Hermann Löns
Mein braunes Buch
Hermann Löns

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Im Blauen Schimmel

Der Blaue Schimmel ist ein Erbkrug. Herzog Georg von Celle, den die Bauern Jürgenvater nannten, hat in der Gegend viel gejagt, teils brave Hirsche, teils ein anderes edles Wild, das blonde Zöpfe hatte; im Blauen Schimmel hat er oft den grünen, mit rotem Lungenschweiß gefärbten Eichenbruch am Jagdhut, im Backenstuhle gesessen, roten Wein getrunken und rote Lippen geküßt. Dafür hat er dann den Krug zum Erbkrug gemacht; auf ewige Zeiten, wie es in der Urkunde heißt, die in Glas und Rahmen in der Gaststube hängt zwischen den alten stockfleckigen, in Birnbaumholz eingerahmten Bildern, die des Jägers Hochzeit, Kindtaufe, Leichenzug und Auferstehung darstellen.

Der Hof, der zum Kruge gehört, heißt der Schimmelbergshof. Als Jürgenvater einmal sehr guter Laune war, denn er hatte den Tag drei starke Hirsche erlegt und nachher etwas viel gewürzten Wein getrunken, da hatte er der Haustochter gesagt: so viel Land, als sie in einer Stunde auf dem alten Blauschimmel umreite, solle beim Kruge bleiben.

Er soll ein sehr langes Gesicht gemacht haben, als die hübsche blonde Regina den alten Hengst in eine Gangart brachte, als wäre er ein Fünfjähriger; für sein Leben hätte er gern gewußt, wie sie das fertiggebracht habe, aber sie lachte bloß hinter ihrem Fürtuche; na, und was sollte der Herzog machen? Ein Wort ist ein Wort, und so wurde der Blaue Schimmel Erbkrug mit viel Land dabei.

Der jetzige Besitzer ist ein langer, breitschultriger, lang- und dünnbeiniger Mann mit todernstem, faltenreichem Gesicht; er hat in den Hof hineingeheiratet. Daß er Meyer heißt, hat er selbst beinahe schon vergessen; er wird nur Schimmelberg genannt, meist aber Lutjen; er spricht wenig, aber was er sagt, das stimmt, und mit dem ernstesten Gesicht macht er die schönsten Witze.

Aus der Gastwirtschaft macht er sich gar nichts; die geht die Frauensleute an. Kommt ein Fremder, so kann er warten, bis er schwarz wird, ehe der Wirt ihn fragt, was er trinken wolle. Die Stammgäste wissen das und bedienen sich selbst. Schimmelberg tut das nie; lieber schreit er zwanzigmal »Detta!«, ehe er von der Bank neben dem alten Plaggenofen aufsteht, wo er abends immer sitzt, kalt raucht und das hannoversche Pferd streichelt, das die Eisenplatte des Ofens ziert. Tritt ein Gast ein, so macht er eine Bewegung mit dem Oberkörper, als wolle er aufstehen, zeigt mit der zerkauten Pfeifenspitze auf die Ofenbank und sagt in singendem Tonfall und mit drei Pausen: »Gah sitten! Sett di dahl! Sett di!«

Das sagte er auch zu mir, als ich eintrat. Die Mücken hatten mich aus dem Bruche gejagt; Rauchen half nichts mehr, es waren zu viele, und bei der Hitze kamen die Rehe doch nicht vor der Nacht, ehe die Wiesen tauschlägig waren; so ging ich in den Krug und setzte mich an die andere Ofenecke.

Es waren allerlei Gäste da; erst drei fremde Käsehändler, die mit dem Planwagen umherzogen; dann der Mooraufseher, auf dessen braunes, verkniffenes Gesicht die Abendsonne einen roten Schein warf; dann der Küster, der am Fenster saß und die Zeitung las; schließlich noch ein Zimmergeselle, der bei Brinkmanns Scheunenbau beschäftigt war, und ein älterer Mann mit klugem, gutmütigem, graubärtigem Gesicht, der etwas betrunken war; er saß vor einem leeren Blaurand, hatte die Arme mit den schwarzen Händen breit auf dem Tische liegen und stierte ein bißchen blöde vor sich hin, ab und zu sich aufraffend und den Versuch machend, klar um sich zu sehen. Ich hatte ihn schon einmal gesehen, wußte aber nicht gleich, wer es war.

Ich saß in meiner Ecke, rauchte meine Pfeife und sah zwischen den Herzblättern der Linde vor dem Fenster in die Abendröte; eine dreifarbige Katze saß auf der Fensterbank und horchte nach dem Gepiepe der jungen Schwalben; ein Spitz bellte, man hörte die Mädchen lachen, die Schleiereule röchelte und wimmerte vom Kirchturm; in der alten Kastenuhr schlug der Pendel hart und langsam sein Ticktack.

Der angetrunkene Mann fuhr aus seinem Halbschlaf auf, schob das Glas vor und rief mit lallender Stimme: »Schimmelberg, noch 'n L . . . L . . . ütt . . .jen!«

»Kriegst kein' mehr«, sagte der Wirt langsam, »büst so all dicke!«

»Denn giff meck 'n Grooten!« erwiderte der Graubart.

Jetzt kannte ich ihn; es war ein alter Schneidergeselle. Er hatte mir einmal in der Gegend von Isenbüttel einen Flicken in den Jagdmantel gesetzt. Er war viel in der Welt herumgekommen, war ein fleißiger, stiller Arbeiter, bekam aber alle Monate seinen Zug; dann trank er drei Tage, tat aber keinem Menschen etwas, hielt nur große Reden über Politik und Religion und sang.

»Schimmelberg, dann giff meck 'n Glas Bier!« rief er.

Der Wirt wollte gerade sagen: »Hal di sülwen wat!«, besann sich aber und schenkte ihm ein Glas ein. Der Schneider holte eine mit Glasperlen gestickte Börse heraus, suchte lange darin herum und zahlte; dann trank er, steckte seinen Zigarrenstummel an, starrte lange auf meine Jacke und sprach:

»Das is ein Jägersmann. Denn er ist in Lodenstoff gekleidet. Erst dacht ich, es wär' ein Beiderwand. Es ist aber Lodenstoff. Den machen sie im Lande Tirol. Ich bin dagewesen.«

Er sann eine Weile nach und fuhr fort: »Ich bün auch schonst auf Jagden gegangen. In'n Wietzebruche. Mit dem ollen Kröger. Der verstand die Kunst. Er hatte seine Deele ganz voll von Hirschgeweiden. Das war ein ganzer Freischütz. So manchen dicken Hirsch hat er die Försters wegeholt. Jetzt ist er darüber weege. Er ist dote!«

Er bedachte sich wieder ein Stück: »Wenn man den Hirsch, der olle Kröger sagte immer: Happbock, schießen will, dann muß man erst wissen, wo einer is. Wenn'n das weiß, dann geht'n auf'n Baum sitzen, daß er die Wiederung nich kriegt.«

Er schwieg wieder: »Bei Mondenlicht muß'n dahin; denn sonsten sieht'n 'n nich. Und da wart' man, bis er kommt. Meist kommt er nich.«

Er trank sein Glas aus, klopfte damit auf und rief: »Schimmelberg, 'n Lüttjen!«

»Kriegst keinen mehr, hest all mehr wie 'noog!«

»Denn giff meck 'n Grooten!«

Der Wirt antwortete nicht, und der Schneider erzählte weiter: »Man muß scharf laden, wenn'n 'n Hirsch schießen will. Am besten eine Kugel und sechs oder acht Pilasters. Siebzig haben die Franzosen auch mit Pilasters geschossen. Das ist nicht erlaubt. Aus Milldrajösen. Bismarck hat sie ihnen deshalb alle abgenommen!«

Der Zimmergeselle bestellte noch zwei Glas Bier, und als der Schneider getrunken hatte, kam er wieder in Fluß: »Bismarck war ein großer Mann. Ich hab'n gesehen. Wenn er ein' ansah, dann ging es einen durch und durch. Er hatte man drei Haare, aber vor den kleinen Mann hatte er doch nichts über!« Der Küster sah mich an und lächelte. Der Schneider nahm das für Beifall, schlug auf den Tisch und rief: »Wir woll'n ein Kriegeslied singen: Erhebt euch von der Erde, ihr Schläfer . . .« Weiter wußte er es nicht; er schüttelte den Kopf: »Denn ein anderes: Als wir achtzehnhundertsiebzig sind nach Frankreich reinmarschiert, hat die Guste, die bewußte, mich ein . . .«

Er schüttelte wieder den Kopf; denn auch hier verließ ihn die Erinnerung. Nach einer Weile fing er dann an: »Wie das wohl mit die Russen und die Japanesen wird? Die Russen sind schon gut. Es gibt da einen guten Schnaps. Wuppdich sagen se dazu. Ich bin dagewesen!«

Er sah den Zimmergesellen an, stieß sein Glas gegen dessen Glas, trank einen winzigen Schluck, besann sich und fuhr fort: »Die Russen sind man bloß dumm. Die sollten mit ihren Kosakens nach Japan reiten. Das sind forsche Kerls. Die fressen das Fleisch roh!«

Er überlegte wieder ein bißchen: »Ich mag rohes Mett nich essen. Trichinen sind drin. Und die Wurst hier mag ich auch nich. Vorzüglich die Rotwurst. Weil kein Meiran mang is!«

Er saugte vergeblich an seiner toten Zigarre, schüttelte wehmütig den Kopf und sprach weiter: »Im Land Italien hab' ich gute Wurst gegessen. Zalami sagen sie dazu. Sie sollen da die Esel reinhauen. Ich glaub's nich. Aber den Knopplauch kann'n rausschmecken!«

Ein sonderbares Lächeln zog um seinen Mund, als er weitersprach: »Knopplauch, den mag ich schonst. Aber den Frauensleuten sollten 'n verbieten. Im Lande Italien hab' ich keine Liebschaft gehabt. Von wegen den Knopplauch!

Da sind se alle katholsch. Aber das ist eingal. Ich habe viele Religionen kennengelernt. Es is ganz gleich, was der Mensch für eine hat. Die Hauptsache is, daß er eine hat. Ich habe gar keine!«

Die alte Kastenuhr holte schnarchend aus und schlug die zehnte Stunde: Draußen tutete der Nachtwächter. Der Wirt bot Feierabend. Ich sprach mit dem Mooraufseher noch vor der Tür. Der Schneider ging an uns vorbei. Er sah uns nicht.

Langsam, nur ein klein bißchen unsicher, ging er mitten auf der Straße und sang mit seinem zerbrochenen Tenor: »Brüder, über hundert Jahr hab' ich weder Kopf noch Haar.«


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