Hermann Löns
Tiergeschichten
Hermann Löns

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Jakob

Mitten im Bruche stand eine gewaltige, hochschäftige, breitkronige Kiefer, ein Wahrbaum für die ganze Gegend.

In ihr horstete Jahr für Jahr ein Kolkrabenpaar und erfüllte im April das Bruch mit seinen rauhen Balzrufen.

Ab und zu versuchten Schreiadler, Wanderfalken oder Habichte, den Raben den Horstbaum abzutreiben, aber die Raben hatten zu große Schnäbel und blieben stets siegreich.

An einem schönen Junimorgen kam ein junger Jäger unter dem Wahrbaume her und sah einen fast flüggen Raben im Heidekraute sitzen. Er nahm ihn mit und verschenkte ihn an Bekannte in der Stadt, die in ihrem Garten allerlei Tiere hielten.

Es gab einen großen Aufstand in dem Garten, als Jakob, wie das schwarze Ungetüm genannt wurde, auf den Rasen gesetzt wurde.

Jaköble, der Häher, war ganz entsetzt, als das großmächtige Rabenvieh seinen Riesenrachen aufsperrte und ihm auf den Leib rückte; aber schließlich holte er Futter und stopfte es ihm in den roten Schlund. Auch Jackelchen, die Elster, kam herangehüpft, sah sich das Scheusal an, und als das Gegiere nicht aufhören wollte, holte sie irgend etwas Eßbares und tat es vorsichtig in Jakobs unersättlichen Schnabel.

Jakob war immer hungrig. Was man ihm gab, das war ihm ganz gleich; er schlang alles hinab. Und wenn man ihn auch gerade gefüttert hatte und irgend etwas, das Federn hatte, kam ihm in den Weg, ganz gleich ob Jaköble oder Jackelchen oder Adam, der Turmfalke, oder Hans, der Waldkauz, oder eins von den Hühnern, es wurde angeplärrt. Ja, als einmal das Stubenmädchen aus Versehen den Flederwisch in den Garten fallen ließ, hüpfte Jakob sofort heran und schrie nach Futter, und ein anderes Mal machte er den Versuch, einen Federhut, der auf dem Gartenstuhl lag, zu bewegen, ihm den Hals zu stopfen.

Eines Nachmittags war die ganze Familie ausgegangen. Vor einer Stunde war in Jakob, die Dranktonne, wie die Mutter ihn auch noch nannte, erst so viel hineingestopft, wie nur hineingehen wollte, aber unaufhörlich hüpfte das gefräßige Untier im Garten umher und stieß seinen Heißhungergeschrei aus. Da Jaköble und Jackelchen eingesperrt waren, damit sie keine Dummheiten machen sollten, und Adam, der Turmfalke, in der Nachbarschaft Besuche machte, plärrte Jakob so lange dem Kauze Hans etwas vor, bis es diesem auf die Nerven ging. Er bequemte sich also nach seiner Futteranstalt in der Efeuberankung des Aquariumsockels, holte ein Stückchen Fleisch hervor und hielt es Jakob vor, damit er es ihm fortreißen wie es die jungen Eulen machen. Aber Jakob kannte die Sitten der Eulen nicht und schrie nur noch scheußlicher, und da wurde es Hans zu dumm und er tat, was noch nie eine Eule getan hatte, er stopfte Jakob das Fleisch in den Rachen.

Es dauerte sehr lange, bis der junge Rabe fressen konnte und noch, als er schon beflogen war, krächzte er hinter allem, was eine Schürze trug oder in Federn gekleidet war, hintendrein und bettelte um Futter. Schließlich bequemte er sich aber doch dazu, selber zu fressen, und als er das erst verstand, war nichts mehr vor ihm sicher. Jaköble und Jackelchen mußten scharf aufpassen, daß sie überhaupt etwas bekamen. Nur vor Hans hatte Jakob Achtung, denn der konnte seine großen Augen so seltsam auf- und zuklappen und so gefährlich mit dem Schnabel klappern. Das merkte sich Jaköble, der Häher, bald, und da er mit dem Kauz gut Freund war, so stopfte er ihm immer den Rest von seinem Futter unter den Flügel, so daß er sicher vor Jakob dem Großen war. Kam Jaköble mit einem Fleischbröckchen angehüpft, so lüftete Hans sofort den Fittich, und Jakob mußte zusehen, wie das Fleisch unter Hansens Achsel verschwand. Ab und zu versuchte er wohl, Hans am Schwanze zu ziehen, damit er das Fleisch fallen lasse, aber wenn die Eule sich umdrehte, die großen schwarzen Augen aufriß und mit dem Schnabel klapperte, dann fuhr Jakob zurück als wenn, ja, als wenn eine überreife Birne neben ihm hingeplatscht wäre. Denn so frech er war, er hatte in der großen Stadt Nerven bekommen. Wenn eine Tür zuflog, verjagte er sich und schrie: »Kräcks«.

Sonst aber war er frech, wie es eben nur ein Kolkrabe sein kann. Er hatte vor niemand Achtung als vor dem Besen und vor Hans. Wehe dem jungen Mädchen, das mit roten Strümpfen in den Garten kam; sie empfing einen Hieb in die Wade, daß sie noch lange einen blauen Fleck behielt. Blieb ein Buch im Garten liegen, so las Jakob auf seine Art darin, und die Fetzen flogen überall herum. Erwischte er den Drückschlüssel des Hausherrn, so stopfte er das dreieckige Loch ganz fest mit faulen Blättern voll, und stand ein Stuhl vor der Tür, so machte er es mit dem Schlüsselloche genauso. Unglücklich der Hund, der sich im Garten sehen ließ. Jakob lauerte in seinem Verstecke, bis der Hund vorbeikam. Wupps, wischte er ihm eins und saß sofort auf dem Tisch oder der Stuhllehne, und der Hund zog mit eingekniffenem Schwanze fort. Katzen kamen nie mehr in den Garten. Sowie sich eine sehen ließ, um nach jungen Amseln zu fahnden, machte Adam einen schrecklichen Lärm, und Jakob brannte ihr eins auf das Fell, daß sie wie wahnsinnig über den Zaun fuhr.

Er saß voller Unarten, aber da er so ulkig war, sah man darüber hinweg, daß er die Butter aus der Dose hackte oder, wenn der Aquariumdeckel offenstand, fischte. Dann saß er eine ganze Stunde auf dem Rande des Gefäßes, und sobald ein Goldfisch emporkam, erhielt er einen tödlichen Schnabelhieb und wurde verspeist. Ebenso ging es auch den unglücklichen Fröschen, die sich in den Garten verirrten, und mehr als einmal erwischte Jakob sogar eine Maus und einmal sogar einen Maulwurf, den er in die Laube brachte, wo die Familie beim Kaffeetische saß. Jakob legte seine Beute in den Weißbrotkorb und sagte: »Quatsch!«

Das war sein Hauptwort. Einmal kam ein Herr und besuchte den Hausherrn. Als er sich verabschiedete und sagte: »Hoffentlich haben Sie für Ihre Heidfahrt schönes Wetter!« unkte Jakob dazwischen: »Quatsch, Quatschquatsch!« Ein anderes Mal kam der Pastor und erzählte, wie traurig es mit dem Nachbar stehe, der nicht leben und nicht sterben könne. »Quatsch!« rief Jakob, und der geistliche Herr erschrak sich sehr, denn die Stimme kam unter seinem Stuhle her. Wieder einmal kam ein junger Geck zu Besuch und stellte seine Angströhre hinter sich auf den Rasen. Als er sie aufsetzte, rieselte ihm Sand daraus über sein Pomadenhaar. »Was ist denn das?« lispelte er. »Quatsch!« rief Jakob und machte ein Gesicht, als könne er kein Wässerchen trüben.

Immerwege hatte er Dummheiten im Kopfe. Eines Tages ging die Familie aus und vergaß, ihn einzusperren. Auf dem Rasen lag die Wäsche zum Bleichen. Jakob pflückte sich Kirschen, setzte sich damit auf die Wäsche und massakrierte die Kirschen, daß der rote Saft nur so herumstob. Sechs Hemden und vier Unterröcke mußten noch einmal gewaschen werden. Im Frühjahre wurden Maßliebchen gepflanzt, abwechselnd rote und weiße. Nach dem Mittagessen gab es ein großes Geschrei: alle Maßliebchen waren geköpft, und Jakob stand vor zwei Löchern, die er in ein Beet gehackt hatte, und besah wohlgefällig seine Sammlung; in dem einen Loche lagen die weißen, in dem andern die roten Blumen.

Zu seinem Hauptvergnügen gehörte es, sich auf das Eisen der Harke zu setzen, wenn die Gartenwege geharkt wurden; dann benahm er sich so stolz wie ein Mann, der sich eine Sonntagskutsche geleistet hatte. Einmal stellte er sich tappig dabei an und büßte einen Zeh dadurch ein. Er plärrte eine halbe Stunde lang und verzichtete fortan auf das Fahren auf der Harke. Sehr albern benahm er sich einige Tage später. Er flog auf die schlappe Wäscheleine und konnte das Gleichgewicht nicht halten. Ein Vaterunser lang schaukelte er auf der Leine hin und her und schrie, als zöge man ihm die Federn einzeln aus. Gräßlich dämlich benahm er sich, als ihm ein Besucher eine Kuchentüte über den Kopf stülpte. Erst saß er ganz begossen da, dann schüttelte er den Kopf wie unklug, darauf versuchte er Rad zu schlagen und Kobolz zu schießen, schließlich hüpfte er im Kreise und schlug mit den Flügeln wie eine verrückt gewordene Windmühle. Seitdem haßte er alle Tüten.

Am alleralbernsten aber stellte er sich an, als er den ersten Schnee seines Lebens sah. Erst machte er ein Gesicht wie eine Kuh, die es donnern hört. Dann fraß er ein bißchen von dem weißen Zeug. Darauf warf er Stücke davon in die Luft, kratzte darin herum, und schließlich kollerte er sich darin umher. Plötzlich machte er die Entdeckung, daß er eiskalte Füße hatte. Dann zog er den linken an, aber nun wurde wieder der rechte kalt. Auf einmal begann er so erbärmlich zu quaken, daß das ganze Haus zusammenlief. Seitdem haßte er auch den Schnee und ging nicht mehr auf die Wäsche, wenn sie zum Bleichen im Garten lag.

Eines Tages hatte er Durst und fand ein volles Glas Bier stehen. Erst schmeckte es ihm nicht, aber der Durst trieb es hinunter. Als der Hausherr zurückkam, war das Glas umgeworfen, und Jakob war so betrunken wie ein Pole am Zahltage. Erst sprach er so schnell, wie er es noch nie getan hatte: »Quaquaquaquaquatsch«, wohl hundert Male, dann versuchte er zu krähen, bekam aber den Schlucken. Alsdann versuchte er geradeaus zu gehen, taumelte aber wie ein Anfänger beim Radfahren; dann flog er steil in die Luft und kam mit großem Geflatter und noch größerem Gekrächze wieder herunter, und zwar in einem Rosenbusche, in dem er so lange herumkrabbelte, bis der Hausherr, der sich halbtot lachen wollte, ihn erlöste. Darauf versank er in Melancholie, zog den Kopf ein und stierte eine Weile vor sich hin, um dann wie verrückt auf die Waschschüssel loszustürzen und diese, als er sie leer fand, mit Schnabelhieben zu bedecken. Er bekam Wasser und trank so viel, wie er sonst in einer Woche nicht trank. Nun überfiel ihn der Zerstörungskoller, und er riß Gras und Blätter ab und sprang dabei herum wie ein Mensch, der die Hosen voller Ameisen hat. Und dann verschwand er und kam erst spät am andern Morgen mit sehr schlechter Laune, großem Brand und völliger Freßunlust wieder zum Vorschein.

Als er drei Jahre alt war, war er ein vollendeter Heuchler und ein gerissener Dieb und wurde deshalb auf das Land verschenkt. Dort führte er sich aber so übel auf, daß man ihn in einen Käfig sperrte. Aber selbst das half nichts; wenn die Küken auf dem Hofe herumliefen, lockte Jakob genauso wie die Glucke, und sowie eins der Küken an seinen Käfig kam, schnappte er zu und zog es hinein. Schließlich trieb er es so arg, daß man ihn dem Zoologischen Garten schenkte.

Da sitzt er heute noch, läßt sich von den Besuchern füttern und sagt zum Dank: »Quatsch!«


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