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In dem freundlichen Hause mit dem hübschen Blumengarten und dem runden Lindenbaum hinter dem grünen Zaun wohnt der Pferdehändler August Helmbrecht.
Bei schönem Wetter kann man Helmbrechtsvater, wie er im Dorfe allgemein heißt, obgleich er niemals Kinder hatte, meist unter der Linde vor der Tür sitzen sehen, die gestickte Samtkappe auf dem Kopfe, die lange Pfeife in der Hand, die Silberhochzeitstasse und ein Buch vor sich; denn er liest viel.
Er ist weit in der Welt herumgekommen, denn er hat als Koppelknecht angefangen. Als er mit dem Pferdehändler Wöhlecke aus Osterwald, bei dem er damals in Stellung war, einen Zug Pferde nach Lothringen gebracht hatte, ließ er es sich beifallen, zum Vergnügen über die Grenze zu gehen. In einem Weinhause, wo lustige Mädchen bedienten, wurde ihm irgendein Gift in das Glas gegossen, so daß er von Sinnen kam, und als er wieder bei sich war, wurde ihm seine Unterschrift auf einem Werbeschein für die französische Fremdenlegion vorgehalten; er war Werbern in die Finger gefallen.
Drei Jahre blieb er verschollen. Auf einmal tauchte er in Krusenhagen, von wo er gebürtig war, wieder auf. Erst kannte den braungebrannten Mann mit den beiden roten Schmarren im Gesichte kein Mensch wieder, bis er sich zu erkennen gab. Kaum hatte er das getan, so wurde er von dem Gendarmen, der zufällig im Dorfe war, verhaftet, weil er sich gerade um die Zeit, als er von Frankreich nach Algier geschafft war, hatte stellen müssen.
Er wurde sofort in den bunten Rock gesteckt und als unsicherer Kantonist behandelt, doch bewies er bald durch sein Verhalten, daß das nicht nötig war, wurde bald Gefreiter und Unteroffizier, und es wurde ihm sogar, weil er seinen Dienst mit Auszeichnung tat, ein volles Dienstjahr erlassen, einmal in Anbetracht seines Schicksals, und weil er seine Mutter unterhalten mußte. So wurde er bei seinem früheren Dienstherrn wieder Koppelknecht und kam wieder weit in der Welt herum, nach England, Rußland und Österreich.
Bevor er der Fremdenlegion verfiel, war er ein ziemlich leichtes Huhn und ein mehr als gutmütiger Mensch gewesen; seitdem aber hielt er sich nüchtern, sparte sein Geld und sah sich jeden Menschen vorher ganz genau an, ehe er sich näher mit ihm einließ. Wenn er von seinen Erlebnissen in Afrika erzählen mußte, bekam er einen engen Munde, und seine Augen, in denen fast gar keine Farbe war, kriegten einen bösen Schein. »Ein Lumpenvolk ist das,« sagte er dann und biß sich auf die Lippen; »ich habe dabei stehen und zusehen müssen, wie ein Bengel von neunzehn Jahren um nichts und wieder nichts totgeschossen wurde. Mir wäre es vielleicht nicht anders gegangen, wenn ich das nicht hätte mit ansehen müssen. So habe ich denn stillgeschwiegen und gewartet, bis es Zeit für mich war. Beinahe hätten sie mich doch noch wieder gekriegt, aber ich hatte Glück und kam heil über die Grenze, und hatte den Dusel, gleich bei einem Pferdetransport anzukommen.« Bei dieser Stelle lachte er meist bösartig und sagte: »Ich möchte bloß wissen, ob der Unteroffizier, der mich einholen wollte, mit dem Leben davongekommen ist; denn ich ließ ihn vorbeirennen und schlug ihn mit dem Kolben eins über den Schädel. Jean Meunier hieß er; er war der schlimmste Leuteschinder im Bataillon. Na, Brägenschülpen habe ich ihm mindestens für vier Wochen besorgt.«
Als er einmal auf Lohorst Pferde kaufte, bekam er Erna Meyer zu sehen, die dort als erste Küchenmagd diente. Der Freiherr hatte ihm gesagt, er solle sich in der Küche Mittag geben lassen; und auf diese Weise kam er mit ihr ins Gespräch und fand Gefallen an ihr; denn sie hatte genau dieselbe sanfte Stimme, wie die Frau des Kapitäns von dem Schiffe, mit dem er von Afrika fortkam, und die sehr gut zu ihm gewesen war und ihm beim Abschied noch zehn Taler geschenkt hatte. Er wußte es einzurichten, daß er das Mädchen traf, wenn sie ihren Bruder besuchte, was weiter nicht auffällig war, weil er immer in der alten Schänke einzukehren pflegte, wenn er durch Ohlenhof kam; denn er hatte mit Schimmelberg ab und zu Handelsgeschäfte. Das Mädchen hielt sich anfangs von ihm zurück, einmal seiner farblosen Augen wegen, die ihr unheimlich waren, und dann seines afrikanischen Abenteuers halber; denn sie war stillen und einfachen Gemütes und dachte sich, daß ein Mann, der soviel in der Welt umhergekommen wäre, kein rechter und ruhiger Ehemann werden würde.
Eines Tages kam er im besten Zeuge auf Lohorst angeritten, ließ sich bei der Freifrau melden und fragte, ob er in ihrer Gegenwart mit dem Mädchen sprechen dürfe; »denn das gehört sich meiner Meinung nach so, Frau Baronin,« fügte er hinzu. Die Freifrau hat dann die Sache so erzählt: »Das Mädchen kommt mit ganz rotem Kopf herein, dreht die Schürze in der Hand und weiß nicht, wo sie mit den Augen bleiben soll. Der junge hübsche Mensch aber gibt ihr ganz unverlegen die Hand und sagt: »Mit deinem Bruder habe ich gesprochen, Erna; der hat nichts dagegen, daß wir Schwäger werden. Ich verspreche dir, ein guter Mann zu sein, Erna, und ich pflege mein Wort zu halten. Ich trinke nicht, ich kartje nicht, und ich habe mir Geld genug gespart, daß ich selber anfangen kann. Und ich wüßte keine andere, zu der ich mehr Zuvertrauen hätte, als zu dir. Eile hat die Sache ja nicht. Überlege es dir und sprich mit deinem Bruder. In zwei Wochen komme ich zu ihm hin.« »Damit machte er mir eine Verbeugung wie ein Kavalier,« erzählte die Freifrau weiter, sagte: »Ich bedanke mich auch schön, Frau Baronin!« und ging. Na, ich habe dem Mädchen gesagt: »Wenn du den nicht nimmst, Ernestine, bist du dumm; der Mann gefällt mir.«
Erna Meyer wurde ein halbes Jahr später seine Frau und hat es nie zu bereuen gehabt. Von Jahr zu Jahr wurde ihr ihr Mann lieber, und obgleich zwischen ihnen kaum einmal ein Wort von Liebe fiel, so wußte der eine, daß er sich auf den anderen immer und ewig verlassen dürfe. Niemals kam Helmbrecht von einer Reise zurück, ohne seiner Frau etwas mitzubringen; wenn es auch nur eine Kleinigkeit war, und wenn es auch kein Tand und unnützer Kram war, sondern etwas, das Erna für sich oder im Haushalte nötig hatte, die Aufmerksamkeit ihres Mannes tat ihr doch gut. Mit der Zeit gewöhnte sie sich auch an seine Augen und daran, daß er ab und zu etwas sonderbar war, einen engen Mund, eine krause Stirn bekam und dann die halbe Nacht bei der Lampe aufsaß und in irgendeinem Buche las. »Das sind so Erinnerungen,« hatte er gesagt, als sie ihn einmal gefragt hatte; »das geht vorüber; mach' dir man nichts daraus.« Hinterher konnte er dann wieder lustig sein, und pfiff, wenn er im Garten arbeitete, ein Lied. Anfangs hatte das junge Paar in Hölsingen zur Miete gewohnt, bis Helmbrecht seinem Schwager eine kleine Baustelle neben der alten Schenke abkaufte, auf der er sich ein hübsches Haus baute, an dessen Wände er Spalierobst pflanzte; in dem Garten davor zog er allerlei Blumen, besonders aber Rosen, die seine ganze Freude waren. Hatte er weiter nichts zu tun, so bastelte er in dem Garten herum, schnitt die Rosen und band die Obstbäume auf. Meist hatte er aber nicht viel Zeit dazu; denn wenn er nicht auf Handel war, so half er seinem Schwager bei der Landwirtschaft.
Das tat er besonders, wenn er seine schwarzen Tage hatte; denn der einzige Mensch, der wußte, was ihm fehlte, war sein Schwager. Helmbrecht litt nämlich an Ferngesichten. Als sich das Unglück im Bachhause begab, war er gerade mit Schimmelberg beim Mähen; er ließ auf einmal die Sense fallen, wurde weiß im Gesicht und rief aus: »OGott, oGott, das Unglück!« Mehr sagte er nicht; aber mittags erfuhr Schimmelberg, daß Friedrich Timman vom Schlage gerührt sei, und daß im Dorfe das Gerücht gehe, sein Bruder Johann habe im Streit Hand an ihn gelegt.
Nach Jahren hatte er mit seinem Schwager allein eines Nachmittags in der Gaststube gesessen und war plötzlich aufgesprungen und hatte getan, als hörte er etwas Schreckliches. Bald darauf kamen Leute und sagten, der Jagdaufseher Rudow sei totgeschossen im Högenbusche gefunden. Fast ein jedesmal, wenn ein Mensch in der Gegend unglücklich zu Tode kam, hatte Helmbrecht das um dieselbe Zeit gesehen. Schließlich hatte er mit seinem Schwager darüber einmal gesprochen, aber der hatte ganz ruhig gesagt: »Überall ist 'was, August; der eine hat dies, der andere das. Mein Großvater soll das auch gehabt haben. Das ist Schickung. Sag' man zu Erna nichts davon. Frauen sind in solchen Sachen wunderlich.«
Vor dreiviertel Jahren ist Helmbrechts Frau an Herzschwäche gestorben, die sie von einer alten Lungenentzündung behalten hatte. Als Helmbrecht in Krusenhagen die Grabstelle kaufte, nahm er gleich die danebenliegende dazu, kaufte einen doppelten Stein und gab auch zwei Särge in Arbeit. Als der Pfarrer das hörte, fragte er ihn nach der Beerdigung, weshalb er das getan habe. »Tja, Herr Pastor,« hatte Helmbrecht gesagt, »das ist so, über's Jahr liege ich neben meiner Erna; das weiß ich für ganz gewiß.« Der Geistliche wollte ihm das ausreden, Helmbrecht aber sagte: »Was ich weiß, das weiß ich. Ich sterbe über's Jahr, wenn die Kartoffeln heraus sind. Außerdem habe ich keine Lusten mehr am Leben, seitdem meine Frau fort mußte.«
Nun sitzt er mit dem Samtkäppchen auf der Kaffeetasse unter der Linde und wartet auf den Tod. Er liest nicht mehr, er raucht auch nicht mehr; er ist schmal im Gesicht geworden und sehr zusammengefallen, gähnt in einem fort und blickt mit leeren Augen dahin, wo der Kirchturm von Krusenhagen über die Heide sieht, neben dem seine Frau liegt, und wohin sie ihn selber hinfahren werden, sobald die Kartoffeln über der Erde sind.