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Das wilde Heer

Die rötliche Mondscheibe taucht unter im Gewitterdunst. Sie verzischt im Gewölk.

Nachtwind läuft durchs verdunkelte Land. Er ruft von den Höhen; Baumwipfel rauschen auf; Hecken beginnen zu zittern. Überallher ist ein raschelnd Huscheln und Hasten das schwüle Tal entlang, heran, hinauf zu den Höhlen des Hörselbergs.

Dort sammelt sich das Totenheer.

Des Mondes zerrinnend Rotlicht ist aufgesogen vom Gewölk. Und nun flammt das lichtgefüllte Gewölk den Glanz zurück: der erste Blitz fällt in die stumme Nacht.

So hebt sich ein Geist aus seiner Gruft, breit schüttelnd die flammenden Flügel. Er ruft seinen Genossen. Schaurig-still winkt er, meilenweit, hochgereckt, winkt über das horchende Land.

Der Hörselberg summt. Der Berg der Toten ist tönende Musik. Alles, was im Geisterland durch Leidenschaft an die Erde gefesselt ist, sammelt sich in diesem Berg. Die Kämpfer zumal, die Zornigen, die Berserker-Naturen, deren Tatendrang im Leben keinen Raum gesunden. Sie suchen jetzt Raum in grenzenloser Lust.

Immer lauter wird der Berg, immer ungestümer drängt es empor; sie sammeln Kraft aus der Gewitterluft. Mit erregenden Strömen umfließt die Gewitterluft den ausgedörrten Gipfel. Sind sie gestärkt genug, die so dürftigen Schatten, so brechen sie aus, so rasen sie durch die erschütterte Lust um die Wette mit dem Donner auf dem Rücken des Windes, an den Mähnen der Wolkenrosse – das wilde, das wütende Heer!

Noch schläft das betäubte Land ...

Da tritt, im stummen Aufleuchten der geröteten Nacht, ein Großer aus dem erregten Totenhügel. Er steht als Steingestalt, gestützt auf den weißen Stab. Grau und lang sein Bart, unbewegt der schwer fallende Mantel, über dem Langhaar der deckende Schlapphut.

* * *

»Bereite dich, Land der Schläfer, Volk der Schlaffen!

»Geister der Kraft kommen über deine Träume! Mein Luftheer wettert dich an!

»Tannen zerbrechen vor unserm Hauch, Sparren zertrümmert unsre Kraft – aber wir suchen nicht Sparren noch Baumwerk! Wir suchen dich! Volk der Schlaffen, wir suchen dich!

»Als diese Geister in Körpern hausten, waren sie Helden. Helden der freien Tat, Helden des gefesselten Dranges! In ihren Herzen gefangene Glut! Sie haßten Rost und Rast, sie suchten Drachen und Riesen, am Siege zu genesen von unheilbarer Glut!

»Weh euch! Ihr habt sie verspöttelt, ihr habt sie zerdrückt! Mit tötender Satzung, Feiglinge, habt ihr verschüttet und begraben ihr Gottesfeuer! Da starben die Söhne der Flamme! Weh euch!

»Nun gespenstert das entfesselte Heer, nun quält euren Schlaf die entkörperte Schar! Nun sollt ihr träumen von Wagnissen der Großen, wie Brunhild starb und Gudrun am Meere trotzte, wie Trutzhelden in Todeskämpfe zogen, wie freie Männer standen und starben – träumen sollt ihr bis ins Mark, aufweinen vor Entzücken und stöhnen vor Heimweh nach Heldenart – aufweinen und – zusammensinken! Und sollt in den Tag erwachen, vergessend der Träume, verdrossen und klug, scheltend die alte Zeit, lobsingend dem Trott – Knechte!

»Doch ihr, Kinderlein am Wege, verirrt und entschlummert im Tannengebüsch – Segen über euch! Heilig seid ihr den Helden der Sonne. Ihr lacht noch mit der Sonne, ihr weint noch mit dem Regen, ihr spielt noch mit Hasen und Reh – lieblich lächelt in euch das heilige Licht. Ihr fürchtet nicht, o Herzen voll Glanz, die frei hinstürmende Schar: sie tönt euch Musik! O kleine Sturmwinde, frei laufend über die Wiesen, haschend nach Strahlen der Luft – ihr bejubelt den Sturmwind der Großen! Segen allen Kindern – Segen über Segen, was noch da unten zürnt und weint, liebt und lacht: unverrostet, untot!

»Auf nun, Wodans lebendige Jagd!«

* * *

Der Warner verschwand – Wodan saß zu Roß! Der Götterkönig rief mit der Stimme des Donners von Sleipnirs Rücken zurück in den umsummten, umbrausten, umfunkelten Berg: »Auf, Söhne der Kraft! Auf, Wodans lebendige Jagd!« Walkürengewimmel rauschte heran, ein Wolkengewimmel lediger Rosse drängte sich her – an die Mähnen sprangen die Starken – brüllend vor Lust, über sechs, acht Rosse sprangen die Einherier auf ihr erwähltes Tier! Rufe, Hornstöße, wirres Getümmel – und da schmetterte nun, da jauchzte nun im voll entfesselten Wettersturm das Geisterheer durch die hohe Nacht!

Die Menschen im Tal, denen das innere Ohr geschlossen, erwachten und sprachen über das Geräusch zu ihren Häupten: »Ein heftig Wetter.« Manche Förster und Bauern, aus dem Fenster lauschend, den geschüttelten Laden in knochiger Hand, vermeinten Rüdengekläff zu hören und Jagdruf.

Einige wenige aber verstanden die Sprache der Luft; sie verließen ihre späte Lampe, traten ans hellere Fenster, und die Glut ihres Herzens antwortete der Glut der Nacht:

»Genius der Kraft, Atem der Gottheit, verlaß uns nicht!«


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