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Im letzten Hause des neuen Dorfes, noch hinter den Brinksitzern am Wittenberg, wohnen der Schuhmacher Erwin Matthies und der Arbeiter Heinrich Rothe. Beide sind Witwer, denen die Witwe Goos, der das Haus zu eigen ist, die Wirtschaft führt. Matthies hat seine Frau auf gewöhnliche Weise verloren; sie stand nach der ersten Niederkunft zu früh auf, erkältete sich und starb. Mit Rothes Frau war es anders.
Er hatte eine harte Jugend gehabt, der jüngste Sohn des Arbeiters Rothe. Der Vater vertrank fast jede Woche seinen ganzen Lohn, so daß seine Frau nicht ein und nicht aus wußte. Als sie freite, war sie ein hübsches Mädchen; nach fünf Jahren sah sie wie eine Vogelscheuche aus, und die Kinder hatten nichts auf den Leib zu ziehen.
Schließlich, als der Mann sie Sonnabend für Sonnabend schlug, lief sie ihm fort, ging nach Celle in Dienst, klagte auf Scheidung und heiratete bald wieder. Die Kinder, die Rothe erhalten mußte, wurden bei kleinen Leuten in Krusenhagen ausgetan, wo sie es nicht gut hatten, zumal als ihr Vater eines Wintertags totgefroren neben der Straße aufgefunden wurde.
Minna Rothe, die ein sehr hübsches Mädchen war, wurde es schließlich zu dumm. Sie lief aus dem Dienst, war erst in Hannover, dann in Hamburg auf der Straße und verscholl darauf ganz. Ihrem Bruder wäre es wohl ähnlich ergangen, wenn der Diesbur sich nicht um ihn bekümmert hätte. Er nahm ihn als Kleinknecht an, hielt ihn gut und konnte wohl mit ihm zufrieden sein; denn Heinrich war fleißig und ging jeder Wirtschaft aus dem Wege. Um seine Mutter kümmerte er sich nicht; denn er vergab es ihr nicht, daß sie wieder gefreit und lange Jahre nicht nach ihm und seiner Schwester gefragt hatte, so daß diese auf die Rutschbahn gekommen war.
Er diente mit Auszeichnung bei den Dragonern in Lüneburg und sollte kapitulieren, wollte aber nicht; denn er war mit Leib und Seele Wiesenarbeiter und Imker. Als ihm von einem Halbbruder seines Vaters, der nach Amerika ausgewandert war, eine kleine Erbschaft zufiel, baute er sich das kleine Haus, das nun der Witwe Goos zugehört, und nahm sich Anna Voges aus Krusenhagen, ein ansehnliches Mädchen, zur Frau. Als der Diesbur die Braut zum ersten Male sah, blickte er sie mit kalten Augen an und sagte nachher zu seiner Frau: »Hinnerk hat sich vergriffen; wenn das man gut geht. Das Mädchen hat unbeständige Augen.«
Es schien aber, als sollte er nicht recht behalten. Zwar stand die junge Frau zu viel auf der Straße und klatschte, und wo es Tanz gab, mußte ihr Mann mit ihr hin. Als dann aber ein kleiner Junge ankam, hielt sie sich mehr im Hause, wenn sie auch jedesmal, mußte sie zum Kaufmann, mehr Zeit dazu brauchte, als just nötig war. Ihr Mann kannte aber weiter nichts als die Arbeit und den Jungen. Er verdiente gut, zumal er neben seiner Arbeit noch für den Jagdpächter Aufseherdienste verrichtete; denn da er den ganzen Tag draußen war, war es ihm ein leichtes, den Stand der Rehböcke und die Hirschwechsel auszumachen und die Schirme für die Balz zu bauen, auch dafür zu sorgen, daß die Celler Mascher aus der Ohlenhofer Jagd wegblieben.
Rothe hatte nichts gesagt, als das »Schuldig!« gesprochen wurde, und als er nach Verkündigung des Urteils gefragt wurde, ob er noch etwas zu bemerken habe, hatte er dem Vorsitzenden mitten in die Augen gesehen und mit fester Stimme gesprochen: »Ich habe es nicht getan.« Im Zuchthause hielt er sich so, daß er sowohl bei dem Direktor wie bei den Aufsehern auf das beste angeschrieben war. An dem Tage aber, als ihm mitgeteilt wurde, seine Frau habe Scheidung beantragt, bildete sich eine böse Falte auf seiner Stirn, und sein Gesicht wurde von da ab wie Stein. Als er drei Jahre gesessen hatte, bekam er die Nachricht, seine Frau habe von neuem gefreit. Er erwiderte darauf nichts. Ein Jahr später kam die Meldung, der Junge sei gestorben. In seinem Gesicht verzog sich keine Miene. Am anderen Tage aber hatte er schwarze Ringe um die Augen. Als er fünf Jahre hinter sich hatte, kam er frei. In Wöbesse lebte ein Arbeiter Kiel, der als Freischütz bekannt war. Der hatte sich den Fuß durchgelaufen, den kalten Brand bekommen und vor seinem Tode mit der Hand auf der Bibel ausgesagt, daß er und kein anderer damals den Jagdhüter totgeschossen habe. Rothe sagte kein Wort, als ihm das mitgeteilt wurde, und der Diesbur, der ihn abholte, und der doch selbst ein Mann aus Eisen und Stein war, sagte nachher zu seiner Frau: »Heute würde ich für den Mann nicht mehr die Hand in das Feuer legen, wenn einer, mit dem er was vorhatte, tot im Busche gefunden würde.«
Sobald Rothe verurteilt war, hatte er sein Anwesen seiner Frau verschreiben lassen. Deren zweiter Mann, ein Lüderjahn, hatte es bald durch die Gurgel gejagt, und Goos hatte es erstanden, als es zum freihändigen Verkaufe kam. So besaß Rothe weiter nichts mehr, als das bißchen Geld, das er sich im Zuchthause gespart hatte. Seine ehemalige Frau, die in Moorhop auf Arbeit ging, suchte ihn auf und bat ihn flehentlich um Verzeihung. Er sprach kein Wort, drehte ihr den Rücken und ließ sie stehen. Er tat seine Arbeit, paßte scharf auf die Wilddiebe auf, kümmerte sich aber sonst um keinen Menschen, als um die Leute auf dem Dieshofe, die Witwe Goos, die sich seines Jungen immer angenommen hatte, und verkehrte eigentlich im Dorfe nur mit Matthies, der mit ihm in einem Hause wohnte. Als er entlassen wurde, waren ihm alle Leute freundlich entgegengekommen. Von keinem hatte er die Hand angenommen. Mit der Zeit hat er seinen Groll gegen das Dorf etwas fahren lassen, hält sich aber immer abseits.
So steht Heinrich Rothe allein da, wie im Herbst auf der Wiese der rote Hinnerk.