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Die eiserne Krone.

126 127

I.

Längs einer steilen Felswand kam vom südlichen Alpenabhang den schmalen Bergpfad ein Reiter herab. Rechts von ihm erhob sich senkrecht die Wand, an welcher hoch oben die Wolken hinzogen, links unter ihm schimmerte der blaue See in furchtbarer Tiefe. Der Reiter war noch nicht weit von seiner Burg entfernt, die zuhöchst auf dem Felsen und wie in sie hineingebaut emporragte, als ihm ein Mann in römischer, halb kriegerischer, halb priesterlicher Kleidung begegnete, dem man die Mühe wohl ansah, die ihn das Heraufsteigen gekostet hatte.

Dieser Mann war der Diakonus Senno aus Pavia, und der, den er sich entgegenkommen sah, war Alahis, der Longobardenherzog. Senno blieb stehen und holte Atem, sein Gesicht hatte sich mit 128 dunkler Röte überzogen; aber es war nicht nur Erschöpfung, was seinen Schritt bannte, es war das Erstaunen über die seltsame, Schrecken einflößende Gestalt des Longobarden.

Dieser war ganz in Stahl und Tierfelle gehüllt, das sonnverbrannte Gesicht des schlanken und hochgewachsenen Mannes beschirmte ein Eisenhut, mit Adlerfittichen geschmückt, darunter fiel langes Haar in schwarzen, aber rötlich schimmernden Strähnen auf die Schultern. Die Farbe seiner Augen war nicht zu erkennen vor den wilden und drohenden Blicken, die unter den zusammengezogenen Brauen hervorblitzten; die barbarische Wildheit und der heidnische Trotz, der in seinen Zügen lag, mußte jedem Furcht einflößen, wie viel mehr dem Seelenhirten, der ihm auf diesem einsamen Felspfad begegnete und eine bedenkliche Botschaft an ihn auszurichten hatte!

»Furchtbarer Mensch, du scheinst den Namen, den dir die Kirche giebt, zu verdienen, ›Sohn des Bösen‹,« sprach der Diakonus für sich, »aber ich werde nicht zittern vor dir, denn mein Vertrauen steht auf Gott und seine Heiligen im Himmel.«

Die Stimme des Frommen erbebte dennoch ein wenig, als er sich hierauf dem Longobardenherzog 129 näherte und so demütig er konnte ihn folgendermaßen anredete:

»Herzog Alahis – denn daß du, Gewaltiger, der Longobardenherzog bist, erkannt' ich sogleich – der König Kuninkpert läßt dich grüßen und bitten ...«

»Was, bitten läßt er mich?« unterbrach der Gefürchtete den Redner. »Was will er von mir?«

»König Kuninkpert läßt an alte Freundschaft dich erinnern, wie solche zwischen euch am Hofe des Königs Perktarit bestand, er läßt dich erinnern, wie oft der Alte über dich erzürnt war und dich strafen wollte, aber Kuninkpert bat stets für dich.«

»Seiner Fürbitte bedurfte ich nicht,« entgegnete Alahis, »und Perktarit hatte guten Grund, mich nicht zu strafen; ich war jung, er alt, ich war stark, er hinfällig, ihn haßte das Volk der Longobarden, mich liebte es. Bei mir war die Gnade, nicht bei ihm. Was will Kuninkpert von mir?«

»Er läßt dich gemahnen, daß er König der Longobarden ist, rechtmäßiger Nachfolger Perktarits, und von den Edelsten des Landes bestätigt; auch du mögest mit deiner Anerkennung nicht länger zögern, er lädt dich ein, in Ticinum ihn zu besuchen, 130 seiner Gastfreundschaft dich zu erfreuen und die alte Freundschaft zwischen euch zu besiegeln.«

»Ich soll wohl vor den Longobarden als sein Vasall erscheinen, hinter ihm drein gehen, knieend vielleicht aus seinen Händen ein müßiges Schwert empfangen? Nimmermehr!«

»Er will sich krönen lassen, und es sollen ihn dabei all seine Getreuen umgeben,« fuhr Senno in seinem Auftrage fort.

»Sich krönen lassen,« zürnte Alahis, »den römischen Imperatoren will er gleichen? Hat er nicht bereits die freien Männer unter römische Rechte gebeugt? Mir soll er das nicht anthun, ich werde nie sein Knecht sein!«

»Nicht knechten will er euch, aber alle seine Getreuen will er um sich sehen, und du selbst, hast du ihm nicht Treue geschworen?«

»Treue dem Freunde, aber nicht einem Herrn,« gab Alahis stolz zur Antwort und fügte hinzu: »Er wünscht wohl, ich solle diese Burg verlassen und an seinen Hof ziehen?«

»Ja, diese Burg sollst du verlassen, diese stolzen Mauern, die den Himmel herausfordern – und sollst dich beugen vor Gott und deinem Könige!« 131 rief mit Pathos der Diakon, denn der Mut war ihm während des Gesprächs mit Alahis gewachsen.

Dieser sah ihn von der Seite an und lächelte. Er stieg ab und näherte sich mit erheuchelter Ehrfurcht dem Priester.

»Hochheiliger Mann,« begann er, »du gehst da barfüßig, während ich zu Pferde sitze, das geht nicht an! Ein Verkünder des wahren Wortes wie du soll die Zügel in die Hand nehmen und den Tieren gebieten wie den Menschen. Komm, ich kehre um mit dir und bringe dich zu mir hinauf in meine Burg, in meine stolzen Mauern, die dem Himmel trotzen, wie du sagst; du sollst mein Gast sein.«

Damit stieg er eilends ab und nötigte den Diakon auf das Pferd, welches, so ruhig es vorher mit seinem Herrn dahingeschritten, nunmehr, da es einen schwächern Reiter fühlte, sich ungebärdig anließ und nicht übel Lust zu haben schien, den Unkundigen abzusetzen. Der Herzog indes glaubte sich an der schlecht verhehlten Angst seines Opfers ergötzen zu dürfen, wenn das Pferd hart an den Rand des Abgrundes hindrängte, den Kopf bog, sich schüttelte und stieg, daß mit jedem Augenblick zu erwarten war, es werde seinen Reiter in die Tiefe schleudern.

132 Dieser seufzte schwer auf; er fühlte mit Schmerz und Beschämung die Unbeholfenheit, die ihm sein Stand und die Entfremdung von allen Übungen der Kraft und Gewandtheit aufzwang, während er doch, ein kräftiger Mann, einst im Reiten und in allen Waffenspielen tüchtig gewesen, ehe sein Volk, die Gepiden, von den Longobarden besiegt und er selbst ein Geistlicher geworden war und sich das Haupthaar hatte scheren lassen müssen.

Alahis bewahrte vollständigen Ernst und schien nichts von der Gemütsbewegung seines Begleiters zu merken. Sie kamen gerade an einem roh gearbeiteten Steinbilde vorüber, das halb verwittert am Wege stand; es war ein altes Bild des Mitras, jenes aus dem persischen Mythus überkommenen Gottes, den die römischen Soldaten späterer Zeit und auch die germanischen besonders verehrten. Senno bekreuzte sich und wandte den Kopf zur Seite, um das Götzenbild nicht anschauen zu müssen.

Da nahm der Longobarde das Wort und sprach zu ihm:

»Weil mich der Himmel deiner Gesellschaft für würdig hält, so will ich die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, mich bei dir über Dinge zu 133 unterrichten, die niemand besser wissen kann als du. Die Leute dieses Landes waren also auch Heiden ehedem, wie wir, die wir zu Wodan beteten und seine Stimme im Donner zu hören glaubten und im Rauschen der Eichenwipfel unserer heiligen Haine?«

»Ja, sie waren Götzendiener,« gab Senno, der Diakon, zur Antwort, »zu Ehren ihrer Götzen opferten sie Feldfrüchte, Tiere und – o Greuel – auch Menschen!«

»Den Götzen?«

»Ja!«

»Und wo kamen diese Götzen hin?«

»Sie fuhren zur Hölle, gestürzt durch die Engel Gottes!«

»Da bin ich froh,« rief Alahis aus, »daß wir unsere Götter zu Hause gelassen haben, sie würden sonst auch in die Hölle gekommen sein! Die machten es klüger: sie sind nicht mit uns ausgezogen, sondern sie hielten es wie die Katzen und blieben bei Haus und Hof.«

»Sie werden ihrem Untergange dennoch nicht entrinnen,« hob der Diakon wieder an, »Sendboten von uns sind auch in eure nordischen Wälder ge 134drungen, haben dort die wahre Lehre verkündigt und weder Wunden noch Entbehrung, noch selbst den Tod gescheut, um jene Dämone zu besiegen.«

»Zu besiegen?« wiederholte Alahis ungläubig, »eure Sendboten, jene schwachen, kümmerlichen Leute – mit ihnen wollet ihr unsere Götter bezwingen? Ha! Von dir könnte ich das allenfalls noch glauben, du scheinst ein kräftiger Mann – von jenen nimmermehr!«

»Nicht mit Schwert und Feuer siegen wir,« rief jetzt Senno begeistert aus, »sondern durch das Wort, durch die überzeugende Kraft der Wahrheit und die Gnade Gottes, wie wir das auch in Rom und der übrigen Welt vollbracht haben!«

Der Diakon erinnerte sich der Bekenner, die er so oft als seine Vorbilder gepriesen, zu welchen er so oft sein Gebet gerichtet hatte, und indem er an ihrem Andenken im Geiste sich erhob, vergaß er jede Furcht und schilderte mit flammendem Blicke den Opfermut und die Todesfreudigkeit der Märtyrer.

Seine Unerschrockenheit schien nicht nur auf den erstaunten Longobarden, sondern sogar auf das 135 Pferd einzuwirken: es gebärdete sich nicht mehr unruhig wie vorher, sondern gehorchte willig der Lenkung seines Reiters. Alahis sah sich mit seinem Hohn zu Ende, er hatte gerade das Gegenteil von dem bewirkt, was er bezweckte. Stolz richtete der Diakon sein Haupt empor, und mit erhobener Hand fuhr er in seiner Rede fort:

»Die Heiligen gaben freudig Gut und Blut für ihren Glauben dahin; sie setzten ihr Leben ein, damit die Menschheit gerettet würde aus den Banden des Lasters, der Weltlust und des Teufels.«

Das letzte Wort betonte Senno besonders und warf dabei einen lauernden Blick auf Alahis.

Die Geduld des Longobarden war zu Ende.

»Den Namen des Teufels sprichst du aus, damit meint ihr mich, ihr Kleriker, ich weiß es! Herab von meinem Pferde!« rief er aus, riß den Zögernden aus dem Sattel und schleuderte ihn, der sich keiner solchen Behandlung versah, wütend zu Boden. »Um auszukundschaften kamst du, Trugvoller, melde nun deinem Kuninkpert, was du erfahren hast!«

Damit schwang er sich aufs Pferd und ritt seiner hochgelegenen Burg entgegen.

Senno erhob sich blutend; sein Gegner hatte ihn 136 an einen Felsen geworfen, er sah dem Davoneilenden nach und rief:

»Mit heidnischer Tücke hast du den Friedensboten überwältigt, aber es wird eine Zeit kommen, da werde ich dir in Waffen entgegentreten und meine Kraft mit der deinen in offenem Kampfe messen!«

Damit ging er auf eine Quelle zu, wusch seine Wunde, und ein Hirte, der des Weges kam, verband ihn. Hierauf begab er sich auf dem kürzesten Wege nach Pavia, der Hauptstadt des Königs Kuninkpert.

   

Zu gleicher Zeit erreichte Alahis sein Schloß. Dasselbe war, wie gesagt, in die Felsen hineingebaut, kunstlos aus unbehauenen Steinen gefügt, ähnlich den Cyklopenmauern. Wände und Boden waren mit Jagdbeuten, den Fellen der Bären und Wölfe behangen, Trinkhörner und Waffen waren der einzige Schmuck der Gemächer. In der Mitte des einen stand ein roh gearbeiteter Tisch von Eichenholz, würfelartige Steine, ebenfalls von Tierhäuten bedeckt, dienten als Sitze.

In dem weiten Hofraum standen einige verwitterte und verkrüppelte Ölbäume und Feigenbäume, dichtes, hohes Gras wuchs überall, und dazwischen blühten an den Felsen Erika und Alpenrosen 137 in üppiger Fülle.

Alahis wurde von seinen Mannen begrüßt, die eben mit Sensen über den Schultern herantraten, sie hatten für die Pferde das junge Futter gemäht. Ein geller Pfiff, und bald rannte über die Wiesen ein Wolf, der heulend und nach Art der Hunde an seinem Herrn emporsprang.

In der Burg indes, in der geräumigen Halle, hatte ein Alter das Mittagsmahl aufgestellt, das aus Wildbret und getrockneten Früchten bestand; auch einen römischen Trinkbecher mit Wein setzte er vor seinen Herrn. Dieser saß schweigender als sonst auf seinem erhöhten Platz und richtete an keinen der Seinen ein Wort, die, ehrerbietig ihn begrüßend, um den Tisch Platz nahmen.

Alahis dachte noch immer an das Gespräch mit dem Diakon – wäre es möglich, ohne Waffen, ohne blutige Schlachten Siege zu erkämpfen? Hatten diese Menschen die stärksten Gegner, Tausende mit der Gewalt des Wortes bezwungen und, was am wenigsten zu glauben war, selbst die mächtigsten Wesen, die Götter, überwunden, einzig nur durch Duldung und Hingebung? – nein, das war nicht möglich! – er sprang auf, er suchte den Gedanken los zu werden, wie wenn ihn ein grimmiges Wald 138tier angefallen hätte, so wollte er ihn von sich schütteln, den Gedanken. Er raste, denn auch nicht aus der Welt schaffen konnte er ihn, wenn er einmal da war, das fühlte er, das machte ihn rasend.

Indem sah er durch den Eingang der Halle einen greisen Longobarden treten, dem sein Begleiter eine Harfe nachtrug. Die Männer im Saale wichen auseinander und ließen ihm Raum. Er ging einige Schritte gegen den Hochsitz vor und stellte sich auf die unterste Stufe, die Harfe neben sich. Er begann in die Saiten zu greifen. Nach den ersten Klängen, die wunderbar durch die Halle brausten, erhob er die Stimme: er sang die Thaten des Königs Alboin, seine Heerfahrt nach Italien, seine Siege, der Gepiden Untergang, Rosamundens Rache.

Die Augen der Longobarden leuchteten in hellem Feuer, Alahis stand auf, seine Brust hob sich gewaltig, er sah im Kreis umher, als spähe er in den Mienen seiner Mannen, ob sie von gleicher Kampflust beseelt seien. Einen der Edlen sah er, der gleich ihm von Berserkerwut ergriffen war, ihre Blicke begegneten sich, sie schnaubten, rissen ihre Schwerter aus der Scheide und stürzten aufeinander los.

Schon klirrten die Eisen, die Schwerter sprühten Blitze, da trat der 139 Sänger eine Stufe höher und begann in milderer Weise ein Lied, eine Totenklage. Rasch ließen die beiden Krieger ihre Waffen sinken, sie fühlten Hände sich auf ihre Schultern legen, sie umarmten sich.

Und wieder trat der Sänger eine Stufe höher.

»Hört,« rief er, »hört, ein Lied von Kuninkpert, dem König!«

Alahis wandte das Haupt nach ihm und horchte. Er war erzürnt darüber, daß nach Alboins Ruhm nicht seiner gedacht, daß von Kuninkpert sollte gesungen werden.

Der Harfner aber begann:

»Hört, wie Kuninkpert eine Krone zu suchen ging:
Aussandt' er Krönungsboten,
Daß sie Gold ihm brächten –
Gold vom Wahlfeld, Gold der Toten –
Armreife, Spangen und Ring':
Aber sie fanden nur blutigen Stahl,
Denn die Raben und die Dohlen
Hatten nach der Geier Mahl
Das Gold gestohlen
Und es in ihre Höhlen getragen,
In die Felsenritze,
Wo die Wolken jagen,
Wo Pfeile schießen die Blitze.
Durch die Thore der Städte schritten sie dann,
Frugen Mann für Mann und von Haus zu Haus:
›Habt ihr Gold in Schreinen, 140
Nebst Edelsteinen,
Habt ihr Gold vergraben?
Gebt es heraus,
Der König will eine Krone haben!‹
Aber da hieß es: ›Nur Not
Hat der Krieg uns gelassen;
Wir haben nicht so viel Brot,
Als unsere dürren Hände fassen;
Die Kirchen sind ausgeraubt,
Öd' stehen die Paläste,
Auf Säcke legen wir unser Haupt,
Und Wölfe sind unsere Gäste.‹
Nun verließen die Kriegsmannen
Die Mauern der Stadt wieder.
Wo sie nichts gewannen,
Und schritten zum Strome nieder;
Hier sahen sie landen
Ein Schiff, darin Greise
Standen in braunen Gewänden,
Die kamen von weiter Reise
Und trugen einen Schrein,
Den sie sorglich zu hüten
Und zu verbergen sich bemühten;
Es mußte wohl Kostbares darin enthalten
Das wähnten die Mannen und sprachen:
›Gebt her das Gold aus dem Kasten,
Es ist euch zu schwer,
Ihr Mönche seid da zum Fasten!‹
Da wehrten sich die, bis erschlagen
Sie alle zu Boden lagen. 141
Dann erbrachen den Schrein die Boten,
Indem sie sprachen: ›Die Schätze der Toten
Sind schlecht bewacht,
Die schützt kein Riegel,
Nur aufgemacht!‹
Da fielen die Siegel
Von Eisenbanden,
Doch nichts als Nägel fanden
Die Knechte darin,
›Ist das unser Lohn,
Das unser Gewinn?‹
›O,‹ rief ein Pilger,
Ein Sterbender schon,
›O, wisset, Vertilger,
Vom Kreuzesstamm
Sind diese Nägel genommen,
Wo der, von dem Heil gekommen,
Im Blute schwamm,
Das Gotteslamm!
Schweißt sie zusammen
In irdischen Flammen;
Kein Gold der Erde
Hat solche Macht –
Die Krone werde
Dem König gebracht
Am Ende der Schlacht!‹«

»Nun,« rief Alahis aus, als der Sänger sein Lied beendet hatte, »nun, hat man begonnen, die Krone für Kuninkpert zu schmieden, oder hat er gezögert?«

142 »Niemand weiß es,« antwortete der Sänger, »denn Hermelinde, seine Gemahlin, bat, die Nägel der Kirche zu weihen aus Gottesfurcht, sie bat auf ihren Knieen, und Kuninkpert schwieg. Eines Tages aber kam zum Könige sein Waffenschmied, und man sah aus dem Turm des Palastes das Feuer der Esse sprühen.«

Alahis erhob sich, er schritt stumm durch die Reihen seiner Mannen und stieg eine Treppe hinan. Lang noch sah er vom Söller hinaus in die Nacht und hinab in die Tiefe des blauen Sees. Ein nächtlicher Raubvogel rauschte an ihm vorüber, seine Fittiche berührten fast die Schläfe des Ausblickenden; plötzlich vernahm er das jammervolle Wehgeschrei wilder Tauben, die im Gebüsch an den Felsabhängen unter ihm ihre junge Brut gegen den Raubvogel verteidigten.

Zum erstenmal in seinem Leben überkam den Barbaren eine Regung von Mitleid, eine Teilnahme am Schmerz eines andern Geschöpfes. Er dachte wieder an das Lied des Sängers, an das Gespräch mit Senno, dem Diakon, an die Nägel vom Kreuz, an welchem einer für die Leiden der ganzen Welt geblutet hatte, dem jetzt alle Völker gehorchten.

143 »Die Krone aus diesen Nägeln,« sprach er zu sich, »die soll nicht Kuninkpert haben, die will ich gewinnen, die soll mein werden!«


II.

Anders sah es in der Burg zu Ticinum aus, wo König Kuninkpert Hof hielt, als auf dem Schlosse des Herzogs Alahis, anders und viel feiner und vornehmer. Da waren in den Gängen Säulen korinthischer Ordnung, da war der Estrich mit Mosaiken eingelegt, die Wände statt mit Tierfellen mit persischen Teppichen behängt. Große Vasen, Henkelkrüge aus grün und roten Steinen prangten auf den Marmortischen, zierliche Gemälde sah man an Decken und Wänden, mythologische Gestalten, Scenen aus der Ilias und Odyssee.

Durch die stets offenen Thore drängen sich Palastbeamte, Gelehrte, Priester und eine Schar von Dienern. Auf Treppen und in den Vorhallen lagerten longobardische Krieger, die Beine mit breiten Bändern umwunden und Felle von Bären und Luchsen über die Panzer um die Schultern hängend. Sie zechten und lärmten, übten sich in den Waffen und spielten mit ihren großen Wolfshunden.

Drinnen aber nach einer Reihe von 144 Zimmern kam ein kleines und prachtvolles Gemach, wo König Kuninkpert bei seiner Gemahlin Hermelinde, der Longobardenkönigin, in traulicher Unterredung saß.

»Wage noch einen Versuch,« sprach sie zu dem Gatten, »laß uns alles aufbieten, um seinen trotzigen Sinn zu brechen, seine Sitten zu mildern, ihn an uns zu gewöhnen!«

»Du möchtest,« lächelte der König, »den Adler gefangen und im Käfig sehen; wenn die Priester euch Frauen gelehrt haben, das Zeichen des Kreuzes zu machen, so glaubt ihr schon gleich, alle Männer müßten sich vor euch beugen und euch dienstbar sein.«

Hermelinde legte bittend ihre Hand auf den Arm des Gemahls und neigte sanft das Haupt gegen ihn, so daß ihn mächtiger ihre Blicke trafen.

»Ja, das glauben wir,« sagte sie, »und wir haben einigen Grund und einiges Recht zu diesem Glauben, weil Schönheit alles bewältigt, denn sie bewegt zur Liebe, und Liebe bewegt alles. Hättest du statt des Diakonen Senno eine dunkeläugige Römerin zu Alahis gesandt, wir würden bessere Botschaft erzielt haben. Der Diakon kam verwundet 145 zurück, im andern Falle würde Alahis der Verwundete gewesen sein.«

»Keine Römerin und auch kein Weib unseres Volkes hätte nur die geringste Macht über ihn gewonnen, er flieht dein Geschlecht, verabscheut süße Worte und süße Blicke und verachtet den Mann, den sie bezwingen.«

»Wäre es nicht doch gut, den Versuch zu wagen? Ich weiß ein Mädchen, deren Anmut er nicht widerstehen wird – Theodote.«

»Theodote,« rief Kuninkpert verwundert aus, »Theodote, das Kind – die kaum ein paar Worte zu sagen weiß, die schon erblaßt, wenn ihr einer unserer Krieger nur in den Weg kommt – und ist sie denn wirklich so schön? Allerdings hab' ich sie noch niemals recht angesehen, ich besorgte, sie zu erschrecken – ist sie wirklich so schön, wie du sagst?«

»Sie ist zarter und seelenvoller in ihrer Anmut als jene Venus, welche von den Heiden angebetet wurde, weißer als der Marmor ihrer Statuen, und was das wunderbarste an ihr ist – diese Römerin hat einen solch reichen Haarschmuck natürlicher goldener Locken, daß sie sich ganz darin einhüllen kann, 146 ich habe das gesehen, als wir jüngst zusammen ins Bad stiegen.«

»Eine Römerin und blondes Haar,« murmelte Hermelindens Gatte, »das ist seltsam.«

Er wußte nicht, was er sprach, seine Blicke schienen etwas zu suchen; die Schilderung, die seine Gattin von der Schönheit Theodotens entworfen hatte, weckte einen zündenden Funken in ihm, seine Blicke irrten umher und schienen das Bild zu suchen, das aus den Worten seiner Gattin so reizend vor seiner Phantasie sich entfaltet hatte.

Hermelinde betrachtete arglos und ahnungslos ihren Gemahl.

»Nun,« sagte sie, »zweifelst du noch, daß sie seinen rauhen Sinn umwandeln und bändigen wird? Ihr Antlitz ist ebenso vollkommen wie ihr ganzer Leib, und ihre weiche, zum Herzen dringende Stimme ist gleichsam die Sprache ihrer reifen Wohlgestalt.«

»Und du willst sie ihm dann zur Gattin geben?«

»Es bleibt keine andere Wahl.«

»Aber die Longobarden werden zu solcher Vermählung nicht günstig schauen, und erst die Römer werden uns nur noch mehr hassen als vorher.«

»Ist nicht all unser Thun und Denken darauf 147 gerichtet, die beiden Völker zu versöhnen und zu vereinigen? Und welch ein kräftigeres Band könnte es geben, als wenn die Fürsten des einen mit den edlen Töchtern des andern sich vermählen!«

Ein forschender Blick Kuninkperts glitt über die Gestalt seiner Gattin, während sie dies sprach – er schien einen Vergleich ziehen zu wollen zwischen der Wirklichkeit und seinem Phantasiegebilde.

»Tochter des Königs der Angelsachsen,« rief er aus, »meine Wahl zwischen dir und einer Römerin, und wäre sie die schönste dieses schönen Landes, würde nicht einen Augenblick geschwankt haben, und Alahis, ich schwöre darauf, denkt wie ich: nie wird er seine Braut aus den Reihen der Unterworfenen holen; wollte er, so würde ich es ihm verbieten, ich als sein König, als König der Longobarden.«

Damit stand Kuninkpert auf; seine mächtige Gestalt richtete sich als Bekräftigung des Gesagten stolz und herrisch empor. Trotzdem war seine Erscheinung nicht wie die des Alahis furchtbar, sondern vielmehr Zutrauen und Neigung erweckend. Seine blauen Augen strahlten von Güte, seine roten, runden Wangen, seine weichen, vollen Lippen, der blonde, sanft gewellte Bart, alles an ihm verkündigte Sanft 148mut und treuherziges Wesen.

Kuninkpert erhöhte diese Eigenschaften noch durch seine Gewohnheiten: er liebte ein gutes Mahl, und vor allem sprach er reichlich dem Becher zu. Nichts war ihm lieber, als mit seinen Getreuen die Nacht beim Trinkgelage zuzubringen; immer erst mit dem beginnenden Morgen verließen die Zecher den Saal, um sich hierauf in die erfrischenden Wogen eines Sees oder Stromes zu werfen. Das war Sommers wie Winters seine Sitte. Er haßte alles Weichliche, und die warmen Bäder der Römer, obwohl deren noch im Palast vorhanden waren, blieben streng untersagt. Nur die Frauen durften es wagen, dies Verbot manchmal zu übertreten.

Als Hermelinde ihren, wie sie meinte, so glücklich erdachten Heiratsplan scheitern sah – als sie sah, mit welcher Bestimmtheit ihn Kuninkpert zurückwies, schmiegte sie sich furchtsam an den Gatten und bat, ihr zu verzeihen. Kuninkpert versicherte sie dessen, nur möge sie keinen Versuch mehr machen, mit solchem Anliegen wieder vor ihn zu treten.

»Ich liebe,« sprach er, »nur diejenige Frau, die nichts anderes spinnt, als so viel sie für sich und ihren Haushalt bedarf; lehre deine Mädchen die 149 Nadel führen und die Spindel drehen; aber in den Rat der Männer trage kein Wort mehr!«

Er küßte sie und ging zu den Bogenschützen, die im Hofe des Palastes aufgestellt waren. Sie begrüßten ihn, und es begannen vor seinen Augen die Übungen, die Wettkämpfe mit den Schleudern, mit den Speeren und Streitäxten.

Der Hof des Palastes war auf seinen vier Seiten von Gängen eingefaßt, im Zwischenraum von je zwei Schritten trugen Säulen das nächst höhere Stockwerk. Kuninkpert sah durch den einen der Gänge Theodote kommen, sie führte Knaben eines seiner Vornehmen an der Hand und wollte vorüber, ohne nur aufzusehen. Kuninkpert nahm einen Bogen und schoß gerade über ihr in die Rosette der Mauer einen Pfeil, so daß das zerbröckelte Gestein herunterfiel und sie mit Staub überschüttete. Sie stieß einen Schrei aus und wandte ihr Gesicht nach ihm.

»Wahrlich, sie ist schön,« sagte der König zu sich und rief den Knaben zu, sie sollten herabkommen und an der Waffenübung teilnehmen. Dies geschah, und es wurde Mittag und Abend, ehe der König sie wieder entließ. Er selbst versammelte 150 zuletzt seine Krieger um sich, lobte die tüchtigen und eiferte die zurückgebliebenen an; dann lud er alle zum Mahl und zum Zechtische. Bis spät in die Nacht kreisten die Trinkhörner und erklangen die Schlachtlieder.

Früher als sonst erhob sich diesmal Kuninkpert vom Gelage. Indem er durch die Hallen und Labyrinthe seiner Burg dem Schlafgemache zuschritt, kam er an den Baderäumen vorüber, die einst hier römischem Luxus gedient hatten; überall auf dem Wege dahin zeigte sich Verfall und Vernachlässigung, die Bekleidung war da und dort von den Wänden gefallen, der Mosaik aufgerissen, in den Nischen lagen Trümmer von Bildwerken. In dem Tepidarium selbst waren die Nischen mit Spinngeweben und dickem Staublager überzogen.

Plötzlich fühlte er eine dunstige Wärme ihm entgegenquellen. Offenbar hatte man die Leitung, die das Wasser hereinführte, geheizt. Sollte, wie schon einmal geschehen war, für die Knaben ein Bad angerichtet worden sein? Kuninkpert, eine Strafrede auf den Lippen, stürmte hinein; aber die zornige Verwünschung erstarb auf seinen Lippen. Im tiefsten Grund der Halle schien es wie von einem Punkt aus zu leuchten, daß sich die Dunkelheit ringsum 151 erhellte.

Er trat näher und ein wunderbarer Anblick fesselte ihn – was Hermelinde geschildert hatte, sah er jetzt in Wirklichkeit. Er sah Theodote, bereit, die Stufen des Marmorbassins hinabzusteigen, nur von ihren schönen, bis an die zierlichen Knöchel reichenden Locken bekleidet. Sie hatte den nackten Fuß an den Rand des Bassins gesetzt, und alles schien davon wie von einem goldigen Licht zu schimmern.

Ein Ausruf des Staunens – ein Schrei der Angst – das war der Vorgang eines Augenblicks – dann Stille und Finsternis – Hätte diesen Augenblick einer der früheren Bewohner des Palastes, ein Römer aus alter Zeit, belauscht, er hätte geglaubt, die Statue einer Diana gesehen zu haben.

Als ihm die Erscheinung entschwunden war, riß Kuninkpert sein Schwert von der Seite, tauchte es in die Flut und rief:

»So schwör' ich, daß sie mein werden soll!«

Und gleich als hätte ein Zauberwort die verborgenen Mächte entfesselt, so drang es rings in heißen, qualmenden Dämpfen gegen ihn hervor, er glaubte zu ersticken, wich zurück und stürzte bewußtlos nieder.


152

III.

Der Morgen war angebrochen.

Ein leichter Nebel vor der aufgehenden Sonne breitete sich über den Strom und die Zinnen Pavias. Innerhalb des Palastes, welchen der longobardische König bewohnte, lag ein Garten, der schwarze genannt. Er führte diesen Beinamen von den Bronzestatuen römischer Senatoren, die sich in Nischen der Seitengänge befanden, deren ursprüngliche Goldfarbe durch die Länge der Zeit schwarz geworden war, dann aber hieß er auch so von den Cypressen, seinem einzigen Baumschmuck, und von den Mauern, die ihn umschlossen und die aus schwarzen Quadern bestanden. Sogar der Boden war stellenweise mit schwarzem Marmor belegt.

In diesem Raume, der vor mehr als dreihundert Jahren im Besitz ihrer Familie gewesen, erging sich in den frühen Stunden mit Vorliebe die blonde Römerin Theodote. Obwohl sie nichts davon wußte, daß der Platz einst Eigentum ihrer Voreltern gewesen, denn Krieg und Verfall hatten so stolze Erinnerungen ausgelöscht, so übte doch alles hier in solch schwermütiger Pracht einen unwiderstehlichen Zauber auf sie aus, einen 153 Zauber, dem sich ihr Gemüt gar so gern ergab, sie wußte nicht warum. Es überkam sie hier ein stilles Wohlbehagen, eine Zufriedenheit mit sich selbst; lauter Gefühle, deren günstigen Einfluß sie heute mehr als je bedurfte.

Sie überließ sich ihnen denn auch ganz und vergaß, daß die Stunde herankam, in welcher sie pflegte, ihrer Herrin und Freundin Unterricht in der alten Sprache zu geben. Beide Frauen nämlich lasen gemeinschaftlich die Homilien und Legenden und übten sich auch im Gesang der christlichen Hymnen. Nicht selten wurden sie dabei von der kräftigen Stimme des Diakons Senno begleitet. Seine Anwesenheit war ihnen allmählich zum Bedürfnis geworden, von ihm allein erhielten sie jede höhere geistige Anregung und Aufschluß über Fragen, welche das Heil der Seele und das jenseitige Leben betrafen.

Heute nun vergaß Theodote der festgesetzten Stunde, indem sie sich ihren Träumen überließ, und zwar Träumen, die etwas höchst Beunruhigendes für sie hatten. So in ihren mit Polstern belegten Marmorstuhl gelehnt, verfolgte sie mit den Blicken einen Schmetterling, einen Trauermantelfalter, der, als gehöre er recht eigentlich hieher, von Blume zu Blume flog und 154 endlich auf der Spitze ihres Fußes sich niederließ. Die Sandalen, die den zarten Fuß umschlossen, waren mit Edelsteinen besetzt, und vielleicht hielt die der Schmetterling für Blumen.

Wenigstens Theodote dachte dies, und sie betrachtete mit eitlem Wohlgefallen ihre zierlich geformten Glieder, nicht ohne heimlich einen Vergleich mit den Reizen ihrer Freundin anzustellen, der sehr zu ihren Gunsten ausfiel, denn die Königin hatte wohl ein stolzes und vornehmes Aussehen, aber sie war mehr von starkem als schönem Körperbau, Theodote mußte lächeln, wenn sie sich die mächtigen Schritte Hermelindens vorstellte, die man schon im Vorzimmer vernahm, und wenn sie der großen Hand gedachte, die sie anfangs mit einigem Widerwillen, seither aber mit inniger Ergebenheit und Treue geküßt hatte.

Während dieser Betrachtungen nahte sich ihr ein Palastdiener, verbeugte sich und kniete vor ihr nieder. Ihr waren solche Huldigungen nicht ungewohnt; sie achtete auch diesmal nicht darauf und verfolgte mit ihren Blicken vielmehr einen Flug von Tauben, die schreiend über ihr hinwegflogen. Jetzt erst bemerkte sie, daß der Diener, ein Kämmerling des Königs, eine Spange um ihren Knöchel befestigt hatte und 155 sich eben wieder entfernen wollte. Da er ein Kämmerling Kuninkperts war, so konnte das Geschenk nur von diesem sein.

»Wer gab dir die Spange?« fragte sie heftig.

Der Diener schwieg und zog sich zurück. In dem Augenblick vernahm sie die Stimme des Longobarden, der eben mit Jagdgenossen in den Palast zurückkehrte und laut sang. Sie erbebte, es war ihr nun kein Zweifel mehr: von ihm war die Spange. Die Erinnerung an das Ereignis der verflossenen Nacht trat wie eine Schreckgestalt vor sie hin – jetzt verstand sie die Bedeutung des Geschenkes. Wie tief beschämt stand sie vor sich selbst. Sie rief sich die Scene von gestern ins Gedächtnis zurück: wohl hatte sie das Licht auf dem Kandelaber so rasch wie möglich zu löschen gesucht – war sie aber vielleicht dennoch bemerkt worden? Und dann war sie ja so rasch hinweg geeilt. War es nicht, als hörte sie hinter sich die Schritte Kuninkperts? O, sie hörte sie jetzt wieder, und wieder hörte sie die Worte, die sie, hinter einem Pfeiler stehend, vernommen hatte, die sie erzittern machten.

Der Stolz der Römerin erwachte – sie nahm die Spange von ihrem Fuß und schleuderte sie an das 156 Fußgestell einer der Bronzestatuen, daß sie klirrend zersprang. Der alte Senator schien ihr beifällig zuzunicken; doch der Diener trat hervor und nahm die Hälfte der Spange sorgfältig auf. Sie befahl ihm, alles liegen zu lassen; aber er hörte nicht darauf und eilte fort. Unentschlossen, ob sie ihm nicht folgen, ihn für seinen Ungehorsam zu Rede stellen sollte, hörte sie Schritte – sie sah sich um: der König Kuninkpert stand hinter ihr.

»Wunderbare,« sprach er und ergriff eine ihrer Locken, »diese Wellen sind heilig, es sind deine Schleier, laß mich sie küssen!«

»Möchten sie deine Sinne verwirren und dein Gedächtnis auslöschen!« rief Theodote heftig; »in Stücke brechen wie diese Spange soll das Geschoß deiner frechen Worte!«

»Welche Bitten vermöchten dein Herz zu bewegen, deinem Könige hold zu sein?«

»Keine von deinen Lippen, Barbar!«

»Aber ich hab' es den Wellen geschworen,« erwiderte Kuninkpert, »daß ich dich liebe und dich erringen werde!«

»Lasse von mir!« rief die Römerin; »denke daran, deinen Speer zu schwingen, anstatt … 157 Schärfe die Waffen gegen Alahis, der dich an Edelsinn und Tapferkeit so hoch übertrifft wie der Löwe den Wolf!«

Damit eilte sie hinweg.

Kuninkpert hatte von ihrer Verwünschung nur die letzten Worte gehört, der Name des Alahis aus Theodotens Mund fand Wiederhall in seinem Innern.

»Alahis,« sagte er zu sich, »was weiß sie von Alahis? Hat Hermelinde sie schon mit ihrem Plane vertraut gemacht, ihr eine Vermählung mit ihm in Aussicht gestellt? O, sicher! Warte nur, ich will deinen Anschlag vereiteln, schlaue Kupplerin! Unbedachtsam hast du schon Ringe gewechselt und über die, die für mich nur ein Traumbild bleiben sollte, verfügt. Zu sicher hast du dich schon am Ziele geglaubt!«

Und weiter sann er: »War es ihr vielleicht darum zu thun, Theodote aus dem Wege zu räumen, aus Furcht, sie könnte ihr früher oder später doch bei mir gefährlich werden? Ha, sie konnte sich nicht enthalten, die Schönheit, vor der sie zitterte, mir zu verraten!«

Mit solchen Gedanken, die ihm die heiße Leidenschaft eingab, und die schon im vorhinein das rechtfertigen sollten, wozu ihn diese Leidenschaft antrieb, 158 kam er zu dem Entschlusse, des folgenden Tages eine Jagd zu veranstalten, zu der er sein Weib mitnehmen, und die er bis zur einbrechenden Dunkelheit hinausziehen wollte. Während man dann genötigt wäre, in einem Jagdhause, mehrere Stunden von Pavia entfernt, zu übernachten, wollte er heimlich in den Palast zurückkehren, dort Theodote überraschen und – es müßte doch wundersam zugehen, wenn er so, in völliger Sicherheit, allein mit ihr, nicht die Liebe der schönen Römerin gewinnen sollte.

»Hatten doch auch Franken- und Burgunderkönige neben ihren Gattinnen andere Frauen gehabt; diese Angelsächsin muß sich darein finden, die Liebe des Königs mit einer andern zu teilen.«

Während er sich nun anschickte, seinen Hofleuten die nötigen Befehle zu dem morgigen Jagdzuge zu geben und er sich bereits über das Gelingen seines Planes freute, war Theodote gleichfalls zu einem Entschlusse gekommen. Den anfänglichen Vorsatz, alles ihrer Herrin und Freundin zu gestehen, hatte sie aufgegeben; sie lenkte vielmehr ihre Schritte nach der Kirche, um Senno, dem Priester zu beichten. Ihm, der schon längst ihr ganzes Vertrauen in allen Gewissenssachen besaß, ihm wollte sie alles 159 erzählen, ihn wollte sie um Rat und Beistand anflehen.

Unverkennbar war die Freude des Diakons, als er Theodotens Geständnis vernahm. Er vermochte kaum die stürmischen Empfindungen, die in ihm wach wurden, zurückzudrängen. Welche Aussichten eröffnete ihm dieses Geständnis!

Senno, aus dem Stamme der Gepiden, dem von den Longobarden bereits unter Alboin besiegten und schmachvoll unterdrückten Volke, hatte in mehreren Empörungen, die alle blutig und grausam beendet wurden, seine Eltern, seine Brüder, fast alle seine Anverwandten verloren. Er selbst war in ein Kloster gebracht worden, dort sollte ihm, wie die Locken um seine Schultern, auch der kriegerische Mut für immer abgethan werden. Die feurige Seele jedoch, die in dem Sohn und Enkel so vieler tapferen Männer lebte, die alle ihren Unabhängigkeitssinn mit dem Tode besiegelt hatten, sie lebte auch unter der mönchischen Erziehung noch fort und schlug bei jeder Gelegenheit in helle Flammen empor.

Ein alter Waffenknecht seines Vaters, der als Laienbruder in dem Kloster diente, erhielt diese Flamme und nährte sie durch Erzählungen aus den alten Heldentagen. 160 Er fachte immer wieder die Rachegedanken an, wenn er vom Tode des Vaters und der Brüder seine im Ton eines alten Barden vorgetragenen Berichte gab, wobei der Alte stets mit einer düstern Klage, mit einer Aufforderung, einst Vergeltung zu nehmen, schloß. Bei Senno fielen diese Andeutungen auf einen fruchtbaren Boden, und oft in nächtlichen Stunden erhob er sich auf seinem harten Mönchslager, um den Schwur zu thun, die Seinen, sein Volk an den verhaßten Longobarden zu rächen.

Als er älter wurde, nahmen diese unbestimmten Rachegedanken mehr und mehr feste Gestalt an; allein sein zunehmender Verstand und die wachsende Erkenntnis der Sachlage überzeugten ihn, daß an eine blutige Erhebung nicht mehr zu denken war. Die Edelsten des Gepidenstammes waren vertilgt, ihre Geschlechter zum Teil mit den Siegern verschwägert, zum Teil herabgekommen. Von dieser Seite war nichts zu hoffen.

Senno wandte seine Blicke nach Rom. Ihm konnte nicht entgehen, daß mit der zunehmenden Macht der Kirche ein Feind den Barbaren erwuchs, dem sie auf die Dauer nicht widerstehen konnten; hier war der Punkt, um festen Fuß zu fassen. Schon hatten sein reiches Wissen, 161 seine männliche, schöne Erscheinung, sein unter der Kapuze noch hervorblitzendes Heldenauge das Vertrauen Kuninkperts und seiner Gattin erworben; er war kühl und in sich verschlossen dabei geblieben; jetzt – dieses Geständnis Theodotens! Der König liebte die Römerin, liebte leidenschaftlich und zum erstenmale! Seinen Wunsch, das Mädchen zu besitzen, würde er bald gewaltsam und rücksichtslos durchsetzen – das sah Senno voraus. Damit geriet er in seine Gewalt, in die Gewalt eines ihm geistig so hoch überlegenen, alles berechnenden Mannes, eines Priesters und eines Gepiden, seines Todfeindes.

Und dieser Todfeind war ebenso vorsichtig als beharrlich – er richtete sogleich ein Schreiben nach Rom, worin er alles auseinanderlegte, seine Absicht aussprach, den Longobarden eine Römerin als Gebieterin zu geben, was gewiß nur zum Heil Italiens und der Kirche gereichen könne, und um die Genehmigung dazu bat; nicht ohne den Segen des Himmels wollte er vorgehen; was er aussann, sollte als ein Werk der Gerechtigkeit, er selbst als ein Vollstrecker des Willens der Vorsehung erscheinen.

In ähnlichem Sinne sprach er auch zu Theodote und ließ durchblicken, daß er erwarte, in ihr, der 162 Tochter Roms, eine Verbündete zu finden. Sie schwieg und gab nur das Versprechen, niemand sonst in ihr Vertrauen ziehen zu wollen. Der Königin Hermelinde die nötige Mitteilung zu machen, nahm Senno auf sich.

»Edles, frommes Kind,« wandte er sich an Theodote, da er bemerkte, wie seine Andeutungen in dem reinen Gemüte Mißtrauen hervorgerufen hatten, »für die Wiederherstellung und Größe deines Vaterlandes würdest du wohl alles thun, bereit sein, jedes Opfer zu bringen?«

»Ja,« erwiderte sie fest und reichte Senno die Hand.

»Nun, der Augenblick ist nicht mehr fern, es zu beweisen,« erwiderte Senno. »Leb wohl einstweilen und sei deiner Zusage eingedenk!«

Eine Brücke führte vom Palast über den Tessin nach einem Turm am andern Ufer, der Turm des Boethius geheißen, weil dieser hier gefangen gelegen und seine berühmte Trostschrift geschrieben hatte. Theodote kannte das Gefängnis, sie hatte manche Stunde vor dem Altare, der sich darin befand, im Gebete verweilt und, wenn ihr das Los der Dienstbarkeit zu schwer ward, Hilfe gesucht. Heute zog es sie 163 mehr wie je dahin.

Die Rede des Diakons hatte sie mächtig erregt; so manche Demütigung, die sie erlitten, kam ihr wieder zu Sinn, und was erst heute geschah, war besonders geeignet, ihre Entrüstung zu entflammen und sie für jedes Ansinnen Sennos geneigt zu machen. Ja, ein Opfer, welches auch, und wäre es das schwerste, sie wollte es gern bringen, wenn es Italien helfe, das Joch der Fremden abzuschütteln.

Sie betrat die Brücke, schon hörte sie tief unten die Wasser des Flusses rauschen, da leuchtete ihr aus dem obersten Gemache des Turms der Glanz eines Feuers entgegen. Niemals vorher hatte sie hier eine ähnliche Erscheinung beobachtet; der Turm galt bei jedermann für unbewohnt.

Sie stieg eine Treppe hinan und sah sich vor einem eisernen Thore, das halb geöffnet war. Sie blickte hinein und sah eine Halle vor sich, in einer Ecke brannte das Feuer, dessen Wiederschein sie hieher gezogen hatte. Die Halle war gewölbt und von berauchten Mauern umgeben, die jedoch noch einigen Schmuck von Marmorverkleidung an sich trugen.

An der Esse sah sie einen Mann, in welchem sie den Waffenschmied des Königs erkannte. Er starrte in die Flamme mit einem Gesichtsausdruck der 164 Angst, ja der Verzweiflung. Nie bisher hatte sie den starken Mann so gedrückt, so tief bekümmert gesehen. Hinter ihm stand der Diener mit der zerbrochenen Spange in seiner Hand, bereit, sie dem Waffenschmiede zu überlassen. Dieser aber schien gar nicht darauf zu achten.

Theodote entriß dem Diener die Spange und hieß ihn sich entfernen. Dann ging sie auf den Riesen zu und fragte ihn um den Grund seiner Bekümmernis. Dieser sah verwundert auf, er hatte gar nicht bemerkt, daß jemand in seine Werkstätte getreten war; jetzt aber erheiterte sich seine Miene und er sprach, indem er auf ein Kästchen deutete:

»Hier, aus den Nägeln, die du hierinnen siehst – es sollen diejenigen sein, mit denen der Heiland ans Kreuz geschlagen wurde – soll ich dem König eine Krone schmieden. Wenn es auch nicht dieselben sind, von denen gesagt wird, daß sie den allerheiligsten Leib des Herrn durchbohrt haben, so klebt doch gewiß Blut daran; denn den Pilgern, welche sie aus Jerusalem gebracht und in der Kirche des Erzengels beisetzen wollten, wurden sie mit Gewalt entrissen und die Verteidiger wurden erschlagen. Ich wollte den Befehl des Königs vollstrecken; aber 165 Hermelinde, die Königin, kam, warf sich auf die Kniee und küßte die Nägel. Mir verbot sie bei allem, was mir heilig, bei der Ruhe meiner Eltern im Grab und bei meiner ewigen Seligkeit, sie nicht zu weltlichem Zwecke zu entweihen.

›Wehe der Hand,‹ rief sie aus, ›die solch herzdurchschauernde Reliquien ins Feuer hält, mit dem Hammer diese Nägel schlägt, die das heiligste Blut getrunken!‹

Ich ehrte ihre Worte und beugte mich vor dem Verbot. Aber nun fragt seit Wochen der König, ob ich mein Werk noch nicht vollendet habe. Gestern sprach er zornig:

›Wenn du meinem Willen binnen drei Tagen nicht willfahrt hast, so kostet es deinen Kopf; der Ungehorsame, der sich dem Willen des Königs widersetzt oder ihn umgeht, verdient den Tod, so lautet das Gesetz der Longobarden!‹

Nun soll ich gehorchen und kann doch nicht. Eben hatte ich die Nägel, sie ins Feuer zu halten und umzuschmieden bereit, da fiel mir die Drohung Hermelindens ein; ich bin alt und werde bald vom Leben scheiden, soll ich meine Seligkeit verwirken? Meine Kraft ist dahin, mein Mut ist gebrochen, der König komme und lasse mich hinrichten, ich habe den Tod verdient, denn was er heischt von mir, ich kann es nicht!«

166 »Ich will es für dich,« rief Theodote, von einem dämonischen Trotz erfüllt, »ich will es thun!«

Sie ergriff das eiserne Kästchen mit den Reliquien und warf es mit abgewandtem Antlitz ins Feuer. Hochauf prasselte die Flamme, da warf sie auch noch die Hälften der zerbrochenen Spange dazu und sprach:

»So verbinde sich der Zauber; zum Angebetetsten mische sich das Denkmal verbrecherischer Glut! Trage denn diese Krone, König Kuninkpert, wenn du kannst, wenn, auf dein Haupt gesetzt, sie dich nicht in Wahnsinn stürzt!«

Der Alte fuhr entsetzt zurück, als er diese Worte vernahm. Wie er aber das Eisen und Gold sich in der Glut verschmelzen sah, kehrte ihm der Mut zurück: das Beispiel Theodotens hatte auch ihn mit einer wilden Lust gepackt. Er wandte sich, um die Zange zu fassen und die Masse herauszunehmen und zu runden. Wie er sich nach der Römerin umsah, war diese verschwunden.

»Gott!« rief er aus, »war es wirklich Theodote, die eben vor mir stand, oder hat die Hölle ein Spukbild heraufgeschickt, meine Seele zu verderben? Aber da ist schon die Krone, formlose Masse noch, wie das Chaos, dem die Welt entstieg – und, o 167 Wunder, unversehrt sind die Nägel geblieben, das Feuer hat sie nicht zerschmolzen! Ich will den Reif nun bilden, mit edlen Steinen besetzen. Heil dir, König Kuninkpert!«


IV.

Einige Tage waren seither vergangen, die Huldigungen, welche Kuninkpert der reizenden Theodote bei jeder Gelegenheit darbrachte, waren so häufig und auffallend geworden, daß allgemein davon gesprochen wurde. Vielen brachte dies Bestürzung und Trauer, namentlich allen, die um die Königin waren und sie liebten; viele dagegen freuten sich, indem sie Veränderungen und damit Vorteile für sich erhofften, wie das an Höfen stets zu geschehen pflegt.

Zwei Brüder, Aldon und Grausor, Bürger von Brescia, gehörten zu diesen und besprachen in ihrem Sinn auf dem Platze vor dem Palaste die große Neuigkeit.

»Diese Sache,« nahm der eine das Wort, »wird nicht mehr rückgängig werden, sondern anwachsen und zum Verderben des Kuninkpert gereichen.«

»So glaub' ich auch, und es wird dahin kommen, daß die Longobarden ihren König absetzen und den 168 Alahis erwählen. Alahis hat bereits den Gehorsam aufgekündigt und ein Heer an sich herangezogen; wenn er es nicht entläßt, so wird ihn Kuninkpert als einen Empörer erklären, und es kommt zum Kriege. Daß Alahis Sieger bleiben wird, ist vorauszusehen; die meisten Longobarden werden, da sie ihre Königin lieben, von Kuninkpert abfallen.«

»Und was sagt die Königin selbst dazu?« flüsterte Grausor, »weiß sie es?«

»Man sagt,« entgegnete Aldon dem Bruder, »sie habe keine Gewißheit über die Untreue ihres Gatten: aber sie ahne es, nur verberge sie noch ihren Schmerz und empfange wie sonst die Dienerin mit Huld.«

»Siehst du,« stieß nun Grausor den Bruder an, »siehst du, da kommt der schlaue Diakon Senno – wahrhaftig, er lenkt seine Schritte nach dem Palast. Der wird sich nicht begnügen, mit frommen Worten vermitteln zu wollen; der schürt die Zwietracht zu hellen Flammen an, dafür kenn' ich ihn. Wie rasch er geht, wie stolz er den Nacken hebt!«

»Und Kuninkpert?« fragte Aldon weiter.

»Lacht und trinkt und sucht auf jede mögliche 169 Weise die Liebe des schönen Mädchens zu gewinnen, das ihn flieht und wahrscheinlich auch verabscheut, allein er wird ihren Widerstand noch besiegen – Königin der Langobarden zu werden, ist eine große Verlockung.«

Aldon schlug die Hände zusammen.

»Unmöglich! Kuninkpert kann niemals die Römerin zur Gattin nehmen! Sein Volk würde ihn sogleich entthronen, und sie würde des Todes schuldig gesprochen werden. Doch laß uns nicht weiter über diese Sache reden; ich habe gestern einem der Edlen unter den Langobarden eine hohe Summe geliehen, und muß dich bitten, mir für einige Zeit auszuhelfen. Kannst du, willst du?«

»Recht gerne,« sprach Grausor, »du sollst haben, so viel du brauchst – was hast du als Pfand von ihm erhalten?«

»Ein großes Grundstück vor der Stadt, das ihm der König geschenkt hat als Lohn für seine Tapferkeit, die er im letzten Kriege bewiesen.«

»Du hast gut gethan,« entgegnete der ältere, »wir müssen suchen, das Land wieder in unsere Hände zu bekommen; Grund und Boden, das ist Anfang und Hauptsache.«

170 »Ja, ja,« lächelte der jüngere, »wir kommen allerdings zu schönen Grundstücken, und die kaiserlichen Notare verbriefen uns alle Rechte; wenn aber die Langobarden von einem Kriegszuge heimkehren, nehmen sie uns ab, so viel ihnen beliebt, und wenn Alahis König wird, so verteilt er nochmals das Land an seine Anhänger.«

»Nichtsdestoweniger,« versetzte Grausor, »laß uns auf diesem Wege suchen, das Verlorene wieder zu gewinnen, endlich wird auch der Sieger Recht und Gesetze anerkennen müssen, und gerade das römische Recht, das einem Könige so viel einräumt, das ihn zu einer irdischen, der göttlichen nahen Majestät erhebt, wird diesen Barbarenfürsten einleuchten, und so werden sie nicht zögern, mit dem ersten Paragraphen auch die anderen anzunehmen und auf unsere Rechtsbriefe ihren Schwertknauf zu drücken. Einen ehren und fürchten sie doch – den gekreuzigten Sohn Gottes, den Herrn der Welt!«

   

Während dieses Gespräches der beiden Brescianer stand Senno vor Hermelinde. Sie fragte nach der Römerin. Der Diakon schwieg, als wäre er in Verlegenheit.

»Was ist mit Theodote vorgegangen? Ich ver 171misse sie seit zwei Tagen,« fuhr die Königin fort, und als ihr wieder keine Antwort wurde, konnte sie sich nicht mehr zurückhalten, sie preßte das Gesicht in ihre Hände und benetzte sie mit Thränen. »Es ist also wahr, ja, es ist wahr, Senno, was um mich her geflüstert wird, was Blicke und Mienen sagen – auch sie, auch sie ist mir untreu geworden!«

»Nein, teuerste Herrin, Theodote trifft keine Schuld, sie ist dir ergeben nach wie vor, und nichts konnte sie vom Pfad eines tugendhaften Wandels abbringen. Aber es ist hohe Zeit, sie zu entfernen, und sie selber wünscht es, denn Kuninkpert verfolgt sie; er hat nicht gelernt, seine Leidenschaft zu bezähmen, und will es auch nicht.«

»Und deine Worte, die eines Verkünders der göttlichen Lehre, vermochten nichts über ihn?« drang Hermelinde in den Priester.

»Auch meine Worte, auch die Vorstellungen der ewigen Strafe, die seiner warte, vermochten nicht, ihn zu erschüttern. ›Die Kirche,‹ entgegnete er mir, ›wird doch Mittel haben, das Heil wieder zu gewinnen, die Gottheit zu versöhnen? Nicht? Nun, dann bedarf ich ihrer und deiner überhaupt nicht 172 – aber Drohungen haben keine Schrecken für mich: wisse, daß ich von euren Lehren nur das glaube, was mir gefällt.‹ Das war seine gottlose Antwort.«

Hermelinde seufzte.

»Nun, was werden wir dann mit ihrer Entfernung ausrichten? – meinst du, er werde nicht Nachforschungen anstellen, und meinst du, es gebe nicht genug solche, die ihm willig und behilflich sein werden, das Mädchen aufzufinden?«

In diesem Augenblicke trat ein Diener des Königs ins Gemach und meldete, der Herr habe für die nächsten Tage eine große Jagd in den benachbarten Waldungen vor, und die Königin sei gebeten, daran teilzunehmen.

»Ich werde dem Wunsche meines Gemahls willfahren, sag ihm dies!« sprach Hermelinde und wandte sich, nachdem der Diener fort war, an Senno: »Rufe mir Theodote, verkünde ihr, daß ich keinen Groll gegen sie hege, sie möge unerschrocken kommen, und du selbst finde dich nochmals bei mir ein, ehe wir die Jagdfahrt antreten. Ich werde dir Mitteilung machen von einem Vorhaben, zu dessen Ausführung ich deiner Hilfe bedarf.«

Senno ging, und nach wenig Minuten trat 173 Theodote ein. Als sie im Antlitz ihrer Herrin die Spuren der Thränen sah, stürzte sie zu deren Füßen und bat, die Königin möge ihr verzeihen.

»O mein gutes Kind,« erwiderte diese, »ich weiß von einem, der nicht lügt, daß du unschuldig bist, ich zürne dir nicht.«

Dabei umarmte sie ihre Vertraute, und nachdem beide unter Thränen und Liebkosungen sich ihrer gegenseitigen Treue versichert hatten, nahm die Königin das Wort und sprach:

»Ich fühle mich zu stolz, noch länger die Rechte einer Gemahlin da in Anspruch zu nehmen, wo ich nicht mehr die erste in der Liebe meines Gatten bin. Ich werde ihm entsagen, ich gehe.«

»Wie,« rief Theodote erschrocken aus, »du wolltest uns verlassen?! Ich muß fort, ich, nicht du, o Herrin! Du wirst die Liebe Kuninkperts wieder gewinnen, wenn ich Unglückselige entfernt bin; er wird, er muß zu dir zurückkehren,«

Hermelinde gab ihr zur Antwort:

»Nein, ich will diese Rückkehr nicht abwarten; Kuninkpert ließ mich fühlen, daß er mich nicht mehr liebe – das ist genug, um auch meine Liebe zu ihm auszulöschen, die – ich vertraue es nur dir – niemals eine wahre gewesen ist.«

174 »O Gott,« rief Theodote, »und an all diesem Unglück bin ich schuld!«

»Nein, ich selbst –«

»Du selbst? Wie kann das möglich sein, du, die edelste der Frauen, du könntest schuld sein an der Untreue Kuninkperts? O, sprich, damit ich dir beweisen kann, du irrest!«

»Dringe nicht in mich, frage nicht weiter, wie beschämt fühlte ich mich vor dir, ich Thörin, wie müßte ich erröten!«

Theodote bedeckte die Hand der Longobardenfürstin mit Küssen, und diese, den Ton ihrer Stimme ändernd, fuhr in strengerer Weise fort:

»Es ist nicht dies allein, was mich drängt, eine Trennung von Kuninkpert zu wünschen, ja herbeizuführen; wisse, daß mir vor all diesen Longobarden ein heimliches Grauen im Herzen wohnt, daß ich sie fürchte und verabscheue, daß ich in dem Bunde mit ihrem König ein Verhängnis sehe, das früher oder später auch mich ins Verderben ziehen muß.

Erfahre: eines Abends war es, Senno hatte mich eingeladen, auf den Turm des Boethius zu kommen, er wollte mir den Wandel der Gestirne und die Bilder und Zeichen, die sie am Himmel darstellen, 175 erklären, und schon hatten wir bis gegen Mitternacht auf der Zinne verweilt, da vernahm ich beim Hinabsteigen einen Gesang zur Harfe, der mich fesselte und ihm zu lauschen zwang, so mächtig war die Stimme, so außerordentlich der Inhalt.

Ich hörte von Alboin und Rosamunde, der Tochter des Gepidenfürsten, hörte, wie er sie zwang, aus dem Totenschädel ihres Vaters ihm zuzutrinken, wie sie dann mit Hilfe ihrer Dienstleute den ruchlosen Mann erschlug; ich hörte die Verwünschungen und Klagen des unterlegenen Gepidenstammes, und mich faßte ein tiefer Schauer vor den blutigen Schicksalen des Volkes, dessen Königin ich bin. Nicht ausbleiben, sagte ich mir, wird der Rachetag, der dieses greuelvolle Geschlecht heimsuchen wird.

Ach! mich erfaßte mit einemmale das Heimweh nach meinem elterlichen Königshause, welches rein von Unterdrückung und Verwandtenmord emporgeblüht war und friedlich herrschte. Schon damals kam mir der Gedanke, das Lager nicht mehr mit ihm zu teilen, sondern heimzukehren. Senno, dem ich vertraute, tadelte meine Gedanken, die er sündige hieß, und befahl mir, wie ich es am Altare geschworen, auszuharren mit dem Gatten, bis der Tod uns scheide.

Nun 176 aber hat er selbst sich von mir abtrünnig losgesagt, und keine Pflicht bindet mich mehr an den ruchlosen Trunkenbold. Möge er zechen nächtelang mit den Genossen seiner Tische! an allen sehe ich nur den Totenschädel des erschlagenen Gepiden, und mit drohendem Finger steht Rosamunde vor mir.«

Theodote sprang entsetzt empor. Sie betrachtete die Königin voll Mitleid. Etwas in ihr regte sich für Kuninkpert trotz alledem in diesem Augenblick. Konnte er etwas für die Verbrechen seiner Vorgänger, für die rohen Sitten seines Volkes? Sie sagte sich Nein, und das stimmte sie nachsichtiger gegen ihn, der auch sonst nichts verschuldet hatte, als, daß er sie liebte. Und diese stolze Angelsächsin, die gar nicht einmal sehr schön war, wollte ihn darum verlassen! O, er schien ihr nicht mehr so strafbar! Wie sie aber weiter dachte, entsetzte sie sich über sich selbst.

Ehe sie von Hermelinde für diese Nacht Abschied nahm, wurde sie von ihr gefragt, ob sie an dem Jagdzuge teilnehmen wolle.

»Schütze du mich, Herrin, hüte du mich vor jeder fernern Begegnung mit Kuninkpert, stelle dich wie ein Cherub zwischen ihn und mich, und – o 177 meine Königin, ändere dein Vorhaben und schicke mich fort, gestatte mir, wieder zu meinem Bruder heimzukehren, der allein auf dem einzigen uns noch gebliebenen Landgute weilt und mich gewiß sehr oft zurückersehnt!«

Hermelinde lächelte.

»Bleibe hier, bis wir alles Weitere erwogen und in Ordnung gebracht haben.«

Theodote ging. Auf dem Wege nach ihrem Schlafgemach richtete sich ihr Blick unwillkürlich nach dem Turme, wo sie tags zuvor das Feuer der Esse gesehen hatte. Sie gedachte der Spange, des Geschenkes von Kuninkpert, das sie in die Flamme geworfen und damit sich selbst gewissermaßen einen Anteil an der longobardischen Krone gegeben hatte, und wenn nun Senno käme und sagte ihr, sie müsse Königin werden, das sei es, was er, was die Kirche, was Rom, was ihr Vaterland von ihr verlange! Sie, die Gattin Kuninkperts! Sie erschrak.

»Jene Nordländerin hat ihn nie geliebt, ihr stolzes, kaltes Herz kennt keine Liebe,« flüsterte der Versucher ihr zu. »Aber ich hasse ihn,« antwortete vernehmlich ihr besonnenes Wesen, ihr eigenes, ungetrübtes Selbst. Sie glaubte, des Königs Befehle 178 aus dem Hofraume herauf zu vernehmen, nannte er nicht ihren Namen? Wie, wenn einst der Mann, aus dessen Munde diese Befehle hervorgingen, ihren Wünschen gehorchte, ihrem Willen sich nachgiebig zeigte, und sie für ihr Volk, für die besiegten, geknechteten Römer eine neue Ära der Macht heraufführen könnte?

* *
*

Mitten im Walde, welchen ein Arm des Flusses, an dem Pavia liegt, durchströmte, und an seinem Ufer befand sich das Jagdschloß Kuninkperts, ein massives Bauwerk, aus unbehauenen Steinen und Baumstämmen roh zusammengefügt. Um Mittag waren der König und seine Gattin mit ihrem Gefolge daselbst angelangt; die seit lang unbewohnt gebliebenen Hallen erhellten und belebten sich.

Man nahm das Mahl ein, Kuninkpert selbst zerlegte und verteilte das Wild und rief seine Jagdgenossen mit Namen herbei, um ihnen ihre Stücke zu geben, bald wurden auch die Becher gefüllt und dem Weine ward mächtig zugesprochen. Wenn Kuninkpert einmal anfing, seinen Vasallen zuzutrinken, und diese hierauf erwiderten, so wurde das Gelage nicht so bald aufgehoben. So geschah es auch diesmal; alle 179 vergaßen die Fortsetzung der Jagd und sprachen nur dem Becher zu.

Der Abend dämmerte schon, als Kuninkpert das Zeichen zum Aufbruch gab.

»Es wird eine mondhelle Nacht,« rief er aus, »uns allen Heil!«

Hermelinde hatte sich bereits in ein für sie bereites Schlafgemach zurückgezogen, er rief auch ihr ein Heil und gute Nacht zu. Es sollte zum letztenmal sein. Ein Bote von Senno hatte ihr Nachricht gebracht, der Diakon werde sie am Ausgange des Waldes erwarten, der Überbringer des Briefes werde ihr Führer sein.

»Vor Abend des folgenden Tages erwarte meine Zurückkunft nicht!« hatte der Gatte ihr noch zugerufen, bis dahin aber mußte sie bereits das Kloster erreicht haben, in das sie sich zurückzuziehen gesonnen war.

Kaum waren die letzten Hörnerklänge vom Walde her verhallt, als sie ihre Dienerin berief, sie umzukleiden. In kurzer Zeit war die Königin der Longobarden in das von dem Boten mitgebrachte Kleid einer Klosterschwester gehüllt und trat die Reise in dessen und ihrer Dienerin Begleitung an.

Es brach eben der Morgen herauf, als sie am Saume des Waldes anlangten; hier wurde 180 sie jedoch nicht, wie verabredet war, von Senno, sondern von einem ihr völlig unbekannten Mönche begrüßt. Nachrichten von schwerwiegender Bedeutung, entschuldigte dieser, hätten Senno veranlaßt, fürs erste noch in Pavia zurückzubleiben, dann aber müsse er zu seinen Glaubensgenossen und Brüdern im Norden des Reiches, um ihnen Verhaltungsmaßregeln zu geben, da Alahis bereits mit einem Heere gegen Kuninkpert aufgebrochen sei und seine Verfolgung besonders gegen die Diener der Kirche richte, die er als Urheber der ungerechten Ansprüche Kuninkperts halte. Ihm dürfte sie, fügte der Mönch hinzu, unbedingt vertrauen, und des Weges sei er kundiger als Senno selbst.

Hermelinde bebte bei dem Gedanken, wie nahe der König schon herangerückt sei, sie gedachte nochmals der Greuel und Gewaltthaten, von denen sie gehört hatte, und bereitete um so williger ihr Gemüt für die Entsagung und Abgeschiedenheit vor, zu der sie sich entschlossen.

Man hatte ein enges Thal erreicht; der Strom, der hier, von den Bergwassern getränkt, sonst mächtig einherflutete, war durch einen Bergsturz verschüttet worden, selbst der Weg war zuweilen durch Fels 181trümmer gesperrt. Öde und unendlich traurig schien diese Landschaft, kein Baum gab Schatten, nur hie und da streckte sich ein halb vertrockneter Brombeerstrauch oder eine Distel aus dem Gerölle vor.

Endlich, als die Nachmittagssonne am heißesten brannte, sahen sie das Kloster; es lag am Ausgange des Thales, an Felsen gelehnt im Schatten hoher, mächtiger Nußbäume. Beim Anblick des Kreuzes, das vom Giebel herniederglänzte, stieg Hermelinde vom Pferd und sank auf ihre Kniee. Sie betete lang, dann erhob sie sich und hob selbst den Klopfer an der heiligen Pforte.

* *
*

Kuninkpert hatte bei seinem Jagdzuge sich bald von den Gefährten getrennt und, nur von seinem Waffenträger begleitet, diesem den Auftrag gegeben, den Ort, wo der König sich befand, durch Hornrufe zu verkünden, dabei aber so rasch und immerfort den Ort zu wechseln, daß es unmöglich sein würde, ihn zu treffen. Dies sollte der Knabe auch dann noch thun, nachdem ihn der König verlassen, damit man über seine Abwesenheit getäuscht, ihn nicht vor morgen vermisse.

Kaum war diese Anordnung ins reine gebracht, so lenkte der König sein Roß auf 182 den Weg nach Pavia und spornte das feurige Tier zum schnellsten Ritte. Er hoffte, noch vor Tag die Hauptstadt zu erreichen, Theodote im Schlosse und seinen Werbungen zugänglich zu finden. Da war dann niemand mehr, der ihr Scheu einflößte, niemand, der ihm in den Weg trat.

Wie sehr sollte er enttäuscht werden!

Vergeblich suchte er die Ersehnte in allen Gemächern des Palastes, sie war verschwunden. Niemand wollte sie seit mehreren Stunden, seit dem Abzuge zur Jagd, gesehen haben; die Dienerinnen sagten aus, sie glaubten alle, daß Theodote mit der Königin sei.

»Wäre es möglich,« dachte Kuninkpert, »daß sie heimlich uns nachgekommen wäre?«

Aber auch im Zuge wollte niemand sie gesehen haben. Endlich verriet ihm ein Waffenknecht ihren Aufenthalt.

»Sie ist nach der Kirche gegangen und seither nicht mehr zurückgekehrt.«

»Nach welcher Kirche?«

»Nach dem Dom.«

»Und allein?«

»Allein; aber an der Thüre des Heiligtums ward sie von dem Diakon erwartet und aufgenommen.«

183 »Von Senno?«

»Ja, von ihm.«

»Ah,« rief Kuninkpert aus, »jetzt erkenne ich alles!«

Er ließ die Kirche sogleich von longobardischen Kriegern umstellen und schlug mit dem Schwertknauf an das Thor. Es wurde alsbald geöffnet, der Tag war indes angebrochen – Senno trat unter die Kirchenthür, blieb jedoch auf der Schwelle in einer Haltung stehen, als wolle er den Eintritt verwehren.

»Senno,« rief der König, »weswegen hältst du Leute meines Hofes gefangen?«

»Ich weiß von keinem.«

»Aber Theodote!«

»Sie!? Suchst du sie – so wisse, auf ihre eigene demütige Bitte öffnete sich hier dies Haus des Herrn als ihr Asyl!«

»Asyl – wer verfolgt sie?«

»Wer? Du, du selbst, sündiger, frevelhafter Mann, und nun wähnst du, wir werden sie dir ausliefern? Niemals!«

»Man wird sie holen, aus ihrem Munde will ich hören, ob sie freiwillig hieher geflüchtet ist oder gezwungen wurde!«

184 »Niemand wird wagen, diese Schwelle zu überschreiten!«

»Ich werde es wagen, ich, der König!« schrie Kuninkpert.

»Das wirst du nicht,« entgegnete ruhig Senno. »Alahis rückt heran; willst du der Krone verlustig gehen? Erdrücken wird sie dich Schuldigen, glühend werden die Nägel in deine Sinne sich bohren – und wenn du die Hand erhöbest, die Last von dir zu nehmen, wird dein Arm erlahmen, deine Hand verdorren!«

Kuninkpert, von diesen Worten erschüttert, erblaßte. Die durchschwelgte Nacht, sein ihn anklagendes Gewissen, die Beschämung, von dem Diakon auf Schleichwegen ertappt zu sein, all das vereinte sich, ihn wie mit Fieberfrost zu durchschauern.

»Den Unmut deines Volkes hast du bereits erregt,« fuhr Senno fort; »wage einen Schritt gegen uns, gegen die Kirche, und du bist verloren!«

Da wankte Kuninkpert; daß das letztere wahr sei, wußte er nur zu gut, er fühlte die Unsicherheit seiner Lage und sah in dem, dem er so trotzig begegnete, nunmehr seine festeste Stütze. Er beugte sich unwillkürlich und streckte dem Mönche die Hand entgegen.

185 Dieser, voll der heimlichen Freude, den Feind seines Volkes so gedemütigt vor sich zu sehen, bot ihm mit einem gütigen Lächeln, das indes den Triumph seines Herzens nicht verbergen konnte, auch seine Hand, und flüsterte ihm zu:

»Du sollst Theodote sehen!«

Er führte ihn nun in die Kirche, die Pforte derselben schloß sich hinter ihnen. Hier blieb der Sieger vor dem Unterlegenen stehen, und nachdem er ihm lange mit strengen Blicken ins Antlitz geschaut, begann er:

»Warum fragtest du nicht nach Hermelinde, deiner Gattin?«

Kuninkpert sah zu Boden, seine Faust umfaßte krampfhaft den Griff seines Schwertes.

»Warum ich nicht frage, willst du wissen? Weil ich eben von ihr herkomme. Sie weilt auf unserem Jagdschlosse und will die Nacht nicht in der Stadt zubringen.«

»Und überhaupt keine mehr,« setzte Senno hinzu. »Sie ist nicht mehr dort, wo du sie wähnst, sondern sie hat die Welt verlassen, sich von ihr und dir getrennt und wird nie mehr die Schwelle des Klosters überschreiten, das sie erwählt hat, um das nicht sehen zu müssen, was sie nicht ändern kann und nicht ertragen könnte, wenn sie es sähe.«

Kunink 186pert hielt es für nötig, eine schmerzliche Gebärde zu zeigen; oder war es keine Maske, war es wirkliche Trauer, was sich in seinen Gesichtszügen aussprach?

Der Diakon ließ ihm keine Zeit, er fuhr in seiner Rede fort:

»Deiner Verbindung mit Theodote steht von ihrer Seite nichts im Wege.«

Kuninkpert errötete.

»Wohlan denn,« rief er aus, seiner Regung nicht mehr mächtig, »da du so gut von allem unterrichtet bist, so wirst du auch wissen, daß ich Theodote liebe und nur sie liebe! Ich befehle dir, noch in dieser Stunde mich mit ihr zu trauen, nachdem die andere selbst sich von mir getrennt hat!«

Lächelnd sah der Mönch auf den nieder, der so zu ihm sprach, ein Lächeln der Verachtung und geheimen Triumphes glitt über seine Lippen.

»Wenn die römische Jungfrau einwilligt, ihre Hand dir zu reichen, wenn das Schicksal der unglücklichen Königin sie nicht vor dem Ehebündnis mit dir zurückschreckt, dann bin ich erbötig, die Trauung zu vollziehen.«

»Sie wird nicht zögern, die Vermählung mit dem Könige der Longobarden einzugehen,« erwiderte barsch und hochmütig Kuninkpert.

187 »So folge mir denn, wir wollen sie hören!«

Damit führte er ihn nach einem neben der Krypte gelegenen Raum. Es war ein mit Porphyrsäulen umgebenes Gemach, ein Vorhang trennte den innern, etwas erhöhten Teil von dem äußern, welcher eigentlich nur ein großes Portal bildete. Hier stand eine doppelte Reihe von Säulen. Der Diakon stieg die Stufen empor und zog den Vorhang auseinander.

Da erblickte man Theodote vor einem Buch, in dem sie so fleißig las, daß sie die Eintretenden kaum bemerkte. Das Licht einer Ampel, die an goldener Kette von der Wölbung herabhing, umfloß sie mit mysteriösem Glanze.

Laut rief Senno ihren Namen, sie blickte auf, erhob sich und kam ihm entgegen. Weiße und violettfarbene Schleier umhüllten ihre Gestalt und ihr Gesicht. Senno verkündete ihr den Wunsch des Königs. Sie blieb unbeweglich, wie eine Statue reglos, als hätte sie nichts gehört, oder als wäre das Gehörte nicht bis an ihre Seele gedrungen.

Senno näherte sich ihr und flüsterte ihr die Worte zu:

»Jetzt ist die Stunde gekommen, dich an dein Versprechen zu mahnen; beweise deine Liebe zu uns und zu Rom, indem du mir folgst, mir, der ich 188 allein die günstigen Folgen, die dieser Schritt uns bringen wird, voraussehen kann.«

Theodote schwieg, nur dies bemerkte der Priester, daß ihre Hand unter den Schleiern sich regte, als ob sie eine ablehnende Bewegung mache. Wieder ergriff er das Wort und lauter, so daß es auch Kuninkpert vernehmen konnte.

»Wenn du nicht meinen Bitten und nicht den seinen dich fügen willst, so vernimm, daß das, was wir von dir verlangen, auch der Wille Hermelindens ist. Sie ist von dem königlichen Stuhle herabgestiegen in die Zelle des Klosters und läßt dir sagen, daß sie dich segne dafür, wenn du ihre Würde und das zeitliche Herrscherkleid annehmest und in ihrem Sinne walten wollest.«

Nun neigte Theodote das Haupt und trat auf den König zu.

»Ich gehorche,« sprach sie kaum hörbar.

Als er sich hierauf ihr näherte, um ihre Hand zu fassen, stieg die Röte des verletzten Gefühls in ihre Wangen – rasch aber stellte sich der Diakon zwischen beide, und ohne daß die Schranke, die das Gemach von der Vorhalle trennte, von einem überschritten wurde, vollzog er den Ritus.

Schon streckte Kuninkpert den Arm aus, als 189 wollte er die Schranke öffnen und sich der Angetrauten bemächtigen, aber sie wies ihn streng zurück und beschwor ihn, sie nicht zu berühren.

»Nun ist,« sprach sie, »die Sitte gesühnt und die Ehre – aber nicht eher werde ich die Schwelle dieser Kirche überschreiten, nicht eher soll man mich an deiner Seite sehen, König Kuninkpert, als bis du siegreich über Alahis zurückkehrst und das Haupt des Empörers und Feindes der Christen vor meine Füße legst.«

Und gleich als wären ihre Worte von einem Übereinstimmen des Volkes begleitet, erscholl von außen der Ruf nach dem Könige. Mit einem Blick auf Theodote, in dem ebensoviel Schmerz als Zorn lag, folgte Kuninkpert dem Ruf, der Vorhang zog sich zusammen, die Verlobte war seinen Blicken entschwunden.

Mit Senno trat er aus der Kirche. Seine Krieger empfingen ihn nicht wie sonst mit hellem Zuruf; schweigend, ja grollend sahen sie vor sich nieder, und ein fremder Longobarde, einer der Mannen des Alahis, trat aus ihrer Mitte hervor und kündigte ohne viel Ehrfurchtsbezeugung an, daß er von dem Herzoge gesandt sei, um dessen Beschwerden vorzubringen.

190 »Rede!« unterbrach ihn Kuninkpert; »ich habe noch jedem meines Volkes Gehör geliehen und habe nicht im Sinne, mit Alahis, meinem Vasallen, eine Ausnahme zu machen!«

Darauf erklärte der Abgesandte, daß er nicht Vollmacht habe, diese Beschwerden einzeln auseinanderzusetzen, sondern es möge sich Kuninkpert auf das große Feld, wo von jeher die Longobarden ihren Gerichtstag gehalten, am südöstlichen Ufer des Comersees, begeben und dort vor ihm und allen Longobarden sich gegen die Anklagen rechtfertigen, die sein eigenes Volk gegen ihn erhoben habe, als dessen Vertreter sich Alahis betrachte.

»Gut,« erwiderte Kuninkpert, knirschend vor Zorn, »ich werde kommen, aber mit allen meinen Getreuen und wohlgerüstet zum Kampf, und dort werde ich auch die Strafe an einem Meineidigen und Empörer, als den ich den Herzog Alahis erkläre, die gebührende Strafe vollstrecken!«

Diejenigen Longobarden, welche dem Könige treu geblieben waren, atmeten auf, als sie diese entschiedenen Worte hörten, und dankten ihm mit lautem Jubel, indem sie zugleich ihre Schwerter 191 gegen die Schilde schlugen, was trefflich ihrer Kampflust und der gegebenen Kriegserklärung entsprach.


V.

In der brennenden Hitze eines Sommermittags eilten mehrere Männer in geistlicher Tracht die staubige Straße vom Gebirge herab nach einem großen Gehöfte, das am Eingang eines weiten, mit Ölbäumen und Pappeln bepflanzten Thales lag. Sie waren froh, als sie die weißen Umfassungsmauern der Meierei erblickten und in den innerhalb gelegenen Wohnhäusern, die ihren Blicken selbst verborgen waren, den Rauch aufsteigen sahen. Der Besitzer stand unter dem Thorbogen seines Anwesens und nahm die Ankömmlinge mit mehr Schrecken als Wohlgefallen wahr. Aus ihrer Eile, ihren ängstlich verstörten Mienen, ihrer nachlässigen Kleidung erriet er wohl, daß sie Flüchtlinge seien, und ahnte, was sie von ihm wollten, nämlich Pferde der kaiserlichen Post, um ihre wahrscheinlich sehr notwendige Reise mit möglichster Beschleunigung fortsetzen zu können.

Er hatte sich nicht geirrt. Die Priester wiesen ein Schreiben ihres Bischofs vor, welches sie ermächtigte, Fahrgelegenheit von den Be 192amten der Post zu verlangen. Mit finsterer Miene durchlas er das Schreiben: es war nicht leicht, ihrem Ansinnen zu willfahren.

Erst vor wenigen Tagen hatte eine Abteilung des longobardischen Heeres Einkehr bei ihm gehalten und für den Kriegsdienst des Königs Kuninkpert die stärksten und schönsten seiner Tiere ausgehoben, allerdings gegen eine Entschädigung, die aber in keinem Vergleich zu dem Wert der entnommenen edlen Pferde stand. Mit Thränen in den Augen hatte er sie fortführen sehen. Und nun sollte er für die geistlichen Herren und ihre Weiterbeförderung Sorge tragen und zwar unter Umständen, die es in Frage stellten, ob er je sein Gespann wieder sehen würde.

Diese Männer waren auf der Flucht vor Alahis, der ihnen den Tod geschworen hatte. Er wütete gegen die Diener der christlichen Kirche, er betrachtete sie als seine größten Feinde, als die Anhänger und Aufhetzer Kuninkperts, den sie ganz in ihrer Gewalt hatten, den sie veranlaßten, die Unabhängigkeit des longobardischen Volkes zu vernichten. Als ersten Vorkämpfer der klerikalen Partei hatte ja derselbe kürzlich den Diakon Senno abgeschickt, um den freien 193 Herzog unter Botmäßigkeit und Hofdienstbarkeit des Königs zu bringen. Überdies hatte Alahis auch in Erfahrung gebracht, daß Kuninkpert seiner Gemahlin Hermelinde die Treue gebrochen und damit umgehe, sich mit einer Römerin, der schönen Theodote, zu verbinden. Auch diesen Abfall betrachtete Alahis als ein durch den Einfluß der Priester und zu ihrem Vorteil ausgeführtes Schelmenstück.

Er kam nun, um Kuninkpert vom Thron zu stoßen und seine Anhänger zu vertilgen. Sie flohen vor ihm wie ein Rudel Hirsche vor dem verfolgenden Löwen.

Der römische Posthalter ging mit sich zu Rat, was er thun sollte; dem Befehle sich widersetzen, durfte er nicht und wollte es auch nicht – seine ihm noch übrig gebliebenen Pferde waren auf dem Felde, denn es war höchste Zeit, die Kornernte hereinzubringen, von welcher ebenfalls dem longobardischen Hof ein Zehntel abzuliefern war. Wenn das nicht genau und am bestimmten Tage geschah, trafen schwere Strafen die Säumigen oder Widerspenstigen. Die Longobarden machten wenig Umstände.

In dieser Not half sich der Ratlose damit, daß er seine Gäste hinzuhalten versuchte, indem er sie aufs beste 194 bewirtete. An Eiern, Hühnern, Fischen und Früchten aller Art fehlte es nicht. Die Freude an der reichlichen Mahlzeit, der lang entbehrte Genuß ließ die armen Flüchtlinge ihre Bedrängnis vergessen, und der gute Rhätierwein, der ihnen vorgesetzt wurde, machte sie nun vollends aller Sorgen ledig, das Gespräch floß munter und die gehabte Angst gab zu vielfachen Scherzen Anlaß.

Der Posthalter war indes aufs Feld hinausgeeilt, um seine Leute zur baldigen Heimkehr anzueifern, obwohl es ihm eigentlich lieber gewesen wäre sie noch lange bei der Arbeit zu lassen und das Einspannen der Pferde zu verzögern.

Auf einmal sah er sich den Diakon Senno raschen Schrittes entgegenkommen. Der streitbare Mann mußte von vorausgeeilten Flüchtlingen bereits alles erfahren haben.

»Gott sei gelobt,« rief er begeistert aus, »die Stunde ist jetzt da, den gottlosen Heiden die Stärke unserer irdischen Waffen entgegenzusetzen! Rüste sogleich dein Haus in Verteidigungszustand, Waffen werden wohl vorrätig sein: wir werden uns verteidigen bis auf den letzten Mann und uns eher unter den Trümmern deiner Villa begraben lassen, ehe denn wir uns dem schändlichen Alahis ergeben! 195 Komme nur sogleich und laß uns alles in Bereitschaft setzen! wie groß ist die Anzahl der Bekenner?«

»Kaum zwanzig sind ihrer, und ich wette, daß nicht in allen der hohe Todesmut lebt, wie in dir, gewaltiger Streiter Gottes,« erwiderte der Postbeamte, für den die Aussicht, daß die Schar der Gäste unter den Ruinen seines Hauses begraben werden sollte, wenig Erbauliches hatte. »Ich glaube, es wird das beste sein, ihnen zur Weiterreise zu verhelfen, anstatt Gott zu versuchen und das Blut der Heiligen zu vergießen.«

»Gut,« erwiderte der Diakon, »laß uns sehen, was zu thun ist.«

Senno war, nachdem er Kuninkpert und Theodote vermählt hatte, von Pavia aufgebrochen, um den Bruder der letztern in seiner Villa aufzusuchen und ihm das Geschehene mitzuteilen; zugleich wollte er auch dem Kriege, der nunmehr zwischen Alahis und dem Könige beginnen würde, nahe sein.

Nun war ihm gesagt worden, daß sich Flüchtlinge seines Standes in einer nahegelegenen Villa befänden, und so war er, dahin eilend, von seinem Weg abgelenkt worden. Sein anfänglicher Vorsatz jedoch, 196 sich mit seiner Schar von Klerikern dem Vordringen des Feindes entgegenzuwerfen, kühlte sich etwas ab, als er die Mahnung des Postmeisters, das Blut der Heiligen nicht nutzlos zu vergießen, in Erwägung zog.

»Gut denn,« sprach er, »mögen sie entkommen! denn es wäre ungerecht, wenn unseretwegen dein Besitztum von den Barbaren vernichtet würde. Aber du wirst alles aufbieten, um ihre Flucht so schleunig wie möglich ins Werk zu setzen und zu sichern.«

»Leider habe ich nicht für alle hinreichendes Fuhrwerk,« wandte sich der Posthalter wieder an Senno, »um sie den Händen des mordgierigen Teufels, des Alahis, rasch genug zu entziehen.«

»Dann bleibt nichts übrig, als daß die einen kämpfend die Flucht der anderen decken.«

Sie traten in das Haus.

Senno hieß den Posthalter vor der Thüre des Saales, in dem die Flüchtigen versammelt waren, warten; diejenigen, die herauskämen, möge er zu sich nehmen und baldigst für ihre weitere Flucht sorgen, die Zurückbleibenden solle er in die Kleider der Knechte stecken und mit diesen an der Einbringung der Ernte beschäftigen.

197 Nun betrat der Diakon den Saal; die Flüchtlinge waren noch fröhlich bei der Mahlzeit und wurden sehr betroffen, als Senno sie aufforderte, sich zum Kampfe gegen den herandringenden Alahis zu rüsten. Nur wenige zeigten sich dazu bereit. Diese schob er zur Thüre hinaus, indem er ihnen mit lauter Stimme zurief, sie würden die Waffen erhalten und möchten sich tapfer wehren. Draußen aber nahm sie der Posthalter in Empfang, teilte ihnen mit, daß sie sogleich mit ihm das Gefährte besteigen müßten, um den Verfolgern zu entrinnen.

Senno selbst kam als der letzte heraus und sagte ihnen, er habe sie, weil sie sich mutig zeigten, zu retten beschlossen, damit sie als tapfere Männer auch fürder der Kirche dienen könnten. Die anderen Mutlosen seien drin eingeschlossen, an ihrem Schicksal liege nichts. Vorerst müßten sie deshalb Knechtsdienste thun.

Er schloß sich ihnen nun an, die Wagen wurden bestiegen, und fort ging's in rascher Fahrt auf Pavia.

Den Zurückgebliebenen erging es indessen besser, als Senno vorausgesetzt hatte; Alahis zog, da er seine Wegrichtung geändert hatte, an dem Gehöfte vorüber und ließ die Bewohner desselben unbehelligt.

198 Als die Eingeschlossenen sich so von ihren Freunden verlassen sahen, erwachte der Mut christlicher Aufopferung in ihnen; sie knieten im Kreise nieder, stimmten Lobgesänge an und erwarteten ruhig den Tod. Der Verwalter des Hofes aber eilte mit seinen Leuten an die Heerstraße und bot Lebensmittel den vorüberziehenden Longobarden an.

Alahis hielt hierauf Musterung über seine Krieger. Außer den Heerhaufen zu Hunderten, die ihn mit Anschlagen der Streitäxte an ihre Schilde begrüßten, zog auch eine Schar von Frauen die alter Sitte gemäß den Gatten ins Feld und in die Schlacht folgten, an ihm vorüber. Hiebei wurde er unter den jüngeren der Weiber ein Mädchen gewahr, das ihm durch ein zarteres Wesen und seltene Anmut auffiel. Als er sich nach ihr erkundigte, sagte eine der longobardischen Frauen:

»Sie ist auf der Flucht vor deinem Feinde, dem König Kuninkpert, mit anderen zu uns gekommen; aber da sie erst seit kurzem bei uns ist und sehr betrübt erscheint, so haben wir noch nichts Näheres von ihr erfahren können. Wir glauben jedoch, sie gehört gleichfalls zum Überreste des vandalischen Stammes, der über jenen Bergen ein Thal 199 bewohnte, aus dem sie von Kuninkpert vertrieben wurde, weil sie sich weigerten, mit ihm gegen dich ins Feld zu rücken und die nun zu uns geflüchtet sind, wie du weißt.

Mit teilnahmsvollem Blicke betrachtete Alahis das Mädchen, das ihn jedoch nicht zu beachten schien, während es einem der Kinder von den Frauen, bei denen es aufgenommen war, in einer bei den Langobarden unbekannten Art die Locken schlichtete und aufband. Er war unschlüssig, ob er sie nicht selbst um ihre Herkunft und ihr Schicksal befragen sollte, denn alles an ihr schien ihm gleich anziehend, und schon wollte er sich ihr nähern, als die Dazwischenkunft Markulfs ihn davon abhielt. Markulf war sein Waffenträger, der ihm auch die Pferde zäumte und stets an seiner Seite ritt.

»Markulf,« rief er ihm zu, »hast du jemals von einem Stamme der Vandalen gehört, die in diesem Lande zwischen den Bergen zurückgeblieben sind?«

»Allerdings,« entgegnete Markulf, »ich hörte von einem solchen Überreste der Vandalen; sie sind zurückgeblieben, als das übrige Volk nach Gallien und Spanien hinüberzog. Man konnte die älteren Männer und Kranken nicht mitnehmen; bei diesen 200 blieben auch einige Frauen und solche Leute, die in treuer Freundschaft mit ihnen verbunden waren und sie nicht verlassen wollten. Sie siedelten sich in einem Thal an zwischen hier und dem larischen See, in einem fruchtbaren, aber durch die Kriege entvölkerten Landstrich. Sie fanden noch die Rebe und den Ölbaum, zwar verwildert, aber in Fülle auch Getreide vor. Sie bauten alles wieder neu an und erfreuten sich guter Ernten.

Dadurch, daß sie sich ganz abgeschlossen hielten, verweichlichten sie nach und nach, und es hieß von ihnen, sie seien alle dem Trinken so sehr ergeben, daß sie nichts zu vollbringen imstande wären, außer im Rausche; sie sind tapfer, aber nur, wenn sie unmäßig viele Becher geleert haben; sie sind auch beredt und weise, aber nur im Zustande der Trunkenheit. Sobald sie nüchtern geworden, erweisen sie sich träge, mutlos und zu allem edlern Thun unfähig. Sie haben auch sonst sonderbare Einrichtungen: sie wählen alle drei Jahre einen König, und zwar abwechselnd einmal einen Jüngling, dann einen Greis, dann einen Mann der mittleren Jahre.«

»Seltsam,« äußerte Alahis, »aber sie thun vielleicht gut daran: was die Jünglinge zu kühn be 201ginnen, werden die Greise mit Mäßigung beschränken und die Männer vollends kräftig ausführen. Dieses Volk hat nun, so erzählen die Frauen, Kuninkpert, weil es unabhängig bleiben wollte, besiegt und aus seinen Wohnsitzen verdrängt.«

»Wenn er sie zu einer Zeit überfiel, wo sie nüchtern waren und er betrunken, mag es ihm wohl gelungen sein,« erwiderte Markulf. »Denn auch Kuninkpert faßt, wenn er berauscht ist, große Entschlüsse; so hat er jüngst seine Gattin Hermelinde verstoßen und eine Römerin, ich weiß nicht, zur Ehe genommen oder sonst sich beigelegt.«

»Wie,« rief Alahis aus, »also hat er es wirklich gewagt? Und sein Volk hat sich nicht empört; es zieht sogar mit ihm gegen uns in den Krieg!? Aber wir wissen nun doch, von welcher Seite er gegen uns heranrückt und daß er uns in die Flanke zu fallen gesonnen ist. Wir werden nun auch unsere Heerfahrt wenden und ihm begegnen. Eine Römerin also,« fuhr er nach einigem Sinnen fort, »eine Römerin hat er anstatt seiner Gattin zu sich genommen. Und war die thöricht genug, sein zu werden und den Haß und die Verachtung der Longobarden auf sich zu laden?«

202 »Ohne Zweifel,« erwiderte Markulf; »ihr Stolz – denn sie ist eine Römerin – wird ihr nicht erlaubt haben, etwas Geringeres zu sein, als die rechtmäßige Gattin, die Königin der Longobarden.«

»Was,« schrie Alahis auf, »Königin der Langobarden? Den Tod hat sie verdient! Wenn ich Pavia erobert und sie zur Gefangenen gemacht habe, werde ich sie zum Tode verurteilen, ich werde sie von Pferden zerreißen lassen, das schwöre ich dir, Markulf, bei meiner Ehre und der Ehre meines Volkes! Aber siehe da, wer kommt hier?«

Markulf zog die Zügel seines Pferdes an und machte zwei Männern Platz, die in ehrfurchtsvoller Haltung stehen blieben.

»Wer seid ihr?« redete sie Alahis an.

»Wir sind Bürger aus Brescia und Pavia, Aldon und Grausor; wir kommen, dir unsere Hilfe gegen Kuninkpert anzubieten, unser Vermögen und Hab und Gut, was du bedarfst, denn wir erkennen dich als Herrn der Longobarden an, nicht jenen, und werden dir die Thore öffnen, nicht jenem.«

»Was, auch ihr habt Beschwerden gegen ihn, ihr Bürger? Aber wisset, daß ich streng richten werde und daß ihr es büßet, wenn ihr ungerecht 203 klagt! Mir ist nicht mit Leuten gedient, die ihrem Herrn untreu werden; wie sie es jenem sind, so werden sie es auch uns sein.«

»Wir sind vor allem,« entschuldigte Grausor, »nur die Überbringer von Beschwerden der vornehmsten Longobarden.«

»Welches sind diese Beschwerden? Redet!« .

»Zuerst beklagen sie sich, daß Kuninkpert die Verheiratung longobardischer Witwen an Römer gestatte, ohne daß zuvor die Einwilligung der Blutsverwandten nachgesucht wurde. Zweitens setzt er Bischöfe ein, die nicht aus der Wahl des Volkes hervorgegangen sind, und endlich läßt er keinen Longobarden mehr unangemeldet vor, während die Priester, wie sie nur wollen, bei ihm ein- und ausgehen und ihn ganz beherrschen. Das sind die Beschwerden – du hast sie gehört. Urteile nun selbst, ob es nicht besser ist für uns alle, daß wir dir gehorchen anstatt dem Kuninkpert?«

Alahis nickte.

»Ihr mögt bei meinem Gefolge bleiben; wenn ich den Kuninkpert überwunden habe, so werde ich euch belohnen. Nun sagt mir noch, hat er bereits eine Krone sich aufs Haupt gesetzt?«

204 »Noch nicht,« antwortete der Brescianer, »es hat damit noch Anstände, weil nur derjenige – so behaupten die Kleriker – diese Krone zu tragen von Gott bestimmt ist, der sich durch eine That der größten Selbstüberwindung und Aufopferung ihrer würdig gezeigt hat.«

»Dann will ich sie gewinnen,« rief Alahis aus, »und wenn ich auch das Schwerste bestehen und jedes andere Gut der Erde darüber verlieren sollte!«

Damit wandte er sein Pferd und ritt hastig davon. Indem ihn nun Reihe um Reihe des am Wege zu beiden Seiten gelagerten Volkes begrüßte, fand er auch die Gestalt des fremden Mädchens wieder, die abgesondert von den anderen Frauen stand und ihn mit ihren großen Augen zu beobachten schien. Da ward ihm plötzlich schwer und traurig zu Mute, fast, als hätte er gegen sie etwas Böses gethan und es gereue ihn.

»Wahrlich, sie ist schön und hat den Anstand einer Fürstin,« sprach er zu sich, »sie scheint über alle, die sich ihr nähern, eine höhere Macht zu haben. Ich muß sie immer und immer wieder schauen, ich will sie bewachen und schützen, daß ihr nichts Böses widerfährt.«

205 Ein wilder, jauchzender Zuruf weckte ihn aus seinem träumerischen Sinnen. Markulf hatte den Großen des longobardischen Heerzuges verkündet, daß Alahis, sobald er Pavia erobert und die fälschliche Königin gefangen genommen habe, sie hinrichten lassen werde. Mit Jubel wurde die grausame Verkündigung aufgenommen, alle sahen darin einen Beweis der hohen Gerechtigkeit ihres zukünftigen Herrschers und eine Genugthuung der gekränkten Ehre des ganzen Volkes. Alahis sah, wie das Mädchen zusammenschauerte.

»Fürchte dich nicht, Kind,« rief er, »es gilt nicht dir!« .

Lang verweilte sein schwermütiger Blick auf der Fremden, und als auch sie die sonnigen Augen zu ihm aufschlug, da war ein Strahl heißer Liebe in sein Herz gedrungen. Als er bei den versammelten Heerführern wieder eintraf, wurde er mit Ausbrüchen barbarischer Freude aufgenommen. Sogleich gab er Befehl zum Aufbruch. Durch die Nachricht von dem Anrücken Kuninkperts veranlaßt, hatte der Heerzug nun eine andere Richtung zu nehmen, und statt gerade auf Pavia zu, näherte man sich mehr dem Gebirge.


206

VI.

Aldon und Grausor gingen als Wegweiser mit einer kleinen Truppe unter Anführung Markulfs voraus. Der eigentliche Grund ihres Abfalls von Kuninkpert war vor allem die Absicht, durch Alahis mehrere große Güter, welche senatorischen Familien gehört hatten und nach deren Aussterben dem Longobardenherzog als dem gegenwärtigen Herrn des Landes zufielen, in Pacht zu bekommen. Sie berechneten bereits den ungeheuren Gewinn, den sie aus der Verwaltung dieser Latifundien ziehen würden, denn obwohl sie einen großen Pachtschilling bezahlen und noch überdies die Zehnten und Fronen an den Eroberer entrichten mußten, so hofften sie gleichwohl, aus ihren Unterpächtern, den Kolonen, den eigentlichen Bauern, noch so viel herauszupressen, daß sie allen Anforderungen der Fremden genügen und noch sich selbst sattsam bereichern konnten.

In nächster Nähe lag eines dieser Güter, und das heranrückende Heer des Alahis mußte am folgenden Tag es erreichen. Allerdings lebten noch Erben, aber der männliche Sprosse war kein Hindernis für die Pläne der beiden habgierigen Schurken. 207 Nach den Berichten, die über ihn gingen, konnte es nicht lang mehr anstehen, bis auch der letzte der großen Grundbesitze in die Hände der Unternehmer und Aussauger fiel.

Leontius, der letzte eines schon vor Augustus blühenden Geschlechtes, besaß nicht diejenigen Eigenschaften, die ihn tauglich erwiesen, um in dieser Zeit der Kämpfe dem hereinbrechenden Untergange kraftvoll entgegenzutreten. Der junge Mann lebte, abgeschlossen von der Welt, auf seinem Landgute wie ein Mönch in seiner Zelle und beschäftigte sich mit einer damals sehr gepflegten Kunst: er schrieb heilige Schriften ab, Evangelien und Werke der Kirchenväter, und verzierte mit großem Fleiß seine Abschriften durch kunstvolle Initialen und Abbildungen frommer Scenen. Die großen Vorbilder der Antike leiteten seine nicht ungeübte Hand, sein schönes Talent wußte überall auch in die Gestalten des neuen Kultus einige Anmut der Form und seelischen Ausdruck zu legen.

Allerdings leuchtete durch alles, was er schuf, ein Zug der Hinfälligkeit, der hoffnungslosen Trauer und Abwendung vom Leben deutlich hervor; es war sein eigener Schmerz, der Schmerz des Römers, der sein Vaterland und dessen Macht in völliger Auflösung 208 sah. So brachte er denn auch selbst seine Tage hin in asketischer Gleichgültigkeit gegen sich und abgestorben für alle Freuden, sichtlich einem frühen Tod entgegenwankend. Starb er, so fiel das Gut an seine Schwester, an Theodote, die als junges Mädchen an den longobardischen Hof gekommen war.

Hermelinde hatte einst bei einem Besuche, den die junge Königin den angesehensten römischen Familien erstattete, die Aufblühende gesehen und bewirkt, daß sie ihr als Zeichen und Unterpfand des guten Einvernehmens zwischen Römern und Longobarden an den Hof mitgegeben würde. Leontius gehörte zu denjenigen Einwohnern, welche als am meisten unzufrieden mit den eingedrungenen Fremden und als im Einverständnis mit Byzanz verdächtig waren. Theodote brachte ihrem Bruder das Opfer und folgte der Königin, indem sie sich in eine Stellung begab, die fast der einer Dienerin glich; sie brachte dies Opfer, um eine Anklage gegen ihn und größere Verluste von ihm abzuwenden; er aber hatte sich nur schwer zur Einwilligung entschlossen. Stets war er in Sorge für sie, und tiefer und tiefer versank er in Trübsinn; nichts fehlte mehr zur Vervollkommnung der Schmach, die über 209 ihn gekommen, als daß seine Schwester bei den Herrschenden das Joch der Knechtschaft ertragen mußte.

Noch war keines der Gerüchte über Theodotens Unglück zu ihm gedrungen; aber mit Entsetzen hatte er eines Tages die Anfrage von Pavia erhalten, ob seine Schwester sich bei ihm befinde. Der Bote hatte hinzugefügt, daß sie sich aus der Umgebung der Königin entfernt habe. Er entschloß sich, sogleich nach Pavia zu eilen. Was mußte geschehen sein, was konnte sie bewogen haben, Pavia zu verlassen fortzugehen, ohne ihm Nachricht zu geben, und wo mochte sie sein? Unverzüglich wollte er sich an den longobardischen Hof begeben und Rechenschaft fordern.

Sein Vorhaben wurde durch die Dazwischenkunft der beiden Brescianer gestört. Die Bösewichte glaubten, der Augenblick sei gekommen, wo sie durch die Nachricht vom Fall Theodotens und ihrem entehrenden Verhältnisse zu Kuninkpert einen vernichtenden Schlag auf das Gemüt des kränklichen jungen Mannes ausüben konnten. Solcher Jammerkunde mußte seine Lebenskraft vollends erliegen, wenn er es nicht vorzog, jeder weitern Schmach durch einen freiwilligen Tod zuvorzukommen.

210 Aber sie hatten sich getäuscht. Was den Kranken zerschmettern sollte, erhob ihn, riß ihn aus seiner Unthätigkeit und erfüllte den Armen mit Kraft und Kühnheit. Schlimmes ahnend fuhr er die Eintretenden an:

»Was sucht ihr bei mir?«

»Wir sind deine Gutsnachbarn geworden, Herr, und wollten fragen, ob du nicht jenes Grundstück, das an unser neuerworbenes Besitztum grenzt, uns verkaufen möchtest?«

»Welchen Preis werdet ihr dafür bezahlen?«

Aldon nannte eine Summe, so geringfügig, daß ein anderer als Leontius ihnen sogleich die Thüre gewiesen hätte; er aber, an Derartiges gewöhnt, entgegnete ruhig, er finde die Summe zu niedrig und verlange mehr als dreimal so viel.

»Zuviel,« schrieen beide, »zu viel! Die Felder sind durch schlechte Bewirtschaftung heruntergekommen, deine Sklaven arbeiten nichts, du selbst siehst nicht nach, alles ist verwahrlost auf deinem Gute, du würdest am besten thun, alles an uns zu verkaufen. Das Geld,« fügte Grausor noch hinzu, »wirst du ohnehin bald nötig haben, wenn du deine Schwester aus ihrer Gefangenschaft auslösen willst.«

211 »Meine Schwester? Was wißt ihr von meiner Schwester? Wo ist sie?« rief Leontius aus.

Die beiden schwiegen und lächelten verschmitzt vor sich hin.

»Elende, ihr schweigt?« rief er außer sich und ließ seine Diener kommen, um die Überbringer der unheilvollen Botschaft fesseln zu lassen, indem er ihnen zugleich mit der Folter drohte, wenn sie nicht augenblicklich geständen, was sie von Theodote wüßten. Sie hingegen drohten ihm mit der Rache des Alahis, dessen Dienstleute sie seien.

»Ich fürchte den Barbaren nicht!« donnerte ihnen Theodotens Bruder entgegen. »Gesteht, wo ihr Aufenthalt ist, oder ich laß euch zu Tode peitschen!«

»Wenn sie sich nicht in den Armen des Königs Kuninkpert befindet, so magst du sie am Ende der Welt suchen,« höhnte Grausor.

Der Jüngling beantwortete diese frechen Worte mit einem Faustschlag ins Gesicht des Unverschämten, daß dieser zurücktaumelte.

Aldon rief: »Bring uns um, du änderst doch nichts!«

Leontius befahl seinen Leuten, die beiden Verleumder in das Gefängnis zu werfen, das ehedem 212 für unbotmäßige Sklaven gebraucht ward. Als sie fort waren, stürzte der Unglückliche auf sein Lager und brach in Weinen und Schluchzen aus.

»O Schwester, Schwester,« rief er jammernd aus, »das konntest du mir thun? Konntest du nicht meiner, unserer Ehre besser eingedenk sein? Aber alles wollte ich noch vergessen und verzeihen, wenn ich nur wüßte, daß du noch lebst und atmest!«

Er raufte sich das Haar, stieß tiefere Schmerzenslaute aus und sank wie leblos zu Boden.

Eine tiefe Stimme rief seinen Namen. Eine starke Hand schüttelte ihn auf; er erwachte – er erhob sich. Senno, der Diakon, stand vor ihm.

»Bezähme deinen Schmerz, Leontius,« rief er, »er wird sich in Freude verwandeln, wenn du klug genug bist, mich zu verstehen, stark genug, meine Anordnungen zu billigen, dich ihnen zu unterwerfen!«

Leontius schrie laut auf.

»Höre mich wenigstens in Geduld. Wenn die Gewalt, wenn die rohe Kraft ihren unerbittlichen Sieg über Bildung und Gesittung davongetragen hat, dann könnte es scheinen, als liege das in der Natur der Dinge, als müsse es so kommen; aber ein tieferer 213 Blick in die Vorgänge der Weltereignisse belehrt uns bald, daß das geistige und höhere Wesen nur einen Umweg nimmt, indem es scheinbar sich unterdrücken läßt, daß es auf verhüllten Pfaden wandelt, im stillen neue Elemente an sich ziehend, und plötzlich in ungeahnter Stärke als Überwinder der rohen Naturkraft hervortritt.

So verhält es sich auch mit der gegenwärtigen Lage der Dinge, das ist die Signatur unserer Zeit. Römische Sitte und Freiheit, alles Edlere, die Kunst, das Recht, die Tugend scheint den Barbaren zum Spielball ihrer rohen Launen geworden zu sein; so erscheint es dem oberflächlichen Beobachter; in der Tiefe jedoch arbeitet eine neue Kraft, das Christentum, die Kirche. Ihre Einrichtungen gewinnen von Tag zu Tag an Ausbreitung und an Gewalt über die Seelen der Menschen. Ja, es ist eine übernatürliche Stärke, eine wahrhaft göttliche Gewalt in ihr, deshalb gehöre ich auch ganz mit Leib und Seele, mit all meinem Denken und Sinnen der Kirche an.

Du weißt, ich bin aus dem unglücklichen Stamme der Gepiden, die nach Rosamundens Tode beinahe völlig ausgerottet wurden. Die wenigen, die noch am Leben blieben, wurden Hörige, wurden Knechte. Es waren 214 unsere Väter; für uns Söhne giebt es nur eine Bahn, wieder emporzukommen, nämlich das Heil in der Kirche zu suchen, ihr zu dienen, ihr zur Alleinherrschaft zu verhelfen, ihr die Mächtigen der Erde und die Völker zu unterwerfen. Hast du mich begriffen? Diesem Zwecke dienend, habe ich deine Schwester Theodote dem Könige Kuninkpert zur Gattin ausersehen.«

Leontius sprang auf.

»Was sagst du?«

»Die Wahrheit,« entgegnete Senno ruhig; »eine Römerin auf longobardischem Throne wird unseren Absichten förderlicher sein, sie wird das begonnene Werk der Ausbreitung des Christentums unter den Germanen, der Herrschaft römischer Gesetze über sie, uns vollenden helfen.«

»Und Hermelinde, seine Gattin, ist sie tot?«

»So viel wie tot,« sprach Senno, »sie hat sich dem Leben ab- und dem Kloster zugewandt.«

»Weshalb?«

»Nachdem sie gesehen, daß die Liebe ihres Mannes für sie verloren war. Sanft und gütig, wie sie war, konnte sie nicht länger als unser Werkzeug dienen, dem Könige gegenüber, dem sie immer 215 zu nachgiebig und zu unterwürfig blieb und der darüber tiefer und tiefer in rohe Gewohnheiten sank. Als Kuninkpert sich in voller Leidenschaftlichkeit deiner Schwester zuwandte und Hermelinde seine Neigung für sich verloren sah, suchte sie bei mir, suchte sie am Altare Trost, und es bedurfte nur weniger Worte von mir, sie zu dem Schritte zu bewegen, daß sie dem Gatten, dem Thron, der Welt entsagte. In der Nähe von Como liegt ein Kloster, dorthin habe ich die Angelsächsin begleitet.«

»Und Theodote gab sich zu diesem Gaukelspiele her – anders kann ich es nicht nennen!« rief Leontius aus. »Nein, sie gab sich nicht dazu her; wisse, daß ich von Pavia die bestimmte Nachricht habe, daß Theodote von dort geflüchtet, daß sie verschwunden ist!«

Senno fuhr zurück.

»Geflüchtet und wohin?«

»Wohin, das weiß auch ich nicht,« sprach mit einem Seufzer Leontius; »aber wir wollen sie suchen – ohne Verzug. Alahis und der König rüsten sich zum Krieg gegeneinander, das ganze Land ist in Aufruhr, und sie, schutzlos und allein, irrt, der Himmel weiß wo, umher und in welchem 216 Jammer! O komm, komm, laß uns keinen Augenblick versäumen!«

»Es ist so, wie du sagst,« rief Senno, mehr an die allgemeine Lage als an Theodotens Schicksal denkend, »ein zweiter Vernichtungskampf droht uns von den Barbaren! Alahis hat auf die Fahne seiner Empörung gegen Kuninkpert das Wort Befreiung geschrieben. Befreiung von allem Römischen, das heißt von aller Kultur, der Thor! Erst mit seinem Siege wird er seinen Fehler und die Verluste entdecken, die er sich und seinem Volke zugefügt, dies aber wird dann nur um so mehr die Last seines eisernen Szepters empfinden.«.

Nach diesen Worten hielt Senno eine Zeitlang nachdenklich inne, er sah, daß Leontius wenig auf seine Reden achtete, vielmehr alle Vorbereitungen zur Reise traf. Jetzt war er fertig und drängte Senno zum Aufbruch.

»Kommst du nicht, so gehe ich allein!« rief er heftig.

»Wir müssen vereinigt bleiben, vereinigt müssen wir unsere Nachforschungen anstellen,« erwiderte dieser; er fühlte, daß er dem Jüngling, der sich in höchster Aufregung befand, zur Seite bleiben müsse.

217 »Was konnte Theodote bewogen haben, zu fliehen?« fragte er sich. Daß er sie an Kuninkpert vermählt hatte, das verursachte ihm keinerlei Unruhe. Er hatte zum Heil seiner Kirche gehandelt, dies genügte, daß ihm sein Gewissen keinen Vorwurf machte, und wie oft waren ähnliche Fälle schon vorgekommen, wie oft hatte die Kirche einem Mächtigen zu lieb ihre eigenen Gebote übertreten!

Aber Theodotens Schicksal war es, worüber er sich ängstigte. Wie sehr hatte er sich in seiner Berechnung getäuscht, wie wenig hatte er ihren Stolz, ihr weibliches Gefühl in Betracht gezogen! Sie hatte die Verbindung, auf die er so viele Hoffnung gesetzt, selbst zerrissen. Was konnte sie nun vorhaben, hatte sie ein bestimmtes Ziel ihrer Flucht in Absicht und wo konnte sie wohl sein?


VII.

Während der Diakon auf dem Wege nach Pavia mit Leontius dahinschritt, beschäftigten diese Fragen laut und im stillen sein Inneres. In ihr aber, um deren Auffindung sie mit allem Scharfsinn und allem Eifer bemüht waren, in ihr lebte nur der 218 unbestimmte Drang, zu fliehen, gleichviel wohin, vor ihrem Gatten, vor jenem Kuninkpert zu fliehen, den sie so sehr verachtete und scheute. Nie würde sie ihm, das schwur sie bei sich, nie eine Annäherung gestatten, dem Manne, den sie so oft in wüster Trunkenheit gesehen, um dessentwillen ihre teure Herrin Hermelinde so viele Thränen vergossen und der selbst sie so beleidigt hatte. Die Furcht, daß der Priester, der sie vermählte, ihren Widerstand nicht billigen, ihr vielleicht sogar zum Gehorchen zureden würde, ließ sie ihre Lage für gefährdet, ihren Aufenthalt im Asyl der Kirche nicht mehr für sicher genug halten. So war sie zu dem Entschlusse gekommen, sich dieser Möglichkeit durch die Flucht zu entziehen, und sie hatte diesen Entschluß, sobald Senno sie verlassen, zur Ausführung gebracht.

Die erste Nacht verweilte sie bei Pächtersleuten ihres elterlichen Hauses, und hier wurde sie beredet, auf dem Landgut ihres Bruders Schutz zu suchen. Während also Leontius mit Senno von dort aufgebrochen war, um nach ihr zu forschen, ging sie auf anderem Weg in der entgegengesetzten Richtung durch unbekannte Pfade des Gebirgs, von einem Hirten geleitet, eben dahin, von woher Leontius und 219 Senno kamen. Beide gingen sie fern und ahnungslos aneinander vorüber, während sie sich suchten.

Theodote war mit ihrem Begleiter noch nicht weit in die Berge vorgedrungen, als dieser ihr bemerkte, er fürchte, den rechten Weg verloren zu haben. Nach mehrstündigem Umhersuchen, während die Sonne sich bereits zum Untergang neigte, erreichten sie endlich eine Lichtung im Wald. Ein Feld mit hochgewachsenem Getreide stand in goldener Fülle vor ihnen, und bald tauchten blonde Mädchenköpfe über den Ähren empor und mit Sicheln bewaffnete Arme; die ihnen zuwinkten.

Sie wurden freundlich begrüßt, in einer zwar fremdartig, aber für Theodote noch verständlich lautenden Sprache. Als sie nach der Besitzung ihres Bruders sich erkundigte, wußten die Mädchen nicht Bescheid – davon hätten sie nie gehört, das müsse weit entfernt sein. Der freundlichen Einladung, mit ihnen nach dem Dorfe zu kommen, war nichts entgegenzusetzen, und so blieb Theodote nebst ihrem Begleiter die kurze Zeit bis zum Einbruch des Dunkels im Walde, dann schritt sie mit ihren neuen Freundinnen, als diese ihre Arbeit gethan hatten, nach den Gehöften, die im Thale lagen.

Hier wurde sie von älteren Frauen 220 begrüßt und ebenso gütig aufgenommen. Man sah in ihr eine Stammverwandte, und sie selbst verstand es, in klugen Antworten auf die an sie gerichteten Fragen diese Annahme zu bestärken, ohne sie gerade zu bejahen. Ihr blondes Haar, ihre zarte Hautfarbe schienen deutlich genug germanische Abkunft zu verraten, auch war sie ja vom lombardischen Hofe her einer Sprache mächtig, die nicht allzu sehr von der der vandalischen Frauen abwich. Denn in der That, sie war zu jenem von Markulf gegen Alahis erwähnten Vandalenstamme gekommen, der bei dem Abzug des Gesamtvolkes nach Gallien und Spanien in den Gebirgen zurückgeblieben war.

Was aber Theodote, nachdem sie um ihr Weiterkommen sorgte, bald erfuhr, war eine nicht sehr tröstliche Kunde: sie hörte zu ihrem größten Schrecken, daß Kuninkpert mit seinem Heere das Gebirge bereits umstellt, daß er die Bewohner aufgefordert habe, sich ihm anzuschließen, daß sie sich geweigert hätten und daß sie gewärtig seien, sich bald gegen ihn verteidigen zu müssen.

Das war nicht sehr erfreulich. Indes entschied sie sich dennoch, bei den gastfreundlichen Frauen zu bleiben, sie verabschiedete den Hirten, der sie begleitet und der zu seinen Eltern wieder zurück 221zuschleichen sich getraute, und vereinbarte sich noch vollends in Kleidung und allen äußeren Abzeichen mit ihren Beschützerinnen. Hier schien sie fürs erste gesichert, ja, ihres schweren Kummers hoffte sie zu vergessen.

Leider lauteten die Nachrichten, welche Späher nach dem Dorfe brachten, immer ungünstiger. Kuninkpert schien fest entschlossen, diese friedlichen Nachbarn zu einem Bündnisse mit ihm zu zwingen, sie zu seinen Unterthanen zu machen. Wenn sie nicht einwilligten, so würde er sie, drohte er, vernichten. Seine Übermacht war groß, man erwartete jeden Tag einen entscheidenden Kampf.

Theodote zitterte bei dem Gedanken, in die Gewalt des siegreichen Gemahls zu fallen. Wie tief gedemütigt müßte sie vor seinem Hohn, vor seiner rohen Anmaßung dastehen! In seiner Gefangenschaft! Lieber in den Tod! Sie erwog sorgfältig alles, was sie über die Stellung des Feindes und im äußersten Fall über die Möglichkeit einer Flucht vernehmen konnte. Sie erfuhr, daß auch Alahis heranrückte, und ihr schien, als würde sie einem geringern Unheil ausgesetzt sein, wenn sie zu ihm käme als zu Kuninkpert.

Der Tag des Angriffes von dessen Seite brach an. Eines Morgens hallten die Wal 222dungen wider vom Getöse der Kämpfenden. Die Vandalen wurden überall von den Höhen, die sie besetzt hatten, zurückgedrängt. Das Dorf wurde von den Langobarden genommen, bei dessen Verteidigung fast alle Männer getötet wurden oder in Gefangenschaft gerieten.

Die Frauen wollten nach alter Sitte das Schicksal ihrer Männer teilen und unter den Schwertern der Feinde fallen; Theodote stellte ihnen vor, es werde für sie ein Tag kommen, an dem sie sich rächen könnten, wenn sie ihr folgten und zu Alahis übergingen. Dort würden sie gewiß mit Freude aufgenommen werden und es würde ihnen Gelegenheit gegeben, Rache an den Mördern ihrer Gatten zu nehmen. Damit würden sie deren Schatten gewiß eine größere Freude machen, als wenn sie sich jetzt wehrlos hinschlachten ließen, Ihre Kinder sollten sie mitnehmen und zu Alahis fliehen. Ihr Rat wurde befolgt.

Beinahe schon unter den Pferden der verfolgenden Reiter, stürzten sie sich einen steilen Abhang hinab und durchschwammen einen reißenden Waldbach. Sie entkamen ihren Verfolgern und wurden von Streifwachen des Alahis bemerkt. Man brachte sie nach dem Lager seines Heeres und wies ihnen als dem Überrest eines verbündeten 223 Volkes einen Platz daselbst an.

Hier nun war es, wo Theodote zuerst den gefürchteten Empörer erblickte, wo sie wahrnahm, welchen mächtigen Eindruck sie auf ihn hervorgebracht, und – ja, sie mußte sich es gestehen – hier hatte auch sie zuerst sich von der Allmacht der Liebe getroffen gefühlt. Wie herrlich erschien ihr Alahis gegenüber dem Manne, dem sie gegen alles Recht und am meisten gegen ihre eigene Neigung angetraut, an den sie unauflöslich gekettet war. Die Jünglingsgestalt des Alahis, umflogen von dem Reiz einer kühnen Wildheit, die aber Edelsinn und Großmut durchschimmern ließ, mit welch wonnigen Empfindungen überströmte sein Bild ihr Herz und beschäftigte sie wachend und im Traum!

Welch entsetzlicher Abgrund aber breitete sich vor ihr aus, wenn sie einen Augenblick lang nur ihre Lage bedachte, wenn sie die Gefahren, die Schrecken sah, die sich vor ihr auftürmten wie die Wogen eines endlosen, stürmischen Meeres! Und diese Gefahren sollten sich noch steigern, das Unglück, das sie verfolgte, hatte noch größeres Leid für sie aufgespart.

In Angst und Beben schlug ihr Herz, als sie entdeckte, daß sie mit dem Heere sich dem Land 224sitz ihrer Familie, dem mutmaßlichen Aufenthalt ihres Bruders, nahe. Da, wo sie Schutz suchen wollte, wo ihr letzter Zufluchtsort sein sollte, da fand sie sich nun als eine Fremde, fast als eine Gefangene und unter den Feinden ihres Vaterlandes. Mitten unter den Zerstörern ihres Eigentums, im Elend, von Gefahren umringt, sollte sie die heimatlichen Räume wiedersehen, unerkannt und, ach, noch mehr bedroht, wenn sie erkannt würde, erkannt von ihrem Bruder, der die Eindringlinge, die Barbaren, bis auf den Tod haßte, erkannt von Alahis als Römerin, als die Gattin seines Feindes. Welch ein Los mußte ihr bevorstehen!

Sie durchirrte alle Gemächer ihres Hauses, hoffend, den Bruder zu finden, sich mit ihm zu verständigen, vergeblich!

»Wenn ich ihn wiedersehen würde, so könnte ich ihm alles sagen, er würde mir verzeihen, wir würden einen Plan verabreden, die Barbaren zu täuschen, ihnen zu entkommen!«

Ihr Wunsch verhallte ungehört in den Mauern, wo ihr in glücklichen Tagen der Kindheit nie eine Bitte versagt worden war. Sie fühlte in ihrem Herzen einen tiefen Haß gegen ihr Schicksal, ein wilder Zorn flammte in ihr auf, sie würde stark 225 genug sein, um sich und ihren Bruder zu retten, den Dolch selbst in die Brust des Alahis zu stoßen. Würde aber Leontius, wenn er käme, ihr vertrauen, würde sie ihn tüchtig genug finden, gemeinschaftlich mit ihr jedes Wagnis zu unternehmen?

Täglich brachten ausschwärmende Longobarden Gefangene ein, vornehme und reiche Römer aus der nächsten Umgegend. Sie zitterte, unter ihnen ihren Bruder zu finden; alles wäre verloren, wenn sie sich nicht zuerst allein treffen und sprechen könnten. Sie erschien sich wie jener Unglückliche, der vor seinen Verfolgern in eine Höhle geflüchtet war, aber, kaum darin, schon wahrnahm, daß er die Höhle eines Löwen zu seiner Zufluchtsstätte gewählt habe.

Eines Tages wurde sie von Aldon und Grausor gesehen. Die beiden Schurken waren beim Einzug der Longobarden aus dem Gefängnis befreit worden, klagten vor Alahis und verlangten, daß man ihnen als Genugthuung für die ungerechte und unwürdige Behandlung von seiten des Leontius das Landgut des Römers überlasse, das ohnehin schon durch Schuldverschreibungen zum Teil ihnen verfallen sei. Durch ihre Anhänglichkeit an die Sache des Alahis, durch die geleisteten Dienste hätten sie das wohl 226 verdient, sprachen sie.

Alahis versprach, ihre Rechte prüfen zu wollen, sobald er nach Pavia käme. »Ich verspreche euch,« rief er aus, »daß ihr sollt zufrieden gestellt werden; der übermütige Römer, der es gewagt hat, Freunde des longobardischen Volkes zu beschimpfen, soll es büßen!«

Mit tiefen Verbeugungen und der Zusage, daß sie gewiß einen gebührenden Anteil an den Staatsschatz und für das Heer von ihrer neuen Erwerbung entrichten würden, entfernten sich die Bösewichte.

Als sie Theodote bemerkten, nickten sie sich verständnisvoll zu: sie erkannten, welche günstige Gelegenheit sich ihnen darbot, einen neuen Verrat zu begehen, ein neues, unerhörtes Unheil über das Haus des Leontius zu verhängen, und daß es mit dieser Entdeckung nun vollends dem Untergange geweiht war.

Theodote hatte das Wohnzimmer ihres Bruders aufgesucht. Sie fand darin überall die Spuren eines raschen, unordentlichen Wegganges. Sie erschrak – nicht daran dachte sie, daß er so schnell aufgebrochen sein könne, um sie zu suchen – sie glaubte vielmehr, daß er durch Bedrohung des Eroberers genötigt gewesen sei, die Heimat zu verlassen. Da 227 lagen überall zerstreut die Zeugen seiner friedlichen Beschäftigungen: Gefäße, Tafeln, Urnen, bemalt mit Heiligen und Engeln. Auf einer der Urnen erkannte sie ihr eigenes Gesicht in einer Frau, die, neben einem Manne knieend, zur Himmelskönigin betete, die Züge des Mannes waren die des Bildners selbst. Sie mußte in diese geliebten Züge blicken, während Thränen ihr in die Augen traten.

»Ach,« klagte sie, »wären wir doch schon vereint in dieser Urne, Asche bei Asche – und unsere Seelen lebten bei Gott!«

Schwere Schritte hörte sie und sie entriß sich ihrem Schmerze, Markulf stand hinter ihr. Er maß sie mit argwöhnischen, finsteren Blicken und sprach:

»Ich habe Befehl, dich vor Alahis, den Herzog, zu rufen, er begeht ein Festmahl und will, daß auch ihr Frauen alle teilnehmt. Folge mir!«

Der ganze Mittelbau des Hauses mit Hofraum und Säulengang war zu einem Trinkgelage, wie sie es oft am Hofe Kuninkperts gesehen, hergerichtet. Mit größter Erregung vernahm sie, mitten durch die Krieger hinschreitend, Alahis' Befehl, daß sie ihm den Becher kredenze. Hochklopfenden Herzens trat sie auf ihn zu, ihre Wangen waren von holder 228 Röte übergossen, ihre Blicke hafteten am Boden.

Alahis betrachtete sie mit Entzücken und rief: »Maid, so bringe uns deine Hand Glück und Segen, wie du jetzt diesen Becher nimmst; so blühe mir stets Freude, wie sie dein Anblick mir jetzt gewährt.!

Der Mundschenk reichte ihr den Becher, sie ergriff ihn mit der Rechten, indem sie mit der andern Hand die Locken von der Stirn zurückstrich, und kühn ausblickend sprach sie:

»So werde dir stets Heil und Sieg, wie ich jetzt mit reinem Herzen und für dein Wohl diesen Becher kredenze!«

In diesem Augenblick, als sie den Rand mit ihren Lippen berührte, rief eine Stimme aus der Tafelrunde:

»Hüte dich, Alahis, diese ist die Gattin deines Feindes Kuninkpert!«

Aber schon hatte Alahis den Becher an den Mund geführt, so daß beider Lippen sich wie im Kusse vereinigten, und nun erst rief er:

»Wer sagt das, wer behauptet, dieses Mädchen sei die Gattin Kuninkperts?«

»Wir!« riefen Aldon und Grausor und standen 229 auf. »Wir haben sie in Pavia gesehen, als sie zur Kirche schritt, wo der Diakon Senno sie mit König Kuninkpert vermählte, sie, die Zofe Hermelindens, die Römerin Theodote!«

»Glaub ihnen nicht,« riefen die germanischen Frauen, sprangen hervor und umringten die Beschuldigte; sie ist unser, an ihr ist kein Falsch!«

Aber jetzt richtete Theodote stolz ihr Haupt empor und sprach, zu Alahis sich wendend:

»Es ist so, wie diese Männer sagen. Ich bin die Königin der Longobarden.«

Da beugte Alahis sein Haupt und finster sprach er zu ihr:

»Ich huldige dir als meiner Königin und einer Todgeweihten, denn mein Schwur ist über deinem Haupte. Aber kaum wage ich's, zu glauben, daß du schuldig bist, wenn ich dich ansehe. Du hättest solche Untreue begangen an deiner Herrin, du sie verdrängt und in ihre Rechte dich eingeschlichen?«

»Nicht eingedrängt habe ich mich,« rief Theodote; »auf Hermelindens eigenen Befehl habe ich die Hand dem Könige gereicht. Nur ihr gehorchte ich, ihr habe ich ein Versprechen gelöst, dann aber 230 bin ich geflüchtet – ach frage nicht weshalb – lasse mich zu ihr bringen, mit ihr die Abgeschiedenheit von der Welt teilen – das ist alles, um was ich bitte!«

»Thörichte!« sprach Alahis; »weißt du, daß dies alles deine That nicht entschuldigt? Sühne heischt mein Volk, blutige Sühne, dein Haupt fordert das Volk, und ich habe geschworen, ihm zu willfahren.«

Er sagte dies mit einem Blick unendlicher Trauer, die Römerin erblaßte, sie erkannte in den Mienen der longobardischen Großen, die sich an sie herangedrängt hatten, keine Regung von Mitleid, sie sah, daß keiner von ihnen das Bluturteil zurücknehmen würde, daß Alahis selbst nichts ändern, seinen Eid nicht brechen könne.

Da waren es aber wieder die germanischen Frauen, die sich der Unglücklichen annahmen und eine ergriff das Wort:

»Herzog Alahis, hast du allein schon alle Gewalt in dir vereinigt, du und deine Dienstmannen hier, seid ihr schon der Wille des ganzen Volkes? Nur wenn alle deine Langobarden das Urteil ausgesprochen haben, darf es vollzogen werden, bis 231 dahin aber werden wir dieses Mädchen in unsere Mitte nehmen und beschützen.«

Alahis schien froh, daß ihm so unerwartet ein Ausweg geboten wurde, denn wirklich hatten die Frauen das Richtige gesagt, und es war das Urteil in Übereilung des ersten Aufwallens der Entrüstung über das Verbrecherische einer That wie die, deren Theodote beschuldigt war, ausgesprochen worden, ohne daß einer der hochfahrenden, trotzigen Vasallen daran gedacht hätte, daß eine Stimme im Volke gegen ihren Beschluß Einsprache erheben würde. Jetzt sahen sie erstaunt auf und wußten nichts zu sagen; die alte Ehrfurcht der Germanen vor dem Ausspruche weiser Frauen bei allen Beratungen war in ihren Gemütern noch lebendig, und sie widersprachen nicht, als Alahis ausrief:

»Ihr hörtet, was diese sagten, und es ist so! Durch ihren Mund spricht die Milde jener ewigen Wesen, die alles erschufen und in Liebe und Weisheit lenken.«

»Es ist so!« riefen die Edelinge. »Auch werden wir nicht verurteilen können, solange nicht Hermelinde eine Klage gegen die Beschuldigte gestellt hat.«

232 »Nein,« hieß es, »ihre That ist offenkundig, »und nicht allein Hermelinde, das ganze Volk ist beleidigt!«

»Wohlan,« rief Alahis. »also soll auch das ganze Volk das Urteil sprechen.«

Während dieses Vorganges war in der Vorhalle ein Getöse laut geworden und eine Schar longobardischer Krieger brachte einen Gefangenen. Es war Leontius. Als ihn Theodote erblickte, stürzte sie mit lautem Ausruf in seine Arme.

»Mein Bruder, mein Bruder!«

»Du wolltest also zu mir,« flüsterte Leontius; »aber sind wir nicht beide Gefangene?«

»O mein Bruder, sie werden uns töten, mich gewiß, weil ich an Kuninkpert vermählt wurde – verachte mich deshalb nicht, du sollst alles wissen.«

»Alles weiß ich, geliebte Theodote, und alles habe ich dir verziehen, ja, ich bewundere deine Seelenstärke. Nun aber laß uns diesen Barbaren entgegentreten, für uns giebt es nichts Furchtbares mehr.«

Er trat sofort auf Alahis zu und redete ihn an: »Aus welchem Grunde, fremder Fürst, werde ich von deinen Kriegern als ein Gefangener behandelt? Ich bin weder ein feindlicher Kundschafter, noch habe ich sonst etwas gegen dich im Sinne; 233 dieses Land aber und dieser Wohnsitz sind mein und meiner Schwester Eigentum.«

»Warum denn, wenn alles so ist, wie du sagst, warum wolltest du mich nicht in deinem Besitztum erwarten und gastlich empfangen?«

»Um meine Schwester aufzusuchen, die, wie man mir sagte, vom Hofe des Königs geflüchtet war, nachdem man sie gezwungen hatte, sich mit Kuninkpert trauen zu lassen.«

»Gezwungen, hört ihr's,« wandte sich Alahis an Aldon und Grausor, »ihr beiden Ankläger, hört ihr's! Und warum wurdet ihr von Leontius ins Gefängnis geworfen?«

»Nur, weil wir ihm die Nachricht von der Vermählung seiner Schwester hinterbrachten,« antwortete Grausor.

»In so frecher Weise,« rief jetzt Leontius dazwischen, »daß ich, empört über ihr Benehmen, sie strafte; die Schändlichen lästerten die Ehre meines Hauses!«

»Wußtest du nicht,« fragte Alahis weiter, »daß deine Schwester durch ein Ehebündnis mit dem König der Longobarden Aller Gefühl empörte, weil er ihretwegen seine rechtmäßige Gattin verstieß? Weißt 234 du nicht, daß sie deshalb nach unseren Gesetzen mit dem Tode bestraft wird?«

»Nach dem Gesetze des Siegers über den Besiegten,« wendete Leontius ein. »Nimm nun auch mich dazu, ich will sie nicht überleben, sie nicht schmählichen Todes sterben sehen!«

Ruhig sah ihn Alahis an.

»Ich bin nicht euer Feind, aber wir alle nehmen unsere Tage aus der Hand des Geschickes, die heute blutig ist und morgen mit Gold geschmückt. Ich führe gegen Kuninkpert Krieg, nicht gegen euch. Aber wenn ich dereinst König der Longobarden sein werde, dann bin ich auch der Richter in meinem Volke. Bewohne dein Landgut und betrachte mich indes als deinen Gast, aber hüte dich zu fliehen, es wäre vergeblich.«

Damit entfernte er sich und ließ die Geschwister allein. Sie brachten den größten Teil der Nacht in Gesprächen zu, die oft von Seufzern! und Schluchzen unterbrochen wurden.

Auch Alahis wachte.

Seine Gedanken waren bei Theodote, es kam ihm unmöglich vor, daß sie sterben, sollte – sterben, durch ihn verurteilt – vor seinen Augen, mit dem letzten vergeblichen Flehen zu ihm.

235 »Niemals, niemals!« schrie er auf und sprang in die Höhe. »Kann ich sie nicht retten, nicht mit ihr dies Reich verlassen, in ein fernes, unbekanntes Land ziehen – zu den Griechen nach Byzanz oder nach Ägypten? Aber würde sie mir folgen? Liebt mich Theodote, oder würde sie mir nur folgen, um ihr Leben zu retten? Und was uns nicht verließe, was mit uns zöge, wäre mein gebrochener Eid, der unauslöschliche Schimpf – meines Volkes Verachtung!«

Da war es ihm, als höre er wieder das ängstliche Zwitschern der kleinen Vögel an jener Felsenwand unter seiner Burg – er lauschte – waren es die Geschwister, die noch miteinander sprachen?

»Möge Kuninkpert die eiserne Krone tragen, wenn er Größeres zu überwinden vermag; aber ich kann nicht Perseus sein und das lieblichste Haupt mir totbleich entgegenstarren sehen. Ich gebe die Krone, ich gebe das Leben dahin, um dich zu retten!«

   

Der Morgen dämmerte, er hörte vor dem Hause die Pferde wiehern und die Stimme Markulfs, der den Knechten gebot, sich zum Aufbruch zu rüsten.

Er rief ihn zu sich:

»Markulf, mein Getreuer, ich vertraue deinem Schutze die Königin an, ich lasse dich auf der Villa 236 des Leontius zurück, um ihn und seine Schwester zu bewachen.«

»Ich fühle mich wenig tauglich, ein Weib zu hüten,« erwiderte der Waffenträger.

»Du hast sie für den Tag zu bewachen, an welchem das Volk über sie Gericht halten wird,« bemerkte Alahis.

»Wohl,« erwiderte Markulf, »und mit ihr hüte ich dein Wort und dein Ansehen, Herr! Gieb mir auch Macht und Vollmacht, deine Ehre zu rächen, wenn sie verletzt wird; denn ich verstehe mich nicht darauf, zu hinterbringen, wenn ich Unrechtes sehe, sondern es auf der Stelle zu bestrafen.«

»Das magst du halten, wie du willst. Ach, die Unglückliche, sie wird dir keinen Anlaß bieten, der deine Vorsicht rechtfertigte! Besseres aber habe ich beschlossen, darum wache über ihr.«

»Über ihr,« rief Markulf, »über ihr, an der alles Trug ist? Trug ist sie schon von Natur, mit ihren lichten Haaren den Töchtern unseres Landes ähnlich und im Herzen eine Römerin! Trug ist ihr Blick, ihr Wort, alles!«

»Gehorche!« herrschte ihm Alahis zu.

Ungern beugte sich Markulf dem Befehl.

Alahis 237 schwang sich auf sein Pferd, er hatte sich es versagt, von Theodote Abschied zu nehmen; welche Worte hätten ausdrücken können, was er ihr sagen wollte! Nur eines hätte er von ihr hören mögen: ob sie Kuninkpert geliebt habe. Doch jede Frage schien ihm hier ihn und sie zu erniedrigen, schien ihm unwürdig einer Liebe zu sein, die in seinem Herzen so rein und so mächtig flammte.


VIII.

Ohne Widerstand nahm das Heer des Alahis Pavia ein. Als er die Räume betrat, die König Kuninkpert inne gehabt, als ihm überall die Bestätigung der Sage von dem üppigen Hofhalte des vertriebenen Königs entgegenblickte, überkam ihn eine schmerzliche Sehnsucht nach den rauhen und schmucklosen Mauern seines Felsennestes, nach der Freiheit und Unabhängigkeit seines dortigen Lebens. Dort mit der Geliebten würden ihm ungetrübte Tage verfließen, kein unseliges Verhängnis, wie es jetzt über ihm schwebte, kein drängender Wille anderer würde ihm sein heiliges Glück rauben können; überall trat ihm ihr Bild entgegen, überall glaubte er in 238 den Hallen der Gänge und Gärten die Spur ihres Wandelns und Waltens zu gewahren.

Alle früheren Anhänger Kuninkperts hatten sich unterworfen oder waren entflohen. Gegen mehrere derselben, die man gefangen genommen hatte, wurden schwere Anklagen wegen Erpressung, Fälschung und Verrat erhoben. Es schien dringend geboten, daß bald der versprochene Gerichtstag gehalten, Alahis zum König ausgerufen würde. Er verschob die Entscheidung hierüber von Tag und Tag, er hörte niemand an, er erließ keine Befehle, sondern seiner immer zunehmenden Schwermut ergab er sich mehr und mehr.

Boten nach der Villa des Leontius wurden abgesandt und brachten Nachricht von dort. Wurde einmal die Zurückkunft verzögert, so steigerte sich seine Unruhe und sein Trübsinn ins Verhaßte. Eine an ihm ungewohnte Härte und Schroffheit erfüllte die ihn zunächst umgaben mit Trauer und Sorge, das Volk aber mit wachsender Unzufriedenheit.

Endlich, nachdem wieder einmal mehrere Tage keine Nachricht von Theodote eingetroffen war, wurde der Gerichtstag anberaumt. Man erwartete die entthronte Gattin Kuninkperts im dunklen Kleide der Angeklagten, gefesselt und 239 von dem Henker geführt, erscheinen zu sehen, und eine furchtbare Mehrheit war für ihre Verurteilung gestimmt. Auf dem alten Forum der Stadt trat die Versammlung zusammen. Zuerst wurden alle neuen Verordnungen und Bestimmungen Kuninkperts für null und nichtig, er selbst für des Todes oder ewiger Verbannung schuldig erklärt und das Gleiche über Theodote beantragt.

Ehe jedoch zur Abstimmung geschritten wurde, hörte man Stimmen, welche forderten, daß man Alahis auf den Schild erhebe und zum König der Longobarden erkläre.

Da trat er hervor und rief:

»Nicht mich wählet, denn ein Todesurteil gegen Theodote werde ich nie vollstrecken lassen, niemals! Ihr habt mein Wort nur bedingt; wenn ich nicht euer König bin, so habe ich auch keine Pflicht, den Vollzug zu befehlen.«

»Es ist nicht an dir, die Wahl anzunehmen oder nicht!« scholl es ihm entgegen.

Da besann sich Alahis, er bedachte, daß wenn er sich weigere, er Theodoten auch nicht beschützen, nur mit ihr sterben könne, und wieder erhob er sich und rief:

»Nun denn – hört! Noch lebt Kuninkpert, 240 noch steht ein mächtiges Heer ihm zur Seite; ehe ich ihn nicht in der Schlacht besiegt, eher darf ich nicht euer König sein. Auf denn, laßt uns erst kämpfen und siegen, und dann erst die Sühne nehmen!«

Ein unzufriedenes Murmeln war die Antwort, Alahis sah staunend um sich, das hatte er nicht erwartet – plötzlich bemerkte er Markulf – er erschrak.

»Du hier? Wer hieß dich das? Du hast die verlassen, die dir anvertraut war?«

Der graue, vom Alter wie zu Stein gewordene Mann trat hervor und sprach:

»Herzog Alahis, versuche nicht, dich und dein Volk zu täuschen, du willst das Leben eines verbrecherischen Weibes retten, weil du in thörichter Leidenschaft für sie entbrannt bist, deshalb willst du Aufschub; aber wisse, das Urteil, du hast es einst selbst schon ausgesprochen und es ist vollstreckt – Theodote ist tot!«

»Tot,« schrie Alahis auf, »tot – getötet – von dir?«

»Ja, von mir,« antwortete Markulf; »hier stehe ich und will meine That verantworten vor allem Volke!«

241 Die Augen des Longobardenherzogs rollten in rasendem Zorn – erst stand er wie leblos, dann brach er mit Löwengrimm aus:

»O Verräter, das thatest du mir, Elender, dem ich vertraute!«

Er würde sich auf ihn gestürzt haben, doch hielten ihn die starken Arme seines Gefolges zurück.

»Sie hat dich verraten, nicht ich,« rief jetzt Markulf; »ich sah sie sich niederwerfen vor dem römischen Priester, der sich nachts zu ihr geschlichen hatte, ich sah, wie sie seine Kniee umklammert hielt, wie er sie aufhob, an seine Brust zog, wie sie selig das verklärte Gesicht ihm zuwandte, da hielt ich mich nicht mehr – ich tötete die Schlange!«

»Die Schlange!?« wiederholte Alahis mit Hohn. »Markulf, Markulf, wie mißbrauchst du das Vorrecht des Alters, thöricht zu sein!«

Dann hob er seine Faust gegen den Himmel und schrie: »So belohnst du diejenigen, du feiger Gott der Christen, die nach deinem Gesetze leben und dir vertrauen? Aber es ende nun alles! Indessen auch euer Tag wird kommen, ihr höllischen Angeber!« fuhr er die beiden Brescianer an, die entsetzt zur Seite wichen.

Die Longobarden öffneten ihm schweigend ihre 242 Reihen – er durchschritt sie wie ein Träumender, um sich dann sogleich auf sein Pferd zu werfen und in stürmischer Eile davonzujagen.

Aldon und Grausor, die noch zitternden Zeugen dieser Vorgänge, zogen sich in ein entlegenes Haus an der Brücke, die über den Tessin führte, zurück, woselbst sich allerlei Volk umhertrieb, Lastträger, Fischerleute, Gaukler und Bettler.

»Hier sind wir sicherer als in der Nähe des Mächtigen,« ergriff Aldon das Wort.

»Scheint es dir ratsam, noch länger bei einem zu bleiben, der wütet?« erwiderte Grausor.

»Und der es auf uns abgesehen hat,« flüsterte Aldon weiter. »Denke dir nur, was sich jüngst begab! Mein junger Sohn, der schon zu Kuninkperts Zeit öfters mit anderen Kleinen im Palasthof spielte, kam auch in das Gemach des Alahis. Wie diesem nun, während er gerade beim Würfeln mit einigen seiner Großen saß, ein Goldstück auf den Boden fiel, hob es mein Knabe auf und gab es ihm. ›Nicht wahr,‹ rief Alahis lachend, ›solche Dinge hat dem Vater viele? Nun, er wird sie mir noch alle geben müssen!‹ Das Kind wußte nicht, wie es diese Worte zu deuten habe, hinter 243brachte sie mir aber. Ich konnte sie schon erklären. Was zögern wir noch! Gehen wir wieder zu Kuninkpert, er wird uns vergeben, wenn er hört, wie wir ihm nützlich sein können.«

»Wie können wir das?«

»Wir brauchen ihm nur zu berichten, was wir heut gesehen und gehört. Die Unzufriedenheit mit Alahis ist groß in dieser Stadt; sobald er sie verläßt, mag Kuninkpert furchtlos hier einrücken, er findet Anhänger genug. Das wollen wir ihm kundthun.«

»So sei es!«

Die Brescianer machten sich also auf den Weg, indem sie die Nacht hindurch gingen, am Tag sich in den Weidenbüschen des Flusses verbargen.

Der König selbst indes hatte sein Lager auf einer Insel im Comersee aufgeschlagen; ein alter Wartturm aus der Römerzeit ward ihm zum Wohnsitz hergerichtet. Da zechte er Tag und Nacht, ohne sich viel um die Wiedergewinnung seines Reiches zu sorgen. Nur an Theodote dachte er und ließ nach ihr forschen, auch nach Senno, ob der nichts von ihr wüßte.

Der Diakon aber hatte schon von selbst seinen Weg nach den Gezelten Kuninkperts genommen. Schwer er 244müdet kam er an. Aus seinen Mienen sprach die äußerste Erregtheit, mit heiserer Stimme begann er zu erzählen:

»Als ich Theodotens plötzliche Flucht erfuhr – es war auf dem Landgute ihres Bruders, dem ich ihre Vermählung mit dir verkündigen wollte – machten wir uns beide auf den Weg, sie zu suchen. Gemeinschaftlich beschlossen wir, unsere Nachforschungen anzustellen; aber den Leontius bewog sein unbesonnener Eifer, sich schon an einem der nächsten Tage von mir zu trennen. Was ich vermutet, geschah: er geriet in die Gefangenschaft des Alahis. Er fand seine Schwester in gleicher Lage, und diese war von den Longobarden bereits als deine Gattin erkannt worden. Alahis hatte schon vorher ihr den Tod geschworen.«

Hier fuhr Kuninkpert empor und rief:

»Ich will mit ihm kämpfen um ihr Leben, sie ist meine Gattin, und sie soll nicht sterben, ehe ich nicht ihres holden Leibes genossen!«

Der Diakon schwieg. Es schien, er müsse Atem schöpfen und nach Fassung ringen, um weiter zu erzählen. Es war tiefe Stille in dem Turmgemach. Man hörte draußen die Wellen des Comersees rau 245schen. Zuweilen erhellte ein Blitz die tiefe Nacht und ein ferner Donner rollte.

Nach einer Weile fuhr er fort:

»Als Alahis deine Gattin gesehen, wurde er milder gegen sie gesinnt, seine Blicke verweilten unablässig auf ihrer schönen Gestalt.«

»Er wird sie nicht töten,« warf Kuninkpert dazwischen; »Hermelinde hatte doch recht, daß diese Maid sein Herz bezwingen würde – Liebt sie ihn? sprich!«

Senno seufzte tief auf und fuhr, ohne die Frage zu beachten, fort:

»Der Empörer zog mit seinem Heere nach Pavia und ließ die Geschwister auf dem Landgut allein. Ich erfuhr es und eilte dahin. Ach –«

»Sagst du, sie liebt den Alahis, das will ich hören!«

Kuninkpert ergriff den Becher, der vor ihm auf dem Tische stand, und leerte ihn mit einem Zuge.

»Höre denn,« antwortete Senno, »es war eine Nacht wie diese so furchtbar – ich erreichte in tiefer Stille und heimlich das Landgut, ich traf Theodote allein. Sie schien meine Ankunft erwartet, ersehnt zu haben – sie verlangte, das Bekenntnis abzulegen, 246 daß sie Alahis liebe, ja, daß sie ihn liebe mit aller Jugendglut ihres Herzens.«

Kuninkpert sprang empor.

»Weiter, weiter!«

»Sie klagte sich der Sünde bei mir an, in wilder Verzweiflung warf sie sich vor mir nieder und bat mich, die Verzeihung des Himmels für sie zu erbitten. Ich hob sie auf – gerührt von ihren Thränen, ihrer Reue – in diesem Augenblick stürzte ein greiser Longobarde herein und stieß ihr unter fürchterlichen Verwünschungen ein Schwert in den Nacken. Er hatte mich für den gehalten, dem das Geständnis ihrer Liebe galt.«

Mit dumpfem Stöhnen sank Kuninkpert zurück, dann sprang er wütend auf.

»Den lasse mir, den will ich erwürgen!«

»Er stürzte sich dann auf mich,« erzählte der Diakon hastig weiter, »aber ich war stärker und ließ ihn nach heftigem Ringen für tot liegen. Dann kam Leontius herbeigestürzt, wir verbanden die Schwerverwundete und brachten sie von dem Landgute weg in eine Grotte am Fuße des Berges.«

»Wurdet ihr nicht verfolgt? Lebt sie noch?«

»Niemand verfolgte uns; ich ließ Theodote bei 247 Leontius zurück, sie wird wohl nicht mehr unter den Lebenden sein! Hätte mein Arm nicht die Wucht des Stoßes gehemmt, so wäre sie augenblicklich des Todes gewesen.«

»Markulf, sein Waffenträger, war der Mörder!« schrie Kuninkpert plötzlich auf. »Wohlan, alles trete unter die Waffen, alles sei zum Aufbruch bereit! Hatte ich denn vergessen, daß ich Krieg gegen ihn führe? Verderber! Satan! Ich erreiche dich doch und bald!«

Senno nannte den Namen Hermelinde.

Der König sah ihn starr an, als wisse er nicht zu deuten, was ihm dieser Name jetzt solle. Dann sprach er mit einem eigenen tiefen Ernst:

»Wisse, Diakon, das ist jetzt nicht mehr ein Kampf anderer Männer, als nur zwischen mir und Alahis. Gehe hin zu ihm und sage ihm, daß ich mit ihm kämpfen wolle, bis einer fällt oder bis beide fallen. Es soll niemand sonst dabei zu thun haben oder sein Blut dafür vergießen als nur er, und ich!«


248

IX.

Indem Senno sich anschickte, seinen Auftrag auszurichten, war in ihm ein Hoffen rege, Theodote noch am Leben zu finden. Er dachte jetzt erst daran, daß sie des Trostes, den er ihr als Kleriker spenden könne, bedürftig wäre. Es fiel ihm schwer auf die Seele, daß er sie verlassen hatte. Doch der Zweck, den er sich vorgesetzt, war erreicht; er hatte durch die Schilderung von Theodotens Leiden den König aus seiner Trägheit aufgerüttelt und zur kräftigen Fortsetzung des Krieges bewogen.

Und ließ er die Verwundete nicht in der Obhut ihres Bruders zurück? In der That hatte es Leontius an nichts fehlen lassen, das Leben der Schwester zu erhalten. Unter den Dienern des Hauses befand sich ein Heilkundiger, der das noch von Zeit zu Zeit aus der Wunde quellende Blut stillte, die sinkenden Kräfte durch einen Heiltrank wieder zu heben verstand. Alles zur Pflege Nötige war aus dem Hause nach der Höhle gebracht und diese bald in einen nicht nur wohnlichen, sondern auch mit allem Aufwand ausgestatteten Raum verwandelt worden.

249 Während Senno sich keine Rast gönnte, erwachte in ihm zugleich ein Gedanke, den er schon früher gehegt, nämlich selbst, statt des Königs mit Alahis in den Kampf zu treten. Alter Rachedurst über die Behandlung, die er einst von ihm erfahren, und das Bedenken, ob Kuninkpert, der älter war, einen so gewaltigen Recken wie Alahis überwältigen würde, bestärkten ihn in seinem Vorhaben. Ihm, glaubte er fest, würde es besser gelingen, seinen Todfeind niederzuwerfen, und er wollte seine Botschaft, die er jedenfalls ausrichten mußte, dahin nützen, daß er Gestalt und Bewegungen seines Gegners ausspähte und damit Vorteile über ihn vorausgewänne.

Dieser indes war von Pavia nach dem Landgute des Leontius gekommen. Alles schien hier öde und ausgestorben. Nachdem nämlich Markulf aus der Betäubung, in die ihn der Faustschlag Sennos niedergeworfen, erwacht war und er weder ihn noch sonst jemand fand, hatte auch er die Villa verlassen, war nach Pavia geeilt, um seine That vor Alahis zu rechtfertigen und nicht mehr zurückgekehrt. Er glaubte nicht anders, als daß er die Römerin getötet habe und daß die Leiche von den Dienern zu Kuninkpert fortgebracht worden sei, damit er sie feierlich bestatte.

250 So dachte nun auch Alahis, als er die stummen Räume durchschritt und nicht ein menschliches Wesen fand, das ihm hätte Nachricht von ihr geben können. Nur ein mächtiges Gefühl in seinem Innern sagte ihm, daß sie noch lebe, und er, der so oft die Fährte des Wildes aufgespürt, er traute sich's zu, auch die des edelsten aufzufinden. Die Spur vom Gefolge, das eine Verwundete trug, konnte nicht unentdeckt bleiben.

Ihr nachgehend, sah er schon von weitem mehrere Männer und Frauen, die vor einer Vertiefung im Felsen und unter dem Schatten mehrerer Cypressen in einer Gruppe beisammen standen. Man hatte die immer schwächer Gewordene auf ihren Wunsch aus der Grotte hervor ins Freie getragen. Sie wolle nochmal das holde Licht des Tages erblicken, sagte sie. Sanft erhob sie das Haupt und wandte ihr Gesicht zur Seite – Alahis trat auf sie zu. Ein leichtes Rot flog über ihre bleichen Wangen, er kniete zu ihr nieder und legte seinen Arm unter ihr Haupt.

Sie sprach:

»Junger Held, sage mir nur eines, war es dein Befehl, daß ich getötet würde?«

»Nein, o, beim Himmel, nein,« erwiderte Alahis, »aber es war wohl dort beschlossen, daß ich das 251 Teuerste auf Erden verlieren, daß mir das Härteste zu bestehen auferlegt würde – denn wenn du stürbest, was hätte die Erde noch für mich?«

»Dann bin ich glücklicher,« flüsterte sie, »da ich sterbend deine Liebe mit mir nehme.«

Ein schon verklärtes Lächeln begleitete diese Worte. Jetzt trat auch Senno heran. Er breitete seine Hände über die Sterbende und betete laut, daß ihr Gott vergeben und sie zu sich in sein Paradies nehmen möge. Theodote blickte zu Alahis, er bog sich ganz zu ihr, ihre Lippen berührten sich, und im Kuß entfloh ihre Seele.

Eben war die Sonne über die Cypressen herübergerückt und beschien mit ihrem vollen Glanz das Antlitz der Toten. Alahis warf sich in rasendem Schmerz über die leblose Gestalt, dann umschlang er sie und hob sie wie ein Kind auf seinen starken Armen der Sonne entgegen.

»Nimm sie zu dir, leuchtende Herrin des Weltalls, dein sei sie auf ewig, die Wonne aller hienieden, die sie sahen, und mir mein einziges, süßestes Glück auf Erden!«

Sanft legte er sie auf den Teppich ihres Lagers und befahl, sie mit Blumen zu bedecken. Hierauf wandte er sich an Senno.

253 »Wenn du von Kuninkpert kommst, so richte deinen Auftrag aus!«

Der Diakon meldete, daß Kuninkpert gesonnen sei, ihn im Zweikampfe zu bestehen, damit nicht so viele wegen des Streites zwischen nur zweien umkämen.

»Wenn die noch lebte,« rief Alahis, indem er auf die Tote wies, »dann wollte ich um sie als den höchsten Preis des Lebens mit Kuninkpert kämpfen, aber jetzt, da sie nicht mehr ist, ist es da noch der Mühe wert, mich mit ihm zu messen? Nein,« lachte er wild auf, »viele, Hunderte, ja Tausende sollen ums Leben kommen, weil sie dahin ist, furchtbar soll das Schlachtgeschrei gegen den Himmel schallen, alle Wiesen sollen triefen von Blut, und nicht müde werden soll das Schwert, zu töten, bis ihr ein Leichenhügel geschichtet ist, groß genug, um meinem Schmerze ein Denkmal zu sein! Gehe jetzt und sag ihm diese meine Antwort. Wenn er obsiegt, so möge er die eiserne Krone tragen, aber sie wird ihn zerdrücken, und die Nägel mit dem Blute des Gekreuzigten werden sich in sein Gehirn bohren bis zum Wahnsinn!«

Senno, der kein Auge von seinem Todfeinde 253 gewandt und genau die Stärke seines Armes und seiner Schultern und jede Bewegung aufgefaßt hatte, sprach:

»Ich werde meinem König alles sagen, was ich von dir gehört habe; du wirst aber den Kampf dennoch nicht mit ihm vermeiden, sondern im dichtesten Gewühl der Schlacht wirst du demjenigen begegnen, dem der Herr der Heerscharen den Sieg über dich in die Hände gegeben hat!«

Damit schritt er hinweg.

   

Kuninkpert staunte sehr, als er vernahm, daß Alahis den Zweikampf mit ihm ausschlug.

»Ich hatte ihn für mutiger gehalten,« sprach er zu Senno; »aber freilich, es ist ihm wohl bekannt, daß ich an Stärke ihm weit überlegen bin. Als wir beide noch am Hofe meines Vaters lebten, hob ich oft den schwersten Widder, den ich an der Wolle des Rückens packte, leicht mit ausgestreckten Armen in die Luft, was er nicht vermochte.«

»Dennoch, mein König, möchte ich dich bitten, am Tage der Entscheidung den Alahis im Kampfe zu vermeiden. Es ist nicht immer Kraft und Geschicklichkeit allein, was zum Siege verhilft, oft ist es auch das Glück. Homer hatte nichts anderes im Sinne, wenn er erzählt, daß den einen oder andern 254 Trojaner eine Göttin dem stärkern Gegner entrückt habe. Auf dir aber, Herr, beruht unser aller Wohlergehen; wenn du in der Schlacht umkämest, so würden nicht nur wir alle geschlagen sein, sondern Alahis würde uns auch zu Tode martern lassen. Sein Haß, besonders gegen mich, ist dir bekannt. Deshalb bitte ich dich, mein erlauchter König, gieb mir an jenem Tage deine Rüstung und laß mich ihn aufsuchen und im Kampfe bestehen. Überwinde ich ihn, so soll niemand erfahren, daß ich es war, der in deiner Rüstung stritt; wenn ich aber fallen sollte, so werde ich ihn vorher noch so sehr ermüden und ihm so viele Wunden beibringen, daß es nachher dir leicht sein wird, ihn zu erschlagen.«

Kuninkpert entgegnete:

»Ich kann das nicht zugeben, ein Zufall könnte die Entdeckung herbeiführen, und es läge dann auf mir der Flecken einer unauslöschlichen Schmach. Auch hege ich nicht den geringsten Zweifel darüber, daß Alahis der Stärke meines Armes und meinen guten Waffen erliegen wird.«

Da warf sich Senno vor ihm nieder und rief: »Ich bitte dich bei dem Andenken an diejenige, die 255 du geliebt hast, willfahre, begieb dich des Rechtes deiner Stärke, damit du nach dieser größten Entsagung, nach diesem größten Verzicht würdig seiest, die eiserne Krone auf dein Haupt zu setzen! So will es der Himmel; dieses Opfer der Demut und Selbstverleugnung verlangt Gott von dir.«

Kuninkpert hob den Diakon gütig auf und sprach: »Ich will es bedenken, ich will es im Gebet meinem Heiligen anheimstellen und dir sodann sagen, was ich thun werde. Für jetzt laß uns die Heerhaufen ordnen und unverzüglich aufbrechen. Die Ebene Coronate ist zum Schlachtfeld für unsere überlegenen Reitermassen sehr günstig und wir müssen suchen, noch früher als Alahis dahin zu gelangen, damit er gezwungen ist, dort sich mit uns in den Kampf einzulassen. Indes will ich, um ihm zu zeigen, daß es mir an Edelmut nicht fehlt und daß wir als ehrliche Feinde einander gegenüberstehen, die beiden Schacher, den Aldon und Grausor, die erst mich an ihn und jetzt wieder ihn an mich verrieten, ausliefern lassen, damit er sie nach seinem Gefallen bestrafe. Setze dies in Vollzug, mein Getreuer!«

Senno wagte nicht, für die Verräter zu bitten, sondern ließ sie, die im Vorsaal nichts anderes als 256 Dank und reichen Lohn erwarteten, sogleich in Bande legen und fortführen. Die Longobarden, denen die Überbringung geheißen war, erreichten noch am gleichen Tage die ersten Scharen des Alahis und kehrten, ohne sich weiter umzusehen, nachdem sie ihre Gefangenen ausgeliefert hatten, zu den Ihrigen zurück.

Sie kamen aber, da sie nicht auf dem gleichen Wege, den sie gekommen waren, sich wieder entfernen wollten, in mehr südliche Richtung und gelangten bis zu dem Kloster, in welches sich Hermelinde zurückgezogen hatte. Als Vertraute des Königs wußten sie alles und baten um eine Unterredung. Diese wurde ihnen nach Klostersitte am Gitter gewährt, und sie berichteten nun, daß Theodote getötet worden sei, daß die beiden Heere des Alahis und Kuninkpert ganz in der Nähe ihres Aufenthaltes sich zum Treffen rüsteten, und baten die Königin, zu ihrem Volk und zu ihrem Gatten zurückzukehren.

Hermelinde gab zur Antwort, sie hege keinen Groll gegen Kuninkpert, zu ihm zurückkehren werde sie jedoch nicht, obwohl sie sich immer noch als Königin ihres Volkes betrachte. Wenn die Heere aneinander geraten und der Kampf sich in die Nähe ihres Klosters dränge, so würden dessen Thore zur 257 Aufnahme der Verwundeten aufgethan, auch die Kirchenthüre, und es würde das Meßopfer für den Sieg der gerechten Sache an den Altären dargebracht werden.

In Ehrfurcht und voll Bewunderung für ihre Herrin schieden die Boten und hinterbrachten, was sie gehört und gesehen hatten, dem Könige, der dadurch aufs tiefste erschüttert ward.

Das Bild der milden Frau, die in so vielen Jahren ihm treu verbunden gewesen, trat wieder vor seine Seele und er wußte nun, daß sie für immer ihm verloren war. Einmal ihm entfremdet, konnte sie nicht mehr sein, was sie ihm gewesen – ach, und jene, deren Schönheit und deren Stolz er alles Unheil und alle Schuld beimaß, sie, die ihn nie geliebt hatte, sie war tot – und sterbend noch hatte sie ihre Liebe zu seinem Todfeinde bekannt.

»Da ich denn nun so allein und erniedrigt bin, so hat Senno recht, daß es mir nicht geziemt, als König vor meinem Volk in die Schlacht zu ziehen, sondern wie ein jeder andere, wie ein gemeiner Mann und in schlechter Rüstung will ich den Pfeilen und Schwertern meiner Feinde mich aussetzen. Ja, Senno,« rief er diesem zu, der eben sein Zelt be 258trat, »ja, ich werde deinen Willen thun – nimm dort meine Rüstung und dringe auf Alahis ein, wenn dir aber nicht ein Engel Gottes im Kampfe gegen ihn beisteht, so wirst du kaum am Leben bleiben, denn Alahis ist ein Löwe an Mut und Stärke und durch den Tod der von ihm geliebten Römerin zur Verzweiflung gebracht!«

Senno dankte und nahm sogleich die Waffen des Königs in Empfang. Er glühte vor Begierde, sich zu rächen, und die Gewißheit, daß auf beiden Seiten genug von den verhaßten Langobarden fallen würden, schwellte seine Brust mit kühner Todesverachtung.

»Mögen sie sich gegenseitig ganz aufreiben, und muß ich selbst auch fallen, so seid doch ihr gerächt, ihr, meine Väter und Brüder, die ihr einst unter dem Schwert der Ruchlosen hingesunken seid!«

Ein anderer als noch eben, größer, mit jugendlicher Behendigkeit, im Helm, der sein Gesicht verbarg, trat der ehemalige Kleriker aus dem Zelt.

»Endlich ist meine Kraft wieder mein!« rief er und bestieg ein gleich ihm mit Stahlschuppen gepanzertes Pferd.

Kuninkpert aber setzte sich die Eisenhaube eines gewöhnlichen Kriegers auf und 259 hielt, um nicht erkannt zu werden, den Schild vor. Nur dem einen der Dienstmannen, die ihm Hermelindens Worte überbracht hatten, vertraute er das Geheimnis an und hieß ihn stets an seiner Seite bleiben. Der andere bekam Befehl, die eiserne Krone nach der Kirche des Klosters, in dem sich Hermelinde befand, zu bringen.

»Wenn wir im Kampf unterliegen, so wird die Krone dort sicher sein und nicht als Beute in die Hände des gottlosen Alahis fallen,« sprach er; »wenn wir aber siegen und ich umkomme, so soll derjenige, der am Schlachttage sich als der tapferste bewiesen, zu Hermelinde geführt und ihm von ihr die Krone aufs Haupt gesetzt werden, daß er dann an meiner Statt König der Longobarden sei.«

Zu diesem Zwecke ließ er sogleich das Heer vorrücken und den Ölwald, an dessen Saum sich das Kloster befand, besetzen.

Auf der andern Seite war auch Alahis vorgedrungen und suchte von Norden her seinen Gegner zu überflügeln. Aldon und Grausor wurden beide an einen Baum inmitten des Schlachtfeldes gebunden, und jeder der vorbeisausenden Reiter von beiden Heeren sandte ein Geschoß auf sie, bis sie, voll 260ständig angespießt, ihren Geist aufgaben. Es war furchtbar, die von Todesschmerz verzerrten Gesichter anzusehen.

»Ohne diese Schurken,« rief Alahis seinem Waffenträger zu, »würde Theodote noch leben! Auch dich, der du sie getötet hast, will ich nach diesem Tage nicht mehr sehen, suche den Tod, der du das holdeste Geschöpf, das je gelebt, ermorden konntest!«

Damit sprengte er auf den vordersten der Feinde los, in welchem er König Kuninkpert selbst zu erkennen glaubte. Es war Senno in dessen Rüstung. Als er Alahis gegen sich andringen sah, wich er anfangs aus und schien den Kampf mit ihm vermeiden zu wollen. Bald umgab beide das Gewühl der Schlacht, die nun immer allgemeiner wurde. Haufe an Haufe warfen sich gegeneinander und waren bald in einen dunklen Knäuel mordender, sinkender, wütender Streiter geballt. Die von Norden anstürmenden Scharen des Alahis drängten die Krieger Kuninkperts auseinander. Diese suchten den Ölwald zu erreichen, um sich zu sammeln und Deckung gegen die unaufhörlich hersausenden Pfeile und Wurfgeschosse der überlegenen Streitkraft zu haben.

261 Bereits wurden Verwundete nach dem Kloster gebracht. Aus der Kirche vernahm man den Gesang der Geistlichen.

Es war, als zöge eine überirdische Gewalt die Kämpfenden dahin, wo die eiserne, die künftige Krone des longobardischen Reiches sich in einer Altarnische geborgen befand. König Kuninkpert sah mit Mißmut und Zorn, wie die Seinigen zurückwichen; er stellte sich immer wieder voran und warf sich den Angreifern entgegen; allein seine Tapferkeit fand wenige nur, die zu ihm standen oder seinem Beispiele gefolgt wären.

Schon bereute er, seine Rüstung weggegeben zu haben, da es ihm schien, als ob auch Senno nicht stand halte. Dem war aber nicht so: nur aus Verstellung war dieser anfangs gewichen und in der Absicht, den Longobardenherzog glauben zu machen, Kuninkpert fliehe vor ihm und er werde ihn nun mit Leichtigkeit überwinden. Endlich konnte der Gepide seine Rachelust nicht länger zähmen; er wandte sich rasch um und stürzte mit solcher Wut auf Alahis los, daß dieser nur mit Mühe sich gegen die wie Blitze aufeinander folgenden Schläge des Streithammers erwehren konnte.

In einem Augenblick aber, da Senno eben ausholte, 262 schleuderte Alahis seine Waffe mit solcher Wucht gegen das Haupt des Gegners und traf ihn so, daß dieser betäubt auf dem Pferde zurücksank. Rasch stieß er sein kurzes Schwert dem Diakon in die Brust, daß derselbe tot zu Boden stürzte. Nun sprang der Sieger vom Pferde, triumphierend, in der Meinung, den König erschlagen zu haben. Als er aber dem Gefallenen ins Gesicht sah, erkannte er, wen er getötet, und schrie voll Wut:

»Wehe mir, nichts ist gewonnen, wenn ich für nichts anderes in den Krieg gezogen bin, als um einen Diener der Kirche zu töten! Aller alle will ich sie vertilgen, da der sich erfrechen konnte, in der Rüstung seines Königs mit mir zu kämpfen, welcher zu feig ist, sich mir entgegenzustellen!«

Er hatte kaum das Wort ausgesprochen, als ein longobardischer Krieger auf ihn eindrang, der ihm trotz seiner geringen Ausrüstung bald mehrere Wunden schlug; denn Alahis war, wie es Senno vorausgewollt hatte, teilweise schon erschöpft und hatte seinen Streithammer eingebüßt. So kam es, daß Kuninkpert ihn nach kurzem Kampfe zu Boden schlug, worauf die Nächststehenden den Gefallenen noch durch mehrere Lanzenstiche töteten und ihm das Haupt abhieben.

263 Als Markulf, sein Schildträger, dies sah, stürzte sich der Alte auf Kuninkpert und brachte ihm mehrere Wunden bei, ja, er würde ihn getötet haben, wenn nicht die beiden Begleiter Kuninkperts sich an ihn gedrängt und nun den Mörder Theodotens seinem Herrn in den Tod nachgeschickt hätten.

Er war inzwischen, da die Schlacht den ganzen Nachmittag über gedauert hatte, allmählich dunkel geworden, und als sich das Gerücht vom Falle des Alahis verbreitete, so verlor sein Heer den Mut, und die Krieger Kuninkperts drangen wieder vor. Sie errangen bald einen vollständigen Sieg. Ihn selbst aber, den sie für einen gemeinen Kriegsmann hielten, brachten sie auf ihren Schultern in die Kirche und alles rief:

»Seht den Tapfern, ihn, der den schrecklichen Alahis erschlagen hat! Er soll, nachdem auch Kuninkpert gefallen ist, unser König sein.«

Sie wußten nämlich nicht, daß es Kuninkpert, der König selbst war. Davon hatten nur die beiden Getreuen Kenntnis, die nun in das Kloster gingen, um die Königin zu rufen und ihr den Sieg anzukündigen.

»Tritt hervor,« sagten sie, »und erfülle den letzten Willen deines Gatten. Er heischt, du sollst 264 demjenigen, der sich am tapfersten hielt, mit eigener Hand die eiserne Krone aufs Haupt setzen.«

Zögernd willfahrte Hermelinde, doch sie wagte nicht, zu widersprechen – nur mit einem tiefen Seufzer sagte sie:

»Also ist mein Gemahl und König eines Heldentodes gestorben?«

Alles schwieg.

Viele Geistliche umringten sie, mit Wachslichtern in der Hand, und überreichten ihr die Krone.

»Und wo ist der Außerordentliche, der einen so furchtbaren Mann, wie Alahis war, überwunden und uns von dem Schrecken vor ihm befreit hat?«

Da brachten sie einen von Staub und Blut über und über bedeckten Kriegsmann heran, er kniete nieder; aber in dem Augenblick, als man ihm den Helm abnahm und Hermelinde ihm die eiserne Krone auf die blutigen Locken legte, erkannte sie ihren Gemahl Kuninkpert.

Mit einem Schrei stürzte sie zu ihm nieder und nahm sein Haupt in beide Hände, Kuninkpert sah sie starr an, dann sank er mit dumpfem Fall auf die Steine des Altars tot nieder. Über die Stufen hinab aber rollte klirrend die eiserne Krone.


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