24. April.
Der erste Abend senkt sich herab, die erste Nacht bricht herein über dem drückenden Schweigen in Chiraz. Ganz im Hintergrunde des großen, leeren, frühzeitig verschlossenen Hauses, in dem ich gefangen sitze, geht mein Zimmer auf einen jetzt dunklen Hof. Man hört nichts, nur zuweilen den Schrei eines Kauzes. Chiraz schläft in dem Geheimnis seiner dreifachen Mauern und seiner geschlossenen Wohnungen; man könnte sich weit eher von verlassenen Ruinen, als von einer Stadt umgeben glauben, in deren Schatten sechzig- bis achtzigtausend Einwohner atmen; aber den Ländern Islams haftet das Schweigen dieses tiefen Schlafes und dieser stummen Nächte an.
Ich sage zu mir selbst: »Ich bin in Chiraz«, und es liegt ein Reiz darin, diesen Satz zu wiederholen; – ein Reiz und auch ein wenig Angst, denn diese Stadt gehört, wenngleich sie auch ein Überbleibsel altehrwürdiger, unversehrter Trümmer ist, dennoch zu denjenigen menschlichen Ansiedelungen, die am wenigsten zugänglich, am abgeschiedensten liegen; man empfindet hier noch das Gefühl eines großen Verlassenseins, ein Gefühl, das den Reisenden früherer Zeiten vertraut sein mußte, das wir Nachgeborenen aber bald nicht mehr kennen werden, weil die Verkehrswege die ganze Erde mit ihrem Netz überziehen. Wie soll man von hier entkommen, von hier entfliehen, wenn plötzliches Heimweh, wenn das Bedürfnis in uns aufsteigt, vielleicht nicht einmal das Vaterland, sondern nur verwandte Menschen, nur einen Ort wiederzusehen, der wie bei uns ein wenig moderner ist. Wie soll man von hier entkommen? Durch die einsamen Gegenden des Nordens, durch Teheran und das Kaspische Meer nach zwanzig- bis dreißigtägigem Karawanenritt? Oder soll ich auf dem Wege zurückkehren, der mich hergeführt hat, soll ich die schrecklichen Treppen Irans Stufe für Stufe hinabsteigen, soll ich von neuem in die Schlünde, die nur nachts passierbar sind, untertauchen, soll ich von neuem die Qualen der immer wachsenden Hitze ertragen, mich bis zu dem höllischen Schmelzofen dort unten, dem persischen Golf, vorwagen, soll ich von neuem durch den glühenden Sand waten, um Bender-Bouchir, die Stadt der Verbannung und des Fiebers zu erreichen, von wo aus irgendein Schiff mich nach Indien bringt? Beide Wege sind mühsam und weit. Es ist wahr, man fühlt sich verlassen in diesem Chiraz, das höher gelegen ist als der Gipfel der Pyrenäen – und das zu dieser Stunde eine klare Nacht, aber eine seltsam stumme, eine eisige Nacht in ihre Fittiche hüllt . . .
In dieser Stadt, wo alles von Mauern eingeschlossen ist, habe ich sozusagen noch nichts gesehen, und ich frage mich, ob ich während eines verlängerten Aufenthaltes mehr sehen werde, ich bin hier ungefähr in der Art eingedrungen, wie es die Ritter der Sage zu tun pflegten, die man mit verbundenen Augen in die unterirdischen Schlösser führte.
Heute morgen trat Hadji-Abbas, der Vorstand der Kaufmannschaft, benachrichtigt durch meinen Brief, in der Karawanserei an. Einige Honoratioren begleiteten ihn, lauter zeremonielle, höfliche Leute in langen Kleidern, mit plumpen, runden Brillen und sehr hohen Astrachanmützen. Wir setzen uns vor meinem dunklen Zimmer auf die Terrasse, die mit Gras und blühendem Mohn bewachsen ist: Nach vielen schönen Komplimenten in türkischer Sprache entspann sich eine Unterhaltung über die Schwierigkeiten der Reise!
»Ach!« sagten sie mit einem leisen Anflug von Spott, – »leider haben wir noch nicht Ihre Eisenbahnen!« Und als ich sie dazu beglückwünschte, zeigte mir ihr Lächeln, wie sehr wir betreffs der Wohltaten dieser Erfindung der gleichen Meinung waren . . .
Pappeln und blühende Obstbäume bildeten eine so dichte Wand, daß wir von der Stadt auch nicht das geringste zu erblicken vermochten, aber die Gärten, Wiesen, die grünen Felder lagen vor uns, eine ganze Ecke des glücklichen Chiraz, das kaum mit der übrigen Welt in Verbindung steht, und wo das Leben in dem gleichen Rahmen dahinfließt, wie vor tausend Jahren. Auf allen Zweigen stimmten die Vögel ihr fröhliches Brutlied an. Unten im Hofe, wo unsere Tiere sich ausruhten, standen einige Burschen aus dem Volk, sie sahen vergnügt und gesund aus, ihre Wangen hatte die freie Luft goldig gefärbt, und nachlässig rauchten sie in der Sonne, wie nur Leute es tun, die Zeit haben, zu leben, oder sie spielten mit Kugeln, und ihr Lachen drang zu uns herauf. Und ich verglich das schwarze Gelände unserer großen Städte, unserer Bahnhöfe, Fabriken, das ewige Pfeifen und den Lärm der Eisenwerke mit diesem allen, verglich auch unsere Arbeiter, blaß sind sie unter dem Kohlenstaub, und aus ihren Augen spricht die Nüchternheit und das Leiden . . .
Beim Abschiednehmen bot mir der Vorstand der Kaufmannschaft eines seiner zahlreichen Häuser in Chiraz, ein ganz neues Haus an. Er wollte mir den Schlüssel sofort übersenden, und ich begann zu warten, rauchte auf meiner Terrasse eine Kalyan nach der anderen und wartete, ohne daß der Schlüssel erschien: die Orientalen, jedermann weiß es ja, kennen gar keine Zeitberechnung.
Endlich, vier Uhr nachmittags, wurde der Schlüssel mir überreicht. (Er war einen Fuß zwei Zoll lang.) Und dann mußte ich meinen Tcharvadar und alle seine Leute verabschieden, mußte mit ihnen abrechnen, mit ihnen alle die Silbermünzen nachzählen. Wir tauschten viele Wünsche und manchen Händedruck aus, und dann bestellte ich eine Anzahl Träger (Juden mit langen Haaren), ließ unser Gepäck auf ihren Rücken laden, und wanderte hinter ihnen der Stadt zu, die ganz in der Nähe liegen mußte, die man aber immer noch nicht sehen konnte.
Wir trabten melancholisch zwischen den hohen aus grauen Steinen und Lehm erbauten Mauern dahin, in weiten Abständen nur zeigten sie eine vergitterte Öffnung oder eine versteckte Tür.
Und schließlich bildeten diese immer enger werdenden Mauern über unseren Köpfen ein Gewölbe, und eine plötzliche Dunkelheit hüllte uns ein, mitten durch die schmalen Gänge flossen kleine schmutzige Bäche über Abfall, Schmutz und Kot hinweg, es roch nach Abgußwasser und toten Mäusen, wir hatten Chiraz erreicht.
In einem noch größeren Dunkel machten wir vor einer alten, eisenbeschlagenen Tür mit einem großen Klopfer hat: das war meine Wohnung. Zuerst stießen wir durch einen dunklen Gang auf das staubige, baufällige Hauptgebäude, dann aber überraschte uns ein sonnenbeschienener Hof, mit schönen blühenden Orangenbäumen, um einen fließenden Fischteich, und im Hintergrunde lag das zweistöckige, ganz neue, weiße Häuschen, in dem ich jetzt eingeschlossen sitze – und ich weiß nicht einmal, auf wie lange, – »denn es ist leichter in Chiraz einzudringen, als hinauszukommen«, sagt ein persisches Sprichwort.
Mittwoch, 25. April.
Die Sonne neigte sich ihrem Untergange zu, als wir in aller Eile unseren ersten Ausflug in die Stadt, in die Basare machten, um Kissen und Teppiche zu kaufen. (Denn in Hadji-Abbas' Haus zeigen die Zimmer natürlich nichts als ihre vier Wände.)
Man streicht in dieser Stadt umher, wie in einem unterirdischen Labyrinth. Die Gäßchen sind bedeckt, übersät mit Unrat, mit verfaultem Abfall, sie winden und kreuzen sich mit einer Laune, die jeden irreführt; an einigen Stellen sind sie so eng, daß man sich mit beiden Schultern gegen die Mauer drücken muß, will man nicht von einem Reiter oder sogar von einem kleinen Esel gestoßen werden; die Männer, in langen, dunklen Kleidern mit hohen Astrachanmützen, fassen uns scharf, doch ohne Mißtrauen, ins Auge. Die Frauen gleiten dahin und verschwinden wie schweigende Geister, von Kopf zu Fuß sind sie in einen langen schwarzen Schleier gehüllt, und das Gesicht verdeckt eine weiße Maske, die nur zwei runde Löcher für die Augen frei läßt; aber die kleinen Mädchen, die man noch nicht verschleiert, sind alle geschminkt, ihre Haare mit Henna gefärbt, und faßt alle erscheinen sie von wunderbar feiner lächelnder Schönheit; sogar die Ärmsten, die barfuß und nachlässig gekleidet gehen, sind anmutig unter ihren reizvollen Lumpen. In den toten, langen Mauerreihen aus grauem Stein oder grauem Lehm öffnet sich nie ein Fenster. Hier gibt es nur Türen, und um diese zu verbergen, sie zu schirmen, ist außerdem noch eine zweite Mauer hinter der ersten errichtet. Einige Türen sind eingerahmt von alten kostbaren Fayencen, die Iriszweige und Rosenzweige darstellen, und deren Kolorit, belebt durch den Gegensatz zu dem vielen Grau der Umgebung, inmitten von den Ruinen und Trümmern, doppelt frisch hervorspringt. Ach! diese schwarzgekleideten Frauen, die durch diese Türen schreiten, um die Ecke der alten Mauer biegen und im Innern des verborgenen Hauses verschwinden . . .
In meiner tunnelförmigen Straße, auf der die Karawanen von Bouchir kommend zur Stadt hineinziehen, liegt ein kleiner, jüdischer Basar, wo Korn und Gemüse verkauft wird. Um aber den wirklichen Basar von Chiraz, den unendlich großen Basar mit seinen vielen Überraschungen zu erreichen, muß man eine ganze Strecke durch dies Labyrinth wandern. Er beginnt in den engen, winkeligen, dunklen Straßen, wo man vor den ungezählten kleinen Läden beständig Gefahr läuft, in Löcher und Kloaken zu fallen. Dann folgen die großen, geraden, die vielen regelmäßigen Alleen mit ihren runden Kuppelgewölben, und zum erstenmal sagt man sich, daß die Stadt, in die man, ohne auch nur das geringste zu sehen, eingedrungen ist, wirklich eine große Stadt sein muß. Zu beiden Seiten der Alleen findet man die Kaufleute nach Profession und Zunft geordnet, so will es der orientalische Gebrauch. – Und man sieht, daß die Straße der Teppiche, in der wir unsere Einkäufe machen, für die Augen ein Hochgenuß ist. – In den dunkleren Straßen der Kupferschmiede hört man den ununterbrochenen Lärm der Hämmer, und dort machen wir halt, um für unseren Gebrauch Schenkkannen zu kaufen, die hier sehr üblichen Kannen, die eine wunderbare Anmut der Linien zeigen, und deren Form in alten Zeiten erfunden und seitdem niemals geändert wurde. Überall verkaufte man auch Büschel rosenroter, duftender Rosen, man nennt sie bei uns die »Monatsrose«, und blühende Orangenzweige. Bewaffnete Reiter versperrten uns oft den Weg, besonders in dem Viertel, wo Sattel- und Zaumzeug zu kaufen ist; dieses Viertel ist das größte in ganz Chiraz, denn hierzulande gehen alle Reisen, geht jeder Transport in Karawanen vor sich, und das Sattelzeug spielt naturgemäß eine große Rolle; es zeigt die allerverschiedensten Formen: in Seide oder Gold gestickte Sättel, wollene Quersäcke, Zäume für Pferde und Maulesel, zierliche, mit Pailletten benähte Sammetpeitschen für die kleinen Esel, auf denen die vornehmen Damen reiten, und Federbüsche für die Kamele.
In der Straße, wo die Seidenhändler ihren Stand haben, war großer Zuspruch von schwarzen Gestalten – den hiesigen Frauen – mit ihren hübschen, drolligen Babys, deren Augen alle durch einen gemalten Strich bis zum Haar verlängert sind.
Wir hatten den Basar zu ziemlich später Stunde besucht, schon schlossen sich die Läden, schon verschwand das Tageslicht hinter den aus Stein oder Lehm gebauten Gewölben. Und nachdem wir uns soundso viele Male durch die überdachten, jetzt immer dunkler werdenden Gänge hindurchgeschlängelt hatten, bedeutete es eine wirkliche Freude, endlich einen freien Platz unter freiem Himmel zu treffen, der von der herrlichen Abendsonne beschienen war. Vielleicht der einzige Winkel in Chiraz, wo das Leben sich fröhlich und nicht geheimnisvoll außerhalb des Hauses abspielt.
Dieser Platz liegt in der Nähe der Stadtwälle, und im Hintergrunde erhebt sich eine Moschee mit einem riesenhaft großen Portal, das unter seiner alten Glasurbekleidung rosenrot strahlt. Hier und da haben die Blumen-, Obst- und Kuchenverkäufer ihre Buden errichtet, und gerade gegenüber der rosenroten Pforte, deren Schwelle ich wohl niemals übertreten darf, steht ein kleines, reizendes, verfallenes Café, unter dessen Bäume wir uns setzen, um unter freiem Himmel die letzte Tageskalyan zu rauchen. (Der Name Café ist übrigens nicht richtig, denn hier in Chiraz reicht man nur Tee in kleinen winzigen Täßchen.)
Sofort bildet sich ein Kreis um uns, aber diese Neugierigen waren bescheiden und höflich, und wenn man sie ansah, antworteten sie mit einem freundlichen, ein wenig katzenhaften Lächeln. Alle die Leute hier sehen entgegenkommend und sanftmütig aus; sie haben feingeschnittene Züge, große Augen und einen zugleich lebhaften und träumerischen Blick.
Und ich kam zurück, um vor Einbruch der Nacht meine vorübergehende Wohnung, in dem ganz neuen, hinter dem Hofe gelegenen Gebäude, einzurichten. Das Erdgeschoß weise ich meiner Bedienung an, im ersten Stock liegt mein Zimmer, im zweiten mein Salon. Überall sieht man sehr weiße Mauern, derer gewölbte Spitzbogen Nischen bilden, in die ich meine Sachen aufstelle. Die Decke besteht aus Lehm und wird von einer Reihe junger, ganz gleichmäßig viereckiger Pappelstämme gestützt.
In zehn Minuten ist mein Salon eingerichtet, Teppiche und Kissen sind auf die Erde geworfen, Decken mit alten Nägeln an den Wänden befestigt, und den Ehrenplatz nehmen die schönen Waffen ein, die mir der Sultan von Mascat kürzlich bei meiner Durchreise schenkte, ein Dolch in silberner und ein Säbel in goldener Scheide.
Aber die Nacht senkt sich herab und hüllt alles in ihr großes, schweigendes Leichentuch ein. Sie unterbricht unseren kindlichen Zeitvertreib und erfüllt meine Wohnung, die gar zu eng eingeschlossen inmitten einer nicht erkennbaren Umgebung liegt, mit unheilvollem Dunkel.
Als wir eintraten, haben wir die schweren Eisenriegel von der Tür hinweggezogen, die hinaus in die nächtliche Umgebung führt, aber wir wissen nichts von all den Räumen, Winkeln und Nebengebäuden des großen Hauses; keiner von uns hat das alte zweistöckige Haus, das mit dem Rücken nach der Straße zu gelegen ist, erforscht, keiner von uns ist in die unendlich geräumigen Heuspeicher, in die Gewölbe und unterirdischen Keller eingedrungen, die sich hinter unseren Zimmern erstrecken.
Was die anderen Wohnungen in unserer Nachbarschaft anbelangt, so ist es selbstverständlich, daß unser Auge sie nicht hinter den hohen Verschanzungen erspähen kann. Wer dort wohnt, was sich dort zuträgt? Wir werden es nie erfahren. Von den Fenstern aus, die auf unsern, von hohen Mauern eingeschlossenen Hof zeigen, wird man auch bei Tage nichts von diesen Nachbarhäusern entdecken können. Nur die Wipfel der Pappeln, die die kleinen Gärten beschatten, nur die Lehmdächer, auf denen das Gras wächst, auf denen die Katzen promenieren, und dann in der Ferne über den Giebeln der alten staubfarbenen Gebäude hinweg die Linie der kahlen Berge, die die grüne Ebene einschließen. Das ist alles, was sich dem Auge zeigt.
Jetzt ist es Nacht. Meine Diener schlafen fest nach den Anstrengungen der letzten Abende, in dem schönen Gefühl, eine Reise hinter sich zu haben, in der Gewißheit, nicht morgen den nächtlichen Ritt fortsetzen zu müssen.
Die schöne Sternennacht kühlt fühlbar ab, kein menschliches Geräusch stört ihr Schweigen. Man hört die weiche, verhaltene Stimme der Käuze, die aus verschiedenen Richtungen sich rufen und Antwort geben, und darunter liegt Chiraz in seinem beunruhigenden Todesschlaf.
Donnerstag, 26. April.
»Allahu akbar!. . . Allahu akbar!« . . . so lautet der endlose, eintönige, mohammedanische Gesang, der mich vor Tagesanbruch weckt; von irgendeinem nahen Dache meines Stadtviertels aus steigt die Stimme des Ausrufers, der zum Gebet ruft, laut singend in die blasse Morgenluft hinauf.
Und bald darauf dringt das silberhelle Glockengeläute in den kleinen Gäßchen bis an mein Ohr: der Einzug der Karawanen. Große, tief tönende Glocken hängen am Bauche der Maultiere, kleine Schellen reihen sich zu einem Kranz um ihren Hals, sie klingen zusammen, und dieser fröhliche Lärm erfüllt allmählich das ganze unterirdische Labyrinth in Chiraz und verjagt den Schlaf und das Schweigen der Nacht. Es dauert sehr lange; – sicher sind Hunderte von Maultieren an meiner Tür vorbeigezogen, – und sie werden allmorgendlich hier vorüberziehen, um mir den Tag zu verkünden, denn die Stunde der Karawanen ist unwandelbar. Und durch mein Viertel dringen sie in die Stadt hinein, alle die, die von dort unten, von den Ufern des Persischen Golfes, aus den heißen, in der Höhe des Wasserspiegels gelegenen Gegenden kommen.
Der erste Morgen verstreicht für mich mit vergeblichen Unterhandlungen, die ich mit Tcharvadaren, Maultiertreibern, Pferdevermietern in der Hoffnung pflege, daß es mir gelingen wird, schon jetzt den Aufbruch zu veranstalten; denn man muß sich mehrere Tage im voraus richten, und die Reisenden werden oft unendlich lange zurückgehalten.
Aber nichts kommt zustande, nicht das geringste Annehmbare bietet sich mir. Das Sprichwort scheint sich zu bewahrheiten: Es ist leichter, in Chiraz einzudringen, als hinauszukommen.
Nachmittags statte ich dem Vorstand der Kaufmannschaft meinen Besuch ab. Er wohnt in demselben Stadtviertel wie ich, und der Weg zu ihm führt ununterbrochen an den schattigen, traurig sich neigenden Mauern vorbei, die sich fast alle zu einem Gewölbe vereinen. Eine alte Gefängnistür, durch eine innere Schutzwand aus weißem Mauerwerk verkleidet: das ist sein Heim. Und dann folgt ein kleiner Garten voller Rosen, mit geraden altmodischen Alleen und mit einem Spingbrunnen; im Hintergrunde aber liegt das ganz alte, ganz orientalische Haus.
Hadji-Abbas Salon: Eine Decke aus blau und goldenen Arabesken, mit Rosenzweigen, deren Schattierungen im Laufe der Zeiten verblaßt sind; die Mauern sind reich ausgearbeitet, sind in kleine Rautenflächen zerlegt, vertiefen sich zu kleinen Grotten und zeigen eine alte Elfenbeinfarbe, die durch matte Goldlinien gehoben wird; auf der Erde liegen Kissen und dicke, wunderbare Teppiche. Und die kleinscheibigen Fenster zeigen auf die Rosen des Gartens, der sehr versteckt daliegt, der keine Aussicht gewährt, und in dem das leise plätschernde Geräusch des Springbrunnens ertönt.
Mitten im Salon stehen zwei Sessel, einer für Hadji-Abbas, der seit gestern seinen weißen Bart brennend rot gefärbt hat, und der andere für mich. Die Söhne meines Wirts, die Nachbarn, die Honoratioren, alles Leute in langen Kleidern mit hohen schwarzen Hüten, wie sie die Magier trugen, treten nacheinander an; schweigend setzen sie sich auf die Teppiche, die an den schönen verblaßten Wänden entlang ausgebreitet liegen, und bilden so einen großen Kreis; Diener tragen in sehr alten, kleinen chinesischen Tassen Tee herbei, bieten dann gefrorenen Sorbet und schließlich die unvermeidlichen Kalyans an, aus denen alle der Reihe nach rauchen müssen. Man fragt mich nach Stambul, da man weiß, daß ich dort gewohnt habe. Dann nach Europa, und die Naivität und die unvermutete Gründlichkeit ihrer Fragen zeigen mir deutlicher als alles andere, wie weit diese Leute von uns entfernt sind. Allmählich geht die Unterhaltung zur Politik über, man spricht von den letzten Tricks der Engländer vor Koueit: – »Wenn unser Land jemals unterjocht werden sollte, so hoffe ich doch wenigstens, daß es nicht durch sie geschieht! Wir haben leider nur hunderttausend Soldaten in Persien, aber alle Nomaden sind bewaffnet; und ich, meine Söhne, meine Diener, alle gesunden Männer in den Städten und auf dem Lande werden zu den Waffen greifen, wenn es sich um die Engländer handelt!«
Der gute Hadji-Abbas führt mich alsdann zu zwei oder drei Honoratioren, deren Häuser noch viel schöner als das seine sind, und die noch viel hübschere Gärten mit Orangen, Zypressenalleen und Rosengängen besitzen. Aber wie versteckt, mißtrauisch, geheimnisvoll spielt sich hier das Leben ab. Die Gärten würden entzückend sein, wenn sie nicht so eifersüchtig eingeschlossen, so verborgen dalägen; damit die Frauen hier unverschleiert lustwandeln können, umgibt man sie mit gar zu hohen Mauern, die man vergebens freundlicher zu gestalten sucht, indem man sie mit Spitzbogen, mit Kacheln verziert: es bleiben doch immer dieselben Gefängnismauern.
Der Gouverneur der Provinz, den ich heute aufsuchen wollte, um ihn zu bitten, mir den Weg nach Ispahan zu erleichtern, ist für einige Tage abwesend.
Bis zum Schluß behalte ich mir den Besuch bei einer jungen, holländischen Familie, den van L...s, vor, sie leben hier so abgeschieden wie Robinson. Ein altes Paschahaus – natürlich in einem alten, ganz von Mauern umgebenen Garten gelegen – bewohnen sie, und selten überraschend berührt es mich, hier plötzlich einen kleinen europäischen Winkel, plötzlich liebenswürdige Menschen, die unsere Sprache sprechen, wiederzusehen!
Sie sind übrigens gleich so entgegenkommend, daß uns, die wir doch sozusagen in der Verbannung leben, vom ersten Augenblick an ein schönes Band wahrer Freundschaft verbindet. Seit zwei oder drei Jahren wohnen sie in Chiraz, wo M. van L... Leiter der kaiserlich persischen Bank ist. Sie vertrauen mir alle ihre täglichen Sorgen an, von denen ich keine Ahnung hatte, die aber in dieser Stadt natürlich sind; denn alles fehlt hier, was nach unseren Begriffen zu den notwendigsten Nutzgegenständen des Lebens gehört, alle Sachen, deren man bedarf, müssen zwei Monate im voraus über Rußland oder Indien verschrieben werden; was sie mir da erzählen, bestärkt mich übrigens in dem Gefühl, daß wir uns hier in einer Welt befinden, die man fast auf dem Monde suchen könnte.
Den Schluß des Nachmittags bildet für mich ein Spaziergang durch das Labyrinth; mit meinen drei Dienern, dem Franzosen und zwei Persern, irre ich umher und suche vergebens nach den Moscheen. Ich habe keine Hoffnung, jemals Eintritt zu erlangen, aber ich möchte doch wenigstens gerne von außen die Portale, die schönen Bogen und die kostbaren Fayencen sehen.
Ach! Diese seltsamen kleinen Straßen, wo einem auch am hellen Tage ein Fallstrick nach dem andern gelegt wird; so öffnet sich mitten in einer Gasse ein tiefer Brunnen, der auch nicht das geringste Schutzgitter zeigt, oder am Fuße einer Mauer gähnt plötzlich ein Kellerloch, und man sieht hinab in ein schwarzes Verließ. Und überall ist der Weg mit Lumpen, Unrat, mit krepierten Hunden bedeckt, über deren Leichen die Fliegen herfallen.
Ich weiß, daß es Moscheen, daß es sogar berühmte Moscheen hier gibt, aber man kann wirklich sagen, daß sie vor uns fliehen, daß ihre Umgebung verzaubert ist. Zuweilen, wenn ich aufsehe, entdecke ich durch ein Loch in der Straßenmauer ganz in der Nähe eine grünblaue Kuppel, die sich in den reinen Himmel erhebt, und die in der Sonne glänzt. Dann stürze ich in einen dunklen Gang, er scheint dorthin zu führen: Den Gang schließt eine Mauer ab, oder er endet in einem großen eingestürzten Erdhaufen. Ich kehre um, ich suche einen anderen: er führt mich in falsche Richtung, ich verirre mich. Nicht einmal die kleine Lücke, die ins Freie führt, und von wo aus mir die Emaillekuppel entgegenleuchtete, kann ich wiederfinden; ich weiß nicht mehr, wo ich bin . . . Diese Moscheen werden keinen Zugang haben, denn sie liegen ganz eingeschachtelt zwischen alten Lehmhäusern, zwischen Maulwurfshügeln von Menschenhand erbaut; wahrscheinlich kann man sie nur auf versteckten Umwegen erreichen, die keinem anderen als dem Eingeborenen bekannt sind. Und dies erinnert an einen bösen Traum, man will ein Ziel erreichen, aber in dem Maße, wie man sich ihm nähert, werden die Schwierigkeiten größer, die Gänge enger.
Wir sind schließlich des Suchens müde und kehren wie gestern um die Abendstunde nach dem kleinen Café zurück, das wir wahrscheinlich zu unserem Standquartier erheben werden. Dort atmet oder fühlt man wenigstens einen freien Raum vor sich, und dort liegt auch – zwar ein wenig im Hintergrunde – eine rosenrote Moschee, die schon sehenswert ist. Die Leute kennen uns. In aller Eile stellen sie für uns Sessel unter den Platanen hin, bringen Kalyans und Tee herbei. Hirten wollen uns Felle von Panthern verkaufen, die zu ungezählten Mengen in den nahen Bergen hausen. Aber der Andrang ist heute schon weniger groß als gestern: morgen oder übermorgen werden wir niemanden mehr in Erstaunen setzen.
Die eine Seite des Platzes wird von den Wällen Chiraz' eingeschlossen; wie alles in Persien sind auch sie elegant und baufällig: die hohen, geraden Mauern tragen große runde Türme und sind mit einer endlosen Reihe gewölbter Spitzbogen verziert. Das Baumaterial – graue Terrakotta mit gelbgrüner Glasur – gibt dem Ganzen einen assyrischen Anstrich. Diese Wälle erstrecken sich in einer Ausdehnung von ungefähr zweihundert Metern und laufen dann in einem Trümmerhaufen von Steinen aus, die wahrscheinlich niemals wieder aufgebaut werden.
Jetzt, wo der Tag sich neigt, herrscht in diesem kleinen Café ein beständiges Kommen und Gehen. Leute aus allen Ständen, die vom Lande zurückkehren, treten hier ein, vornehme Reiter auf mutigen Pferden, kleine Bürger auf fransenbehangenen Maultieren, oder noch bescheideneren Eseln. Und die langsamen Kamele ziehen vorüber. Sie kommen von Yezd, von Kerman, aus der östlichen Wüste. Überall werden die Kalyans angezündet, und unsere Nachbarn, die wie wir unter ein und derselben Platane träumen, fangen ein freundliches Gespräch an. Einer von ihnen bietet mir, nachdem ich ihm von meinem heutigen Ausflug nach den Moscheen erzählt habe, für morgen abend seine Begleitung dorthin an; er will mich über die Dächer der Stadt führen, ein Spaziergang, der scheinbar sehr besucht wird, weil er der einzige ist, von wo aus man einen allgemeinen Ausblick hat.
Friedlich schwindet der Tag, und langsam trägt die Dämmerung ihre Traurigkeit zu diesem hochgelegenen, einsamen Lande hinauf. Die Farben verlöschen auf der Glasurbekleidung der schönen Moschee: die Fayencen, mit denen sie bedeckt ist, zeigen Wolken von Rosen, Rosenzweige, Rosensträucher, Sträucher, durch die vereinzelte, langstielige Iris emporwachsen; aber dies alles liegt jetzt in einem violetten Dunkel, und nur noch die Kuppel erstrahlt weithin. In der fast gar zu durchsichtigen Luft kreisen die Segler und stoßen, ganz wie bei uns an Frühlingsabenden gellende Schreie aus. Kaum aber ist die Sonne untergegangen, so macht sich infolge der großen Höhe eine empfindliche Kälte fühlbar.
Durch kleine schon dunkle Gäßchen kehren wir über Schmutz und Unrat nach Hause zurück.
Und dort herrscht, nachdem die Pforte verriegelt ist, die Abgeschlossenheit, die Einsamkeit, das Schweigen eines Klosters. Und die Käuze beginnen ihr Lied.
Freitag, 27. April.
Bim bam, bim bam, kling, ling, ling . . . Der Einzug der Karawanen! . . . Das Glockenspiel, hier die ständige Musik um Sonnenaufgang, weckt mich diesmal kaum, und morgen werde ich es wahrscheinlich wie alle anderen Laute überhaupt nicht mehr hören.
Heute ist ein Freitag, das heißt der Sonntag des Muselmanns, so kann ich also keine Reisevorbereitungen treffen, alles ist geschlossen.
Ein zufälliges Ereignis des heutigen Morgens wird von Wichtigkeit für unser puritanisches Leben: mein Diener erzählt mir, daß auf dem Nachbardach, einem terrassenförmigen Dach, auf dem wir bis jetzt nur einige nachdenkliche Katzen sahen, zwei Paar grünseidene Strümpfe und ein Paar Damenpluderhosen zum Trocknen aufgehängt sind; vor Hereinbruch der Nacht wird wahrscheinlich jemand hinaufsteigen, um sie zu holen, und wenn wir auf der Lauer liegen, haben wir dann vielleicht Gelegenheit, eine der geheimnisvollen Nachbarinnen zu sehen.
Um die Sitte der guten Bürger von Chiraz zu beobachten, laßt uns diesen Freitagmorgen dazu benutzen, einen Ausflug aufs Land zu machen (man verläßt die Stadt durch die großen, spitzbogigen Tore, oder, wenn man es vorzieht, durch die zahlreichen Öffnungen in den Wällen, wo der ständige Durchzug der Karawanen wirkliche Pfade getreten hat). Und dann liegt die Ebene vor uns, die weite Ebene, die überall von wild zerklüfteten Bergen umgeben, die von allen Seiten so hoch eingeschlossen ist, als wäre sie nur der unendlich große Garten eines eifersüchtigen Persers. Das Grün des Grases und des Getreides, das frische Grün der Pappelwände unterbricht zuweilen das ewige Grau der Landschaft; aber man kann trotzdem sagen, daß dieses sehr weiche, oft rosa schattierte Grau alles in Chiraz beherrscht, den Boden der Felder, die Erde oder die Steinmauern. Über den hohen, fast verfallenen Wällen, von denen wir uns allmählich entfernen, erheben sich in gewissen Abständen ganz kleine, spindelförmige, blau und grün glasierte Obelisken. Und je weiter wir reiten, um so deutlicher tauchen die großen Kuppeln der Moscheen aus der grauen Stadt auf. Auch sie zeigen dieselbe Farbe, die ewig gleiche blaugrüne Glasur. Unter dem bleichen, reinen Himmel ziehen sich gleich Katzenschwänzen weiße Wolken von der Durchsichtigkeit ganz leichter Gewebe dahin. In diesem hochgelegenen Lande sind die Farben aller Gegenstände zuweilen so zart, daß uns jede Bezeichnung für sie fehlt, und dem Licht, der Ruhe dieses Morgens haftet etwas unaussprechlich Weiches, Paradiesisches an. Trotzdem ist dies alles traurig, – und zwar tragen hieran schuld: die Abgeschiedenheit von aller Welt, die alles einschließende Kette der Berge, das Geheimnis der langen Mauern, der ewige schwarze Schleier, die ewige Maske vor dem Antlitz der Frau.
Da heute, wie gesagt, mohammedanischer Sonntag ist, ergehen sich alle Frauen von Chiraz, gleich schwarzgekleideten Gespenstern, in der hellen Ebene, schon vom frühen Morgen an richten sie ihre Schritte nach den großen, eingeschlossenen Gärten, nach dem Paradiese, das uns nicht zugänglich ist, und dort entfernen sie ihren Schleier und ihre Maske, um in Freiheit in den Orangen-, Zypressen- und Rosenalleen lustwandeln zu können, wir aber werden sie nicht sehen. Auf dem Wege, dem wir folgen, ertönt das Glockenspiel von tausend kleinen Glöckchen, eine verspätete Maultier-Karawane zieht zu ungewohnter Stunde zur Stadt hinein. Und in der Ferne sieht man die Straße, die gen Ispahan führt, sieht man wie immer den Zug der Esel und der Kamele, den Zug, der dies Land mit dem Persien des Nordens verbindet.
Die Frauen, die hier dem Rosenpflücken entgegeneilen, sind von verschiedenem Rang; aber alle tragen sie den schwarzen Schleier, alle sind sie in Trauergewänder gehüllt. Nur ganz in der Nähe, wenn man die Hand, den Pantoffel, die mehr oder weniger feinen, die mehr oder weniger stramm sitzenden Strümpfe beobachtet, entdeckt man den Unterschied. Zuweilen reitet eine der vornehmen Damen, in grünseidenen Strümpfen, ganz mit Ringen übersät, auf einem weißen Maultier oder einer weißen Eselin, die ein Diener am Zügel führt. Das Tier trägt eine goldgefranste Decke. Die Kinder dieser unsichtbaren Schönen folgen ihr zu Fuß; die kleinen Knaben, sogar die allerkleinsten, sehen sehr wichtig aus mit ihren hohen Astrachanhüten und ihren gar zu langen Kleidern; die kleinen Mädchen sind fast alle entzückend, besonders die zwölfjährigen, sie verhüllen noch nicht ihr Gesicht, tragen aber schon einen schwarzen Schleier, unter dem sie sich sofort in drolliger Verwirrung verbergen, sobald man sie ansieht.
Das ganze schöne Geschlecht verschwindet durch die bogenförmigen Pforten hinter den Mauern der Gärten, wo sie alle den übrigen Teil des Tages verbringen werden.
Bald sind wir allein mit den einfachen Leuten in einer Ebene, deren graue Töne durch Rosa und zartes Grün belebt werden; über uns wölbt sich ein wunderbarer Himmel. Aber man sieht nichts mehr; wir kehren deshalb in die alte Stadt mit ihren Lehmwällen und ihren Glasurbekleidungen durch irgendeine Öffnung in der Mauer zurück. Sobald wir das überdachte Labyrinth erreicht haben, ist es dunkel und schwül. Das Labyrinth ist fast menschenleer. Die Traurigkeit eines Sonntags liegt über Chiraz, eine Traurigkeit, die hier noch weit empfindlicher ist, als in den westlichen Städten. Besonders dunkel ist der große Basar, wie er in dem Schatten seiner steinernen Gewölbe daliegt; in den langen Alleen begegnet man keiner lebenden Seele, alle Läden sind mit alten Holzjalousien verrammelt, mit dicken, uralten Riegeln verschlossen, hier herrscht das Schweigen, der Schrecken der Katakomben; der Druck, der über Chiraz liegt, wird an einem solchen Tage zur Angst, und wir empfinden die größte Lust, koste es, was es wolle, davonzulaufen und von neuem das Wanderleben unter freiem Himmel, in einem großen Raum, aufzunehmen . . .
Was soll man heute beginnen? Nach dem Mittagsschläfchen wollen wir bei dem guten Hadji-Abbas eine Kalyan rauchen und einen gefrorenen Sorbet trinken, er hat uns versprochen, uns einen dieser Tage zu den Gräbern des Dichters Saadi und des edlen Hafiz zu führen.
Und dann geht's zu den van L...s, ich empfinde fast etwas wie Freude, heute nachmittag Leute, die mir verwandt sind, um einen Fünf-Uhr-Teetisch versammelt, wiederzufinden. Sie erzählen mir diesmal, daß es noch weitere drei Europäer in Chiraz, dort unten in den Gärten der Vorstadt gibt: einen englischen Missionar mit seiner Frau, einen jungen englischen Arzt, der einsam lebe und den Armen hilft. – Und dann teilt Madame van L. mir ihren Traum mit, sich ein Klavier kommen zu lassen, man hat ihr ein zerlegbares Klavier versprochen, das stückweise auf Karawanenmaultiere geladen werden könnte! . . . Ein Klavier in Chiraz, welch ein Unsinn! Nein, ich kann mir das Klavier, und sei es auch zerlegbar, nicht zu nächtlicher Stunde die zerklüfteten Felstreppen Irans hinanreitend, vorstellen.
In der Wohnung, wo wir uns zur Stunde des Moghreb verbarrikadieren, stehen uns im Laufe des Abends zwei Ereignisse bevor. Die Ausrufer, oberhalb der Stadt, haben kaum ihr Abendgebet gesungen, als auch schon der Diener ganz aufgeregt in mein Zimmer stürzt: »Die Dame, die die grünen Strümpfe trocknet, ist auf dem Dach!« Und ich folge ihm eilend . . . In der Tat, die Dame steht da, aber ihr Rücken ist in ganz gewöhnlichen Kattun gehüllt und ihr Kopf mit einem Tuch bedeckt, dieser Anblick ist schon enttäuschend für uns . . . Sie wendet sich um und sieht uns spöttisch an, als wolle sie sagen: »Meine Nachbarn, geniert euch doch nicht!« Sie ist in den Siebzigern und zahnlos; wahrscheinlich irgendeine alte Dienerin . . . Waren wir so naiv, zu glauben, daß eine Schöne auf das Dach steigen und sich der Gefahr, gesehen zu werden, aussetzen würde!
Zwei Stunden später; es ist ganz dunkel, und auf all den alten Mauern in der Umgegend stimmen die Käuze ihr Lied an. Die Kerzen brennen; durch die geöffneten Fenster sieht man hinaus in das durchsichtige Dunkel, ich nehme in Gesellschaft meines Dieners, an dessen Nähe ich mich in den Karawansereien gewöhnt habe, und der mein ständiger Begleiter geworden ist, eine einfache Abendmahlzeit ein. Ein kleiner Sperling dringt plötzlich mit unruhigem Flügelschlag zu uns herein und fällt auf einen Strauß Monatsrosen, – jenen Rosen, die in Chiraz so allgemein sind, und die jetzt unseren bescheidenen Tisch schmücken. An einer unsichtbaren Wunde muß er leiden, denn sein ganzer kleiner Körper zittert. Da wir ihm nicht helfen können, bleiben wir unbeweglich sitzen, um ihn wenigstens nicht zu erschrecken. Und einen Augenblick später stirbt er auf demselben Platz vor unseren Augen, es ist vorbei, sein Kopf fällt in die Rosen zurück. Irgendein giftiges Tier wird ihn gestochen haben, folgert mein braver Tischgenosse.
Möglich, oder es mag auch eine Katze gewesen sein, die auf ihrem nächtlichen Streifzug diesen Mord begangen hat. Aber ich weiß nicht, warum dieser ganz schwache Todeskampf auf diesen Blumen so traurig zu beobachten war, und meine beiden Perser, die uns bedienten, sahen hierin eine üble Vorbedeutung.
Sonnabend, 28. April.
Der Vezir von Chiraz kehrt noch immer nicht zurück, und so verzögert sich meine Abreise beständig, denn ich muß ihn sprechen, damit er mir für die Reise eine Begleitung, damit er mir Soldaten stellt.
Indessen gelingt es mir, dank M. van L.s Beistand, mit einem Pferdevermieter zu verhandeln, um die Reise fortsetzen zu können. Ein langer, mühsamer Kontrakt, der schließlich nach Verlauf einer Stunde unterschrieben und versiegelt wird. Nächsten Dienstag soll der Aufbruch stattfinden, und in zwölf bis dreizehn Tagen, inch' Allah! werden wir Ispahan erreichen. Aber ich habe zuviele Leute, zuviel Gepäck für die Anzahl von Tieren, die man mir liefern soll, und die ich scheinbar unmöglich werde vergrößern können. So sehe ich mich also gezwungen, einen meiner persischen Diener zu verabschieden. Und ich schicke ungezählte, in Bouchir erstandene Sachen zum Verkauf nach dem Basar: Geschirr, Feldbetten usw. Man muß sich eben, so gut es geht, beim Essen und Schlafen behelfen; die Hauptsache ist, daß endlich einmal Schluß gemacht wird.
Für heute hatte ich ein Rendezvous mit dem liebenswürdigen Chirazianer verabredet, der so freundlich gewesen war, mir einen Spaziergang auf den Dächern nach den Moscheen vorzuschlagen. Nachdem wir eine endlose Zeit durch den schmalen Irrgang hindurchgekrochen waren, erreichten wir über die Treppen eines verfallenen Hauses den Teil der Stadt, wo hunderte aus Lehm erbaute Dächer in Verbindung miteinander stehen, wo sie eine große, traurige Promenade bilden, die von hellem Licht überflutet ist, und deren Erde riesengroße Maultiere aufgeworfen haben. Das Gras ist gelb, stellenweise verbrannt, und noch weit mehr mit Unrat, Abfall und Schmutz bedeckt, als es der Boden in den Straßen war. In diesem Augenblick brennt die Sonne auf uns herab, und deshalb unterscheidet man nur mit Mühe im Hintergrunde der seltsam kleinen Wüste zwei oder drei auf Raub ausgehende Katzen, zwei oder drei träumende, vielleicht sinnende Perser in langen Kleidern. Aber alle Kuppeln der Moscheen sehen wir hier: mit kostbarer blau und grüner Glasur sind sie überzogen und gleichen so Edelsteinen, die aus einem trockenen Lehmhaufen – der Stadt Chiraz – hervorleuchten. Stellenweise entdeckt man auch viereckige Vertiefungen, und daraus empor ragen die Orangenbäume und die Platanen, es sind die eingeschlossenen Höfe, die kleinen Gärten der reichen Häuser.
Dieser Platz muß, so verlassen wie er am Tage auch daliegt, in den stillen Dämmerstunden und spät abends sehr besucht sein, denn zahlreiche Fußstapfen zeichnen sich auf dem Boden ab, und geebnete Wege führen nach allen Richtungen hin. Die Einwohner Chiraz' lustwandeln über den Häusern, über den Straßen, über der Stadt, sie benutzen ihre Dächer als Ablagerungsort, und alles findet man hier – sogar ein totes, schon von den Raben zerhacktes Pferd. Unterhalb dieser Erdkruste, die dem Rückenpanzer einer Schildkröte gleicht, also unterhalb unserer Füße, entfaltet sich die ganze Tätigkeit von Chiraz; das Leben spielt sich hier unter der Erde ab, ein wenig stickig zwar, aber schattig und kühl, und sehr geschützt gegen die Regengüsse, während man hier oben, ganz wie in den westlichen Städten, allen Launen des Himmels ausgesetzt ist.
Die Monumente aus alter Fayence, dort unten suchte man sie vergebens – große, abgerundete und eiförmig gebauchte Kuppeln, viereckige Türme, oder kleine Obelisken in der Gestalt von Torso-Säulen und -Spindeln – springen hier, fern und nah, leicht und ins Auge fallend aus dieser künstlichen Wiese hervor. Eine Wiese, die übrigens schmutzig und schäbig anzuschauen ist, und aus deren Innern man das Gesumme eines menschlichen Bienenschwarms vernimmt; von dort unten aus den überdachten Straßen, aus den Tunnels, die sich in dem ungeheuer großen Maulwurfshügel kreuzen, dringt das Stampfen der Pferde, das Glockenspiel der Karawane, die feilbietenden Rufe der Kaufleute, das Stimmengewirr zu uns herauf. Die miteinander in Verbindung stehenden Dächer sind oft von ungleicher Höhe, und so gibt es hier Hügel und Täler, gefährliche Schlitterbahnen, auch Löcher, Spalten, oft stößt man in diesem verfallenen Viertel auf große Vertiefungen; aber die langen, geraden Alleen der Basare bilden bequeme Wege, wo eine jede Öffnung, durch die die Leute dort unter atmen, uns im Vorübergehen einen unerwarteten Lärm entgegenschickt.
Um uns einer großen, ganz blauen, der ältesten und ehrwürdigsten Moschee nähern zu können, müssen wir über den Kupferbasar schreiten, und dort hören wir ein seltsames Geräusch, das aus dem Innern der Erde zu dringen scheint: den Lärm tausender von Hämmern.
Von Zeit zu Zeit sieht man in irgendeinen Hof hinab, aber es wäre unhöflich, lange stehenzubleiben; seine Lehmwände sind verfallen und mit alten, selten gefärbten Fayencen bekleidet, und wie überall, so stehen auch hier Orangenbäume, blühende Rosenbüsche. Die Sonne Persiens strahlt fast ein wenig zu sehr auf die mit Trümmern bedeckten Dächer herab, wo das Gras so verbrannt ist, wie bei uns im Herbst, und wirklich, man beneidet die Menge, die dort unten im Schatten kreist.
In der Nähe gesehen, ist die schöne, heilige Moschee, vor der wir jetzt stehen, nur noch eine Ruine; unter einem Traum von Emaillereichtum verfällt, verschwindet sie – und niemals wird sie ausgebessert werden. In das verschiedene Blau ihrer Fayencebekleidung mischt sich ein wenig Gelb, ein wenig Grün, gerade genug, um in der Ferne zu der Farbe des alten Türkiseblau zu verschmelzen. Einige Iriszweige, einige Rosenzweige springen auch hier und da aus dem Ganzen hervor; die Meister der Glasierkunst haben sie wie zufällig hingeworfen über die langen religiösen Inschriften, die in weißen Lettern auf kaiserblauem Grunde die Tore einrahmen und an den Friesen entlanglaufen. Aber wie kann man in diese Moschee eindringen? Von uns aus gesehen, verschwinden die ganz niedrigen Portale unter Erd- und Trümmerhaufen. Die hundertjährigen Häuser der Umgegend, die fast vollständig verfallen sind, begraben sie unter ihrem Schutt.
Auf meinem Nachhausewege komme ich an dem kleinen jüdischen Basar meines Viertels vorüber, alle Läden sind geschlossen, die Kaufleute sitzen vor der Tür und halten irgendein mosaisches Buch in der Hand: Heute ist Sabbath; ich hatte es vergessen. Hier erkennt man alle Leute Israels an der üblichen Tonsur, die sich hinten vom Nacken bis zum Wirbel des Kopfes hin erstreckt.
Sonntag, 29. April.
Der frühe Morgen schon sieht mich mit Hadji-Abbas auf dem Lande, wir wollen noch vor der großen Mittagshitze das Grab des Dichters Saadi und das Grab des Dichters Hafiz besuchen.
Zuerst folgen wir der Landstraße nach Ispahan, auf der ich zweifellos in zwei oder drei Tagen dahinwandern werde, um nie wieder zurückzukehren; sie ist groß und breit und läuft zwischen Moscheen, zwischen friedlichen, von Zypressen beschatteten Kirchhöfen, zwischen Orangengärten dahin, deren lange Lehmmauern mit ungezählten Spitzbogen verziert sind; viele Bäche und Gräben durchschneiden sie, aber diese wirken nicht störend, denn hier fahren keine Fuhrwerke. Die Vögel verkünden den Frühling, und wie immer ist die Landschaft unter diesem merkwürdig klaren Himmel wunderbar schön. Am Fuße der großen Berge, die von allen Seiten die Aussicht versperren, sieht man auf den nächstgelegenen Hügeln ein leichtes, grünes Gewebe sich ausbreiten; es sind die Weinberge, denen wir den berühmten Wein von Chiraz verdanken, – und man sagt auch, daß die Iraner im Verborgenen gegen das Gesetz des Korans diesem Wein zusprechen. Die Landstraße des Nordens ist weit mehr besucht als der Weg nach Bouchir, den wir benutzten: so sehen wir auch hier in den Feldern Hunderte von angepflöckten Kamelen, die, umgeben von ungezählten Warenballen, stehen oder knien. Sie ersetzen in dem Lande des glücklichen Stillstandes die Eisenwerke und Kohlenhaufen unserer großen Vorstädte.
Schließlich steigen wir auf Querpfaden zu dem Friedhof an, wo seit bald sechshundert Jahren der anmutige Dichter Persiens ruht. Das Geschick dieses Hafiz ist bekannt, bescheiden begann er im vierzehnten Jahrhundert in irgendeiner Lehmruine Chiraz' Brot zu kneten, aber er sang mit den Vögeln um die Wette, bald wurde er berühmt, wurde der Freund der Vezire und Prinzen, entzückte sogar den wilden Tamerlan. Die Zeit hat keine Asche auf ihn gestreut; noch heutigen Tages sind seine Sonette ebenso bekannt wie die des Saadi, entzücken in gleichem Maße die Gelehrten Irans, wie die unbekannten Tcharvadare, die sich an ihnen erfreuen, wenn sie ihre Karawanen führen.
Der Dichter schläft unter einem Achatgewölbe, umgeben von dem herrlichsten Gehege, wo blühende Orangenalleen, Rosenbeete und kühle Springbrunnen stehen. Und dieser Garten wuchs im Laufe der Jahrhunderte zu einem vollendet schönen Friedhof an; denn allen vornehmen Bewunderern des Dichters wurde einem nach dem andern auf ihre Bitten gestattet, neben ihm zu schlafen. Überall ragen jetzt ihre weißen Gräber zwischen den Blumen hervor. Die Nachtigallen wohnen hier zu Tausenden, allabendlich werden sie ihre kleinen kristallhellen Stimmen zu Ehren der glücklichen Toten erheben, die, aus verschiedenen Zeitaltern stammend, in gemeinsamer Bewunderung des harmonischen Hafiz in seiner Nähe schlafen.
In diesem Garten liegen auch kleine von Kuppeln überdachte Lusthäuser, in denen man beten oder träumen kann. Die Wände sind ganz mit Glasur bekleidet, sie schimmern in den verschiedensten blauen Tönen, vom dunklen Indigo bis zum blassen Türkis, sie sind alle mit denselben Zeichnungen geschmückt, wie man sie von den alten Stickereien kennt. Kostbare Teppiche liegen auf der Erde, und die Decke, die in tausend Fazetten, tausend kleine geometrische Flächen zerlegt ist, gleicht dem Werk vieler fleißiger Bienen. Zahllose Vasen stehen hier, immer sind sie mit großen Sträußen gefüllt, und heute morgen sind fromme Menschen damit beschäftigt, diese zu erneuern: Rosen, Löwenzahn, Lilien, alles Blumen, wie sie in unseren Ländern auch schon unsere Väter kannten, aber die Rosen herrschen vor, riesenhaft große Rosensträuße.
Und schließlich gelangen wir an dem Punkt an, wo man die schönste Aussicht auf Chiraz hat, »die Königin von Iran« ist ein großer nach allen Seiten hin geöffneter Saal, er wurde in alten Zeiten erbaut, um den beschaulichen Besuchern als Schutz gegen die Sonne zu dienen, eigentlich besteht er nur aus einem flachen, sehr bunt gestrichenen Dach, das von vier persischen Säulen getragen, in einer beträchtlichen Höhe liegt, diese Säulen sind ungewöhnlich schlank, ungewöhnlich hoch, und ihr Kapital gleicht auch der fleißigen Arbeit der Bienen oder der Wespen. Auf den Gebetsteppichen sitzen zwei oder drei Greise. Wie sie dort am Fuße der seltsamen Säulen lehnen, ähneln sie Vignetten aus alten Zeiten; ihre Astrachanhüte sind so hoch wie Bischofsmützen, sie rauchen ihre Kalyan, und der ziselierte Wasserbehälter steht auf einem metallenen Dreifuß. Vor ihnen liegt glänzend in der Morgensonne das nimmer wechselnde Land, das Land, das Hafiz besungen hat. Zwischen den dunklen Stämmen der nahen Zypressen, hinter den Feldern von weißem Mohn, den Feldern von lila Mohn, deren Tinten sich zu einer weichen Marmorierung verschmelzen, weit hinten in der klaren Ferne grüßt uns die Stadt des trockenen Staubes; wir sehen ihre zarten grau und rosa Töne, sehen die Fayence-Moscheen in der Sonne leuchten, sehen die turbanähnlich aufgebauchten Kuppeln mit ihrem unvergleichbaren, vielfarbigen Blau. Alles dies ist wunderbar orientalisch, die Gärten, die glasierten Lusthäuser, die Säulen des Vordergrundes, die Greise, deren Silhouetten den Magiern gleichen, und dort in der Ferne hinter den schwarzen Zypressen, diese Stadt, von deren Art es auch keine zweite mehr gibt. Man befindet sich gleichsam in dem Rahmen eines alten persischen Miniaturbildes, das bis ins Unermeßliche gestiegen und fast zur Wahrheit geworden ist. – Die Orangenbäume, die Rosen strahlen einen süßen Duft aus, der Stunde haftet etwas Abgeschlossenes, etwas Unbewegliches an, die Zeit scheint nicht mehr zu fliehen . . . Ach, welch ein Gefühl an einem solchen Morgen hierhergekommen zu sein, dies alles gesehen zu haben! . . . Man vergißt die vielen Leiden, die man während der Reise zu erdulden hatte, vergißt die nächtlichen Aufstiege, vergißt den Staub und das Ungeziefer, man fühlt sich für alle Strapazen reichlich belohnt. Über diesem Chiraz liegt wirklich ein Zauber, etwas Geheimnisvolles, das wir nicht in Worte zu kleiden vermögen, das zwischen unserem westlichen Phrasenreichtum hindurchschlüpft. Ich verstehe in diesem Augenblick die Begeisterung der persischen Dichter, die Überschwenglichkeit ihrer Bilder, die allein die geschauten Wunder auszudrücken vermochten, weil sie genügend Verschwommenheit, genügend Farbe besaßen.
Weiterhin liegt das Grab des Saadi, der nach unserer Zeitrechnung ungefähr 1194 zu Chiraz geboren wurde, also zwei Jahrhunderte vor Hafiz. Er kämpfte in Palästina gegen die Kreuzfahrer. Weit einfacher, mit größerer Natürlichkeit, mit weniger Übertreibung als sein Nachfolger, wird bei uns im Westen mehr gelesen als jener. Ich erinnere mich noch meines Entzückens, als ich in frühester Jugend irgendeine übersetzte Stelle aus seinem »Land der Rosen« las. Hier sagen sogar die kleinen Kinder noch seine Gedichte auf. – Alle Dichter können dies Land beneiden, dies Persien, wo weder Formen, noch Gedanken, noch die Sprache sich ändert, wo nichts in Vergessenheit gerät! Wer entsinnt sich bei uns, mit Ausnahme der Gelehrten, noch unserer Minnesänger, der Zeitgenossen des Saadi; wer entsinnt sich nur noch des einen, des wunderbaren Ronsard?
Trotzdem hat der Scheik Saadi nur ein einfaches Grab; er liegt nicht wie Hafiz unter einem Achatgewölbe, sondern nur unter einem weißen Stein in einem bescheidenen Leichenhäuschen, und obgleich diese Stätte erst vor einem Jahrhundert ausgebessert wurde, erzählt sie doch schon jetzt von Verfall und Verlassenheit. Aber in dem das Grab einschließenden Hain wachsen so viele Rosen, stehen so viele Rosensträucher! Und neben den echten Rosen, die man dem Dichter pflanzte, sprießen auch wilde Rosen aus der Erde hervor, sie bilden eine lange Hecke und führen in der Richtung des einsamen Weges ganz bis zu ihm. Und die Bäume seines kleinen Waldes sind voll von Nestern der Nachtigallen.
Aus dem reinen Licht und dem großen Frieden des Landes in die Stadt zurückgekehrt, legt sich die Dunkelheit und der unterirdische Lärm schwer auf uns, der Geruch von Schimmel, Unrat, von toten Mäusen folgt gar zu unmittelbar auf den Duft der Gärten, und da die Augen noch durch die Sonne verwöhnt sind, fällt es im ersten Augenblick schwer, den Pferden und Maultieren auszuweichen:
Wir erreichen den Basar der Sattler, der der prächtigste der ganzen Stadt ist, und der einem unendlich langen Kirchenschiff gleicht. – Er wurde um die Mitte des 18. Jahrhunderts zur letzten Glanzzeit Chiraz' von dem Regenten Persiens, Kerim-Khan erbaut. Damals war Chiraz sogar Hauptstadt, und ihr Herrscher brachte ehemaligen Pomp und Wohlfahrt in das Innere der alten Mauern. – Der Basar bildet eine lange Allee, die aus schiefergrauen Steinen besteht, sie ist sehr hoch gewölbt und zeigt eine endlos lange Reihe kleiner Kuppeln; ein wenig Licht dringt durch die durchlöcherten Spitzbogen, zuweilen fällt auch ein Sonnenstrahl, gleich einem goldenen Pfeil, auf einen seidenen, seltenen Teppich, auf einen kostbar gestickten Sattel, oder auf eine Gruppe von Frauen – immer dieselben schwarzen Schatten mit der kleinen weißen Maske –, die mit leiser Stimme Rosensträuße feilbieten.
Nachmittags wird mir als besondere Gunst gestattet, in den Hof der Moschee Kerim-Khans einzudringen. Von Tag zu Tag sehe ich das Mißtrauen um mich her fallen, und so liebenswürdig und gutmütig erscheinen mir die Leute, daß, bliebe ich noch länger hier, mir sicher erlaubt würde, auch die allerverbotensten Plätze aufzusuchen.
Von einem Ende Chiraz' bis zum anderen ist die Auffassung der Portale aller Moscheen und Schulen immer dieselbe, stets ein gewaltiger Spitzbogen, den eine Mauerquader in seiner ganzen Höhe durchbricht, kein Gesims, kein Fries stört die einfachen strengen Linien, aber die gleichmäßige Oberfläche ist von oben bis unten mit einer wunderbaren bunten Glasur gekleidet, ist gemustert wie ein kostbarer Brokatstoff.
Das große Portal des Kerim-Khan zeigt denselben Stil. Es scheint über ein hohes Alter zu klagen, und doch zählt es noch kaum zwei Jahrhunderte, seine Glasurbekleidung, deren Glanz sich fast ganz erhalten hat, fällt stellenweise ab, und macht den wilden Blümchen und dem grünen Gras Platz. Einige Chirazianer wollen es verantworten, mich vor die ehrwürdige Schwelle zu führen, aber sie zittern ein wenig, als ich sie überschreite. Ihr Zögern und das Schweigen der Moschee zu der verlassenen Stunde, die sie gewählt haben, lassen diesen glänzenden, ruhigen Ort, diesen heiligen Hof noch reizvoller erscheinen . . .
Die architektonischen Linien sind von seltener Erhabenheit und absoluter Ruhe, aber überall herrscht eine wahnsinnige Verschwendung in blauer und roter Glasur, kein Teilchen der Mauer, das nicht glasiert wäre; man befindet sich in einem melancholischen aus Lapislazuli und Türkisen erbauten Palast, nur zuweilen belebt eine Füllung von blühenden Rosen die traurige Umgebung. Der ungeheure Hof liegt fast ganz verlassen da, an seine geraden, glatten Wände lehnen sich vollendet schön geformte Spitzbogen, – sie bilden Gewölbe, Kreuzgänge, in deren Schatten die reiche Glasur leuchtet und strahlt; und dort im Hintergrunde, uns Eintretenden gerade gegenüber, erhebt sich ein großartiger Quaderbau, der alles andere überragt und in dessen Mitte ein einzelner, gewaltiger Spitzbogen eingehauen ist: die Tür des Heiligtums, in das man mich nicht hineinzuführen wagt.
Zwei oder drei Greise, die sich in einer der Nischen zum Gebet niedergeworfen hatten, erheben den Kopf und sehen den Eindringling prüfend an, aber da sie mich in guter muselmännischer Begleitung finden, kehren sie alsbald, ohne ein Wort zu sagen, zu ihrem Gebet zurück. Bettler sitzen in der Sonne, sie nähern sich uns bei unserem Eintritt, um sich unter Segenswünschen wieder zurückzuziehen, nachdem ich ihnen, wie man mir geheißen hat, große Almosen in die Hand drückte. Alles geht gut, und wir können uns auf den alten gerissenen, zerspaltenen Fliesen, zwischen denen das Gras wächst, weiter vorwagen, können bis zu dem Abwaschungsbecken mitten im Hofe vordringen. Die tausend verschiedenen komplizierten und trotzdem so harmonischen, beruhigenden Muster, die die Perser schon seit Jahrhunderten für ihren Sammet, ihre Seide und Wolle entwerfen, sind auch hier unter der unverwüstlichen Glasur der Fayencen überall zu sehen; sie decken die Mauern von oben bis unten. Von einer wunderbaren Farbenstimmung, von einer naiven Anmut ist aber jede einzelne der großen Blumenfüllungen, die stellenweise die Eintönigkeit der Arabesken verdrängen. Man könnte fast sagen, daß alle Mauern der großen Umzäumung mit den verschiedenartigsten persischen Teppichen behangen sind. Und die Erdbeben, von denen die alte Moschee heimgesucht wurde, haben tiefe Spalten hinterlassen, die den Rissen in den kostbaren Geweben ähnlich sehen.
Nachdem die betenden Greise wieder in das Land ihrer Träume untergetaucht sind, nachdem die Bettler von neuem auf den Fliesen kauern, kehrt das Schweigen, der erhabene Friede in den Palast des Lapislazuli und der Türkisen zurück. Die rötlichen Strahlen der Abendsonne fallen schon schräg auf den großen Reichtum der bläulich wiederscheinenden Glasur herab, unwillkürlich stelle ich mir vor, daß eine sehr alte Sonne, deren ungezählte Jahre sich ihrem Ende zuneigen, eine ähnliche Farbenwirkung hervorzurufen vermag, und in vollen Zügen genieße ich den Reiz, zu einer so stimmungsvollen Stunde mich an einem weltfernen, geheimnisvollen, verbotenen Ort befinden zu dürfen . . .
Ich glaube nicht, daß viele Europäer vor mir in Chiraz den Hof einer Moschee betreten haben.
Unsere Abreise war auf morgen festgesetzt, aber es scheint, daß niemand Wort hält; der Tcharvadar hat nach einer genaueren Prüfung meines Gepäcks erklärt, daß es zu viele Stücke seien und zieht sich deshalb zurück. So muß ich wieder von vorne anfangen.
Ich werde allmählich ganz heimisch in dieser Stadt; ich gehe allein aus und finde mich sehr gut in dem Labyrinth der dunklen Gäßchen zurecht. Dort unten auf dem Platz, zwischen der rosaroten Moschee und den baufälligen Wällen empfängt man mich in dem kleinen Café, wohin ich allabendlich pilgere, schon ganz vertraulich; man bringt mir »meine« Kalyan, und parfümiert das klare Wasser des Behälters mit Orangenblüten und einigen roten Rosen. Aber sobald der Aprilabend hereinbricht, kehre ich in meine Wohnung zurück, denn immer macht sich in diesem hochgelegenen Lande eine empfindliche Kälte fühlbar, und immer ist die Dämmerung trotz der jauchzenden Schreie der Segler, die sich mit dem Gesang der Gebetsrufer in den Lüften verschmelzen, unendlich traurig.
Heute abend, während ich einsam heimwärts wandere, entdecke ich an dem perlmutterfarbenen Himmel zwischen zwei hohen Giebeln eine schmale, zunehmende Mondsichel; Neumond, der erste Mond der persischen Fastenzeit. Unterwegs begegne ich einer ungewöhnlichen Menge schwarzer, undurchdringlicher verhüllter Schatten, die in der Dunkelheit an mir vorüberschweben; man muß in den streng mohammedanischen Städten gewohnt haben, um verstehen zu können, wie sehr das Leben dadurch getrübt wird, nie, niemals das Gesicht, niemals das Lächeln einer jungen Frau oder eines Mädchens zu sehen. . . . In dem kleinen, meiner Wohnung gegenüberliegenden israelitischen Basar sind die dreiarmigen Lampen schon angezündet. Sie brennen in den Buden der Kaufleute. Die Jüdinnen haben nicht das Recht, die kleine weiße Maske der Mohammedaner zu tragen, aber da sie trotzdem ihr Gesicht nicht zeigen dürfen, schließen sie bei meinem Anblick ihren schwarzen Schleier noch fester; und so sind auch mir alle ganz unbekannt. Endlich finde ich meine Tür, sie ist ebenso versteckt, ebenso baufällig, ebenso eisenbeschlagen wie alle anderen der Umgegend, aber der Klang ihres Klopfers, der in der Dunkelheit und dem Schweigen widerhallt, ist mir schon ein vertrautes Geräusch.
Dienstag, 1. Mai.
Bereits vor Hereinbruch der Morgendämmerung saßen wir zu Pferde, und die aufgehende Sonne findet uns in den Ruinen eines uralten, aus grauen Vorzeiten stammenden Palastes wieder. Auf den Basreliefs sind die Stellungen, die Bewegungen, die Kämpfe und die Todesangst der Menschen und Tiere, wie sie vor Tausenden von Jahren lebten, verewigt. Die Ruinen liegen am Fuße der Berge, die im Norden die Ebene von Chiraz einschließen; auf einem dürren, staubigen, von der Sonne verbrannten Plateau sind sie immer mehr dem Verfall anheimgegeben; man sieht, daß hier große Säulenreihen, mächtige Mauern gestanden haben, aber alles ist so verwischt, daß sich kein übersichtlicher Plan aus dem Ganzen herauslöst; was früher das Werk menschlicher Hände war, geht jetzt in die einfache Felswand über; unter dem Staub und Trümmerhaufen sieht man noch zuweilen die Darstellung einer Jagd oder einer Schlacht, sie ist in ein Mauerstück gehauen; die Ornamentik der Friese, weit gröber zwar, erinnert an die Denkmäler Thebens: man könnte glauben, es seien ägyptische, sehr naive Zeichnungen, die von Barbaren wiedergegeben wurden. Der Palast, der heute keinen Namen mehr trägt, beherrscht ein kühles Tal, wo das Gebirgswasser zwischen Schilf und Weiden dahinfließt, und am anderen Ufer des kleinen Flusses, den Ruinen, auf denen wir stehen, gegenüber, erhebt sich ein senkrechter Berg, der mit den gleichen Figuren der Felswand geschmückt ist. Menschen mit Bischofmützen, sie strecken die verstümmelten Arme in die Luft, sie rufen und machen unverständliche Zeichen. Welcher Monarch mag hier gewohnt haben? Welcher Monarch ist verschwunden, ohne eine Spur in der Geschichte zu hinterlassen? Ich glaubte, daß diese Ruinen, die mir fast ganz unbekannt waren, und auf die ich durch Hadji-Abbas aufmerksam gemacht wurde, von Achämenides herstammten; aber würde dieser Herrscher der Erde sich mit einer so plumpen, so einfachen Wohnung zufriedengegeben haben? Nein, dies alles muß auf die graue Vorzeit zurückzuführen sein. Nirgends sieht man eine Inschrift, und nur den angestrengtesten Nachforschungen würde es gelingen, diesen Steinen ihr Geheimnis zu entlocken. Aber solche Trümmer genügen, um zu beweisen, daß die Hochländer Chiraz' von Anbeginn an der Mittelpunkt menschlicher Tätigkeit waren. Nach Aussage meiner chirazianischen Freunde gibt es auch in den Höfen gewisser Moscheen geheimnisvolle, vorgeschichtliche Grundmauern, altehrwürdige, gehauene Porphyre, deren Alter niemand zu sagen weiß, und nach all diesem könnte man annehmen, daß die Gründung der Stadt noch viel früher stattgefunden haben muß, als um das Jahr 695 nach unserer Zeitrechnung – das die mohammedanische Chronologie als Gründungsjahr festgesetzt hat.
Kurz nur war der Besuch, den wir diesen Palästen abstatten durften, dann kehrten wir mit verhängtem Zügel zurück, um noch mit dem Pferdehändler verhandeln, um noch wenigstens den Versuch machen zu können, die nötigsten Reisevorbereitungen zu treffen.
In dem Augenblick, wo die Ausrufer ihr Mittagsgebet gen Himmel senden, langen wir wieder zu Hause an. Der Mittag ist heißer als gewöhnlich; wir haben heute den ersten Mai und man fühlt den Sommer nahen. »Allahu akbar!« Von meinem Fenster aus sehe ich den Sänger der nächsten Moschee, sein Anblick ist mir schon bekannt; ein Mann in einem grünen Gewande mit einem grauen Bart, ein wenig alt zwar für einen Gebetsausrufer, aber seine gellende Stimme entzückt noch immer. Hoch steht er dort oben auf der grasbewachsenen Terrasse, doch nicht vom Himmel, sondern von der alles einschließenden, aschgrauen Gebirgskette hebt er sich ab. Unbekümmert läßt ihn die brennende Sonne, das Gesicht gegen den blauen Zenit gewandt, stößt er seinen langen, melancholischen Schrei in das Schweigen, in das Licht hinaus, und seine Töne verschlingen für mich all die anderen, die zur selben Stunde von den verschiedensten Punkten Chiraz' aus gen Himmel steigen. Nachdem er geendet hat, höre ich in der Ferne eine andere, eine ganz frische, ganz junge Stimme erklingen, für Augenblicke zittert sie in der Luft, dann schweigt auch sie, und der mittägliche Todesschlaf senkt sich über die Stadt hernieder. Von dem wunderbaren Himmel heben sich zartweiße Wölkchen ab, gleich Vögeln schweben sie dahin, gepeitscht von einem glühenden Wind. . . .
Nach einer anderthalbstündigen Unterhaltung, die sich hauptsächlich um zwei weitere Pferde dreht, ist mein Reisekontrakt endlich niedergeschrieben, auf unverständlichem Persisch auf eine Seite gezwängt, unterzeichnet und gesiegelt. Morgen soll der Aufbruch stattfinden, und obgleich ich eigentlich gar nicht mehr daran glaube, mache ich mich doch schnell auf den Weg nach dem Teppichbasar, um für die Reise einige chirazianische Quersäcke zu kaufen, die mit ihrem Gewebe von bunter Wolle für jeden Reisenden, der etwas auf sich hält, unentbehrlich sind. In die lange, halbdunkle Straße sickern die Sonnenstrahlen durch Löcher in dem Gewölbe herab, und lassen die kolibribunten Gebetteppiche hier und da in grellem Licht aufleuchten. Hier treffe ich auch Hadji-Abbas mit zwei oder drei Honoratioren; wir bleiben stehen, tauschen Höflichkeitsreden aus, und da es der letzte Tag ist, rauchen wir zusammen eine Abschieds-Kalyan und trinken eine kleine, ganz kleine Tasse Tee. – Als Stätte für dieses Rauchfest haben wir in der Nähe der Silberschmiede einen jener sehr kleinen Plätze gewählt, die in gewissen Abständen unter freiem Himmel, mitten in der drückenden, schattenreichen Stadt gelegen sind, und die für jeden eine Überraschung in Bereitschaft halten: eine Flut von Licht und einen plätschernden Springbrunnen, umgeben von blühenden Orangenbäumen und Rosensträuchern.
Der Vezir von Chiraz, der endlich in seine gute Stadt zurückgekehrt ist, hat mir heute morgen sagen lassen, daß er mich noch heute, zwei Stunden vor Sonnenuntergang, was bei uns ungefähr fünf Uhr nachmittags bedeutet, zu sehen wünsche. Er wohnt sehr weit von mir entfernt, in dem Stadtteil der Würdenträger. Mitten in einer langen, grauen Mauer liegt ein Spitzbogen, dieser wird bewacht von vielen Soldaten und Dienern, die alle auf teppichbelegten Bänken sitzen, er dient als erstes Eingangstor zu dem Palast. Zuerst schreite ich durch die Orangenallee eines Gartens, und erreiche schließlich das ganz mit Fayencen bekleidete Wohnhaus, das abwechselnd große, buntfarbige Porträts und kleinere rosenbemalte Flächen zeigt. Wächter, verschiedene Diener mit großen Astrachanmützen stehen Posten vor der Tür des schönen glasierten Hauses, und auf den Fliesen des Vorraumes liegen ungezählte türkische Babuschen. Die Fliesen sind wie immer so auch hier mit Rosen, über und über mit Rosen bemalt. In dem Salon ist die Decke zu einem Tropfsteingewölbe geformt, man sieht viele rote Brokatdiwane, und die Erde ist mit ganz feinen, sammetähnlichen Teppichen bedeckt. Nachdem ich neben dem liebenswürdigen Vezir Platz genommen habe, bringt man, wie für Alladin, für jeden von uns eine aus Gold ziselierte Kalyan und in einem goldenen Glase, auf einem chirazianischen Mosaiktischchen einen geeisten Sorbet. Viele Menschen kommen herbei, schweigend grüßen sie uns, setzen sich auf ihre Fersen und bilden einen Kreis. Die orientalische Etikette verlangt, daß der Besuch ein wenig lang sei, und darüber braucht man sich nicht zu beklagen, wenn der Wirt, wie hier, zugleich intelligent und vornehm ist. Man spricht von Indien, wo ich eben gewesen bin, der Vezir fragt mich nach der dort herrschenden Hungersnot, nach der Pest, deren Nachbarschaft ihn beunruhigt. – »Ist es wahr, daß die Engländer aus Bosheit Pestkranke nach Arabien geschickt haben, um dort die Ansteckung zu verbreiten?« Ich weiß nicht, wie ich hierauf antworten soll. Als ich durch Maskat kam, lautete das allgemeine Gerücht also, aber die Anschuldigung ist übertrieben. Dann beklagt er den immer mehr schwindenden französischen Einfluß in dem Persischen Golf, wo unsere Flagge fast nie mehr zu sehen ist. Und nichts macht mich in peinlicherer Weise darauf aufmerksam, wie sehr wir in den Augen der Fremden gesunken sind, als die mitleidige Stimme, mit der er mich fragt: »Haben Sie noch einen Konsul in Maskat?«
Was meine Reiseangelegenheiten nach Ispahan betrifft, so stellt der Vezir mir bereitwilligst eine berittene Begleitmannschaft zur Verfügung; aber ob sie morgen schon werden aufbrechen können, das kann Allah allein sagen! . . .
Abends beantworten lange Schreie den Gesang der Gebetsausrufer, der laute Lärm vieler menschlicher Stimmen steigt von unten aus dem Schatten der Moscheen gen Himmel. Die Fastenzeit hat begonnen, und die religiöse Begeisterung wird sich bis zu dem Tage des allgemeinen Schlußrausches steigern, wo man sich die Brust zerfleischt und den Schädel verwundet. Seitdem der verbotene, verfolgte Babismus in Persien eingedrungen ist, befindet sich der Fanatismus derjenigen, die noch schiitische Muselmänner geblieben sind und besonders aller derjenigen, die es noch zu sein vorgeben, in stetem Wachsen.
Da es aber vielleicht mein letzter Tag in Chiraz ist, gehe ich abends, gegen den Rat meiner vorsichtigen Diener, noch einmal allein aus. Die Eingeschlossenheit und die Traurigkeit meines Hauses fallen mir auf die Nerven, und ich verspüre große Lust, das kleine Café außerhalb der Mauern mit seinen rosenroten Fayenzen aufzusuchen und mir meine Kalyan geben geben zu lassen.
Der Anblick dieses Platzes, den ich niemals bei Laternenbeleuchtung gesehen habe, bringt mich sofort außer Fassung. Er ist überfüllt von Menschen, Leute aus dem Volk oder vom Lande, die dicht gedrängt nebeneinander sitzen. Kaum finde ich einen Platz in der Nähe der Tür auf einer Bank, neben einem Stammgast, der mich gewöhnlich mit ausgesuchtester Höflichkeit empfängt, aber der jetzt kaum auf meinen Gruß antwortet. Mitten in der Versammlung steht ein Greis mit leuchtendem Blick, er spricht beredt mit übertriebenen, oft aber schönen Bewegungen. Niemand raucht, niemand trinkt, man lauscht seinen Worten und unterstreicht einzelne besonders rührende, besonders schreckliche Stellen durch leises Wimmern. Von der nahegelegenen Moschee dringt zuweilen das Geschrei tausender menschlicher Stimmen zu uns herüber. Augenscheinlich erzählt der Greis von den Schmerzen, dem Sterben des HusseinHussein ist ein in Persien verehrter Märtyrer, Sohn des Ali und Enkel des Propheten Mahomet., dessen Namen er immer wiederholt: es ist, als wenn bei uns der Prediger von der Leidensgeschichte Christi erzählt.
Plötzlich ruft mein Nachbar, mein früherer Freund, der mich kaum eines Blickes würdigt, mir leise auf türkisch zu: »Geht.«
»Geht!« Es wäre lächerlich, ja unvorsichtig, länger zu bleiben; diese Leute brauchen ja keinen Ungläubigen bei ihrer frommen Abendandacht zu dulden.
So gehe ich. Von neuem umschließt mich das Schweigen und die Dunkelheit, ich stehe inmitten der baufälligen Wände, inmitten des Labyrinths überdachter Gäßchen. Wie der kleine Däumling im Walde muß ich auf jedes Zeichen achten, das ich mir gemerkt habe, um die gähnenden Löcher unter meinen Füßen zu vermeiden, das ich mir gemerkt habe, um in die richtigen Gänge einbiegen zu können; ich schreite langsam vorwärts, strecke wie ein Blinder die Arme vor mich hin, und begegne auf meinem Wege keinem anderen lebenden Wesen, als den vor mir fliehenden Katzen, die zu dieser Stunde auf nächtlichen Raub ausgehen.
Und niemals habe ich in einem Land des Islam ein solches Gefühl von Einsamkeit und Verlassenheit gehabt.
Mittwoch, 2. Mai.
Wahrscheinlich kann heute der Aufbruch stattfinden, denn seit heute morgen werden die Vorbereitungen allen Ernstes betrieben. In der Mittagsstunde stellen sich mir zwei Reiter vor, der Gouverneur schickt sie mir, ihre Pferde haben sie an den Klopfer meiner Tür gebunden, und man hört sie in der Straße stampfen und wiehern. Um ein Uhr wird unser Gepäck von Juden auf dem Rücken durch den kleinen Basar unseres Viertels getragen und auf die Lasttiere geladen.
Es herrscht kein Zweifel mehr: Man legt den Pferden das Geschirr an. Viele Menschen sind außerhalb der Wälle Chiraz' vor den Steinmauern und Erdhaufen herbeigeeilt, um unserer Abreise beizuwohnen, und Bettler scharen sich um uns, sie bieten uns kleine Rosensträuche an und wünschen uns glückliche Reise.
Um zwei Uhr verlassen wir die Stadt auf dem Wege, der sich die »Landstraße von Ispahan« nennt, und der in der Tat während der ersten halben Meile eine ziemlich breite Landstraße ist, dann aber, nachdem wir den Vorstädten, Moscheen, Gärten, den Friedhöfen den Rücken gekehrt haben, sehen wir nur das gewöhnliche Netz schmaler Stege sich vor uns ausbreiten, Stege, wie sie die Karawanen zu treten pflegen.
Wir reiten auf eine Öffnung, einen Ausgang in der die Hochebene Chiraz einschließenden Gebirgskette zu, und kaum liegen die nördlichen Mauern eine Meile hinter uns, so befinden wir uns auch schon in den öden Steppen, außerhalb der grünen Zonen, außerhalb der Oase und der Stadt des Schlafes.
Vor einem Jahrhundert hat der Vezir von Chiraz ein monumentales Tor errichtet, das den Eingang zu dem Hohlweg bildet: einen Triumphbogen, der sich auf die Einsamkeit, auf das Chaos von Steinen, auf die Schrecken der Berge öffnet.
Ehe wir uns hier hineinbegeben, machen wir halt, um rückwärts zu blicken, um dieser Stadt, die für immer verschwindet, Lebewohl zu sagen . . . Und von welcher Schönheit, von welchem Reiz, zeigt sie sich uns zum letztenmal . . . Niemals vor heute abend haben wir sie in einem solchen Überblick, in einer so günstigen Beleuchtung, haben wir sie in diesem alles verzaubernden Licht gesehen. Man könnte sagen, sie sei gewachsen, habe eine andere Gestalt angenommen! Alle diese vielen Lehmhäuser, Lehmwälle, alle die Gegenstände mit ihren weichen, fast formlosen Umrissen, verschmelzen, wachsen, vereinen sich zu einem unbestimmten Ganzen. Und überall nur sieht man den einen grauen, zart rosa überhauchten Ton, die eine Färbung des Morgennebels: Gleich Juwelen strahlen die Kuppeln der unnahbaren Moscheen in der Sonne wieder, deutlich heben sie sich von dem übrigen ab; ihre blauen Fayencen, ihre grünen Fayencen – deren Glanz man heute nicht mehr nachahmen kann –, leuchten zu dieser Stunde in voller Pracht, mit ihren bauchigen Konturen, ihren runden Silhouetten, gleichen sie Rieseneiern aus lebhaftem, aus blassem Türkis, die man, ich weiß nicht, auf ein Nichts, auf dem schieferfarbenen, taubengrauen Umriß einer großen Stadt aufgebaut hat.
Bei einer plötzlichen Senkung des Weges verschwindet dies alles auf Nimmerwiedersehen, und wir befinden uns von neuem einsam in der großen Welt der Steine. Acht Leute, acht Pferde, das ist mein ganzes Gefolge, und wenig erscheint es in dieser Gegend der Wüsten und der Unendlichkeiten . . . Steine, Steine, bis in die Ewigkeit Steine. Über die einsamen Flächen huschen die Schatten einiger kleiner wandernder Wölkchen dahin. Die Gipfel der Umgegend, wo noch kein Gras hat wachsen können, zeigen die Formen, die ihnen irgendein großer geologischer Sturm verlieh; zur Zeit der mineralischen Umwälzungen hat ein Wirbelwind ihre verschiedenen Schichten durcheinander geworfen, in die Höhe getragen, und jetzt heben sie sich überall mit denselben krampfhaften Bewegungen ab, wie sie sie damals annahmen, und wie sie sie bis ans Ende der Welt behalten werden.
Unser Ritt ist langsam und beschwerlich, jeden Augenblick müssen wir absitzen, um die Pferde am Zügel zu führen, denn die Abhänge sind zu steil, die Löcher zu gefährlich.
Abends sehen wir einen schmalen grünen Streifen hervortauchen, es sind die Wiesen einer neuen kleinen Oase, die dort hinten ganz verlassen in diesem Reich von Steinen liegt; sie ernährt ein Dorf. Die kleinen Lehmhäuschen kleben an dem Fuße eines majestätischen Berges und gleichen in der Ferne bescheidenen Schwalbennestern. Es ist Zaragoun, wo wir die Nacht verbringen werden. Wir setzen den ganzen kleinen Basar, durch den wir in der Dämmerung reiten, in Bewegung. Die Zimmer der Karawanserei haben gespaltene Wände, und die Decke ist mit Fledermäusen übersät, und dort schlafen wir ein, gefächelt von einem kühlen Windhauch, eingewiegt von dem nächtlichen Konzert der Frösche, die zu tausenden unter dem Gras in dieser hochgelegenen Oase hausen.
Donnerstag, 3. Mai.
Unsere Reisezeit haben wir jetzt ein für allemal anders gelegt, seitdem die Sonne nicht mehr so tödlich brennt wie dort unten. Bis nach Ispahan werden wir täglich zwei Märsche machen, für jeden rechnen wir vier bis fünf Stunden, und zwischendurch können wir in irgendeiner Karawanserei des Weges unseren Mittagsschlaf halten. Natürlich müssen wir uns früh erheben, und die Sonne steht noch nicht am Horizont, als man uns heute morgen in Zaragoun weckt.
Das erste Bild dieses Tages, von der unvermeidlichen kleinen Terrasse aus gesehen, nachdem wir unser lehmerbautes Zimmer verlassen haben und in die frische Morgenluft hinausgetreten sind, ist folgendes: Zuerst, im Vordergrund, liegt der Hof der Karawanserei, er ist angefüllt mit Erde und Staub. In der Mitte stehen meine Pferde, an den Wänden halten sich meine Diener und andere Leute, die des Weges daher kommen, auf, sie rauchen ihre Kalyan, trinken ihren Morgentee und liegen auf einem Haufen von Teppichen, Decken und Quersäcken – lauter unverwüstliche Gegenstände aus grober Wolle gewebt, mit denen hierzulande ein großer Luxus getrieben wird. Und dahinter dehnt sich das eintönige Land der Oase, dehnen sich die weißen Mohnfelder aus, die sich auf der einen Seite in dem unendlichen Raum verlieren, auf der anderen Seite vor der wilden Gebirgskette ersterben. Wie seltsam jungfräulich, wie rein steht dieser Mohn beim Anbruch des Tages in seinem weißen Kleide da – und trotzdem ist es seine Bestimmung, als ein schnelles Gift zu wirken, das man in den Rauchsälen des äußersten Ostens mit schwerem Geld bezahlt . . . Nirgends ein Baum; aber überall ein Meer von weißen Blumen, das sich gleichsam zwischen den Ufern der großen wilden Berge wie ein Meerbusen vorgedrängt hat. Und die Nebel des Sonnenaufganges, die bunt violetten Nebel, ziehen sich in der Ferne dahin, sie verwischen die reinen Linien des Horizontes dort, wo die Sonne auftauchen wird, sie verschmelzen die einfarbig blühenden Flächen, die seltsamen Felder dort unten mit dem Himmel.
Jetzt geht die Sonne auf; was noch vom nächtlichen Schatten blieb, flieht gleich einem braunen Gazeschleier vor ihr über die Blumenfelder dahin. Und junge Mädchen verlassen in Scharen das Dorf, sie gehen an irgendeine Feldarbeit, und fröhlich lachend suchen sie die kleinen Pfade auf, wo sie bis zum Gürtel in dem weißen Mohn untertauchen.
Es ist auch unsere Abschiedsstunde, darum vorwärts, auf denselben Pfaden wollen wir den jungen Mädchen folgen, wo dieselben Blumen, dieselben Gräser uns streifen . . .
Aber unsere Etappe ist diesmal nicht von langer Dauer, denn in einer Viertelstunde werden wir die großen Paläste des Schweigens, die Paläste des Darius und des Xerxes treffen, die es wohl verdienen, daß man bei ihnen haltmacht.
Nachdem wir zwei Mohnfelder, endlose feuchte Wiesen, Bäche und tiefe Ströme überschritten haben, bleiben wir vor einem bescheidenen, ganz verlassenen Weiler stehen, der von einer Reihe von Pappeln umgeben ist. Zwei Nächte verweilen wir in der verfallensten, wildesten aller Karawansereien, die weder Türen noch Fenster besitzt, deren alter Garten aber mit seinen Rosensträuchen, seinen Aprikosenalleen und seinen wilden Gräsern eine seltene Fruchtbarkeit zeigt. Kleine Kinder nähern sich uns, sie verneigen sich und überreichen uns bescheidene, fast gewöhnliche Monatsrosen. Umgeben ist der Weiler von einsamen Wiesen, überall herrscht Friede und Schweigen. Der Himmel bedeckt sich, es ist kühl. Man könnte glauben, man befände sich in Frankreich auf dem Lande, aber nicht heute, in vergangenen, in alten Zeiten . . .
Vielleicht zwei Meilen von uns entfernt, liegt am Ende der grasreichen Ebene, am Fuß einer jener Gebirgsketten, die gleich Mauern das Land von allen Seiten durchschneiden, ein einsamer, auf den ersten Blick wenig auffälliger Gegenstand, der, je länger man ihn betrachtet, desto schwerer festzustellen ist . . . Ein Dorf, eine Karawanserei, dachten wir zuerst; Mauern oder Terrassen, die wie überall, so auch hier aus grauem Lehm erbaut sind, auf die man aber ungezählte Mastbäume bunt durcheinander gepflanzt hat. Die große Durchsichtigkeit der Luft täuscht über die Entfernungen hinweg, man muß schon genau hinsehen, um sich klar machen zu können, daß dies Rätsel weit entfernt liegt, daß die Terrassen in keinem Verhältnis zu den anderen des Landes stehen, daß das Mastwerk riesengroß sein müßte. Je mehr man prüft, desto seltsamer erscheint es einem . . . Und in der Tat haben wir es hier, ebenso wie bei den Pyramiden Ägyptens, mit einem jener großen, klassischen Wunderwerke der Welt zu tun; – aber weit seltener kommt man dorthin als nach Memphis, und auch der Schleier, der über diesem Platze liegt, ist weit weniger gelüftet. Die Könige, die die Welt erzittern machten, Xerxes und Darius, haben an diesem Ort ihren traumhaften Hof abgehalten, sie verschönerten ihn mit Statuen und mit Basreliefs, denen auch der Zahn der Zeit nichts anhaben konnte. Seit mehr als zweitausend Jahren, seit der Durchzug der Heere des Mazedoniers den westlichen Völkern sein Dasein verraten hat, trägt er einen Namen, der schon an und für sich groß und ehrfurchteinflößend klingt: Persepolis. Aber wie er ursprünglich hieß, und welche sagenhaften Herrscher seinen Grundstein legten, das weiß man nicht. Geschichtsschreiber, Gelehrte haben schon zur Zeit des Herodot bis in unser Jahrhundert hinein so viele sich widersprechende Meinungen geäußert! Im Laufe der Zeiten haben ungezählte Forscher, durch die Ruinen angelockt, Tausenden von Gefahren getrotzt, um hier in der Umgegend zu hausen, um die Inschriften zu entziffern, die Gräber zu durchstöbern, ohne daß sie doch jemals zu einem Schluß gelangt wären. Und wieviele dicke Bände sind über diesen Winkel Asiens geschrieben worden, wo der kleinste Stein der Hüter aller Geheimnisse ist!
Übrigens kommt die ganz genaue Feststellung der historischen Tatsachen für mich, den einfachen Reisenden, kaum in Betracht. Was liegt daran, ob es dieser oder jener Monarch ist, der in der Tiefe jenes Grabes ruht, ob dieser Palast oder jener der des Pasargades ist, der von den Soldaten Alexanders eingeäschert wurde. Es genügt mir zu wissen, daß diese Ruinen die gewaltigsten, die besterhaltensten ihrer Zeit sind, die in unseren Augen das Genie einer ganzen Epoche, einer ganzen Rasse verewigen.
Aber welch ein Geheimnis, daß der Fluch immer solche Plätze trifft, die im Altertum besonders glänzend waren! . . . Warum haben hier zum Beispiel die Menschen ein so fruchtbares, so schönes Land verlassen, das unter einem so reinen Himmel gelegen ist? Warum waren früher so viele Herrlichkeiten in Persepolis angehäuft, wo heute nichts ist als eine blühende Einöde?
Wir lassen unser Gepäck und unser Gefolge in der ärmlichen Karawanserei zurück, in der wir die Nacht verbringen werden, und reiten nach einem Mittagsschläfchen unter Führung von zwei jungen Leuten aus dem Weiler auf die großen Ruinen zu. Während der ersten Meile schwimmen wir in einem wirklichen Meer von weißen Mohnblumen und grüner Gerste; dann folgt eine wilde Wiese, die mit Krauseminze und gelben Immortellen übersät ist. Und dort unten, hinter Persepolis, dem wir immer näher kommen, und das sich immer deutlicher abhebt, wird die Ebene von wilden, lederfarbenen Bergen durchkreuzt, wo sich Schlünde und Schluchten öffnen. Übrigens trägt seit Chiraz das baumlose Land überall den gleichen Charakter: Weite Flächen, die so ruhig wie ein Wasserspiegel daliegen, und die durch eine kahle, schreckeneinflößende Bergkette voneinander getrennt werden.
Aber nirgends haben die Formen der Berge, die immer überraschend wirken, uns etwas Ähnliches gezeigt wie das, was sich in diesem Augenblick in der klaren Ferne zu unserer Linken erhebt. Es ist viel zu gewaltig, um von Menschenhand erbaut worden zu sein, und dann beunruhigt es durch seine gesuchte Stellung: im Mittelpunkt liegt ein ganz viereckiger, fünf- bis sechshundert Meter hoher Bau, der einer Gottesfeste, oder dem Grundstein zu irgendeinem unterbrochenen Turmbau von Babel gleicht, zu beiden Seiten türmen sich symmetrisch wie zwei Wachtposten zwei ganz gleiche, ganz regelmäßige, riesengroße Blöcke, zwei sitzende Ungeheuer auf. Seit Anbeginn der Zeiten sind die Menschen durch die Gestalt dieser drei Berge, die wohl geeignet sind, Schrecken vor dem Übersinnlichen einzuflößen, in Erstaunen gesetzt worden, und es ist zweifellos keine zufällige Wahl, die sie getroffen haben, als sie an dieser Stelle den drohenden Bau der Herrscher errichteten. Von dem Palaste, wo wir jetzt angelangt sind, aus gesehen, rufen die Steine gerade den größten Eindruck hervor, sie liegen nahe genug, um imposant zu wirken, und sind doch wiederum weit genug entfernt, um nicht entziffert werden zu können.
Die Wege, denen wir inmitten des Schweigens, der Einsamkeiten und der Blumen folgen, sind von Zeit zu Zeit von klaren Bächen durchschnitten, die immer wieder nutzlose Fruchtbarkeit um diese Ruinen verbreiten.
Jetzt, wo wir dies tote Dorf, den Fuß des toten Berges erreicht haben, herrscht kein Zweifel mehr über seine ungeheuren Proportionen; seine Terrassen sind fünf- oder sechsmal höher als die gewöhnlichen und bestehen nicht wie überall sonst aus Lehm, an dem die Regengüsse sofort ihr Zerstörungswerk vornehmen, sondern aus zyklopischen, ewig haltbaren Blöcken, und die langen Gegenstände, die uns in der Ferne an Schiffsmastbäume erinnerten, sind seltsam schlanke, kühne, aus einem Stein gehauene Säulen – in früheren Zeiten werden sie die Decken von Zedernholz und das Gebälk dieses wunderbaren Palastes getragen haben.
Wir erreichen jetzt die steinerne, harte, leuchtende Treppe, sie ist breit genug, um gleichzeitig eine ganze Armee passieren lassen zu können; dort sitzen wir ab und steigen zu der Terrasse hinan, wo sich die Säulen erheben. Ich weiß nicht, was unseren Persern einfällt, aber sie ziehen unsere Pferde, die zuerst nicht wollten, sich sträubten und mit ihren Hufen die herrlichen Stufen abschrammten, hinter sich her, und so ist unser Einzug in diese unendliche Andacht laut und lärmend.
Wir stehen jetzt auf den Terrassen, die zu unserer Überraschung noch viel größer sind, als sie von unten erschienen. Eine ganze Stadt würden sie fassen können, und die Säulen, mit denen sie früher geschmückt waren, standen einst so dicht wie die Bäume eines Waldes. Jetzt sind nur noch zwanzig davon erhalten, die anderen sind gestürzt und liegen auf den Fliesen zerstückelt da, zahllose wunderbare Überreste erheben sich in bunter Unordnung in dieser großen, mit Steinen gepflasterten Einöde: bis in die kleinsten Kleinigkeiten sorgfältig ausgehauene Pylonen, Mauerwände, die mit Inschriften und Basreliefs bedeckt sind. Und dies alles zeigt ein dunkles, gleichmäßiges, seltsames Grau, ein Grau, das in den Ruinen ungewöhnlich ist, das die Patina der Jahrhunderte nicht hat hervorrufen können, es muß schon von der Farbe des Materials selbst herrühren, aus dem diese Paläste erbaut wurden.
Man wird hier ganz in der Nähe von der gewaltigen, schwarzbraunen Gebirgskette beherrscht, die sich seit unserem Aufbruch aus dem Dorf wie eine Mauer vor uns erhob, aber andererseits beherrscht man selbst alle diese gräserreichen, blumengewachsenen Wiesen, wo im Hintergrunde der schreckeneinflößende viereckige Berg mit seinen zwei sitzenden Wächtern aufragt. Zwei oder drei kleine, sehr bescheidene Weiler liegen ganz in der Ferne, durch Pappeln voneinander getrennt, gleich Inseln zwischen einem Meer von blühenden Gräsern und grüner Gerste da; und der erhabene Friede, der ewige Friede der Welten ruht über diesen Frühlingswiesen – die im Laufe der Jahrhunderte Zeugen des sardanapalischen Prunks, der Feuerbrände, Niedermetzelungen, der Aufstellung großer Heere, des Lärms großer Schlachten wurden.
Das Plateau aber, zu dem wir jetzt hinaufsteigen, ist zu dieser Stunde, bei Hereinbruch der Dämmerung, der Ort einer unaussprechlichen Melancholie; hier weht ein köstlich sanfter Wind, und ein Licht, das bestimmt und doch weich ist, fällt auf uns herab; man könnte fast sagen, daß wir uns auf diesen Terrassen weit mehr als in der umgebenden Ebene, der zweitausend Meter Höhe bewußt werden, und zwar ist der frische Windhauch, die Reinheit, der stille Glanz der Sterne, die Durchsichtigkeit der Schatten daran schuld. Zwischen den Fliesen, die beim Durchzug der Könige mit Purpurteppichen belegt waren, wachsen jetzt sehr feine Gräser, die Freunde der Trockenheit und des Schweigens, blühen Quendel und Majoran, und wo einst die Thronsäle lagen, weiden die Ziegen und verbreiten den Duft ländlicher Wohlgerüche. – Aber vor allem ist es das Licht, das keinem anderen Lichte ähnlich sieht; die Beleuchtung dieses Abends, die gleich dem Widerschein einer Apotheose auf so viele alte Basreliefs, auf so viele in Stein verewigte menschliche Silhouetten fällt . . .
Ach, wie ergriffen fühle ich mich, als mich gleich beim Eintritt zwei jener schweigenden Riesen empfingen, deren Anblick mir von Kindheit an bekannt war: der Rumpf eines geflügelten Stieres, der Kopf eines Menschen mit langem gekräuselten Bart unter der Tiara eines Magierkönigs! – Ich finde zweifellos zu großes Wohlgefallen daran, auf meine Kindheitseindrücke zurückzukommen; aber ich muß bemerken, daß sie für mich voller Geheimnisse und zugleich ungewöhnlich lebhaft waren. – Als ich zwölf Jahre alt war, traf ich zum erstenmal diese Riesenwächter aller assyrischen Paläste unter den Bildern einer gewissen Partitur Semiramis, die damals häufig aufgeschlagen auf dem Klavier stand, und sofort versinnbildlichten sie in meinen Augen die schwere Pracht von Ninive und Babylon. Was aber ihre Brüder anbelangt, die noch heute dort unten zwischen den Ruinen stehen mußten, so stellte ich sie mir immer umgeben von den zarten Blümchen vor, wie sie dem steinichten Boden eines Landstriches, »La Limoise« genannt, entwachsen, der damals zur selben Zeit eine große Rolle in meinen exotischen Träumen spielte . . ., und nun finde ich gerade heute am Fuße der mich begrüßenden Wächter den Thymian, die Krauseminze und den Majoran, die ganze kleine Flora meiner Wälder, unter einem ähnlichen Himmel wie dem unsrigen wieder.
Xerxes' Laune hat die beiden geflügelten Riesen hier als Posten aufgestellt, und jetzt empfangen sie mich an der Schwelle zu diesen Palästen. – Und sie weihen mich in die geheimsten Dinge über ihren Herrscher ein, Dinge, die ich niemals zu erfahren wähnte; während ich sie betrachte, verstehe ich, was mir auch zehn Geschichtsbände nicht begreiflich gemacht hätten, wie majestätisch, wie priesterlich und erhaben das Leben in den Augen dieses halb sagenhaften Mannes gewesen sein muß.
Aber die ungeheuren Säle, deren Eingang sie bewachten, sind seit bald dreiundzwanzig Jahrhunderten verschwunden, und nur in Gedanken vermag man sie noch aufzubauen. Weit größer zwar, müssen sie doch demjenigen gleichen, was man noch von den alten fürstlichen Wohnung aus dem persischen Mittelalter sieht: ungezählte Säulen von seltsamer Feinheit im Vergleich zu ihrer Länge großen Schilfblättern ähnlich, die hoch in die Lüfte hinein ein glattes Dach tragen. – Die Menschen, die hier wohnten, waren wohl die einzigen, die eine so hohe Säule, eine solche Schlankheit der Formen erfinden konnten, wo man im Altertum überall sonst nur massive, seltsam plumpe, stämmige Sachen baute. Immer gefolgt von unseren Pferden, deren Schritte gar zu laut auf den Fliesen widerhallen, schreiten wir auf das Innere des Palastes, auf den wunderbaren Wohnsitz des Darius zu. Die gestürzten Säulen bedecken den Boden; nur noch zwanzig sind stehengeblieben, in gewissen Abständen ragen sie einsam empor, ganz gerade, ganz schlank wachsen sie in den reinen Himmel hinein; sie sind von oben bis unten ausgekehlt, ihr Sockel ist zu einem mächtigen Blumenkelch geformt, und ihr weit vorspringendes Kapital, das in der Luft das Gleichgewicht zu suchen scheint, zeigt auf allen vier Flächen den Kopf und die Brust eines Ochsen. Wie vermögen diese kühnen, ungewöhnlich langen Säulen sich noch nach zweitausend Jahren zu halten, wo ihnen doch das Zederngebälk dort oben genommen ist, das sie verbinden sollte?
Die freien Plätze bauen sich übereinander auf, die Treppen folgen einander in dem Maße, wie man sich den Sälen nähert, in denen der König Darius thronte. Und die Oberfläche jeder neuen Stufe ist mit Basreliefs bedeckt, die Hunderte von Menschen in vornehmer steifer Haltung, mit krausen Bärten und gelocktem Haar zur Darstellung bringen: Schützenphalanxen, alle im Profil gezeichnet; rituelle Umzüge, Herrscher unter großen Sonnenschirmen, die von Sklaven getragen werden, Stiere, Dromedare, Ungeheuer. In welchen wunderbaren Stein ist dies alles gehauen worden, daß so viele Jahrhunderte es nicht zu zerstören vermochten? Der härteste Granit unserer Kirchen zeigt nach drei- oder vierhundert Jahren keine einzige scharfe Kante, die byzantinischen Porphyre, der griechische Marmor, der immer unter freiem Himmel steht, wird abgenutzt und verwischt; hier könnte man sagen, daß alle diese seltsamen Figuren soeben aus der Hand des Bildhauers kommen. Die Archäologen haben sich darüber gestritten, ohne jemals über den Ursprung dieses eigenartigen Materials einig zu werden, das ein so feines Korn, eine so eintönige graue Farbe zeigt, das einer Art Kiesel, einem sehr dunklen Feuerstein gleicht; eine Schere würde sich hier wie an Metall stumpf schneiden; übrigens ist es auch so spröde wie Beilstein, denn man sieht große Basreliefs von oben bis unten gesprungen – unter dem Einfluß der ewigen Sonne vielleicht, oder aber ist die Zeit, sind die Stöße der Kriegsgeräte schuld daran.
Und diese stummen Ruinen lassen ungezählte Inschriften ihre Geschichte erzählen, ihre Geschichte und die der Welt; der kleinste Block möchte sprechen, wenn man seine einfache Schrift zu entziffern verstände. Zuerst sind da die keilförmigen Buchstaben, sie bildeten einen Teil der anfänglichen Ornamentik; überall bringen sie ihre tausend kleinen, gedrängten, bestimmten Zeichnungen auf den Sockeln und Friesen, zwischen den wunderbaren Verzierungen, die ihnen als Rahmen dienen, an. Und dann, wie durch Zufall hingestreut, sieht man die Betrachtungen all der Menschen, die im Laufe der Jahre, angezogen durch den großen Namen Persepolis, hierhergekommen sind; gewöhnliche Bemerkungen, Aussprüche, alte Gedichte über die Eitelkeiten dieser Welt, und zwar auf griechisch, kufisch, syrisch, persisch, auf hindustanisch und sogar auf chinesisch. »Wo sind die Herrscher, die in diesen Palästen regierten, bis zu dem Tage, wo der Tod sie einlud, aus seiner Schale zu trinken? Wie viele Städte wurden am Morgen erbaut und stürzten des Abends zu Ruinen zusammen?« schrieb ein Dichter vor ungefähr drei Jahrhunderten auf arabisch ein und zeichnete sich: Ali, Sohn des Sultans Khaled. . . . Zuweilen sieht man nur eine Jahreszahl mit seinem Namen; und dann trifft man auch auf die Unterschriften der Forscher aus den Jahren 1826 und 1830 – Daten, die für uns fast fern zu liegen scheinen, und die trotzdem von gestern sind, vergleicht man sie mit denen, die in Hieroglyphenschrift die Namen der Könige umrahmen.
Besonders schön ist das Pflaster, auf dem wir schreiten. Jeder Riß, jeder Spalt zeigt einen winzigen Garten, voll kleiner Pflanzen, den Lieblingen der Ziegen, und zerreibt man die Blumen zwischen den Fingern, so duftet die ganze Hand nach ihrem süßen Wohlgeruch.
Hinter den Prunksälen, mit den offenen Säulenreihen, erreichen wir die weit schwerer zu entwirrenden Gebäude, die ein noch größeres Geheimnis zu bewachen scheinen. Hier müssen die Zimmer, die tiefen Gemächer gelegen haben. Die Mauerreste, die Pylonen, mit ihren ein wenig ägyptischen Umrissen, mit ihren zu Blumenkronblättern geformten Architraven verdoppeln sich. Wenn ich so sagen darf, fühlt man sich hier weit mehr umgeben, eingeschlossener, viel mehr beschattet von der gewaltigen Vergangenheit. Diese Viertel sind reich an großen, wunderbar erhaltenen Basreliefs. Auf ihren assyrischen Kleidern oder auf ihrem gekräuselten Haar zeigen die Figuren noch heute den Glanz des neuen Marmors; die einen tragen sitzend eine kaiserliche Würde zur Schau, andere spannen den Bogen oder kämpfen mit Ungeheuern. Sie sind von menschlicher Größe, haben ein regelmäßiges Profil, edle Gesichtszüge. Überall sieht man sie auf den Wänden, die heute planlos hingepflanzt zu sein scheinen; man ist von ihnen umgeben, von diesen einschüchternden Gruppen umzingelt, und die Farbe der Steine, die ewig graue Farbe gibt ihnen einen düsteren Anstrich. Die Tafeln aber, die mit kleinen keilförmigen Legenden bekritzelt sind, haben eine so glatte Oberfläche, daß man seine eigene Silhouette darauf, wie auf einem Zinnspiegel, leuchten sieht. Und man fühlt sich verwirrt, wenn man bedenkt, wie alt diese scheinbar ganz frischen Eingravierungen sind, wenn man sich sagt, daß eine jede dieser blanken Tafeln dieselbe sei, in der sich an demselben Ort seit mehr als zweitausend Jahren die Gesichter, die Schönheiten, die verschwundenen Herrlichkeiten widergespiegelt haben. Nimmt man nur ein kleines Bruchstück eines dieser Steine mit nach Hause, so würde es in jedem Museum als ein seltener Schatz betrachtet werden; und dies alles ist der Gnade des ersten besten Räubers anheimgegeben, der in diese große Einsamkeit eindringt, dies alles wird nur von den beiden nachdenklichen Riesen, von den Schildwachen dort unten an der Schwelle bewacht.
Weiterhin sieht man einige ganz zerstörte Skulpturen, einige ganz eingestürzte, unförmige Trümmerhaufen, und dann findet Persepolis seinen Abschluß, am Fuße des traurigen, kupferfarbenen Berges, der bis in seine geheimsten Tiefen durchbohrt und ausgehöhlt sein muß, denn in gewissen Abständen entdeckt man dort große schwarze, regelmäßige Löcher mit Giebeln und Säulen, die in den Felsen selbst hineingehauen sind; sie liegen alle verschieden hoch und dienen als Eingang zu den Begräbnisstätten. In den unterirdischen Gewölben schlafen zweifellos ungeahnte Reichtümer oder seltene Reliquien!
Die Sonne geht unter, die Schatten der Säulen, der Riesen werden länger auf diesem Boden, der einst ein königliches Pflaster war; diese Dinge, müde zu leben, müde unter dem Hauch der Jahrhunderte rissig zu werden, erleben noch einen Abend . . .
Die beiden Riesen mit dem lockigen Bart, beobachten alles voller Aufmerksamkeit, der eine wendet sein großes abgeschrammtes Gesicht der Begräbnisstätte des Berges zu; der andere sondiert die Ferne dieser Ebene, von woher einstmals die Krieger, die Sieger, die Herrscher der Welt herannahten. Aber kein Heer zieht jetzt noch vor diesem verlassenen Ort, vor diesen stolzen Palästen auf; diese Gegend der Erde ist für immer dem ländlichen Frieden und dem Schweigen wiedergeschenkt . . .
Die Ziegen, die zwischen den Ruinen weideten, wurden von ihren bewaffneten Hirten gerufen, sie scharen sich zusammen und ziehen fort, denn bald naht sich die für die Herden gefährliche Stunde, die Stunde der Panther. Ich möchte gern bis zum Anbruch der Nacht oder doch wenigstens bis zum Aufgang des Mondes bleiben; aber die beiden Hirten, meine Führer, weigern sich auf das bestimmteste, sie fürchten sich vor den Räubern, oder vor den Gespenstern, oder was weiß ich, wovor, und sie bestehen darauf, ehe die Dämmerung hereinbricht, heimzukehren nach ihrem kleinen Weiler, hinter die Lehmmauern, die doch überall gerissen sind.
So heißt es also, morgen wieder zurückkommen und für heute aufbrechen, der Fährte der Ziegen folgend, die sich schon in den endlosen Wiesen verlieren. Einst sahen die beiden Riesen zahllose Könige mit ihrem Gefolge eintreten und hinausgehen, jetzt schreiten wir an ihnen vorüber. Unsere Pferde hatten sich schon geweigert, die Stufen des Darius und Xerxes hinanzuklettern, natürlich sind sie noch weit weniger geneigt, dieselben hinabzusteigen, sie sträuben sich, versuchen sich loszureißen, und so gibt es ganz plötzlich inmitten des Schweigens dieser großen, toten Gegenstände zum Schluß eine lebhafte Szene, Kämpfe und Muskelanstrengungen, und inzwischen erhebt sich ein frischer Wind, ein Maienabendwind und trägt uns von den Wiesen dort unten den süßen Duft des Heues zu . . .
Nachdem wir durch die lange gleichmäßige Ebene der Gräser, der Gerste, der Mohnfelder gezogen sind, biegen wir in die Gäßchen des einsamen Weilers ein und erreichen schließlich unser aus Lehm gebautes Nachtquartier, das keine Türen noch Fenster kennt. Ein wirklich kalter Wind schüttelt jetzt die Pappeln draußen und die Aprikosenbäume des wilden kleinen Gartens; der Tag erlischt an einem wunderbar blaugrünen Himmel, über den winzige korallenrote Wolken dahinhuschen, und man hört die Stimmen der Hirten, die zum Abendgebete rufen.