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Poet und Sängerin.

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Viele, viele Jahre sind es her, da saßen zu Mailand an einem Herbstnachmittage in einem Caféhause drei blutjunge Studenten. Sie hatten ihre erste Ferienreise zu Fuß begonnen, dann mit der damals noch üblichen Gelegenheit des Vetturino fortgesetzt und durchschlenderten nun seit einigen Tagen die Hauptstadt der Lombardei. Alles erschien ihnen wunderschön, und besonders der Dom begeisterte sie.

Ein deutscher Kaufmann in Mailand, an den sie gewiesen waren, benützte gern jede seiner freien Stunden, die enthusiastischen und lebensfrohen jungen Leute herumzuführen. So hatte er sie auch heute in das Café, dessen Stammgast er war, geladen und setzte sich etwas abseits an einen der kleinen Marmortische mit anderen Kaufleuten zum Dominospiel.

338 Die Studenten unterhielten indes ein lebhaftes Gespräch, dessen Gegenstand nicht allein die Sehenswürdigkeiten des heutigen Tages waren, sondern auch die Erinnerungen an die Freunde zu Hause, an die fidelen Kneipabende und die Mensuren des verflossenen Semesters. Über die letzteren waren sie nicht immer gleicher Meinung, da sie verschiedenen Korps angehörten. Ihre Reden und Gegenreden wurden oft so lebhaft, daß sie die Aufmerksamkeit der an den Nachbartischen Anwesenden erregten.

Mit einemmal aber verstummten sie, denn unversehens waren zwei Personen in den Saal getreten, die sogleich ihre und aller Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Es waren zwei ganz in Weiß gekleidete Mädchen, nur mit einem einfachen schwarzen Band umgürtet. Ihre dunklen Locken fielen reich über die schmächtigen Schultern und umrahmten bleiche, zarte Gesichtchen, denen der Ausdruck des Kindlichen noch so reizend stand. Sie schienen im Alter von 12-14 Jahren zu sein. Sie begannen mit lieblicher, aber keineswegs kräftiger oder ausgebildeter Stimme zu singen. Als sie mit dem ersten Liede fertig waren, 339 wurden die Lichter im Saale angezündet und die glänzende Beleuchtung vervollständigte das Zauberhafte der Erscheinung.

Richard, der älteste der drei Studenten, war ganz hingerissen, seine Blicke verweilten nur noch auf der Sängerin, und vor ihrem Gesang schien ihm alles umher verwandelt, verwandelt in einen Garten aus Ariostos Dichtung. Er wußte nicht, welcher von beiden Töchtern der Musik er den Vorzug geben sollte; aber er entschied sich, als die eine mit dem Teller erschien und mit einem leichten Kopfnicken um eine Gabe bittend an ihn herantrat. Kein freundliches Lächeln war auf ihren Lippen, nur ein finsterer, kalter Blick traf ihn aus den großen, schwarzen Augen. So nahe, wie sie jetzt vor ihm stand, lag in ihrer Schönheit mehr etwas Abstoßendes und Unheimliches. –

Vielleicht hatten Unglück und Armut diesen Ausdruck dem jugendlichen Antlitz eingeprägt. Aber nur um so anziehender erschien sie ihm, nur um so berechtigter ihr Anspruch auf eine freigebige Belohnung für den hohen Genuß, den ihm ihr Gesang verschafft hatte. Er besann sich nicht lang, sondern legte ein großes Geldstück auf den Teller, es war kein zweites unter den anderen Münzen 340 gleichwertig. Sie sah erst erstaunt auf, dankte mit demselben Kopfnicken wie vorher und wandte dann noch einmal ihren Blick ihm zu, freundlicher als zuerst und als wollte sie sagen: »Ich werd' es dir nicht vergessen.«

Richard sah ihr in wonniger Betäubung nach, bis sie weggegangen und unter den Gästen verschwunden war. Seine Kameraden hatten währenddem mit Mißfallen das auffallend reichliche Geschenk bemerkt, das ihr Freund aus der gemeinschaftlichen Reisekasse zu geben sich gestattet hatte. Bald trafen ihn denn auch ihre Vorwürfe.

Du weißt, hieß es, daß ausgemacht ist, keiner darf ohne Zustimmen der andern eine größere Ausgabe machen; wir haben auch darein zu reden, und du hättest uns erst fragen sollen.

Richard antwortete nicht, er war noch zu sehr erfüllt von dem Bilde des schönen Mädchens. Als ihm aber noch sein Schweigen vorgeworfen wurde und er sich als einen unpraktischen Schwärmer verhöhnen lassen mußte, da brach ihm die Geduld.

»Wenn es euch nicht beliebt, was ich gethan,« fuhr er auf, »so teilen wir die Kasse und trennen uns wieder. Die Schuld werd' ich euch abbezahlen.«

»Ach, er will wahrscheinlich,« rief sein Nachbar Emil, »Musikant 341 werden und mit ihr herumziehen. Da sind wir freilich überflüssig.«

»Was ich will, geht euch nichts an, ihr seid alberne Philister und Nachtwächter.«

Dem verletzenden Hohngelächter der beiden andern folgte nun seinerseits eine stärkere Beleidigung und das Ende war eine Herausforderung, Richard wollte sich auf der Stelle duellieren; »mit dem nächstbesten Messer,« rief er aus. »Ihr habt das talentvolle und unschuldige Kind infam beleidigt, weil ich sie bevorzugte, das laß' ich nicht auf mir sitzen.«

»Der heiße Wein Italiens spricht aus dir,« warf der eine seiner Gegner ein, »aber gut, die Forderung ist angenommen und bis wir nach Hause kommen – indes comment suspendu. Es soll nicht heißen, daß wir unterwegs Skandal hatten, die Reise werde wie bisher fortgesetzt.«

»Meinetwegen, ich nehme nichts zurück,« erwiderte Richard, »gehen wir.«

Zwei Tage darauf schritten sie wirklich ihres Weges wieder dahin, schweigsam nebeneinander. Die Sängerin hatten sie nicht wieder gesehen. Die Einförmigkeit der lombardischen Ebene bot auch wenig Anregung und Stoff zum Reden.

Abends waren sie, da plötzlich Regenwetter und frühe Dunkelheit 342 eintrat, genötigt, in einem Dorf zu übernachten. Das Gasthaus, ein echt italienisches, enthielt alle möglichen Übelstände, nur der Wein war gut.

Und der Wein brachte denn auch das Gespräch wieder auf das vorgestrige Ereignis; man erhitzte sich mehr und mehr, und die weitere Folge war eine verschärfte Forderung. Diesmal sollte der Zweikampf ohne Bandage stattfinden. –

Im Regen ging es des folgenden Tages weiter, aber noch stummer als am vorigen, und der verhaltene Ärger über das schlechte Wetter machte sich denn auch abends bei Tisch wieder Luft. Es erfolgte wiederholt eine Steigerung der Duellbedingung, diesmal genügte nicht mehr die alte Studentenwaffe, der Schläger – es wurden krumme Säbel gewählt, auch bestimmte man Tag und Ort, sobald man wieder in der Universitätsstadt angelangt wäre.

Glücklicherweise gelangte man am dritten Abend in eine größere Stadt und besuchte das Theater, was die Gedanken von dem streitigen Punkte etwas abzog und die Unterhaltung in andere Bahnen lenkte. Es war das auch gut, denn diesmal wäre es konsequenterweise auf ein Pistolenduell hinausgekommen.

Erst als die drei Wanderer sich den 343 Alpen näherten, wurde ihre Stimmung gemütlicher, der Anblick der Berge hob ihre Herzen höher und rückte das Geschehene in der Erinnerung weiter zurück.

Freilich schmolz auch ihr Reisegeld immer mehr zusammen, und so oft es ans Zahlen ging, fehlte es nicht an einigen beißenden Bemerkungen, die Richard jedoch mit schweigender Zurückhaltung hinnahm, wiewohl der Zorn in ihm aufwallte; er mußte mit raschem Schritt den andern vorauseilen, um seine Bewegung zu verbergen.

Und jedesmal dachte er dann wieder an die holde Sängerin. Ihre Stimme klang ihm aus den Wellen verlockend süß und rief ihm im Echo der Berge.

»Komm,« rief es ihm, »komm doch zurück zu mir, ich habe dich nicht vergessen, ich liebe dich, ja, ich liebe dich, komm!«

»Wann werde ich sie wiedersehen,« hallte es dann in ihm nach – »wohl nie wieder! Aber strafen will ich deine Verleumder und dich rächen, schönes und wahrscheinlich auch unglückliches Wesen! Ich ersehne den Tag schon, an welchem ich für dich den blanken Stahl schwingen werde.«

   

Und er kam, dieser Tag, aber zu Richards Unheil. Sein Gegner, zwar nicht stärker und gewandter, aber kaltblütiger als er, brachte ihm eine 344 schwere Wunde bei. Lange Zeit lag er am Fieber, und mehrere Wochen erforderte die Heilung. Eine tiefe Narbe im Gesicht blieb ihm als dauernde Erinnerung an seine erste italienische Reise.

Und mit diesem ersten Unfall brach Unglück auf Unglück über den armen jungen Mann herein. Seine Eltern starben rasch nacheinander und das kleine Vermögen, das sie hinterließen, wurde von dem Vormunde des noch minderjährigen Bruders von Richard in Beschlag genommen. Ihm blieb eine Summe, die gerade noch für ein Semester hinreichte, und er war noch so weit davon zu absolvieren!

Mehr als er selbst verantworten zu können glaubte, hatte er sich seiner Neigung zur Dichtkunst hingegeben, die schöne Gabe, die ihm von der Natur zu teil geworden, hatte nur die verhängnisvolle Folge für ihn, daß er das versäumte, womit er sein Brot verdienen sollte: das juridische Studium. Die Eindrücke des südlichen Landes hatten die Begabung zu dichten, die noch in ihm schlummerte, geweckt, und sie hatte wie ein inneres Feuer sein ganzes Wesens ergriffen. Er gab sich ernstlich alle Mühe, in seinem Fachstudium fleißig zu sein; er setzte sich stundenlang vor seine Bücher, las und 345 lernte und wußte schließlich kaum noch etwas von dem, was er so eifrig im Geiste betrieben zu haben glaubte.

Kaum war er aber aus dem Hanse getreten, flogen ihm die Verse zu; ein Sonnenstrahl über einer Blume, der Flug einer Taube, glänzendes Abendgewölk und ein Stern, der durch die Zweige eines Baumes schimmerte, entrissen ihn der Wirklichkeit und den Anforderungen, die sie an ihn stellte. Er vergaß alles um sich her, und war er dann nach Hause auf seine Stube gekommen, so schrieb er Strophen, Dialoge, Phantasiebriefe … Ach und mit dem Morgen erwachten die Vorwürfe, die Sorgen – war es zu ändern?

Nun kam noch diese Wunde, die ihn ans Bett fesselte, während er an seine Prüfung hätte denken sollen und die er auch vielleicht trotz alledem bestanden hätte. Was er versäumt, einmal versäumt hatte, es änderte die ganze Laufbahn, seine ganze Zukunft. In dem Maße aber, in dem ihn nach der litterarischen Richtung hin neue Hoffnungen beseelten, Hoffnungen auf Anerkennung und Ruhm, im gleichen Maße wurde auch seine Armut drückender, und die äußerste Not stand vor seiner Thüre.

Es war früh Herbst und kalt geworden, und um sich Holz und Licht zu 346 sparen, brachte er manche Stunden des Tages in öffentlichen Bibliotheken zu und den Abend in einer Wirtsstube, wo er seine paar Schluck Bier hinauszögerte, solang es mit Anstand ging. In einer dieser Schenken fand er täglich die Diener vornehmer Familien, deren Paläste sämtlich in der Nähe gelegen waren, beisammen und hörte mit Interesse ihren Gesprächen zu, die gar oft Anekdoten und sonstige Vorkommnisse aus dem Leben ihrer Herrschaften zum Inhalt hatten.

Unter ihnen fand er auch einmal einen alten Schulkameraden aus seiner Heimat, und wenn ihm dieser seine Schicksale, seinen Dienst und all die Trübsale seiner untergeordneten Stellung anvertraute, obwohl er sie selbst nicht einmal genug empfand, so überkam doch den gebildeten Mann wieder einige Befriedigung mit sich und seinem Los, das, wie er sich mit Stolz sagte – wenn auch ein bedrängtes, doch ein freies, und unabhängiges war.

An Zeitungen fehlte es nicht in diesem Lokal, während er in denselben las, kam ihm der Gedanke, daß er es vielleicht dahin bringen könnte, Mitarbeiter eines Journals zu werden. Er hätte so manches zu sagen gewußt und so manches sich zu 347 sagen getraut. In seiner traurigen Lage, ohne Freunde und Gönner, und bei seinen freien Gesinnungen, wie war es da möglich!

Einmal las er in einem dieser Blätter, daß nächstens eine berühmte Sängerin eintreffen und ein Konzert geben werde. Neben der Lobpreisung ihres Organs, ihrer Schulung, ihrer Schönheit, war auch von ihrem Leben und ihren Tugenden die Rede. Sie sollte als junges Mädchen mit ihrer Schwester, um ihre alten und armen Eltern zu unterstützen, in den öffentlichen Lokalen einer der größten Städte Italiens gesungen haben.

»Sie ist es!« rief Richard aus, »sie, sie und keine andere, ich muß sie sehen und hören. Morgen ist das Konzert, ach, und ich habe nicht halb so viel Geld, um den Eintritt zu bezahlen. Soll ich mich ihr vorstellen? mich als den in Erinnerung bringen, der sie einst so reichlich lohnte? o pfui, ich? das? Nie! Und wenn sie es dann gar nicht ist? – Ähnliches, wie das von ihr erzählt wird, kommt oft genug vor. Aber ich muß sie hören, ich werde den Klang ihrer Stimme wieder erkennen, ist er doch in meinem Herzen nie verhallt. Und o wie oft hab' ich sie im Traum gehört! Ich muß sie hören, aber wie komm' ich dazu, wie?«

Da 348 fiel sein Blick auf den alten Schulkameraden und ein glücklicher Gedanke durchfuhr ihn. Ja, so muß es gehen, Anton wird mir seine Livree leihen, es ist ja ohnehin Fasching, ich stelle mich mit der Garderobe seiner Herrschaft in den Vorsaal oder auch nur auf die Treppe und höre die Unvergeßliche singen.

»Nicht wahr,« wandte er sich an den Bedienten, »im Vorzimmer, wo ihr mit der Garderobe steht, hört man den Gesang recht gut aus dem Konzertsaal heraus?«

»Das will ich meinen,« erwiderte Anton, »recht gut hört man alles, fast jedes Wort versteht man.«

»Gut,« erwiderte Richard, »du kannst mir einen Gefallen thun, laß mich morgen mit der Garderobe deiner Herrschaft im Vorsaal warten.«

Anton lächelte und schüttelte mit dem Kopf. »Geht nicht.« –

»Ganz leicht geht es,« schmeichelte ihm Richard, »wenn du wüßtest, wie viel mir daran liegt, morgen die berühmte Sängerin zu hören! Ich ziehe deine Livree an, nehme Mantel und Hut deiner Gnädigen auf den Arm und setze mich an die Thüre, – recht nah' an die Thüre.«

»So,« entgegnete Anton langsam, »und wenn die Frau Gräfin früher sich zurückzieht, was oft vorkommt, und sie findet einen fremden Menschen 349 mit ihren Kleidern, da würde es mir wohl schlecht ergehen.«

»Und dennoch muß ich ins Konzert, geh' es, wie es will!«

»Na,« sagte Anton, »wenn Sie es denn gar so notwendig haben, so könnte ich Ihnen ja meine andere, meine alte Livree geben und einen Mantel von der Köchin dazu, aber nobel ist die Livree gerade nicht mehr.«

»Macht nichts, gut genug für mich,« rief Richard vergnügt aus. – »Abgemacht – ich werde dir's lohnen, edle Seele – es kommt noch eine bessere Zeit für mich. Gut' Nacht!« –

Große, mit farbigen Lettern versehene Zettel kündigten folgenden Tages das Konzert an.

Richard, dem die Zeit bis dahin sehr lang wurde, fand sich bald nach Beginn desselben in der Livree seines Freundes und mit Mantel und Kapuze des Dienstmädchens im Vorsaal ein. Da auch Anton mit ihm kam, so fiel es nicht auf, daß ein Diener so früh anwesend war. Man dachte, das müsse so sein, und niemand ahnte, welche Empfindungen in seinem Innern stürmten.

Er hörte sie, und er wußte sogleich, daß dieselbe es war, die er liebte. 350 Hätte er noch einen Zweifel gehabt, so wäre dieser geschwunden, als sie nach Schluß des Konzertes an ihm vorüberging.

O wie war sie schön geworden; in reifer, vollaufgeblühter Jugend, wie leuchteten ihre Wangen von Freude und Siegesglück! Er blieb vor Entzücken gebannt auf der Treppe stehen. Gehe nur an mir Armen vorüber und ziehe hin, von Triumph zu Triumph! Mich laß allein in meiner Dunkelheit und Niedrigkeit, bin ich doch glücklich, da ich dich wiedergesehen – ich bin immer um dich; der Dankgruß, den du mir einmal zuwinktest, begleitet mich überall hin, wo du bist!

In gehobenster Stimmung, selig wie er es noch nie gewesen, ging er, nachdem er wieder die Kleider gewechselt hatte, noch stundenlang unter den erleuchteten Fenstern ihres Hotels auf und nieder.

Wie leicht ward es ihm, und wie glänzend gelang es ihm, seine Begeisterung für das herrliche Geschöpf, für die gottbegnadete Sängerin in Verse zu bringen, und obwohl diese Verse bestellt waren. Anton hatte ihm mitgeteilt, daß sein Herr der Diva ein Gedicht überreichen wolle, und daß er, da ihm die Kunst seines alten Mitschülers, Verse zu machen, bekannt sei, der Excellenz versprochen habe, ein 351 solches Huldigungsgedicht von ihm zu erlangen. Es werde dann ins Italienische übersetzt und ihr des folgenden Tages in einem großen Blumenstrauß überreicht werden.

Ohne Bedenken hatte Richard zugesagt, sie wird es lesen, dachte er und eine leise Andeutung, die ich hineinlege, wird ihr sagen, wer es schrieb.

Und es entging ihr wirklich nicht, eine schmerzliche Erinnerung wachte in ihr auf, sinnend sah sie vor sich nieder und seufzend hob sich ihre Brust, während sie das Bouquet noch in den Händen hielt und dankend aus dem Waggon ihrer vornehmen Begleitung sich zum Abschied verneigte. Das war ein kühlerer Dank als damals! –

Für sein Gedicht aber erhielt der Verfasser nicht nur ein stattliches Honorar, sondern auch eine Empfehlung an eine Redaktion der hauptstädtischen Presse. Sein Glück war gemacht. Jetzt wird ihm kein Blatt mehr seine Poesien zurückweisen und die Notizen, die er sich im Gasthause bei den Herrschaftsbedienten gesammelt, kann er zu Feuilletongeschichten verwenden, die ihn bald sehr beliebt machen und ihm ansehnliche Summen einbringen. –

Er fand Zutritt in den ersten Kreisen der Gesellschaft, fand unter Künstlern und Musikern Freunde, die sein 352 Talent achteten und förderten. Einer der letzteren komponierte mehrere seiner Lieder.

   

Noch war kein volles Jahr verflossen; ein Jahr der Erfolge und des Glücks für den Dichter, als abermals riesige Anschlagzettel ein Konzert der berühmten Sängerin verkündeten. Auf dem Programm stand ein Lied von ihm. Sie hatte es den Vormittag über fleißig einstudiert und in seiner Gegenwart. Der Beifall am Konzertabende war ein großartiger, man rief ihn mit ihr und dem Komponisten heraus.

Bei dem solennen Festessen ihr zu Ehren saß er an ihrer rechten Seite, der Musiker ihr zur Linken. Es regnete Gedichte, die bei den Kränzen und Blumensträußen neben ihr aufgehäuft lagen. Sie wühlte unter den duftigen Briefen und Blättern, las einige, warf sie wieder weg und sagte dann:

»Es scheint, ich soll keines mehr finden, das mir so Schönes zu sagen weiß, wie das bei meiner letzten Anwesenheit hier.«

»Wirklich?« fragte Richard.

»Ich möchte nur wissen, wer es gedichtet hat,« gab sie zur Antwort.

»Das will ich Ihnen sagen, aber unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit.«

353 »Gewiß, gewiß! Niemand auf Erden soll je erfahren, was Sie mir anvertrauen.«

»Nun denn,« flüsterte er ihr zu, »der Glückliche bin ich!« damit erhob er sich und stieß mit dem Champagner an.

Sie sah mit großen Blicken zu ihm auf, mit Blicken, aus denen erst freudiges Erschrecken, dann eine wie aus tiefem Schlummer erwachende Liebe sprach, eine lang gehegte und unbegrenzte Liebe, und diese Blicke wurden immer tiefer und sanfter.

»Ja, Sie sind es,« hauchte sie ihm zu, »Sie hab' ich gesucht, o wie oft und oft, unter den Tausenden, die mich umjubelten. Sie finde ich wieder. O deshalb zog es mich hierher zurück; ich wußte, daß ich Sie finden werde!«

Er hatte ihre Hand erfaßt, beugte sich auf sie nieder und küßte sie.

Das Orchester fiel mit der gewaltigen Introduktion einer Ouvertüre ein.

»Aber wo haben Sie nur diese abscheuliche Narbe her?« fragte sie lächelnd, als die Musik aufgehört und alles sich herangedrängt hatte, weil es hieß, sie werde singen.

»Diese Narbe hab' ich um deinetwillen.«

»Wie, um meinetwillen? das muß ich wissen.«

»O,« entgegnete Richard, »das ist eine alte, 354 dumme Studentengeschichte, die ich dir später einmal erzählen werde.«

Und hier hab' ich sie erzählt.


 

Druck von A. Bonz' Erben in Stuttgart.

 


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