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Myers Journal of Psychical Researches, 1897. hat zur Erklärung der Genialität von neuem auf die Ansicht von Huglins Jackson hingewiesen, daß bei der Epilepsie die höheren Nervenzentren durch die nervöse Entladung, die sich in den niederen Zentren noch hemmungsloser äußert als in diesen, in einen Erschöpfungszustand geraten und das gleiche soll bei der Hysterie der Fall sein.
Bei dieser handelt es sich indes, wie Janet und Binet in Frankreich und Breuer und Freud in Wien gezeigt haben, im wesentlichen um eine intellektuelle Störung, die vielleicht mehr mit feinen Stoffwechseländerungen in der Rinde als mit gröberen Gehirnalterationen zusammenhängt.
Die typischen Hysteriker befinden sich gewöhnlich in einem Zustande von seelischer Misere (Janet), gewissermaßen von ungenügender zentraler Kontrolle. Doch ist z. B. die Empfindungslähmung der Hysteriker nie eine vollständige (Janet), wodurch sich ihre relative Harmlosigkeit und Folgenlosigkeit erklärt. Das Empfindungsvermögen verwandelt sich, wie Myers es bezeichnet, in ein unbewußtes, der Schmerz wird also nicht mehr als solcher, sondern in einer anderen Form wahrgenommen.
Sticht man z. B. einen Patienten mit hysterischer Empfindungslähmung siebenmal, ohne daß er es sieht, so fühlt er zwar nichts, aber wenn man ihn gleichzeitig an eine Zahl denken läßt, so wird er an »sieben« denken, läßt man ihn mehrere Linien zeichnen, so werden es sieben sein, oder er hat von selbst etwa eine Erscheinung von sieben schwarzen Punkten oder dergleichen. Was wir also mit unserer bewußten Persönlichkeit als Schmerz auffassen, nimmt der Hysteriker mit anderer Persönlichkeit anders wahr und wandelt dafür sein Oberbewußtes in sozusagen symbolischer Weise um.
Dasselbe gilt für die geniale Geistestätigkeit; diese besteht im wesentlichen aus unterbewußten geistigen Regungen, durch die das Resultat der jeweiligen Erfahrung in symbolischer Weise ausgedrückt wird, während das Individuum das, was oberhalb der Schwelle des Bewußtseins sich befindet, nicht wahrnimmt. Wenn Raffael die Augen seiner Madonnen mit unbeschreiblichem Reize ausstattet, so formt er aus seinem unterbewußten Erfahrungsergebnisse in symbolischer Weise um, ebenso wie der Hysteriker, der den Schmerz nicht fühlt, sieben Punkte zeichnet, wenn man ihn siebenmal sticht.
Wenn ein solches »unterbewußtes« Element im Bewußtseinsfelde untertaucht, so neigt es dazu, sich von den anderen Vorstellungen zu isolieren und wird leicht Anlaß zu krankhaften Erscheinungen, so von hysterischen Willens- und Empfindungslähmungen aller Art (hysterische Stummheit, Gehstörungen, Gefühlslähmungen). Jedes hysterische Symptom ist also der Ausdruck einer krankhaften Vorstellung und jeder hysterische Anfall ist der Ausbruch einer krankhaften Vorstellung; während der epileptische Anfall eine Entladung gewisser, meist motorischer Gehirnpartien ist, besteht der hysterische in einer Entladung einer ganz bestimmten Vorstellungsgruppe und ihres assoziativen Anhangs, wenn diese psychischen Gebilde von dem gesamten Assoziationsbereich in krankhafter Weise abgeschlossen worden sind.
Diese von Janet aus der Beobachtung am Kranken selbst gewonnene Betrachtungsweise ist von Breuer und Freud in ihren »Studien über Hysterie« weiter verfolgt worden.
Nehmen wir jetzt an, daß im Falle von besonderer Verschieblichkeit der Grenze der seelischen Gebiete, sozusagen bei Durchlässigkeit der Scheidewand zwischen Bewußtem und Unbewußtem, die nach oben strebenden Elemente an Zahl wachsen, die untertauchenden dagegen sich vermindern und daß diese Durchlässigkeit mehr für das Aufsteigen über die Scheidewand hinaus besteht, als für das Absinken nach unten, so wird man jetzt das, was man sonst mit dem allgemeinen Ausdruck »Hysteriker« bezeichnete, jetzt mit der ebenfalls summarischen Bezeichnung »Genie« belegen können.
In diesem neuen Lichte würde also das Genie der Hysterie insofern ähneln, als bei beiden eine größere Durchgängigkeit der seelischen Scheidewand vorhanden ist, die zwischen dem unterbewußten und dem oberbewußten Ich besteht.
Während nun bei der Hysterie das Resultat dieser Durchgängigkeit lediglich in der Zersplitterung der gesunden Ideenwelt besteht, in ihrer Loslösung von der Willenskontrolle, ist dagegen beim Genie das Hauptergebnis die Herausbildung einer seltenen Fähigkeit, die mit der Richtung der Willenstätigkeit im Einklange steht und diese wieder gewaltig verstärkt.
Ist also die aus dem Unterbewußtsein auftauchende Idee krankhaft, oder die ins Unterbewußte versinkende Vorstellung sinn- oder zwecklos, so entsteht Hysterie, ist die erstere eine sinnvolle und die letztere gleichgültig, so entsteht Genie.
Treten die auftauchenden Vorstellungen zur Nachtzeit auf, während die untertauchenden in oberbewußten Prozessen bestehen, die sonst im Schlafe ruhen, so entsteht Somnambulismus. Ist wieder die betreffende unterbewußte Vorstellung zwar nicht krankhaft, aber der oberbewußten Tätigkeit nicht konform, so entsteht Automatie.
Alle diese Zustände entwickeln sich von selbst; werden sie künstlich hervorgerufen, so spricht man von Hypnose.
Diese Betrachtungsweise könnte als Spielerei erscheinen, wenn sie nicht durch zahlreiche und gut begründete Untersuchungen über die unter- und oberbewußten seelischen Äußerungen gestützt würde, deren Zustandekommen wohl erforscht und durch viele Tatsachen erklärt ist.
Myers kommt also bei seiner Untersuchung über den Ursprung des Genies auf die Hysterie, die Zwillingsschwester der Epilepsie, auf deren Bedeutung für die Genialität ich immer hingewiesen habe.
Roncoroni Roncoroni, Genio e Pazzia in Torquato Tasso, Turin, 1896. hat gefunden, daß sich bei hoher Entwicklung der Intelligenz Störungen des Gefühlslebens, des Bewußtseins, Augenblicksregungen, stoßweise von selbst auftretendes Anschwellen der Schaffenskraft, Größenideen vorfinden, also im ganzen Störungen derjenigen seelischen Gebilde, die in der Entwicklung zuletzt entstanden sind.
Offenbar ist das Genie, wie es sich gewöhnlich heute biologisch darstellt, nicht etwa als der höchste und vollkommenste Ausdruck der Spezies Mensch anzusprechen.
Wir beobachten zwar an ihm gewöhnlich eine hohe Entwicklung einer Reihe seelischer Elemente, welche aber, wie verfeinert sie auch sein mögen, für Kulturleben und Vervollkommnung der Art nicht so notwendig sind als andere, phylogenetisch weitergebildete, die wir bei ihm verkümmert finden.
Diese Behauptung kann demjenigen zum mindesten sonderbar erscheinen, der gewohnt ist, die Fortschritte der Menschheit lediglich als Effekte des mächtigen von den Genies ausgegangenen Anstoßes zu betrachten. Aber die von ihnen ausgestreute Saat würde gar nicht aufgehen können, wenn Aufnahmefähigkeit und gesunde Ethik ihre Entwicklung nicht ermöglichten: die Kulturwelt könnte sicher ohne Genies, wenn auch nicht weiter kommen, so doch auskommen; ohne Gleichgewicht der Geistestätigkeiten, ohne gleichmäßige Arbeit, ohne gesunde Ethik könnte sie es dagegen nicht. Außerdem schöpfen ja die Genies selbst allenthalben aus den Fortschritten, die beständig auf allen Gebieten gemacht werden.
Wenn also beim Genie die eben erwähnten pathologischen Eigentümlichkeiten bestehen, so müssen wir daraus schließen, daß bei seiner Entstehung nicht nur physiologische Erblichkeit und große Übung gewisser Fähigkeiten beteiligt sind, sondern auch pathologische Faktoren. Und wir wissen, daß beim Genie Alkoholismus, Tuberkulose, Neurosen und Psychosen, besonders Epilepsie häufig sind und daß namentlich die speziell genialen Erscheinungen viele Berührungspunkte mit der Epilepsie besitzen.
Diese pathologischen Einflüsse haben beim Genie nur die höchst entwickelten psychischen Gebilde betroffen. Beim Genie ist dies um so leichter möglich, als seine Organisation durch Anlage und Training sehr verfeinert ist; seine höheren Zentren werden also leicht in ihrer Zusammenwirkung gestört werden, einzelne werden nahezu unabhängig werden und sozusagen ins Kraut schießen, namentlich, da sie infolge der starken und andauernden Reize, denen sie ausgesetzt sind, und ihrer übermäßigen Entwicklung beständig zu beträchtlichen Entladungen geneigt sind – zum Schaden des gesunden Zusammenwirkens der organischen Tätigkeiten insgesamt.
Sind nun die Rindenfelder, deren Funktion sich in den Vordergrund drängt, nicht die motorischen oder sensorischen, oder sind es solche im Verein mit besonderen anderen mehr oder minder hohen Zentren (Tonsinn, Formensinn, Farbensinn, Wortgedächtnis, Tatsachengedächtnis, Gefühls-Ideationsvermögen), so wird eine starke Fähigkeit resultieren, neue Beziehungen psychischer Elemente zu finden und sie energisch zu empfinden. Dann entstehen in dem betreffenden Kopfe neue Gemälde, neue Tonverbindungen, neue Wort- und Redegefüge, neue Ideen und Vorstellungen, neuartige Empfindungen. So ist also die geniale Leistung in ihrem Zustandekommen zu denken, und wenn sie auch in ihrem Endresultate etwas ganz Besonderes für sich ist, so ist sie ihrer Beschaffenheit nach doch epileptoider Art, denn im ganzen ist der Mechanismus der epileptischen Haupterscheinungen, der Konvulsionen, Halluzinationen, Antriebe usw. der gleiche. (Roncoroni, L'epilessia, 1895, Mailand).
Deshalb beobachten wir also beim Genie neben der Beeinträchtigung gewisser höherer Fähigkeiten die funktionelle Steigerung gewisser anderer.
Diese Gleichgewichtsstörung schaut auch aus den Werken des Genies selbst heraus. Viele sind reich an Gefühl und arm an Gedanken, andere wieder strotzen von tiefen Ideen und haben gar keinen Gefühlsinhalt, wieder andere, z. B. solche vieler moderner Autoren enthalten weder Gedanken noch Gefühle, sondern zeigen nur eine erstaunliche Gabe zu beschreiben.
Das erklärt sich aus der Einseitigkeit, der Gleichgewichtsstörung der Seelentätigkeiten des Genies. Einzelne davon sind viel besser entwickelt als beim Normalen, aber sie wären in dieser ihrer Form doch nicht als Allgemeingut des Spezies Mensch zu empfehlen.
Man beachte ferner, daß das Werk eines Autors nur einen unvollständigen Begriff von den psychischen Entstehungsbedingungen geben kann. Die Gefühle besonders werden bei ihrer Wiedergabe unwillkürlich, wenigstens teilweise, umgestaltet, außerdem sind sie oft nur Ergebnis der Ekstase, von welcher losgelöst sie sich gewöhnlich ganz anders ausnehmen. Es ist bekannt, daß Gefühle bei den genialen Menschen, wenn sie auch tief sein können, doch meist nur von kurzer Dauer sind, sie verrauchen oft schnell, und in dieser Richtung sind die kritischen Studien über das Liebesleben besonders der Dichter, so Byrons, Foscolos, Goethes, Alfieris und Tassos, recht instruktiv. Diese sind heißen Leidenschaften unterworfen, die aber rasch vorübergehen, förmlich anfallartig aussehen. Das Gepräge des normalen und gesunden Gefühls ist aber gleichmäßige Stärke und Beständigkeit.
Natürlich werden die genialen Äußerungen verschieden sein, je nach dem Grade der Intensität der Herrschaft der oberen Zentren und nach Art, Entwicklung und Energie der Zentren, die die Oberhand gewinnen. Sie werden sich um so leichter zeigen, je reichlicher die verschiedenen Zentren entwickelt sind, und um so eher wird auch der psychische Mechanismus, den wir beobachten konnten, in Gang kommen. Deshalb ist auch beim Weibe, wo die psychische Evolution weniger hoch ist als beim Manne, das Genie besonders auf wissenschaftlichem und philosophischem Gebiete so selten.
Bei der gegenwärtigen Entwicklung des Nervensystems ist das Genie jedenfalls eine pathologische Erscheinung. Dies schließt nicht aus, daß in Zukunft, wenn die menschliche Psyche einen höheren Grad von Vollendung erlangt haben wird, die geniale Leistung auf physiologischem Wege zustande kommen wird und zwar in harmonischer Zusammenwirkung der gesamten Hirnzentren, wenn sich in diesen erst auf Grund der Vererbung und der erziehlichen Heranbildung des Individuums eine genügende Energie angesammelt haben wird.
Roncoroni bemerkt auch, daß das Genie häufig auch mit der echten oder rudimentären Paranoia Ähnlichkeiten besitzt und daß es nicht wunderbar ist, wenn wir das Genie an die angeborenen Formen der Geistesabnormitäten geknüpft finden und nicht an die erworbenen, da es doch selbst eine hereditäre Wurzel besitzt, wenn auch die Vererbung einer bestimmten Gabe nicht die Regel sein sollte.
Man darf überhaupt das Genie nicht nur mit einer einzigen Form von Geisteskrankheit in Beziehung setzen wollen. Nicht wenige Beispiele jüngster Zeit lehren, was z. B. auch die Gehirnerweichung zustande zu bringen vermag und ebenso der Alkoholismus. Möbius, Das Pathologische bei Nietzsche, Wiesbaden 1902. Barine, E. T. A. Hoffmann ( Revue des deux mondes, 15. Nov. 1895).
Bei Leopardi Patrizi, Saggio psico-antropologico su Leopardi e sua famiglia, Turin, 1895. hat Patrizi, wie wir sehen werden, ermittelt, daß er an Paranoia mit psychischer Depression und epileptoiden Erscheinungen gelitten hat, und Zuccarelli L'Anomalo, VI. 1894-95. hat den Fall des trefflichen kalabrischen Dichters Giuseppe Serembe beschrieben, der ein typischer Paranoiker war.
Wenn die Gesetze der Psychopathologie – so sagt Arndt Arndt, Artung und Entartung, Greifswald, 1897. etwa – für alle Formen von Geisteskrankheit auch die gleichen sind, wenn sie sogar das Seelenleben des Gesunden beherrschen, so bilden die verschiedenen Geisteskrankheiten dennoch keine ganz selbständigen Einheiten, sondern Modalitäten von Äußerungen, die je nach den Umständen verschieden sind, je nach Stärke und Art der Prädisposition, nach Beschaffenheit und Schwere der gegebenen Krankheitsursachen. Deshalb läßt sich auch nicht gut behaupten, daß das Genie an eine einzige Form von Geisteskrankheit gebunden sei. Doch ist klar, daß die angeborenen Abarten dabei vorwiegen müssen, also die Paranoia, die das Urbild der angeborenen Psychose ist, und die Epilepsie, die ein so weites Bereich beherrscht und auch bei der Delinquenz und den leichteren Formen der ethischen Defekte, wenigstens in mancher Richtung, eine Rolle spielt.
So muß es jedenfalls sein, wenn man diese Verhältnisse anthropologisch oder überhaupt naturwissenschaftlich betrachtet. Gewiß wird niemand für entartet gelten wollen, das schließt aber nicht aus, daß er es ist. Wer ein Genie oder auch nur in höherem Maße begabt ist oder sich gewisser höherer Vorzüge erfreut, muß auch wissen, daß er Gebrechen und Schwächen mit sich herumträgt, die ihn unter die Degenerierten versetzen können. Kant starb als Hagestolz. Es mangelte ihm, der ein so musterhaft geordnetes Leben führte, doch die höchste Kraft, jene, einem andern Wesen das Leben zu schenken, und das gleiche gilt von Newton und Leibniz.
Bacon von Verulam, der Vater der heutigen Naturwissenschaft, ein wahres Genie von kulturellem Gesichtspunkte aus betrachtet, war ein Betrüger und Verräter, der auch nicht davor zurückschreckte, gegen seinen Wohltäter, den Herzog von Essex, die Hand zu erheben.
Sein Freund Thomas Hobbes litt an der Furcht, lebendig verbrannt zu werden, Rousseau konnte sich nie im Leben an Gesellschaften mit feinem Umgangston gewöhnen.
Alle solche Männer besitzen etwas Wahnartiges, Verschrobenes, was das alte Sprichwort vollkommen begreiflich macht: nullum magnum ingenium nisi insania quadam mixtum.
Diese Schwäche bringt zuweilen auch Gefahren für sie mit sich; unterliegen sie denselben nicht, so verdanken sie das oft eben dem Genie, das sie hält und die Mängel ihres inneren Wesens verdeckt.
Das Genie ist also das Resultat eines Abartungsprozesses, auch wenn dieser nicht so weit geht, daß er klar in die Augen springt.
Auch alle sogenannten berühmten Frauen von Semiramis bis Katharina erscheinen bei der geschichtlichen Betrachtung als Degenerierte und selbst Maria Theresias Größe erstreckte sich nicht auf ihre Weiblichkeit.
Ein ruhiger, ganz im Gleichgewichte befindlicher Kopf ist selten zur Originalität geschaffen; die allzu große Ruhe eines unverschieblichen Gleichgewichts begünstigt, wie sich oft bestätigt, eine ergebnislose Sterilität der Ideenwelt.
Deshalb sind viele der genialen Menschen auch nicht eigentliche Gelehrte.
Das Auftauchen einer genialen Idee könnte ohne eine gewisse Dissoziation des Vorstellungsverlaufs gar nicht statthaben. Deshalb sind auch die Geister, in denen das Ideative und das Praktische sich in glücklicher Weise vereinigen, selten.
Die Wissenschaftsgeschichte zeigt, daß die großen Geister manchmal ihre Behauptungen gar nicht beweisen konnten, und daß oft erst ihre Enkel eine sichere Überzeugung von dem zu gewinnen imstande waren, was sie eigentlich gesagt hatten.
Der geniale Gedanke hat deshalb einige Ähnlichkeit mit einer Wahnidee: beide lassen sich nicht beweisen, aber der erstere ist zutreffend und stimmt zur Wirklichkeit, die letztere ist falsch. Zum genialen Gedanken gesellen sich bei seiner Fortentwicklung weitere Elemente, ein Verifikationsprozeß, der ihn gestaltet; dies fehlt bei der Wahnidee völlig, besser ausgedrückt: der geniale Gedanke kann wohl bewiesen werden, aber dieser Beweis beginnt erst, wenn er ausgesprochen wird und in andere Köpfe eindringt. Der Beweis bedarf oft vieler Jahre, es ist ein langer Faden, der sich durch eine ganze Epoche hindurchschlängelt, sein Fortschreiten ist durch und durch Entwicklung.
Eine Behauptung, die ganz neu aussah und deshalb stark bekämpft wurde, kann sich im Laufe der Zeit umwandeln und etwas ganz anderes werden. Selten bleibt sie das, was sie den ersten Tag war, und zuletzt bekommt sie eine Form oder einen Ausdruck, der von ihrem Urheber nicht vorhergesehen wurde. Die Genialen schreiten wie Träumer durchs Leben, sie zeitigen in ihrem Kopfe Dinge, die sie ganz absorbieren und sie geben mit ihrer inneren Arbeit einen großen Teil von sich selbst hin.
Gewiß zeigen sie sich nicht immer von dieser Seite ihrer geistigen Verfassung, aber dieser Zustand wird gerade in den besten Momenten, wenn sie etwas konzipieren, ausgesprochener.
Carlyle hat den mit der Inspiration verbundenen Vorstellungs- und Gefühlssturm folgendermaßen bezeichnet: »Der Gedanke kommt wie ein Wirbelwind, er ist wie ein Gefangener, der krampfhaft versucht seine Ketten zu sprengen.« Und Goethe schildert sich selbst in der »Zueignung« des »Faust« im Augenblicke der Eingebung in der bekannten Stelle:
»Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen
Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich;
Es schwebet nun in unbestimmten Tönen
Mein lispelnd Lied der Äolsharfe gleich;
Ein Schauer faßt mich, Träne folgt den Tränen
Das strenge Herz, es fühlt sich mild und weich;
Was ich besitze, seh' ich wie in Weiten,
Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.«
Nach Gesprächen mit einem ausgezeichneten Maler, der in der Kunstgeschichte unserer Zeit rühmlich bekannt geworden ist, beschreibt Del Greco den seelischen Zustand des betreffenden Künstlers, der der schöpferischen Ekstase voraufgeht und folgt, in dieser Weise:
»Beim Aufstehen am Morgen spüre ich, daß ich heute etwas schaffen muß, ich bin dann entweder sehr hastig oder sehr säumig, zerstreut oder auch gereizt. Ich schließe mich dann im Studierzimmer ein, gehe auf und ab, rauche stark. Leinwand und Pinsel sind bereit, aber der Augenblick ist noch nicht da. Der Besuch eines guten Bekannten ist mir höchst lästig, die Blumen ärgern mich, ich muß wie ein Kind lachen über das komische Gebaren einer Katze. Ist der Moment dann da, so greife ich nach den Pinseln und jetzt fange ich im Zustande äußerster geistiger Anstrengung an sehr geschwind zu arbeiten, in wenigen Momenten ist alles Wichtige hingeworfen. Dies geschieht in einem Zuge; dann höre ich auf und betrachte mein Werk mit einer furchtbaren Kritik, ich sehe, ob ich mich geirrt oder ob ich es getroffen habe. Sobald dies erledigt ist, muß ich zunächst aufhören und mich bewegen oder etwas anderes vornehmen. Länger als zwei Stunden am Morgen, drei am Tage kann ich nicht arbeiten, sonst verderbe ich leicht etwas. Auf die Inspiration muß ich warten, ehe ich zum Stifte greife.«
Del Greco schließt aus dieser Darstellung, die sich mit vielen anderen, die ich im »Genialen Menschen« gegeben habe, deckt, aus der melancholischen Stimmung vieler Genies, der Plötzlichkeit und Unvermitteltheit des Auftauchens der genialen Idee, aus dem Verlust der Erinnerung für eine bestimmte Spanne Zeit, der Veränderung der Persönlichkeit, der anfallsweise auftretenden Erschöpfung, die stets wiederkehrt, und aus den häufigen sonstigen Krankheitssymptomen der Genies, daß dieses letztere eine epileptoide Neurose ist.