Hermann Löns
Mein braunes Buch
Hermann Löns

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Goldene Heide

Die Heide hat vier hohe Zeiten; sie blüht viermal im Jahre.

Bevor im Vorherbste der Honigbaum sich rosenrot färbt, hat die Heide schon eine Blüte erlebt.

Wenn am tauklaren Maimorgen die Birkhähne trommeln und blasen, schmückt sie sich mit den silbernen Seidenblumen des Wollgrases; es sieht dann aus, als wäre der Winter noch einmal zurückgekehrt.

Jedes Birkenbäumchen aber straft mit dem leuchtenden Grün seiner jungen Blätter diesen Wahn Lüge, und auch die Heidlerche, die unter den Wolken hängt und so lustig dudelt, als wäre sie berauscht von dem Balsamduft, der aus den Smaragdwellen zu ihr aufsteigt.

Das ist die Zeit, in der die ganze Heide singt und klingt; sonntags abends ziehen dann die jungen Mädchen, in breiter Reihe untergehakt, über die Dorfstraße und singen alte, schalkhafte Lieder von dem Jäger und dem Mädchen in dem Walde.

Wenn das Heidekraut blüht im September und die Immen um den Honigbaum summen, wenn die Heidberge in Rosenrot, Purpur und Violett getaucht sind, dann zieht auch der Stadtmensch in die Heide hinaus und schwärmt für ihr Blühen und Glühen.

Ist aber das Heidkraut längst abgeblüht, ist das Silbergrau der trockenen Kelche zu fahlem Graugelb verwittert, dann ist die Heide vergessen, dann ist sie einsam und still; nur wenige Leute wissen, daß dann die Zeit kommt, in der sie ihr allerschönstes Kleid aus der Lade holt.

Wenn die wandernden Kraniche unter den Wolken herziehen, wenn die Wildgänse rufen, wenn der Nordwind über die Buchweizenstoppel geht und die Kartoffelfelder leer und zerwühlt sind, dann legt die Heide ihr herrlichstes Gewand an.

Aus schwerem Goldbrokat ist es gearbeitet, grüne Samtaufschläge zieren es, mit gelbseidenen Borden und purpurnen Kanten ist es besetzt, mit Scharlachfäden durchwirkt und über und über mit glitzernden Diamanten, schimmernden Perlen und leuchtenden Korallen benäht.

Dichte, langwallende Nebelschleier verhüllen morgens ihres Prunkgewandes Pracht; langsam, als schäme sie sich der eigenen Herrlichkeit, legt sie einen Schleier nach dem andern ab, enthüllt erst ihres Braunhaares Korallenschmuck, ihres Halses Diamantengeglitzer, ihrer Schultern Silberspitzentuch, ihres Gürtels Goldgefunkel, ihres Kleides grünbraunen, scharlachdurchzogenen Faltenfall.

Sie ist nicht mehr die junge, lustige Heide mit dem Birkenbalsamduft in dem smaragdgrünen Seidenkleid, nicht mehr die hübsche, junge Frau in der rosenroten Atlasschleppe; eine stattliche Frau in den besten Jahren ist sie geworden.

Das Lerchenliederlachen ihrer Mädchenjahre hat sie verlernt, die Blaufalterseligkeit ihrer jungen Frauenzeit liegt weit von ihr; sie ist stiller und ernster geworden, um Mund und Augen ziehen sich feine Fältchen, sie hat ihre trüben Stunden, in denen sie des ersten Schnees in ihrem braunen Haar gedenkt, den ihr des Jahres Ende bringen wird; aber sie kann immer noch lachen und strahlen und glänzen, blieb immer noch eine schöne Frau.

Ein wenig mehr Fülle hat sie bekommen, etwas bequemer ist sie geworden; sie liebt es nicht mehr, solange wach zu bleiben bei den Feuerwerkfesten der Abendsonne und den Liederkonzerten der Lerchen; sie bleibt auch schon gern ein bißchen länger im Nebelbett, steht nicht mehr so früh auf, und sie braucht etwas mehr Zeit zum Anziehen und eine Stunde mehr für ihre Flechten. Das ist aber ihr gutes Recht: alternde Leute schützt ein wenig Sorgfalt vor dem Alter, und man soll ihr Tun nicht Eitelkeit nennen.

Auch Launen hat sie bekommen mit der Zeit; Tage hat sie, an denen ihre Stirn kraus und ihre Augen düster bleiben; sie seufzt dann über die verlorene Jugend und stöhnt über die kleinen Gebrechen, die das kommende Alter künden; dann hüllt sie sich in den grauen Mantel und ist unliebenswürdig gegen störende Gäste.

Wer sie aber gut kennt, der kümmert sich nicht um ihre Launen; mag sie auch alle Fenster mit dichten, weißen Vorhängen verhüllt haben, schließlich strahlt doch ihres warmen Herzens Sonnigkeit, leuchtet ihrer Güte Lächeln, blaut ihres Frohsinns Himmel, kommt ihrer Seele goldener Reichtum bezaubernd zum Ausdruck, und sie ist dann schöner und herrlicher als je.

Es ist der Mühe wert, sich zu ihrem Herbstfest einzuladen. Wunderbar hat sie ihr Heim geschmückt, in ein Prachtgewand sich gekleidet, in das schwere Kleid aus Goldbrokat, das sie nur kurze Zeit trägt und das sie bald mit dem silbernen Gewand vertauscht, in das der Rauhreif sie kleidet, ihrem letzten Blütenkleide, ehe das Schneeleilicht sie bedeckt.

Lieblich ist ihr Maienfest, wonnesam ihre Spätsommerfeier, aber prächtig ist das hohe Fest, das sie im Herbste gibt. Erstaunt steht der Gast, der noch nie bei dieser Feier war; wohin er sieht, scheint es von blankem Golde, leuchtet es in gleißender Pracht, funkelt es in reicher Glut. Da ist kein Birkenbäumchen zu dürftig, als daß es nicht einem güldenen Springbrunnen gliche, jeder Moorbeerbusch glüht rosenrot, und alle Poststräucher lodern und brennen. Mit Silberperlen ist der Samtteppich bestreut und mit mattem Golde sind seine Kanten benäht, und des Prunksaales Decke ist ausgeschlagen mit einem lichten, blauweißen Seidengespinst, von dem sich weiße Flocken ablösen und lustig dahinschweben.

Nicht lange währt der Heide hohes Fest, aber lustig ist es bis zum Ende, bis zu dem wilden Kehraus, zu dem der Wind seine tollsten Tänze spielt. Dann rieselt das Gold dahin, flittert und flattert, wirbelt empor und taumelt herab, bis ein hohler Tusch das Ende der Feier kündet.

Wer es einmal mitfeiern durfte, das hohe Fest der Heide, der sehnt sich das ganze Jahr über danach.

Vier hohe Zeiten im Jahre hat die Heide; ihr schönstes Fest aber gibt sie im Herbste.


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